Bundesgerichtshof Urteil, 14. Okt. 2008 - X ZR 15/08

bei uns veröffentlicht am14.10.2008
vorgehend
Amtsgericht Wedding, 22a C 38/07, 24.05.2007
Landgericht Berlin, 57 S 44/07, 13.12.2007

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 15/08 Verkündet am:
14. Oktober 2008
Potsch
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 14. Oktober 2008 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, den
Richter Keukenschrijver, die Richterin Mühlens und die Richter
Dr. Bergmann und Gröning

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das am 13. Dezember 2007 verkündete Urteil der 57. Zivilkammer des Landgerichts Berlin aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Der Kläger macht gegen das beklagte Luftfahrtunternehmen aus eigenem und abgetretenem Recht Ansprüche aus der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 - ABl. Nr. L 46, S. 1 (kurz: Verordnung) geltend.
2
Der Kläger buchte für sich und drei Mitreisende bei der L. GmbH einen Flug von Berlin-Tegel über München nach Fort Myers und zurück über Düsseldorf nach Berlin-Tegel. Der Vertrag sah als ausführendes Luftfahrtunternehmen für den ersten und letzten Teilabschnitt die Beklagte und für den zweiten und dritten Flugabschnitt ein Unternehmen der L. -Gruppe vor.
3
Kurz vor dem Start in Berlin-Tegel erklärte der Pilot, dass die Instrumente einen Druckverlust in der Hydraulik anzeigten. Die Maschine wurde daraufhin in die Warteposition verbracht. Nach etwa 15 Minuten gab der Pilot bekannt, dass die Reparatur längere Zeit in Anspruch nehme und alle Passagiere die Maschine verlassen müssten. Der Kläger und seine Mitreisenden wurden auf einen Flug von Berlin über New York und Atlanta nach Fort Myers umgebucht; ihnen wurden das Gepäck und neue Bordkarten ausgehändigt. Sie erreichten Fort Myers 24 Stunden später als ursprünglich geplant. Die zunächst für den Flug vorgesehene Maschine flog etwa 5 ½ Stunden später ohne Passagiere nach München.
4
Der Kläger hat geltend gemacht, die Beklagte habe den Flug von Berlin nach München annulliert, und mit seiner Klage eine Ausgleichszahlung gemäß Art. 5 Abs. 1 Buchst. c, Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c der Verordnung in Höhe von 600 € pro Person, insgesamt 2.400 €, nebst Zinsen verlangt.
5
Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit der zugelassenen Revision, der der Kläger entgegentritt , verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe:


6
Die zulässige Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
7
I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
8
Der Anspruch des Klägers aus eigenem und abgetretenem Recht (§ 398 BGB) folge aus Art. 5 Abs. 1 Buchst. c in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c der Verordnung. Es habe eine Annullierung des gebuchten Flugs vorgelegen. Bei Berücksichtigung aller Umstände ergebe sich, dass die Beklagte den geplanten Flug nicht durchgeführt habe. Der Kläger und seine Mitreisenden seien mit einem anderen Flugzeug, unter einer anderen Flugnummer, nach Wiederaushändigung ihres Gepäcks und einer Umbuchung mit erneutem Einchecken über eine geänderte Flugroute zu ihrem Ziel befördert worden. Daran ändere auch nichts, dass der Flug von Berlin nach München fünf Stunden und 34 Minuten später, allerdings ohne Passagiere, stattgefunden habe. Denn der Pilot habe den Fluggästen mitgeteilt, es müsse ein schadhaftes Hydraulikventil ausgewechselt werden; die Reparatur werde längere Zeit in Anspruch nehmen, alle Passagiere müssten die Maschine verlassen und am Schalter der Beklagten eine Umbuchung auf einen anderen Flug vornehmen lassen. Da die Ver- ordnung darauf abstelle, ob für den Flug mindestens ein Platz gebucht gewesen sei, könne es nicht auf die individuelle Beförderungsmöglichkeit des einzelnen Passagiers ankommen. Entscheidend müsse vielmehr die kollektive Beförderung der Gruppe von Passagieren sein, die sich bei der Buchung für diesen Transport entschieden hätten. Der Begriff des Flugs könne sich daher weder allein nach der Flugnummer noch nach dem Fluggerät bestimmen. Vielmehr sei darauf abzustellen, ob die Gruppe von Passagieren, die nach der ursprünglichen Planung habe transportiert werden sollen, in wesentlich gleicher Zusammensetzung befördert werde. Hier sei keiner der ursprünglich gebuchten Passagiere mit dem Flug befördert worden. Es liege nicht deswegen lediglich eine Verspätung vor, weil die Maschine tatsächlich später nach München geflogen sei. Entscheidendes Merkmal für die Durchführung eines Flugs im Sinne der Verordnung sei der Transport von Passagieren. Daher könne das Verbringen eines leeren Flugzeugs zu seinem nächsten Einsatzort nicht als eine Flugdurchführung angesehen werden.
9
Die Beklagte könne sich auch nicht auf Art. 5 Abs. 3 der Verordnung berufen. Es könne dahinstehen, ob die Annullierung auf eine Undichtigkeit im Hydraulik -Verteilergehäuse zurückgegangen sei und die von der Beklagten behaupteten Wartungsarbeiten durchgeführt worden seien. Es bedürfe vorliegend auch keiner Entscheidung, ob ein technischer Mangel als Entlastungsgrund in Betracht kommen könne. Jedenfalls stelle ein im Cockpit angezeigter zu geringer Füllstand des Hydrauliksystems aufgrund einer Undichtigkeit keinen außergewöhnlichen Umstand im Sinne der Verordnung dar. Nach allgemeiner Lebenserfahrung könnten an mit Flüssigkeiten, Luft oder Gas gefüllten technischen Komponenten Undichtigkeiten auftreten. Um diese erkennen zu können, würden derartige Geräte mit Füllstandsanzeigern ausgestattet. Auch vorliegend sei eine entsprechende Anzeige im Cockpit vorhanden gewesen. Jedenfalls sei eine Leckage an einer Komponente eines Transportmittels ein durchaus bekanntes , nicht nur höchst selten auftretendes und damit nicht ungewöhnliches Ereignis.
10
II. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
11
Das Berufungsurteil kann keinen Bestand haben, weil die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, es habe eine Annullierung des vom Kläger gebuchten Flugs von Berlin-Tegel nach München vorgelegen, von seinen Feststellungen nicht getragen wird.
12
Die Verordnung unterscheidet in ihren Art. 4 und 5 zwischen der individualisierbare Fluggäste treffenden Nichtbeförderung und der Annullierung; letztere ist nach der gesetzlichen Definition in Art. 2 lit. l der Verordnung die Nichtdurchführung eines geplanten Flugs, für den mindestens ein Platz reserviert war. Nach dieser Differenzierung ist die Annullierung die vollständige Aufgabe der Absicht, den Flug in der vorgesehenen Form durchzuführen; insoweit erhält sie daher auch ein subjektives Element, für dessen Feststellung es nach Sinn und Zweck der Regelung allerdings nicht auf die tatsächliche subjektive Absicht der für das Luftfahrtunternehmen handelnden Personen ankommen kann. Ihrem insbesondere in Erwägungsgrund 12 zum Ausdruck gekommenen Anliegen , den mit der Annullierung verbundenen Ärgernissen und Unannehmlichkeiten für die Fluggäste entgegenzuwirken, kann die Verordnung nur gerecht werden , wenn insoweit auf die aus den erkennbaren äußeren Umständen ersichtliche Absicht des Unternehmens bzw. seiner Entscheidungsträger abgestellt wird. In dieser Hinsicht lassen die tatrichterlichen Feststellungen eine abschließende Bewertung nicht zu.
13
Allerdings hat das Berufungsgericht im unstreitigen Teil des Tatbestands ausgeführt, dass der Pilot nach etwa 15 Minuten bekannt gegeben habe, die Reparatur nehme längere Zeit in Anspruch, alle Passagiere müssten die Maschine daher verlassen und am Schalter der Beklagten eine Umbuchung vornehmen. Eine so formulierte und begründete Aufforderung zur Umbuchung stellt ein Indiz für eine vollständige Aufgabe der Absicht dar, den Flug durchzuführen ; aus ihm könnte daher - insbesondere in Verbindung mit weiteren Umständen und bei Fehlen von Hinweisen auf eine falsche rechtliche oder tatsächliche Einordnung der Störung - auf eine Annullierung zu schließen sein (vgl. dazu auch Sen.Vorlagebeschl. v. 17.7.2007 - X ZR 95/06, NJW 2007, 3437, 3438).
14
Weniger berechtigt erscheint die Annahme einer Annullierung dann, wenn die Beklagte den Passagieren, die wegen ihres Anschlussflugs oder aus Termingründen nicht hätten warten wollen oder können, eine Umbuchungsmöglichkeit lediglich angeboten hat, ohne sie zwingend auf diese zu verweisen. Dies hat die Beklagte im Rechtsstreit geltend gemacht, wie das Berufungsgericht zutreffend bei der Darstellung des streitigen Vorbringens ausgeführt hat. Dort hat es als Vorbringen der Beklagten im Berufungsverfahren wiedergegeben, sie habe denjenigen Passagieren, die wegen eines Anschlussflugs oder aus Termingründen nicht hätten warten wollen oder können, aus Gründen der Kulanz eine Umbuchungsmöglichkeit angeboten. Nach dieser Darstellung lag zunächst nur das Angebot einer Serviceleistung zur Verminderung der Folgen einer gegebenen Verspätung vor. In einem solchen Fall kann daraus, dass alle Fluggäste von diesem Angebot Gebrauch machen und dem Luftfahrtunternehmen die Erfüllung dieser Wünsche gelingt, auch nicht deshalb hergeleitet werden, es liege eine Annullierung vor, weil alle Passagiere auf eigenen Wunsch anderweitig befördert wurden und das ursprünglich vorgesehene, reparierte Flugzeug nach einigen Stunden deshalb leer zu seinem nächsten Einsatzort verbracht werden muss. Dann würde, worauf die Revision hinweist, der zusätzliche Service dem ausführenden Luftfahrtunternehmen zum Nachteil gereichen. Ein solches Verständnis ist auch nach Sinn und Zweck der Verordnung nicht geboten. Es würde sich sogar je nach dem unterschiedlich auswirken, ob es sich um eine innerstaatliche, stark frequentierte Flugroute handelt, auf der sich alle Fluggäste schneller umbuchen lassen, oder um einen Langstreckenflug. Es kann also im vorliegenden Fall nicht maßgeblich auf den insoweit nach außen hin indifferenten Umstand abgestellt werden, dass letztlich alle Fluggäste auf andere Flüge anderer Fluggesellschaften umgebucht worden sind. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist auch nicht die Frage entscheidend, ob mit dem Ersatzflug weitere Passagiere transportiert wurden. Es liegt auf der Hand, dass dann, wenn sich während der Reparaturarbeiten, nachdem alle Fluggäste umgebucht werden konnten, neue Fluggäste einfinden, diese schließlich mit dem verspäteten Flug transportiert werden können. Am Vorliegen einer Verspätung beständen keine Zweifel. Dann kann aber die Frage der Annullierung nicht von den zufälligen Umständen abhängen, ob alle ursprünglich vorgesehenen Fluggäste umgebucht werden konnten und sich zwischenzeitlich bis zum - verspäteten - Abflug keine neuen Fluggäste eingefunden haben. Aus der von der Beklagten behaupteten Äußerung, dem darin liegenden Angebot und seiner Annahme durch die Fluggäste lässt sich auch aus deren Sicht eine Aufgabe der Absicht zur Beförderung mit dem vorgesehenen Flug nicht in gleicher Weise wie bei der als unstreitig bezeichneten Äußerung des Piloten herleiten.
15
Warum das Berufungsgericht diese Äußerung trotz des abweichenden Vorbringens als unstreitig behandelt hat, lässt das angefochtene Urteil nicht erkennen. Im Umfang der Widersprüchlichkeit tragen die Feststellungen das Berufungsurteil daher nicht und sind auch für den Senat nicht bindend.

