Bundesgerichtshof Urteil, 21. Juni 2016 - X ZR 44/15

bei uns veröffentlicht am21.06.2016
vorgehend
Landgericht Düsseldorf, 4b O 53/14, 29.07.2014
Oberlandesgericht Düsseldorf, 2 U 57/14, 25.02.2015

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 44/15 Verkündet am:
21. Juni 2016
Anderer
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
ECLI:DE:BGH:2016:210616UXZR44.15.0

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 21. Juni 2016 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, den Richter Dr. Bacher, die Richterin Schuster, den Richter Dr. Deichfuß sowie die Richterin Dr. Kober-Dehm

für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 25. Februar 2015 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin, die die Beklagte wegen Patentverletzung in Anspruch nimmt, Sicherheit wegen der Prozesskosten zu leisten hat.
2
Die Klägerin ist Tochter einer US-amerikanischen Muttergesellschaft mit Sitz in Reno (Nevada) und im irischen Handelsregister als Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach irischem Recht eingetragen. Im Jahr 2012 verkaufte die Muttergesellschaft das operative Geschäft der Klägerin. Im Jahr darauf erwarb sie ein etwa 1000 Schutzrechte umfassendes Patentportfolio, das sie im Februar 2014 auf die Klägerin übertrug. Diese ist seither mit der Verwaltung, Lizenzierung und - soweit erforderlich - klageweisen Durchsetzung des Patentportfolios , zu dem auch das Klagepatent gehört, in Europa und Korea betraut.
3
Als satzungsmäßiger Sitz der Klägerin ist die Adresse einer Rechtsanwaltskanzlei in Dublin registriert. Als Geschäftssitz hat die Klägerin vor dem Landgericht eine hiervon abweichende Adresse in Dublin angegeben, wo sie ein Büro bei einem Office-Dienstleister angemietet hatte, der für die Mieter Lieferungen und Postsendungen annimmt. Im Laufe des Berufungsverfahrens hat die Klägerin einen Mietvertrag über Geschäftsräume unter der im Urteilsrubrum angegebenen Adresse in Dublin abgeschlossen.
4
Das vertretungsberechtigte Organ der Klägerin (board of directors) besteht aus den Geschäftsführern S. S. und P. R. . Der Geschäftsführer S. arbeitet hauptsächlich in einem in seiner Privatwohnung in Turku (Finnland) eingerichteten Büro. Er ist gleichzeitig Vizepräsident der Muttergesellschaft der Klägerin und bei dieser für den Bereich Lizenzen und Standards zuständig. Der Geschäftsführer R. , der seinen Wohnsitz in Dublin hat und seit dem 24. Juni 2014 bei der Klägerin beschäftigt ist, war für diese zunächst als unternehmensinterner Rechtsberater (legal counsel) tätig. Ende 2014 wurde er anstelle des bisherigen zweiten Geschäftsführers der Klägerin E. V. , der als in Reno ansässiges Mitglied des Vorstands der Muttergesellschaft bei der Klägerin tatsächlich keine Geschäftsführungsaufgaben wahrgenommen hatte , zum Geschäftsführer (director) der Klägerin bestellt. Seit August 2014 beschäftigt die Klägerin in Dublin außerdem eine Buchhalterin.
5
Das Landgericht hat den Antrag der Beklagten, der Klägerin die Leistung einer Prozesskostensicherheit aufzugeben, mit Zwischenurteil zurückgewiesen. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag weiter. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe:


