Bundesgerichtshof Urteil, 20. Juli 2010 - X ZR 17/07

bei uns veröffentlicht am20.07.2010
vorgehend
Bundespatentgericht, 1 Ni 11/05, 10.10.2006

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
Verkündet am:
X ZR 17/07 20. Juli 2010
Anderer
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 20. Juli 2010 durch den Vorsitzenden Richter Scharen, den Richter
Keukenschrijver, die Richterin Mühlens und die Richter Gröning und
Dr. Grabinski

für Recht erkannt:
Die Berufung gegen das am 10. Oktober 2006 verkündete Urteil des 1. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Der Beklagte ist eingetragener Inhaber des deutschen Patents 42 35 038 (Streitpatents), das am 17. Oktober 1992 angemeldet und am 23. Februar 1995 erteilt wurde. Das Streitpatent betrifft eine Anlage zum Erwärmen von Brauchwasser und zum Abtöten von Legionellen in dem Brauchwasser. Es umfasst 26 Patentansprüche.
2
Patentanspruch 1 lautet wie folgt: "Anlage zum Erwärmen von Brauchwasser und zum Abtöten von Legionellen in diesem Brauchwasser mit einer Kaltwasserzuleitung (18) zu einem ersten Wärmeüberträger (10) zum Vorwärmen des zugeführten Kaltwassers und zum Abkühlen des Brauchwassers, das über eine Brauchwasser-Abgangsleitung (9) aus einem auf Desinfektionstemperatur erhitzten Desinfektionswasser-Kreislauf (1) und über eine Brauchwasser-Verteilungsleitung (11) zu den Zapfstellen (12) herangeführt wird, wobei der DesinfektionswasserKreislauf (1) aus einem Wasserwärmer (3), einer Ladepumpe (4), einem Brauchwasser-Speicher (7) und einem Puffer (6) besteht, der in Förderrichtung des Brauchwassers über die BrauchwasserAbgangsleitung (9) mit dem ersten Wärmeüberträger (10) verbunden ist, dadurch gekennzeichnet, dass die BrauchwasserVerteilungsleitung (11) zu den Zapfstellen (12), über eine Zirkulationsleitung (13), eine Zirkulationspumpe (14), eine BrauchwasserSammelleitung (15), über einen Rückflussverhinderer (16), einen Wassermengenbegrenzer (17), die Kaltwasserzuleitung (18) sowie über eine Zugangsleitung (23) mit der Ladepumpe (4) über den Wassererwärmer (3) und dem Puffer (6) zu einem Gesamtkreislauf (1, 2) verbunden ist."
3
Der Beklagte ist zudem Inhaber des europäischen Patents 0 594 020, welches die Priorität des Streitpatents in Anspruch nimmt, dessen Erteilungshinweis am 27. November 1996 veröffentlicht wurde und das Wirkung auch für die Bundesrepublik Deutschland hat.
4
Der Beklagte hat die Klägerin aus dem Streitpatent wegen Patentverletzung vor dem Landgericht Düsseldorf verklagt. Gegen dessen klageabweisendes Urteil hat der Beklagte Berufung eingelegt, über die das Oberlandesgericht Düsseldorf noch nicht entschieden hat.
5
Die Klägerin hat das Streitpatent im Umfang des Patentanspruchs 1 mit einer Nichtigkeitsklage angegriffen. Zur Begründung hat sie vorgetragen, dass das Streitpatent zwar im Umfang des Patentanspruchs 1 nach Art. II § 8 IntPatÜbkG keine Wirkung mehr habe, weil der Schutzbereich des Anspruchs 1 vollständig in dem Schutzbereich des europäischen Patents 0 594 020 enthalten sei. Dieses Ende der Wirkung des Streitpatents lasse jedoch nicht ihr Rechtsschutzbedürfnis entfallen, weil sie wegen Verletzung des Streitpatents in Anspruch genommen worden sei. In der Sache hat die Klägerin geltend gemacht , dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe, und sich dabei insbesondere auf die deutsche Offenlegungsschrift 38 13 288 (Anlage K 16) gestützt.
6
Das Patentgericht hat das Streitpatent im Umfang des Patentanspruchs 1 für nichtig erklärt. Es hat die Klage auch im Hinblick auf das Rechtsschutzbe- dürfnis der Klägerin als zulässig angesehen und zur Begründetheit im Wesentlichen ausgeführt, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 im Hinblick auf die deutsche Offenlegungsschrift 38 13 288 und das allgemeine Wissen und Können des Durchschnittsfachmanns am Tag der Anmeldung nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe.
7
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Beklagte mit seiner Berufung. Er vertritt die Ansicht, dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 des Streitpatents erfinderische Qualität habe.
8
Demgegenüber beantragt die Klägerin, die Berufung zurückzuweisen.
9
Im Auftrag des Senats hat Prof. Dr.-Ing. W. aus H. ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.

Entscheidungsgründe:


10
Die zulässige Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg.
11
I. Die Nichtigkeitsklage ist zulässig. Nach der Rechtsprechung des Senats bedarf es für die Nichtigkeitsklage gegen ein deutsches Patent auch dann keines besonderen Rechtsschutzbedürfnisses, wenn das Patent wegen des Doppelschutzverbots nach Art. II § 8 Abs. 1 IntPatÜbkG im Hinblick auf die bestandskräftige Erteilung eines europäischen Patents keine Wirkung mehr hat. Denn das Schutzrecht bleibt als solches auch nach Eintritt der Wirkungslosig- keit bestehen, so dass ein Interesse der Allgemeinheit am Widerruf eines rechtlich (weiter) bestehenden Patents nicht verneint werden kann, wenn es ungerechtfertigt erteilt worden ist, jedenfalls wenn der Kläger aus dem Patent in Anspruch genommen wird (vgl. für das Nichtigkeitsverfahren: Sen.Urt. v. 12.11.2002 - X ZR 118/99, Schulte-Kartei PatG 81-85 Nr. 310; Urt. v. 8.9.2009 - X ZR 15/07; vgl. auch für das Einspruchsverfahren: Beschl. v. 30.10.2007 - X ZB 18/06, GRUR 2008, 279 Tz. 15 - Kornfeinung). Dafür spricht auch, dass die Frage, in welchem Umfang das europäische Patent i.S. von Art. II § 8 Abs. 1 IntPatÜbkG dieselbe Erfindung schützt wie das deutsche, erst das Ergebnis einer Sachprüfung ist, deren Beantwortung im Hinblick auf Ausführungen, welche die in den Patentansprüchen vorgeschlagenen Lösungsmerkmale nicht wortsinngemäß verwirklichen, nicht abstrakt, sondern nur im Verletzungsverfahren unter Berücksichtigung der konkreten Ausgestaltung dieser Ausführungen beurteilt werden kann (vgl. BPatG 44, 133, 135; Benkard/Scharen, PatG, 10. Aufl., § 14 PatG Rdn. 100 m.w.N.), so dass sich deren Beantwortung im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung im Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren verbietet.
12
II. Das Streitpatent betrifft eine Anlage zum Erwärmen von Brauchwasser und zum Abtöten von Legionellen in diesem Brauchwasser 1. mit einer Kaltwasserzuleitung (18) zu einem ersten Wärmeüberträger (10) zum Vorwärmen des zugeführten Kaltwassers und zum Abkühlen des Brauchwassers, 2. das über eine Brauchwasser-Abgangsleitung (9) aus einem auf Desinfektionstemperatur erhitzten Desinfektionswasser-Kreislauf (1), 2.1 und über eine Brauchwasser-Verteilungsleitung (11) zu den Zapfstellen (12) herangeführt wird, 3. wobei der Desinfektionswasser-Kreislauf (1) 3.1 aus einem Wasserwärmer (3), 3.2 einer Ladepumpe (4), 3.3 einem Brauchwasser-Speicher (7) 3.4 und einem Puffer (6) besteht, 4. der in Förderrichtung des Brauchwassers über die Brauchwasser -Abgangsleitung (9) mit dem ersten Wärmeüberträger (10) verbunden ist.
13
Derartige Anlagen sind insbesondere aus Figur 4 der deutschen Patentschrift 38 40 516 bekannt, auf die in der Streitpatentschrift hingewiesen und die nachfolgend wiedergegeben wird:
14
Die in Figur 4 gezeigte Anlage besteht aus einem BrauchwasserErwärmungskreislauf (2) und einem Brauchwasser-Verteilerkreis (3). In dem Brauchwasser-Erwärmungskreislauf wird das Kaltwasser über die Leitung (18) zu einem ersten Wärmeüberträger (10) geführt und dort vorgewärmt. Das vorgewärmte Wasser wird in einen Desinfektionskreislauf weitergeleitet, der aus einer Ladepumpe (14), einem zusätzlichen Wärmeüberträger (32), einem Wasserwärmer (23), einem Puffer (29) und einem Brauchwasserspeicher (22) be- steht. Aus dem Desinfektionskreislauf wird das Heißwasser während eines Zapfvorgangs über die Leitung (28), den Wärmeüberträger (19), der das Wasser wieder auf Gebrauchstemperatur abkühlt, und die Leitung (18/7) zum Brauchwasser-Verteilerkreis (3) mit den Zapfstellen (21) weitergeleitet.
15
Wenngleich in derartigen Anlagen Legionellen abgetötet werden und ein energiewirtschaftlicher Betrieb ermöglicht wird, ist nach den weiteren Ausführungen in der Streitpatentschrift durch Untersuchungen festgestellt worden, dass sich Legionellen im Zirkulationswasser-Kreislauf, der vor allem aus der Brauchwasser-Verteilungsleitung zu den Zapfstellen, einer Zirkulationspumpe und einer Brauchwasser-Sammelleitung besteht, nicht vermeiden lassen. Die Ursache für die Bildung der Legionellen besteht den Untersuchungen zufolge trotz Beschickung des Zirkulationswasser-Kreislaufs mit bereits desinfiziertem Wasser im Wesentlichen darin, dass bei der Erstbefüllung der Anlage mit Kaltwasser Legionellen in den Zirkulationswasser-Kreislauf eingeschleust werden, aus welchem sie sich insbesondere bei großen Anlagen, wie sie etwa in Krankenhäusern , Altenheimen, Hotels oder Kasernen vorhanden sind, mit den üblichen Mitteln thermischer Desinfektion nicht mehr beseitigen lassen.
16
Das Streitpatent geht danach von dem Problem aus, eine Anlage zu schaffen, mit welcher bei weiterhin energiewirtschaftlichem Betrieb auch die in den Zirkulationswasser-Kreislauf gelangten Legionellen abgetötet oder zumindest erheblich reduziert werden können.
17
Das soll nach Patentanspruch 1 des Streitpatents durch eine Anlage erreicht werden, bei welcher die einleitend genannten Merkmale mit folgenden weiteren Merkmalen kombiniert werden: 5. Die Brauchwasser-Verteilungsleitung (11) zu den Zapfstellen (12) ist 5.1 über eine Zirkulationsleitung (13), 5.2 eine Zirkulationspumpe (14), 5.3 eine Brauchwasser-Sammelleitung (15), 5.4 über einen Rückflussverhinderer (16), 5.5 einen Wassermengenbegrenzer (17), 5.6 die Kaltwasserzuleitung (18) 5.7 sowie über eine Zugangsleitung (23), 6. mit der Ladepumpe (4), 6.1 über den Wasserwärmer (3), 6.2 und dem Puffer (6) 6.3 zu einem Gesamtkreislauf (1, 2) verbunden.
18
Die erfindungsgemäße Anlage zum Erwärmen von Brauchwasser und zum Abtöten von Legionellen in diesem Brauchwasser weist zunächst eine Kaltwasserleitung (18) zu einem ersten Wärmeüberträger (10) auf. Der Wärmeüberträger (10) dient dem Vorwärmen des Kaltwassers und der Abkühlung des Brauchwassers, welches über eine Brauchwasser-Abgangsleitung (9) aus einem auf Desinfektionstemperatur erhitzten Desinfektionswasser-Kreislauf (1) stammt (Merkmal 1.1), wie aus der nachfolgend wiedergegebenen Figur 1 des Streitpatents hervorgeht, welche die Lehre aus Patentanspruch 1 beispielhaft veranschaulicht:
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Der Desinfektionswasser-Kreislauf (1) besteht aus einem Wasserwärmer (3), einer Ladepumpe (4), einem Brauchwasser-Speicher (7) und einem Puffer (6) (Merkmalsgruppe 3). Die Ladepumpe ist vorgesehen, um das Wasser im Desinfektionswasser-Kreislauf (1) umzuwälzen. Mit dem Wasserwärmer (3) kann das im Desinfektionswasser-Kreislauf (1) umgewälzte Wasser auf eine Temperatur erhitzt werden, die eine thermische Desinfektion ermöglicht. Der Puffer (6) dient als Reaktionsort zur Durchführung der Legionellen-Desinfektion (Streitpatentschrift, Sp. 3, Z. 16 ff.). In dem Desinfektionswasser-Kreislauf (1) kann das Abtöten der Legionellen im zugeführten Brauchwasser mithin dadurch sichergestellt werden, dass der Wasserwärmer (3) das von der Ladepumpe (6) umgewälzte Wasser auf Desinfektionstemperatur erhitzt (Merkmal 2) und die Größe des Puffers (6) so ausgelegt ist, dass die erforderliche Reaktionszeit eingehalten wird. Beispielsweise erfordert nach den Angaben der Streitpatentschrift eine Desinfektionstemperatur von 65° C eine Reaktionszeit von mindestens 15 Minuten und eine Desinfektionstemperatur von 70° C eine Reaktionszeit von mindestens 4 Minuten (Streitpatentschrift, Sp. 3, Z. 65 ff.).
20
Der Desinfektionskreislauf ist in Förderrichtung des Brauchwassers über die Brauchwasser-Abgangsleitung (9) mit dem ersten Wärmeüberträger (10) verbunden (Merkmal 4), so dass das auf Desinfektionstemperatur erhitzte, desinfizierte Brauchwasser auf Brauchtemperatur abgekühlt werden kann, während gleichzeitig das Kaltwasser vorgewärmt werden kann (Merkmal 1). Das derart auf Brauchwassertemperatur eingestellte Brauchwasser kann sodann über die Brauchwasser-Verteilungsleitung (11) zu den Zapfstellen herangeführt werden (Merkmal 2.1).
21
Die Verbindung der Brauchwasser-Verteilungsleitung (11) über eine Zirkulationsleitung (13), eine Zirkulationspumpe (14), eine BrauchwasserSammelleitung (15), einen Rückflussverhinderer (16), einen Wassermengenbegrenzer (17), die Kaltwasserzuleitung (18) und eine Zugangsleitung (23) mit der Ladepumpe (4) über den Wasserwärmer (3) und den Puffer (6) zu einem Gesamtkreislauf (Merkmalsgruppen 5 und 6) ermöglicht es bei hinreichender Dauer der Zapfruhe, dass das im Gesamtkreislauf (1, 2) befindliche Brauchwasser dem Wasserwärmer (3) durch die Ladepumpe (4) zur Erwärmung auf Desinfektionstemperatur zugeführt wird und im Puffer (6) solange verbleibt, dass die Reaktion erfolgen kann, die zur Abtötung von im Brauchwasser befindlichen Legionellen erforderlich ist (vgl. Streitpatentschrift, Sp. 2, Z. 4 ff.). Zudem hat eine solche Anordnung den Vorteil, dass die zur Desinfektion erforderlichen hohen Temperaturen auf einen örtlich sehr begrenzten Bereich beschränkt werden können (Streitpatentschrift, Sp. 1, Z. 65 ff.).
22
Der Desinfektionswasser-Kreislauf (1) der in Patentanspruch 1 geschützten Anlage weist aus der maßgeblichen Sicht des Durchschnittsfachmanns, bei dem es sich um einen Diplom-Ingenieur (FH) der Fachrichtung Versorgungstechnik , Verfahrenstechnik oder Maschinenbau mit Erfahrung im Bereich der technischen Gebäudeausrüstung, Schwerpunkt Heizungs- und Sanitärtechnik (vgl. Urteil des Patentgerichts, S. 13; Sachverständigengutachten, S. 4) handelt, nicht zwingend eine Verbindungsleitung (30) auf, die das Speichervolumen (7) mit der Ladepumpe (4) verbindet, so dass bei Zapfruhe die über die Förderleistung der Zirkulationspumpe (4) hinausgehende Förderleistung der Ladepumpe (4) das im Brauchwasser-Speicher (5) befindliche Speichervolumen (7) ansaugen kann, mit der Folge, dass dieses wieder im Desinfektionswasser-Kreislauf (1) auf Desinfektionstemperatur erhitzt werden kann. Eine solche Ausgestaltung ist zwar in der oben wiedergegebenen Figur 1 des Streitpatents gezeigt und wird in der Beschreibung erläutert (Streitpatentschrift, Sp. 8, Z. 22 ff.). Dabei handelt es sich jedoch lediglich um eine "vorteilhafte Weiterbildung der Erfindung" (Streitpatentschrift, aaO), welche in der genannten Anordnung erst Gegenstand des Patentanspruchs 3 ist, der seinerseits unter anderem auf Patentanspruch 1 zurückverweist. Für die Lehre aus Patentanspruch 1 ergibt sich daraus , dass es zwar eine Verbindungsleitung zwischen dem BrauchwasserSpeicher bzw. dem Puffer und der Ladepumpe bzw. dem Wasserwärmer geben muss, weil es sich sonst nicht um einen Desinfektionswasser-"Kreislauf" handeln würde, die Ausgestaltung der Verbindungsleitung ansonsten aber nicht weiter bestimmt ist.
23
Der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung die Ansicht vertreten, den Merkmalen 2 und 5.6 im Rahmen der Gesamtlehre aus Patentanspruch 1 des Streitpatents sei zu entnehmen, dass bei Zapfruhe das von der Brauchwasser -Verteilungsleitung über die Brauchwasser-Sammelleitung herangeführte Brauchwasser über die Kaltwasserleitung geleitet werde, damit es weiter zum ersten Wärmeüberträger gelangen könne. Dadurch stelle sich der positive Effekt ein, dass das auf dem Weg durch die Brauchwasser-Verteilungsleitung bzw. die Brauchwasser-Sammelleitung teilweise erkaltete Wasser im ersten Wärmeüberträger das über die Brauchwasser-Abgangsleitung herangeführte, von dem Wasserwärmer auf Desinfektionstemperatur erhitzte Brauchwasser abkühlen könne und gleichzeitig vorgewärmt werde.
24
Der Auslegung des Beklagten kann nicht beigetreten werden. Die Merkmalsgruppen 5 und 6, insbesondere Merkmal 5.6, sehen allein vor, dass die Brauchwasser-Verteilungsleitung zu den Zapfstellen bzw. die BrauchwasserSammelleitung über die Kaltwasserzuleitung mit der Ladepumpe über den Wasserwärmer und den Puffer zu einem Gesamtkreislauf verbunden ist. Den Merkmalen ist hingegen nicht zu entnehmen, dass das Brauchwasser, welches bei Zapfruhe von den Zapfstellen über die Brauchwasser-Sammelleitung herangeführt wird, weiter durch die Kaltwasserzuleitung zum ersten Wärmeüberträger strömen soll, damit es dort das über die Brauchwasser-Abgangsleitung dem Wärmüberträger zugeführte Brauchwasser abkühlen und sich gleichzeitig vorwärmen kann. Auch aus Merkmal 1 ergibt sich für den Fachmann lediglich, dass die Kaltwasserzuleitung mit dem ersten Wärmeüberträger verbunden ist, damit - im Verbrauchsfall - zugeführtes Kaltwasser vorgewärmt und vom Puffer kommendes Brauchwasser auf Brauchtemperatur abgekühlt wird. Hingegen verhält sich das Merkmal nicht zum Zustand bei Zapfruhe, wenn kein Kaltwas- ser in den Gesamtkreislauf gelangt und ausschließlich Brauchwasser im Gesamtkreislauf zirkuliert.
25
Dieses Verständnis verfestigt sich, wenn Patentanspruch 8 und das in Figur 1 gezeigte Ausführungsbeispiel mit zur Auslegung herangezogen werden. Denn darin ist eine Anlage beschrieben bzw. wiedergegeben, bei der aufgrund der Anordnung eines Kaltwassermengen-Regelventils (20) in der Kaltwasserzuleitung (18) das über die Brauchwasser-Sammelleitung (15) von den Zapfstellen (12) herangeführte Brauchwasser auch an dem Wärmeüberträger (10) vorbei zur Zugangsleitung weitergeleitet werden kann. Das ergibt sich daraus, dass das Kaltwassermengen-Regelventil (20) als Dreiwegeventil ausgebildet ist, dessen erster Weg (20a) mit dem Zufluss der Kaltwasserleitung (18), dessen zweiter Weg (20b) über eine Zwischenleitung (21) mit dem ersten Wärmeüberträger (10) und aus diesem (10) heraus über eine Verbindungsleitung (22) wie der dritte Weg (20c) mit der Zugangsleitung (23) zum Brauchwasser-Speicher (5) verbunden ist. Das von den Zapfstellen (12) über die BrauchwasserSammelleitung (15) herangeführte Brauchwasser muss also bei Zapfruhe nicht notwendigerweise über den ersten und den zweiten Weg (20a und 20b) geführt werden, sondern kann alternativ auch über den ersten und den dritten Weg (20a und 20c) an dem Wärmeüberträger (10) vorbei geleitet werden. Da sich Patentanspruch 8 u.a. auf Patentanspruch 1 zurückbezieht, bestätigt sich somit, dass Patentanspruch 1 nicht entnommen werden kann, dass bei Zapfruhe das über die Brauchwasser-Sammelleitung herangeführte Wasser durch die Kaltwasserzuleitung strömt, damit es zu dem ersten Wärmeüberträger gelangen und dort zur Abkühlung des über die Brauchwasser-Abgangsleitung herangeführten Brauchwassers verwendet werden kann.
26
Daran ändert auch der Umstand nichts, dass das in Figur 1 gezeigte Kaltwassermengen-Regelventil (20) von einem Temperaturfühler (24) regelbar ist, der in der Brauchwasser-Verteilungsleitung (11) zu den Zapfstellen (12) angeordnet ist (Streitpatentschrift, Sp. 8, Z. 5 ff.). Denn zum einen ist ein solcher Temperaturfühler nicht mehr Gegenstand von Patentanspruch 8, sondern wird erst in Patentanspruch 9 beschrieben, so dass die vorstehende, sich auf Patentanspruch 8 beziehende Argumentation davon unberührt bleibt. Zum anderen ist auch weder in Patentanspruch 9 noch in der Beschreibung des in Figur 1 gezeigten Ausführungsbeispiels beschrieben, dass das Kaltwasser-Regelventil (20) auch bei Zapfruhe über den Temperaturfühler (24) geregelt wird.
27
Auch sonst wird an keiner Stelle der Streitpatentschrift erwähnt oder in einer der zahlreichen Figuren gezeigt, dass die Kaltwasserzuleitung Bestandteil des Gesamtkreislaufs ist, damit bei Zapfruhe über die Brauchwasser-Sammelleitung kommendes Brauchwasser im ersten Wärmeüberträger das über die Brauchwasser-Abgangsleitung herangeführte Brauchwasser abkühlen kann. Wie der gerichtliche Sachverständige in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, ergibt sich ein solches Verständnis schließlich nicht aus Überlegungen, die auf dem allgemeinen Wissen und Können des Fachmanns am Anmeldetag beruhen.
28
Im Ergebnis ist daher dem Patentgericht zuzustimmen, welches die Verbindung der Brauchwasser-Sammelleitung mit der Kaltwasserzuleitung als im Hinblick auf das der Erfindung zugrunde liegende Problem beliebige und demnach in das Ermessen des Fachmanns gestellte Maßnahme angesehen hat (vgl. Urt. v. 10.10.2006, Umdruck, S. 13), was im Übrigen von dem gerichtlichen Sachverständigen auch in seinem Gutachten ausgeführt (Gutachten, S. 25) und in seiner Anhörung bestätigt worden ist.

