Bundesgerichtshof Urteil, 21. Nov. 2007 - XII ZR 213/05

bei uns veröffentlicht am21.11.2007
vorgehend
Amtsgericht Charlottenburg, 236 C 21/05, 09.05.2005
Landgericht Berlin, 52 S 170/05, 14.11.2005

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XII ZR 213/05 Verkündet am:
21. November 2007
Küpferle,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Zur Verwirkung einer Vertragsstrafe aus einem Kfz-Mietvertrag, wenn nach einem
Unfall die Polizei, nicht aber der Autovermieter unmittelbar benachrichtigt
wird.
BGH, Urteil vom 21. November 2007 - XII ZR 213/05 - LG Berlin
AG Charlottenburg
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 21. November 2007 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne, die Richter
Fuchs, Dr. Ahlt, die Richterin Dr. Vézina und den Richter Dose

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird unter Zurückweisung der Anschlussrevision der Klägerin das Urteil der 52. Zivilkammer des Landgerichts Berlin vom 14. November 2005 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als es zu ihrem Nachteil ergangen ist. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Charlottenburg vom 9. Mai 2005 wird insgesamt zurückgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Die Klägerin verlangt von der Beklagten Zahlung einer Vertragsstrafe aus einem Kfz-Mietvertrag.
2
Die Klägerin, die eine gewerbliche Autovermietung betreibt, vermietete mit Vertrag vom 14. April 2003 an die Beklagte einen Kleintransporter.
3
§ 8 a der Vertragsbestandteil gewordenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin enthält folgende Bestimmung: "Der Mieter hat bei einem Unfall die Polizei sowie den Vermieter unmittelbar nach dem Schadenseintritt zu verständigen. Unterlässt der Mieter schuldhaft die Benachrichtigung des Vermieters oder der Polizei, so hat er an den Vermieter eine Vertragsstrafe in Höhe des an den Unfallgegner zu erstattenden Schadens, höchstens aber 850 € zu entrichten. Die Unfallmeldung ist während und auch außerhalb der Geschäftszeiten unter der Tel.-Nr. 030/ zu erstatten."
4
Diese und eine weitere Klausel hat die Klägerin auf der Rückseite des Mietvertrages gesondert abgedruckt und von der Beklagten zusätzlich unterzeichnen lassen.
5
Am 20. April 2003 gegen 11.00 Uhr kam es zum Zusammenstoß zwischen dem von der Beklagten gelenkten Mietwagen und einem auf die Straße laufenden Kind. Die Beklagte und ihr Ehemann, der Zeuge B., kümmerten sich um das verletzte Kind; der Zeuge B. verständigte per Handy die Polizei, die einen Krankenwagen rief. Nach Eintreffen des Krankenwagens und der Erstversorgung des Kindes vor Ort begleiteten die Beklagte und ihr Ehemann das Kind ins Krankenhaus.
6
An dem Mietwagen entstand durch den Unfall kein Schaden. Die Haftpflichtversicherung der Klägerin bezahlte von den Krankenhauskosten für die Behandlung des Kindes einen Anteil von 1.410,72 €.
7
Die Klägerin behauptet, sie habe erstmals im Dezember 2003 von dem Unfall erfahren. Demgegenüber trägt die Beklagte vor, ihr Ehemann habe etwa eine Stunde nach dem Unfall während der Fahrt ins Krankenhaus bei der Klägerin angerufen und ihr den Unfall gemeldet.
8
Das Amtsgericht hat die auf Zahlung von 850 € gerichtete Klage abgewiesen.
9
Auf die Berufung der Klägerin hat das Landgericht das Urteil abgeändert und die Beklagte zur Zahlung von 425 € nebst Zinsen verurteilt. Die weitergehende Klage hat es abgewiesen.
10
Mit der vom Landgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Abweisung der Klage weiter, während die Klägerin mit ihrer Anschlussrevision eine vollständige Verurteilung der Beklagten erstrebt.

Entscheidungsgründe:

11
Die Revision der Beklagten hat Erfolg; die Anschlussrevision der Klägerin ist dagegen unbegründet.

I.

