Landgericht Nürnberg-Fürth Endurteil, 30. Dez. 2016 - 2 O 2322/15

bei uns veröffentlicht am30.12.2016

Gericht

Landgericht Nürnberg-Fürth

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 11.569,12 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Ansprüche aus einem Krankentagegeld-Versicherungsvertrag und dessen Fortbestand.

Der Kläger hält bei der Beklagten seit 1.6.1990 eine Krankentagegeldversicherung. Dieser liegen die als Anlage BLD 1 vorgelegten Versicherungsbedingungen, die dem MBKT 2009 entsprechen, zugrunde. Vereinbart ist ein tägliches Krankentagegeld von 51,13 € bei einer Karenzzeit von 4 Wochen. Der Kläger war zuletzt selbständig im Holzhandel/Forstbetrieb tätig. Mit Schreiben vom 16.7.2014 erklärte die Beklagte dem Kläger gegenüber, dass sie aufgrund beim Kläger eingetretener Berufsunfähigkeit nicht mehr leistungspflichtig sei. Das von der Beklagten gleichzeitig unterbreitete Angebot, die Versicherung als Anwartschaftsversicherung fortzuführen, nahm der Kläger nicht an.

Der Kläger behauptet, in seinem Beruf als selbständiger Forstarbeiter/Holzhändler vom 20.1.2014 bis 15.8.2014 arbeitsunfähig gewesen zu sein. Er leide an Wirbelsäulenbeschwerden, beidseitigen Kniebeschwerden sowie vorübergehend auch an Depressionen. Diese würden ihm seine Tätigkeit als selbständiger Waldarbeiter/Forsthändler unmöglich machen. Er müsse dabei selbst schwer körperlich arbeiten, u.a. eine große Motorsäge mit 10 kg Gewicht tragen und beim Fällen der Bäume in gebückter Haltung mit angewinkelten Knien arbeiten. Aufgrund dieser auch bedingungsgemäß nachgewiesenen Arbeitsunfähigkeit stehe dem Kläger ein Krankentagegeldanspruch für 208 Tage zu. Entgegen der Ansicht der Beklagten seien die Beschwerden aber nicht derart, dass der Kläger berufsunfähig sei. Der Vertrag sei deshalb durch die Erklärung der Beklagten vom 16.7.2014 nicht beendet worden, so dass der Kläger Anspruch auf Feststellung des Fortbestandes des Versicherungsvertrages habe.

Der Kläger beantragt,

  • 1.Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 10.635,04 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 16.12.2014 zu bezahlen.

  • 2.Es wird festgestellt, dass die Krankentagegeldversicherung des Klägers bei der Beklagten Versicherungsnr. ... nicht durch das Schreiben der Beklagten vom 16.1.2015 zum 22.4.2013 aufgehoben wurde, sondern über den 22.4.2013 hinaus zu unveränderten Bedingungen fortgesteht.

Die Beklagte beantragt,

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beklagte bestreitet, dass beim Kläger aus gesundheitlichen Gründen bedingungsgemäße Arbeitsunfähigkeit eingetreten sei. Jedenfalls aber sei der Vertrag durch die Erklärung der Beklagten vom 16.7.2014 infolge bereits zum 22.4.2013 eingetretener Berufsunfähigkeit beendet.

Der Kläger wurde informatorisch angehört. Insoweit wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 28.4.2016 Bezug genommen. Beweis erhoben wurde mit Beweisbeschluss vom 28.4.2016 durch Erholung eines schriftlichen orthopädischen Sachverständigengutachtens. Auf das schriftliche orthopädische Fachgutachten vom 16.8.2016 wird Bezug genommen. Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen Bezug genommen. Mit Beschluss vom 7.11.2016 wurde im Einverständnis der Parteien die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung beschlossen, wobei die Frist zur Einreichung von Schriftsätzen auf den 5.12.2016 bestimmt wurde.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

A.

Dem Kläger steht für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 20.1.2014 bis 15.8.2014 kein Anspruch auf Krankentagegeld zu, da der Vertrag aufgrund zum 23.3.2013 eingetretener Berufsunfähigkeit durch Schreiben der Beklagten vom 16.7.2014 zum 21.4.2013 beendet wurde. Damit ist gleichzeitig der Klageantrag auf Feststellung des Fortbestandes des Krankentagegeldversicherungsvertrages unbegründet.

I.