6
Die zulässige Revision hat keinen Erfolg.
7
I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
8
Die Voraussetzungen für eine Verpflichtung der Klägerin, Sicherheit wegen der Prozesskosten zu leisten, seien nicht gegeben. Nachdem die gesetzliche Regelung hierfür an den gewöhnlichen Aufenthalt des Klägers anknüpfe, komme es dementsprechend bei einer juristischen Person wie der Klägerin auf den Sitz des Unternehmens an. Prozesskostensicherheit sei danach nur zu leisten , wenn sich der Sitz des klagenden Unternehmens nicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) befinde, wobei nicht der satzungsmäßige , sondern der tatsächliche Verwaltungssitz maßgebend sei. Dieser sei an dem Ort anzunehmen, an dem zum einen die Möglichkeit für Zustellungen an den Kläger gegeben sei und zum anderen der geschäftsführende Entscheidungsträger des Klägers tätig werde. Die Existenz einer zustellungsfähigen Anschrift in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens sei eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Annahme eines Verwaltungssitzes in einem dieser Staaten. Auch wenn die Prozesskostensicherheit nicht davor schütze, dass der Vollstreckungszugriff mangels werthaltiger Vollstreckungsobjekte des Klägers scheitere, verknüpfe das Gesetz - in einer rein typisierenden Betrachtung - mit dem tatsächlichen Sitz der Hauptverwaltung doch die angenommene Anwesenheit von Vermögenswerten, die dem obsiegenden Beklagten bei der Realisierung seines Kostenerstattungsanspruchs als Vollstreckungsobjekt dienen könnten. Ließe man bereits eine Zustellmöglichkeit für die Annahme eines Verwaltungssitzes ausreichen, wäre nicht einmal die theoretische Aussicht auf ein Zugriffsobjekt für eine Zwangsvollstreckung in der Europäischen Union oder im Europäischen Wirtschaftsraum gegeben und der Beklagte wäre von vorneherein auf eine Zwangsvollstreckung außerhalb Europas angewiesen. Umgekehrt könne ein Verwaltungssitz auch nicht an der Wirkungsstätte des Geschäftsführers angenommen werden, wenn dort keine Zustellmöglichkeit bestehe, so wenn der Geschäftsführer beispielsweise in seiner privaten Unterkunft ein Büro unterhalte. Fielen der Ort der Zustellmöglichkeit und der Tätigkeitsort des geschäftsführenden Entscheidungsträgers auseinander, lasse sich kein tatsächlicher Verwaltungssitz ausmachen. In diesem Fall sei der Kläger, auch wenn sich beide Orte in der Europäischen Union oder im Europäischen Wirtschaftsraum befänden, ebenso zur Leistung von Prozesskostensicherheit verpflichtet, wie wenn er seinen Verwaltungssitz in einem Drittstaat hätte. Seien mehrere Geschäftsführer vorhanden, die das operative Geschäft gemeinschaftlich oder arbeitsteilig erledigten, genüge es, wenn der Tätigkeitsort nur eines von ihnen mit dem Zustellungsort zusammenfalle. Dadurch sei dem Zweck der Prozesskostensicherheit gedient, weil zu erwarten sei, dass sich dort, wo auch nur einer von mehreren Geschäftsführern residiere und die Voraussetzungen für eine Zustellmöglichkeit gegeben seien, typischerweise Vermögenswerte befänden, die als Vollstreckungsobjekte für den Beklagten taugten. Unerheblich sei, welches Gewicht die Beiträge des am Zustellungsort residierenden Geschäftsführers im Vergleich zu denen eines oder mehrerer weiterer Mitgeschäftsführer hätten; es genüge, dass der Geschäftsführer am Zustellungsort überhaupt in das operative Geschäft des Klägers verantwortlich eingebunden sei.
9
Die Klägerin habe ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in Dublin, weil dort Zustellungen an die Klägerin wirksam vorgenommen werden könnten und - nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme - der Mitgeschäftsführer R. an diesem Ort das operative Geschäft der Klägerin verantwortlich und weisungsfrei betreibe.
10
II. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend angenommen, dass die Voraussetzungen des § 110 Abs. 1 ZPO für eine Verpflichtung der Klägerin zur Leistung von Prozesskostensicherheit nicht vorliegen.
11
1. Nach dieser Bestimmung müssen Kläger, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum haben, auf Verlangen des Beklagten wegen der Prozesskosten Sicherheit leisten. Bei einer juristischen Person wie der Klägerin richtet sich - wovon auch das Berufungsgericht zutreffend ausgegangen ist - die Verpflichtung zur Leistung von Prozesskostensicherheit dementsprechend danach, ob sich der Sitz des Unternehmens in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens befindet.
12
2. Es bedarf im Streitfall keiner Entscheidung, ob es für die Verpflichtung zur Prozesskostensicherheit, wie das Berufungsgericht angenommen hat, nicht auf den satzungsmäßigen, sondern auf den tatsächlichen Verwaltungssitz ankommt. Denn sowohl als satzungsmäßiger wie auch als tatsächlicher Verwaltungssitz der Klägerin kommt nur ein Ort in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union in Betracht.
13
a) Ob im Rahmen des § 110 Abs. 1 ZPO auf den satzungsmäßigen Sitz oder auf den tatsächlichen Verwaltungssitz abzustellen ist, ist vom Bundesgerichtshof bisher offen gelassen worden. In den zu beurteilenden Fällen war die Frage nicht entscheidungserheblich, weil sich entweder sowohl der satzungsmäßige Sitz als auch der Verwaltungssitz des Klägers in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union befanden (BGH, Urteil vom 1. Juli 2002 - II ZR 380/00, BGHZ 151, 204, 208 f.) oder die als Unternehmenssitz in Betracht kommenden Orte sämtlich in Drittstaaten belegen waren (BGH, Zwischenurteil vom 30. Juni 2004 - VIII ZR 273/03, NJW-RR 2005, 148, 149).
14
b) Auch im Streitfall kann diese Frage offen bleiben, da die Klägerin in keinem denkbaren Fall zur Leistung von Prozesskostensicherheit verpflichtet ist. Stellt man auf den satzungsmäßigen Sitz ab, kann von der Klägerin Prozesskostensicherheit nicht verlangt werden, weil dieser in Dublin und damit in einem Unionsmitgliedstaat liegt. Sieht man den Verwaltungssitz als maßgeblich an, ist eine Pflicht der Klägerin zur Leistung von Prozesskostensicherheit ebenfalls zu verneinen, da ein Verwaltungssitz außerhalb der Europäischen Union im Streitfall nicht in Betracht kommt.
15
aa) Maßgebend dafür, wo eine Gesellschaft ihren Verwaltungssitz hat, ist der Tätigkeitsort der Geschäftsführung und der dazu berufenen Vertretungsorgane , also der Ort, wo die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung effektiv in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt werden (BGH, Urteil vom 21. März 1986 - V ZR 10/85, BGHZ 97, 269, 272; Beschluss vom 10. März 2009 - VIII ZB 105/07, NJW 2009, 1610).
16
bb) Im Streitfall liegen alle entscheidenden Anknüpfungspunkte für die Bestimmung des Verwaltungssitzes im Bereich der Europäischen Union.
17
