Oberlandesgericht Dresden Beschluss, 24. Mai 2017 - 8 U 1086/16
Oberlandesgericht Dresden
BESCHLUSS
In dem Rechtsstreit
.....
gegen
......
wegen Feststellung
hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden durch
Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Hantke,
Richter am Oberlandesgericht Dr. Umbach und
Richterin am Oberlandesgericht Dr. Schönknecht
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 30.03.2017
beschlossen:
I.
Die Parteien und Streithelfer werden auf Folgendes hingewiesen:
Hinsichtlich der rechtlichen Ausgangslage zur Darstellung und Bewertung insbesondere fondsgebundener Renten- und Lebensversicherungen sowie von Provisionsforderungen aus der Vermittlung von zehn Versicherungspolicen an die B-----, l------AG, C------GmbH, E-----AG und M-----GmbH im Jahresabschluss der Beklagten zum 31.03.2011 nimmt der Senat auf seine Urteile vom 09.02.2017 (8 U 576/16) und 18.05.2017 (8 U 321/16) Bezug.
Im Hinblick auf die bilanzielle Erfassung der fondsgebundenen Renten- und Lebensversiche rungen gilt, dass eine nichtigkeitsbegründende Überbewertung im Sinne des § 256 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 AktG nur in Betracht kommen kann, wenn sich aus dem tatsächlichen Anlage- bzw. Verwertungsverhal ten der Beklagten eindeutige Rückschlüsse dahin ziehen lassen, dass sich die (subjektiven) Bestandszuordnungen der Bilanzverantwortlichen zum Anlagevermögen unter Berücksichtigung der zum Bilanzstichtag bzw. spätestens bis zum Wertaufhellungszeitpunkt zu Tage getretenen Umstände als unplausibel erweisen. Entsprechendes gilt für die Beantwortung der Frage, ob und im welchem Umfang ggfls. außerplanmä
ßige Abschreibungen wegen dauerhafter Wertminderungen gemäß § 253 Abs. 3 Satz 3 HGB
a.F. infolge absehbarer Verlustrealisierungen angezeigt waren. Anders als in den Verfahren 8 U 576/16 und 8 U 321/16 stehen hier sowohl historische als auch geschäftsjahresbezogene Daten zur Anschaffung, Haltedauer und Verwertung der Versicherungspolicen sowie tabellari-
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sehe Betrachtungen zum Verwertungsverhalten während des Wertaufhellungszeitraums zur Verfügung. Dies ermöglicht vorliegend eine sachverständige Aufarbeitung und Auswertung des Datenmaterials. Der Senat vermag nicht die Auffassung des Streithelfers 2) zu teilen, wo nach die zur Akte gereichten Policenbestands- und -entwicklungsübersichten, einschließlich der auf der Anlage K 15 beruhenden Detailauswertungen, grundlegend untauglich für gutach terliche Bewertungen sind. Der Sachverständige wird eigenständig einzuschätzen haben, ob anhand des Datenmaterials belastbare Ableitungen möglich sind. Der Umstand, dass die Excel-Tabelle gemäß Anlage K 15 von der Beklagten ggfls. außerhalb der Buchhaltung - zur ge sonderten Versicherungsbestandspflege - geführt wurde, stellt nicht in Frage, dass den Bilanzverantwortlichen der Beklagten die dokumentierten Policenentwicklungen bekannt waren und bei der Jahresabschlusserstellung berücksichtigt werden konnten. Dass ein gewisser Policenbestand ungeklärt ist (Anlage K 16, letzte Zeile - 1,772 Mio. Euro) ist zwar zu beachten; allerdings dürfte (betragsmäßig) keine Größenordnung betroffen sein, die im Übrigen eine sachverständige Begutachtung ausschließt. In Bezug auf einzelne vom Streithelfer 2) identifizierte Widersprüchlichkeiten der in verschiedenen Übersichten zu bestimmten Versicherungs policen dokumentierten Bestands- und Entwicklungsdaten dürften keine derart umfangreichen Abweichungen oder Unklarheiten in Rede stehen, die zu einer Untauglichkeit des gesamten Datenmaterials führen.