29
Der Wassermengenbegrenzer (17), welcher Teil der BrauchwasserVerteilungsleitung (11) zu den Zapfstellen (12) ist, dient der Steuerung der Zirkulations -Wassermenge, die aus der Brauchwasser-Sammelleitung dem Desinfektionswasserkreislauf zugeführt wird, so dass eine konstante Desinfektionstemperatur durch die Ladepumpe und den Wasserwärmer sichergestellt werden kann (vgl. Streitpatentschrift, Sp. 2, Z. 41 ff.). Der gleichfalls als Bestandteil der Brauchwasser-Verteilungsleitung (11) vorgesehene Rückflussverhinderer (16) soll im Gesamtkreislauf eine eindeutige Strömungsrichtung gewährleisten (Streitpatentschrift, Sp. 2, Z. 55 f.).
30
III. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents ist nicht patentfähig (§ 1 Abs. 1 PatG).
31
1. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist zwar neu (§ 3 PatG).
32
Die deutsche Offenlegungsschrift 38 13 288 (Anlage K 16), aus dem die nachfolgend wiedergegebene Zeichnung stammt: offenbart gemäß Merkmal 1 eine Warmwasserbereitungsanlage, mit einer Kaltwasserzuleitung (Kaltwasserzufluss 6) zu einem ersten Wärmeüberträger (zweiter Wärmetauscher 1) zum Vorwärmen des zugeführten Kaltwassers und zum Abkühlen des (über den Wassereinlass 10) zugeführten ("auf etwa 70° C erwärmten" ) Brauchwassers (Anlage K 16, Sp. 2, Z. 18 ff.). Das Brauchwasser wird auch entsprechend den Merkmalen 2 und 2.1 über eine BrauchwasserAbgangsleitung aus dem Verweilbehälter (4) und über eine BrauchwasserVerteilungsleitung der Mischbatterie (5) zu den Zapfstellen herangeführt (vgl. Anlage K 16, Sp. 2, Z. 43 ff.).
33
Der obere Bereich des Verweilbehälters (4) ist ein Puffer im Sinne des Merkmals 3.4. Denn in der Entgegenhaltung wird erläutert, dass das Speichervolumen oberhalb des Thermostaten (15) so groß ist, dass auch bei einer maximalen Warmwasser-Entnahme die Verweildauer des auf die bestimmte Temperatur erwärmten Warmwassers zum Abtöten der Legionellen gewährleistet ist (Anlage K 16, Sp. 4, Z. 29 ff.). Der Bereich oberhalb des Thermostaten (15) im Verweilbehälter (4) dient also als Reaktionsort zur Durchführung der Legionel- len-Desinfektion und erfüllt damit die Aufgabe des erfindungsgemäßen Puffers. Der Teil unterhalb des Thermostaten (15) dient demgegenüber als Brauchwasserspeicher gemäß Merkmal 3.3. Schließlich weist die gezeigte Anlage, wie in den Merkmalen 3.1 und 3.2 vorgesehen, einen Wasserwärmer (erster Wärmetauscher
2) auf, welcher das Wasser auf Desinfektionstemperatur (Anlage K 16, Sp. 2, Z. 28 ff.: "etwa 65° bis 70° C") erhitzt, und verfügt über eine Ladepumpe (Warmwasser-Ladepumpe 13).
34
Der Wasserwärmer, die Ladepumpe, der Brauchwasserspeicher und der Puffer der offenbarten Anlage sind auch Bestandteile eines DesinfektionsKreislaufes im Sinne der Lehre aus Patentanspruch 1 des Streitpatents. Denn das von dem ersten Wärmeüberträger (zweiter Wärmetauscher 1) vorgewärmte Kaltwasser und das über die Mischbatterie zirkulierende Brauchwasser werden über eine Zugangsleitung von der Ladepumpe (Wärme-Ladepumpe 13) zunächst zum Wasserwärmer (erster Wärmetauscher 2) gefördert, der das Wasser auf Desinfektionstemperatur erhitzt. Anschließend wird das Wasser zum Puffer (oberer Bereich des Verweilbehälters 4) weitergeleitet, in dem es so lange verweilt, dass die Desinfektionsreaktion zur Abtötung der Legionellen erfolgen kann.
35
Damit ist ein Desinfektionskreislauf im Sinne der Lehre aus Patentanspruch 1 des Streitpatents offenbart. Wie der gerichtliche Sachverständige bei seiner Anhörung erläutert hat, stellt sich die weitere Zirkulation des Wassers nach seiner Desinfektion im Puffer (oberer Bereich des Verweilbehälters 4) bei Wasser-Entnahme in einer Menge unterhalb der Förderkapazität der Ladepumpe (Wärme-Ladepumpe 13) wie folgt dar: Ein Teil des desinfizierten Wassers wird über die Brauchwasser-Verteilungsleitung (12) der Mischbatterie bzw. den Zapfstellen zugeführt, während ein anderer Teil des desinfizierten Wassers - wie auch von dem Stromrichtungspfeil unterhalb des Verweilbehälters (4) in Figur 2 der Entgegenhaltung angedeutet wird - von der Ladepumpe (13) angesogen und von dieser zusammen mit dem über der Zugangsleitung herangeführten Wasser wieder zum Wasserwärmer (erster Wärmetauscher 2) gefördert wird. Damit ist ein erfindungsgemäßer Desinfektionswasser-Kreislauf offenbart, wie er gleichermaßen auch bei der in Figur 1 des Streitpatents gezeigten Anlage vorhanden ist, bei der sich der Strom des im Puffer (6) desinfizierten Brauchwasser gleichfalls in zwei Teilströme unterteilen kann. Während der eine Teilstrom vom Puffer (6) zu den Zapfstellen weitergeführt wird, wird der zweite Teilstrom - wie auch in Figur 1 des Streitpatents von dem Stromrichtungspfeil bei der Verbindungsleitung (30) angezeigt wird - aus dem Brauchwasser-Speicher über die Verbindungsleitung (30) von der Ladepumpe (4) angesaugt und von dieser zusammen mit dem über die Zugangsleitung (23) angesaugten Wasser wieder dem Wasserwärmer (3) zugeführt.
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Dem steht nicht entgegen, dass nach den weiteren Erläuterungen des gerichtlichen Sachverständigen in einem Betriebszustand, in dem so viel Wasser nachgefragt wird, dass es die Ladepumpe (13) in der Entgegenhaltung nicht mehr schafft, Wasser über die am unteren Teil des Verweilbehälters (4) angeordnete Verbindungsleitung anzusaugen (vgl. Anlage 4, der von dem Sachverständigen im Termin überreichten Anlagen), das über die Zugangsleitung herangeführte Wasser sich in zwei Teilströme aufteilt und zwar in einen Teilstrom, der von der Ladepumpe (13) angesaugt wird, und einen zweiten Teilstrom, der - wie sich auch durch den Strömungsrichtungspfeil unterhalb des Verweilbehälters (4) in Figur 2 der Entgegenhaltung andeutet - unmittelbar durch den Verweilbehälter (4) einschließlich des darin im oberen Bereich angeordneten Puffers gefördert wird.
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Die Möglichkeit, dass ein solcher Betriebszustand bei der Anlage aus der Entgegenhaltung entstehen kann, hindert die Offenbarung eines Desinfektionskreislaufs im Sinne der Lehre aus Patentanspruch 1 des Streitpatents jedoch schon deshalb nicht, weil dies gleichermaßen auch bei der in Figur 1 des Streitpatents gezeigten Anlage eintreten kann. Denn, wie gleichfalls erläutert worden ist, spaltet sich auch bei dieser Anlage in der Streitpatentschrift ausdrücklich als "Ausführungsbeispiel nach der Erfindung" bezeichneten Anlage (Streitpatentschrift , Sp. 6, Z. 20 ff.) der von der Zugangsleitung (23) kommende Wasserstrom in dem Falle, dass bei den Zapfstellen so viel Wasser nachgefragt wird, dass die Ladepumpe (4) kein Wasser mehr über die Verbindungsleitung (30) ansaugen kann, in einen ersten Teilstrom, der von der Ladepumpe (4) angesaugt und zum Wasserwärmer (3) gefördert wird, und in einen zweiten Teilstrom , der - wie sich auch in Figur 1 des Streitpatents durch den Stromrichtungspfeil bei der Verbindungsleitung (30) andeutet - unmittelbar durch den Brauchwasser-Speicher und dann zusammen mit dem vom Puffer (6) kommenden Teilstrom über die Brauchwasser-Verteilungsleitung (11) weiter geführt wird.
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In der Beschreibung des Streitpatents wird überdies an mehreren Stellen ausgeführt, dass die in Figur 1 des Streitpatents gezeigte Anlage - wie alle in der Streitpatentschrift beschriebenen Ausführungsbeispiele - einen erfindungsgemäßen Desinfektionswasser-Kreislauf aufweisen, woraus sich für den Fachmann ohne weiteres ergibt, dass auch die in Figur 2 der Entgegenhaltung offenbarte Anlage einen solchen aufweist. Schließlich hat auch der gerichtliche Sachverständige bei seiner Anhörung die Anordnungen in den Figuren 2 der Entgegenhaltung und 1 des Streitpatents als hinsichtlich des Vorhandenseins eines Desinfektionswasser-Kreislaufs identisch angesehen und insoweit seinen Vermerk "Fall 2: ohne Desinfektionskreislauf", der sich im Übrigen sowohl auf die ausschnittsweise gezeigte Figur 2 der Entgegenhaltung als auch auf die Figur 1 des Streitpatents bezogen hat, relativiert.
39
Die Brauchwasser-Verteilungsleitung der in der Entgegenhaltung offenbarten Warmwasserbereitungsanlage ist weiterhin über eine Zirkulationsleitung (Leitung vor der Zirkulationspumpe 17), eine Zirkulationspumpe (17), eine Brauchwassersammelleitung (Leitung nach der Zirkulationspumpe 17) sowie eine Zugangsleitung mit der Ladepumpe (Warmwasser-Ladepumpe 13) über den Wasserwärmer (Wärmetauscher 2) und dem Puffer (oberer Bereich des Verweilbehälters 4) zu einem Gesamtkreislauf verbunden, wie in den Merkmalen 5 bis 5.3 und 5.7 bis 6.3 vorgesehen. Dem steht nicht entgegen, dass bei der Warmwasserbereitungsanlage hinter der Zirkulationspumpe (17) ein Magnetventil (19) angeordnet ist, das von einem am Auslass der Mischbatterie (5) vorgesehenen Temperaturfühler gesteuert wird und sich nur dann öffnet, wenn die Warmwasser-Temperatur unter 45° C bis 50° C sinkt, so dass das Wasser auch nur unter dieser Voraussetzung über die Ladepumpe (WarmwasserLadepumpe 13), den Wasserwärmer (Wärmetauscher 2) und den Puffer (oberer Bereich des Verweilbehälters 4) in dem Gesamtkreislauf zirkulieren kann (vgl. Anlage K 16, Sp. 3, Z. 20 ff.). Denn, wie bereits das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat (Urteil, S. 12) und von dem gerichtlichen Sachverständigen bestätigt wurde (Sachverständigengutachten, S. 25 f.), schließt die Lehre aus Patentanspruch 1 des Streitpatents die Anordnung eines temperaturgeregelten Schaltventils nicht aus. Für einen solchen Ausschluss findet sich nicht nur im Wortlaut des Anspruchs kein Hinweis. Hinzu kommt, dass in dem in Figur 3 des Streitpatents gezeigten und in der Beschreibung sowie in Unteranspruch 11 erläuterten Ausführungsbeispiel in der Brauchwasser-Sammelleitung (15) in Strömungsrichtung ein Zirkulationswasser-Verteilventil (33) vorgesehen ist, das die Verbindung von der Zirkulationspumpe (14) zum ersten Wärmeüberträger (10) nur in Abhängigkeit von einer Zeitschaltuhr (36) oder der Desinfektionstemperatur im Desinfektionswasser-Kreislauf (1) ganz oder teilweise öffnet, so dass das Wasser ansonsten lediglich ganz oder teilweise über die erste Bypass -Leitung (34) in der Brauchwasser-Verteilungsleitung (11) zirkuliert (vgl. Streitpatentschrift, Sp. 9, Z. 4 ff.; Unteranspruch 11).
40
Die in der deutschen Offenlegungsschrift 38 13 288 (Anlage K 16) beschriebene Warmwasserbereitungsanlage weist allerdings weder einen Rückflussverhinderer noch einen Wassermengenbegrenzer nach den Merkmalen 5.4 und 5.5 auf. Außerdem ist die Kaltwasserzuleitung nicht Teil des Gesamtzirkulationswasser -Kreislaufs, wie es in Merkmal 5.6 vorgesehen ist.
41
Die weiteren Entgegenhaltungen liegen weiter Weg vom Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents, was von den Parteien in der mündlichen Verhandlung auch nicht mehr in Abrede gestellt worden ist, so dass sich eine Erörterung insoweit erübrigt.
42
2. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 ergibt sich aber für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik (§ 4 PatG).
43
Wie bereits das Patentgericht zutreffend dargelegt hat (Urteil, S. 13 ff.), von dem gerichtlichen Sachverständigen bestätigt (Sachverständigengutachten, S. 27) und von dem Beklagten nicht mehr in Zweifel gezogen worden ist, lag es für den Fachmann aufgrund seiner Kenntnisse und Erfahrungen als fachübliche Maßnahme nahe, in der Zirkulationsleitung der aus der deutschen Offenlegungsschrift 38 13 288 bekannten Warmwasserbereitungsanlage einen Rückflussverhinderer zur eindeutigen Bestimmung der Strömungsrichtung und einen Wassermengenbegrenzer zur Sicherstellung einer konstanten Desinfektionstemperatur entsprechend der Merkmale 5.4 und 5.5 vorzusehen.
44
Gleiches gilt für das Merkmal 5.6, wonach die Kaltwasserleitung Teil des Gesamtkreislaufs ist. Wie oben dargelegt, ist der Lehre aus Patentanspruch 1 des Streitpatents auch bei Heranziehung der Beschreibung und der Zeichnungen nicht zu entnehmen, dass bei Zapfruhe das von der BrauchwasserVerteilungsleitung über die Brauchwasser-Sammelleitung herangeführte Brauchwasser über die Kaltwasserzuleitung geführt wird, damit es zu dem ersten Wärmeüberträger gelangen und dort das von der BrauchwasserAbgangsleitung herangeführte, auf Desinfektionstemperatur erhitzte Brauchwasser abkühlen und sich gleichzeitig vorwärmen kann. Die Vorgabe, dass die Kaltwasserleitung Teil des Gesamtkreislaufes sein soll, stellt sich daher als für den Erfolg der erfindungsgemäßen Lehre unwesentliche und damit beliebige Maßnahme dar, die eine erfinderische Tätigkeit nicht zu begründen vermag.
45
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG i.V.m. §§ 92, 97 ZPO.
Scharen Keukenschrijver Mühlens
Gröning Grabinski
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 10.10.2006 - 1 Ni 11/05 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 20. Juli 2010 - X ZR 17/07