Der Kläger ist seit 23.3.2013 berufsunfähig.

1. Nach § 15 Abs. 1 Buchst b) MB/KT endet das Versicherungsverhältnis hinsichtlich der betroffenen versicherten Personen, mit Eintritt der Berufsunfähigkeit. Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn die versicherte Person nach medizinischem Befund im bisher ausgeübten Beruf auf nicht absehbare Zeit mehr als 50% erwerbsunfähig ist. Besteht jedoch zu diesem Zeitpunkt in einem bereits eingetretenen Versicherungsfall Arbeitsunfähigkeit, so endet das Versicherungsverhältnis nicht vor dem Zeitpunkt, bis zu dem der Versicherer seine im Tarif aufgeführten Leistungen für diese Arbeitsunfähigkeit zu erbringen hat, spätestens aber drei Monate nach Eintritt der Berufsunfähigkeit. Nach § 15 Abs. 2 MB/KT haben der Versicherungsnehmer und die versicherten Personen das Recht, einen wegen Eintritts der Berufsunfähigkeit gemäß Abs. 1 Buchst. b) beendeten Vertrag nach Maßgabe des Tarifs in Form einer Anwartschaftsversicherung fortzusetzen, sofern mit einer Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit zu rechnen ist.

Berufsunfähigkeit ist ein Zustand, dessen Fortbestand aus sachkundiger Sicht für nicht absehbare Zeit prognostiziert wird, der jedoch typischerweise nicht auch als endgültig oder unveränderlich beurteilt werden kann (BGH Urt. v. 20.06.2012 - IV ZR 141/11, r+s 2012, 499 m.w.N.). Die Prognose der Berufsunfähigkeit ist für den Zeitpunkt zu stellen, für den der Versicherer das Ende seiner Leistungspflicht behauptet; für die sachverständige Beurteilung bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit sind die „medizinischen Befunde“ - d.h. alle ärztlichen Berichte und sonstigen Untersuchungsergebnisse - heranzuziehen und auszuwerten, die der darlegungs- und beweisbelastete Versicherer für die maßgeblichen Zeitpunkte vorlegen kann. Dabei ist gleich, wann und zu welchem Zweck die medizinischen Befunde erhoben (aaO 128 Rn. 31) und dem Versicherer bekannt geworden sind. Entscheidend ist nicht, wann und wie der Versicherer in der Folge Kenntnis von der Berufsunfähigkeit erlangt, sondern wann diese eingetreten ist. Die Prognose der Berufsunfähigkeit kann also auch rückschauend für den Zeitpunkt gestellt werden, für den der Versicherer das Ende seiner Leistungspflicht behauptet, allerdings muss dies aus der Sicht ex ante geschehen, das heißt ohne Berücksichtigung des weiteren Verlaufs nach diesem Zeitpunkt. Bei einem nachträglich erstellten Gutachten - wie hier - muss der Verlauf zwischen dem Zeitpunkt, für den der Versicherer das Ende seiner Leistungspflicht behauptet, und dem Zeitpunkt der Begutachtung durch den Sachverständigen außer Betracht bleiben (BGH Urt. v. 20.06.2012 - IV ZR 141/11, r+s 2012, 499 m.w.N.).

2. Für die Frage nach solcherart bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit ist im Streitfall auf den bei behaupteter Berufsunfähigkeit am 22.4.2013 konkret ausgeübten Beruf abzustellen.

Nach § 15 Abs. 1 Buchst b) MB/KT ist der „bisher ausgeübte Beruf“ maßgeblich.

Zu sehen ist allerdings auch, dass es in diesem Zusammenhang nicht primär darauf ankommen kann, ob und in welchem Umfang der Versicherungsnehmer berufliche Tätigkeiten tatsächlich ausübt. Dass der Versicherungsnehmer Raubbau an seiner Gesundheit treibt, vermag die objektiv vorzunehmende Bewertung der Leistungsfähigkeit nicht zu berühren (OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.1.1998 – 4 U 207/96, VersR 1999, 354). Dieser für die Beurteilung der für den Eintritt des Versicherungsfalls maßgeblichen Arbeitsunfähigkeit i.S.d. § 1 Abs. 3 MBKT entscheidende Ansatz kann für die Frage nach Vorliegen von Berufsunfähigkeit i.S.d. § § 15 Abs. 1 Buchst b) MB/KT nicht anderes gelten. Dies liegt daran, dass der Anknüpfungspunkt für Arbeitsunfähigkeit und Berufsunfähigkeit der gleiche ist (Prölss/Martin/Voit, VVG 29. Aufl. § 15 MB/KT Rn. 23).