Der Kläger kann innerhalb von zwei Wochen nach Zugang dieses Beschlusses zu den Bean standungen der Streithelfer 1) und 2) betreffend das Datenmaterial ergänzend Stellung nehmen. Darüber hinaus wird der Kläger insbesondere vor dem Hintergrund, dass einzelne Zeugen im Verfahren 8 U 321/16 von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht haben, aufgefordert, innerhalb der vorgenannten Frist mitzuteilen, ob er an seinen Beweisange boten auf Vernehmung der Zeugen ----- ----- und ----- festhält; der Senat wird im Anschluss darüber entscheiden, ob entsprechende Zeugeneinvernahmen veranlasst sind
II.
Es wird ein Sachverständigengutachten zu den Behauptungen des Klägers eingeholt, die im Jahresabschluss der Beklagten zum 31.03.2011 im Anlagevermögen geführten fondsgebun denen Renten- und Lebensversicherungen seien mit Blick auf das bis zum Bilanzstichtag und innerhalb des Wertaufhellungszeitraums zu Tage getretene Anlage- bzw. Verwertungsverhalten der Beklagten bilanziell im Umlaufvermögen zu erfassen gewesen; jedenfalls seien auf-
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grund (absehbarer) Policenverwertungen und (voraussichtlicher) Verlustrealisi erungen außer planmäßige Wertabschreibungen wegen dauerhafter Wertminderungen des entsprechenden Versicherungsbestands vorzunehmen gewesen.
Der Sachverständige soll das von den Verfahrensbeteiligten zum Policenbestand und zur Po licenentwicklung eingereichte Datenmaterial, das angabegemäß auf die bereits erstinstanzlich vorgelegte Anlage K 15 zurückzuführen ist, analysieren und in diesem Zusammenhang bewerten; ob auf dieser Grundlage belastbare Feststellungen zum Anlage- bzw. Verwertungsverhalten der Beklagten, einschließlich Verlustrealisierungen, möglich sind. Auf die Beanstandungen der Streithelfer 1) und 2) insbesondere in den Schriftsätzen vom 09.05.2017 und 10.05.2017 wird hingewiesen. Soweit zwecks Bearbeitung des Gutachtenauftrags zusätzliche Unterlagen/Daten benötigt werden, hat der Sachverständige diese über den Senat anzufordern.
Der Sachverständige hat die zur Beantwortung der genannten Fragestellungen notwendigen Datenanalysen und gutachtlichen Bewertungen vorzunehmen und seine Ableitungen begrün det in dem zu erstellenden Gutachten darzulegen. Er hat die weiteren aktenkundigen Anknüp fungstatsachen, wie Liquiditätsplanungen, Schreiben des Wirtschaftsprüfers etc., sowie die sonstigen von den Verfahrensbetei ligten teils streitig angesprochenen indiziellen Umstände und Zielsetzungen in seine Betrachtungen einzubeziehen. Dabei soll er u.a. auch auf folgende Gesichtspunkte eingehen:
- Sind Rückschlüsse aus dem festgestellten Anlage- bzw. Verwertungsverhalten der Beklag ten im Hinblick auf den gesamten Policenbestand sowohl in Bezug auf § 247 Abs. 2 HGB als auch auf § 253 Abs. 3 Satz 3 HGB a.F. möglich?
- Sollte dies nicht der Fall sein: Sind Rückschlüsse auf einen bestimmten Anteil des Policen bestands bzw. -werts möglich und gestattet? Lassen sich dahingehende Anknüpfungen mit dem Gebot der Einzelbewertung nach § 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB in Einklang bringen, insbeson dere dann, wenn zum Bilanzstichtag weder feststeht noch konkret geplant ist, welche der ge halten Versicherungspolicen (voraussichtlich) einer Verwertung zugeführt werden und in wel cher Höhe sich ggfls. ein Verlust realisieren wird? Existieren für die vom Kläger behauptete Situation, dass Versicherungspolicen alsbald, aber nur unspezifisch absehbar etwa zu Liquidi tätsbeschaffungszwecken verwertet werden sollen, bilanzrechtliche Standards oder Übungen, um in diesem Kontext dem grundsätzlichen Ziel Rechnung zu tragen, ein zutreffendes Bild
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über die wirtschaftliche und finanzielle Lage der Gesellschaft zum Bilanzstichtag zu vermit teln? Welche Instrumente (Zuordnungen zum Umlauf- oder Anlagevermögen, Wertabschrei bungen etwa wegen dauerhafter Wertminderungen, Rückstellungen, Anhangerläuterungen etc.) kommen in diesem Kontext sachnah zur Anwendung?