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Lastenausgleichsgesetz - LAG

Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

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(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last. (2) Das Ger
Bundesgerichtshof Urteil, 20. Juli 2010 - X ZR 17/07 zitiert 10 §§.

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 118/99 Verkündet am: 12. November 2002 Wermes Justizhauptsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Der X. Zivilsenat des Bundesger

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(1) Die Veröffentlichung einer internationalen Anmeldung nach Artikel 21 des Patentzusammenarbeitsvertrags, für die das Deutsche Patent- und Markenamt Bestimmungsamt ist, hat die gleiche Wirkung wie die Veröffentlichung eines Hinweises nach § 32 Abs. 5 des Patentgesetzes für eine beim Deutschen Patentamt eingereichte Patentanmeldung (§ 33 des Patentgesetzes). Ein Hinweis auf die Veröffentlichung wird im Patentblatt bekanntgemacht.

(2) Ist die internationale Anmeldung vom Internationalen Büro nicht in deutscher Sprache veröffentlicht worden, so veröffentlicht das Deutsche Patent- und Markenamt die ihm zugeleitete Übersetzung der internationalen Anmeldung von Amts wegen. In diesem Fall treten die Wirkungen nach Absatz 1 erst vom Zeitpunkt der Veröffentlichung der deutschen Übersetzung an ein.

(3) Die nach Artikel 21 des Patentzusammenarbeitsvertrags veröffentlichte internationale Anmeldung gilt erst dann als Stand der Technik nach § 3 Abs. 2 des Patentgesetzes, wenn die in § 4 Abs. 2 genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 118/99 Verkündet am:
12. November 2002
Wermes
Justizhauptsekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Ver-
handlung vom 12. November 2002 durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Melullis, die Richter Prof. Dr. Jestaedt, Scharen, die Richterin Mühlens
und den Richter Asendorf

für Recht erkannt:
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 12. Januar 1999 verkündete Urteil des 2. Senats (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Der Beklagte ist eingetragener Inhaber des deutschen Patents 40 26 777 (Streitpatents I), das am 24. August 1990 angemeldet worden ist. Es betrifft einen Satz zylindrischer Körper für Osteosynthesearbeiten und umfaßt

acht Patentansprüche. Der Beklagte ist weiter eingetragener Inhaber des unter anderem für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 472 017 (Streitpatents II), das auf einer Anmeldung vom 31. Juli 1991 beruht, mit der die Priorität der vorgenannten deutschen Patentanmeldung in Anspruch genommen worden ist und das vom Deutschen Patent- und Markenamt unter Nr. 591 03 027 geführt wird. Dieses betrifft einen Satz zylindrischer Körper mit an der Außenfläche angeformtem Gewinde und umfaßt zwölf Patentansprüche.
Die Klägerin greift mit ihrer Teilnichtigkeitsklage jeweils die Patentansprüche 1, 2, 5 und 7 der Streitpatente an. Die angegriffenen Ansprüche des Streitpatents I lauten wie folgt:
"1. Satz zylindrischer Körper für Osteosynthesearbeiten, von denen jeder ein in Form einer Schraubenlinie in der Außenfläche ausgeformtes Gewinde aufweist, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , daß das Gewinde auch bei unterschiedlichen Außendurchmessern (d) der zylindrischen Körper gleiche Steigung (h) besitzt.
2. Satz zylindrischer Körper nach Anspruch 1, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , daß das Gewinde auch bei unterschiedlichen Kerndurchmessern (d ) der zylin- k drischen Körper gleiche Steigung (h) besitzt.
5. Satz zylindrischer Körper nach einem der vorhergehenden Ansprüche,

d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , daß der Durchmes- ser der ersten Gewindegänge dem der Gewindegänge der nächstkleineren zylindrischen Körper angenähert ist und sich dann vergrößert.
7. Satz zylindrischer Körper nach einem der vorhergehenden Ansprüche, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , daß die zylindrischen Körper als Knochenschrauben und/oder Gewindebohrer ausgebildet sind."
Die angegriffenen Ansprüche des Streitpatents II haben in der Verfahrenssprache Deutsch folgenden Wortlaut:
"1. Satz zylindrischer Schrauben mit unterschiedlichen Außendurchmessern , wobei die Schrauben ein in Form einer Schraubenlinie in der Außenfläche ausgeformtes Gewinde aufweisen, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , daß trotz unterschiedlicher Außendurchmesser (d) der Schraube das Gewinde jeder Schraube gleiche Steigung (h) besitzt, wobei sich die Außendurchmesser der Schrauben durch derart kleine Beträge unterscheiden, daß bei Anwenden aufeinanderfolgender Schrauben ein Verletzen der vorher vorhandenen Gewindegänge nicht eintritt.

2. Satz zylindrischer Schrauben nach Anspruch 1, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , daß das Gewinde auch bei unterschiedlichen Kerndurchmessern (d ) gleiche k Steigung (h) besitzt.
5. Satz zylindrischer Schrauben nach einem der vorhergehenden Ansprüche, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , daß der Durchmesser der ersten Gewindegänge dem der Gewindegänge der nächstkleineren Schrauben angenähert ist und sich dann vergrößert.
7. Satz zylindrischer Schrauben nach einem der vorhergehenden Ansprüche, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , daß die zylindrischen Körper als Knochenschrauben für Osteosynthesearbeiten ausgebildet sind."
Die Klägerin macht geltend, der Gegenstand der von ihr angegriffenen Patentansprüche der Streitpatente sei nicht neu, beruhe aber jedenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Die Schrauben, für die in diesen Patentansprüchen Schutz beansprucht werde, seien aus der DIN-Norm für Knochenschrauben bekannt. Die Zusammenfassung zu einem Satz sei nicht geeignet, eine Abgrenzung zum Stand der Technik herbeizuführen. Der Kern der unter Schutz gestellten Lehre liege nicht in einem Satz an sich bekannter Schrauben, son-

dern in der spezifischen chirurgischen Operationstechnik, die aber als solche nicht schutzfähig sei.
Die Klägerin hat beantragt,
im Umfang ihrer Teilnichtigkeitsklage die Streitpatente - das Streitpatent II für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland - für nichtig zu erklären.
Der Beklagte ist dem entgegengetreten und hat die Streitpatente hilfsweise in anderer Fassung verteidigt.
Das Bundespatentgericht hat der Teilnichtigkeitsklage in vollem Umfang stattgegeben.
Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der Berufung und dem Antrag,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage insgesamt abzuweisen.
Die Klägerin ist dem Rechtsmittel entgegengetreten.
Prof. Dr. med. habil. Dr.-Ing. W. P. hat als gerichtlicher Sachverständiger ein schriftliches Gutachten erstellt, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.

