Verwaltungsgericht Augsburg Urteil, 18. März 2019 - Au 4 K 17.32375

bei uns veröffentlicht am18.03.2019

Gericht

Verwaltungsgericht Augsburg

Tenor

I. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 21. April 2017, Az. 7021725-461, wird in den Ziffern 4 bis 6 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass beim Kläger die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Pakistans vorliegen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Von den Kosten des Verfahrens hat der Kläger 3/4 und die Beklagte 1/4 zu tragen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger, nach seinen Angaben pakistanischer Staatsangehöriger, begehrt die positive Verbescheidung seines Asylantrags.

Hinsichtlich des weiteren Tatbestands folgt das Gericht der Begründung des in dieser Sache ergangenen Gerichtsbescheids vom 13. November 2018 und sieht insoweit von einer Darstellung ab (§ 84 Abs. 4 VwGO).

Auf den ihr am 16. November 2018 zugestellten Gerichtsbescheid beantragte die Klägerseite am 28. November 2018 mündliche Verhandlung.

In der Folge legte die Klägerseite weitere Atteste und Schreiben der Bezirkskliniken Schwaben vor, insbesondere über stationäre Aufenthalte des Klägers.

Am 13. März 2019 fand die mündliche Verhandlung statt. Hinsichtlich deren Verlaufs wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen. Der Kläger beantragte dort erneut,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 21.4.2017 zu verpflichten, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen und ihm die Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 bis 7 AufenthG vorliegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die Behördenakten Bezug genommen.

Gründe

Da die Klägerseite rechtzeitig mündliche Verhandlung beantragt hat, gilt der Gerichtsbescheid vom 13. November 2018 als nicht ergangen (§ 84 Abs. 3 Halbs. 2 VwGO).

Die Klage ist zulässig und hinsichtlich der begehrten Feststellung eines Abschiebungsverbots gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründet; insoweit und damit auch hinsichtlich der in Nr. 5 und Nr. 6 getroffenen Entscheidungen ist der streitgegenständliche Bescheid vom 21. April 2017 rechtswidrig. Im Übrigen ist die Klage unbegründet, weil dem Kläger die sonst geltend gemachten Ansprüche nicht zustehen (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 VwGO).

Hinsichtlich des Nichtbestehens von Ansprüchen auf Anerkennung als Asylberechtigter, auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf Gewährung subsidiären Schutzes folgt das Gericht gem. § 84 Abs. 4 VwGO der Begründung des in dieser Sache ergangenen Gerichtsbescheids vom 13. November 2018 und sieht insoweit von einer Darstellung ab. Dabei kann offen bleiben, ob angesichts der sogleich zu erörternden gesundheitlichen Situation des Klägers in vollem Umfang auf den Ausführungen im Gerichtsbescheid zum Bestehen internen Schutzes gem. § 3e AsylG (hinsichtlich des subsidiären Schutzes i.V.m. § 4 Abs. 3 AsylG) festzuhalten ist, da im Gerichtsbescheid die klägerseits geltend gemachten Ansprüche nicht allein unter diesem Gesichtspunkt verneint wurden. Im Übrigen hat der Kläger vor dem Bundesamt allein eine private Familienfeindschaft wegen einer Grundstücksangelegenheit geltend gemacht (vgl. zusammenfassend Anhörungsniederschrift Bundesamt S. 5). Insoweit ist eine landesweite Bedrohensmächtigkeit der klägerischen Verwandten ebenso wenig erkennbar wie das Vorliegen der Voraussetzungen, die § 3c Nr. 3 AsylG für eine Verfolgung (§ 3 Asyl) bzw. Bedrohung (§ 4 AsylG) durch nichtstaatliche Akteure aufstellt.

Jedoch steht dem Kläger nach den im gem. § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vorliegenden Erkenntnissen ein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu.

Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt gemäß § 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, denen die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG nur bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen.

Für den Begriff der Gefahr i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gilt ebenfalls der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, B.v. 22.7.2010 - 10 B 20/10 - juris Rn. 6).

§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfasst nur solche Gefahren, die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind, während Gefahren, die sich aus der Abschiebung als solcher ergeben, nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis i.R.v. § 60a Abs. 2-5 AufenthG berücksichtigt werden können (vgl. BVerwG, U.v. 29.10.2002 - 1 C 1/02 - juris Rn. 9).