16
Dieser Widerspruch ist auch nicht deshalb unerheblich, weil die weiteren Feststellungen des Berufungsgerichts unabhängig von dem genauen Inhalt der Äußerung des Piloten die Annahme einer Annullierung tragen könnte. Für eine endgültige Aufgabe des Flugs und damit eine Annullierung mag zwar - worauf das Berufungsgericht ebenfalls abgehoben hat - im Einzelfall sprechen, dass die Passagiere das Flugzeug verlassen mussten und ihnen ihr Gepäck wieder ausgehändigt wurde (vgl. AG Schöneberg NJW-RR 2006, 498 f.), ihnen neue Bordkarten ausgegeben wurden, sie unter einer anderen Flugnummer, mit einem anderen Flugzeug von einer anderen Fluggesellschaft oder zusammen mit anderen Passagieren befördert wurden (vgl. m.w.N. Führich, MDR Sonderheft 7/2007, S. 8; Schmid, NJW 2007, 261, 263 f.; ders., NJW 2006, 1841, 1843; Gaedtke, VuR 2007, 201, 203). Zwingend ist dieser Schluss jedoch nicht. Eine neue Abfertigung und selbst die Beförderung durch ein anderes Luftfahrtunternehmen können auch darauf zurückzuführen sein, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen etwa im Wege einer Subcharter ein Ersatzflugzeug angemietet hat (vgl. Sen., aaO, 3438). Hierauf kann auch die Rückgabe des Gepäcks beruhen; diese kann darüber hinaus im Rahmen der Reparatur notwendig geworden sein oder weil einzelne Passagiere von dem Angebot anderweitiger Beförderung Gebrauch gemacht haben und - um ihnen den Zugriff auf ihr Gepäck zu ermöglichen - das Gepäck aller Fluggäste aus der Maschine geholt und zugeordnet werden musste. Auch die Ausgabe einer neuen Bordkarte kann Folge des Einsatzes eines Ersatzflugzeugs sein. Der vom Berufungsgericht als entscheidend angesehene Umstand, dass die Gruppe der ursprünglich gebuchten Passagiere im Wesentlichen in gleicher Zusammensetzung befördert wurde, tritt etwa auch dann ein, wenn die Beförderung mit einer Ersatzmaschine erfolgt (Sen., aaO, 3439).
17
Auf der Grundlage der bisherigen tatrichterlichen Feststellungen kann deshalb nicht abschließend beurteilt werden, ob der von dem Kläger und seinen Mitreisenden gebuchte Flug von Berlin-Tegel nach München annulliert worden ist oder ob lediglich ein Fall einer Verspätung vorgelegen hat. Das bedarf einer Klärung, weil die Rechtsfolgen von Annullierung und Verspätung unterschiedlich geregelt sind. Eine Klärung erübrigt sich im vorliegenden Fall auch nicht mit Rücksicht auf das Gewicht der Verspätung. Zwar hat der Senat eine Auslegung der Verordnung für denkbar gehalten, nach der es nicht mehr auf den Willen des Luftfahrtunternehmens ankommt, an der Durchführung des Flugs festzuhalten , weil die Verspätung so lange dauert, dass sie für den Fluggast einer Nichtdurchführung des Flugs gleichkommt, und deshalb von einer Annullierung auszugehen ist (vgl. Sen.Vorlagebeschl. v. 17.7.2007 - X ZR 95/06, NJW 2007, 3477 ff.). Solche Umstände sind hier indessen nicht festgestellt und auch sonst nicht ersichtlich. Sie würden sich auch nicht daraus ergeben, dass der Kläger und seine Mitreisenden ihr Ziel Fort Myers 24 Stunden später als vorgesehen erreichten. Denn Art. 6 Abs. 1 der Verordnung stellt nicht auf die verzögerte Ankunft ab, sondern nur auf die Abflugverspätung (vgl. auch Führich, MDR Sonderheft 7/2007, S. 7; Schmid, NJW 2006, 1841, 1842; Wagner, VuR 2006, 337; AG Köln, Urt. v. 12.7.2007 - 111 C 127/07, juris).
18
III. Das Berufungsgericht wird daher erneut der Frage nachzugehen haben , ob die Beklagte den von dem Kläger gebuchten Flug annulliert hat. Sollte es diese Frage bejahen, wird weiter zu klären sein, ob sich die Beklagte auf den Haftungsausschluss des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung berufen kann. Dabei ist die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts nicht so offenkundig, dass für vernünftige Zweifel kein Raum bliebe (vgl. EuGH, Rechtssache C-283/81, Slg. 1982, 3415, NJW 1983, 1257, 1258 - CILFIT). Ein Revisionsverfahren wäre deshalb auszusetzen und gemäß Art. 234 EG eine Vorabentscheidung des Ge- richtshofs der Europäischen Gemeinschaften einzuholen (vgl. zur Frage der Entlastung bei Vorliegen eines technischen Defekts Sen.Vorlagebeschl. v. 14.10.2008 - X ZR 35/08, zur Veröffentlichung in BGHR vorgesehen). Ein Vorabentscheidungsersuchen im gegenwärtigen Verfahrensstadium scheidet aus, nachdem noch offen ist, ob überhaupt die Voraussetzungen einer Haftung nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. c, Art. 7 Abs. 1 der Verordnung erfüllt sind. Das Berufungsgericht , dem auch die Entscheidung über die Kosten der Revision übertragen ist, wird jedoch zu prüfen haben, ob es mit Blick auf eine alsbaldige Klärung der dann entscheidungserheblichen Frage selbst von der Möglichkeit einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Gebrauch macht.
Melullis Keukenschrijver Mühlens
Bergmann Gröning
Vorinstanzen:
AG Berlin-Wedding, Entscheidung vom 24.05.2007 - 22a C 38/07 -
LG Berlin, Entscheidung vom 13.12.2007 - 57 S 44/07 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 14. Okt. 2008 - X ZR 15/08

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 14. Okt. 2008 - X ZR 15/08

Referenzen - Gesetze

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 398 Abtretung


Eine Forderung kann von dem Gläubiger durch Vertrag mit einem anderen auf diesen übertragen werden (Abtretung). Mit dem Abschluss des Vertrags tritt der neue Gläubiger an die Stelle des bisherigen Gläubigers.
Bundesgerichtshof Urteil, 14. Okt. 2008 - X ZR 15/08 zitiert 2 §§.

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 398 Abtretung


Eine Forderung kann von dem Gläubiger durch Vertrag mit einem anderen auf diesen übertragen werden (Abtretung). Mit dem Abschluss des Vertrags tritt der neue Gläubiger an die Stelle des bisherigen Gläubigers.

Referenzen - Urteile

Bundesgerichtshof Urteil, 14. Okt. 2008 - X ZR 15/08 zitiert oder wird zitiert von 2 Urteil(en).