Entscheidungsgründe:


Die Berufung hat Erfolg. Die Nichtigkeitsklage ist zulässig, in der Sache aber nicht begründet, weil sich nicht feststellen läßt, daß der Gegenstand der Patentansprüche 1 der Streitpatente nicht patentfähig ist.
I. 1. Die vom Bundespatentgericht für begründet erachtete Teilnichtigkeitsklage ist zulässig. Eine auf den Mangel der Patentfähigkeit gestützte Klage auf Nichtigerklärung eines in Kraft stehenden Patents erfordert nicht den Nachweis eines rechtlichen Interesses (Sen.Urt. v. 13.01.1998 - X ZR 82/94, GRUR 1998, 904 - Bürstenstromabnehmer). Die förmliche Nichtigerklärung eines Patents, dem keine Schutzwürdigkeit zukommt, liegt für sich schon im öffentlichen Interesse und macht damit die Nichtigkeitsklage statthaft (Sen.Urt. v. 15.05.1990 - X ZR 119/88, GRUR 1990, 667 - Einbettungsmasse). Eine Grenze findet die Zulässigkeit allerdings in Fällen, in denen die Durchführung des Nichtigkeitsverfahrens gegen Treu und Glauben verstößt (Sen.Urt. v. 02.06.1987 - X ZR 97/86, GRUR 1987, 900, 901 - Entwässerungsanlage). Besteht aber für den Nichtigkeitskläger die Möglichkeit einer Beeinträchtigung, wenn das Patent bestehenbleibt, hat er ein Rechtsschutzinteresse an dessen Beseitigung (Sen.Urt. v. 15.05.1990, aaO - Einbettungsmasse). Im vorliegenden Fall ist das Streitpatent I zwar durch die Erteilung des Streitpatents II gemäß Art. II § 8 IntPatÜG wirkungslos geworden. Die Klägerin wird jedoch von dem Beklagten in einem parallelen Verletzungsverfahren aus beiden Streitpa-

tenten in Anspruch genommen. Es besteht deshalb auch ein Rechtsschutzbe- dürfnis, soweit die Klägerin die teilweise Vernichtung des Streitpatents I anstrebt.
2. Beide Streitpatente befassen sich mit einem Satz zylindrischer Schrauben und dazugehörigen Gewindebohrern.
Beide Streitpatentschriften erläutern die den Gegenstand ihrer Patentansprüche 1 bildende Lehre am Beispiel eines Knochenschrauben- oder Gewindebohrersatzes. Wie in beiden Beschreibungen eingangs ausgeführt, werden Knochenschrauben meist in Kombination mit Platten- und Stabsystemen angewendet, um Knochen und Knochenteile in einer bestimmten Stellung und Ausrichtung zueinander zu fixieren. Die Streitpatentschriften beschreiben zunächst die herkömmliche, z.B. aus der US-Patentschrift 4 943 292 bekannte Osteosynthese an Röhrenknochen, bei der eine mit Löchern versehene Platte mittels Knochenschrauben, die durch diese Löcher hindurchgreifen, am Knochen fixiert wird. Die Ruhigstellung der Knochen oder Knochenteile erfolgt durch Anpressen an die Platte mittels der Schrauben. Die Knochenschrauben werden verankert in Bohrkanälen, in die mit Gewindebohrern ein Gewinde eingeschnitten worden ist. Die Schraubenköpfe der Knochenschrauben finden auf der dem Knochen gegenüberliegenden Seite in den angeschrägten Schraubenlöchern ein Widerlager. Den größten Teil des Halts finden die Knochenschrauben dabei in der kortikalen Knochenrinde, während in der Spongiosa und in der Markhöhle kein wesentlicher Widerhalt zu erreichen ist. Die im Knochen verankerten Knochenschrauben werden in ihrem Verlauf im Knochen praktisch nur auf Zug beansprucht. Findet die verwendete Schraube nicht rich-

tig Halt, so werden - wie die Streitpatentschriften ausführen - herkömmlicherweise Schraubmuttern an der platten abseitigen Knochenseite auf eine längere Schraube aufgedreht, um so eine gewisse Stabilität zu gewährleisten.
Gegenüber dieser herkömmlichen Osteosynthese an Röhrenknochen bezeichnen die Streitpatentschriften das Verplattungsverfahren an der Wirbelsäule als problematischer. Anders als bei normalen Röhrenknochen lassen die anatomischen Verhältnisse hier die Fixierung eines Knochens an einer Knochenplatte in der Regel nur durch eine einzige Knochenschraube zu. Die für eine knöcherne Konsolidierung erforderliche Ruhigstellung ist dadurch erschwert , daß nahezu das ganze Körpergewicht auf dieser fixierenden Schraube lastet. Während bei Röhrenknochen die Schraube immer in zwei Knochenrinden verankert wird, werden bei der Wirbelsäulenfixation die Schrauben durch die engen Knochenverbindungen zwischen dem vorn liegenden Wirbelkörper und dem hinten liegenden Wirbelbogen eingedreht. Diese Knochenbrücken -Bogenwurzeln - Pedikel - haben im sagittalen Schnitt die Form einer Zwirnspule, wobei nur im mittleren, d.h. dem engen Abschnitt eine gute direkte Kraftübertragung auf die zentral verlaufende und nur hier mit der Knochenrinde tangentialen Kontakt aufnehmende Schraube erfolgen kann. Nach den Streitpatentschriften ist die Dimension der zu wählenden Gewindebohrer und Knochenschrauben in jedem Fall unbekannt. Eine stabile Verankerung einer Knochenschraube setzt aber eine auf den gegebenen Durchmesser des Knochenkanals abgestimmte Dimensionierung des Gewindebohrers und vor allem des Gewindepins voraus. Unterdimensionierungen beinhalten die Gefahr der Instabilität der Knochenschraubenverbindung und des Implantatabbruchs. Überdimensionierungen der Implantate können leicht neurologische Komplikationen

bis zu Querschnittslähmungen nach sich ziehen, da unmittelbar neben den Pedikeln die Nervenwurzeln und das Rückenmark liegen.
Die so beschriebene Problematik soll gemäß Streitpatent I (Sp. 2 Z. 36-40) dadurch gelöst werden, daß ein Schrauben- bzw. Gewindebohrersatz geschaffen wird, mit dem es möglich ist, den Querdurchmesser eines Knochenkanals zu bestimmen und trotz mehrmaliger Anwendung das Gewinde nicht zu zerstören. Das Streitpatent I schlägt dazu in seinem Patentanspruch 1 einen Satz zylindrischer Körper für Osteosynthesearbeiten vor, wobei sich die Merkmale des Anspruchs - der Merkmalsgliederung des Bundespatentgerichts entsprechend - wie folgt gliedern lassen:
1. Jeder zylindrische Körper eines Satzes
1.1 weist in der Außenfläche
1.2 ein Gewinde auf, das
1.2.1 in Form einer Schraubenlinie ausgeformt ist.
2. Das Gewinde besitzt
2.1 auch bei unterschiedlichen Außendurchmessern (d) der zylindrischen Körper
2.2 die gleiche Steigung (h).

Die Streitpatentschrift II beschränkt sich nicht auf Schrauben und Ge- windebohrer, die für Osteosynthesearbeiten verwendet werden, sondern beansprucht allgemein einen Satz Schrauben und führt dazu in der Beschreibung aus, daß diese bei Osteosynthesearbeiten und in Holz, Kunststoff oder weichen Metallen einsetzbar sind (Streitpatentschrift II Sp. 3 Z. 21-23). Die Streitpatentschrift II schildert es als Problem, eine Schraubenkonstruktion zu schaffen , die bei ausgelockertem Gewinde bei gleicher Gewindecharakteristik einen neuen Festsitz schafft und einen Gewindebohrer, der ein neues Gewinde nachschneidet bei optimaler Verankerung der einzusetzenden Schraube (Sp.3 Z.13-18). Sie schlägt dazu einen Satz zylindrischer Schrauben vor, die folgende Merkmale aufweisen:
1. Die zylindrischen Schrauben eines Satzes verfügen über unterschiedliche Außendurchmesser.
1.1 Jede Schraube
1.1.1 weist in der Außenfläche
1.1.2 ein Gewinde auf, das
1.1.3 in Form einer Schraubenlinie ausgeformt ist.
2. Das Gewinde jeder Schraube besitzt

2.1 trotz unterschiedlicher Außendurchmesser (d)
2.2 gleiche Steigung (h).
3. Die Außendurchmesser der Schrauben unterscheiden sich durch derart kleine Beträge,
3.1 daß ein Verletzen vorher vorhandener Gewindegänge nicht eintritt,
3.2 wenn aufeinanderfolgende Schrauben verwendet werden.
Nach Patentanspruch 1 der Streitpatentschrift I soll damit ein Satz von Gewindebohrer und dazu passenden Knochenschrauben geschaffen werden, wobei unabhängig von ihrem Außendurchmesser diese so gestaltet sind, daß sie die gleiche Steigung aufweisen. Dies soll verhindern, daß bei Anwendung des nächstgrößeren Gewindebohrers eine Beschädigung des durch den vorher eingesetzten Gewindebohrer geschnittenen Gewindes erfolgt. Dadurch soll es möglich sein, bei Handhabung des Gewindebohrers den Widerstand abzutasten , der sich dem Gewindebohrer stellt, so daß ermittelt werden kann, wann sich die äußeren Gewindegänge in der kortikalen Knochenrinde befinden. Beim Auslockern einer Schraube soll dagegen mit dem Gewindebohrersatz ermöglicht werden, ein neues, einen festen Halt verschaffendes Gewinde nachzuschneiden und eine im Durchmesser größere Schraube einzusetzen. Als entscheidend bezeichnet es die Streitpatentschrift I, daß durch das mehr-

malige Anwenden von Gewindebohrern das Gewinde nicht geschädigt wird (Streitpatentschrift I Sp. 2 Z. 68 - Sp. 3 Z. 2).
Das Streitpatent II entspricht dem, soweit es um den Anwendungsbereich der Osteosynthese geht, wortgleich (Sp. 3 Z. 40-57), nennt aber als weitere Einsatzmöglichkeit die Herstellung von Schraubverbindungen in Holz, Kunststoff und weichen Metallen (Sp. 3, Z. 21-23).
II. 1. Der Senat ist nicht davon überzeugt, daß der Gegenstand der Ansprüche 1, 2, 5 und 7 der Streitpatente im angegriffenen Umfang nicht neu ist und auch nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht. Es kann deshalb nicht festgestellt werden, daß Nichtigkeitsgründe nach § 22 Abs. 2 in Verbindung mit § 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG (bezogen auf das Streitpatent I) und Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 Buchst. a EPÜ in Verbindung mit Art. 54 Abs. 1, 2 und Art. 56 EPÜ (bezogen auf das Streitpatent II) vorliegen.
Für die Beurteilung der Frage, ob die Lehre der Streitpatente neu ist, ist darauf abzustellen, wie der Fachmann durchschnittlichen Könnens im Prioritätszeitpunkt diese Lehre verstanden hat.
2. Als einen solchen Fachmann sieht der Senat in Übereinstimmung mit dem Bundespatentgericht und dem gerichtlichen Sachverständigen einen Ingenieur mit Fachhochschulabschluß an, der sich mit der Entwicklung und Fertigung von Schrauben befaßt, außerdem jedenfalls einfache medizinische Grundkenntnisse erworben hat und bezüglich der spezifischen medizinischen

Probleme mit einem Chirurgen, Unfallchirurgen oder Orthopäden in engem Kontakt steht.
3. Dieser Fachmann versteht, wie der gerichtliche Sachverständige in der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des Senats ausgeführt hat, unter "Satz" nicht eine Mehrheit von Einzelgegenständen, die in beliebiger Weise zu einem Gebinde zusammengestellt sind. Vielmehr entnimmt der Fachmann dem Begriff "Satz", daß es sich um eine Zusammenfassung unter technischen Gesichtspunkten handelt, bei der gleichartige Gegenstände unterschiedlichen, aufeinander abgestimmten Ausmaßes zu einem Zweck funktionsbestimmt zusammengefügt werden. Dabei sieht er in der funktionalen Abstimmung das entscheidende Kriterium. Etwa im Handel angebotene Einzelteile versteht er dagegen , auch wenn es sich um eine Mehrzahl handelt, ohne eine solche Abstimmung ebensowenig als "Satz" wie ein Sortiment, das nach anderen als funktionalen Gesichtspunkten, etwa solchen eines vermuteten Bedarfs des Kunden oder anderen verkaufsorientierten Gesichtspunkten, im Handel zusammengestellt wird. Dabei gehören nach dem Verständnis des Fachmanns zu einem "Satz" mindestens drei Einzelteile, ein Paar von zwei Einzelteilen ist danach noch kein "Satz".
4. Bei diesem Verständnis des Begriffs "Satz" kann schon mangelnde Neuheit des Gegenstands der Patentansprüche 1 der Streitpatente nicht festgestellt werden.
Die DIN-Normen, namentlich die DIN 20410 Teil 1 für Sägegewinde (Anl. K 15), geben in diesem Sinne keinen "Satz" von Schrauben oder Kno-

chenschrauben an, sondern beschreiben eine genormte Reihe gleichartiger Schrauben oder Knochenschrauben unterschiedlicher Größe, die jedoch nicht funktional aufeinander abgestimmt sind, um einen bestimmten Zweck zu erreichen.
Auch der Auszug aus C.-D. "Instrumentation in Spine Surgery" (Anl. K 5) nimmt die Lehre der Streitpatente danach nicht neuheitsschädlich vorweg. Zwar läßt sich dem Abschnitt "Vertebralschrauben", wie der gerichtliche Sachverständige dies in der mündlichen Verhandlung dargelegt hat, entnehmen, daß von drei Schrauben zwei geringe Größenunterschiede und gleiche Gewindesteigung aufweisen. Bei diesen handelt es sich aber nach dem Verständnis des Begriffs "Satz" noch nicht um einen solchen, sondern um ein Paar. Zudem lassen sich dieser Schrift, wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend ausgeführt hat, keine Maßnahmen entnehmen, aufgrund derer sich mit der Verwendung eines solchen Paars eine Verbesserung der Primärstabilität erzielen ließe, da es den Autoren dieser Schrift vielmehr um die Verbesserung der mechanischen Festigkeit durch Erhöhung des Kerndurchmessers geht; Hinweise auf die Bedeutung der Abstimmung der Gewindesteigung in einem "Satz" finden sich hier nicht.
Über zwei Schrauben hinausgehende Zusammenstellungen im Sinne eines "Satzes" sind auch in keiner der übrigen Entgegenhaltungen beschrieben.
5. Der Senat hat ebenfalls nicht feststellen können, daß die Lehre der Patentansprüche 1 der Streitpatente sich für den Durchschnittsfachmann am Prioritätstag in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergab.

Ein solcher Fachmann konnte ein Bedürfnis für die unter Schutz gestellte Lehre von sich aus nicht erkennen. Wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend ausgeführt hat, wird auch der Chirurg oder Orthopäde, mit dem der Durchschnittsfachmann in engem Kontakt steht, die Problematik, einen festen Sitz der Knochenschraube zu erreichen, in erster Linie dadurch zu lösen versuchen, daß er, aufgrund seiner Erfahrung als Operateur, die Pedikeloder Knochenschraube so auswählt, daß diese im entsprechenden Knochenabschnitt die notwendige Stabilität gewährleistet. Ein ungelöstes Bedürfnis ergab sich danach nur für den Fall, daß mit der zunächst gewählten Schraube kein fester Sitz erreicht wurde und deshalb eine Schraube mit größerem Durchmesser einzusetzen war.
Der gerichtliche Sachverständige hat zur Überzeugung des Senats dargelegt , daß schon fraglich ist, ob der Durchschnittsfachmann überhaupt das Problem erkannte, daß beim Einsatz einer Knochenschraube mit größerem Durchmesser nur dann eine stabilere Verbindung entstehen konnte, wenn diese Knochenschraube ein Gewinde mit gleicher Steigung besaß und daß bei Verwendung einer Schraube mit abweichender Gewindesteigung das vorhandene vorgeschnittene Gewinde zerstört wurde. Dafür hatte er insbesondere keine Anhaltspunkte aus dem allgemeinen Stand der Schraubenverbindungstechnik , wo ein entsprechendes Problem nicht auftritt. Im technischen Bereich stellt sich vielmehr, wie der gerichtliche Sachverständige auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, das Problem nicht ausreichender Stabilität einer Schraubenverbindung nicht, weil zum einen die vorgegebenen Werkstoffeigenschaften von Holz, Kunststoff oder Metall es ermöglichen, von

vornherein zu bestimmen, welche Schraube zur Erzielung einer festen Verbin- dung nötig ist, und zum anderen, weil im Fall von Fehlversuchen der Techniker bei diesen Materialien andere Abhilfemöglichkeiten ergreift als diejenige, die die Streitpatente lehren. Beim Einbringen von Schrauben in Holz werden entweder selbstschneidende Schrauben verwendet, die in jedem Fall im Holz einen festen Halt finden, oder Schrauben, die eine Vorbohrung definierten Durchmessers erfordern und dann stabil eingebracht werden können. Sollte ausnahmsweise, beispielsweise aufgrund eines zu großen Vorbohrungsdurchmessers , kein stabiler Halt zu erzielen sein, so wird entweder eine Schraube nächstgrößeren Durchmessers benutzt oder ein neuer in der Nähe gelegener Einbringungsort gewählt. Die Einbringung in das bereits benutzte Schraubenloch bereitet dabei keine Schwierigkeiten und setzt auch keine Schraube mit gleicher Steigung voraus, weil Holz ein kompakter Werkstoff ist, der ohne Rücksicht auf die Steigung des Gewindes die Schraube größeren Durchmessers aufnimmt. Bei Schraubverbindungen mit metallischen Werkstoffen muß regelmäßig ein Innengewinde vorgeschnitten werden, mit der Folge, daß nur eine Schraube eingebracht werden kann, die ein mit dem Gewindeloch identisches Gewinde hat. Stabilität ist dann zwangsläufig gegeben. Die Verwendung unterschiedlicher Gewinde ist bei Metallschraubverbindungen grundsätzlich nicht möglich, da die Werkstoffeigenschaften nahezu keine Verformung tolerieren. Eine Ausnahme bilden lediglich die sogenannten Interferenzschraubensysteme , bei denen bewußt zwei unterschiedliche Gewinde bestimmter vordefinierter Ausgestaltung kombiniert werden, damit diese sich nach bestimmter Einschraubtiefe gegeneinander verklemmen und dann keiner weiteren Sicherung mehr bedürfen.