(1) Die Klägerin hat die Führung ihrer Geschäfte zwei Geschäftsführern übertragen, wobei der Geschäftsführer S. seine Tätigkeit vornehmlich in Turku ausübt und der Geschäftsführer R. in Dublin tätig ist. Die Geschäftsführertätigkeit für die Klägerin wird danach ausschließlich in Irland und Finnland und damit in Mitgliedstaaten der Europäischen Union wahrgenommen, so dass unabhängig davon, wie das Verhältnis und die Beiträge der Geschäftsführer S. und R. zueinander zu bewerten sind, die Klägerin jedenfalls keinen Verwaltungssitz außerhalb der Union hat.
18
(2) Zustellungen an die Klägerin können zumindest in ihren Büroräumen in Dublin und damit ebenfalls in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union vorgenommen werden.
19
cc) Unter diesen Umständen ist es weder - wie die Revision meint - erforderlich , zunächst den Schwerpunkt der Geschäftsführertätigkeit festzustellen und danach den effektiven Verwaltungssitz der Klägerin zu bestimmen, noch kommt es - wie das Berufungsgericht angenommen hat - darauf an, ob die Zustellungsmöglichkeit gerade an dem Ort besteht, an dem ein geschäftsführender Entscheidungsträger der Klägerin seine Tätigkeit ausübt. Dementsprechend spielt auch weder eine Rolle, wie die Beiträge der beiden Geschäftsführer der Klägerin im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, noch, ob am Tätigkeitsort des Geschäftsführers S. in Turku die Möglichkeit besteht, der Klägerin Schriftstücke zuzustellen.
20
(1) Sinn und Zweck der Prozesskostensicherheit ist es, den obsiegenden Beklagten vor Schwierigkeiten bei der Durchsetzung seines Kostenerstattungsanspruchs zu bewahren, die typischerweise bei einer Vollstreckung außerhalb der Europäischen Union oder des Gebietes der Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum und damit außerhalb der Anwendungsbereiche der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rats vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil - und Handelssachen (Brüssel-Ia-VO) bzw. der für vor dem 10. Januar 2015 eingeleitete Verfahren noch maßgeblichen Verordnung (EG) Nr. 44/2001 (Brüssel -I-VO) und des Luganer Übereinkommens auftreten (vgl. BT-Drucks. 13/10871 S. 17). Dieser Zweck wird nicht gefährdet, wenn Unternehmenssitz und Zustellmöglichkeit nicht an einem Ort zusammenkommen, sondern sich an unterschiedlichen Orten innerhalb der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums befinden, sei es in unterschiedlichen Mitglied- oder Vertragsstaaten oder an unterschiedlichen Orten innerhalb desselben Staates. Dementsprechend kommt es auch dann, wenn - wie im Streitfall - die Geschäftsführung von mehreren Geschäftsführern an unterschiedlichen Orten wahrgenommen wird, nicht darauf an, in welchem Verhältnis diese zueinander stehen, solange sich sämtliche Tätigkeitsorte der Geschäftsführer in der Union oder innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums befinden.
21
(2) Entgegen der Auffassung der Beklagten erfordert der Wortlaut des § 110 Abs. 1 ZPO keine andere Beurteilung. Zwar ist dort vom gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union die Rede. Angesichts des Zwecks des § 110 Abs. 1 ZPO, den Beklagten vor den Schwierigkeiten einer Vollstreckung in einem Drittstaat zu bewahren, ist dies jedoch nicht dahin zu verstehen, dass alle relevanten Anknüpfungspunkte in einem einzigen Mitgliedstaat gegeben sein müssten. Entscheidend ist vielmehr, dass sich Unternehmenssitz und Zustellmöglichkeit auf dem Gebiet der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums befinden und kein Ort in einem Drittstaat als möglicher Unternehmenssitz in Betracht kommt.
22
III. Als in den Rechtsmittelinstanzen unterlegene Partei hat die Beklagte nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen. Ohne Erfolg wendet sich die Revision dagegen, dass das Berufungsgericht davon abgesehen hat, die Kosten des Berufungsverfahrens in entsprechender Anwendung von § 97 Abs. 2 ZPO der Klägerin aufzuerlegen.
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1. Nach § 97 Abs. 2 ZPO hat die obsiegende Partei die Kosten der Berufungsinstanz zu tragen, wenn sie aufgrund eines neuen Vorbringens obsiegt hat, das sie schon in der ersten Instanz hätte geltend machen können. Eine unmittelbare Anwendung dieser Vorschrift kommt - wie auch die Revision nicht in Frage stellt - nicht in Betracht, da die Veränderung in der Geschäftsleitung der Klägerin, die dieser nach der Begründung des Berufungsurteils zum Erfolg verholfen hat, erst im Berufungsverfahren eingetreten ist und daher im erstinstanzlichen Verfahren noch nicht vorgetragen werden konnte.
24
2. Aber auch eine entsprechende Anwendung der Vorschrift scheidet entgegen der Auffassung der Revision aus.
25
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bringt § 97 Abs. 2 ZPO einen allgemeinen Grundsatz zum Ausdruck und ist daher entsprechend anwendbar, wenn eine Partei erst in der Rechtsmittelinstanz infolge eines in der Rechtsmittelinstanz eingetretenen Umstands obsiegt, der nicht dem Bereich der Gegenpartei, sondern ihrem Bereich zuzurechnen ist (BGH, Urteil vom 16. Dezember 1959 - IV ZR 103/59, BGHZ 31, 342, 350).
26
b) Für einen Umstand in diesem Sinne genügt jedoch nicht jedes tatsächliche Geschehen, das sich im Einflussbereich einer Partei ereignet. § 97 Abs. 2 ZPO liegt vielmehr der Gedanke zugrunde, dass derjenige mit den Kosten des Rechtsmittelverfahrens belastet werden soll, der ein Angriffs- oder Verteidigungsmittel unter Verstoß gegen seine Prozessförderungspflicht verspätet geltend macht und damit den Prozess nachlässig führt (vgl. BGH, Urteil vom 2. März 2005 - VIII ZR 174/04, NJW-RR 2005, 866, 867). In dem Fall, der dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 16. Dezember 1959 (BGHZ 31, 342) zugrunde lag, konnte der Umstand, der zum Obsiegen des Klägers in der Rechtsmittelinstanz führte (Beitritt des Staatsanwalts als Streitgenosse), nur eintreten, weil der Kläger zuvor die Frist zur Anfechtung der Ehelichkeit des Kindes seiner Frau versäumt hatte und nach der damaligen Rechtslage dadurch erst die Voraussetzung dafür entstanden war, dass der Staatsanwalt dem Verfahren beitreten und seinerseits das Anfechtungsrecht ausüben konnte.
27
c) Im Streitfall kann der Klägerin nicht vorgehalten werden, den Prozess nachlässig geführt zu haben. Aus der Prozessförderungspflicht einer Partei lassen sich keine Anforderungen an die personelle Besetzung ihres Vertretungs- organs ableiten. Im Übrigen wäre es der Beklagten unbenommen gewesen, nach dem Wechsel in der Geschäftsführung der Klägerin den Zwischenstreit über die Prozesskostensicherheit für erledigt zu erklären. Meier-Beck Bacher Schuster Deichfuß Kober-Dehm
Vorinstanzen:
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 29.07.2014 - 4b O 53/14 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 25.02.2015 - I-2 U 57/14 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 21. Juni 2016 - X ZR 44/15