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Bundesgerichtshof Beschluss, 17. Juli 2007 - X ZR 95/06

bei uns veröffentlicht am 17.07.2007

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS X ZR 95/06 Verkündet am: 17. Juli 2007 Potsch Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja Verordnung (EG) Nr

Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Okt. 2008 - X ZR 35/08

bei uns veröffentlicht am 14.10.2008

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS X ZR 35/08 Verkündet am: 14. Oktober 2008 Potsch Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja Verordnung (EG) Nr. 261

Referenzen

Eine Forderung kann von dem Gläubiger durch Vertrag mit einem anderen auf diesen übertragen werden (Abtretung). Mit dem Abschluss des Vertrags tritt der neue Gläubiger an die Stelle des bisherigen Gläubigers.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
X ZR 95/06 Verkündet am:
17. Juli 2007
Potsch
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Verordnung (EG) Nr. 261/2004 (Fluggastrechte) Artt. 2 lit. l, 5 Abs. 1 lit. c, 7
Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden zur Auslegung von
Artt. 2 lit. l, 5 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung
für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der
Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und
zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. L 46, S. 1) folgende
Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist bei der Auslegung des Begriffs "Annullierung" entscheidend
darauf abzustellen, ob die ursprüngliche Flugplanung aufgegeben
wird, so dass eine Verzögerung unabhängig von ihrer Dauer
keine Annullierung darstellt, wenn die Fluggesellschaft die Planung
des ursprünglichen Fluges nicht aufgibt?
2. Falls die Frage zu 1 verneint wird: Unter welchen Umständen ist
eine Verzögerung des geplanten Fluges nicht mehr als Verspätung
, sondern als Annullierung zu behandeln? Hängt die Beantwortung
dieser Frage von der Dauer der Verspätung ab?
BGH, Beschl. v. 17. Juli 2007 - X ZR 95/06 - LG Darmstadt.
AG Rüsselsheim
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 17. Juli 2007 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, den Richter
Keukenschrijver, die Richterinnen Ambrosius und Mühlens und den Richter
Gröning

beschlossen:
I. Das Verfahren wird ausgesetzt.
II. Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden zur Auslegung von Artt. 2 lit. l, 5 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs - und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. L 46, S. 1) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt: 1. Ist bei der Auslegung des Begriffs "Annullierung" entscheidend darauf abzustellen, ob die ursprüngliche Flugplanung aufgegeben wird, so dass eine Verzögerung unabhängig von ihrer Dauer keine Annullierung darstellt, wenn die Fluggesellschaft die Planung des ursprünglichen Fluges nicht aufgibt ? 2. Falls die Frage zu 1 verneint wird: Unter welchen Umständen ist eine Verzögerung des geplanten Fluges nicht mehr als Verspätung, sondern als Annullierung zu behandeln? Hängt die Beantwortung dieser Frage von der Dauer der Verspätung ab?

Gründe:


1
I. Die Kläger verlangen von der beklagten Charterfluggesellschaft unter anderem Ausgleichszahlungen nach Art. 7 VO (EG) 261/2004 (im Folgenden: VO), weil sie mit einer Verspätung von etwa 25 Stunden am Zielflughafen ankamen.
2
Der Kläger zu 1 und seine Ehefrau, die ihre Ansprüche an ihn abgetreten hat, buchten für sich und ihre beiden Kinder, die Kläger zu 2 und 3, bei der Beklagten einen Flug von F. nach T. und zurück. Der für den 9. Juli 2005 mit der Abflugzeit 16:20 Uhr gebuchte Rückflug von T. erfolgte erst am nächsten Tag; die Kläger kamen etwa 25 Stunden später als geplant am 11. Juli 2005 um 7:00 oder 7:15 Uhr in F. an. Sie tragen vor, dass am 9. Juli 2005 gegen 23:30 Uhr der Flugkapitän mitgeteilt habe, der Flug werde annulliert ("cancelled"). So stand es auch auf der Anzeigetafel. Das bereits abgegebene Gepäck wurde den Fluggästen gegen Mitternacht wieder ausgehändigt. Sie wurden per Bus zur Übernachtung in ein Hotel gebracht, wo sie erst gegen 2:30 Uhr eintrafen. Am nächsten Tage mussten sie - am Schalter einer anderen Fluggesellschaft - erneut einchecken, erhielten andere Sitzplätze zugeteilt als am Vortag und mussten die Sicherheitsüberprüfung wiederholen. Die Flugnummer des einen Tag später durchgeführten Rückflugs entsprach der Bu- chung. Die Beklagte hatte für diesen Tag keinen weiteren, neuen Flug unter der gleichen Flugnummer geplant. Die Passagiere wurden auch nicht auf einen von einer anderen Gesellschaft geplanten Flug umgebucht.
3
Die Kläger meinen, es habe sich aufgrund aller dieser Umstände, vor allem wegen der 25-stündigen Dauer der Verzögerung, nicht um eine Verspätung , sondern um eine Annullierung gehandelt, so dass ihnen die bei einer Annullierung geschuldete Ausgleichszahlung von 600,-- € pro Person zustehe. Daneben verlangen sie Schadensersatz für Verdienstausfall, nutzlose Sitzplatzreservierungen und verfallene Bahnfahrscheine. Hilfsweise stützen sie ihre Klage auf eine Minderung des Flugpreises um 30 %.
4
Die Kläger haben beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 1 1.381,45 € und an die Kläger zu 2 und 3 je 600,-- € nebst Zinsen zu zahlen.
5
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
6
Nach Auffassung der Beklagten lag lediglich eine Verspätung vor. Nachdem die Beklagte diese vorgerichtlich mit einem Hurrikan in der Karibik erklärt hatte, hat sie im Prozess technische Defekte am Flugzeug und eine Erkrankung der Besatzung als Ursachen angegeben. Die Reparaturarbeiten seien am 9. Juli 2005 um 23:10 Uhr beendet gewesen, jedoch habe die vorgesehene Crew Grippesymptome gezeigt. Im ersten Rechtszug, aber nicht mehr im Berufungsverfahren hat die Beklagte weiter vorgetragen, es habe sich um außergewöhnliche , unvermeidbare Umstände gehandelt.
7
Das Amtsgericht hat eine Verspätung, keine Annullierung, angenommen und deshalb die Ausgleichsansprüche der Kläger zurückgewiesen. Es hat ihnen lediglich für Verdienstausfall und Bahnfahrkarten Schadensersatz wegen Schlechterfüllung des Beförderungsvertrags zugesprochen, da die Beklagte den Entlastungsbeweis für ihr fehlendes Verschulden nicht geführt, nämlich zur Wartung des Flugzeugs nicht konkret vorgetragen habe. Weiter hat das Amtsgericht den Klägern einen Bereicherungsanspruch bezüglich der Sitzplatzreservierungen und eine Minderung des Flugpreises für den Rückflug um 30 % zuerkannt. Insgesamt hat es der Klage in Höhe von 350,75 € nebst Zinsen stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Die Berufung der Kläger ist vom Landgericht zurückgewiesen worden. Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Kläger, mit der sie ihre Klage in vollem Umfang weiterverfolgen. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
8
II. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt : Das Amtsgericht sei zu Recht von einer bloßen Verspätung des Fluges ausgegangen. Nach Art. 2 lit. l VO sei unter "Annullierung" die Nichtdurchführung eines geplanten Fluges, für den zumindest ein Platz reserviert war, zu verstehen. Deshalb sei mit "Flug" die kollektive Beförderung einer Gruppe von Passagieren gemeint, die sich bei der Buchung für diesen Transport entschieden hätten, und sei darauf abzustellen, ob diese Gruppe, wie hier geschehen, im Wesentlichen in gleicher Zusammensetzung befördert werde, möge dies auch zu einem anderen Zeitpunkt als ursprünglich vorgesehen erfolgen. Aus dem Erwägungsgrund 12 und aus Art. 5 Abs. 1 lit. c der Verordnung, deren Ziel es sei, die Flugunternehmen zu rechtzeitiger Unterrichtung der Fluggäste über die Annullierung zu veranlassen, folge weiter, dass mit "Annullierung" nur solche Fälle gemeint seien, in denen sich die Fluggesellschaft aus eigenem Willen, z.B. aus wirtschaftlichen Gründen, entschließe, einen Flug nicht durchzuführen. Im vorliegenden Fall sei jedoch ein plötzlich und unvorhergesehen eingetrete- nes Ereignis der Grund dafür gewesen, dass der Flug am 9. Juli 2005 nicht mehr habe durchgeführt werden können, obwohl die Beklagte ihn grundsätzlich habe durchführen wollen. Ob es maximale zeitliche Grenzen für die Verspätung gebe, brauche im vorliegenden Fall nicht entschieden zu werden, weil jedenfalls bei 25 Stunden eine Verspätung begrifflich noch nicht ausgeschlossen sei. Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, weil die Abgrenzung der Annullierung von einer Verspätung ungeklärt sei und grundsätzliche Bedeutung habe.
9
III. Der Erfolg der Revision hängt von der Auslegung von Art. 2 lit. l und eventuell Art. 5 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. L 46, S. 1) ab. Das Revisionsverfahren ist deshalb auszusetzen, und es ist gemäß Art. 234 Abs. 1 lit. b, Abs. 3 EG eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) zu den im Beschlusstenor gestellten Fragen einzuholen.
10
1. Die Kläger erheben den schadens- und verschuldensunabhängigen, in der Höhe standardisierten Ausgleichsanspruch nach Art. 7 der Verordnung, der bei einem Flug von mehr als 3.500 km Länge 600,-- € beträgt. Weder das deutsche autonome Recht noch internationale Abkommen sehen einen derartigen Anspruch vor (BGH, Beschl. v. 12.07.2006 - X ZR 22/05, NJW-RR 2006, 1719). Die Revision der Kläger ist daher nur begründet, wenn die Verordnung ihnen einen Ausgleichsanspruch gewährt. Nach dem Text der Verordnung sind Ausgleichsleistungen nur für den Fall einer Annullierung vorgesehen (Art. 5 Abs. 1 lit. c VO), während bei einer Verspätung den Fluggästen keine Ausgleichszahlungen , sondern lediglich Betreuungs- und Unterstützungsleistungen zustehen, die z.B. in Mahlzeiten, Hotelunterbringung, Erstattung des Flugpreises oder anderweitiger Beförderung zum Endziel sowie bei einer Verspätung von mehr als fünf Stunden in Erstattung des Flugpreises oder anderweitiger Beförderung bestehen (Artt. 6, 8, 9 VO). Die Ausgleichsansprüche der Kläger sind somit nur begründet, wenn ihre verzögerte Rückbeförderung keine Verspätung war, sondern unter den Begriff der Annullierung einzuordnen bzw. wie eine solche zu behandeln ist. In diesem Zusammenhang stellt sich zunächst die vorgelegte Frage 1, ob eine Annullierung bzw. die Behandlung einer Verzögerung als Annullierung in jedem Fall, insbesondere ungeachtet der Dauer der Verzögerung, ausscheidet, wenn der ursprüngliche geplante Flug nicht aufgegeben wird, ob also eine Verzögerung ohne Aufgabe der ursprünglichen Flugplanung niemals eine Annullierung darstellt. Falls dies verneint wird, soll die Vorlagefrage 2 klären , unter welchen besonderen Umständen die Verzögerung eines Fluges trotz Aufrechterhaltung der ursprünglichen Planung wie eine Annullierung zu behandeln ist. Dabei ist insbesondere von Interesse, ob ab einer bestimmten Dauer der Verzögerung eine Verspätung in eine Annullierung umschlägt. Hierbei handelt es sich um Fragen, die im Wege der Auslegung der gemeinschaftsrechtlichen Verordnung zu klären sind. Dazu ist nach Art. 234 EG der EuGH berufen. Eine Vorlagepflicht besteht nur dann nicht, wenn die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts so offenkundig ist, dass für vernünftige Zweifel kein Raum bleibt (EuGH, Rs. 283/81, Slg. 1982, 3415 = NJW 1983, 1257 - CILFIT; BGHZ 153, 82, 92 und ständig). Das ist hier aus den nachfolgend dargelegten Gründen nicht der Fall.
11
2. Einerseits kommt eine am Wortlaut der VO orientierte Auslegung in Betracht, nach der bei einer 25-stündigen Verzögerung den Fluggästen kein Ausgleichsanspruch zustehen würde.
12
a) Art. 2 lit. l VO enthält folgende Legaldefinition der Annullierung: "die Nichtdurchführung eines geplanten Fluges, für den zumindest ein Platz reserviert war". Die Fluggesellschaft muss also ursprünglich einen Flug geplant, d.h. in ihren Flugplan aufgenommen und somit nach Abflug- und Zielort, Abflugsund Ankunftszeit festgelegt, mit einer Flugnummer versehen und zur Buchung freigegeben haben. Letzten Endes darf sie diesen geplanten Flug dann aber doch nicht durchgeführt haben.
13
b) Entscheidend für die Annullierung könnte somit sein, dass ein bestimmter Flug, den die Fluggesellschaft in ihren Flugplan aufgenommen und zur Buchung angeboten hatte, endgültig aufgegeben wird (so AG Charlottenburg, Urt. v. 15.11.2005 - 218 C 290/05, nicht veröffentlicht; für Unmaßgeblichkeit des Zeitfaktors auch Bezirksgericht für Handelssachen Wien, Urt. v. 04.08.2006 - 8 C 2016/05m, RRa 2006, 276; AG Frankfurt a.M., Urt. v. 31.08.2006 - 30 C 1370/06, nicht veröffentlicht; so auch Führich, MDR 7/2007 Sonderbeilage S. 8). Dies bedeutet nicht - worauf die Revision zu Recht hinweist -, dass die Buchungspassagiere von der Luftfahrtgesellschaft gar nicht zum Zielort befördert werden. Vielmehr muss die Luftfahrtgesellschaft bei einer Annullierung den Fluggästen, wenn diese nicht Erstattung des Flugpreises wählen, eine anderweitige Beförderung zum Endziel verschaffen (Artt. 5 Abs. 1 lit. a, 8 Abs. 1). Diese anderweitige Beförderung erfolgt mittels eines Fluges, der "neuer Flug" (Art. 5 Abs. 1 lit. b) oder "Alternativflug" (Art. 7 Abs. 2) genannt wird. Das ausschlaggebende Kriterium für die Unterscheidung zwischen dem alten, d.h. dem ursprünglich geplanten Flug und dem neuen bzw. Alternativflug könnte daher die Aufgabe der ursprünglichen Planung bzw. die Beförderung der Fluggäste auf einem vorher gar nicht oder auf einem von vornherein anders geplanten Flug sein, sei es dass dieser Alternativflug von einer anderen Fluggesellschaft gemäß deren Planung, sei es, dass er von der Vertragsgesellschaft, aber zu einer anderen Abflugzeit, von einem anderen Abflugort oder zu einem anderen Zielort als ursprünglich geplant durchgeführt wird. Werden die Passagiere zum Beispiel mit einem Flug der Vertragsgesellschaft befördert, der von vornherein für eine andere Abflugzeit, für einen anderen Tag oder für eine andere Route geplant war, oder werden die Passagiere auf den geplanten Flug eines anderen Luftfahrtunternehmens umgebucht, so würde es sich nach dieser Definition um eine Annullierung handeln, selbst wenn keine oder nur eine geringfügige Verspätung eintritt. Umgekehrt würde nur eine Verspätung vorliegen, wenn der Flug, mit dem die Passagiere schließlich befördert werden, weder von der Vertragsgesellschaft für eine andere Strecke oder Zeit noch von einer anderen Fluggesellschaft geplant war, selbst wenn der Flug außerordentlich viel später erfolgt als geplant.
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c) Wäre das Kriterium der aufgegebenen Planung maßgeblich, so könnte daraus die Unmaßgeblichkeit anderer Umstände folgen, die indessen in Rechtsprechung und Schrifttum zum Teil als Indizien für eine Annullierung angesehen werden. Die Wiederausgabe des Gepäcks und eine neue Abfertigung können darauf zurückzuführen sein, dass die Passagiere im Hotel übernachten mussten. Die Ausgabe einer neuen Bordkarte ist notwendig, wenn ein andersartiges Ersatzflugzeug verwendet wird. Beides steht daher der Annahme einer bloßen Verspätung nicht zwingend entgegen (so auch Tonner, RRa 2006, 278 f.; a.A. Schmid, NJW 2006, 1841, 1843; Führich, aaO). Die Bezeichnung des Fluges durch den Piloten und/oder auf der Anzeigetafel als "cancelled" statt "delayed" kann auf einer falschen rechtlichen Einordnung der Störung durch Dritte, nämlich den Piloten oder das Flughafenpersonal, beruhen und dürfte daher allenfalls ein schwaches Indiz für eine Annullierung sein. Wenig Indizwirkung dürften auch die Auswechslung des Flugzeugs und die der Besatzung haben (a.A. AG Frankfurt am Main, Urt. v. 12.10.2006 - 30 C 1726/06-75, nicht veröffentlicht), da die Identität der Maschine und des Flugpersonals nichts mit der Planung des Fluges zu tun hat, sondern nur mit dessen Organisation und Durchführung.
Selbst die Beförderung durch ein anderes als dasjenige Luftfahrtunternehmen, mit dem die Fluggäste den Beförderungsvertrag geschlossen haben, indiziert nicht ohne weiteres eine Annullierung. Werden beispielsweise wegen eines Flugzeugdefektes die Passagiere statt von der vertragschließenden Fluggesellschaft mit dem Flugzeug einer anderen Gesellschaft befördert, das die vertragliche Gesellschaft als Ersatz für ihr eigenes defektes Flugzeug angemietet hat (sogenannte Subcharter), so liegt keine Annullierung vor (Schmid, aaO, S. 1843). Auch die vom Berufungsgericht für erheblich gehaltene Frage, ob der Veranstalter den Flug aus wirtschaftlichen Erwägungen oder gezwungenermaßen abgesagt hat, dürfte nicht maßgeblich sein. Erwägungsgrund 12 und Art. 5 Abs. 1 lit. c VO die das Berufungsgericht herangezogen hat, geben für dessen Ansicht, bei einer Annullierung müsse die Fluggesellschaft schon längere Zeit vor der geplanten Abflugszeit Kenntnis von dem Hindernis gehabt haben, nichts her; die jeweilige Erwähnung von Annullierungen, die auf außergewöhnliche Umstände zurückgehen - zu denen laut Erwägungsgrund 14 Wetterbedingungen und unerwartete Flugsicherheitsmängel gehören - spricht vielmehr dagegen.
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Umgekehrt folgt aus der Beibehaltung der gleichen Flugnummer nicht zwingend eine Verspätung (so auch AG Frankfurt aaO; Tonner, aaO). Denn wenn eine Fluggesellschaft täglich zur gleichen Zeit den gleichen Flug durchführt , trägt der Flug auch jeden Tag die gleiche Nummer, so dass Fluggäste, die wegen des Ausfalls eines geplanten Fluges erst 24 Stunden später mit dem für diesen Tag geplanten Flug befördert werden, trotz Annullierung ihres Fluges unter der gleichen Flugnummer reisen (Schmid, aaO, S. 1843). Auch der Umstand , den das Berufungsgericht als wesentlich für die Annahme einer Verspätung angesehen hat, dass die Gruppe der ursprünglich gebuchten Passagiere im Wesentlichen in gleicher Zusammensetzung befördert wird, wenn auch zu einem späteren Zeitpunkt, dürfte eine eindeutige Zuordnung nicht zulassen.