Der Senat hat danach Zweifel, ob der Durchschnittsfachmann das Pro- blem überhaupt erkannt und nach einer Lösung im Sinne der Lehre der Streitpatente gesucht hat. Diese Zweifel verstärken sich dadurch, daß der gerichtliche Sachverständige sich selbst nicht sicher war, ob er derartige Überlegungen angestellt oder zur Lösung der Streitpatente gefunden hätte.
Bei diesem Beweisergebnis konnte der Senat nicht die Überzeugung gewinnen, daß der Gegenstand der Streitpatente, soweit es sich um die Anwendung auf dem Gebiet der Osteosynthese handelt, für den Durchschnittsfachmann nahegelegen hätte. Für die Anwendung auf anderen Gebieten, die nach dem Streitpatent II von dessen Patentanspruch 1 umfaßt sind, gilt dies ebenso, da, wie bereits dargestellt, auf diesen Gebieten der Fachmann in erster Linie an andere Lösungen denkt, wenn er Schraubverbindungen im Sinne eines festeren Halts verbessern will.
Die mit der Teilnichtigkeitsklage ebenfalls angegriffenen Unteransprüche 2, 5 und 7 der Streitpatente haben weitere Ausgestaltungen der Lehre der Patentansprüche 1 der Streitpatente zum Gegenstand, sind auf diese rückbezogen und werden daher durch deren Patentfähigkeit ebenfalls getragen.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG in Verbindung mit § 91 ZPO.
Melullis Jestaedt Scharen
Mühlens Asendorf

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 15/07 Verkündet am:
8. September 2009
Anderer
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 8. September 2009 durch den Vorsitzenden Richter Scharen und die
Richter Keukenschrijver, Asendorf, Dr. Berger und Dr. Grabinski

für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 22. November 2006 verkündete Urteil des 4. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Beklagte ist Inhaberin des unter anderem mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten und in der Verfahrenssprache Deutsch veröffentlichten europäischen Patents EP 0 921 380 (Streitpatent I). Es ist am 1. Dezember 1998 unter Inanspruchnahme der Priorität einer deutschen Patentanmeldung vom 5. Dezember 1997 angemeldet worden, die ihrerseits am 19. November 1998 zur Erteilung des Patents DE 197 53 913 (Streitpatent II) geführt hatte. Ein Einspruch des Klägers gegen das Streitpatent I ist durch die rechtskräftige Entscheidung der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts vom 17. März 2006 zurückgewiesen worden.
2
Die beiden Streitpatente haben nach ihrem Titel eine "Wiegevorrichtung für Absetzkipper und dgl." zum Gegenstand und umfassen jeweils neun übereinstimmend formulierte Patentansprüche, die mit der Nichtigkeitsklage insgesamt angegriffen werden. Patentanspruch 1 der Streitpatente lautet: "Wiegevorrichtung für ein schwenkbeweglich hängend gelagertes, die Nutzlast aufnehmendes Lade- oder Greifbauteil an einem Fahrzeug , wie die Mulde an einem Absetzkipper, der Greifer an einem Kran oder die Schaufel an einem Bagger, mit einem Schwenkbeschlag , der einerseits an der fahrzeugseitigen Schwenkachse festlegbar ist, und der andererseits eine Aufnahme für das Lade- oder Greifbauteil schafft, dadurch gekennzeichnet, dass der Schwenk- beschlag (1) einen Wiegestab (3) aufweist, der an seinen beiden Enden gelagert und mit dem Schwenkbeschlag (1) verbunden ist, und an dem in seinem mittleren Bereich ein Druckübertragungsbauteil zur Einleitung der Gewichtskraft des Lade- oder Greifbauteils anschließt, wobei der Wiegestab (3) als quer zur fahrzeugseitigen Schwenkachse liegende Drehachse ausgebildet ist, und wobei unterhalb des Wiegestabs (3) ein Schwenklager mit einer zur fahrzeugseitigen Schwenkachse parallelen Schwenkachse vorgesehen ist."
3
Die nachgeordneten Unteransprüche 2 bis 9 sind auf Patenanspruch 1 unmittelbar oder mittelbar zurückbezogen. Wegen ihres Wortlauts wird auf die Patentschriften Bezug genommen.
4
Der Kläger macht geltend, dass der Gegenstand der Streitpatente nicht schutzfähig sei gegenüber dem Stand der Technik, wie ihn insbesondere die deutsche Offenlegungsschrift 40 26 561 (Anlage 5), die belgische Patentschrift BE 909 929 (Anlage D2 des Einspruchsverfahrens beim EPA) und die britische Patentschrift 1 577 341 (Anlage 19) bildeten. Außerdem hat sich der Kläger zur Begründung dafür, dass zum Prioritätszeitpunkt Wiegevorrichtungen mit den Merkmalen des Patentgegenstands durch den Stand der Technik jedenfalls nahe gelegt gewesen seien, unter anderem auf eine Wiegevorrichtung des niederländischen Unternehmens W. B.V. (Anlagen 6b und 10/2) als offenkundige Vorbenutzung berufen. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.
5
Das Bundespatentgericht hat das Streitpatent I mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland und auch das Streitpatent II für nichtig erklärt.
6
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung. Sie beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen. Der Kläger tritt dem Rechtsmittel entgegen.
7
Im Auftrag des Senats hat Prof. Dr.-Ing. habil. G. K. , Technische Universität D. , Lehrstuhl für Baumaschinen- und Fördertechnik, ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.

Entscheidungsgründe:


8
Die Berufung ist zulässig. Insbesondere besteht ein Rechtsschutzbedürfnis der Beklagten auch hinsichtlich des Streitpatents II fort, das mit der Zurückweisung des Einspruchs des Klägers gegen das Streitpatent I durch die Entscheidung des Europäischen Patentamts vom 17. März 2006 wirkungslos geworden ist (Art. II § 8 Abs. 1 Nr. 2 IntPatÜbkG). Denn vom Ausgang des Nichtigkeitsverfahrens hängen der Bestand und die Durchsetzbarkeit der vom Landgericht Düsseldorf durch rechtskräftiges Urteil vom 22. September 2005 erkannten Ansprüche der Beklagten wegen Verletzung dieses Patents ab (vgl. BGH, Urt. v. 12.11.2002 - X ZR 118/99). Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg.
9
I. 1. Die Streitpatente betreffen eine Wiegevorrichtung für Fahrzeuge wie beispielsweise Absetzkipper, mit der die Nutzlast von aufzunehmenden Gütern bestimmt werden soll, die mittels eines Lade- oder Greifbauteils schwenkbeweglich an einem beweglichen Hubarm aufgehängt sind. Der in den Streitpatenschriften beispielhaft erwähnte Begriff der "Mulde" steht dabei allgemein für die eine Nutzlast aufnehmenden Lade- oder Greifbauteile an einem Fahrzeug (vgl. Streitpatent I Sp. 4, Tz. 0018).
10
Bei derart schwenkbeweglich aufgehängten Mulden besteht nach der Beschreibung der Streitpatente die Schwierigkeit, die geladene Nutzlast korrekt zu erfassen. Außerdem sei bei solchen Wiegeeinrichtungen nachteilig, dass sie an einer exponierten Stelle angeordnet und hierdurch Beschädigungen möglich seien, wenn beispielsweise ein Absetzkipper durch einen baumbestandenen Weg zu einer Deponie fahre.
11
Im Stand der Technik waren nach der Beschreibung des europäischen Streitpatents u.a. aus der deutschen Offenlegungsschrift 40 26 561 (Anlage 5) und aus der veröffentlichten europäischen Patentanmeldung EP 543 440 A1 (Anlage
2) Wiegevorrichtungen mit einem Schwenkbeschlag bekannt, bei dem der Wiegestab bzw. der Messwertaufnehmer mit der fahrzeugseitigen Schwenkachse des Schwenkbeschlags zusammenfiel oder eine Schwenkachse bildete, die parallel zur fahrzeugseitigen Schwenkachse lag. Die Beschreibung der Streitpatente führt hierzu aus, dass quer zur fahrzeugseitigen Schwenkachse angreifende Kräfte, wie sie beim Pendeln der Last auftreten können, den Messwertaufnehmer unzulässig belasten und falsche Messergebnisse hervorrufen könnten. Soweit die Vorrichtung nach der europäischen Patentanmeldung EP 543 440 A1 (Anlage 2) eine Schwenkbeweglichkeit in anderen Richtungen durch ein in der oberen Gehäusehälfte befindliches Lager ermögliche und dort auch eine weitere Schwenkachse vorsehe, die quer zur fahrzeugseitigen Schwenkachse verlaufe, bemängelt die Beschreibung der Streitpatente, dass diese Wiegevorrichtung durch ihre vielen Schwenkachsen und ihren zweiteiligen Gehäuseaufbau eine große Bauhöhe aufweise , die je nach Anwendungsgebiet hinderlich sein könne.
12
2. Durch die Streitpatente soll eine Wiegevorrichtung zur Verfügung gestellt werden, die eine kompakte, geschützte und mechanisch unempfindliche Konstruktion und Wiegeergebnisse mit hoher Genauigkeit ermöglicht. In ihren Ausführungen zur Erreichung dieses Ziels befassen sich die Streitpatentschriften allein mit der Gestalt einer Einbauvorrichtung und behandeln nicht, wie die eigentliche Gewichtsmessung ausgeführt wird und wie hierzu die in der Vorrichtung verwendete Wägezelle ausgestaltet ist. Nach der Beschreibung der Streitpatente kann der Wiegestab durch Anordnung innerhalb des Schwenkbeschlags gut beschützt und durch Kräfte, die eine Schwenkbewegung um ihn bewirken, nicht unzulässig belastet werden, da er patentgemäß eine Schwenkachse für derartige Bewegungen bilde. Kräfte, die demgegenüber eine Pendelbewegung in Längsrichtung des Wie- gestabs bewirkten, belasteten den Wiegestab ebenfalls nicht unzulässig, da unterhalb des Wiegestabs ein Schwenklager für derartige Bewegungen vorgesehen sei. Der Wiegestab als Messwertaufnehmer werde daher von der Übertragung von Schwenkbewegungen völlig freigehalten und lediglich durch die Gewichtskraft der angehängten Last belastet.
13
3. Hierzu wird durch den Patentanspruch 1 unter Schutz gestellt eine Wiegevorrichtung für ein schwenkbeweglich hängend gelagertes, die Nutzlast aufnehmendes Lade- oder Greifbauteil an einem Fahrzeug, wie die Mulde an einem Absetzkipper, der Greifer an einem Kran oder die Schaufel an einem Bagger, deren Merkmale sich wie folgt gliedern lassen: 1. Ein Schwenkbeschlag (1)
a) ist einerseits an der fahrzeugseitigen Schwenkachse festlegbar ,
b) schafft andererseits eine Aufnahme für das Lade- oder Greifbauteil
c) und weist einen Wiegestab (3) auf.
2. Der Wiegestab (3)
a) ist an seinen beiden Enden gelagert
b) und mit dem Schwenkbeschlag (1) verbunden
c) und ist als quer zur fahrzeugseitigen Schwenkachse liegende Drehachse ausgebildet.
3. Ein Druckübertragungsbauteil zur Einleitung der Gewichtskraft des Lade- oder Greifbauteils schließt an den mittleren Bereich des Wiegestabs (3) an.

4. Ein Schwenklager
a) ist unterhalb des Wiegestabs (3) angeordnet und
b) weist eine zur fahrzeugseitigen Schwenkachse parallele Schwenkachse auf.
14
4. a) Einer Erläuterung bedarf der Begriff der "fahrzeugseitigen Schwenkachse". Bereits aus dem Umstand, dass der Schwenkbeschlag an ihr zu befestigen ist, folgt, dass es sich bei der fahrzeugseitigen Schwenkachse nicht um ein Bauteil des Schwenkbeschlags handelt, sondern der Schwenkbeschlag auf eine am Fahrzeug vorhandene Achse zurückgreift. Dieses Verständnis einer vom Fahrzeug vorgegebenen Schwenkachse (welche durch das Schwenklager (18) des Schwenkbeschlags verläuft) wird durch die Patentbeschreibung gestützt, in der zur Erläuterung der Figur 2 der dort zur Befestigung des Schwenkbeschlags verwendete Haltebolzen mit dem Bezugszeichen 4 dahingehend charakterisiert wird, dass er als "Austauschbauteil" anstelle eines Gelenkzapfens in eine Gelenkbohrung (5) eines Hubarms (6) eingesetzt ist (Streitpatent I Sp. 3, Tz. 0017). Dementsprechend führt die Patenbeschreibung weiter aus, dass zur Befestigung des Schwenkbeschlags anstelle des Haltebolzens (4) der fahrzeugseitig vorhandene Lagerzapfen verwendet werden könne (Streitpatent I Sp. 4, Tz. 0027). Wenngleich der Schwenkbeschlag nicht selbst die obere Achse zur Verfügung stellt, sondern hierfür eine fahrzeugseitig festgelegte Achse nutzt, gehört das Vorhandensein einer solchen Achse, um die er schwenken kann, zum Gegenstand des Patentanspruchs 1. Dieser Auslegung des Patentanspruchs steht die Patentbeschreibung, die maßgeblich auf die mittlere Schwenkachse und das untere Schwenklager abstellt (Streitpatent I Sp. 2, Tz. 0011), nicht entgegen, da sich die dortige Nichterwähnung der schwenkbeweglichen Befestigung des Beschlags an der oberen Achse unschwer damit erklären lässt, dass diese Befestigungsform als selbstverständlich vorausgesetzt ist. Patentanspruch 1 definiert mithin drei Achsen des Schwenkbeschlags, von denen die Vorrichtung zwei Achsen selbst zur Verfügung stellt und eine (obere) voraussetzt.
15
b) Das Merkmal 2 c, das den Wiegestab als "quer zur fahrzeugseitigen Schwenkachse liegende Drehachse" charakterisiert, und das Merkmal 4 b, das "eine zur fahrzeugseitigen Schwenkachse parallele Schwenkachse" ausweist, sind nicht auf die Fahrzeugrichtung, sondern nur auf die Richtung der fahrzeugseitigen Schwenkachse bezogen formuliert. Hierzu wird in der Beschreibung der Streitpatente allerdings erläutert und durch die Figuren 2 und 3, welche die Befestigung des Beschlages am Hubarm des Absetzkippers erkennen lassen, auch illustriert, dass die durch das Schwenklager (18) geführte fahrzeugseitige Schwenkachse Schwenk- und Pendelbewegungen des Schwenkbeschlags in Längsrichtung des Fahrzeugs ermöglicht (Streitpatent I Sp. 4, Tz. 0022), während das als Drehachse ausgebildete Bauteil des Wiegestabs (3) Schwenk- und Pendelbewegungen quer zur Längsrichtung des Fahrzeugs aufnehmen kann (Streitpatent I Sp. 4, Tz. 0023).
16
5. Ein Ausführungsbeispiel der patentgemäßen Wiegevorrichtung zeigen die nachstehend verkleinert wiedergegebenen Figuren 1 und 2. Figur 1 bildet die erste Ausführungsform des patentgemäßen Schwenkbeschlags in Seitenansicht ab, Figur 2 eine Stirnansicht auf die Vorrichtung von Figur 1 mit der fahrzeugseitigen Befestigung des Schwenkbeschlags mittels des Haltebolzens (4), der in die Gelenkbohrung (5) am Hubarm des Fahrzeugs (6) eingesetzt ist.