- Der Sachverständige soll bei seinen Auswertungen zum Anlage- bzw. Verwertungsverhal ten berücksichtigen, dass in den zur Akte gereichten Auflistungen neben den in Rede stehenden fondsgebundenen Renten- und Lebensversicherungen in erheblichem Umfang auch klassi sche kapitalbildende Lebensversicherungen erfasst sind.
- Im Hinblick auf die Verwertung fondsgebundener Renten- und Lebensversicherungen ist
- soweit feststellbar - danach zu differenzieren, in welchen Größenordnungen endgültige Poli- cenverwertungen (Laufzeitende, Veräußerungen) oder sog. Teilrückkäufe in Rede stehen. Im Hinblick auf sog. Teilrückkäufe ist auf die Frage einzugehen, welche standardisierten oder üb lichen Herangehensweisen in der Bilanzierungspraxis existieren, um die Tatsache zu erfas sen, dass diese nicht zu einer rechtlichen Beendigung des Versicherungsvertragsverhältnis ses führen. Wird den betreffenden Wirkungsweisen in der Bilanzierungspraxis durch Ein schränkungen bei der Zuordnung zum Anlagevermögen nach § 247 Abs. 2 HGB, durch Wert abschreibungen im Sinne des § 253 Abs. 3 Satz 3 HGB a.F. oder durch andere Instrumente Rechnung getragen?
- Sollten in Auswertung des Anlage- bzw. Verwertungsverhaltens der Beklagten vollständige oder anteilige Erfassungen von Versicherungspolicen im Umlaufvermögen in Betracht kom men, soll der Sachverständige, um eine Beurteilung der Wesentlichkeit etwaiger Überbewer tungen nach § 256 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 AktG zu ermöglichen, dazu Stellung neh men, welche betraglichen Wertabweichungen in Rede stehen und dabei im Ausgangspunkt berücksichtigen, dass sich der Kläger in seiner Argumentation auf die im Jahresabschluss zum 31.03.2011 erwähnten Fondswerte (Rückkaufswerte) beruft (vgl. Anlage K 9, S. 40). Ent sprechendes gilt, soweit nach sachverständiger Einschätzung außerordentliche Wertab schreibungen wegen dauerhafter Wertminderungen des gesamten oder anteiligen Policenbe stands veranlasst sein sollten.
- Parallel zur Gutachtenbeauftragung im vorliegenden Verfahren 8 U 1086/16 erfolgt eine gleichgelagerte Auftragsertei lung gegenüber dem Sachverständigen im Verfahren 8 U 89/16 (Jahresabschluss der Beklagten zum 31.03.2010). Im Hinblick auf mögliche Synergieeffekte
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mag der Sachverständige eine gemeinsame Begutachtung in Betracht ziehen. Es wird aber zu berücksichtigen sein, dass im Hinblick auf die jeweils in Rede stehenden Bilanzstichtage unterschiedlich aussagekräftiges Datenmaterial zur Verfügung steht.
III.
Mit der Erstellung des Sachverständigengutachtens wird die B-----AG Wirtschaftsprüfungsge sellschaft, Frau -----, ------ ------, beauftragt.
IV.
Die Beauftragung des Sachverständigen im Verfahren 8 U 1086/16 wird davon abhängig ge macht, dass der Kläger innerhalb von zwei Wochen nach Zugang dieses Beschlusses einen Auslagenvorschuss von 6.000,00 Euro einzahlt.
Neuer Termin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung wird von Amts wegen bestimmt.
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Referenzen - Gesetze
Aktiengesetz - AktG | § 256 Nichtigkeit
Handelsgesetzbuch - HGB | § 253 Zugangs- und Folgebewertung
Handelsgesetzbuch - HGB | § 252 Allgemeine Bewertungsgrundsätze
Handelsgesetzbuch - HGB | § 247 Inhalt der Bilanz

Referenzen - Urteile
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