Denn wenn diese Gruppe verhältnismäßig klein ist, kann es der Fluggesellschaft gelingen, sie insgesamt auf einem noch nicht ausgebuchten Alternativflug unterzubringen. Ein schwerwiegendes Indiz für eine Annullierung und gegen eine Verspätung wird demgegenüber eine andere Flugnummer sein (so auch Schmid, S. 1843), da eine solche in der Regel zu einem anders geplanten Flug gehört.
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2. Andererseits kommt aber auch eine Auslegung in Betracht, nach der die im vorliegenden Fall geschehene Verzögerung von 25 Stunden nicht als Verspätung, sondern als Annullierung zu behandeln wäre. Diese Auslegung wäre weniger am Wortlaut des Art. 2 Abs. 1 VO und mehr am Schutzbedürfnis der Fluggäste orientiert.
17
a) Möglicherweise schlägt eine Verspätung unter besonders belastenden Umständen und insbesondere bei einer bestimmten Dauer in eine Annullierung um. Der Text der Verordnung enthält zwar keine ausdrückliche Obergrenze für die Dauer der Verspätung. Aus Art. 6 Abs. 1 lit. c iii VO ergibt sich lediglich, dass die Verspätung mehr als fünf Stunden betragen kann, und aus Art. 6 Abs. 1 lit. c ii VO sowie aus Erwägungsgrund 15 geht hervor, dass bei einer Verspätung der Abflug auch erst am nächsten Tag erfolgen kann. Daraus folgt aber nicht zwingend, dass es für die Verspätung keine zeitliche Grenze gibt, jenseits derer es sich um eine Annullierung handelt.
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b) Für die Behandlung einer besonders belastenden Verzögerung und insbesondere einer besonders langen Verzögerung als Annullierung könnte die Schutzlücke sprechen, die sich anderenfalls auftun würde.
19
aa) Der allgemeine Schutzzweck der Verordnung ist es, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen und den Erfordernissen des Verbraucherschutzes in vollem Umfang Rechnung zu tragen (Erwägungsgrund 1). In den Erwägungsgründen wird weiter ausgeführt, dass Annullierungen und große Verspätungen für die Fluggäste ein Ärgernis seien und ihnen große Unannehmlichkeiten verursachten (Grund 2), dass ihre Zahl immer noch zu hoch sei (Grund 3) und dass die Gemeinschaft deshalb die Schutzstandards erhöhen sollte, um die Fluggastrechte zu stärken (Grund 4). Speziell zum Zweck der Ausgleichszahlungen bei Annullierung besagt der an die Erörterung der Nichtbeförderung gegen den Willen der Fluggäste (Überbuchung) anschließende Erwägungsgrund 12: "Das Ärgernis und die Unannehmlichkeiten, die den Fluggästen durch die Annullierung von Flügen entstehen, sollten ebenfalls verringert werden. Dies sollte dadurch erreicht werden, dass die Luftfahrtunternehmen veranlasst werden, die Fluggäste vor der planmäßigen Abflugzeit über Annullierungen zu unterrichten und ihnen darüber hinaus eine zumutbare anderweitige Beförderung anzubieten, so dass die Fluggäste umdisponieren können. Andernfalls sollten die Luftfahrtunternehmen den Fluggästen einen Ausgleich leisten und auch eine angemessene Betreuung anbieten, es sei denn, die Annullierung geht auf außergewöhnliche Umstände zurück, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären."
20
bb) Die Verordnung erklärt also nicht ausdrücklich, weshalb der Fluggast im Falle einer Annullierung weitergehende Ansprüche hat als bei einer Verspätung , nämlich unabhängig von seinem tatsächlichen Schaden eine Ausgleichszahlung beanspruchen kann (vgl. EuGH, Urt. v. 10.01.2006 - C-344/04 IATA v. Department of Transport, Slg. 2006, S. I-00403, LS 3 Rdn. 69 ff.). Die Besserstellung des Fluggastes bei Annullierung lässt sich indessen vernünftigerweise nur durch die Vorstellung des Gesetzgebers erklären, dass der Fluggast im Regelfall durch eine Annullierung schwerer beeinträchtigt wird als durch eine Verspätung. Dazu passt die Feststellung des EuGH (aaO Rdn. 85), dass der Um- fang der vom Gemeinschaftsgesetzgeber festgelegten Leistungen - von deren Art hat der Gerichtshof allerdings nicht ausdrücklich gesprochen - sich nach der Schwere des Schadens richtet, der den Fluggästen entstanden ist, und entweder anhand des Ausmaßes der Verspätung und der Wartezeit oder anhand der Frist, innerhalb derer die Betroffenen über die Annullierung des Fluges unterrichtet wurden, bemessen werde. Der EuGH hat also zum einen die Dauer der Verspätung als Kriterium für die Schwere des Schadens und zum anderen die Schwere des Schadens als Maßstab für den Umfang der Leistung anerkannt.
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Eine Vermutung, dass eine Annullierung in der Regel stärker belastet als eine Verspätung, könnte der Lebenserfahrung entsprechen. Dem Totalausfall eines Fluges gehen oft langwierige Reparaturversuche voraus, während derer die Fluggäste warten müssen. Erst nach deren letztendlichem Fehlschlag beginnt dann die Suche nach noch nicht ausgebuchten Alternativflügen. Diese sind häufig erst am nächsten Tage zu finden und führen dann nicht selten zu anderen Zielorten, von denen die Fluggäste zu dem von ihnen gebuchten Zielort weiterbefördert werden müssen. Demgegenüber erschöpfen sich die Unannehmlichkeiten einer Verspätung häufig in einer Wartezeit von wenigen Stunden am Abflughafen und der entsprechend späteren Ankunft am Zielort.
22
cc) Im Einzelfall kann es aber umgekehrt liegen, wenn z.B. bei einer Annullierung der Fluggast in kürzester Frist einen Ersatzflug zum gewünschten Zielort antreten kann oder wenn andererseits, wie im vorliegenden Fall, eine Verspätung mehr als einen Tag lang andauert. Für diese Fälle würde dann eine Schutzlücke bestehen (Staudinger, DAR 2007, 1324 f.). Es könnte der Billigkeit widersprechen, dass eine Annullierung, deren belastende Auswirkungen sich in einer Verspätung von, je nach Entfernung, zwei, drei oder vier Stunden zuzüglich einer Minute erschöpfen, zum ungekürzten Ausgleichsanspruch führen würde und dass selbst bei rechtzeitiger Ankunft eine Annullierung das Luftfahrt- unternehmen immerhin zur hälftigen Ausgleichszahlung verpflichtet wäre (Art. 7 Abs. 2 VO), während eine Verspätung von 25 Stunden, wie sie im vorliegenden Fall geschehen ist, überhaupt keinen Ausgleichsanspruch erzeugen würde. Eine Schutzlücke liegt aber möglicherweise auch schon darin, dass Passagiere einen für sie im Wesentlichen gleich belastenden Lebenssachverhalt, nämlich eine gleich lange Verzögerung ihrer Beförderung, erleben und doch ganz unterschiedliche Ansprüche erwerben können (Wagner, VUR 2006, S. 338).
23
c) Falls der Gesetzgeber die Schutzlücke erkannt und bewusst in Kauf genommen hat, wäre es den Gerichten möglicherweise versagt, sie im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung zu schließen. Die Absicht des Gesetzgebers ist jedoch nicht klar.
24
Ambivalent ist in diesem Zusammenhang der Umstand, dass die Verordnung für den umgekehrten Fall der außergewöhnlich wenig belastenden Annullierung ausdrücklich eine Ausnahmeregelung vorsieht. Das Luftfahrtunternehmen darf die Ausgleichszahlungen um 50 % kürzen, wenn den Fluggästen ein Alternativflug zu ihrem Endziel angeboten wird, der, gestaffelt nach der Flugentfernung , nicht später als zwei, drei oder vier Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit des ursprünglich gebuchten Fluges ankommt (Art. 7 Abs. 2 VO). Diese ausdrückliche Ausnahmeregelung kann jedoch entweder darauf hindeuten , dass der Gesetzgeber die Notwendigkeit einer reziproken Regelung für ungewöhnlich belastende Verspätungen übersehen hat, oder sie kann im Gegenteil den Rückschluss erlauben, dass der Gesetzgeber sich bewusst dagegen entschieden hat.
25
Letzteres erscheint möglich, weil Art. 7 Abs. 2 VO zeigt, dass der Gesetzgeber bestrebt war, die finanzielle Belastung der Fluggesellschaften durch Ausgleichszahlungen in Grenzen zu halten. Dieselbe Absicht geht aus der An- spruchsversagung im Falle außergewöhnlicher und unvermeidlicher Umstände hervor (Art. 7 Abs. 3). Die Erstreckung der Ausgleichszahlungen auf besonders schwerwiegende Verspätungen würde die finanzielle Belastung der Luftfahrtunternehmen hingegen erhöhen. Zu berücksichtigen ist weiter, dass der Fluggast, der infolge einer nicht entschuldigten Verspätung nachweisliche Schäden erleidet , nicht leer ausgeht, sondern nach dem Montrealer Übereinkommen und nach deutschem Recht auch nach dem Werkvertragsrecht des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs Ersatz verlangen kann. Nach Art. 12 Abs. 1 Satz 1 schließt die Verordnung einen weitergehenden Schadensersatzanspruch des Fluggastes nicht aus. Die Verordnung enthält standardisierte sofortige Maßnahmen zur Wiedergutmachung, die neben etwaige Ansprüche auf Schadensersatz als individuelle Wiedergutmachung nach Art. 19 des Montrealer Übereinkommens treten (EuGH aaO Rdn. 44 ff.). Dasselbe gilt für Schadensersatzansprüche aus Beförderungsvertrag (vgl. Führich, aaO, S. 10). Nach Ansicht mehrerer deutscher Gerichte steht dem Fluggast außerdem eine Minderung des Flugpreises zu, wenn eine große Verspätung einen Mangel der Beförderungsleistung darstellt.
26
Dass gleichwohl nicht klar ist, ob der Gemeinschaftsgesetzgeber die aufgezeigte Schutzlücke bewusst in Kauf genommen hat, wird auch an der deutschen Rechtsprechung deutlich, die schon mehrfach eine Auslegung des Begriffs Annullierung in dem Sinne vorgenommen hat, dass auch eine außerordentlich große Verspätung darunterfällt. Der beschließende Senat hat die Frage eines Zeitfaktors ausdrücklich offengelassen (Beschl. v. 12.07. 2006, aaO).
27
d) Hält man eine derartige Auslegung im Prinzip für zulässig und geboten , so stellt sich die weitere Frage, unter welchen Umständen bzw. ab welcher Dauer eine große Verspätung in eine Annullierung umschlägt.
28
Dem Text der Verordnung lässt sich nicht entnehmen, dass die etwaige Obergrenze für eine Verspätung bei 24 Stunden oder sogar bei mehreren Tagen liegt. Soweit bei der Beschreibung der Betreuungsleistungen die Hotelunterbringung bei einem Aufenthalt von mehreren Nächten erwähnt wird (Art. 9 Abs. 1 lit. b VO), braucht sich dies nicht auf eine Verspätung zu beziehen. Denn Hotelunterbringung schuldet das Luftfahrtunternehmen nicht nur bei einer Verspätung des Fluges (Art. 6 Abs. 1 lit. c ii VO), sondern auch bei Annullierung (Art. 5 Abs. 1 lit. b VO). Die Erwähnung eines Aufenthalts von mehreren Nächten kann sich daher auch nur auf den Fall der Annullierung beziehen.
29
Das Amtsgericht Frankfurt am Main (Urt. v. 12.10.2006, aaO) hat die Grenze bei 22 Stunden deutlich überschritten gesehen, das Amtsgericht Rüsselsheim (Urt. v. 07.11.2006 - 3 C 717/06 (32), nicht veröffentlicht) hat sie bei 48 Stunden gezogen. Im Schrifttum wird in Anlehnung an Art. 6 Abs. 1 lit. c iii VO die Grenze bei fünf Stunden gesehen (Schmid, NJW 2006, 1841, 1843; Wagner, VuR 2006, 337, 339) oder das Anderthalbfache der Zeiträume des Art. 6 Abs. 1 VO vorgeschlagen, so dass eine Annullierung je nach Länge des Fluges ab drei, viereinhalb oder sechs Stunden anzunehmen wäre (Tonner, aaO). Nach anderer Ansicht muss eine Annullierung jedenfalls dann angenommen werden, wenn sich der Flug um mehrere Tage verschiebt (Führich, aaO).
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3. Nach alledem ist die richtige Auslegung der Verordnung nicht so offenkundig , dass für vernünftige Zweifel kein Raum verbleibt.
31
Dies sieht auch die Kommission nicht anders. Nach ihrer gemäß Art. 17 VO erstatteten Mitteilung vom 4. April 2007 über die Anwendung und die Ergebnisse der Verordnung (KOM (2007) 168 endg.) lässt sich schwer bestimmen , ob ein Flug verspätet war oder annulliert wurde, da die Luftfahrtunternehmen bei der Einstufung von Verspätungen oder Annullierungen unterschiedliche Konzepte anwenden, was sich wiederum auf die Zahlungen von Ausgleichsleistungen auswirkt (Nr. 4.1.2.), besteht Unklarheit über die Verpflichtung der Luftfahrtunternehmen gegenüber den Fluggästen bei langen Verspätungen über 24 Stunden (Nr. 5.4.) bzw. haben Fluggäste, einzelstaatliche Durchsetzungsstellen und Luftfahrtunternehmen Schwierigkeiten bei der Unterscheidung zwischen Verspätungen und Annullierungen und bei der Frage, ob eine Verspätung von 24 Stunden z.B. als Annullierung oder große Verspätung einzustufen ist (Nr. 7.3.). Die Kommission selbst geht möglicherweise davon aus, dass eine Verspätung in eine Annullierung umschlagen kann; denn sie beanstandet, dass in einigen Fällen Luftfahrtunternehmen Flüge um 48 Stunden "verschoben", d.h.
als verspätet behandelt hätten, um Entschädigungsforderungen der Fluggäste zu vermeiden, während der Flug in Wirklichkeit infolge technischer Probleme "annulliert" gewesen sei (Nr. 7.3.).
Melullis Keukenschrijver Ambrosius
Gröning Mühlens
Vorinstanzen:
AG Rüsselsheim, Entscheidung vom 17.03.2006 - 3 C 109/06 (33) -
LG Darmstadt, Entscheidung vom 12.07.2006 - 21 S 82/06 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
X ZR 35/08 Verkündet am:
14. Oktober 2008
Potsch
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Verordnung (EG) Nr. 261/2004 (Fluggastrechte) Art. 5 Abs. 1 Buchst. c, Art. 5
Abs. 3, Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a
Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden zur Auslegung
von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments
und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung
für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung
und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur
Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. Nr. L 46, S. 1) folgende
Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Kann ein technischer Defekt, auf den eine Annullierung zurückgeht
, ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne des Art. 5
Abs. 3 sein?
2. Falls ja: Schließt der Begriff des außergewöhnlichen Umstands
als technischen Defekt auch solche Mängel ein, die die Lufttüchtigkeit
des Flugzeugs oder die sichere Durchführung des Flugs
beeinträchtigen?
3. Hätte das ausführende Luftfahrtunternehmen alle zumutbaren
Maßnahmen getroffen, wenn es das für das betroffene Flugzeug
geltende Wartungs- und Instandhaltungsprogramm des Herstel-
lers sowie Sicherheitsnormen und Auflagen der zuständigen
Behörden oder Hersteller eingehalten hat oder sich der Fehler
auch dann nicht hätte vermeiden lassen, wenn es dieses Programm
oder die Anweisung eingehalten bzw. beachtet hätte?
4. Falls Frage 3 bejaht wird: Ist dies ausreichend, um das Luftfahrtunternehmen
von der Verpflichtung zur Leistung von Ausgleichszahlungen
zu befreien oder ist weitergehend der Nachweis
zu verlangen, dass auch die Annullierung, das heißt die
Außerbetriebsetzung des betroffenen Flugzeugs und die Streichung
des Flugs wegen Fehlens einer Ersatzmaschine bei Ergreifen
aller zumutbaren Maßnahmen nicht vermieden worden
wäre?
BGH, Beschl. v. 14. Oktober 2008 - X ZR 35/08 - LG Berlin
AG Wedding
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 14. Oktober 2008 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis,
den Richter Keukenschrijver, die Richterin Mühlens und die Richter
Dr. Bergmann und Gröning