17
Das Ausführungsbeispiel gemäß Figur 1 zeigt dabei eine Ausbildung des Wiegestabs (3) als Schwenkachse in der durch den (Unter-)Anspruch 2 gekennzeichneten Form. Dort ist ein Ring (15) vorgesehen, der um den Wiegestab drehbar ist und die Schwenkbewegung um den Wiegestab ermöglicht (Streitpatent I Sp. 2, Tz. 0012). Den Ring (15) umgreift eine Hülse (14), die an eine Lasche (12) anschließt, auf die die Gewichtskräfte der Nutzlasten über das durch den Schwenkbolzen (8) verbundene Einhängeblech (9) übertragen werden. Der Ring (15) bildet damit bei diesem Ausführungsbeispiel das auf den Wiegestab (3) einwirkende Druckübertragungsbauteil und weist eine Wulst (16) auf, die in eine Nut (17) des Wiegestabs greift. Dies stellt nach der Patentbeschreibung sicher, dass die Krafteinleitung in den Wiegestab stets an derselben definierten Stelle erfolgt (Streitpatent I Sp. 3 f., Tz. 0021).
18
II. Das Patentgericht hat die Streitpatente für nichtig erklärt, weil deren Gegenstand nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe (§§ 22 Abs. 1, 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG; Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜbkG; Art. 138, 56 EPÜ). Es hat hierzu ausgeführt , aus Anlage 5 (deutsche Offenlegungsschrift 40 26 561) sei eine Wiegevor- richtung für ein schwenkbeweglich hängend gelagertes, die Nutzlast aufnehmendes Lade- oder Greifbauteil an einem Fahrzeug bekannt. Bei der Nutzlast handele es sich um die Mulde an einem Absetzkipper. Die Vorrichtung weise mit dem dreieckigen Aufhängekörper (3) einen Schwenkbeschlag auf, der an der fahrzeugseitigen Schwenkachse festlegbar sei und eine Aufnahme für das Lade- oder Greifbauteil schaffe. Der Schwenkbeschlag umfasse einen als Drehachse ausgebildeten Wiegestab (4). Der Wiegestab sei mit dem Schwenkbeschlag durch eine Schraube (19) verbunden und an einem seiner beiden Enden sowie in einem mittleren Bereich durch Lager (20) gelagert. Am anderen Ende des Wiegestabs befinde sich ein Druckübertragungsbauteil zur Einleitung der Gewichtskraft des Ladeund Greifbauteils. Unterhalb des Wiegestabs sei ein Schwenklager mit einer zur fahrzeugseitigen Schwenkachse parallelen Schwenkachse vorgesehen, das durch die eine Kette (5) tragenden Stifte und die Seitenwände des Aufhängekörpers (3) verwirklicht sei. Bei dieser bekannten Wiegevorrichtung werde die Kraft an einem Ende des Wiegestabs eingeleitet. Dies führe zu dessen einseitiger Verbiegung durch die von der Nutzlast ausgeübte Gewichtskraft, was wiederum eine ungleichmäßige Belastung und Abnutzung der Lager hervorrufe. Dies habe die nachteilige Folge, dass die freie Schwenkbarkeit des als Drehachse ausgebildeten Wiegestabs behindert und die Messgenauigkeit beeinträchtigt werde. Der Fachmann habe daher Veranlassung, Änderungen an der Krafteinleitung und der Lagerung des Wiegestabs vorzunehmen. Zu seinem Fachwissen gehöre, dass eine gleichmäßige Lagerung des Wiegestabs an seinen beiden Enden und durch mittige Einleitung der Gewichtskraft erreicht werden könne. Derart gelagerte Wiegestäbe seien beispielsweise aus Anlage 19 (britische Patentschrift 1 577 341) bekannt. Die Figuren 4 und 5 von Anlage 19 beträfen ein Ausführungsbeispiel, in dem der Einsatz des Wiegestabs in einer Vertäuvorrichtung für Schiffe gezeigt werde. Dabei sei ein Schwenkbeschlag (37, 39) vorgesehen, der mit dem Haken (38) ein schwenkbeweglich gelagertes Greifbauteil aufweise und eine Aufnahme für das Greifbauteil schaffe. Der Wiegestab (10) sei an seinen beiden Enden gela- gert und mit dem Schwenkbeschlag verbunden, wobei die Gewichtskraft im mittleren Bereich des Biegestabs eingeleitet werde. Auch wenn die Vorrichtung besonders für die Vertäuung von Schiffen ausgebildet sei, halte dies den Fachmann nicht davon ab, einzelne die Lagerung des Wiegestabs und die Krafteinleitung betreffende Merkmale aufzugreifen und bei einem Fahrzeug einzusetzen. Dies biete sich für den Fachmann auch deshalb an, weil in Anlage 19 auf andere Einsatzgebiete wie Kräne oder Förderbänder und Aufzüge hingewiesen werde, die ebenfalls auf dem Gebiet der Verkehrstechnik lägen. Es liege daher für den Fachmann nahe, bei der Wiegevorrichtung nach Anlage 5 einen an seinen Enden gelagerten Wiegestab mit mittiger Krafteinleitung vorzusehen. Wegen der in Anlage 19 angesprochenen verschiedenen Möglichkeiten zur Anordnung des Wiegestabs innerhalb der Vorrichtung erhalte der Fachmann außerdem den Hinweis, dass es auf die räumliche Ausrichtung des Wiegestabs nicht ankomme. Er ziehe daher in Betracht, bei der Wiegevorrichtung nach Anlage 5 den Wiegestab quer zur fahrzeugseitigen Schwenkachse auszubilden, und entscheide sich für diese Lösung, weil sich dann Schwenkbewegungen der Nutzlast wegen der senkrecht zueinander stehenden Schwenkachsen der Wiegevorrichtung nicht mehr auf den Wiegestab auswirkten.
19
III. Dieser Beurteilung durch das Patentgericht ist nicht beizutreten.
20
1. Der Gegenstand der Streitpatente wird weder durch die schriftlichen Entgegenhaltungen noch durch die behauptete offenkundige Vorbenutzung vorweggenommen. Die Vorrichtung nach Patenanspruch 1 ist in den erstinstanzlich eingeführten Entgegenhaltungen nicht in allen ihren Merkmalen beschrieben und mithin neu (§ 3 Abs. 1 PatG, Art. 54 EPÜ). Davon, dass der streitpatentgemäße Gegenstand nicht in allen seinen Merkmalen in den Entgegenhaltungen beschrieben worden ist, geht auch der gerichtliche Sachverständige aus.
21
a) Die hinsichtlich ihres Offenbarungsgehalts bereits vom Patentgericht im Einzelnen gewürdigte deutsche Offenlegungsschrift 40 26 561 (Anlage 5), die bereits im Erteilungsverfahren hinsichtlich des europäischen Streitpatents berücksichtigt worden ist, sieht weder vor, dass bei jener gattungsgemäßen Wiegevorrichtung der Wiegestab an seinen beiden Enden gelagert ist (Merkmal 2a), noch, dass sich die Drehachse des Wiegestabs von der fahrzeugseitigen Schwenkachse unterscheidet und dabei quer zu ihr verläuft (Merkmal 2c). Anders als bei den Streitpatenten schließt das Druckübertragungsteil auch nicht im mittleren Bereich des Wiegestabs an (Merkmal 3). Weiterhin ist unterhalb des Wiegestabs nicht ein Schwenklager mit einer Schwenkachse vorgesehen, wie es der definierten Achsenanzahl des Patentanspruchs 1 entspricht (Merkmal 4/4b), sondern es sind zwei Schwenklager mit Stiften zur Befestigung von zwei Schäkeln offenbart, welche die oberen jeweils schwenkbaren Kettenglieder (5) aufnehmen.
22
b) Gegenstand der belgischen Patentschrift BE 909 929, auf die ebenfalls bereits das europäische Streitpatent zum Stand der Technik Bezug nimmt, ist eine Wiegevorrichtung für Hebezeuge aller Art wie beispielsweise Baustellenkräne und Aufzüge. Diese Patentschrift offenbart eine Wiegevorrichtung für ein schwenkbeweglich hängend gelagertes Lade- oder Greifbauteil. Die Vorrichtung, die nach der Patentbeschreibung vorteilhafterweise zwischen den Ringen in der Kette des Hebezeugs montiert wird, enthält einen Schwenkbeschlag, der einen als Drehachse ausgebildeten Wiegestab aufweist. Entgegen den Ausführungen der Streitpatentschrift I (Sp. 1, Tz. 0004) offenbart die Entgegenhaltung BE 909 929 zwar, dass der Wiegestab (25) an seinen beiden Enden (27 u. 29) auf Auflagen (21 u. 23) gelagert ist (vgl. Übersetzung L5, S. 3 1. Abs.; siehe auch Anspruch 4). Nicht vorgesehen ist jedoch, dass der Schwenkbeschlag (3) an einer fahrzeugseitigen Schwenkachse festlegbar ist (Merkmal 1a) und dass über ein gesondertes Druckübertragungsbauteil die Gewichtskraft in den Wiegestab eingeleitet wird (Merkmal 3). Zudem befindet sich unterhalb des Wiegestabs lediglich ein Kettenring und kein Schwenklager (Merkmal 4), das eine Schwenkbewegung um eine definierte Achse ermöglicht und damit eine Bewegungsführung gewährleistet. Außerdem lässt sich der Entgegenhaltung nicht entnehmen, dass die Drehachse des Wiegestabs quer zur fahrzeugseitigen Schwenkachse liegt (Merkmal 2c).
23
c) Die hinsichtlich ihres Offenbarungsgehalts ebenfalls schon vom Patentgericht gewürdigte britische Patentschrift 1 577 341 betrifft eine Lastmessvorrichtung und bezieht sich mit ihrem Ausführungsbeispiel gemäß Figur 4 auf eine Schiffsbefestigungseinrichtung mit einer Hakenvorrichtung zum Festmachen von Trossen (siehe S. 3 Z. 32 f. mit dem dort verwendeten Begriff "cable mooring hook"), wie sie zum Anlegen eines Schiffs am Kai verwendet wird. Bei dieser Vorrichtung ist nicht vorgesehen, dass der Beschlag (36) an einer oberen fahrzeugseitigen Schwenkachse festlegbar ist (Merkmal 1a). Auch liegt beim ersten Ausführungsbeispiel gemäß Figur 4 die Drehachse des Wiegestabs (10) nicht quer zu einem (fahrzeugseitigen) Schwenklager (Merkmal 2c), sondern sie ist mit der Schwenkachse des im Drehzapfen (37) befindlichen Schwenklagers identisch, die den Sockelteil (36) mit dem Drehzapfen verbindet. Dieses Schwenklager ist zudem nicht parallel zu der unterhalb des Wiegestabs liegenden durch den Bolzen (40) gebildeten Schwenkachse ausgerichtet (Merkmal 4b).
24
Wie bereits das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat, werden in der britischen Patentschrift 1 577 341 (Anlage 19) darüber hinaus als weitere Ausführungsbeispiele offenbart (S. 3 Z. 45 - 50), dass der Wiegestab (10) anstelle des Bolzens mit dem Bezugszeichen 40 (erste Ausführungsalternative) oder des Bolzens mit dem Bezugszeichen 41 (zweite Ausführungsalternative) eingesetzt werden kann, weil diese ebenfalls die gesamte Zugkraft übertragen. Dann läge die Drehachse des Wiegestabs zwar quer zur Schwenkachse, mit welcher der Sockelteil (36) drehbar mit dem Drehzapfen (37) verbunden wird. Bei der ersten Ausführungsalternative , bei welcher der Haken (38) unmittelbar das auf den Wiegestab einwirkende Druckübertragungsbauteil darstellen würde, gäbe es allerdings überhaupt kein unterhalb des Wiegestabs angeordnetes Schwenklager (Merkmal 4), das durch eine definierte Schwenkrichtung und hierdurch bestimmte Bewegungsführung gekennzeichnet ist. Bei der zweiten Variante würden die Seitenteile (39), welche dann die Druckübertragung bewirken, nicht an den mittleren Bereich des Wiegestabs anschließen (Merkmal 3).
25
d) Neu ist der Gegenstand des Anspruchs 1 der Streitpatente auch gegenüber der von dem Kläger als offenkundige Vorbenutzung geltend gemachten gattungsgemäßen Wiegevorrichtung des niederländischen Unternehmens W. B.V. (Anlagen 6b und 10/2).
26
Die W. -Konstruktionszeichnung, deren Gegenstand im Einspruchsverfahren vor dem EPA als nächstliegender Stand der Technik angesehen worden ist, offenbart zwar eine Wiegevorrichtung für ein schwenkbeweglich hängend gelagertes Ladebauteil an einem Fahrzeug mit einem Schwenkbeschlag (10), der einerseits an der fahrzeugseitigen Schwenkachse (A) festlegbar ist und andererseits eine Aufnahme für das Ladebauteil schafft. Unterhalb der zwei mit dem Schwenkbeschlag verbundenen Wiegestäbe (12) befindet sich ein Schwenklager (7) mit einer Schwenkachse, die zur fahrzeugseitigen Schwenkachse parallel liegt. Die W. -Wiegevorrichtung verfügt jedoch anders als die patentgemäße Vorrichtung nicht über einen Wiegestab, der an seinen beiden Enden gelagert ist (Merkmal 2a), sondern über zwei Wiegestäbe (12), die jeweils nur an einem ihrer beiden Enden gelagert sind. Diese Wiegestäbe sind nicht als Drehachse ausgebildet (Merkmal 2c). Auch schließt sich das Druckübertragungsbauteil (13) nicht im mittleren Bereich des Wiegestabs an (Merkmal 3), sondern jeweils an dem äußeren Ende der Wiegestäbe.
2. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist nach dem Ergebnis der
27
mündlichen Verhandlung nicht dem Fachmann durch den Stand der Technik nahegelegt und ist damit als auf erfinderischer Tätigkeit beruhend zu werten (§ 4 Satz 1 PatG, Art. 56 EPÜ). Die im Stand der Technik bekannten Lösungen gaben dem Fachmann weder einzeln noch in ihrer Gesamtheit Veranlassung, den mit den Streitpatenten vorgeschlagenen Lösungsweg zu beschreiten. Dabei ist in Übereinstimmung mit der Auffassung des Patentgerichts und des gerichtlichen Sachverständigen davon auszugehen, dass es sich bei dem Durchschnittsfachmann um einen Ingenieur mit Fachhochschul- oder Universitätsabschluss etwa der Fachrichtung Maschinenbau handelt, der über langjährige Erfahrung auf dem Gebiet der Wägetechnik und in der Entwicklung von Wiegevorrichtungen verfügt.
28
Der wesentliche Gedanke der von den Streitpatenten gefundenen Lösung für das Problem, den Wiegestab von der Übertragung von Schwenkbewegungen freizuhalten und ihn damit von Störgrößen für das Messsignal fernzuhalten, liegt in dem gestalterischen Vorschlag, den Wiegestab, um den geschwenkt werden kann, oben und unten durch quer zu ihm liegende parallele Schwenkachsen zu schützen. Der gerichtliche Sachverständige hat zwar überzeugend dargelegt, dass in der Fachwelt schon vor der Anmeldung des deutschen Streitpatents insbesondere Querkräfte als häufigste und unangenehmste Störgröße in der Wägetechnik bekannt gewesen seien und dass damit auch das Anliegen der Streitpatente, die Wägegenauigkeit über die Krafteinleitung in die Wägezelle mittels geeigneter Wägezellenlager zu beeinflussen, bekannt gewesen sei. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass gerade die Lösung entsprechend der patentgemäßen Vorrichtung für die Fachwelt am Prioritätstag nahegelegen hat, haben sich jedoch nicht ergeben.