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 21. Juni 2016 - X ZR 44/15

Referenzen - Gesetze

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Zivilprozessordnung - ZPO | § 110 Prozesskostensicherheit


(1) Kläger, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum haben, leisten auf Verlangen des Beklagten wegen der Prozesskosten Sicherhe
Bundesgerichtshof Urteil, 21. Juni 2016 - X ZR 44/15 zitiert 3 §§.

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

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Bundesgerichtshof Urteil, 01. Juli 2002 - II ZR 380/00

bei uns veröffentlicht am 01.07.2002

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL II ZR 380/00 Verkündet am: 1. Juli 2002 Vondrasek Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja BGHR: ja

Bundesgerichtshof Beschluss, 10. März 2009 - VIII ZB 105/07

bei uns veröffentlicht am 10.03.2009

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS VIII ZB 105/07 vom 10. März 2009 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja GVG § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b; ZPO § 17 Abs. 1 a) Die - mit Wirkung zum 1. September 2009 aufgehobene - Vorsch

Referenzen

(1) Kläger, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum haben, leisten auf Verlangen des Beklagten wegen der Prozesskosten Sicherheit.

(2) Diese Verpflichtung tritt nicht ein:

1.
wenn auf Grund völkerrechtlicher Verträge keine Sicherheit verlangt werden kann;
2.
wenn die Entscheidung über die Erstattung der Prozesskosten an den Beklagten auf Grund völkerrechtlicher Verträge vollstreckt würde;
3.
wenn der Kläger im Inland ein zur Deckung der Prozesskosten hinreichendes Grundvermögen oder dinglich gesicherte Forderungen besitzt;
4.
bei Widerklagen;
5.
bei Klagen, die auf Grund einer öffentlichen Aufforderung erhoben werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
II ZR 380/00 Verkündet am:
1. Juli 2002
Vondrasek
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
Verlegt eine ausländische Gesellschaft, die entsprechend ihrem Statut nach
dem Recht des Gründungsstaates als rechtsfähige Gesellschaft ähnlich einer
Gesellschaft mit beschränkter Haftung deutschen Rechts zu behandeln wäre,
ihren Verwaltungssitz nach Deutschland, so ist sie nach deutschem Recht jedenfalls
eine rechtsfähige Personengesellschaft und damit vor den deutschen
Gerichten aktiv und passiv parteifähig.
BGH, Urteil vom 1. Juli 2002 - II ZR 380/00 - OLG München
LG München I
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Ver-
handlung vom 1. Juli 2002 durch den Vorsitzenden Richter Dr. h.c. Röhricht und
die Richter Dr. Hesselberger, Prof. Dr. Goette, Kraemer und die Richterin
Münke