12
Das Landgericht hat im Wesentlichen ausgeführt: Die Beklagte habe die wirksam vereinbarte Vertragsstrafe verwirkt. Die Beklagte habe zwar bewiesen, dass sie die Klägerin etwa eine Stunde nach dem Unfall benachrichtigt habe. Diese Schadensmeldung könne jedoch nicht als unmittelbar nach dem Schadenseintritt erfolgt angesehen werden. Die Beklagte habe allerdings zuerst das Kind versorgen und einen Krankenwagen sowie die Polizei herbeirufen dürfen. Nachdem die Hilfe rund 20 Minuten nach dem Unfall eingetroffen sei, habe die Beklagte aber dafür sorgen müssen, dass die Klägerin von dem Unfall benachrichtigt werde. Das sei erst wesentlich später, nämlich nachdem die Polizei die Aufnahme des Unfalls abgeschlossen habe und das Kind zum Krankenhaus abgefahren worden sei, und damit nicht mehr „unmittelbar“ nach dem Scha- denseintritt erfolgt. "Unmittelbar" bedeute nämlich, dass der engstmögliche zeitliche und räumliche Zusammenhang zu wahren sei, d.h., dass der Mieter des Fahrzeugs den Vermieter vom Unfallort aus anzurufen habe. Nur dann sei gewährleistet , dass sich die Klägerin von dem Hergang des Unfalls ein eigenes Bild machen und sich auf die zu erwartende Auseinandersetzung mit dem Unfallgegner vorbereiten könne.
13
Die verwirkte Vertragsstrafe sei jedoch im Hinblick auf das nicht allzu schwer wiegende Verschulden der Beklagten gemäß § 343 BGB auf einen angemessenen Betrag herabzusetzen. Dieser sei unter Abwägung aller Umstände in Höhe der Hälfte des ausbedungenen Betrages, somit in Höhe von 425 €, angemessen.
14
Das Landgericht hat die Revision zur Klärung der Fragen zugelassen, was bei einem Unfall mit ausschließlichem Personenschaden noch als "unmittelbare" Verständigung des Vermieters des Fahrzeugs anzusehen sei, ferner ob, bei der Annahme, die Verständigung sei keine unmittelbare gewesen, § 343 BGB zur Anwendung kommen könne und welche rechtlichen Gesichtspunkte ggf. dabei maßgebend seien.

II.

Zur Revision der Beklagten
15
Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
16
1. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Vertragsstrafenklausel in § 8 a der Allgemeinen Geschäftsbedingungen - wie die Revision meint - der Inhalts- kontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB nicht standhält und deshalb unwirksam ist. Denn die Vertragsstrafe ist - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts - schon deshalb nicht verwirkt, weil die Beklagte die geforderte unmittelbare Benachrichtigung der Klägerin nicht schuldhaft (§ 8 a Satz 2 AGB) unterlassen hat.
17
a) Verschulden setzt ein vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten voraus (§ 276 Abs. 1 BGB). Dabei handelt fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt (§ 276 Abs. 2 BGB). Welche Sorgfalt der Verkehr jeweils erfordert, ist bei der hier allein in Betracht kommenden einfachen Fahrlässigkeit nach einem objektivierten für die jeweiligen Verkehrskreise festzustellenden Maßstab zu beurteilen (MünchKomm/Grundmann 5. Aufl. § 276 BGB Rdn. 54 f. m.w.N.).
18
Es kommt somit darauf an, ob sich die Beklagte wie eine besonnene Mieterin eines Kraftfahrzeugs verhalten hat und den Interessen der Klägerin an der unmittelbaren Benachrichtigung von dem Unfall in vernünftiger und gewissenhafter Weise Rechnung getragen hat.
19
b) Das Berufungsgericht hat bei seiner Wertung, die Beklagte habe schuldhaft ihre Verpflichtung zur unmittelbaren Benachrichtigung der Klägerin nach dem Unfall verletzt, maßgebliche Umstände außer Acht gelassen (vgl. zur Revisibilität: Senatsurteil vom 11. Juli 2007 - XII ZR 197/05 - NJW 2007, 2988; BGH Urteil vom 18. Februar 1976 - VIII ZR 185/74 - VersR 1976, 688).
20
Nach Ansicht des Berufungsgerichts hätte die Beklagte die Klägerin noch am Unfallort vor dem Abtransport des verletzten Kindes in das Krankenhaus und vor Abschluss der polizeilichen Unfallaufnahme von dem Unfall benachrichtigen müssen, weil nur dann eigene Feststellungen der Klägerin zum Unfallgeschehen möglich gewesen wären. Dabei geht das Berufungsgericht zu Recht davon aus, dass die Aufklärung des Unfallhergangs dem schutzwürdigen Interesse der Klägerin dient, zu verhindern, dass sie materielle Nachteile durch die unberechtigte Inanspruchnahme ihrer Kasko- oder Haftpflichtversicherung erleidet. Das Berufungsgericht lässt aber unberücksichtigt, dass diesem Interesse der Klägerin im vorliegenden Fall durch die polizeiliche Unfallaufnahme bereits Rechnung getragen worden ist.
21
Bei der Ermittlung der Sorgfalt, die von der Beklagten verlangt werden konnte, ist danach zu berücksichtigen, ob das Interesse der Klägerin es geboten hätte, dass die Beklagte sie vor Beendigung der Unfallaufnahme durch die Polizei und vor dem Abtransport des verletzten Kindes durch den Krankenwagen von dem Unfall benachrichtigt, damit sie eigene Ermittlungen am Unfallort durchführen konnte.
22
Ein solches schutzwürdiges Interesse der Klägerin daran, neben der Polizei eigene Ermittlungen am Unfallort anzustellen, ist hier nicht ersichtlich. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin bessere Feststellungen am Unfallort hätte treffen können als die Polizei.
23
Die Beklagte hat sich somit angemessen und besonnen verhalten, indem sie sich zunächst dem verletzten Kind und den polizeilichen Ermittlungen zum Unfallhergang gewidmet und erst danach die Klägerin von dem Unfall benachrichtigt hat. Mit diesem Verhalten hat sie die dem Mieter eines Kraftfahrzeugs in einer solchen Situation gebotene Sorgfalt gewahrt.
24
2. Das Berufungsurteil ist somit aufzuheben, soweit es zum Nachteil der Beklagten ergangen ist und die Klage insgesamt abzuweisen.