29
a) Die deutsche Offenlegungsschrift 40 26 561 (Anlage 5) hat dem Fachmann keine Anregung für eine streitpatentgemäße Weiterentwicklung gegeben. Das durch die Streitpatente zu lösende Problem, den Wiegestab gegen Schwenk- und Pendelbewegungen der Mulde sowohl in fahrzeugseitiger Längsrichtung als auch in Querrichtung zu schützen, wird in dieser Entgegenhaltung nicht erörtert. So findet sich auch kein ausdrücklicher Hinweis darauf, dass mit der Kettenaufhängung in den beiden unterhalb des Aufhängek örpers (3) befindlichen Schäkeln ein gewisser Bewegungsfreiheitsgrad quer zur fahrzeugseitigen Schwenkachse geschaffen ist. Hiermit sah das Konstruktionsprinzip nach der Offenlegungsschrift bereits eine Vorkehrung zur Abwehr von Störkräften auf den Messvorgang vor, obgleich ein Kettenring kein Schwenklager mit einer bestimmten Schwenkachse und einer hierdurch bestimmten Bewegungsführung darstellt. Diese technische Konstruktion eines Schutzes des Wiegestabs vor Pendelbewegungen der Mulde mag zwar nachteilig sein, weil wegen des geringen Spielraums der Schäkel innerhalb des Aufhängekörpers (3) die Gefahr einer Verkantung mit dessen Seitenblech oder eines Drucks auf das Seitenblech besteht, wenn ein seitlicher Zug an den Ketten (5) auftritt. Gründe, warum ein solcher Nachteil einer bei Auftreten einer seitlichen Zugkomponente möglichen Störgröße für das Messergebnis den Fachmann veranlasst haben könnte, die Identität zwischen der fahrzeugseitigen Schwenkachse und der Drehachse des Wiegestabs aufzulösen und sodann die Drehachse des Wiegestabs quer zur fahrzeugseitigen Schwenkachse anzuordnen, sind jedoch nicht ersichtlich. Dafür wäre nicht nur eine Weiterentwicklung, sondern eine Neukonstruktion der Vorrichtung unter völliger Umgestaltung des mit dem Portalarm (2) verbundenen Beschlags und des die Druckübertragung bewirkenden Aufhängekörpers (3) erforderlich gewesen. Dabei hätte in eine Neukonstruktion im Sinne der Streitpatente auch die Lagerung des Wiegestabs und die Krafteinleitung in dessen mittleren Bereich und mithin die Ausgestaltung des Wiegestabs einbezogen werden müssen. Gerade eine Änderung an der Krafteinleitung und Lagerung des Wiegestabs hätte sogar eine Bauartänderung bedeutet. Denn die vom Patentgericht als nachteilig angesehene einseitige Verbiegung des Wiegestabs, die mit dem endseitigen Anschluss des Druckübertragungsbauteils und der damit einhergehenden Einleitung der von der Nutzlast ausgeübten Gewichtskraft am Ende des Wiegestabs verbunden ist, entspricht typischerweise der nach dem Konstruktionsprinzip der Offenbarungsschrift gewählten Art des Wiegestabs. Dort ist er als ein Scherstab ausgebildet. Nach Darstellung des Sachverständigen kommen Wiegestäbe üblicherweise als Scherstäbe zur Anwendung. Da bei derartigen Scherstäben typischerweise nur eine seitliche Abstützung erfolgt ist, lässt sich auch die Ausgestaltung des Wiegestabs als einseitig gelagerter Scherstab nicht als konstruktionsbedingter Nachteil ansehen, der dem Fachmann unter Zugrundlegung der Offenlegungsschrift zu einer Neukonstruktion der Wiegevorrichtung hätte Veranlassung geben können.
30
b) Aus der als Vorbild noch am ehesten in Betracht zu ziehenden britischen Patentschrift 1 577 341 (Anlage 19) lassen sich keine hinreichenden Anregungen entnehmen, die den Fachmann in Richtung auf die Lehre der Streitpatente hätten weisen können.
31
Eine Kombination dieser Entgegenhaltung mit jener aus der Offenlegungsschrift 40 26 561 (Anlage 5), wie sie das Patentgericht vorgenommen hat, liegt zunächst schon deshalb fern, weil die Vorrichtung nach der deutschen Offenlegungsschrift eine Identität zwischen der fahrzeugseitigen Schwenk- und der Drehachse des Wiegestabs vorsieht, weshalb - jenseits einer völligen Neukonstruktion - Überlegungen über die Ausrichtung einer gesonderten Drehachse des Wiegestabs leer laufen. Überdies bezieht sich das in Rede stehende Ausführungsbeispiel gemäß Figur 4 in der Entgegenhaltung nach der britischen Patentschrift 1 577 341 (Anlage 19) auf einen Verankerungshaken zum Anlegen eines Schiffs und betrifft damit nicht nur ein fremdes technisches Gebiet. Vielmehr stellt sich bei solchen Befestigungen, bei denen seitlich angreifende Seilzugkräfte gemessen werden, das Problem von Pendelbewegungen, wie sie bei schwenkbeweglich hängenden Lasten auftreten können, ersichtlich nicht. Dementsprechend enthält die britische Patentschrift keinen Hinweis darauf, ob die Wiegevorrichtung gemäß Figur 4 über- haupt für ein schwenkbeweglich hängend gelagertes Lade- oder Greifbauteil an einem Fahrzeug genutzt werden könnte. Eine schwenkbewegliche Fixierung des Sockels (36) der (Schiffs-)Befestigung an einem Fahrzeug liegt eher fern, wie die von der Beklagten mit Anlage L5 vorgelegte Abbildung aus dem Prospekt über die vom britischen Unternehmen S. UK Ltd. verwendete Lastmessvorrichtung illustriert.
32
Obgleich sich bei einer solchen Vorrichtung die Probleme, um deren Lösung es bei der Lehre der Streitpatente geht, nicht stellen, hat der Senat zugunsten des Klägers unterstellt, dass von dem Fachmann, der den Schutz des Wiegestabs gegen eine Übertragung von Schwenkbewegungen hängender Lasten zu verbessern sucht, erwartet werden konnte, diese Schrift für seine Entwicklungstätigkeit zu Rate zu ziehen. Jedoch haben die in Kenntnis der Streitpatente gegebenen Antworten des Sachverständigen auf die Befragung nach einem Anlass für den Fachmann, den Beschlag (36) mit einer zusätzlichen oberen Achse zu versehen , um zu einer Anordnung der Schwenkachsen in der von den Streitpatenten definierten Form zu gelangen, kein eindeutiges Bild ergeben. Ausgehend von den sonstigen Möglichkeiten, welche die Entgegenhaltung offenbart, bedarf es einer solchen Lösung nicht. Denn oberhalb des eine Drehachse bildenden Wiegestabs kann eine quer dazu verlaufende Drehachse ohne jede weitere Änderung der Vorrichtung geschaffen werden, indem von der als zweite Ausführungsalternative beschriebenen Möglichkeit Gebrauch gemacht wird, den Wiegestab an die Stelle des in Figur 4 gezeigten Bolzens 41 zu setzen. Nach den Erläuterungen, die der gerichtliche Sachverständige zu seiner auch im schriftlichen Gutachten vertretenen These gegeben hat, dass prinzipiell nur zwei quer zueinander verlaufende Drehachsen nötig seien, sind bereits durch eine solche Ausführung Störgrößen zu vermeiden , die aus Pendelbewegungen herrühren: In der einen Richtung ist nämlich eine Drehung um den Wiegestab möglich und auch ein Pendeln in der anderen Richtung belastet den Wiegestab nicht, weil oberhalb eine quergerichtete Drehachse vorhanden ist. Der Senat hat sich daher nicht davon überzeugen können, dass die britische Patentschrift zu einer streitpatentgemäßen Weiterentwicklung hat anregen können.
33
c) Die Ausgestaltung der gattungsgemäßen Wiegevorrichtung des niederländischen Unternehmens W. B.V. gab dem Fachmann ebenfalls keine Anregung und ohne unzulässige rückschauende Betrachtung auch keinen Anlass zur Auffindung der im Patentanspruch 1 geschützten Lösung. Aufgrund der vorstehend - unter II 1 d - genannten technischen Unterschiede zur streitpatentgemäßen Vorrichtung wäre auch bei der behaupteten offenkundigen Vorbenutzung durch die W. -Wiegevorrichtung als Ausgangspunkt fachmännischer Überlegungen eine Neukonstruktion nötig, die eine über bloß handwerkliche Arbeit hinausgehende erfinderische Tätigkeit des Fachmanns erfordert hätte. Denn ohne eine umfängliche Umgestaltung des Schwenkbeschlags (10) und des Druckübertragungsbauteils (13) ließen sich auch hier die beiden (Scher-)Wiegestäbe nicht durch einen einzigen beidseitig gelagerten und als Drehachse ausgebildeten (Biege -)Wiegestab ersetzen, in dessen mittlerem Bereich punktuell die Druckübertragung angreift. Für die Beurteilung, ob der Fachmann zu einer solch komplexen Veränderung ohne Kenntnis der Lehre der Streitpatente veranlasst war, ist zu berücksichtigen , dass auch das Konstruktionsprinzip der W. -Vorrichtung bereits eine Lösung für das von den Streitpatenten aufgegriffene Problem geboten hat, den Wiegestab gegen Schwenk- und Pendelbewegungen der Mulde sowohl in fahrzeugseitiger Längsrichtung als auch in Querrichtung zu schützen: Der Schwenkbeschlag (10) ist über einen quer zur Fahrtrichtung verlaufenden Bolzen an der fahrzeugseitigen Schwenkachse (A) zu befestigen, wobei dort die von zwei Schrauben mit den Bezugszeichen 3 und 9 gebildete weitere Achse vorgesehen ist, die längs zur Fahrtrichtung liegt. Hierdurch sind zwei senkrecht zueinander stehende Bewegungsfreiheitsgrade geschaffen. Weiteren Schutz der beiden Wiegestäbe (12) bewirkt das zur fahrzeugseitigen Schwenkachse (A) parallel liegende Schwenklager (7) unterhalb der Wiegestäbe. Eine Vermeidung von Querkräften, die auf den Wiegestab einwirken, wie sie die streitpatentgemäße Lösung durch die Ausbildung des Wiegestabs als Drehachse bietet, wird durch die W. - Vorrichtung zwar nicht erreicht; nach dessen Konstruktionsprinzip stehen die Wiegestäbe bei einer Schrägstellung der Mulde vielmehr ebenfalls schräg, wie die Beklagte mit den von ihr vorgelegten CAD-Abbildungen gemäß Anlagen L13 und L14 veranschaulicht hat. Daraus hat sich für den Fachmann indes noch nicht die Anregung ergeben, den Wiegestab als quer zur fahrzeugseitigen Schwenkachse stehende Drehachse auszubilden.
34
d) Schließlich hat der Senat vor dem Hintergrund des Standes der Technik, wie ihn u.a. die vorgenannten Entgegenhaltungen widerspiegeln, auch nicht die Überzeugung gewinnen können, dass die von den Streitpatenten vorgeschlagene Lösung bereits auf Grund des allgemeinen Fachwissens und des stets vorhandenen Strebens nach Verbesserung vorhandener Lösungen nahegelegen hat. Wenngleich aus den vorgenannten Entgegenhaltungen alle Einzelmerkmale der beanspruchten Lösung bekannt gewesen sind und die Fachwelt um die Problemstellung , für die die Lehre der Streitpatente eine Lösung bietet, gewusst hat und sie auch einige der diesbezüglichen Grundaussagen etwa der Veröffentlichung von D. Green (Anlage 15) hat entnehmen können, stellt die streitpatentgemäße Konstruktion gegenüber den bekannten gattungsmäßigen Wiegevorrichtungen, bei denen der Schwenkbeschlag an der fahrzeugseitigen Schwenkachse zu befestigen ist, doch eine komplexe Veränderung dar, die Überlegungen in ganz unterschiedliche Richtungen voraussetzt. Mangels konkreter Vorbilder als Ausgangspunkt für die streitpatentgemäße Vorrichtung mag sich mit den Ausführungen des Sachverständigen zwar eine aus der Sachlogik des technischen Problems herzu- leitende Möglichkeit begründen lassen, dass der Fachmann den Weg der Erfindung als den als sachgerecht erkennbaren hätte gehen können. Um das Begehen eines von den bisher beschrittenen Wegen abweichenden Lösungswegs nicht nur als möglich, sondern dem Fachmann nahegelegt anzusehen, bedarf es allerdings - abgesehen von den Fällen, in denen für den Fachmann auf der Hand liegt, was zu tun ist - in der Regel zusätzlicher, über die Erkennbarkeit des technischen Problems hinausreichender Anstöße, Anregungen, Hinweise oder sonstiger Anlässe dafür, die Lösung des technischen Problems auf dem Weg der Erfindung zu suchen (BGH, Urt. v. 30.04.2009 - Xa ZR 92/05, GRUR 2009, 746 Tz. 20 - Betrieb einer Sicherheitseinrichtung).
35
3. Mit Patentanspruch 1 haben auch die jeweils auf diesen rückbezogenen Unteransprüche Bestand.
36
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG in Verbindung mit § 91 ZPO.
Scharen Keukenschrijver Asendorf Berger Grabinski
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 22.11.2006 - 4 Ni 15/05 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
X ZB 18/06
vom
30. Oktober 2007
in dem Rechtsbeschwerdeverfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Kornfeinung
PatG § 59 Abs. 1; IntPatÜG Art. II § 8
Für den Einspruch gegen ein deutsches Patent bedarf es auch dann keines
besonderen Rechtsschutzbedürfnisses, wenn das Patent wegen des Doppelschutzverbots
im Hinblick auf die bestandskräftige Erteilung eines europäischen
Patents keine Wirkung mehr hat.
BGH, Beschl. v. 30. Oktober 2007 - X ZB 18/06 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. Oktober 2007 durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, den Richter Scharen, die Richterin
Mühlens und die Richter Prof. Dr. Meier-Beck und Gröning