Die Gefahr, dass sich eine Erkrankung des Ausländers aufgrund der Verhältnisse im Abschiebezielstaat verschlimmert, ist in der Regel als individuelle Gefahr einzustufen, die am Maßstab von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in direkter Anwendung zu prüfen ist. Erforderlich, aber auch ausreichend für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist danach, dass sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, d.h. dass eine wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 22.3.2012 - 1 C 3/11 - BVerwGE 142, 179 - juris Rn. 34; B.v. 17.8.2011 - 10 B 13/11 u.a. - juris Rn. 3; U.v. 17.10.2006 - 1 C 18.05 - BVerwGE 127, 33 - juris Rn. 15; U.v. 25.11.1997 - 9 C 58.96 - BVerwGE 105, 383 - juris Rn. 13; vgl. BayVGH, B.v. 12.8.2015 - 11 ZB 15.30054 - juris Rn. 10 unter Bezugnahme auf BVerwG, B.v. 24.5.2006 - 1 B 118.05 - juris).

Der Gesetzgeber geht nunmehr in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ausdrücklich davon aus, dass lediglich lebensbedrohliche und schwerwiegende Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, die Abschiebung des Ausländers hindern. Mit dieser Präzisierung wird klargestellt, dass nur äußerst gravierende Erkrankungen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG n.F. darstellen (amtliche Begründung zu § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG n.F., BT-Drs. 18/7538, S. 18; vgl. hierzu auch BayVGH, B.v. 31.5.2016 - 10 CE 16.838 - juris Rn. 10). Bereits nach der Rechtsprechung zu § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG a.F. galt, dass eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes nicht schon bei einer befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustands anzunehmen ist, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden (vgl. BayVGH, B.v. 12.8.2015 - 11 ZB 15.30054 - juris Rn. 10 unter Bezugnahme auf BVerwG, B.v. 24.5.2006 - 1 B 118.05 - juris).

Ein strengerer Maßstab als bei direkter Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gilt in Krankheitsfällen ausnahmsweise nur dann, wenn zielstaatsbezogene Verschlimmerungen von Krankheiten als allgemeine Gefahr oder Gruppengefahr i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG zu qualifizieren sind. Dies kommt allerdings bei Erkrankungen nur in Betracht, wenn es - etwa bei AIDS - um eine große Anzahl Betroffener im Zielstaat geht und deshalb ein Bedürfnis für eine ausländerpolitische Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG besteht. In solchen Fällen kann Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung nur dann gewährt werden, wenn im Abschiebezielstaat für den Ausländer - entweder aufgrund der allgemeinen Verhältnisse oder aufgrund von Besonderheiten im Einzelfall - landesweit eine extrem zugespitzte Gefahr wegen einer notwendigen, aber nicht erlangbaren medizinischen Versorgung zu erwarten ist, wenn mit anderen Worten der betroffene Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 17.10.2006 - 1 C 18.05 - BVerwGE 127, 33 - juris Rn. 16).

Bei individuellen Gefahren können die tatbestandlichen Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG demnach bereits dann erfüllt sein, wenn sich die Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers in seinem Heimatstaat wesentlich verschlechtert, da die Behandlungsmöglichkeiten dort faktisch unzureichend sind. Dies kann etwa der Fall sein, soweit eine notwendige ärztliche Behandlung oder Medikation für die betreffende Krankheit in dem Herkunftsstaat wegen des geringeren Versorgungsstandards generell nicht verfügbar ist. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich jedoch darüber hinaus trotz an sich verfügbarer medikamentöser und ärztlicher Behandlung auch aus sonstigen Umständen im Zielstaat ergeben, die dazu führen, dass der betroffene Ausländer diese medizinische Versorgung tatsächlich nicht erlangen kann. Denn eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 22.3.2012 - 1 C 3/11 - BVerwGE 142, 179 - juris Rn. 34; B.v. 24.5.2006 - 1 B 118.05 - juris Rn. 4; U.v. 29.10.2002 - 1 C 1/02 - juris Rn. 9).