III.

25
Die Anschlussrevision der Klägerin hat aus den oben dargelegten Gründen keinen Erfolg.
Hahne Fuchs Ahlt Vézina Dose

Vorinstanzen:
AG Berlin-Charlottenburg, Entscheidung vom 09.05.2005 - 236 C 21/05 -
LG Berlin, Entscheidung vom 14.11.2005 - 52 S 170/05 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 21. Nov. 2007 - XII ZR 213/05

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 21. Nov. 2007 - XII ZR 213/05

Referenzen - Gesetze

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 307 Inhaltskontrolle


(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben,

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 276 Verantwortlichkeit des Schuldners


(1) Der Schuldner hat Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten, wenn eine strengere oder mildere Haftung weder bestimmt noch aus dem sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses, insbesondere aus der Übernahme einer Garantie oder eines Beschaffungsrisikos

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 339 Verwirkung der Vertragsstrafe


Verspricht der Schuldner dem Gläubiger für den Fall, dass er seine Verbindlichkeit nicht oder nicht in gehöriger Weise erfüllt, die Zahlung einer Geldsumme als Strafe, so ist die Strafe verwirkt, wenn er in Verzug kommt. Besteht die geschuldete Leist

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 343 Herabsetzung der Strafe


(1) Ist eine verwirkte Strafe unverhältnismäßig hoch, so kann sie auf Antrag des Schuldners durch Urteil auf den angemessenen Betrag herabgesetzt werden. Bei der Beurteilung der Angemessenheit ist jedes berechtigte Interesse des Gläubigers, nicht blo
Bundesgerichtshof Urteil, 21. Nov. 2007 - XII ZR 213/05 zitiert 5 §§.