beschlossen:
I. Das Verfahren wird ausgesetzt.
II. Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden zur Auslegung von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs - und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. Nr. L 46, S. 1) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt: 1. Kann ein technischer Defekt, auf den eine Annullierung zurückgeht , ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne des Art. 5 Abs. 3 sein? 2. Falls ja: Schließt der Begriff des außergewöhnlichen Umstands als technischen Defekt auch solche Mängel ein, die die Lufttüchtigkeit des Flugzeugs oder die sichere Durchführung des Flugs beeinträchtigen? 3. Hätte das ausführende Luftfahrtunternehmen alle zumutbaren Maßnahmen getroffen, wenn es das für das betroffene Flugzeug geltende Wartungs- und Instandhaltungsprogramm des Herstellers sowie Sicherheitsnormen und Auflagen der zuständigen Behörden oder Hersteller eingehalten hat oder sich der Fehler auch dann nicht hätte vermeiden lassen, wenn es dieses Programm oder die Anweisung eingehalten bzw. beachtet hätte? 4. Falls Frage 3 bejaht wird: Ist dies ausreichend, um das Luftfahrtunternehmen von der Verpflichtung zur Leistung von Ausgleichszahlungen zu befreien oder ist weitergehend der Nachweis zu verlangen, dass auch die Annullierung, das heißt die Außerbetriebsetzung des betroffenen Flugzeugs und die Streichung des Flugs wegen Fehlens einer Ersatzmaschine bei Ergreifen aller zumutbaren Maßnahmen nicht vermieden worden wäre?

