Bundesgerichtshof Urteil, 12. Feb. 2008 - VI ZR 221/06

12.02.2008
vorgehend
Landgericht Saarbrücken, 16 O 234/04, 06.12.2005
Landgericht Saarbrücken, 1 U 726/05, 11.10.2006

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 221/06 Verkündet am:
12. Februar 2008
Holmes
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Wenn ein Morbus Sudeck nach dem Klagevortrag infolge einer ärztlichen Fehlbehandlung
und der damit hervorgerufenen Gesundheitsbeeinträchtigung eingetreten
ist, behauptet der Kläger insoweit einen Sekundärschaden. Für den Nachweis des
Ursachenzusammenhangs zwischen der Fehlbehandlung und dem Morbus Sudeck
gilt in diesem Fall der Maßstab des § 287 ZPO (Abgrenzung zum Senatsurteil vom
4. November 2003 - VI ZR 28/03 - VersR 2004, 118).
BGH, Urteil vom 12. Februar 2008 - VI ZR 221/06 - OLG Saarbrücken
LG Saarbrücken
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 12. Februar 2008 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller und die Richter
Dr. Greiner, Pauge, Stöhr und Zoll

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Saarländischen Oberlandesgerichts in Saarbrücken vom 11. Oktober 2006 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Der Kläger nimmt den Beklagten, einen Facharzt für Orthopädie, wegen ärztlicher Fehlbehandlung auf Ersatz materieller und immaterieller Schäden in Anspruch.
2
Der Kläger schlug sich am 11. Oktober 2002 mit dem Hammer auf den linken Zeigefinger und begab sich deswegen am 14. Oktober 2002 in die ärztliche Behandlung des Beklagten. Dieser fertigte ein Röntgenbild an und diagnostizierte danach eine starke Prellung. Er versorgte den Finger mit einem Verband und entließ den Kläger als arbeitsfähig. Am 15. November 2002 rutschte der Kläger während der Arbeit aus und schlug mit dem linken Zeigefinger gegen eine Wand. Aufgrund dessen stellte er sich am 18. November 2002 bei Dr. B. vor, der eine Refraktur des linken Zeigefingerendglieds diagnostizierte. Nachfolgend trat eine Sudecksche Heilentgleisung ein. Der Kläger ist seitdem arbeitsunfähig und erhält seit Mai 2004 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung.
3
Der Kläger behauptet, er habe bereits am 11. Oktober 2002 eine Fraktur des linken Zeigefingerendglieds erlitten. Dies sei auf dem gefertigten Röntgenbild eindeutig zu erkennen. Der Zeigefinger hätte ruhiggestellt und er selbst hätte arbeitsunfähig geschrieben werden müssen. Folgen der Fehlbehandlung seien der Unfall vom 15. November 2002 und das Auftreten des Morbus Sudeck.
4
Das Landgericht hat dem Kläger wegen der Behandlungsverzögerung ein Schmerzensgeld von 500 € zugesprochen und die weitergehende Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers und die Anschlussberufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit seiner vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

5
Das Berufungsgericht bejaht einen Behandlungsfehler des Beklagten bei der Auswertung des Röntgenbildes, weil tatsächlich eine Fraktur vorgelegen habe und die Diagnose einer Prellung mithin falsch gewesen sei. Es meint jedoch , dass sich eine Kausalität zwischen der Fehlbehandlung und der Entstehung des Morbus Sudeck nicht sicher feststellen lasse. Nach der Beurteilung des Sachverständigen sei ein Ursachenzusammenhang zwar sehr wahrschein- lich; da es jedoch möglich - wenn auch sehr unwahrscheinlich - sei, dass sich der Morbus Sudeck allein aufgrund des ersten Unfalls vom 11. Oktober 2002 entwickelt habe, lasse sich nicht mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit die Überzeugung gewinnen, dass der Behandlungsfehler die Sudecksche Heilentgleisung hervorgerufen habe. Beweiserleichterungen kämen dem Kläger nicht zugute. Die fehlerhafte Auswertung des Röntgenbildes sei, da der Beklagte den notwendigen Befund erhoben habe, kein Befunderhebungsfehler , sondern ein Diagnosefehler. Ein grober Behandlungsfehler in Form eines fundamentalen Diagnoseirrtums liege nicht vor, weil die Fraktur nach Einschätzung des Sachverständigen eher schwierig zu erkennen gewesen sei. Da sie jedoch auf dem Röntgenbild erkennbar sei, habe keine Veranlassung bestanden, eine Vergrößerung der Aufnahme anzufertigen.

II.