Mit dem Begriff der „alsbaldigen“ Verschlimmerung ist einerseits kein in unbestimmter zeitlicher Ferne liegender Termin gemeint (BVerwG, U.v. 27.4.1998 - 9 C 13.97 - InfAuslR 1998, 409), andererseits aber auch keine sofortige, gewissermaßen noch am Tag der Ankunft im Abschiebungszielstaat eintretende Entwicklung (BVerwG, U.v. 29.6.2010 - 10 C 10.09 - BVerwGE 137, 326). Für die alsbaldige Verschlechterung muss eine beachtliche Wahrscheinlichkeit sprechen (BVerwG, U.v. 17.10.1995 - 9 C 9/95 - BVerwGE 99, 329); dies ergibt sich bereits aus dem Gefahrbegriff (BVerwG, U.v. 16.4.1985 - 9 C 109/84 - BVerwGE 71, 180 - juris Rn. 17). Es müssen begründete Anhaltspunkte für die Gefahr vorliegen (BVerfG, B.v. 31.5.1994 - 2 BvR 1193/93 - NJW 1994, 2883 - juris Rn. 13). Eine zukünftige Entwicklung ist dann beachtlich wahrscheinlich, wenn bei der zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für die Entwicklung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen (vgl. BVerwG, U.v. 5.11.1991 - 9 C 118/90 - BVerwGE 89, 162; vgl. zum Ganzen: BayVGH, U.v. 23.7.2014 - 19 B 12.1073 - juris Rn. 34).

Letztlich sind bei Krankheitsfällen i.R.v. § 60 Abs. 7 AufenthG als medizinische Fachfragen entscheidungserheblich die Diagnose von Art und Schwere der Erkrankung sowie die prognostische Einschätzung des Krankheitsverlaufs bzw. der gesundheitlichen Folgen nach Rückkehr in das Heimatland im Lichte der dortigen Behandlungs- und Therapiemöglichkeiten (vgl. BVerwG, B.v. 17.8.2011 - 10 B 13/11 u.a. - juris Rn. 4).

Unter Berücksichtigung obiger Vorgaben und Grundsätze ist im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) davon auszugehen, dass im Fall des Klägers die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, zumindest in verfassungskonformer Anwendung, gegeben sind.

Anders als noch im Zeitpunkt des Erlasses des Gerichtsbescheids liegen nunmehr - zumindest im Wege einer Gesamtschau - zureichende, i.S.d. § 60a Abs. 2c Satz 2 und Satz 3 AufenthG qualifizierte, ärztliche Bescheinigungen betreffend die Erkrankung des Klägers in psychischer Hinsicht vor. Insbesondere der in der mündlichen Verhandlung übergebene Arztbrief der Bezirkskliniken Schwaben vom 28. Januar 2019 weist - in psychischer Hinsicht - eine Anpassungsstörung, eine organische affektive Störung, eine organische wahnhafte Störung sowie eine posttraumatische Belastungsstörung aus. Näher substantiiert worden war die diagnostische Einordnung bereits mittels ärztlichen Attests vom 27. November 2018. Aus den eingereichten ärztlichen Unterlagen ergibt sich weiter, dass der Kläger mehrfach - teilweise über mehrere Wochen - in stationärer Behandlung im Bezirkskrankenhaus Augsburg gewesen ist (24.4. bis 23.5.2019; 25.11. - 21.12.2018; 20.1.2019 - 28.1.2019), zum Teil nach beabsichtigten suizidalen Handlungen. Der Kläger befindet sich gemäß der in der mündlichen Verhandlung übergebenen Therapiebestätigung Refugio vom 11. März 2019 (auf die Versorgung durch diese verweist der Arztbrief des Bezirkskrankenhauses Augsburg vom 28.1.2019, S. 3) weiterhin in psychotherapeutischer Behandlung. Nach dieser Bestätigung ist der Kläger ebenso in psychiatrischer Behandlung in der Ambulanz des Bezirkskrankenhauses; dementsprechend richtet sich der Arztbrief vom 28. Januar 2019 an die weiterbehandelnden Kollegen der dortigen psychiatrischen Institutsambulanz. Angesichts der danach akut therapiebedürftigen psychischen Erkrankungen des Klägers, die auch schon mehrfach zu stationären Aufenthalten in einer spezialisierten Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik geführt haben, bestehen für das Gericht nunmehr am Vorliegen von zumindest i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG schwerwiegenden Erkrankungen keine Zweifel.