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 307 Inhaltskontrolle


(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben,

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 276 Verantwortlichkeit des Schuldners


(1) Der Schuldner hat Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten, wenn eine strengere oder mildere Haftung weder bestimmt noch aus dem sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses, insbesondere aus der Übernahme einer Garantie oder eines Beschaffungsrisikos

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Verspricht der Schuldner dem Gläubiger für den Fall, dass er seine Verbindlichkeit nicht oder nicht in gehöriger Weise erfüllt, die Zahlung einer Geldsumme als Strafe, so ist die Strafe verwirkt, wenn er in Verzug kommt. Besteht die geschuldete Leist

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Bundesgerichtshof Urteil, 11. Juli 2007 - XII ZR 197/05

bei uns veröffentlicht am 11.07.2007

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL XII ZR 197/05 Verkündet am: 11. Juli 2007 Breskic, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: j

Referenzen

Verspricht der Schuldner dem Gläubiger für den Fall, dass er seine Verbindlichkeit nicht oder nicht in gehöriger Weise erfüllt, die Zahlung einer Geldsumme als Strafe, so ist die Strafe verwirkt, wenn er in Verzug kommt. Besteht die geschuldete Leistung in einem Unterlassen, so tritt die Verwirkung mit der Zuwiderhandlung ein.

(1) Ist eine verwirkte Strafe unverhältnismäßig hoch, so kann sie auf Antrag des Schuldners durch Urteil auf den angemessenen Betrag herabgesetzt werden. Bei der Beurteilung der Angemessenheit ist jedes berechtigte Interesse des Gläubigers, nicht bloß das Vermögensinteresse, in Betracht zu ziehen. Nach der Entrichtung der Strafe ist die Herabsetzung ausgeschlossen.

(2) Das Gleiche gilt auch außer in den Fällen der §§ 339, 342, wenn jemand eine Strafe für den Fall verspricht, dass er eine Handlung vornimmt oder unterlässt.

(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.

(2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung

1.
mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder
2.
wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.

(3) Die Absätze 1 und 2 sowie die §§ 308 und 309 gelten nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Andere Bestimmungen können nach Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 unwirksam sein.

(1) Der Schuldner hat Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten, wenn eine strengere oder mildere Haftung weder bestimmt noch aus dem sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses, insbesondere aus der Übernahme einer Garantie oder eines Beschaffungsrisikos, zu entnehmen ist. Die Vorschriften der §§ 827 und 828 finden entsprechende Anwendung.

(2) Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt.

(3) Die Haftung wegen Vorsatzes kann dem Schuldner nicht im Voraus erlassen werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XII ZR 197/05 Verkündet am:
11. Juli 2007
Breskic,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB § 276 Bb, Cg
Ein Kraftfahrer, der mit seinem Fahrzeug einem die Fahrbahn überquerenden
Fuchs ausweicht, handelt nicht grundsätzlich grob fahrlässig.
BGH, Urteil vom 11. Juli 2007 - XII ZR 197/05 - OLG Karlsruhe
LG Karlsruhe
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 11. Juli 2007 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne, die Richter Fuchs
und Dr. Ahlt, die Richterin Dr. Vézina und den Richter Dose