6
Das angefochtene Urteil hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
7
1. Das Berufungsgericht hat allerdings zu Recht das ärztliche Fehlverhalten des Beklagten am 14. Oktober 2002 nicht als Befunderhebungsfehler, sondern als Diagnosefehler gewertet, wie er im Falle der Fehlinterpretation von erhobenen oder sonst vorliegenden Befunden gegeben ist. Im Unterschied dazu liegt ein Befunderhebungsfehler und damit ein Therapiefehler vor, wenn die Erhebung medizinisch gebotener Befunde unterlassen wird (vgl. Senatsurteile vom 10. November 1987 - VI ZR 39/87 - VersR 1988, 293, 294; vom 23. März 1993 - VI ZR 26/92 - VersR 1993, 836, 838; vom 4. Oktober 1994 - VI ZR 205/93 - VersR 1995, 46 und vom 8. Juli 2003 - VI ZR 304/02 - VersR 2003, 1256 f.). Vorliegend ist dem Beklagten eine Fehlinterpretation des erhobenen Befundes unterlaufen. Die Fraktur des linken Zeigefingerendglieds war auf dem von ihm angefertigten Röntgenbild nämlich zu erkennen. Das Nichterkennen dieses Bruchs stellt sich demnach als Diagnosefehler dar, und zwar auch dann, wenn das Röntgenbild, wie die Revision geltend macht, vierfach hätte vergrößert werden müssen (dazu unten unter 3 b, bb).
8
2. Als nicht frei von Rechtsfehlern erweisen sich jedoch die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht die Ursächlichkeit der Fehlbehandlung durch den Beklagten für den Gesundheitsschaden des Klägers verneint hat. Die Revision macht mit Recht geltend, bei der Beurteilung der Kausalität habe das Berufungsgericht ein zu strenges Beweismaß angelegt. Nach den Ausführungen in dem angefochtenen Urteil kann nicht ausgeschlossen werden, dass es den Kläger zu Unrecht für beweisfällig gehalten hat.
9
Der Patient hat grundsätzlich den Ursachenzusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und dem geltend gemachten Gesundheitsschaden nachzuweisen. Dabei ist zwischen der haftungsbegründenden und der haftungsausfüllenden Kausalität zu unterscheiden. Erstere betrifft die Ursächlichkeit des Behandlungsfehlers für die Rechtsgutverletzung als solche, also für den Primärschaden des Patienten im Sinne einer Belastung seiner gesundheitlichen Befindlichkeit. Insoweit gilt das strenge Beweismaß des § 286 ZPO, das einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit verlangt (BGHZ 53, 245, 255 f.; Senatsurteile vom 9. Mai 1989 - VI ZR 268/88 - VersR 1989, 758, 759 und vom 18. Januar 2000 - VI ZR 375/98 - VersR 2000, 503, 505; BGH, Urteil vom 14. Januar 1993 - IX ZR 238/91 - NJW 1993, 935, 937). Die Feststellung der haftungsausfüllenden Kausalität und damit der Ursächlichkeit des Behandlungsfehlers für alle weiteren (Folge-)Schäden einschließlich der Frage einer fehlerbedingten Verschlimmerung von Vorschäden richtet sich hingegen nach § 287 ZPO; hier kann zur Überzeugungsbildung eine überwie- gende Wahrscheinlichkeit genügen (Senatsurteile vom 24. Juni 1986 - VI ZR 21/85 - VersR 1986, 1121, 1122 f.; vom 21. Oktober 1987 - VI ZR 15/85 - VersR 1987, 310; vom 22. September 1992 - VI ZR 293/91 - VersR 1993, 55 f. und vom 21. Juli 1998 - VI ZR 15/98 - VersR 1998, 1153, 1154).
10
Vorliegend hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei die Fehlbehandlung des Klägers und damit die haftungsbegründende Kausalität festgestellt. Primärschaden des Klägers, d.h. die durch den Behandlungsfehler im Sinne haftungsbegründender Kausalität hervorgerufene Körperverletzung, ist die durch die unterbliebene Ruhigstellung und damit unsachgemäße Behandlung der Fraktur eingetretene gesundheitliche Befindlichkeit. Welche weiteren Schäden sich hieraus entwickelt haben, ist eine Frage der haftungsausfüllenden Kausalität. Da der Morbus Sudeck nach dem Klagevortrag nicht durch den Unfall, sondern durch die ärztliche Fehlbehandlung und die damit hervorgerufene Gesundheitsbeeinträchtigung eingetreten ist, behauptet der Kläger insoweit mithin einen Sekundär-/Folgeschaden (vgl. hierzu auch Senatsurteil vom 4. November 2003 - VI ZR 28/03 - VersR 2004, 118, 119; OLG Saarbrücken, NJW-RR 1999, 176, 177). In dieser Hinsicht unterscheidet sich der vorliegende Fall von dem dem Senatsurteil vom 4. November 2003 (VI ZR 28/03 - VersR 2004, 118) zugrunde liegenden Sachverhalt, in dem der nach dem Unfall aufgetretene Morbus Sudeck als Primärschaden geltend gemacht wurde, weil es an einer vorausgegangenen Körperverletzung fehlte.
11
Nach den vom Berufungsgericht verwendeten Formulierungen liegt die Annahme nahe, dass es bei Prüfung des Kausalzusammenhangs für den Folgeschaden einen zu strengen Maßstab angelegt hat. Das Berufungsgericht hat nämlich die Kausalität verneint, weil sich nicht mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit die Überzeugung gewinnen lasse, dass die Fehlbehandlung die Sudecksche Heilentgleisung hervorgerufen habe, denn es sei möglich, wenn auch sehr unwahrscheinlich, dass sich der Morbus Sudeck allein aufgrund des Unfalls vom 11. Oktober 2002 entwickelt habe. Für die Anlegung eines zu strengen Beweismaßes spricht auch, dass das Berufungsgericht nicht nur den Sachverständigen Prof. Dr. C. mit den Worten zitiert, dieser habe gesagt, dass der Morbus Sudeck auch bei ordnungsgemäßer Behandlung nicht "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" vermieden worden wäre, sondern ausdrücklich auch die Beweiswürdigung des Landgerichts billigt, welches für den Kausalitätsbeweis eine "mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit" verlangt hat. Damit hat das Berufungsgericht, wie die Revision mit Recht geltend macht, für den Nachweis der Ursächlichkeit hinsichtlich des Folgeschadens ein Beweismaß verlangt, das noch nicht einmal von dem strengen Maßstab des § 286 ZPO vorausgesetzt wird (vgl. BGHZ 53, 245, 255 f.; Senatsurteile vom 9. Mai 1989 - VI ZR 268/88 - VersR 1989, 758, 759 und vom 18. Januar 2000 - VI ZR 375/98 - VersR 2000, 503, 505; BGH, Urteil vom 14. Januar 1993 - IX ZR 238/91 - NJW 1993, 935, 937). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die tatrichterliche Würdigung bei Berücksichtigung der hier allein maßgebenden Grundsätze des § 287 ZPO zu einem anderen, für den Kläger günstigeren Ergebnis geführt hätte.
12
3. Auch soweit das Berufungsgericht die Voraussetzungen für eine Beweislastumkehr zugunsten des Klägers verneint hat, sind seine Ausführungen nicht in jeder Hinsicht frei von Rechtsfehlern.
13
a) In Arzthaftungsprozessen kommt eine Beweislastumkehr in Betracht, wenn der Beweis des Ursachenzusammenhangs von dem hierfür grundsätzlich beweispflichtigen Patienten nicht geführt werden kann. Das wäre vorliegend der Fall, wenn der Kläger auch bei Anlegung des Beweismaßes von § 287 ZPO beweisfällig bliebe. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze über die Beweislastum- kehr für den Kausalitätsbeweis bei groben Behandlungsfehlern (Senatsurteil BGHZ 159, 48, 53 m.w.N.), wie der erkennende Senat bereits mehrfach entschieden hat, grundsätzlich nur Anwendung finden, soweit durch den Fehler des Arztes unmittelbar verursachte haftungsbegründende Gesundheitsbeschädigungen in Frage stehen. Für den Kausalitätsnachweis für Folgeschäden (Sekundärschäden ), die erst durch den infolge des Behandlungsfehlers eingetretenen Gesundheitsschaden entstanden sein sollen, gelten sie nur dann, wenn der Sekundärschaden eine typische Folge der Primärverletzung ist (Senatsurteile vom 21. Oktober 1969 - VI ZR 82/68 - VersR 1969, 1148, 1149; vom 9. Mai 1978 - VI ZR 81/77 - VersR 1978, 764, 765; vom 28. Juni 1988 - VI ZR 210/87 - VersR 1989, 145; vom 16. November 2004 - VI ZR 328/03 - VersR 2005, 228, 230; vgl. auch Senatsurteil vom 21. Juli 1998 - VI ZR 15/98 - VersR 1998, 1153, 1154; OLG Oldenburg, VersR 1999, 63). Das Berufungsgericht wird deshalb ggf. durch Nachfrage beim Sachverständigen aufzuklären haben, ob es sich beim Auftreten des Morbus Sudeck um eine typische Folge der durch den Behandlungsfehler gesetzten Primärschädigung handelt.
14
b) Das Eingreifen einer Beweislastumkehr zugunsten des Patienten setzt des Weiteren voraus, dass dem Arzt ein grober Behandlungsfehler unterlaufen ist. Dies hat das Berufungsgericht im Ansatz zutreffend erkannt. Die Revision macht jedoch mit Recht geltend, dass die Beurteilung des Berufungsgerichts, wonach der dem Beklagten unterlaufene Diagnosefehler nicht als fundamentaler Diagnoseirrtum einzustufen sei, auf einer unzureichenden Aufklärung des Sachverhaltes beruht.
15
aa) Im Ansatz geht das Berufungsgericht zutreffend davon aus, dass ein Fehler bei der Interpretation von Krankheitssymptomen nur dann einen schweren Verstoß gegen die Regeln der ärztlichen Kunst und damit einen "groben" Diagnosefehler darstellt, wenn es sich um einen fundamentalen Irrtum handelt (vgl. Senatsurteile vom 14. Juli 1981 - VI ZR 35/79 - VersR 1981, 1033, 1034; vom 10. November 1987 - VI ZR 39/87 - VersR 1988, 293, 294; vom 14. Juli 1992 - VI ZR 214/91 - VersR 1992, 1263, 1265 und vom 9. Januar 2007 - VI ZR 59/06 - VersR 2007, 541, 542). Wegen der bei Stellung einer Diagnose nicht seltenen Unsicherheiten muss die Schwelle, von der ab ein Diagnoseirrtum als schwerer Verstoß gegen die Regeln der ärztlichen Kunst zu beurteilen ist, der dann zu einer Belastung mit dem Risiko der Unaufklärbarkeit des weiteren Ursachenverlaufs führen kann, hoch angesetzt werden.
16
Die Beurteilung, ob ein Behandlungsfehler als grob oder nicht einzustufen ist, ist eine juristische Wertung, die dem Tatrichter obliegt, der sich dabei mangels eigener Fachkenntnisse der Hilfe eines medizinischen Sachverständigen zu bedienen hat. In aller Regel wird er sonst den berufsspezifischen Sorgfaltsmaßstab des Arztes, der bei der Prüfung eines groben Behandlungsfehlers zu berücksichtigen ist, nicht zutreffend ermitteln können (st. Rspr., vgl. Senatsurteile BGHZ 72, 132, 135; 132, 47, 53 f.; vom 3. Dezember 1985 - VI ZR 106/84 - VersR 1986, 366, 367; vom 10. November 1987 - VI ZR 39/87 - VersR 1988, 293, 294; vom 13. Februar 1996 - VI ZR 402/94 - VersR 1996, 633, 634 und vom 27. März 2001 - VI ZR 18/00 - VersR 2001, 859, 860). Das einzuholende Sachverständigengutachten muss vollständig und überzeugend und insbesondere frei von Widersprüchen sein. Unklarheiten und Zweifel zwischen den verschiedenen Bekundungen des Sachverständigen hat das Gericht durch gezielte Befragung zu klären. Andernfalls bietet der erhobene Sachverständigenbeweis keine ausreichende Grundlage für die tatrichterliche Überzeugungsbildung (vgl. Senatsurteile vom 27. September 1994 - VI ZR 284/93 - VersR 1995, 195, 196; vom 4. Oktober 1994 - VI ZR 205/93 - VersR 1995, 46, 47; vom 29. November 1994 - VI ZR 189/93 - VersR 1995, 659, 660 und vom 27. März 2001 - VI ZR 18/00 - aaO).
17
bb) Vorliegend hat das Berufungsgericht auf der Grundlage des medizinischen Sachverständigengutachtens einen groben Behandlungsfehler verneint , weil der Gutachter angegeben habe, das Übersehen einer Fraktur sei etwas, das tagtäglich passiere. Es könne zwar einen groben Fehler darstellen, doch sei dies nicht der Fall, wenn der Bruch, wie vorliegend, schwer zu erkennen sei. Mit Recht verweist die Revision darauf, dass der Sachverständige auch erklärt hat, die Fraktur sei "nur unter genauer Anschauung bzw. unter Vergrößerung erkennbar" gewesen. Abgesehen davon, dass eine "genaue Anschauung" bei der Auswertung eines Röntgenbildes wohl stets geboten sein dürfte, wirft diese Beurteilung des Sachverständigen die Frage auf, ob das Unterlassen einer genauen Anschauung vorliegend nicht doch als grober Fehler zu bewerten sein könnte. Unklar ist vor allem, was unter der Formulierung "Vergrößerung" zu verstehen ist. Da es sich bei der Verletzung des Klägers am Zeigefinger um eine relativ kleine Fraktur handelt, könnte der Sachverständige mit einer Anschauung "unter Vergrößerung" sowohl das Betrachten des Röntgenbildes mittels einer Lupe als auch die Anfertigung eines vergrößerten Röntgenbildes gemeint haben. Auch diesen Fragen wird das Berufungsgericht gegebenenfalls nachzugehen haben, zumal der Kläger, wie die Revision mit Recht geltend macht, unter Beweisantritt vorgetragen hat, es sei medizinischer Standard, ein Röntgenbild vierfach zu vergrößern. Soweit das Berufungsgericht gemeint hat, eine Vergrößerung sei hier deshalb nicht erforderlich gewesen, weil die Fraktur auf dem Röntgenbild auch ohne Vergrößerung zu erkennen gewesen sei, steht diese rechtliche Beurteilung in tatsächlicher Hinsicht nicht im Einklang mit der oben wiedergegebenen Einschätzung des Sachverständigen, wonach die Bruchstelle "nur unter genauer Anschauung bzw. unter Vergrößerung erkennbar" gewesen sei. Jedenfalls wird das Berufungsgericht, wenn es auch nach dem Beweismaß des § 287 ZPO keine Überzeugung von dem Ursachenzusammenhang zwischen der Fehlbehandlung und dem Morbus Sudeck gewin- nen kann, die Voraussetzungen einer Beweislastumkehr erneut zu prüfen haben und einen groben Behandlungsfehler nur auf der Grundlage einer vollständigen und widerspruchsfreien Würdigung der medizinischen Anknüpfungstatsachen verneinen können. Müller Greiner Pauge Stöhr Zoll
Vorinstanzen:
LG Saarbrücken, Entscheidung vom 06.12.2005 - 16 O 234/04 -
OLG Saarbrücken, Entscheidung vom 11.10.2006 - 1 U 726/05-245- -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 12. Feb. 2008 - VI ZR 221/06

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 12. Feb. 2008 - VI ZR 221/06

Referenzen - Gesetze

Zivilprozessordnung - ZPO | § 287 Schadensermittlung; Höhe der Forderung


(1) Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit e

Zivilprozessordnung - ZPO | § 286 Freie Beweiswürdigung


(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei.
Bundesgerichtshof Urteil, 12. Feb. 2008 - VI ZR 221/06 zitiert 3 §§.

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Referenzen

(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.

(1) Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen sei, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen. Das Gericht kann den Beweisführer über den Schaden oder das Interesse vernehmen; die Vorschriften des § 452 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 bis 4 gelten entsprechend.

(2) Die Vorschriften des Absatzes 1 Satz 1, 2 sind bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten auch in anderen Fällen entsprechend anzuwenden, soweit unter den Parteien die Höhe einer Forderung streitig ist und die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teiles der Forderung in keinem Verhältnis stehen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 304/02 Verkündet am:
8. Juli 2003
Holmes
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: nein
Zu den Voraussetzungen eines Diagnosefehlers (im Anschluß an Senatsurteile vom
30. Mai 1958 – VI ZR 139/57 – VersR 1958, 545, vom 14. Juli 1981 - VI ZR 35/79 –
VersR 1981, 1033, 1034 und vom 14. Juni 1994 – VI ZR 236/93 – AHRS 1815/102).
BGH, Urteil vom 8. Juli 2003 - VI ZR 304/02 - OLG Koblenz
LG Koblenz
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 8. Juli 2003 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Müller, den Richter Dr.
Greiner, die Richterin Diederichsen und die Richter Pauge und Zoll

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten zu 1 wird das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 19. Juli 2002 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als es zum Nachteil der Beklagten zu 1 ergangen ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger begehrte von der Beklagten zu 1 (künftig: die Beklagte) Schmerzensgeld und die Feststellung ihrer Ersatzpflicht für sämtliche gegenwärtigen und zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden, die ihm anläßlich der ärztlichen Behandlung vom 26. November 1995 im Krankenhaus der Beklagten entstanden sind und entstehen werden. Der Kläger wurde nach einem Sturz am 26. November 1995 in der Unfallchirurgie des Krankenhauses stationär versorgt. Der frühere Beklagte zu 3 erkannte einen Bruch des achten Brustwirbelkörpers nicht und nahm fälschlich eine Prellung an. Nach der Entlassung des Klägers am 28. November 1995
nahmen die Beschwerden nicht ab. Er begab sich deshalb erneut in ärztliche Behandlung. Dort wurde der Bruch des Brustwirbels erkannt und der Kläger daraufhin in einem anderen Krankenhaus stationär vom 1. bis 7. Dezember 1995 behandelt. Das Landgericht hat die Zahlungsklage wegen Verjährung abgewiesen; die Feststellungsklage sei unzulässig. Das Oberlandesgericht hat dieses Urteil auf die Berufung des Klägers teilweise abgeändert und der Feststellungsklage gegen die Beklagte hinsichtlich der Ersatzpflicht für materielle Schäden stattgegeben. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren auf Abweisung der Klage weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen damit begründet , die Ansprüche aus Behandlungsvertrag seien - anders als deliktische Ansprüche des Klägers - nicht verjährt. Für sie gelte nach § 195 BGB a.F. eine Verjährungsfrist von dreißig Jahren. Die Beklagte habe den zwischen ihr und dem Kläger bestehenden Behandlungsvertrag schuldhaft verletzt. Sie müsse sich das Verhalten des früheren Beklagten zu 3, eines angestellten Oberarztes, nach § 278 BGB zurechnen lassen. Dieser habe fälschlich eine Prellung statt eines Wirbelkörperbruches diagnostiziert.