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 25. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 21. März 2000 aufgehoben.
Die Anschlußberufung des Beklagten gegen das Urteil der 29. Zivilkammer des Landgerichts München I vom 25. November 1998 wird zurückgewiesen.
Im übrigen wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Klägerin nimmt den Beklagten aus einer Bürgschaftserklärung vom 17. Juni 1993 in Anspruch. Sie hat vorgetragen, sie sei eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung ("Limited Company") nach dem Recht der Kanalinsel J., auf der sie am 11. Oktober 1966 ordnungsgemäß gegründet worden sei und ihren satzungsmäßigen und tatsächlichen Verwaltungssitz habe. Sie sei daher auch in Deutschland rechts- und parteifähig. Der Beklagte ist der Ansicht, der Klägerin fehle die Rechts- und Parteifähigkeit, weil sie ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in Portugal oder Deutschland habe, ohne daß sie sich nach dem Recht dieser Staaten neu gegründet und die Eintragung ins Handelsregister veranlaßt habe.
Das Landgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen, weil der Klägerin der Nachweis ihrer Parteifähigkeit nicht gelungen sei. Die gegen das Urteil eingelegte Berufung hat das Berufungsgericht zurückgewiesen und die Klägerin zugleich auf die Anschlußberufung hin in Abänderung und Ergänzung des landgerichtlichen Urteils zur Leistung von Prozeßkostensicherheit in Höhe von 20.000,00 DM für den Beklagten verurteilt. Hiergegen und gegen die Klageabweisung richtet sich die Revision.

Entscheidungsgründe:


Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Die Anschlußberufung wird zurückgewiesen. Im übrigen wird die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
I. Das Berufungsgericht begründet seine Entscheidung in Übereinstimmung mit dem Landgericht damit, der Klägerin obliege angesichts des Bestreitens des Beklagten der Beweis dafür, daß sich ihr tatsächlicher Verwaltungssitz auf J. befinde. Denn die Parteifähigkeit richte sich nach der Sitztheorie und damit nach dem Personalstatut der Gesellschaft. Den entsprechenden Beweis habe die Klägerin nicht zu führen vermocht. Dem Beklagten stehe nach § 110 ZPO ein Anspruch auf Prozeßkostensicherheit auch für die erste Instanz zu. Beides hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
II. Zu Unrecht verneint das Berufungsgericht im Hinblick auf einen möglichen Verwaltungssitz der Klägerin in Deutschland oder Portugal deren Parteifähigkeit.
1. Der Klägerin könnte das Recht, ihre Ansprüche vor deutschen Gerichten geltend zu machen, auch dann nicht versagt werden, wenn sie ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in Deutschland hätte und nach der hier überwiegend vertretenen Sitztheorie (BGHZ 53, 181, 183; 78, 318, 334; 97, 269, 271; BGH, Urt. v. 8. Oktober 1991 - XI ZR 64/90, ZIP 1991, 1582; Beschl. v. 30. März 2000 - VII ZR 370/98, DB 2000, 1114; BFH, BStBl. II 1992, 263, 720; BayObLG, NJW-RR 1993, 43; Staudinger/Großfeld, Internationales Gesellschaftsrecht , 13. Aufl. Rdn. 24) nicht entsprechend ihrem Gründungsstatut als Gesellschaft mit beschränkter Haftung ("Limited Company") nach dem auf der Kanalinsel J. geltenden Recht zu behandeln wäre. Denn dann wäre sie in Deutschland jedenfalls eine rechtsfähige Personengesellschaft (§ 14 Abs. 2 BGB) und damit vor deutschen Gerichten aktiv und passiv parteifähig. Dies gilt nach der neueren Rechtsprechung des Senats, die das Berufungsgericht noch nicht berücksichtigen konnte, auch für die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (Urt. v. 29. Januar 2001 - II ZR 331/00, ZIP 2001, 330; Beschl. v. 18. Februar 2002 - II ZR 331/00, ZIP 2002, 614).

a) Eine Behandlung der ausländischen Gesellschaft als Gesellschaft bürgerlichen Rechts wird in der Literatur schon seit längerem als mögliche Alternative zur Anwendung der Sitz- oder Gründungstheorie diskutiert (vgl. Rehbinder , IPrax 1985, 32; Zimmer, BB 2000, 1361, 1363 m.w.N.). Ihr wurde bisher entgegengehalten, daß sie zu erheblichen Problemen im Prozeß- und Zwangs- vollstreckungsrecht führen würde, etwa weil zur Aufrechnung gestellte Gegenansprüche sich nicht gegen die Gesellschafter in gesamthänderischer Verbundenheit richten würden, sondern in aller Regel gegen die ausländische Gesellschaft als - nach Gründungsrecht - juristische Person (Rehbinder aaO). Würden nach teilweiser oder gänzlicher Klageabweisung Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen die klagende ausländische Gesellschaft notwendig, entstünde das Problem, daß ein Titel gegen die Gesellschafter als Gesellschaft bürgerlichen Rechts existieren würde, im Zweifel aber in Vermögensgegenstände vollstreckt werden müsse, die nominell im Eigentum der ausländischen Gesellschaft als juristischer Person stehen oder in Konten, die auf deren Namen errichtet sind. Eine Titelumschreibung auf die ausländische Gesellschaft nach § 727 ZPO würde mangels Rechtsnachfolge schon begrifflich ausscheiden, aber auch deshalb, weil die Rechtsnachfolge nach Rechtshängigkeit eingetreten sein muß (Zöller-Stöber, ZPO 21. Aufl. 1999 § 727 Rdn. 19).