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 11. Senats (Technischen Beschwerdesenats) des Bundespatentgerichts vom 4. Mai 2006 wird auf Kosten der Patentinhaberin zurückgewiesen.
Der Wert des Gegenstands der Rechtsbeschwerde wird auf 25.000,-- € festgesetzt.

Gründe:


1
I. Die Rechtsbeschwerdeführerin (Patentinhaberin) meldete am 9. November 2000 eine Erfindung betreffend eine Vorrichtung bzw. ein Verfahren zur Filtration und Zugabe von Kornfeinungsmaterialien zu Metallschmelzen beim Deutschen Patent- und Markenamt zur Erteilung eines Patents an. Ihr ist das deutsche Patent 100 55 523 (Streitpatent) erteilt und die Erteilung ist am 18. April 2002 veröffentlicht worden.
2
Unter Inanspruchnahme der Priorität dieser Patentanmeldung vom 9. November 2000 meldete die Patentinhaberin am 2. November 2001 ein europäisches Patent an. Dieses ist - mit Wirkung auch für die Bundesrepublik Deutschland - erteilt und der Hinweis auf die Erteilung ist am 27. April 2005 bekannt gemacht worden. Die Frist zur Einlegung des Einspruchs gegen das erteilte europäische Patent ist fruchtlos verstrichen.
3
Am 16. Juli 2002 hat die Einsprechende mit der Begründung Einspruch gegen das Streitpatent erhoben, sein Gegenstand beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Die Patentinhaberin hat, nachdem das im Wesentlichen gleiche europäische Patent erteilt worden und die Einspruchsfrist ohne Einlegung eines Einspruchs abgelaufen ist, geltend gemacht, der Einspruch sei unzulässig geworden. In der Sache hat sie das Streitpatent vorsorglich beschränkt und mit Hilfsanträgen verteidigt; wegen der Einzelheiten wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen.
4
Das Bundespatentgericht hat die Zulässigkeit des Einspruchs bejaht und das Streitpatent widerrufen.
5
Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde wendet die Patentinhaberin sich dagegen, dass das Bundespatentgericht den Einspruch für zulässig erachtet hat.
6
Die Einsprechende ist in der Rechtsbeschwerdeinstanz nicht vertreten.
7
II. Die Rechtsbeschwerde ist kraft Zulassung statthaft und auch im Übrigen zulässig.
8
III. In der Sache bleibt das Rechtsmittel ohne Erfolg. Durch die Einlegung der zugelassenen Rechtsbeschwerde ist die Nachprüfung des angefochtenen Beschlusses nach Art einer Revision eröffnet (st. Rspr., vgl. zuletzt Sen.Beschl. v. 17.4.2007 - X ZB 9/06, GRUR 2007, 859 - Informationsübermittlungsverfahren I, zur Veröffentlichung in BGHZ 172, 108 bestimmt). Soweit in dem Umstand , dass das Bundespatentgericht die Rechtsbeschwerde "bezüglich der Zulässigkeit des Einspruchs" zugelassen hat, eine Beschränkung der Rechtsbeschwerde und nicht nur der Anlass für die unbeschränkte Zulassung des Rechtsmittels (vgl. BGHZ 88, 191, 193) gesehen werden könnte, wäre diese unwirksam. Die Rechtsbeschwerde kann wirksam nur auf einen abtrennbaren Teil des Verfahrensgegenstands oder einzelne Verfahrensbeteiligte begrenzt werden (BGH aaO; Benkard/Rogge, PatG, 10. Aufl., § 100 Rdn. 18; Busse/ Keukenschrijver, PatG, 6. Aufl., § 100 Rdn. 16, jew. mit zahlr. Nachweisen). Bei der Frage, ob der Einspruch (weiter) zulässig ist, handelt es sich nicht um einen in diesem Sinne abtrennbaren Teil des Verfahrensgegenstands, sondern um eine isolierte Rechtsfrage, auf welche die Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht wirksam beschränkt werden kann (BGHZ 90, 318). Die danach eröffnete Nachprüfung deckt keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Patentinhaberin auf.
9
1. Das Bundespatentgericht hat die Zulässigkeit des Einspruchs zu Recht bejaht.
10
a) Dass der von der Einsprechenden eingelegte Einspruch an sich statthaft ist, ergibt sich aus § 59 Abs. 1 PatG (vgl. dazu Sen.Beschl. v. 22.2.1994 - X ZB 15/92, GRUR 1994, 439 f. - Sulfonsäurechlorid) und wird von der Patentinhaberin auch nicht in Zweifel gezogen. Sie meint vielmehr, die Einsprechende hätte, nachdem die Rechtsfolge aus Art. II § 8 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG eingetreten und das deutsche Patent wirkungslos geworden ist, ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis an der Aufrechterhaltung des eingelegten Einspruchs darzulegen gehabt. Daran fehle es. Die Einsprechende habe weder behauptet, für den Zeitraum vor bestandskräftiger Erteilung des europäischen Patents von der Patentinhaberin aus dem deutschen Patent in Anspruch genommen worden zu sein, noch dass die Patentinhaberin insoweit die Geltendmachung von Rechten angekündigt oder dass sie, die Einsprechende, dieses zu befürchten habe. Auch das Bundespatentgericht habe hierzu keine konkreten Feststellungen getroffen.
11
b) Der Auffassung der Rechtsbeschwerde kann nicht beigetreten werden.
12
aa) Allerdings ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats für die Fortsetzung des Patentnichtigkeitsverfahrens nach dem Erlöschen des Patents wegen Zeitablaufs, Verzichts oder wegen Nichtzahlung der Jahresgebühren ein besonderes, eigenes Rechtsschutzbedürfnis des Klägers erforderlich (vgl. Sen.Urt. v. 19.5.2005 - X ZR 188/01, GRUR 2005, 749 - Aufzeichnungsträger; v. 12.12.2006 - X ZR 131/02, GRUR 2007, 309 Tz. 7 - Schussfädentransport; vgl. auch Keukenschrijver, Patentnichtigkeitsverfahren, 2. Aufl. Rdn. 120 m.w.N.).
13
Diese Anforderung beruht auf der Erwägung, dass das Interesse der Allgemeinheit an der Nichtigerklärung unberechtigter Schutzrechte nicht mehr berührt wird, wenn das Patent erloschen ist (vgl. Benkard/Rogge, PatG, 10. Aufl., § 22 Rdn. 35; Busse/Keukenschrijver, PatG, 6. Aufl., § 81 Rdn. 49). Aus dem gleichen Grund kann der Einsprechende die Fortführung des Einspruchsverfahrens nach Erlöschen des Patents nur verlangen, wenn bei ihm ein besonderes Rechtsschutzinteresse gegeben ist (Sen.Beschl. v. 14.2.1995 - X ZB 19/94, GRUR 1995, 342 f. - Tafelförmige Elemente; v. 17.4.1997 - X ZB 10/96, GRUR 1997, 615 ff. - Vornapf).
14
bb) Ist das nationale Patent dagegen, wie im Streitfall, nicht erloschen, sondern infolge der Erteilung eines europäischen Patents nach den Grundsätzen des Doppelschutzverbots (Art. II § 8 Abs. 1 IntPatÜG) wirkungslos geworden , lässt sich ein weiter bestehendes Interesse der Allgemeinheit am Widerruf des zu Unrecht erteilten deutschen Patents nicht verneinen. Das beruht auf den im Vergleich zum Erlöschen des Patents unterschiedlichen Rechtsfolgen der Wirkungslosigkeit.
15
Die rechtlichen Wirkungen des deutschen Patents werden durch die Erteilung des europäischen nicht vollständig beseitigt. Zwar wird das nationale Patent nach Art. II § 8 Abs. 1 IntPatÜG von dem Zeitpunkt an wirkungslos, in dem eine der in Nr. 1 bis 3 dieser Vorschrift genannten Voraussetzungen erfüllt ist, sei es, dass die Frist zur Einlegung des Einspruchs gegen das europäische Patent ergebnislos abgelaufen oder das Einspruchsverfahren unter Aufrechterhaltung des europäischen Patents rechtskräftig abgeschlossen ist oder dass das deutsche Patent erteilt wird und dies zeitlich nach einem der beiden vorgenannten Ereignisse geschieht. Das Schutzrecht bleibt jedoch als solches auch nach Eintritt der Wirkungslosigkeit bestehen (vgl. Benkard/Rogge, EPÜ, Art. 139 Rdn. 15 m.w.N.; Busse/Keukenschrijver PatG, 6. Aufl., Art. II § 8 IntPatÜG Rdn. 4). Das Interesse der Allgemeinheit am Widerruf eines rechtlich (weiter) bestehenden Patents für den Fall der ungerechtfertigten Erteilung wegen des zwischenzeitlichen Eintritts der Rechtsfolgen aus Art. II § 8 Abs. 1 IntPatÜG kann nicht verneint werden.
16
cc) Soweit im Schrifttum für die Fortsetzung des Einspruchsverfahrens nach dem Wirkungsloswerden des deutschen Patents die Darlegung eines schutzwürdigen Interesses am rückwirkenden Widerruf des ex nunc erloschenen Patents verlangt wird (vgl. Schulte, PatG, 7. Aufl., § 59 Rdn. 42; Mes, Festschrift für Rogge, GRUR 2001, 976, 979), vernachlässigt dies zudem, dass die Frage, in welchem Umfang das europäische Patent i. S. von Art. II § 8 Abs. 1 IntPatÜG dieselbe Erfindung schützt, wie das deutsche, erst das Ergebnis einer mitunter schwierigen Sachprüfung ist, deren Beantwortung im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung nicht mehr sachgerecht wäre.
17
2. Die rechtliche Nachprüfung (zu ihrem Umfang im Rechtsbeschwerdeverfahren Sen.Beschl. v. 14.5.1996 - X ZB 4/95, GRUR 1996, 753, 756 - Informationssignal, insoweit nicht in BGHZ 133, 18 ff.; v. 16.6.1998 - X ZB 3/97, GRUR 1998, 889, 901 - Alpinski) deckt auch sonst weder von Amts wegen zu beachtende Verfahrensmängel noch materiellrechtliche Fehler auf. Maßstab für die materiellrechtliche Prüfung ist nach Lage des Falles im Wesentlichen , ob die angefochtene Entscheidung auf einer Verkennung des Rechtsbegriffs der erfinderischen Tätigkeit beruht (vgl. Sen.Beschl. GRUR 1998, 889, 901 - Alpinski). Das ist nicht der Fall. Das Bundespatentgericht hat die Patentfähigkeit der Erfindung in rechtlich nicht zu beanstandender Weise verneint. Die Rechtsbeschwerde hat insoweit auch ebenso wenig konkrete Beanstandungen erhoben, wie sonstige Verfahrensrügen.
18
Die Kostenentscheidung folgt aus § 109 Abs. 1 Satz 2 PatG.
19
Eine mündliche Verhandlung hat der Senat nicht für erforderlich erachtet.
Melullis Scharen Mühlens
Meier-Beck Gröning
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 04.05.2006 - 11 W(pat) 326/02 -

(1) Die Veröffentlichung einer internationalen Anmeldung nach Artikel 21 des Patentzusammenarbeitsvertrags, für die das Deutsche Patent- und Markenamt Bestimmungsamt ist, hat die gleiche Wirkung wie die Veröffentlichung eines Hinweises nach § 32 Abs. 5 des Patentgesetzes für eine beim Deutschen Patentamt eingereichte Patentanmeldung (§ 33 des Patentgesetzes). Ein Hinweis auf die Veröffentlichung wird im Patentblatt bekanntgemacht.

(2) Ist die internationale Anmeldung vom Internationalen Büro nicht in deutscher Sprache veröffentlicht worden, so veröffentlicht das Deutsche Patent- und Markenamt die ihm zugeleitete Übersetzung der internationalen Anmeldung von Amts wegen. In diesem Fall treten die Wirkungen nach Absatz 1 erst vom Zeitpunkt der Veröffentlichung der deutschen Übersetzung an ein.

(3) Die nach Artikel 21 des Patentzusammenarbeitsvertrags veröffentlichte internationale Anmeldung gilt erst dann als Stand der Technik nach § 3 Abs. 2 des Patentgesetzes, wenn die in § 4 Abs. 2 genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

(1) Patente werden für Erfindungen auf allen Gebieten der Technik erteilt, sofern sie neu sind, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind.

(2) Patente werden für Erfindungen im Sinne von Absatz 1 auch dann erteilt, wenn sie ein Erzeugnis, das aus biologischem Material besteht oder dieses enthält, oder wenn sie ein Verfahren, mit dem biologisches Material hergestellt oder bearbeitet wird oder bei dem es verwendet wird, zum Gegenstand haben. Biologisches Material, das mit Hilfe eines technischen Verfahrens aus seiner natürlichen Umgebung isoliert oder hergestellt wird, kann auch dann Gegenstand einer Erfindung sein, wenn es in der Natur schon vorhanden war.

(3) Als Erfindungen im Sinne des Absatzes 1 werden insbesondere nicht angesehen:

1.
Entdeckungen sowie wissenschaftliche Theorien und mathematische Methoden;
2.
ästhetische Formschöpfungen;
3.
Pläne, Regeln und Verfahren für gedankliche Tätigkeiten, für Spiele oder für geschäftliche Tätigkeiten sowie Programme für Datenverarbeitungsanlagen;
4.
die Wiedergabe von Informationen.

(4) Absatz 3 steht der Patentfähigkeit nur insoweit entgegen, als für die genannten Gegenstände oder Tätigkeiten als solche Schutz begehrt wird.

(1) Eine Erfindung gilt als neu, wenn sie nicht zum Stand der Technik gehört. Der Stand der Technik umfaßt alle Kenntnisse, die vor dem für den Zeitrang der Anmeldung maßgeblichen Tag durch schriftliche oder mündliche Beschreibung, durch Benutzung oder in sonstiger Weise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind.

(2) Als Stand der Technik gilt auch der Inhalt folgender Patentanmeldungen mit älterem Zeitrang, die erst an oder nach dem für den Zeitrang der jüngeren Anmeldung maßgeblichen Tag der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind:

1.
der nationalen Anmeldungen in der beim Deutschen Patent- und Markenamt ursprünglich eingereichten Fassung;
2.
der europäischen Anmeldungen in der bei der zuständigen Behörde ursprünglich eingereichten Fassung, wenn mit der Anmeldung für die Bundesrepublik Deutschland Schutz begehrt wird und die Benennungsgebühr für die Bundesrepublik Deutschland nach Artikel 79 Abs. 2 des Europäischen Patentübereinkommens gezahlt ist und, wenn es sich um eine Euro-PCT-Anmeldung (Artikel 153 Abs. 2 des Europäischen Patentübereinkommens) handelt, die in Artikel 153 Abs. 5 des Europäischen Patentübereinkommens genannten Voraussetzungen erfüllt sind;
3.
der internationalen Anmeldungen nach dem Patentzusammenarbeitsvertrag in der beim Anmeldeamt ursprünglich eingereichten Fassung, wenn für die Anmeldung das Deutsche Patent- und Markenamt Bestimmungsamt ist.
Beruht der ältere Zeitrang einer Anmeldung auf der Inanspruchnahme der Priorität einer Voranmeldung, so ist Satz 1 nur insoweit anzuwenden, als die danach maßgebliche Fassung nicht über die Fassung der Voranmeldung hinausgeht. Patentanmeldungen nach Satz 1 Nr. 1, für die eine Anordnung nach § 50 Abs. 1 oder Abs. 4 erlassen worden ist, gelten vom Ablauf des achtzehnten Monats nach ihrer Einreichung an als der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

(3) Gehören Stoffe oder Stoffgemische zum Stand der Technik, so wird ihre Patentfähigkeit durch die Absätze 1 und 2 nicht ausgeschlossen, sofern sie zur Anwendung in einem der in § 2a Abs. 1 Nr. 2 genannten Verfahren bestimmt sind und ihre Anwendung zu einem dieser Verfahren nicht zum Stand der Technik gehört.

(4) Ebenso wenig wird die Patentfähigkeit der in Absatz 3 genannten Stoffe oder Stoffgemische zur spezifischen Anwendung in einem der in § 2a Abs. 1 Nr. 2 genannten Verfahren durch die Absätze 1 und 2 ausgeschlossen, wenn diese Anwendung nicht zum Stand der Technik gehört.

(5) Für die Anwendung der Absätze 1 und 2 bleibt eine Offenbarung der Erfindung außer Betracht, wenn sie nicht früher als sechs Monate vor Einreichung der Anmeldung erfolgt ist und unmittelbar oder mittelbar zurückgeht

1.
auf einen offensichtlichen Mißbrauch zum Nachteil des Anmelders oder seines Rechtsvorgängers oder
2.
auf die Tatsache, daß der Anmelder oder sein Rechtsvorgänger die Erfindung auf amtlichen oder amtlich anerkannten Ausstellungen im Sinne des am 22. November 1928 in Paris unterzeichneten Abkommens über internationale Ausstellungen zur Schau gestellt hat.
Satz 1 Nr. 2 ist nur anzuwenden, wenn der Anmelder bei Einreichung der Anmeldung angibt, daß die Erfindung tatsächlich zur Schau gestellt worden ist und er innerhalb von vier Monaten nach der Einreichung hierüber eine Bescheinigung einreicht. Die in Satz 1 Nr. 2 bezeichneten Ausstellungen werden vom Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz im Bundesanzeiger bekanntgemacht.

Eine Erfindung gilt als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Gehören zum Stand der Technik auch Unterlagen im Sinne des § 3 Abs. 2, so werden diese bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht in Betracht gezogen.

(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend.

(2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkosten (§§ 91 bis 101) sind entsprechend anzuwenden, soweit nicht die Billigkeit eine andere Entscheidung erfordert; die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Kostenfestsetzungsverfahren (§§ 103 bis 107) und die Zwangsvollstreckung aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen (§§ 724 bis 802) sind entsprechend anzuwenden.

(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last.

(2) Das Gericht kann der einen Partei die gesamten Prozesskosten auferlegen, wenn

1.
die Zuvielforderung der anderen Partei verhältnismäßig geringfügig war und keine oder nur geringfügig höhere Kosten veranlasst hat oder
2.
der Betrag der Forderung der anderen Partei von der Festsetzung durch richterliches Ermessen, von der Ermittlung durch Sachverständige oder von einer gegenseitigen Berechnung abhängig war.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)