II.

Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. 1. Allerdings hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei das Interesse des Klägers an einer alsbaldigen Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten (§ 256 Abs. 1 ZPO) trotz der Möglichkeit einer Leistungsklage bejaht. Ein Kläger ist nicht gehalten, seine Klage in eine Leistungs- und eine Feststellungsklage aufzuspalten , wenn ein Teil des Schadens schon entstanden ist und mit der Entstehung eines weiteren Schadens jedenfalls nach seinem Vortrag noch zu rechnen ist (vgl. Senatsurteil vom 28. September 1999 - VI ZR 195/98 - VersR 1999, 1555, 1556; BGH, Urteile vom 4. Dezember 1986 - III ZR 205/85 - BGHR-ZPO § 256 Abs. 1 Feststellungsinteresse 2 und vom 7. Juni 1988 - IX ZR 278/87 - BGHR-ZPO § 256 Abs. 1 Feststellungsinteresse 10). 2. Das Berufungsgericht geht auch im Ansatzpunkt zutreffend davon aus, daß dem Kläger aus dem mit der Beklagten als Trägerin des Krankenhauses abgeschlossenen Behandlungsvertrag vertragliche Ansprüche zustehen können , wenn die Beklagte oder deren Ärzte als ihre Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB) die geschuldete ärztliche Behandlung in einer dem fachärztlichen Standard zuwiderlaufenden Weise, also fehlerhaft, erbracht haben. Es hat zutreffend erkannt, daß die Ansprüche auf Ersatz materiellen Schadens hieraus erst in 30 Jahren verjährten (§ 195 BGB a.F.; Art. 229 § 6 Abs. 4 EGBGB i.V.m. §§ 195, 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB). 3. Das Berufungsgericht hat jedoch verkannt, daß ein Behandlungsfehler nicht immer schon dann anzunehmen ist, wenn ein Arzt zu einer objektiv unrichtigen Diagnose gelangt (unten a)). Es hat infolgedessen verfahrensfehlerhaft den unter Beweis gestellten Vortrag der Beklagten außer acht gelassen
(unten b)), daß der Bruch des achten Brustwirbelkörpers nicht erkennbar gewesen sei. Dadurch hat es gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßen, wie die Revision mit Erfolg beanstandet.
a) Grundsätzlich ist zwar das Nichterkennen einer erkennbaren Erkrankung und der für sie kennzeichnenden Symptome als Behandlungsfehler zu werten (vgl. Senatsurteile vom 30. Mai 1958 - VI ZR 139/57 - VersR 1958, 545, 546, vom 14. Juli 1981 - VI ZR 35/79 - VersR 1981, 1033, 1034 und vom 14. Juni 1994 - VI ZR 236/93 - AHRS 1815/102). Irrtümer bei der Diagnosestellung, die in der Praxis nicht selten vorkommen , sind jedoch oft nicht die Folge eines vorwerfbaren Versehens des Arztes. Die Symptome einer Erkrankung sind nämlich nicht immer eindeutig, sondern können auf die verschiedensten Ursachen hinweisen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der vielfachen technischen Hilfsmittel, die zur Gewinnung von zutreffenden Untersuchungsergebnissen einzusetzen sind (vgl. Senatsurteil vom 14. Juli 1981 - VI ZR 35/79 - aaO). Auch kann jeder Patient wegen der Unterschiedlichkeiten des menschlichen Organismus die Anzeichen ein und derselben Krankheit in anderer Ausprägung aufweisen. Diagnoseirrtümer, die objektiv auf eine Fehlinterpretation der Befunde zurückzuführen sind, können deshalb nur mit Zurückhaltung als Behandlungsfehler gewertet werden (vgl. Senatsurteile vom 14. Juli 1981 - VI ZR 35/79 - aaO; vom 14. Juni 1994 - VI ZR 236/93 – aaO). Dieser Gesichtspunkt greift allerdings nicht, wenn Symptome vorliegen, die für eine bestimmte Erkrankung kennzeichnend sind, vom Arzt aber nicht ausreichend berücksichtigt werden (vgl. Senatsurteil vom 30. Mai 1958 - VI ZR 137/57 - aaO; OLG Saarbrücken MedR 1999, 181, 182; Bischoff, Festschrift für Geiß, 2000, S. 345 ff.). Darum geht es hier nicht.
Die Frage nach einem ärztlichen Fehlverhalten kann sich jedoch auch stellen, wenn der behandelnde Arzt ohne vorwerfbare Fehlinterpretation von Befunden eine objektiv unrichtige Diagnose stellt und diese darauf beruht, daß der Arzt eine notwendige Befunderhebung entweder vor der Diagnosestellung oder zur erforderlichen Überprüfung der Diagnose unterlassen hat. Ein solcher Fehler in der Befunderhebung kann zur Folge haben, daß der behandelnde Arzt oder der Klinikträger für eine daraus folgende objektiv falsche Diagnose und für eine der tatsächlich vorhandenen Krankheit nicht gerecht werdende Behandlung und deren Folgen einzustehen hat (vgl. zum Beispiel Senatsurteile BGHZ 138, 1, 5 ff. und vom 3. November 1998 – VI ZR 253/97 – VersR 1999, 231, 232 – jeweils m.w.N.).
b) Nach diesen Grundsätzen durfte das Berufungsgericht einen Diagnosefehler des Beklagten zu 3 nicht schon deshalb bejahen, weil seine Diagnose einer Prellung – wie zwischen den Parteien unstreitig ist – objektiv unrichtig war. Feststellungen dazu, daß der tatsächlich vorliegende Bruch des Wirbelkörpers nach den erhobenen Befunden (etwa den Röntgenaufnahmen) für die behandelnden Ärzte erkennbar war, fehlen ebenso wie Feststellungen dazu, daß die Befunderhebung in der Klinik der Beklagten unzulänglich war. Die Revision weist mit Recht darauf hin, daß die Beklagte den unter Sachverständigenbeweis gestellten Vortrag des Klägers über einen Behandlungsfehler bestritten und ihrerseits unter Beweis gestellt hatte, die Diagnose einer Prellung sei eine in der gegebenen Situation vertretbare Deutung der damals erhobenen Befunde gewesen; auch die Röntgenaufnahmen hätten keinen Hinweis auf eine frische knöcherne Verletzung der Wirbelsäule ergeben. Dieser Vortrag war nach den oben zu a) dargelegten Grundsätzen erheblich. Die Beklagte hatte damit ausreichend bestritten, daß die unstreitig objektiv unrichtige Diagnose behandlungsfehlerhaft war.
Diesem Vortrag hätte das Berufungsgericht nachgehen müssen. Insbesondere hat das Berufungsgericht trotz des entscheidungserheblichen Vortrags der Beklagten keinen sachverständigen Rat dazu eingeholt, warum die Diagnose nicht nur objektiv falsch, sondern behandlungsfehlerhaft gewesen sein soll. 4. Die Revision beanstandet ferner mit Erfolg, daß das Berufungsgericht erstinstanzlichen Vortrag der Beklagten außer acht gelassen hat, mit dem diese eine Kausalität des objektiven Diagnoseirrtums bestritten und auf den sie in der Berufungserwiderung in zulässiger Weise Bezug genommen hat. Grundsätzlich muß der Patient die Voraussetzungen eines Behandlungsfehlers und dessen Ursächlichkeit für den geklagten Gesundheitsschaden darlegen und beweisen. Dies gilt sowohl für den Vorwurf eines Diagnosefehlers als auch für den eines Fehlers in der Befunderhebung. Gelingt dem Patienten zwar der Beweis eines Behandlungsfehlers in der Form eines Diagnosefehlers oder eines Fehlers in der Befunderhebung, nicht aber der Nachweis der Ursächlichkeit dieses Fehlers für den geltend gemachten Gesundheitsschaden, kommen ihm Beweiserleichterungen nur dann zu Hilfe, wenn der objektive Fehler der Behandlungsseite entweder als grob zu werten ist (fundamentaler Diagnosefehler - vgl. Senatsurteile BGHZ 132, 47 ff. und vom 14. Juli 1981 - VI ZR 35/79 – aaO), ein grober Fehler in der Befunderhebung vorliegt (vgl. Senatsurteile BGHZ 138, 1, 5 ff. und vom 6. Juli 1999 - VI ZR 290/98 - VersR 1999, 1282, 1284) oder wenn die Voraussetzungen für eine Beweislastumkehr wegen eines (lediglich einfachen) Fehlers bei der Befunderhebung oder der Befundsicherung gegeben sind (vgl. dazu Senatsurteile BGHZ 132, 47, 52 ff.; vom 3. November 1998 - VI ZR 253/97 - VersR 1999, 231, 232 und vom 6. Juli 1999 - VI ZR 290/98 – aaO 1283).
Das Berufungsurteil enthält keine Feststellungen dazu, daß sich die Verzögerung der richtigen Diagnosestellung und die dadurch verzögerte Behandlung nachteilig auf die Gesundheit des Klägers ausgewirkt haben oder daß die Voraussetzungen für eine Umkehr der Beweislast zugunsten des Klägers vorgelegen haben. Das war jedoch nicht selbstverständlich und hätte näherer Ausführungen bedurft, die im übrigen dem Berufungsgericht ohne sachverständige Beratung nur bei Darlegung eigener Sachkunde möglich gewesen wären.

III.

Nach allem war das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit es zum Nachteil der Beklagten ergangen ist, und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§§ 562 Abs. 1, 2, 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO), das auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben wird. Müller Greiner Diederichsen Pauge Zoll

(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.

(1) Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen sei, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen. Das Gericht kann den Beweisführer über den Schaden oder das Interesse vernehmen; die Vorschriften des § 452 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 bis 4 gelten entsprechend.