b) Diese Einwände sind mit der neuen Rechtsprechung des Senats zur Rechts- und Parteifähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts entfallen. Die ausländische Gesellschaft kann, ohne nach deutschem Recht juristische Person zu sein, als Gesellschaft bürgerlichen Rechts klagen, so daß auch Gegenansprüche und Einreden oder Einwendungen unproblematisch geltend gemacht werden können und aus einem Titel gegen sie vollstreckt werden kann, ohne daß sich die Frage einer Umschreibung stellt. Ferner kann sie wirksam Verträge abschließen und Eigentum erwerben.
Damit entfallen zugleich die Bedenken, daß nach ausländischem Recht wirksam gegründete Gesellschaften, die ihren Verwaltungssitz nach Deutschland verlegt haben, durch die Weigerung, ihre Rechts- und Parteifähigkeit anzuerkennen , in einem durch zwingende Gründe des Allgemeinwohls nicht geforderten und damit unverhältnismäßigen Umfang ihres rechtlichen Besitzstan- des und ihrer Klagemöglichkeiten beraubt werden könnten, was angesichts der Vielzahl der von solchen Gesellschaften tatsächlich getätigten Geschäfte, des von ihnen vollzogenen Erwerbs von Immobilien- und Mobiliareigentums und der auch für sie bestehenden Notwendigkeit, im Rahmen ihrer Tätigkeit zur Wahrung ihrer Rechte um gerichtlichen Rechtsschutz nachzusuchen, weder durch die Notwendigkeit eines wirksamen Gläubigerschutzes noch durch das Gebot der Rechtssicherheit zur rechtfertigen wäre. Dementsprechend hat sich die Rechtsprechung auch schon vor den Grundsatzentscheidungen des Senats vom 29. Januar 2001 und 18. Februar 2002 genötigt gesehen, die passive Parteifähigkeit der ausländischen Gesellschaft anzuerkennen (OLG Nürnberg, IPrax 1985, 342; dazu Rehbinder, IPrax 1985, 324; BGHZ 97, 269, 271). Zu Recht weist die Revision aber auch auf weitere Widersprüche der Rechtspraxis hin: So werden etwa die Bankbürgschaften, die die Klägerin zur Abwehr der Vollstreckung und zur Stellung der Prozeßkostensicherheit beigebracht hat, von den Instanzgerichten wie dem Beklagten akzeptiert, obwohl die in Deutschland abgeschlossenen Bürgschaftsverträge bei fehlender Rechtsfähigkeit der Klägerin nach der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts eigentlich nichtig wären.
2. Das Berufungsgericht ist dem unter Beweis gestellten Vortrag des Beklagten , die Klägerin habe ihren Verwaltungssitz in Portugal oder in Deutschland nicht nachgegangen, sondern hat die Frage offengelassen. Diese Frage könnte jedoch nur dann offenbleiben, wenn die im Falle ihres Sitzes in Deutschland rechts- und parteifähige Klägerin dies auch im Falle ihres Sitzes in Portugal wäre. Insoweit hat das Berufungsgericht indes keinerlei Feststellungen getroffen. Seiner Entscheidung ist nicht zu entnehmen, um welche Art von Gesellschaft es sich nach portugiesischem Recht handeln könnte und welche Konsequenzen hieraus für den vorliegenden Fall gezogen werden müßten. III. Mit Erfolg greift die Revision schließlich die Verurteilung zur Zahlung von Prozeßkostensicherheit nach § 110 ZPO an.
Hat die Gesellschaft ihren Verwaltungssitz in Portugal oder Deutschland, scheidet die Anwendbarkeit des § 110 ZPO ohnehin aus.
Aber auch dann, wenn sie als Gesellschaft nach dem Recht der Insel J. zu behandeln wäre, kann von ihr Prozeßkostensicherheit nach § 110 ZPO nicht verlangt werden. Richtig ist zwar, daß die frühere Fassung des § 110 ZPO nur dann gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 6 (jetzt: Art. 12) EGV verstieß, wenn eine inländische Prozeßpartei von der Verpflichtung zur Leistung von Prozeßkostensicherheit frei war und die Klage eine der Grundfreiheiten berührte (EuGH NJW 1996, 3407; 1998, 2127), so daß angesichts der eingeschränkten Geltung der Grundfreiheiten für J. nach Art. 299 Abs. 6 lit. c EGV i.V.m. dem Protokoll Nr. 3 zu der BeitrA 1972 (BGBl. II S. 1338) der Gesetzgeber bei der Neufassung des § 110 ZPO möglicherweise J. von der Befreiung für Mitgliedstaaten der Europäischen Union hätte ausnehmen können. Gerade dies ist jedoch nicht erfolgt, so daß die Begründung des Berufungsgerichts , Art. 6 (jetzt Art. 12) EGV gelte im Verhältnis zu J. nicht, zwar in Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH stehen mag, nicht aber mit dem klaren Wortlaut des § 110 ZPO, der ohne Einschränkung für den Bereich der Europäischen Union eine Prozeßkostensicherheit nicht vorsieht und damit weiter reicht als die Vorgaben, die der EuGH gemacht hat. Da J. als Bestandteil des Vereinigten Königreiches, wenn auch unter Beachtung seines verfassungsrechtlichen Sonderstatus zur Europäischen Union gehört, sieht auch die Kommentarliteratur eine nur teilweise Geltung der Befreiungsvorschrift des § 110 ZPO für Großbritannien nicht vor, sondern geht von einer uneingeschränkten Geltung aus (MünchKomm./Belz, ZPO 2. Aufl. § 110 Rdn. 8; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 60. Aufl. Anh. zu § 110 Rdn. 11; Schütze, RiW 1999, S. 10).
Die Verurteilung der Klägerin zur Leistung von Prozeßkostensicherheit erfolgte daher unabhängig davon, wo sie ihren Verwaltungssitz hat, zu Unrecht.
IV. Soweit die Klägerin auf die Anschlußberufung hin zur Leistung von Prozeßkostensicherheit verurteilt wurde, konnte der Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO a.F.). Im übrigen war der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es Gelegenheit hat, die oben unter II. 2. erörterten, bisher fehlenden Feststellungen nachzuholen und sich bei Bejahung der Zulässigkeit der Klage mit deren Begründetheit - erforderlichenfalls nach weiterem Sachvortrag der Parteien - auseinanderzusetzen.
Röhricht Hesselberger Goette
Kraemer Münke