3. Gemessen am Vorstehenden ist beim Kläger Berufsunfähigkeit zu bejahen.

Nach den Ausführungen der orthopädischen Sachverständigen leidet der Kläger mindestens seit dem Jahr 2000 und zunehmend seit 2004/2005 an schweren degenerativen Veränderungen der Hals- und Lendenwirbelsäule und ist seitdem auch dauerhaft in Behandlung. Diese körperlichen Beeinträchtigungen sind so, dass sie sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verschlechtern und eine Besserung prognostisch nicht zu erwarten ist. Gehe man von dem vom Kläger geschilderten Berufsbild aus - das zwischen den Parteien im Kern nicht streitig ist -, so müsse gesehen werden, dass die schweren körperlichen Tätigkeiten, wie das Tragen der schweren Motorsäge samt Zubehör, das Eintreiben eines Keils und Arbeiten in Zwangshaltung, wie etwa beim Entasten, dem Kläger körperlich nicht mehr zumutbar möglich sei.

Die Parteien sind den medizinischen Ausführungen der Sachverständigen nicht entgegengetreten. Diese sind nachvollziehbar und überzeugend. Sie können deshalb den weiteren Überlegungen zugrunde gelegt werden.

Im Ergebnis führt die Sachverständige also aus, dass der Kläger aufgrund seiner schweren Wirbelsäulen-, wie auch Hüft- und Kniegelenkserkrankungen allenfalls noch leichte Tätigkeiten durchführen kann. Als Forstarbeiter könne er letztlich nur noch überwiegend überwachend und aufsichtsführend tätig sein, allenfalls bei leichten körperlichen Tätigkeiten könne er mithelfen und zuarbeiten im Bereich von bis zu 10 Minuten und bis zu 10 kg.

Auch ohne Berücksichtigung der Arbeiten, die der Kläger im Laufe der Zeit an Hilfskräfte abgegeben hat, sieht die Sachverständige nachvollziehbar die Leistungsfähigkeit des Klägers für die „verbleibende“ gleichwohl (sehr) schwere körperliche Tätigkeit als relevant gemindert (Gutachten S. 51 Abs. 3). Sein medizinischer Zustand verbietet ihm etwa auch das „leichtere“ Entasten (vgl. Schriftsatz des Klägervertreters vom 17.12.2015 S. 2; Gerichtsakte S. 31).

Dass der Kläger tatsächlich nach eigenen Angaben noch arbeitet, spielt nach dem Vorstehenden insoweit keine Rolle. Genauso wenig wie sich die Beklagte im Rahmen der Prüfung der Arbeitsunfähigkeit auf ein überobligatorisches, weil die Gesundheit des Klägers vollends ruinierendes Verhalten zu ihren Gunsten berufen kann, kann sich der Kläger auf einen überobligatorischen Einsatz berufen. In diesem Fall hätte er es selbst in der Hand, die objektiven Voraussetzungen einer Berufsunfähigkeit zu bestimmen (vgl. Tschersich in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch 3. Aufl. § 45 Rn. 41 m.w.N.). Dass nach eigenen Angaben des Klägers er eine Hilfe beim Tragen von Sägen und Werkzeug und eine Hilfe beim Keilen seit 2014 beschäftigt bzw. in Anspruch nimmt, kann deshalb die Frage der bereits im Jahr 2013 eingetretenen negativen Prognose im Sinne einer Berufsunfähigkeit für die noch im Jahr 2013 durch den Kläger selbst ausgeübten Tätigkeiten nicht beeinflussen.

Zusammenfassend muss deshalb davon ausgegangen werden, dass beim Kläger seit 23.3.2013 für die von ihm ausgeübte schwere körperliche Tätigkeit als selbständiger Wald- und Forstarbeiter bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit eingetreten ist. Der Versicherungsvertrag wurde deshalb nach § 15 Abs. 1 Buchst b) MB/KT beendet. Da die Zeiten, für die streitgegenständlich Krankentagegeld geltend gemacht wird in 2014, also nach dem Stichtag der Berufsunfähigkeit in 2013 liegen, kann die Frage nach bedingungsgemäßer Arbeitsunfähigkeit insoweit offenbleiben, wenn - wie hier - der Versicherungsvertrag bereits zuvor sein Ende gefunden hat.