(2) Die Vorschriften des Absatzes 1 Satz 1, 2 sind bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten auch in anderen Fällen entsprechend anzuwenden, soweit unter den Parteien die Höhe einer Forderung streitig ist und die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teiles der Forderung in keinem Verhältnis stehen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 28/03 Verkündet am:
4. November 2003
Blum,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
§ 287 Abs. 1 ZPO findet bei der Feststellung der haftungsbegründenden Kausalität
auch dann keine Anwendung, wenn der durch einen Verkehrsunfall Betroffene den
Beweis, daß eine zeitlich nach dem Unfall aufgetretene Erkrankung auf den Unfall
zurückzuführen ist, wegen der Art der Erkrankung (hier: Morbus Sudeck) nach dem
Maßstab des § 286 ZPO nicht führen kann.
BGH, Urteil vom 4. November 2003 - VI ZR 28/03 - OLG Celle
LG Verden
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 4. November 2003 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Müller, den Richter
Dr. Greiner, die Richterin Diederichsen und die Richter Pauge und Zoll

für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 19. Dezember 2002 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt die Beklagten auf materiellen und immateriellen Schadensersatz wegen gesundheitlicher Schäden in Anspruch, die bei ihr nach ihrer Behauptung aufgrund eines Verkehrsunfalls eingetreten sind, der sich Anfang Dezember 1997 ereignete. Die volle Haftung der Beklagten ist außer Streit. Die Klägerin befand sich als Beifahrerin in einem der unfallbeteiligten Fahrzeuge. Nach dem Unfall hatte sie zunächst keine gesundheitlichen Beschwerden. Später spürte sie ein Kribbeln in der linken Hand, das mit der Zeit an Intensität zunahm. Ende Januar 1998 suchte die Klägerin deswegen erstmals einen Arzt auf, der sie arbeitsunfähig schrieb. Die Schmerzen in der linken Hand nahmen zu. Es entwickelte sich das Krankheitsbild eines Morbus Sudeck. Die Krankheit hat sich inzwischen derart verschlimmert, daß es zu einer Versteifung der Hand mit geschlossenen Fingern gekommen ist. Eine Besserung ist nicht zu erwarten. Die Klägerin hat behauptet, sie habe sich bei dem Unfall
mit der linken Hand am Armaturenbrett abgestützt und auf Grund der Kollision mit dem von der Beklagten zu 1 geführten Fahrzeug einen kurzen schweren Anstoß in der Hand verspürt. Aufgrund dieses Vorgangs habe sich der Morbus Sudeck entwickelt. Das Landgericht hat die Klage nach Einholung des Gutachtens eines medizinischen Sachverständigen abgewiesen. Das Berufungsgericht hat den Sachverständigen ergänzend gehört und die Berufung alsdann zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

Nach Ansicht des Berufungsgerichts hat die Klägerin nicht bewiesen, daß ihre Erkrankung an dem Morbus Sudeck eine kausale Folge des Unfallgeschehens ist, für das die Beklagten einzustehen haben. Die Klägerin müsse eine Primärverletzung nach den Grundsätzen des § 286 ZPO zur vollen Überzeugung des Gerichts beweisen. Dies sei ihr nicht gelungen. Der Sachverständige habe sein schriftliches Gutachten mündlich dahin erläutert, daß zwar auch Bagatellunfälle und Bagatellverletzungen, wie beispielsweise Prellungen oder Verstauchungen, die Sudecksche Dystrophie verursachen könnten. Das bloße Abstützen mit der Hand allein reiche jedoch als Ursache nicht aus. Es müsse schon irgendeine traumatische Einwirkung gegeben sein. Über die Frage, ob bei der Klägerin ein solches Trauma stattgefunden habe, könne er nur spekulieren. Es komme darauf an, wie die Abstützung erfolgt sei. Hierzu hebt das Berufungsgericht hervor, nach ihrem eigenen Vortrag habe die Klägerin unmittel-
bar nach dem Unfall keinerlei Beschwerden beklagt. Vielmehr hätten sich Beschwerden in Form eines Kribbelns an der linken Hand erst zwei Wochen nach dem Unfallereignis eingestellt. Aus diesem Vorbringen ergebe sich nicht der juristische Tatbestand der Körperverletzung. Bei dem bloßen Spüren eines schweren Anstoßes sei die Erheblichkeitsschwelle für eine Körperverletzung noch nicht überschritten. Im übrigen reiche selbst ein schwerer Anstoß nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen nicht aus, um einen Morbus Sudeck auszulösen. Der Senat sei deshalb mit dem Landgericht nicht vollends davon überzeugt, daß der Verkehrsunfall den Morbus Sudeck bei der Klägerin verursacht habe. In den Genuß der Beweismaßerleichterung des § 287 ZPO komme die Klägerin nicht, weil schon der Haftungsgrund in Frage stehe, der allein nach § 286 ZPO zu beweisen sei; die Anwendung des § 287 ZPO auf diese Frage wäre systemwidrig.

II.

Die dagegen gerichtete Revision ist unbegründet. 1. Die Revision macht geltend, ein schwerer Anstoß, wie ihn die Klägerin aufgrund des Zusammenstoßes der Fahrzeuge verspürt habe, sei juristisch auch dann als Körperverletzung zu qualifizieren, wenn er keine erkennbaren körperlichen Folgen nach sich ziehe. Deshalb hätte das Berufungsgericht eine Primärverletzung bejahen und die Ursächlichkeit des Unfalls für den Morbus Sudeck nach § 287 ZPO beurteilen müssen. Dem kann nicht gefolgt werden.
a) Der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Anstoß, den ein Fahrzeuginsasse beim Abstützen am Armaturenbrett spürt, als Körperverletzung zu qualifizieren ist, müßte nur dann nachgegangen werden, wenn die
Folgeerkrankung, nämlich der Morbus Sudeck, durch eine solche Primärverletzung verursacht sein könnte. Davon ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht auszugehen. Die Revision wendet sich nicht dagegen, daß das Berufungsgericht den Ausführungen des Sachverständigen entnimmt, ein schwerer Anstoß, wie ihn die Klägerin beim Abstützen auf das Armaturenbrett verspürt habe, reiche nicht aus, um einen Morbus Sudeck auszulösen; hierzu bedürfe es einer traumatischen Einwirkung, wie einer Verstauchung oder Prellung, die für die Klägerin fühlbar gewesen wäre. Das sei jedoch bereits nach ihrem Vorbringen nicht der Fall. Auf der Grundlage dieser tatsächlichen Feststellungen kann aber der von der Klägerin vorgetragene Anstoß nicht die Ursache für das vorliegende Krankheitsbild sein.
b) Ohne Erfolg macht die Revision geltend, das Berufungsgericht habe jedenfalls das Kribbeln in der Hand der Klägerin als Primärverletzung ansehen müssen. Sie übersieht, daß das Berufungsgericht keinen Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem Kribbeln festgestellt hat. Dem angefochtenen Urteil ist zu entnehmen, daß das Berufungsgericht das Kribbeln als erstes Anzeichen der beginnenden Erkrankung angesehen hat, seine Ursache aber gerade nicht hat feststellen können.
c) Daß ansonsten ausreichende Tatsachen festgestellt sind oder feststellbar wären, die die Ursächlichkeit des Unfalls für eine den Morbus Sudeck auslösende Körperverletzung nach dem Maßstab des § 286 ZPO als ausreichend sicher erscheinen lassen, macht die Revision nicht geltend. Sie sind auch nicht ersichtlich. Die bloße zeitliche Nähe der Entstehung der Erkrankung zu dem Unfallereignis reicht dazu nicht aus. Es ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, daß sich das Berufungsgericht auch im Hinblick darauf, daß nach
den weiteren Ausführungen des Sachverständigen andere Möglichkeiten als Auslöser für die Erkrankung als möglich erscheinen (Entwicklung ohne äußeren Anlaß bei ca. 10 % der Patienten oder ein bisher nicht bekanntes Trauma vor oder unmittelbar nach dem Unfall), die nach § 286 ZPO erforderliche Überzeugung nicht hat bilden können. Diese verlangt zwar keine absolute oder unumstößliche Gewißheit und auch keine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit ; ausreichend ist vielmehr ein unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses der Beweisaufnahme nach freier Überzeugung gewonnener für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewißheit , der den Zweifeln Schweigen gebietet (Senatsurteil vom 28. Januar 2003 - VI ZR 139/02 - VersR 2003, 474, 475 m.w.N.). Die von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen hat das Berufungsgericht indes auch nach diesem Maßstab ohne Rechtsfehler nicht für ausreichend gehalten, um die erforderliche Überzeugung zu gewinnen. 2. Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, weil die Sache grundsätzliche Bedeutung habe, soweit es um die Frage gehe, ob § 287 ZPO für den Beweis einer Primärverletzung jedenfalls dann Anwendung finden könne , wenn der Vollbeweis nach § 286 ZPO wegen der Art der Unfallfolge nicht geführt werden kann.
a) Das Revisionsgericht ist gemäß § 543 Abs. 2 Satz 2 ZPO an die Zulassung der Revision durch das Berufungsgericht gebunden. Die vom Berufungsgericht aufgeworfene grundsätzliche Frage stellt sich allerdings im Streitfall nicht. Der Tatrichter kann auch eine haftungsausfüllende Kausalität nur feststellen , wenn er von diesem Ursachenzusammenhang überzeugt ist. Dabei werden lediglich geringere Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt;
es genügt, je nach Lage des Einzelfalls, eine höhere oder deutlich höhere Wahrscheinlichkeit (Senatsurteil vom 28. Januar 2003 - VI ZR 139/02 - VersR 2003, 474, 476 m.w.N.). Bei der Feststellung von Kausalbeziehungen ist der Tatrichter nach § 287 ZPO insofern freier gestellt, als er in einem der jeweiligen Sachlage angemessenen Umfang andere, weniger wahrscheinliche Verlaufsmöglichkeiten nicht mit der sonst erforderlichen Wahrscheinlichkeit ausschließen muß (vgl. Senatsurteile vom 7. Juli 1970 - VI ZR 233/69 - VersR 1970, 924, 926; vom 27. Februar 1973 - VI ZR 27/72 - VersR 1973, 619, 620; vom 28. Januar 2003 - VI ZR 139/02 - aaO). Weder das Berufungsgericht noch die Revision zeigen auf, inwiefern die Klägerin bei Anwendung dieses Maßstabes angesichts der vorstehend bereits beschriebenen Beweislage den Kausalitätsbeweis sollte führen können. Wenn ein Vorgang, der Ursache der jetzigen Erkrankung der Klägerin sein kann, nicht vorgetragen ist und die ernsthafte Möglichkeit besteht, daß sich die Krankheit schicksalhaft entwickelt hat, können andere Kausalverläufe nicht ausgeschlossen und die Ursächlichkeit des Unfalls für die Beschwerden der Klägerin nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit bejaht werden. Die zeitliche Nähe zwischen dem Unfallereignis und der Entstehung der Beschwerden und die daran anknüpfende "gefühlsmäßige" Wertung, beide Ereignisse müßten irgendwie miteinander in Zusammenhang stehen, reicht dazu nicht aus. Die Tatsache , daß die Beklagte zu 1 den Unfall pflichtwidrig verursacht hat, mag als Grundlage für die Anwendung des § 287 ZPO zu diskutieren sein (vgl. etwa Hanau, Die Kausalität der Pflichtwidrigkeit, 1971, S. 119 ff., 127 ff.; dagegen Arens, ZZP 88 (1975), 1, 20; Stoll, AcP 176 (1976), 145, 187); sie ist aber für sich genommen kein Element der nach dem Maßstab dieser Vorschrift erforderlichen Überzeugungsbildung.