für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 7. Oktober 2005 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Die Klägerin, eine Autovermieterin, macht gegen den Beklagten Schadensersatzansprüche geltend, weil dieser den bei ihr gemieteten Pkw grob fahrlässig beschädigt habe.
2
Am 8. Juni 2004 mietete der Beklagte bei der Klägerin einen BMW 318, wobei eine Haftungsbefreiung mit Selbstbehalt in Höhe von 550 € für selbstverschuldete Unfälle vereinbart wurde. Bei Übergabe des Fahrzeugs erhielt der Beklagte von der Klägerin ein mit "Mietvertrag" überschriebenes Blatt Papier, aus dem sich u.a. die Bezeichnung des gemieteten Fahrzeugs, die Höhe der Miete sowie die Haftungsbefreiung mit Selbstbehalt ergab.
3
Ferner heißt es dort: "Ich akzeptiere für diese und zukünftige Anmietungen die allgemeinen S. -Vermietbedingungen, die Bedingungen des S. -Expressmasteragreement sowie die Geschäftsbedingungen der Kreditkarteninstitute. ... Die allgemeinen S. -Vermietbedingungen und die Bedingungen des S. -Expressmasteragreement liegen im Vermietbüro aus."
4
In den Geschäftsbedingungen der Klägerin heißt es unter "J: Haftung des Mieters Nr. 2.": "Dem Mieter steht es frei, die Haftung aus Unfällen für Schäden der Vermieterin durch Zahlung eines besonderen Entgeltes auszuschließen = vertragliche Haftungsfreistellung. In diesem Fall haftet er für Schäden, abgesehen von der vereinbarten Selbstbeteiligung nur dann, wenn ... er oder seine Erfüllungsgehilfen den Schaden durch Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt haben ..."
5
Am 13. Juni 2004 verursachte der Beklagte gegen 4.00 Uhr morgens auf der Bundesautobahn A 8 zwischen Stuttgart und Pforzheim mit dem gemieteten BMW einen Unfall. Hierzu heißt es im Schadensbericht des Beklagten vom 13. Juni 2004: "Leichtes Ausweichmanöver beim Befahren der A 8 von Stuttgart nach Pforzheim. Ausweichen aufgrund eines Wildwechsel (vermutlich Fuchs) nach rechts, wobei die etwas in den Seitenstreifen gebaute Leitplanke touchiert wurde."
6
An der Unfallstelle ist die Leitplanke verstärkt und ragt deshalb etwas in den Seitenstreifen hinein. Der Beklagte fuhr zum Unfallzeitpunkt mit einer Geschwindigkeit von 120 km/h. Durch den Unfall entstand der Klägerin ein Schaden von insgesamt 8.892,69 €.
7
Das Landgericht hat der Klage auf Ausgleich dieses Schadens in vollem Umfang stattgegeben. Der Beklagte habe den Unfall grob fahrlässig herbeigeführt. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht ihn lediglich zur Zahlung des Selbstbehalts in Höhe von 550 € verurteilt. Die Geschäftsbedingungen der Klägerin seien Vertragsbestandteil geworden. Der Beklagte habe jedoch nicht grob fahrlässig gehandelt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision sucht die Klägerin, die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils zu erreichen.

Entscheidungsgründe:

8
Die Revision hat keinen Erfolg.

I.

9