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VIII ZB 105/07
vom
10. März 2009
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

a) Die - mit Wirkung zum 1. September 2009 aufgehobene - Vorschrift des
§ 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG ist nicht anwendbar, wenn eine Gesellschaft
bürgerlichen Rechts einen allgemeinen Gerichtsstand jedenfalls auch
im Inland hat (im Anschluss an BGH, Beschluss vom 27. Juni 2007 - XII ZB
114/06, ZIP 2007, 1626).

b) Es fehlt an einer Grundlage für die Annahme, eine Gesellschaft bürgerlichen
Rechts habe ausschließlich einen ausländischen und nicht zumindest
auch einen inländischen Verwaltungssitz (§ 17 Abs. 1 Satz 2 ZPO), wenn
das zu verwaltende Gesellschaftsvermögen in Deutschland belegen ist, einer
der beiden Gesellschafter seinen Wohnsitz in Deutschland hat, die Gesellschaft
nach außen unter einer deutschen Adresse auftritt und ihre laufenden
Geschäfte durch eine deutsche Hausverwaltung geführt werden,
während ihre einzige Verbindung mit dem Ausland in dem ausländischen
Wohnsitz ihres anderen Gesellschafters besteht.
BGH, Beschluss vom 10. März 2009 - VIII ZB 105/07 - LG Berlin
AG Charlottenburg
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. März 2009 durch den
Vorsitzenden Richter Ball, den Richter Dr. Frellesen sowie die Richterinnen
Hermanns, Dr. Milger und Dr. Hessel

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss der Zivilkammer 65 des Landgerichts Berlin vom 4. September 2007 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Beschwerdewert: 2.703,08 €

Gründe:


I.

1
Die Klägerin nimmt die Beklagten, ihre ehemaligen Mieter, auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 2.703,08 € in Anspruch. In der Klageschrift hat sich die Klägerin wie folgt bezeichnet: "Grundstücksgemeinschaft L. straße 43, B. , bestehend aus 1. Herrn W. P. , P. straße , Ö. - G. , 2. Frau D. K. , F. allee , B. D. ".
2
Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Dagegen haben die Beklagten Berufung beim Landgericht eingelegt. Nach entsprechendem Hinweis hat das Berufungsgericht die Berufung gemäß § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig verworfen, weil sie nicht beim zuständigen Berufungsgericht eingelegt worden sei. Zur Begründung hat es ausgeführt:
3
Die Klägerin habe keinen inländischen Sitz. Sie sei zwar als Gesellschaft bürgerlichen Rechts durch die Verwendung eines eigenen Namens im Rechtsverkehr wie eine juristische Person aufgetreten. Zutreffend sei auch, dass als Außengesellschaften wie eine juristische Person auftretende Gesellschaften bürgerlichen Rechts im eigenen Namen klagen könnten. Für einen inländischen Sitz der Klägerin gebe es aber keine Anhaltspunkte. Die Klägerin habe weder in der Klageschrift noch im Mietvertrag einen eigenen Sitz im Inland angegeben. Vielmehr sei in der Klageschrift die Klägerin insoweit näher bezeichnet worden, als sie aus den beiden Gesellschaftern mit deren angegebenen Anschriften bestehe.
4
Mit ihrer Rechtsbeschwerde erstreben die Beklagten die Zurückverweisung der Sache an das Landgericht B. .

II.