b) Darüber hinaus gibt die vorliegende Fallgestaltung keinen Anlaß, den Anwendungsbereich des § 287 ZPO auf die haftungsbegründende Kausalität auszudehnen. Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats unterliegt der Nachweis des Haftungsgrundes (die haftungsbegründende Kausalität) den strengen Anforderungen des § 286 ZPO, während der Tatrichter nur bei der Ermittlung des Kausalzusammenhangs zwischen dem Haftungsgrund und dem eingetretenen Schaden (der haftungsausfüllenden Kausalität) nach Maßgabe des § 287 ZPO freier gestellt ist (vgl. etwa Senatsurteile vom 24. Juni 1986 - VI ZR 21/85 - VersR 1986, 1121, 1122 f.; vom 21. Oktober 1986 - VI ZR 15/85 - VersR 1987, 310; vom 21. Juli 1998 - VI ZR 15/98 - VersR 1998, 1153, 1154; vom 28. Januar 2003 - VI ZR 139/02 - aaO, S. 475, jew. m.w.N.). Davon abzuweichen besteht kein Anlaß. Der Grund für die Differenzierung im Beweismaß ergibt sich unmittelbar aus der gesetzlichen Ausnahmeregelung des § 287 ZPO und auch aus der Überlegung, daß eine Haftung des Schädigers nur in Betracht kommt, wenn die Voraussetzungen des gesetzlichen Haftungsgrundes (hier § 823 Abs. 1 BGB oder § 7 Abs. 1 StVG), insbesondere der Zusammenhang zwischen dem Handeln des Schädigers und einem ersten Verletzungserfolg feststehen. Das Handeln des Schädigers als solches ohne festgestellte Rechtsgutverletzung (hier Körperverletzung) scheidet als Haftungsgrundlage aus (vgl. Senatsurteil vom 24. Juni 1986 - VI ZR 21/85 - aaO). In der Literatur vertretene Ansichten, die - etwa im Hinblick auf die Gefährdung der Rechtsgüter des Geschädigten durch den Schädiger und die von diesem letztlich veranlaßten Beweisschwierigkeiten - § 287 ZPO auch im Bereich der Feststellung der haftungsbegründenden Kausalität anwenden wollen (vgl. Hanau , aaO; Gottwald, Schadenszurechnung und Schadensschätzung, 1979, S. 78 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, 15. Aufl., § 116 II 3 m.w.N.), nehmen eine Haftung des Schädigers für eine nur möglicherweise von
ihm verursachte Rechtsgutverletzung in Kauf und dehnen damit seine Haftung ohne gesetzliche Grundlage zu weit aus. Erst wenn eine vom Schädiger verursachte Primärverletzung feststeht, ist es gerechtfertigt, den Richter hinsichtlich der Feststellung der Schadensfolgen auf Wahrscheinlichkeitserwägungen zu verweisen. Die Notwendigkeit, den Ursachenzusammenhang zwischen dem Handeln des Schädigers und einer bestimmten Rechtsgutverletzung nach Maßgabe des § 286 ZPO beweisen zu müssen, führt freilich für den Geschädigten oft zu erheblichen Beweisschwierigkeiten. In geeigneten Fällen können diese durch gesetzliche (z.B. § 84 Abs. 2 AMG, § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB) oder tatsächliche Vermutungen, einen Anscheinsbeweis oder durch sonstige Beweiserleichterungen (vgl. etwa Senatsurteile BGHZ 104, 323, 332 ff. zur Produzentenhaftung und BGHZ 132, 47, 49 ff. zur Arzthaftung) gemildert werden. Darüber hinaus kann den Beweisschwierigkeiten des Geschädigten je nach den Umständen des Falles durch angemessene Anforderungen an den Sachvortrag, Ausschöpfung der angebotenen Beweismittel und sorgfältige, lebensnahe Würdigung der erhobenen Beweise Rechnung getragen werden. Eine weitergehende Beweiserleichterung durch Anwendung des § 287 ZPO bei Feststellung der haftungsbegründenden Kausalität ist indes abzulehnen (so auch Zöller/Greger, ZPO, 23. Aufl., § 287 Rn. 3; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 21. Aufl., § 287 Rn. 13 ff.; vgl. auch MünchKommZPO/Prütting, 2. Aufl., § 286 Rn. 47, § 287 Rn. 10 ff.).

III.

Die Revision ist danach mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Müller Greiner Diederichsen Pauge Zoll

(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.

(1) Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen sei, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen. Das Gericht kann den Beweisführer über den Schaden oder das Interesse vernehmen; die Vorschriften des § 452 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 bis 4 gelten entsprechend.

(2) Die Vorschriften des Absatzes 1 Satz 1, 2 sind bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten auch in anderen Fällen entsprechend anzuwenden, soweit unter den Parteien die Höhe einer Forderung streitig ist und die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teiles der Forderung in keinem Verhältnis stehen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 328/03 Verkündet am:
16. November 2004
Böhringer-Mangold,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Eine Verletzung der Pflicht des behandelnden Arztes zur therapeutischen Aufklärung
(Sicherungsaufklärung), die als grober Behandlungsfehler zu werten ist, führt regelmäßig
zu einer Umkehr der objektiven Beweislast für den ursächlichen Zusammenhang
zwischen dem Behandlungsfehler und dem Gesundheitsschaden, wenn sie
geeignet ist, den eingetretenen Schaden zu verursachen; eine Wahrscheinlichkeit für
ein Ergebnis einer Kontrolluntersuchung ist in einem solchen Fall nicht erforderlich
(Fortführung von BGH, Urteil vom 27. April 2004 - VI ZR 34/03 - VersR 2004, 909,
zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt).
BGH, Urteil vom 16. November 2004 - VI ZR 328/03 - OLG Braunschweig
LG Braunschweig
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 16. November 2004 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Müller, den Richter
Dr. Greiner, die Richterin Diederichsen und die Richter Pauge und Zoll

für Recht erkannt:
Auf die Rechtsmittel des Klägers werden das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 16. Oktober 2003 aufgehoben und das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Braunschweig vom 10. Oktober 2002 abgeändert. Der Anspruch des Klägers auf Zahlung eines Schmerzensgeldes und Ersatz des bezifferten materiellen Schadens des Klägers ist dem Grunde nach gerechtfertigt. Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger jeden nach Schluß der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht aus der unterlassenen therapeutischen Aufklärung bei der Behandlung vom 6. Januar 2000 entstandenen und künftig entstehenden materiellen Schaden zu ersetzen, soweit der Ersatzanspruch nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen ist. Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche weiteren aus der unterlassenen therapeutischen Aufklärung bei der Behandlung vom 6. Januar 2000 künftig entstehenden immateriellen Schäden zu ersetzen.
Zur Entscheidung über den Betrag des Zahlungsanspruchs wird der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverwiesen, das auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben wird.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger, der am 6. Januar 2000 abends Lichtblitze in seinem linken Auge bemerkt hatte, begab sich noch am selben Tag in den augenärztlichen Bereitschaftsdienst, den die Beklagte wahrnahm. Gesichtsfeldmessungen und Messungen des Augeninnendrucks ergaben keinen auffälligen Befund. Auch bei einer Untersuchung des Augenhintergrundes nach Erweiterung der Pupille stellte die Beklagte keine pathologischen Veränderungen fest. Am 11. Januar 2000 trat beim Kläger eine massive Ablösung der Netzhaut im linken Auge auf. Trotz zweier Operationen in der Universitätsklinik, bei denen die Netzhaut angelegt und stabilisiert wurde, ist die Sehfähigkeit des Klägers beeinträchtigt. Der Kläger hält die Untersuchung durch die Beklagte für fehlerhaft; auch habe sie ihn nicht in gehöriger Weise darauf hingewiesen, daß er alsbald Kontrolluntersuchungen durchführen lassen müsse. Er begehrt Schmerzensgeld, Ersatz materiellen Schadens sowie die Feststellung, daß die Beklagte verpflichtet sei, ihm sämtliche nach Schluß der mündlichen Verhandlung aus dem Behandlungsfehler der Beklagten vom 6. Januar 2000 entstehenden materiellen
und immateriellen Schäden zu ersetzen. Seine Klage hatte in beiden Tatsacheninstanzen keinen Erfolg. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt er sein Klageziel weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Berufungsgericht im wesentlichen ausgeführt, es sei an die Feststellungen des Landgerichts gebunden, die Beklagte habe den Kläger nicht auf die Gefährdung der Netzhaut durch eine fortschreitende Glaskörper-Abhebung hingewiesen und ihn auch nicht aufgefordert , diesen Vorgang unbedingt weiter überwachen zu lassen. Da beim Kläger eine beginnende Glaskörper-Abhebung vorgelegen und die Beklagte das auch erkannt habe, habe sie den Kläger über diese mögliche Diagnose und das dabei bestehende vergleichsweise geringe Risiko einer Netzhautablösung unterrichten müssen. Sie habe den Kläger auffordern müssen, sich auch ohne Zunahme der Symptome zu einer Kontrolluntersuchung beim Augenarzt vorzustellen. Diese Unterlassungen seien als "einfache" Behandlungsfehler zu werten. Daß die Beklagte den Kläger nicht zusätzlich darauf hingewiesen habe, er müsse bei Fortschreiten der Symptome sofort einen Augenarzt aufsuchen, sei als ein grober Behandlungsfehler zu werten. Der Ursachenzusammenhang zwischen diesem groben Behandlungsfehler und dem Körperschaden des Klägers sei zwar nicht schon deshalb ausgeschlossen , weil der Kläger nach eigenen Angaben keine sich ausweitende oder verschlimmernde Symptomatik bemerkt habe. Es sei nämlich nicht ausgeschlossen , daß der Kläger bei zutreffender Information auch ohne Verschlech-
terung seines Zustandes zu einer augenärztlichen Kontrolle gegangen wäre und ein Augenarzt dann Anzeichen für eine beginnende Netzhautablösung festgestellt hätte. Möglicherweise hätte dann erfolgreich Vorsorge gegen die spätere Netzhautablösung getroffen werden können. Ein Ursachenzusammenhang könne jedoch nicht festgestellt werden. Es sei zwar davon auszugehen, daß der Kläger nach ordnungsgemäßer Beratung durch die Beklagte innerhalb von zwei oder drei Tagen zu einer Kontrolluntersuchung gegangen wäre. Es sei aber vorstellbar, daß die Glaskörper-Abhebung, die der Netzhautablösung vorangehe , sehr plötzlich und sehr massiv eingesetzt und dann sehr schnell eine erst am 11. Januar 2000 erkennbare Netzhautablösung nach sich gezogen habe. Daher sei völlig offen, ob es zuvor Anzeichen für eine solche Ablösung gegeben habe, die bei einer Kontrolluntersuchung erkennbar gewesen wären. Dem Kläger sei keine Beweislastumkehr für den Ursachenzusammenhang zuzubilligen. Es fehle an einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit dafür, daß bei einer augenärztlichen Kontrolle Anzeichen für die Netzhautablösung erkennbar gewesen wären. Daß eine solche Kontrolle Aufschluß darüber gegeben hätte, ob sich zu jenem Zeitpunkt Anzeichen für eine Netzhautablösung gezeigt hätten , sei keine ausreichende Grundlage für eine Beweislastumkehr. Zwar liege es nicht fern, das Gesamtverhalten der Beklagten ohne Differenzierung zu den einzelnen Unterlassungen als grob fehlerhaft anzusehen. Selbst dann aber sei es nicht gerechtfertigt, dem Kläger ohne jede Wahrscheinlichkeit in die eine oder die andere Richtung eine Beweislastumkehr hinsichtlich des Auftretens von Gefährdungsanzeichen bei der hypothetischen Kontrolluntersuchung zuzubilligen.