Das Oberlandesgericht hat ausgeführt, die Klägerin habe gegen den Beklagten gemäß §§ 535, 280 Abs. 1 BGB i.V.m. dem Mietvertrag lediglich einen Anspruch auf Leistung des Selbstbehalts von 550 €. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin, wonach der Beklagte auch bei vertraglicher Haftungsfreistellung dann voll hafte, wenn er den Schaden vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt habe, seien Vertragsbestandteil geworden. Der Beklagte habe mit der Übergabe des Fahrzeugs den schriftlichen Mietvertrag mit dem Hinweis auf die AGB der Klägerin erhalten. Der Hinweis sei daher entsprechend § 305 Abs. 2 BGB bei und nicht erst nach Vertragsschluss erfolgt. Auch sei der Hinweis ausdrücklich im Sinne der genannten Vorschrift gewesen. Er sei nämlich so angeordnet gewesen, dass er von einem Durchschnittskun- den auch bei flüchtiger Betrachtung nicht habe übersehen werden können. Schließlich habe sich der Beklagte - jedenfalls durch schlüssiges Verhalten - mit der Geltung der AGB einverstanden erklärt, da er nach Übergabe des schriftlichen Vertragstextes, der den Hinweis auf die AGB enthalten habe, das Fahrzeug in Empfang genommen habe und es so zum Vertragsschluss gekommen sei. Inhaltlich sei die Klausel nicht zu beanstanden. Danach hafte der Beklagte aber für den eingetretenen Schaden nicht über den Selbstbehalt von 550 € hinaus. Denn der Klägerin sei der Nachweis nicht gelungen, der Beklagte habe den Unfall grob fahrlässig verschuldet. In tatsächlicher Hinsicht sei davon auszugehen , dass der Beklagte, als zum Unfallzeitpunkt ein Fuchs die vom Beklagten nachts um ca. 4.00 Uhr mit einer Geschwindigkeit von ca. 120 km/h befahrene Autobahn A 8 gekreuzt habe, reflexartig leicht nach rechts ausgewichen sei und dabei mit dem Fahrzeug der Klägerin die Leitplanke gestreift habe. Aufgrund dieses Sachverhalts liege jedenfalls ein in subjektiver Hinsicht unentschuldbares Fehlverhalten, das ein gewöhnliches Maß erheblich übersteige, nicht vor. Zwar habe der Bundesgerichtshof (Urteil vom 18. Dezember 1996 - IV ZR 321/95 - NJW 1997, 1012) im Rahmen einer Teilkaskoversicherung entschieden, dass ein Kraftfahrer, der mit einem Mittelklasse-Pkw bei einer Geschwindigkeit von etwa 90 km/h einem Hasen ausweiche, grob fahrlässig handele. In jenem Fall sei es jedoch um die Frage gegangen, ob ein Versicherungsnehmer im Rahmen einer Teilkaskoversicherung es nach §§ 62, 63 VVG für geboten halten dürfe, zur Abwendung und Minderung des (drohenden) Schadens einem Kleintier auszuweichen. Im Rahmen einer solchen Konstellation habe der Bundesgerichtshof ausgeführt, der Versicherungsnehmer habe sich grob fahrlässig über die Erforderlichkeit der Aufwendungen zur Vermeidung des versicherten Schadens geirrt und könne deswegen nach §§ 62, 63 VVG seine Aufwendungen (Rettungskosten) nicht ersetzt verlangen. Im vorliegenden Fall gehe es jedoch nicht um den Ersatz von Aufwendungen für Ret- tungsmaßnahmen, sondern darum, ob der Versicherungsfall als solcher durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt worden sei. Im Rahmen dieser Prüfung dürfe ein reflexartiges Ausweichen nicht bereits als subjektiv völlig unentschuldbar und somit grob fahrlässig eingestuft werden. Denn es entspreche der natürlichen Reaktion eines Menschen, einem plötzlich auftauchenden Hindernis auszuweichen und einen Zusammenstoß zu vermeiden und nicht auf das Hindernis zuzufahren. Eine solche "natürliche", wenn auch u.U. nicht sinnvolle oder zweckmäßige Reaktion bei unvermitteltem Auftauchen eines Fuchses auf der Fahrbahn könne als fahrlässig angesehen werden, nicht aber als subjektiv völlig unentschuldbares Fehlverhalten, das ein gewöhnliches Maß erheblich übersteige.