II.

Nach dem Vorstehenden ist der zulässige Feststellungsantrag ebenfalls unbegründet.

Der Versicherungsvertrag ist aufgrund zum 23.3.2013 eingetretener Berufsunfähigkeit beendet worden.

Der Beendigung steht auch nicht entgegen, dass der Kläger dann nicht mehr in der Lage wäre, im Falle einer Besserung seines Gesundheitszustandes vergleichbaren Versicherungsschutz zu erlangen (vgl. BGH, Urt. v. 22.1.1992 – IV ZR 59/91, r+s 1992, 136). Der Beklagte hat unstreitig dem Kläger die Fortführung des Versicherungsvertrages als Anwartschaftsversicherung angeboten, was der Kläger allerdings abgelehnt hat. Vor diesem Hintergrund bestehen gegen die Beendigung des Versicherungsvertrages infolge eingetretener Berufsunfähigkeit keine rechtlichen Bedenken.

B.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 S. 1 und 2 ZPO.

Beim Streitwert war der Feststellungsantrag mit der 3,5fachen Jahresprämie zu berücksichtigen (BGH, Beschluss vom 03. Mai 2000 – IV ZR 258/99, NJW 2000, 2750), also 934,08 €.

Urteilsbesprechung zu Landgericht Nürnberg-Fürth Endurteil, 30. Dez. 2016 - 2 O 2322/15

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 709 Vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung


Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur

Gesetz über den Versicherungsvertrag


Versicherungsvertragsgesetz - VVG
Landgericht Nürnberg-Fürth Endurteil, 30. Dez. 2016 - 2 O 2322/15 zitiert 2 §§.

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Bundesgerichtshof Urteil, 20. Juni 2012 - IV ZR 141/11

bei uns veröffentlicht am 20.06.2012

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL IV ZR 141/11 Verkündet am: 20. Juni 2012 Heinekamp Justizhauptsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja Krankenta

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 141/11 Verkündet am:
20. Juni 2012
Heinekamp
Justizhauptsekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Krankentagegeldversicherung § 19 (1) b RB/KT 94 (wortgleich mit § 15 (1) b) MB/KT
2009)
Bei einer Krankentagegeldversicherung kann sich der Versicherer nicht nur auf solche
medizinischen Befunde stützen, die er vor seiner Behauptung der Berufsunfähigkeit
beigezogen hat, sondern rückschauend auf alle Untersuchungsergebnisse,
die für einen bestimmten Zeitpunkt aus der Sicht ex ante den Eintritt von Berufsunfähigkeit
des Versicherungsnehmers begründen.
BGH, Urteil vom 20. Juni 2012 - IV ZR 141/11 - OLG Köln
LG Köln
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin Mayen, die Richterin Harsdorf-Gebhardt, die Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller auf die
mündliche Verhandlung vom 20. Juni 2012

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 3. Juni 2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Parteien streiten über die Leistungspflicht der Beklagten aus einer bei ihr gehaltenen Krankentagegeldversicherung.
2
Die Klägerin, selbständige Maklerin für Versicherungen und Finanzen , schloss bei der Beklagten zum 1. Januar 1995 eine Krankentagegeldversicherung mit einer Leistungspflicht bei bedingungsgemäßer Arbeitsunfähigkeit von täglich 31 € ab. Einbezogen waren die RB/KT 94 sowie die Tarifbedingungen. Die Klägerin war im Wesentlichen seit 2001 und zuletzt ab dem 17. Februar 2005 arbeitsunfähig krankgeschrieben und bezog das vereinbarte Krankentagegeld. Mit Schreiben vom 3. April 2006 teilte die Beklagte ihr mit, ein von ihr beauftragter Gutachter sei zu dem Ergebnis gekommen, dass sie seit dem 31. März 2006 berufsunfähig sei, die Leistungen würden daher nach § 19 (1) b RB/KT 94 zum 30. Juni 2006 eingestellt. Mit der Klage begehrt die Klägerin Krankentagegeld vom 1. Juli 2006 bis zum 15. Dezember 2006 in Höhe von insgesamt 5.208 € sowie Feststellung des Fortbestands des Versicherungsvertrages. Sie sei in dem Zeitraum zwar vollständig arbeits-, nicht aber berufsunfähig gewesen.
3
Das Landgericht hat nach Einholung eines orthopädischen Gutachtens dem Zahlungsantrag im Hinblick auf einen von dem Gutachter zum 23. Juni 2006 festgestellten Eintritt der Berufsunfähigkeit teilweise und das Oberlandesgericht hat der Berufung der Klägerin - abgesehen von einem Teil der Zinsforderung - im vollen Umfang stattgegeben. Dagegen wendet sich die Beklagte mit der Revision, mit der sie Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils begehrt.