II.

Diese Ausführungen des Berufungsgerichts halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. 1. Das Berufungsgericht wertet im Anschluß an die Ausführungen des Sachverständigen und im Einklang mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats als grob fehlerhaft, daß die Beklagte den Kläger nach Abschluß der Notfalluntersuchung nicht darauf hingewiesen hat, er müsse bei Fortschreiten der Symptome sofort einen Augenarzt aufsuchen (vgl. dazu Senatsurteile vom 29. Mai 2001 - VI ZR 120/00 - VersR 2001, 1030; vom 3. Juli 2001 - VI ZR 418/99 - VersR 2001, 1116, 1117; vom 28. Mai 2002 - VI ZR 42/01 - VersR 2002, 1026 - jeweils m.w.N.). Die Revision nimmt dies als ihr günstig hin; auch die Revisionserwiderung erhebt insoweit keine Beanstandungen. Beim Kläger lag eine beginnende Glaskörper-Abhebung als Vorstufe einer Netzhautablösung nahe und die Beklagte hatte dies erkannt. Sie war infolgedessen verpflichtet, dem Kläger ihre Erkenntnisse ebenso wie ihren Verdacht bekannt zu geben (Diagnoseaufklärung; vgl. Senatsurteil BGHZ 29, 176, 183 f.; OLG Nürnberg AHRS 3130/108). Dementsprechend hatte sie den Kläger im Rahmen der ihr obliegenden therapeutischen Aufklärungspflicht darauf hinzuweisen , er müsse bei fortschreitenden Symptomen sofort einen Augenarzt einschalten und im übrigen alsbald den Befund überprüfen lassen, damit der Kläger mögliche Heilungschancen wahrnehmen konnte. Das hat die Beklagte versäumt. Im Ansatz zutreffend hat das Berufungsgericht in dieser unterlassenen therapeutischen Aufklärung einen Behandlungsfehler gesehen (vgl. Senatsurteil vom 27. Juni 1995 - VI ZR 32/94 - VersR 1995, 1099, 1100) und ihn als grob bewertet.
2. Zuzustimmen ist dem Berufungsgericht auch darin, daß der Ursachenzusammenhang zwischen diesem groben Behandlungsfehler und dem entstandenen Körperschaden des Klägers nicht schon deshalb ausgeschlossen ist, weil der Kläger keine sich ausweitende oder verschlechternde Symptomatik bemerkt hat. Das Oberlandesgericht stellt ohne Rechtsfehler fest, daß nicht auszuschließen ist, ein zur Kontrolluntersuchung eingeschalteter Augenarzt hätte vom Kläger selbst noch nicht bemerkte, aber für den Facharzt erkennbare Anzeichen einer beginnenden Netzhautablösung entdecken und daraufhin eine erfolgreiche Therapie durchführen können. 3. Rechtsfehlerhaft verneint das Berufungsgericht jedoch eine Umkehr der Beweislast für den Ursachenzusammenhang zwischen der unterlassenen Aufklärung und dem Schaden des Klägers, weil eine solche Beweislastumkehr dem Kläger nicht "ohne jede Wahrscheinlichkeit in die eine oder andere Richtung" zugebilligt werden könne. Damit zieht das Berufungsgericht nicht die gebotenen Folgerungen aus dem Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers.
a) Wie der Senat wiederholt ausgesprochen hat, führt ein grober Behandlungsfehler grundsätzlich zu einer Umkehr der objektiven Beweislast für den Ursachenzusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und dem Gesundheitsschaden. aa) Eine Umkehr der Beweislast ist schon dann anzunehmen, wenn der grobe Behandlungsfehler geeignet ist, den eingetretenen Schaden zu verursachen ; nahelegen oder wahrscheinlich machen muß der Fehler den Schaden dagegen nicht (vgl. Senatsurteile BGHZ 85, 212, 216 f.; vom 24. September 1996 - VI ZR 303/95 - VersR 1996, 1535, 1537; vom 1. Oktober 1996 - VI ZR 10/96 - VersR 1997, 362, 363; vom 27. April 2004 - VI ZR 34/03 - VersR 2004, 909, 911).
Eine Verlagerung der Beweislast auf die Behandlungsseite ist nur ausnahmsweise ausgeschlossen, wenn ein haftungsbegründender Ursachenzusammenhang äußerst unwahrscheinlich ist (vgl. Senatsurteile BGHZ 129, 6, 12; 138, 1, 8; vom 1. Oktober 1996 - VI ZR 10/96 - aaO; vom 27. April 2004 - VI ZR 34/03 - aaO). Gleiches gilt, wenn sich nicht das Risiko verwirklicht hat, dessen Nichtbeachtung den Fehler als grob erscheinen läßt (vgl. Senatsurteil vom 16. Juni 1981 - VI ZR 38/80 - VersR 1981, 954, 955), oder wenn der Patient durch sein Verhalten eine selbständige Komponente für den Heilungserfolg vereitelt hat und dadurch in gleicher Weise wie der grobe Behandlungsfehler des Arztes dazu beigetragen hat, daß der Verlauf des Behandlungsgeschehens nicht mehr aufgeklärt werden kann (vgl. Senatsurteile vom 28. Mai 2002 - VI ZR 42/01 - VersR 2002, 1026, 1028; vom 27. April 2004 - VI ZR 34/03 - aaO; KG VersR 1991, 928 mit Nichtannahmebeschluß des Senats vom 19. Februar 1991 - VI ZR 224/90; OLG Braunschweig VersR 1998, 459, 461 mit Nichtannahmebeschluß des Senats vom 20. Januar 1998 - VI ZR 161/97). Das Vorliegen einer solchen Ausnahme hat allerdings die Behandlungsseite zu beweisen (vgl. Senatsurteil vom 27. April 2004 - VI ZR 34/03 - aaO). bb) Hiernach war es Sache der Beklagten darzulegen und zu beweisen, daß ein ordnungsgemäßer Hinweis an den Kläger, er solle bei Befundverschlechterung umgehend eine Kontrolluntersuchung durchführen lassen, eine Netzhautablösung mit den eingetretenen Folgen weder verhindert noch abgemildert hätte. Wie auch das Berufungsgericht nicht verkennt, war ein solcher Hinweis geeignet, den Kläger zu einer kurzfristigen Kontrolluntersuchung zu veranlassen; eine solche wäre geeignet gewesen, Anzeichen einer beginnenden Netzhautablösung erkennbar zu machen und frühzeitiger Behandlungsmaßnahmen durchzuführen, die ihrerseits die später eingetretene Netzhautablösung verhindern oder feststellbar hätten vermindern können.
cc) Daß ein haftungsbegründender Ursachenzusammenhang äußerst unwahrscheinlich wäre, hat das Berufungsgericht nicht feststellen können. Solches ergibt sich nicht aus den gutachtlichen Äußerungen d es Sachverständigen ; das wird auch von der Revisionserwiderung nicht geltend gemacht. Soweit diese darauf abstellt, das Berufungsgericht habe keine Wahrscheinlichkeit für Anzeichen einer beginnenden Netzhautablösung feststellen können, ist das nicht gleichbedeutend damit, daß ein Ursachenzusammenhang zwischen der unterlassenen Aufklärung des Patienten und der Netzhautablösung äußerst unwahrscheinlich war. dd) Einer Umkehr der Beweislast steht auch nicht entgegen, daß der Kläger weitergehende Anzeichen als die bis dahin aufgetretenen Lichtblitze nicht bemerkt hat. Die Beklagte hätte den Kläger durch einen Hinweis auf die Gefahr einer Netzhautablösung, die infolge der Glaskörperabhebung drohte, zu einer baldigen Kontrolle des Augenhintergrundes veranlassen müssen, um das eingetretene Risiko möglichst gering zu halten. Das hat sie versäumt. Die Netzhautablösung ist eingetreten und hat zu einer Verringerung des Sehvermögens auf dem Auge geführt. Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß der Kläger auch ohne Fortschreiten der Symptome alsbald eine Kontrolluntersuchung hätte durchführen lassen, wäre er ordnungsgemäß über die Diagnose und die Gefahr für sein Sehvermögen aufgeklärt und auf die Notwendigkeit einer sofortigen Kontrolluntersuchung bei Verschlechterung hingewiesen worden. Das hätte, wie bereits ausgeführt, zur Vermeidung des Gesundheitsschadens führen können. Ohnehin ist die vom Berufungsgericht vorgenommene Aufspaltung in eine "einfache" und eine "grobe" Pflichtwidrigkeit verfehlt, weil insoweit eine Gesamtbetrachtung der geschuldeten therapeutischen Aufklärung geboten ist, die sich als insgesamt grob fehlerhaft erweist, ohne daß es hierzu weiterer tatsächlicher Feststellungen bedarf.