II.

10
Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.
11
1. Zu Recht geht das Berufungsgericht davon aus, dass die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin nach § 305 Abs. 2 BGB Vertragsbestandteil geworden sind.
12
a) Dem hält die Revisionserwiderung zwar entgegen, der Beklagte habe im Einzelnen vorgetragen, dass der Mietvertrag mündlich und damit ohne Hinweis auf Allgemeine Geschäftsbedingungen der Klägerin geschlossen worden sei. Dies habe die Klägerin auch nicht bestritten.
13
Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Die Klägerin hat bestritten, dass zwischen den Parteien zunächst ein mündlicher Vertrag über das Fahrzeug abgeschlossen worden sei und erst dann der Beklagte auf ihre Allgemeinen Ge- schäftsbedingungen hingewiesen worden sei. Des weiteren ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht die mündlichen Abreden der Parteien über die Anmietung des Fahrzeuges, die Übergabe des schriftlichen Mietvertrages und die Übergabe des Fahrzeugs als einen einheitlichen Vorgang gesehen hat, die als ganzes den Vertragsschluss bildeten.
14
b) Das Berufungsgericht konnte auch - entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung - im Rahmen des ihm zukommenden Beurteilungsspielraums ohne Rechtsfehler davon ausgehen, dass der Hinweis auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen für einen Kunden mit durchschnittlicher Aufmerksamkeit nicht zu übersehen und damit im Sinne von § 305 Abs. 2 BGB ausdrücklich sei. Diese Bewertung hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei darauf gestützt, dass der gesamte Vertragstext nur eine Seite umfasst und der Hinweis auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu Beginn eines neuen Absatzes und somit drucktechnisch etwas abgehoben erscheint.
15
2. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass nach ständiger Rechtsprechung der Zivilsenate des Bundesgerichtshofs grob fahrlässig derjenige handelt, der die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maß verletzt und unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem einleuchten müsse. Im Gegensatz zur einfachen Fahrlässigkeit muss es sich bei einem grob fahrlässigen Verhalten um ein auch in subjektiver Hinsicht unentschuldbares Fehlverhalten handeln, das ein gewöhnliches Maß erheblich übersteigt (vgl. BGH Urteil vom 29. Januar 2003 - IV ZR 173/01 - NJW 2003, 1118, 1119 m.w.N.).
16
Ob die Fahrlässigkeit im Einzelfall als einfach oder grob zu bewerten ist, ist Sache der tatrichterlichen Würdigung. Sie erfordert eine Abwägung aller objektiven und subjektiven Tatumstände und entzieht sich deshalb weitgehend einer Anwendung fester Regeln. Diese tatrichterliche Würdigung ist mit der Revision nur beschränkt angreifbar. Nachgeprüft werden kann nur, ob in der Tatsacheninstanz der Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit verkannt worden ist oder ob beim Bewerten des Grads der Fahrlässigkeit wesentliche Umstände außer Betracht geblieben sind. Haben die Tatsachengerichte hiergegen nicht verstoßen, sind etwaige unterschiedliche Beurteilungen ähnlich liegender Sachverhalte hinzunehmen (vgl. BGH Urteil vom 25. Juni 2003 - IV ZR 276/02 - NJW 2003, 2903, 2904).
17
Im vorliegenden Fall lässt die Wertung des Oberlandesgerichts, der Beklagte habe nicht grob fahrlässig gehandelt, im Ergebnis keinen Rechtsfehler erkennen, der zur Aufhebung des Berufungsurteils führte.
18
Unzutreffend ist allerdings die Ansicht des Berufungsgerichts, der Begriff der groben Fahrlässigkeit sei jeweils nach der konkreten Versicherungssituation unterschiedlich zu definieren. Vielmehr wird, worauf die Revision zu Recht hinweist , der Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit nach ständiger Rechtsprechung der Zivilsenate des Bundesgerichtshofs grundsätzlich einheitlich bestimmt (vgl. BGH Urteil vom 29. Januar 2003 - IV ZR 173/01 - NJW 2003, 1118 m.w.N.). An diesem Grundsatz ist schon aus Gründen der Rechtssicherheit festzuhalten. Die vom Berufungsgericht befürwortete unterschiedliche Definition des Begriffs führte im Versicherungsrecht wegen der zahlreichen verschiedenen Arten von Versicherungen zu einer kaum noch überschaubaren Aufsplitterung des Begriffs der groben Fahrlässigkeit und damit zu einer nicht hinnehmbaren Rechtsunsicherheit. Die gegenteiligen Ausführungen des Berufungsgerichts lassen jedoch seine Bewertung unberührt, der Beklagte habe im konkreten Fall nicht grob fahrlässig gehandelt.
19
Auch die Ausführungen des Oberlandesgerichts, das reflexartige Ausweichen des Beklagten als Reaktion auf das plötzliche Auftauchen eines Fuchses stelle grundsätzlich kein grob fahrlässiges Fehlverhalten dar, nötigt - im Gegensatz zur Meinung der Revision - im Ergebnis nicht zur Aufhebung des Berufungsurteils. Zwar mag die Aussage des Berufungsgerichts, eine Reflexhandlung stelle grundsätzlich kein grob fahrlässiges Fehlverhalten dar, zu weit gehen und zu allgemein sein. So wäre in der Situation des Beklagten ein reflexartiges abruptes und unkontrolliertes Ausweichmanöver verbunden mit einer scharfen Abbremsung, aufgrund dessen der Fahrer die Herrschaft über sein Fahrzeug verliert, in der Regel auch subjektiv als grob fahrlässig begangener Fahrfehler zu bewerten.
20
Dies ändert jedoch nichts daran, dass im konkreten Fall die Würdigung des Berufungsgerichts Bestand hat, wonach dem Beklagten subjektiv grobe Fahrlässigkeit nicht anzulasten ist. Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts ist davon auszugehen, dass der Beklagte, als zum Unfallzeitpunkt ein Fuchs die von ihm nachts mit einer Geschwindigkeit von ca. 120 km/h befahrene Autobahn kreuzte, reflexartig leicht nach rechts ausgewichen ist und dabei mit dem Fahrzeug der Klägerin die Leitplanke gestreift hat. Dass das Berufungsgericht dies nicht als ein in subjektiver Hinsicht unentschuldbares Fehlverhalten bewertet hat, liegt im Rahmen seines tatrichterlichen Beurteilungsspielraums und ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Hahne Fuchs Ahlt Vézina Dose

Vorinstanzen:
LG Karlsruhe, Entscheidung vom 30.03.2005 - 10 O 808/04 -
OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 07.10.2005 - 10 U 53/05 -