Entscheidungsgründe:


4
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
5
I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist aufgrund des gerichtlichen Sachverständigengutachtens eine Berufsunfähigkeit der Klägerin zum 31. März 2006 ausgeschlossen. Die Beklagte sei auch nicht dadurch leistungsfrei geworden, dass bei der Klägerin am 23. Juni 2006 eine arterielle Verschlusserkrankung festgestellt wurde, die nach Wertung des Sachverständigen unter Einbeziehung der orthopädischen Beschwerden bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit herbeigeführt habe, denn dieser Befund sei der Beklagten erst mit Übersendung des Gutachtens und damit mehrere Monate nach dem streitigen Leistungszeitraum bekannt geworden. Die Beklagte habe sich auf den Befund erst ab Kenntnis berufen können. Die Feststellungsklage sei ebenfalls begründet, weil die Beklagte jedenfalls nicht zum 31. März 2006 leistungsfrei geworden sei. Eine Beendigung der Leistungspflicht zum Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens des Sachverständigen am 26. Oktober 2007 habe die Beklagte in erster Instanz nicht geltend gemacht. Soweit sie sich im Berufungsverfahren im Termin zur mündlichen Verhandlung erstmals auf den Befund berufen habe, sei dieser neue Angriff nach § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO verspätet.
6
II. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
7
Die Ansicht des Berufungsgerichts, die Beklagte habe sich auf das Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen zur Berufsunfähigkeit der Klägerin erst ab Kenntnis berufen können, ist rechtsfehlerhaft.
8
1. Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Berufungsgericht aufgrund des Sachverständigengutachtens angenommen, dass die Beklagte nicht wegen Berufsunfähigkeit der Klägerin nach § 19 (1) b RB/KT 94 zum 31. März 2006 leistungsfrei geworden ist.