b) Das Berufungsgericht hat den Ursachenverlauf in seine einzelnen Bestandteile aufgespalten und dann Anzeichen für eine Netzhautablösung vor dem 11. Januar 2000 sowie für den Erfolg einer vorbeugenden Behandlung vermißt. Eine Umkehr der Beweislast zugunsten des Klägers hat es verneint, weil zu den genannten Umständen auch keine Wahrscheinlichkeiten feststellbar seien. Das widerspricht den Grundsätzen des erkennenden Senats zu den Rechtsfolgen eines groben Behandlungsfehlers. aa) Eine Unterteilung des Ursachenzusammenhangs in unmittelbare und mittelbare Ursachen ist dem Haftungsrecht fremd (vgl. Senatsurteile vom 11. November 1997 - VI ZR 146/96 - VersR 1998, 200 f.; vom 26. Januar 1999 - VI ZR 374/97 - VersR 1999, 862; vom 27. Juni 2000 – VI ZR 201/99 – VersR 2000, 1282, 1283). Beim groben Behandlungsfehler umfaßt die in Betracht stehende Umkehr der Beweislast den Beweis der Ursächlichkeit des Behandlungsfehlers für den haftungsbegründenden Primärschaden, der ohne die Beweislastumkehr dem Patienten nach § 286 ZPO obläge. Auf die haftungsausfüllende Kausalität, d.h. den Kausalzusammenhang zwischen körperlicher oder gesundheitlicher Primärschädigung und weiteren Gesundheitsschäden des Patienten wird die Beweislastumkehr nicht ausgedehnt, es sei denn, der sekundäre Gesundheitsschaden wäre typisch mit dem Primärschaden verbunden und die als grob zu bewertende Mißachtung der ärztlichen Verhaltensregel sollte gerade auch solcherart Schädigungen vorbeugen (vgl. Senatsurteile vom 21. Oktober 1969 - VI ZR 82/68 - VersR 1969, 1148, 1149; vom 9. Mai 1978 - VI ZR 81/77 - VersR 1978, 764, 765). Eine Zerlegung des Kausalzusammenhangs in seine einzelnen logischen Bestandteile im übrigen kommt nicht in Betracht. bb) Nach diesen Grundsätzen durfte das Berufungsgericht hier eine Umkehr der Beweislast nicht verneinen. Die Parteien streiten nicht um einen Sekundärschaden des Klägers. Vielmehr beruht die Schädigung des Sehvermö-
gens auf dem Primärschaden der Netzhautablösung, die der Kläger als Schädigung geltend macht (vgl. zur Abgrenzung zwischen Primär- und Sekundärschaden Senatsurteile vom 28. Juni 1988 - VI ZR 210/87 - VersR 1989, 145; vom 21. Juli 1998 - VI ZR 15/98 - VersR 1998, 1153, 1154). 4. Nach allem ist die Klage zum Zahlungsanspruch dem Grunde nach gerechtfertigt (§§ 823 Abs. 1, 847 BGB a.F.; 304 Abs. 1, 555 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die Feststellungsklage hat im Rahmen des gestellten Antrags ebenfalls Erfolg. Sie ist zulässig. Die Beklagte hat ihre haftungsrechtliche Verantwortlichkeit in Abrede gestellt und Verjährung droht; die Möglichkeit eines weiteren Schadenseintritts kann nicht verneint werden, das erforderliche Feststellungsinteresse ist daher gegeben (vgl. Senatsurteil vom 16. Januar 2001 - VI ZR 381/99 - VersR 2001, 874). Der Feststellungsantrag ist auch begründet, denn Gegenstand der Feststellungsklage ist ein befürchteter Folgeschaden aus der Verletzung eines deliktsrechtlich geschützten absoluten Rechtsguts (vgl. Senatsurteil vom 16. Januar 2001 - VI ZR 381/99 - aaO). Auch der Vorbehalt hinsichtlich künftiger noch ungewisser und bei der Ausurteilung der Zahlungsklage auf Schmerzensgeld noch nicht berücksichtigungsfähiger immaterieller Schäden ist zulässig (vgl. Senatsurteil vom 20. Januar 2004 - VI ZR 70/03 - NJW 2004, 1243, 1244).
Zum Betrag der Zahlungsklage ist die Sache nicht entscheidungsreif. Insoweit ist sie an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, das auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben wird.
Müller Greiner Diederichsen Pauge Zoll

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 59/06 Verkündet am:
9. Januar 2007
Holmes,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Ein Diagnosefehler (hier: eines Pathologen) wird nicht bereits deshalb zum Befunderhebungsfehler
, weil der Arzt es unterlassen hat, die Beurteilung des von
ihm erhobenen Befundes durch Einholung einer zweiten Meinung zu überprüfen.
BGH, Urteil vom 9. Januar 2007 - VI ZR 59/06 - OLG Köln
LG Köln
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 9. Januar 2007 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller und die Richter
Dr. Greiner, Wellner, Pauge und Zoll

für Recht erkannt:
Die Revision der Kläger gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 13. Februar 2006 wird zurückgewiesen. Von den Kosten des Revisionsverfahrens tragen die Klägerin zu 1 5/6 und der Kläger zu 2 1/6.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Kläger nehmen den Beklagten, einen niedergelassenen Pathologen, wegen fehlerhafter Befundung einer Hautveränderung eines inzwischen verstorbenen Patienten, der Ehemann der Klägerin zu 1 und Vater des Klägers zu 2 war, auf Schadensersatz in Anspruch.
2
Der Patient stellte im Juni 1996 nach einem Duschbad im Bereich des rechten Schulterblattes eine Hautläsion von ca. 5 mal 5 mm Durchmesser fest, die nach dem Abtrocknen der Haut mit einem Frottiertuch blutete. Der von ihm zu Rate gezogene Arzt Dr. J. exzidierte die Hautveränderung und übersandte das Exzidat mit der Bemerkung "blutender Naevus, Malignitätsverdacht" zur histopathologischen Untersuchung an den Beklagten. Dieser beurteilte die von ihm untersuchte Gewebeprobe als gutartigen (Spitz-)Tumor und führte weiter aus, es gebe keinen Anhalt für ein invasives malignes Melanom sowie für eine andere Krebserkrankung der Haut oder Hautanhangsgebilde im betroffenen Bereich. In dem Befundbericht des Beklagten an Dr. J. heißt es ferner, eine von ihm festgestellte epidermale Nekrose mit Fibrininsudation sei seiner Meinung nach eine Folge einer lokalen Traumatisierung (etwa eines Ätzungsversuchs des Patienten). In der Folge kam es zu Telefonaten zwischen Dr. J. und dem Beklagten, deren Inhalt streitig ist, in denen jedoch der Beklagte an seinem Untersuchungsergebnis festhielt. Im Sommer 1997 wurden bei dem Patienten zahlreiche Metastasen eines malignen Melanoms im Stadium IV festgestellt. Trotz einer sofort eingeleiteten intensiven Therapie kam es zu einer Tumorprogression. Der Patient verstarb im Sommer 1998.
3
Das Landgericht hat den Beklagten zunächst durch Versäumnisurteil entsprechend den Klageanträgen verurteilt, an beide Kläger ein Schmerzensgeld von 200.000 DM nebst Zinsen zu zahlen und festgestellt, dass der Beklagte zur Erstattung materieller Schäden verpflichtet sei. Auf den Einspruch des Beklagten hat das Landgericht sein Versäumnisurteil insoweit bestätigt, als der Beklagte verurteilt worden war, an die Klägerin zu 1 ein Schmerzensgeld in Höhe von 102.258,38 € (= 200.000 DM) nebst Zinsen zu zahlen, und als festgestellt worden war, dass der Beklagte beiden Klägern gegenüber zum Ersatz ihres materiellen Schadens verpflichtet sei. Im Übrigen hat es unter teilweiser Aufhebung des Versäumnisurteils die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Beklagten hat das Berufungsgericht unter vollständiger Aufhebung des Versäumnisurteils die Klagen in vollem Umfang abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihre Anträge auf Zu- rückweisung der Berufung des Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

4
Das Berufungsgericht hat aufgrund der Beweisaufnahme keine Überzeugung gewonnen, dass der Tod des Patienten verhindert worden wäre, wenn der Beklagte die Bösartigkeit des Tumors erkannt hätte. Dies gehe zu Lasten der Kläger. Eine Beweislastumkehr komme weder unter dem Gesichtspunkt eines groben Behandlungsfehlers in Betracht noch unter dem Gesichtspunkt einer unterlassenen Befunderhebung. Angesichts der vom Sachverständigen Prof. Dr. G. geschilderten Schwierigkeiten der histopathologischen Befundung sei die Fehldiagnose des Beklagten nicht als grober Fehler zu qualifizieren. Ein grober Behandlungsfehler sei auch nicht darin zu sehen, dass der Beklagte die Spontanblutung auf eine Manipulation des Patienten an der entsprechenden Hautstelle zurückgeführt habe. Entsprechendes gelte für die Nichteinholung einer Referenzbegutachtung der Gewebeprobe. Dieses Unterlassen habe der Sachverständige zwar bei seiner Anhörung durch das Berufungsgericht als letztlich pflichtwidrig bewertet. Gleichwohl erfülle dies nicht die Kriterien, die an einen groben Fehler mit der Folge einer Beweislastumkehr zu stellen seien. Insgesamt könne hier weder von bewährten im Sinne von allseits beachteten Behandlungsregeln gesprochen werden noch von einem eindeutigen Verstoß des Beklagten hiergegen.
5
Eine Umkehr der Beweislast lasse sich schließlich auch nicht aus den Grundsätzen der Rechtsprechung zur Unterlassung einer gebotenen Befunder- hebung herleiten. Insoweit müsse zwischen dem Unterlassen der Befunderhebung an sich und dem Unterlassen einer einzelnen Befunderhebungsmaßnahme im Rahmen der Befunderhebung unterschieden werden, wobei nur erstere zur Beweislastumkehr führen könne. Andernfalls würde sich die Beweislast in nicht mehr angemessener Weise auf die Behandlungsseite verschieben. Vorliegend sei mit der Nichteinholung einer zweiten Meinung nur eine Einzelmaßnahme unterblieben, so dass eine Umkehr der Beweislast nicht gerechtfertigt sei.

II.