Gründe:


1
I. Die Kläger machen gegen das beklagte Luftfahrtunternehmen Ansprüche aus der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 - ABl. Nr. L 46, S. 1 - (kurz: Verordnung) geltend.

2
Die Kläger buchten bei der Beklagten unter anderem einen Flug für den 17. April 2005 von Florenz über München nach Berlin. Der Abflug war für 15:05 Uhr vorgesehen. Der Abflug wurde zunächst verschoben und schließlich wegen eines defekten Sensors annulliert. Wegen des Defekts ließ sich das Fahrwerk des Flugzeugs nicht einfahren. Zehn Flugstunden zuvor, am 15. April 2005, war die letzte Wartung bei 8.708 Flugstunden erfolgt. Diese Wartung erfolgte innerhalb eines 400-Flugstunden-Intervalls, in dem das Fahrwerk zu warten ist. Alle 4.000 Flugstunden sind die Sensoren im Weg einer Sichtkontrolle zu überprüfen. Bei der Wartung am 15. April ergab die Sichtkontrolle des Sensors keine Beanstandungen.
3
Die Kläger wurden auf einen Flug nach Frankfurt umgebucht, dessen Abflug um 18:25 Uhr erfolgen sollte. Der Abflug verzögerte sich jedoch um eine halbe Stunde, so dass die Kläger in Frankfurt ihren Anschlussflug nach Berlin nicht mehr erreichten. Die Kläger nahmen einen Ersatzflug nach Hannover und fuhren von dort aus mit einem Mietwagen nach Berlin, wo sie nicht wie geplant um 18:05 Uhr, sondern um 2:30 Uhr ankamen.
4
Mit ihrer Klage verlangen die Kläger eine Ausgleichszahlung gemäß Art. 5 Abs. 1 Buchst. c, Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a der Verordnung in Höhe von jeweils 250 EUR nebst Zinsen.
5
Die Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt und sich auf den Haftungsausschluss gemäß Art. 5 Abs. 3 der Verordnung berufen. Nach ihrer Auffassung ist der hier aufgetretene Defekt ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne dieser Vorschrift, nämlich ein Sicherheitsrisiko und unerwarteter Flugsicherheitsmangel. Hierzu hat sie behauptet, der Defekt habe auch durch sorgfäl- tige und regelmäßige Wartung nicht vermieden werden können. Die herstellerseits vorgeschriebene Wartung der eingesetzten Maschine sei regelmäßig erfolgt.
6
Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht nach Vernehmung eines Zeugen die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihren Zahlungsanspruch weiter. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen.
7
II. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, zwar sei der von den Klägern gebuchte Flug annulliert worden. Die Beklagte sei jedoch gemäß Art. 5 Abs. 3 der Verordnung nicht zur Ausgleichszahlung verpflichtet. Ein Defekt des für das Einfahren des Fahrwerks benötigten Sensors stelle einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung dar. Die Beklagte habe auch nachgewiesen, dass sie alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen habe, um den Eintritt des Defekts zu verhindern. Sie habe den ihr obliegenden Beweis erbracht, dass die vom Hersteller vorgeschriebene Wartung des Fahrwerks regelmäßig erfolgt sei. Soweit die zehn Flugstunden zuvor durchgeführte Sichtkontrolle des Sensors keine Beanstandungen ergeben habe, sei auch weder vorgetragen noch ersichtlich, dass kürzere Wartungsintervalle als vorgeschrieben oder intensivere Inspektionen geeignet gewesen wären, den aufgetretenen Defekt zu verhindern. Insoweit habe der Zeuge bekundet, bereits der Pilot führe vor Abflug einen Check durch, der schon als Wartung anzusehen sei. Es sei jedoch zweifelhaft, ob weitergehende Inspektionen noch als zumutbare Maßnahmen im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung anzusehen wären.
8
Die Beklagte sei auch nicht auf das Vorhalten einer Ersatzmaschine für den Fall des Auftretens eines technischen Defekts zu verweisen. Wenn auch möglicherweise am Heimatflughafen der jeweiligen Fluggesellschaft eine Ersatzmaschine zum Einsatz kommen könne, sei dies auf anderen Flughäfen nicht der Fall. Insbesondere sei das Vorhalten von Ersatzmaschinen an diversen Flughäfen bereits aus Kostengründen nicht zumutbar.
9
Der Defekt eines Sensors sei auch ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung. Zwar fielen die Sensorik und das Fahrwerk eines Flugzeugs in den Kernbereich des vom Betreiber zu gewährleistenden Betriebszustandes. Es sei jedoch nicht ersichtlich, dass Sensoren trotz ordnungsgemäßer Wartung regelmäßig oder jedenfalls häufig versagten oder es sich aus anderen Gründen um einen gewöhnlichen Defekt handele, z.B. wegen Anfälligkeit der Komponente oder wegen Verschleißes. Schließlich seien in Erwägungsgrund 14 der Verordnung ausdrücklich auch Streiks und mit der Durchführung des betreffenden Flugs nicht zu vereinbarende Wetterbedingungen als Beispiele außergewöhnlicher Umstände genannt, obwohl Streiks sowie extremer Schneefall, Starkregen mit der Folge überfluteter Start- und Landebahnen oder Orkane durchaus häufiger vorkämen.
10
III. Die Voraussetzungen für eine Haftung nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung sind an sich erfüllt. Eine Haftung muss jedoch dann entfallen, wenn die Ausnahmeregelung des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung eingreift. Diese Regelung könnte dahin zu verstehen sein, dass die Haftung entfällt, wenn die Beklagte den Verpflichtungen, die sich in diesem Zusammenhang für sie ergeben hätten, nachgekommen ist oder deren Nichterfüllung sich auf die Annullierung nicht ausgewirkt hätte. Insoweit hängt der Erfolg der Revision von der Auslegung des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung ab. Dabei ist die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts nicht so offenkundig, dass für vernünftige Zweifel kein Raum bliebe (vgl. EuGH, Rechtssache C-283/81, Slg. 1982, 3415, NJW 1983, 1257, 1258 - CILFIT). Das Revisionsverfahren ist deshalb auszusetzen und gemäß Art. 234 EG eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zu den im Beschlusstenor gestellten Fragen einzuholen.
11
1. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts ist der von den Klägern gebuchte Flug von Florenz nach München wegen eines defekten Sensors am Fahrwerk des Flugzeugs im Sinne des Art. 2 Buchst. l der Verordnung annulliert worden. Im Fall der Annullierung eines Flugs räumt Art. 5 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung neben weiteren dort genannten Voraussetzungen , die hier nicht einschlägig sind, den betroffenen Fluggästen einen Anspruch auf Ausgleichszahlungen gemäß Art. 7 ein. Nach Art. 5 Abs. 3 der Verordnung ist das ausführende Flugunternehmen nicht zur Leistung der Ausgleichszahlungen verpflichtet, wenn es nachweist, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.
12
2. Die Beklagte kann ihrer Haftung mithin nur entgehen, wenn technische Defekte, die zu einer Annullierung eines Flugs führen, außergewöhnliche Umstände nach Art. 5 Abs. 3 der Verordnung darstellen oder aber ein technischer Defekt der hier konkret vorliegenden Art als tauglicher Entlastungsgrund in Betracht kommt und wenn die Beklagte bei Ergreifen aller zumutbaren Maßnahmen entweder den technischen Mangel in Form eines defekten Sensors oder die darauf beruhende Annullierung nicht hätte vermeiden können.
13
a) Die Verordnung erwähnt technische Defekte als außergewöhnlichen Umstand nicht ausdrücklich. Erwägungsgrund 14 nennt als Beispiele für "außergewöhnliche Umstände" insbesondere politische Instabilität, mit der Durch- führung des betreffenden Flugs nicht zu vereinbarende Wetterbedingungen, Sicherheitsrisiken, unerwartete Flugsicherheitsmängel und den Betrieb eines ausführenden Luftfahrtunternehmens beeinträchtigende Streiks. In Erwägungsgrund 15 wird als weiteres Beispiel außergewöhnlicher Umstände eine Entscheidung des Flugverkehrsmanagement zu einem einzelnen Flugzeug an einem bestimmten Tag genannt, die zur Folge hat, dass es zu Verspätungen oder Annullierungen kommt. Mit dieser Aufzählung nennt die Verordnung lediglich Beispiele; sie soll ersichtlich nicht abschließend sein, wie sich schon aus dem Zusatz "insbesondere" ergibt.
14
aa) Für die Auslegung wenig ergiebig erscheint der Hinweis in Erwägungsgrund 14 auf das Übereinkommen von Montreal. Nach dessen Art. 19 haftet der Luftfrachtführer für Verspätungsschäden, wenn ihm nicht der Entlastungsbeweis gelingt. Ein technischer Defekt kann dort zum Ausschluss der Haftung des Luftfrachtführers führen, falls dieser sich entlasten kann (vgl. m.w.N. Schmid, in: Giemulla/Schmid, Montrealer Übereinkommen, Art. 19 MÜ Rdn. 49 ff.). Der Wortlaut der Verweisung in Erwägungsgrund 14 dürfte es aber nahe legen, dass hier nur die Möglichkeit des Entlastungsbeweises an sich übernommen werden sollte, ohne dass damit gleichzeitig eine Aussage verbunden werden sollte, in welchen Fällen, etwa beim Vorliegen technischer Mängel, der Entlastungsbeweis eröffnet sein soll.
15
bb) Gegen eine Auslegung, nach der technische Defekte von vornherein als möglicher Entlastungsgrund ausscheiden (vgl. AG Bremen NZV 2007, 527, 528), könnte sprechen, dass die Regelung in Art. 5 Abs. 3 der Verordnung leer liefe, wenn nur solche Umstände zu einer Entlastung führen könnten, die von außen auf die Durchführung eines Flugs einwirken, weil insoweit dem Luftfahrtunternehmen keine Möglichkeit verbliebe, zumutbare Maßnahmen zur Vermei- dung solcher Umstände zu treffen, wie etwa in den Fällen politischer Instabilität oder mit der Durchführung des betreffenden Flugs nicht zu vereinbarenden Wetterbedingungen (vgl. Makiol, Anm. zu AG Köln ZLW 2007, 335, 336 f.). In diesem Zusammenhang ließe sich auch anführen, dass die ursprünglich im Entwurf der Verordnung vorgesehene "höhere Gewalt" im Lauf der Arbeiten "aus Gründen der rechtlichen Klarheit" in "außergewöhnliche Umstände" abgeändert wurde (Begründung des Rates zum Gemeinsamen Standpunkt - EG - Nr. 27/2003 v. 18.3.2003 - ABl. C 125 E v. 27.5.2003, S. 63, 70 erster Spiegelstrich

).