9
Berufsunfähigkeit liegt danach vor, wenn die versicherte Person nach medizinischem Befund im bisher ausgeübten Beruf auf nicht absehbare Zeit mehr als 50% erwerbsunfähig ist. Es geht danach um einen Zustand, dessen Fortbestand aus sachkundiger Sicht für nicht absehbare Zeit prognostiziert wird, der jedoch typischerweise nicht auch als endgültig oder unveränderlich beurteilt werden kann (Senatsurteil vom 30. Juni 2010 - IV ZR 163/09, BGHZ 186, 115, 127 Rn. 30 m.w.N.).
10
Zwar hatten die von der Beklagten beauftragten Gutachter bei der Klägerin bereits zum 31. März 2006 eine deutlich mehr als 50% betragende Einschränkung ihrer Erwerbsfähigkeit für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit auf nicht absehbare Zeit nach Aktenlage festgestellt. Dieses Ergebnis hat der vom Gericht bestellte Gutachter aber nicht bestätigt, sondern ausgeführt, eine Berufsunfähigkeit der Klägerin bestehe erst seit Feststellung einer arteriellen Verschlusskrankheit am 23. Juni 2006. Die beweisbelastete Beklagte hatte damit nach den rechtsfehlerfreien und nichtangegriffenen Feststellungen der Vorinstanzen nicht den Beweis erbracht , dass die Klägerin bereits zum 31. März 2006 berufsunfähig war.
11
2. Soweit das Berufungsgericht aber eine Leistungsfreiheit der Beklagten auch für die Zeit ab dem 23. Juni 2006 abgelehnt hat, beruht dies auf einer nicht zutreffenden Interpretation des Senatsurteils vom 30. Juni 2010 (aaO 128 f. Rn. 31 ff.). Diesem lässt sich entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht entnehmen, dass sich der Versicherer nur auf solche medizinischen Befunde berufen kann, die er vor seiner Behauptung der Berufsunfähigkeit beigezogen und ausgewertet hatte.
12
Die Prognose der Berufsunfähigkeit ist für den Zeitpunkt zu stellen, für den der Versicherer das Ende seiner Leistungspflicht behauptet; für die sachverständige Beurteilung bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit sind die "medizinischen Befunde" - d.h. alle ärztlichen Berichte und sonstigen Untersuchungsergebnisse - heranzuziehen und auszuwerten, die der darlegungs- und beweisbelastete Versicherer für die maßgeblichen Zeitpunkte vorlegen kann. Dabei ist gleich, wann und zu welchem Zweck die medizinischen Befunde erhoben (aaO 128 Rn. 31) und dem Versicherer bekannt geworden sind. Entscheidend ist nicht, wann und wie der Versicherer in der Folge Kenntnis von der Berufsunfähigkeit erlangt, sondern wann diese eingetreten ist. Die Prognose der Berufsunfähigkeit kann also auch rückschauend für den Zeitpunkt gestellt werden, für den der Versicherer das Ende seiner Leistungspflicht behauptet, allerdings muss dies aus der Sicht ex ante geschehen, das heißt ohne Berücksichtigung des weiteren Verlaufs nach diesem Zeitpunkt. Bei einem nachträglich erstellten Gutachten - wie hier - muss der Verlauf zwischen dem Zeitpunkt, für den der Versicherer das Ende seiner Leistungspflicht behauptet , und dem Zeitpunkt der Begutachtung durch den Sachverständigen außer Betracht bleiben.
13
Das bedeutet, dass es vorliegend darauf ankommt, ob sich für den Zeitpunkt 23. Juni 2006 aus der maßgeblichen Sicht ex ante eine Prognose der Berufsunfähigkeit der Klägerin stellen lässt. Dazu hat das Berufungsgericht bislang keine Feststellungen getroffen. Nachdem die Beklagte das von ihr behauptete Ende der Leistungspflicht zum 31. März 2006 nicht hatte nachweisen können, hat sie mit Schriftsatz vom 22. Januar 2008 das Ende ihrer Leistungspflicht jedenfalls für den 23. Juni 2006 behauptet. Dem hätte das Berufungsgericht nachgehen müssen, da für dieses Datum - was ausreichend war - aufgrund des gerichtlichen Sachverständigengutachtens rückschauend auch ein medizinischer Befund vorlag.
14
III. Die Sache ist noch nicht entscheidungsreif. Die Klägerin hat bestritten, dass sie wegen der arteriellen Verschlusserkrankung ab dem 23. Juni 2006 berufsunfähig sei. Das Berufungsgericht wird dies durch Einholung eines geeigneten Sachverständigengutachtens aufzuklären haben. Das bislang vorliegende Gutachten genügt nicht, um eine Berufsunfähigkeit im Sinne der dargelegten Senatsrechtsprechung zu belegen. Abgesehen davon, dass der gerichtliche Sachverständige die Hinzuziehung eines Gefäßspezialisten empfohlen hat, fehlt es bislang an ausreichenden Feststellungen, dass die Berufsunfähigkeit zu dem behaupteten Zeitpunkt am 23. Juni 2006 auch ohne Berücksichtigung des weiteren Verlaufs bestand. Ausweislich des gerichtlichen Sachverständigengutachtens hat der Sachverständige zwar eine Berufsunfähigkeit bezogen auf dieses Datum bestätigt, zur Begründung aber den weiteren Verlauf nach dem 23. Juni 2006 mit einbezogen. Das Berufungsgericht wird dem Sachverständigen daher die Vorgabe zu machen haben, dass die Begutachtung zum Vorliegen einer Berufsunfähigkeit zu dem maßgeblichen Zeitpunkt, dem 23. Juni 2006, aus der Sicht ex ante erfolgen und der weitere Krankheitsverlauf nach diesem Zeitpunkt unberücksichtigt bleiben muss. Außerdem weist der Senat zum Feststellungsantrag auf sein Urteil vom 26. Februar 1992 (IV ZR 339/90, VersR 1992, 479) hin.
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
LG Köln, Entscheidung vom 13.05.2009- 23 O 441/06 -
OLG Köln, Entscheidung vom 03.06.2011 - 20 U 114/09 -

Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages angegeben wird. Handelt es sich um ein Urteil, das ein Versäumnisurteil aufrechterhält, so ist auszusprechen, dass die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil nur gegen Leistung der Sicherheit fortgesetzt werden darf.