6
Das Berufungsurteil hält im Ergebnis revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.
7
Das Berufungsgericht hat die Kläger ohne Rechtsfehler als beweisfällig dafür erachtet, dass der Tod des Patienten bei zutreffender Beurteilung der Gewebeprobe durch den Beklagten als bösartig vermieden worden wäre oder die Krankheit zumindest einen günstigeren Verlauf genommen hätte. Entgegen der Auffassung der Revision kommt im Streitfall weder eine Beweislastumkehr aus dem Gesichtspunkt eines groben Behandlungsfehlers noch aus dem Gesichtspunkt mangelnder Erhebung von Diagnose- und Kontrollbefunden in Betracht.
8
1. Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts , die Bewertung des Tumors als gutartig durch den Beklagten stelle keinen groben Behandlungsfehler dar.
9
a) Ein grober Behandlungsfehler ist nicht bereits bei zweifelsfreier Feststellung einer Verletzung des maßgeblichen ärztlichen Standards gegeben; er setzt vielmehr neben einem eindeutigen Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse die Feststellung voraus, dass der Arzt einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (vgl. etwa Senatsurteile BGHZ 159, 48, 53; vom 28. Mai 2002 - VI ZR 42/01 - VersR 2002, 1026 und vom 3. Juli 2001 - VI ZR 418/99 - VersR 2001, 1116, jeweils m.w.N.).
10
Das Berufungsgericht hat den Fehler des Beklagten zutreffend als Diagnosefehler qualifiziert. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats darf ein Diagnoseirrtum nur dann als "grob" bezeichnet werden, wenn es sich um einen fundamentalen Diagnoseirrtum handelt (vgl. etwa Senatsurteile vom 10. November 1987 - VI ZR 39/87 - VersR 1988, 293; vom 14. Juli 1981 - VI ZR 35/79 - VersR 1981, 1033 und vom 14. Juli 1992 - VI ZR 214/91 - VersR 1992, 1263). Eine fundamentale Fehldiagnose hat das Berufungsgericht auf der Grundlage der Ausführungen des medizinischen Sachverständigen rechtsfehlerfrei verneint.
11
Die Einstufung eines ärztlichen Fehlverhaltens als grob richtet sich nach den gesamten Umständen des Einzelfalls, deren Würdigung weitgehend im tatrichterlichen Bereich liegt. Dem Revisionsgericht obliegt jedoch sowohl die Nachprüfung, ob das Berufungsgericht den Begriff des groben Behandlungsfehlers verkannt als auch ob es bei der Gewichtung dieses Fehlers erheblichen Prozessstoff außer Betracht gelassen oder verfahrensfehlerhaft gewürdigt hat (vgl. etwa Senatsurteile vom 28. Mai 2002 - VI ZR 42/01 - aaO und vom 29. Mai 2001 - VI ZR 120/00 - VersR 2001, 1030 m.w.N.). Dies ist hier - entgegen der Auffassung der Revision - nicht der Fall.
12
b) Der Sachverständige hat die Diagnose als außerordentlich schwierig bezeichnet, ja sogar als das Schwierigste, was es in dem Fachbereich gebe, zumal hier Umstände vorgelegen hätten, die die Beurteilung zusätzlich besonders erschwerten. Bei der Gesamtbewertung müsse der Pathologe anhand seiner bisherigen Erfahrung letztlich eine subjektive Einordnung vornehmen. Selbst unter Experten lägen deshalb nach einer Studie die abweichenden Auffassungen bei über einem Drittel (nur 62 % übereinstimmende Auffassungen). Vor diesem Hintergrund hat der Sachverständige schriftlich und mündlich - auch bei seiner Anhörung durch das Berufungsgericht - mehrfach ausdrücklich geäußert , es könne nicht von einem schwerwiegenden Diagnosefehler gesprochen werden. Auf dieser Grundlage hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei einen groben Behandlungsfehler verneint. Es ist dem Tatrichter nicht gestattet, ohne entsprechende Darlegung oder gar entgegen den medizinischen Ausführungen des Sachverständigen einen groben Behandlungsfehler aus eigener Wertung zu bejahen (vgl. etwa Senatsurteil vom 28. Mai 2002 - VI ZR 42/01 - aaO, m.w.N.).
13
c) Soweit die Revision ihrerseits aus Einzelaussagen des Sachverständigen - entgegen dessen Gesamtbeurteilung - eine abweichende Bewertung des Behandlungsfehlers als grob herleiten will, begibt sie sich auf das ihr verschlossene Gebiet tatrichterlicher Würdigung, ohne Verfahrensfehler aufzuzeigen.
14
Die Revision meint insbesondere, das Berufungsgericht habe bei seiner Beurteilung nicht hinreichend berücksichtigt, dass der Beklagte den Tumor nicht lediglich als gutartig befundet, sondern zusätzlich ausgeführt habe, es bestehe kein Anhalt für ein invasives malignes Melanom, während der Sachverständige entsprechende Anhaltspunkte bejaht und sogar als eindeutig bezeichnet habe. Dann aber müsse der Ausschluss von Anhaltspunkten für ein malignes Melanom als grob fehlerhaft bewertet werden.
15
Abgesehen davon, dass sich die Revision hiermit in unzulässiger Weise in Widerspruch setzt zu der auf der Gesamtbewertung des Sachverständigen beruhenden tatrichterlichen Würdigung des Berufungsgerichts, vernachlässigt sie bei ihrer Bewertung, dass der Sachverständige hinsichtlich des Vorliegens von Anhaltspunkten für eine Bösartigkeit in Anknüpfung an seine Ausführungen, die Bewertung unterliege stark der subjektiven Einschätzung und den Erfahrungen des Pathologen, ersichtlich von seiner eigenen, subjektiven Beurteilung der Gewebeprobe ausgegangen ist. Ausschlaggebend ist, dass er die abweichende Diagnose des Beklagten gerade nicht als einen Fehler bezeichnet hat, der aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheine. Da sich der Beklagte seiner Diagnose, es liege ein gutartiger (Spitz-)Tumor vor, sicher war, kann aus seiner zusätzlichen Aussage, es bestehe kein Anhalt für ein invasives malignes Melanom sowie für eine andersartige Krebserkrankung der Haut oder der Hautanhangsgebilde im betroffenen Bereich, kein selbständiger fundamentaler Diagnosefehler hergeleitet werden.
16
Soweit die Revision beanstandet, das Berufungsgericht habe die Beurteilung der Spontanblutung der Hautveränderung durch den Beklagten unzureichend gewürdigt, hat das Berufungsgericht auf der Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen ohne Rechtsfehler auch hierin keinen groben Fehler des Beklagten gesehen.
17
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat er diesen Umstand keineswegs ignoriert, sondern ihn vielmehr zum Gegenstand intensiver Auseinandersetzungen mit dem behandelnden Arzt genommen. Der blutende Naevus war gerade der Grund für den Malignitätsverdacht des Dr. J. und die Übersendung der Gewebeprobe zur histopathologischen Untersuchung an den Beklagten. Der Beklagte hat diesen Verdacht nach dem Ergebnis seiner histopathologischen Untersuchung aber nicht bestätigt gesehen und deshalb Vermu- tungen angestellt, dass die Blutung, die nach den Angaben des Sachverständigen auch bei gutartigen Tumoren vorkommen kann, auf andere Ursachen, etwa Manipulationen des Patienten an der Hautstelle, zurückzuführen sei. Auch diese Vermutung war unmittelbare Folge des Umstandes, dass sich der Beklagte - wenn auch zu Unrecht - seiner Diagnose sicher war, was nach der rechtsfehlerfreien tatrichterlichen Würdigung des Berufungsgerichts - wie bereits ausgeführt - jedoch keinen groben Behandlungsfehler darstellt.
18
2. Die Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe das Unterlassen der Einholung einer zweiten Meinung rechtsfehlerhaft nicht als groben Behandlungsfehler angesehen, bleibt im Ergebnis ohne Erfolg.
19
Der Sachverständige hatte sowohl in seinem schriftlichen Gutachten als auch bei seiner Anhörung vor dem Landgericht die Einholung eines Referenzgutachtens in solchen Fällen zunächst nicht als medizinischen Standard bezeichnet. Erst bei seiner Anhörung vor dem Berufungsgericht hat er sich auf dessen nachdrückliches Befragen dahin geäußert, dass das Unterlassen der Einholung einer zweiten Meinung im Streitfall "so gesehen" pflichtwidrig gewesen sei, was das Berufungsgericht dann als standardwidrig gewürdigt hat.
20
Es mag fraglich sein, ob es in (objektiv) zweifelhaften Fällen tatsächlich Aufgabe des eingeschalteten Pathologen sein könnte, sich vor endgültiger Diagnosestellung der Richtigkeit seines Ergebnisses durch Einholung einer zweiten Meinung eines Kollegen zu versichern. Vorliegend kann dies dahinstehen, weil hierin nach der im Revisionsverfahren nicht angreifbaren tatrichterlichen Würdigung des Berufungsgerichts jedenfalls kein grober Fehler liegt. Dies gilt auch, soweit es der Beklagte unterlassen hat, den behandelnden Arzt und den Patienten auf deren Möglichkeit zur Einholung einer Zweitbegutachtung hinzuweisen , zumal diese Möglichkeit nach den Feststellungen des Berufungsge- richts aufgrund der Diskussionen zwischen dem Beklagten und dem behandelnden Arzt auf der Hand lag und deshalb keiner besonderen Anregung des Beklagten bedurfte.
21
3. Soweit das Berufungsgericht in Erwägung zieht und deshalb die Revision zugelassen hat, ob die fehlende Einholung einer zweiten Meinung unter dem Aspekt einer unterlassenen Befunderhebung eine Beweislastumkehr rechtfertigen kann, stellt sich diese Frage nach Lage des Falles selbst dann nicht, wenn von einer entsprechenden Verpflichtung des Pathologen auszugehen wäre.
22
a) Zwar kann nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats auch unterhalb der Schwelle zum groben Behandlungsfehler bei der Unterlassung der Erhebung und/oder Sicherung medizinisch gebotener Befunde für den Patienten eine Beweiserleichterung eingreifen, wenn der Patient beweist, dass die Befunderhebung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein positives und deshalb aus medizinischer Sicht reaktionspflichtiges Ergebnis gehabt hätte und das Unterlassen der Reaktion hierauf als grober Fehler, sei es als fundamentaler Diagnose- sei es als grober Behandlungsfehler zu bewerten wäre (vgl. Senatsurteile BGHZ 159, 48, 56; 138, 1, 4; 132, 47, 52; vom 23. März 2004 - VI ZR 428/02 - VersR 2004, 790, vom 29. Mai 2001 - VI ZR 120/00 - aaO, 1030; vom 6. Juli 1999 - VI ZR 290/98 - VersR 1999, 1282; vom 3. November 1998 - VI ZR 253/97 - VersR 1999, 231; vom 6. Oktober 1998 - VI ZR 239/97 - VersR 1999, 60; vom 27. Januar 1998 - VI ZR 339/96 - VersR 1998, 585 und vom 21. November 1995 - VI ZR 341/94 - VersR 1996, 330). Diese Rechtsprechung ist jedoch auf den Streitfall weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar.
23
b) Dabei kann offen bleiben, ob der Auffassung des Berufungsgerichts, bei der Anwendung dieser Grundsätze sei "sorgfältig" zu unterscheiden zwi- schen dem Unterlassen der Befunderhebung an sich und dem Unterlassen einer einzelnen Befunderhebungsmaßnahme, in dieser Allgemeinheit beigetreten werden könnte. Das erscheint eher zweifelhaft, weil sowohl in den Fällen der unvollständigen als auch der fehlerhaften Befunderhebung die aus medizinischer Sicht gebotene (ordnungsgemäße) Befunderhebung unterblieben ist (vgl. Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 5. Aufl., Rn. B 296).
24
Selbst wenn es zu den Obliegenheiten des Pathologen gehören würde, sich in zweifelhaften Fällen von der Richtigkeit seines Ergebnisses durch Einholung einer zweiten Meinung zu überzeugen, läge in dem Unterlassen keine Nichterhebung eines Kontrollbefundes im Sinne der vorgenannten Senatsrechtsprechung. Vielmehr handelt es sich nach den eigenen Feststellungen und der insoweit zutreffenden rechtlichen Würdigung des Berufungsgerichts um einen Diagnoseirrtum aufgrund fehlerhafter Bewertung eines ansonsten vollständig erhobenen Befundes.

III.

25
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO.
Müller Greiner Wellner Pauge Zoll
Vorinstanzen:
LG Köln, Entscheidung vom 02.03.2005 - 25 O 115/00 -
OLG Köln, Entscheidung vom 13.02.2006 - 5 U 54/05 -

(1) Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen sei, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen. Das Gericht kann den Beweisführer über den Schaden oder das Interesse vernehmen; die Vorschriften des § 452 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 bis 4 gelten entsprechend.

(2) Die Vorschriften des Absatzes 1 Satz 1, 2 sind bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten auch in anderen Fällen entsprechend anzuwenden, soweit unter den Parteien die Höhe einer Forderung streitig ist und die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teiles der Forderung in keinem Verhältnis stehen.