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cc) Stellt man auf die in Erwägungsgrund 14 genannten unerwarteten Flugsicherheitsmängel ab, erscheint es nicht ausgeschlossen, dass auch technische Mängel eine Entlastung des Luftfahrtunternehmens rechtfertigen können (vgl. AG Köln RRa 2006, 275, 276).
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(1) Die Verordnung definiert die Begriffe "Flugsicherheit" und "Flugsicherheitsmängel" selbst nicht. Ihr Inhalt und ihre Reichweite sind daher vor dem Hintergrund der hier zu entscheidenden Fragen unklar.
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So werden einerseits unter den Begriff der "Flugsicherheit" alle diejenigen Maßnahmen gefasst, die im Notfall ergriffen werden müssen, damit sich Passagiere sicher an Bord aufhalten und sicher aus dem Flugzeug evakuiert werden können. Dazu gehöre das richtige Öffnen der Flugzeugtüren mit Auslösung der Notrutschen, das Evakuieren bei schlechter Sicht durch Rauch, die Bekämpfung von Brandherden an Bord während eines Flugs oder Notverfahren bei Druckverlust in der Kabine (Schmid, NJW 2006, 1841, 1844 f.; Führich, MDR Sonderheft 7/2007, S. 7). Andererseits wird der Begriff "Flugsicherheitsmängel" auf die Flugüberwachung bezogen. Flugsicherheitsmängel sollen da- her dann vorliegen, wenn etwa der Luftraum unvorhersehbar überlastet sei (Tonner, in: Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, Kap. 13a Rdn. 56). Nach anderer Auffassung soll der Begriff die Sicherheit im Luftraum, also die Abwehr äußerer Gefahren im Luftverkehr betreffen (Gaedtke , Anm. zu AG Bremen NZV 2007, 527, 529).
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(2) Ein technischer Defekt könnte danach einen unerwarteten Flugsicherheitsmangel darstellen, wenn er die Lufttüchtigkeit des Luftfahrzeugs beeinträchtigt und diese wesentlicher Bestandteil der Flugsicherheit ist (vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston v. 27.9.2007 - Rechtssache C-396/06 Kramme/SAS). Hierfür könnte sprechen, dass die Lufttüchtigkeit grundlegende Anforderung (dort Art. 5) der Verordnung (EG) Nr. 1592/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Juli 2002 zur Festlegung gemeinsamer Vorschriften für die Zivilluftfahrt und zur Errichtung einer Europäischen Agentur für Flugsicherheit ist, deren Hauptziel gemäß Art. 2 Abs. 1 der Verordnung die Schaffung und Aufrechterhaltung eines einheitlichen, hohen Niveaus der zivilen Flugsicherheit in Europa ist.
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Darüber hinaus wird darauf hingewiesen, dass jeder einzelne der in Erwägungsgrund 14 genannten außergewöhnlichen Umstände einer sicheren Durchführung des Flugs entgegenstehe, und daraus gefolgert, dass zu den "Flugsicherheitsmängeln" alle Mängel, insbesondere auch technische Mängel zu zählen seien, die sich negativ auf die sichere Durchführung des Flugs auswirken könnten (Müller-Rostin, NZV 2007, 221, 224 f.; Makiol, Anm. zu AG Köln ZLW 2007, 336; vgl. auch Newcastle-upon-Tyne County Court, Urt. v. 30.12.2005, RRa 2006, 280). Wolle man die hohe Sicherheit des Luftverkehrs erhalten, müsse weiterhin dem Luftfahrtunternehmen das Recht zugestanden werden, Flüge, die ohne Einbußen an Sicherheit nicht durchgeführt werden könnten, zu streichen, ohne das Unternehmen den Sanktionen der Verordnung zu unterwerfen (Müller-Rostin, NZV 2007, 221, 225).
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(3) Wäre davon auszugehen, dass ein technischer Defekt, der die Lufttüchtigkeit beeinträchtigt, auch ein Flugsicherheitsmangel im Sinne des Erwägungsgrunds 14 sein kann, stellte sich die weitergehende Frage, wann dieser "unerwartet" ist. In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass es sich trotz Einhaltung der Wartungsintervalle nicht verhindern lasse, dass ein Einzelteil vor der nächsten fälligen Wartung defekt werde, etwa wegen vorzeitiger Materialermüdung oder übermäßiger Beanspruchung. Flugzeuge seien besonders komplexe technische Geräte, bei denen flug- und sicherheitsrelevante Bauteile von plötzlichen und unvorhersehbaren technischen Defekten betroffen sein könnten. Soweit die vorgeschriebenen Wartungsintervalle eingehalten worden seien, habe das ausführende Luftfahrtunternehmen alle zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung getroffen. Jeder technische Mangel, der der sicheren Durchführung des Flugs entgegenstehe, solle daher das Luftfahrtunternehmen entlasten können, sofern er trotz regelmäßiger Wartung ein unerwarteter Mangel sei (Müller-Rostin, NZV 2007, 221, 224 f.; vgl. auch AG Köln, Urt. v. 31.7.2007 - 118 C 547/06, juris; Urt. v. 17.1.2007 - 118 C 473/06, juris; LG Köln, Urt. v. 29.4.2008 - 11 S 176/07; AG Frankfurt am Main, Urt. v. 2.3.2007 - 31 C 3337/06; AG Köln RRa 2006, 275, 276 = ZLW 2007, 335 f.; zustimmend Makiol, ZLW 2007, 336 f.).
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dd) Dem lässt sich entgegenhalten, dass technische Probleme mit dem Betrieb von Luftfahrzeugen untrennbar verbunden sind und dementsprechend häufig vorkommen. Es steht also zu erwarten, dass sie trotz Einhaltung des für das Flugzeug geltenden Instandhaltungs- und Wartungsprogramms immer auftreten können. Dass sich allgemein derartige Probleme nicht verhindern lassen, kann daher nicht als außergewöhnlich angesehen werden. Sie sind im betrieblichen Ablauf eines Flugunternehmens normal. Da mit ihnen zu rechnen ist, könnte dies dagegen sprechen, dass diese Probleme generell unerwartete Flugsicherheitsmängel sein können (vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston v. 27.9.2007 - Rechtssache C-396/06 Kramme/SAS). Vielmehr ließe sich daraus die Schlussfolgerung ziehen, dass die vorgesehenen Wartungsintervalle nicht ausreichend sind.
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ee) In diesem Zusammenhang sind auch die in den Erwägungsgründen 1 und 4 genannten Ziele des Verbraucherschutzes und der Stärkung der Fluggastrechte zu berücksichtigen. Wie sich aus Erwägungsgrund 3 ergibt, sollte zwar mit der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 ein grundlegender Schutz für Fluggäste geschaffen und dabei berücksichtigt werden, dass die Zahl der gegen ihren Willen nicht beförderten Fluggäste immer noch zu hoch sei. Dasselbe gelte für nicht angekündigte Annullierungen und große Verspätungen. Aus diesem Grund sollten Luftfahrtunternehmen veranlasst werden, die Fluggäste vor der planmäßigen Abflugzeit über Annullierungen zu unterrichten, ihnen zumutbare anderweitige Beförderungen anzubieten oder ihnen einen Ausgleich zu leisten, und so Ärgernisse und Unannehmlichkeiten, die Fluggästen aus der Annullierung von Flügen entstehen, verringert werden (Erwägungsgrund 12). Art. 5 Abs. 3 der Verordnung, der somit eine Ausnahmeregelung gegenüber dem grundsätzlichen Anspruch auf Ausgleichszahlung enthält, könnte deshalb eng auszulegen sein (vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston v. 27.9.2007 - Rechtssache C-396/06 Kramme/SAS).
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ff) Es könnte daher auch eine Auslegung in Betracht kommen, wonach technische Probleme nur dann als außergewöhnliche Umstände im Sinne des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung anzusehen sind, wenn sie ihrer Art nach weder typischerweise von Zeit zu Zeit bei sämtlichen Luftfahrzeugen oder einem bestimmten Luftfahrzeugtyp auftreten noch das fragliche Luftfahrzeug zuvor beeinträchtigt haben (Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston v. 27.9.2007 - Rechtssache C-396/06 Kramme/SAS). Damit müssten solche technischen Defekte als außergewöhnliche Umstände ausscheiden, die trotz regelmäßiger Wartung häufiger auftreten oder sonst als gewöhnlich anzusehen sind.
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b) Ist es nicht generell ausgeschlossen, dass technische Defekte einen außergewöhnlichen Umstand darstellen können, bleibt zu klären, welche zumutbaren Maßnahmen ein ausführendes Luftfahrtunternehmen zur Vermeidung des technischen Defekts hätte ergreifen können.
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Hier könnten die für das betroffene Flugzeug geltenden Wartungs- und Instandhaltungsprogramme sowie Sicherheitsnormen und Auflagen der zuständigen Behörden oder Hersteller Bedeutung erlangen. Regelungen zur Instandhaltung von Flugzeugen im Interesse der Lufttüchtigkeit finden sich in der Verordnung (EG) Nr. 2042/2003 der Kommission vom 20. November 2003 über die Aufrechterhaltung der Lufttüchtigkeit von Luftfahrzeugen und lufttechnischen Erzeugnissen, Teilen und Ausrüstungen und die Erteilung von Genehmigungen für Organisationen und Personen, die diese Tätigkeit ausführen (ABl. L 315, S. 1). Beispielsweise muss ein Flugzeug gemäß einem Programm instand gehalten werden, das von der zuständigen Luftaufsichtsbehörde genehmigt ist und das Angaben unter anderem zur Häufigkeit der auszuführenden Instandhaltungsarbeiten enthält (M.A. 302, Anhang I der Verordnung Nr. 2042/2003). Sonstige Programme und Anweisungen der zuständigen Behörden und Hersteller können weitere Hinweise darauf geben, wann bereits Probleme aufgetreten sind, die im Interesse der Lufttüchtigkeit behoben werden müssen und die daher bei Wartungen zu berücksichtigen sind. Es könnte genügen , dass die Beachtung dieser Vorgaben den Rahmen dessen bestimmt, was von dem Luftfahrtunternehmen zumutbarerweise verlangt werden kann.
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c) Nach dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung bezieht sich der Relativsatz "die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen" auf "außergewöhnliche Umstände", nicht aber auf "Annullierung". Daraus ließe sich folgern, dass es nur darauf ankommt, ob sich die außergewöhnlichen Umstände (etwa der technische Defekt) auch bei Ergreifen aller zumutbaren Maßnahmen nicht hätten vermeiden lassen. Ob auch die Annullierung im Sinne einer Außerbetriebsetzung des betroffenen Flugzeugs und die Streichung des Flugs wegen Fehlens einer Ersatzmaschine bei Ergreifen aller zumutbarer Maßnahmen vermieden worden wären, wäre demnach unerheblich (a.A. Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston v. 27.9.2007 - Rechtssache C-396/06 Kramme/ SAS). Ist Anknüpfungspunkt für eine Entlastung des ausführenden Luftfahrtunternehmens allein der bei zumutbaren Maßnahmen nicht vermeidbare technische Defekt, kann es dann nicht darauf ankommen, ob durch Vorhaltung eines Ersatzflugs oder die Möglichkeit einer Subcharter auch die Nichtdurchführung des Flugs hätte vermieden werden können und ob solche Maßnahmen zumutbar gewesen wären (vgl. AG Köln, Urt. v. 31.7.2007 - 118 C 547/06, juris; Urt. v. 17.1.2007 - 118 C 473/06, juris). Für diese Auslegung könnte neben dem Wortlaut die insoweit abweichende Regelung in Art. 19 des Übereinkommens von Montreal sprechen, die ausdrücklich das Ergreifen zumutbarer Maßnahmen zur Vermeidung des Schadens, und nicht nur der Verspätung, verlangt.
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IV. Dass bei der Auslegung des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung die aufgezeigten Zweifel bestehen, zeigen auch die Vorabentscheidungsersuchen anderer Gerichte, die gegenwärtig beim Gerichtshof der Europäischen Gemein- schaften anhängig sind (Rechtssache C-432/07 Böck u. Lepuschitz/Air France SA und Rechtssache C-549/07 Wallentin-Hermann/Alitalia, jeweils auf Vorlage des Handelsgerichts Wien).
Melullis Keukenschrijver Mühlens
Bergmann Gröning
Vorinstanzen:
AG Berlin-Wedding, Entscheidung vom 29.03.2007 - 2 C 222/06 -
LG Berlin, Entscheidung vom 07.02.2008 - 57 S 26/07 -