5
1. Die kraft Gesetzes statthafte (§ 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO) Rechtsbeschwerde ist zulässig. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Das Berufungsgericht hat seine Zuständigkeit zu Unrecht verneint und die Beklagten dadurch in ihrem Verfahrensgrundrecht auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt, das es den Gerichten verbietet, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. Senatsbeschluss vom 1. März 2006 - VIII ZB 28/05, NJW 2006, 1810, Tz. 2 m.w.N.).
6
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Landgericht hat die Berufung der Beklagten zu Unrecht mit der Begründung als unzulässig verworfen , gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG sei nicht das Landgericht, sondern das Kammergericht für die Entscheidung über das Rechtsmittel zuständig. Nach dieser - durch das FGG-Reformgesetz vom 17. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2586) mit Wirkung zum 1. September 2009 aufgehobenen - Vorschrift sind die Oberlandesgerichte in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zuständig für die Verhandlung und Entscheidung über die Rechtsmittel in Streitigkeiten über Ansprüche , die von einer oder gegen eine Partei erhoben werden, die ihren allgemeinen Gerichtsstand im Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit außerhalb Deutschlands hatte. Das trifft hier entgegen der Meinung des Landgerichts nicht zu.
7
a) Zutreffend geht das Landgericht davon aus, dass Partei des Rechtsstreits die durch W. P. und D. K. gebildete Gesellschaft bürgerlichen Rechts ist. Sie ist als Außengesellschaft bürgerlichen Rechts, die durch die Teilnahme am Rechtsverkehr - wie beim Abschluss des Mietvertrags mit den Beklagten - eigene Rechte und Pflichten begründet, aktiv und passiv parteifähig (BGHZ 146, 341, 348 ff.).
8
b) Für die Frage der Rechtsmittelzuständigkeit nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG ist regelmäßig der im Verfahren vor dem Amtsgericht un- angegriffen gebliebene inländische oder ausl ändische allgemeine Gerichtsstand einer Partei zugrunde zu legen und einer Nachprüfung durch das Rechtsmittelgericht grundsätzlich entzogen (Senatsbeschluss vom 1. März 2006, aaO, Tz. 4 m.w.N.). Dabei liegen die Voraussetzungen des § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG nicht vor, wenn eine Partei neben einem allgemeinen Gerichtsstand im Ausland auch einen allgemeinen Gerichtsstand im Inland hat (BGH, Beschluss vom 27. Juni 2007 - XII ZB 114/06, ZIP 2007, 1626, Tz. 13 f.). Nach diesen Grundsätzen ergibt sich aus den - hier allein zugrunde zu legenden - Angaben in der Klageschrift entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kein (alleiniger ) ausländischer allgemeiner Gerichtsstand der Klägerin.
9
aa) Der allgemeine Gerichtsstand gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG ist nach den Vorschriften der §§ 12 ff. ZPO und im Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO) nach Art. 2, 59 f. EuGVVO zu beurteilen (BGHZ 155, 46, 49; BGH, Beschluss vom 27. Juni 2007, aaO, Tz. 9 m.w.N.). Der Anwendungsbereich der EuGVVO ist vorliegend aber nicht eröffnet, weil es im Streitfall nicht auf den allgemeinen Gerichtsstand der beklagten Partei (Art. 2 Abs. 1 EuGVVO), sondern auf den der klagenden Partei ankommt (vgl. auch BGH, Beschluss vom 27. Juni 2007, aaO, Tz. 8).
10
bb) Der allgemeine Gerichtsstand der Klägerin wird gemäß § 17 Abs. 1 ZPO durch ihren Sitz bestimmt. Als Sitz gilt, wenn sich nichts anderes ergibt, der Ort, wo die Verwaltung geführt wird (§ 17 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Hier kann offen bleiben, ob in der Bezeichnung der Klägerin in der Klageschrift gleichzeitig die Angabe ihres satzungsmäßigen (inländischen) Sitzes gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 ZPO liegt. Denn jedenfalls fehlt es an einer Grundlage für die Annahme, die Klägerin habe ausschließlich einen ausländischen und nicht zumindest auch einen inländischen Verwaltungssitz.
11
Der Ort, wo die Verwaltung geführt wird, ist der Tätigkeitsort der Geschäftsführung und der dazu berufenen Vertretungsorgane, also der Ort, wo die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung effektiv in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt werden (BGHZ 97, 269, 272; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 17 Rdnr. 15; Zöller/Vollkommer, ZPO, 27. Aufl., § 17 Rdnr. 10).
12
Nach diesen Maßstäben hat die Klägerin jedenfalls auch einen inländischen Verwaltungssitz. Das zu verwaltende Gesellschaftsvermögen ist in Deutschland belegen. Einer der beiden Gesellschafter hat seinen Wohnsitz in Deutschland. Die Klägerin tritt nach außen - wie etwa bei Abschluss des Mietvertrags mit den Beklagten - unter einer deutschen Adresse auf. Ihre laufenden Geschäfte führt eine deutsche Hausverwaltung am Belegenheitsort des Gesellschaftsgrundstücks. Die einzige Verbindung der Klägerin mit dem Ausland besteht dagegen in dem ausländischen Wohnsitz ihres anderen Gesellschafters. Das reicht für die Annahme eines (alleinigen) Verwaltungssitzes im Ausland angesichts der für einen inländischen Verwaltungssitz sprechenden gewichti- gen Umstände nicht aus. Die Voraussetzungen des § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG liegen mithin nicht vor.
Ball Dr.Frellesen Hermanns Dr.Milger Dr.Hessel
Vorinstanzen:
AG Berlin-Charlottenburg, Entscheidung vom 20.04.2007 - 220 C 330/06 -
LG Berlin, Entscheidung vom 04.09.2007 - 65 S 214/07 -

(1) Kläger, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum haben, leisten auf Verlangen des Beklagten wegen der Prozesskosten Sicherheit.

(2) Diese Verpflichtung tritt nicht ein:

1.
wenn auf Grund völkerrechtlicher Verträge keine Sicherheit verlangt werden kann;
2.
wenn die Entscheidung über die Erstattung der Prozesskosten an den Beklagten auf Grund völkerrechtlicher Verträge vollstreckt würde;
3.
wenn der Kläger im Inland ein zur Deckung der Prozesskosten hinreichendes Grundvermögen oder dinglich gesicherte Forderungen besitzt;
4.
bei Widerklagen;
5.
bei Klagen, die auf Grund einer öffentlichen Aufforderung erhoben werden.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)