Zwar beruhen die ärztlichen Aussagen auch auf Angaben des Klägers zu dem von ihm in Pakistan Erlebten, welche das Gericht, wie im Gerichtsbescheid (Rn. 15 f.; vgl. auch Rn. 21) ausgeführt, nicht für stimmig hält. Allerdings ist beim Kläger nicht nur eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert worden, bei der die Frage, ob das Vorbringen des Klägers zum belastenden Ereignis glaubhaft ist, Sache des Tatrichters ist (vgl. Gerichtsbescheid, Rn. 21). Im Übrigen ist das Klägervorbringen ärztlicherseits mehrfach als wahnhaft, z.T. auch als paranoid-halluzinatorisch, eingestuft worden (ärztliche Atteste bzw. Briefe des Bezirkskrankenhauses Augsburg vom 14.8.2018, 27.11.2018 und vom 29.1.2019), so dass es ausweislich ärztlicher Beurteilung für die beim Kläger diagnostizierten Krankheitsbilder nicht entscheidend darauf ankommt, ob das vom ihm Vorgebrachte sich tatsächlich so zugetragen hat. Dementsprechend wird ärztlicherseits auch berücksichtigt, dass der Kläger in das von ihm vorgebrachte Verfolgungserleben sogar die ärztlichen Behandler einbezieht, die mit seinem Bruder in Pakistan in Verbindung stehen könnten (Arztbrief vom 29.1.2019, S. 2 und S. 3).

Die Erkrankungen des Klägers würden sich auch i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG durch eine Abschiebung wesentlich verschlechtern. Insoweit steht im vorliegenden Fall nicht allein eine Gefahr durch die Abschiebung als solche als inländisches Vollstreckungshindernis im Raume. Denn ärztlicherseits wird - für das Gericht nicht in Frage zu stellen - zu den beim Kläger gestellten Diagnosen nicht (nur) eine Angst vor der Abschiebung, sondern (ggfs. auch wahnhaft) eine Verfolgung durch Angehörige in Pakistan angeführt (vgl. erneut Arztbrief vom 29.1.2019, S. 2 und S. 3). Konkret ist im ärztlichen Attest vom 27. November 2018 (S. 9) ausgeführt worden, dass die Stressbelastung im Falle einer erzwungenen Abschiebung mit größter Wahrscheinlichkeit eine Exazerbation der Psychose mit starken psychotischen Ängsten und auch einem hohen Risiko für suizidale Handlungen zur Folge hätte. Gerade für den hier ausweislich ärztlicher Beurteilung anzunehmenden Fall, dass die Abschiebung zu einer wesentlichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung führt, soll nach dem Willen des Gesetzgebers auch nach der Neufassung des § 60 Abs. 7 AufenthG ein Abschiebungsverbot angenommen werden (vgl. BT-Drs. 18/7538, S. 18).

Vor diesem Hintergrund steht dem Vorliegen eines Abschiebungsverbots nicht entgegen, dass in Pakistan in staatlichen Krankenhäusern bei - nicht weiter zu begründender - Bedürftigkeit kostenlose Behandlungsmöglichkeiten bestehen, dass die Grundversorgung mit nahezu allen gängigen Medikamenten sichergestellt ist und dass diese Versorgung mit Blick auf die Kosten für weite Teile der Bevölkerung erschwinglich ist (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Pakistan vom 21.8.2018, Nr. IV.1.2, S. 24) und dass gem. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG die medizinische Versorgung in Pakistan nicht mit derjenigen in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig zu sein braucht.

Im Übrigen lässt sich aus allgemein zugänglichen Erkenntnisquellen schließen, (EASO, Länderüberblick Pakistan, August 2015, Nr. 1.7.4, S. 42, abrufbar unter https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/BZ0415498DEN1.pdf) und wurde in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung herausgearbeitet (VG Bayreuth, U.v. 29.1.2018 - B 5 K 16.31983 - juris Rn. 26 m.w.N.), dass die psychiatrische Versorgung in Pakistan, gemessen an europäischen Standards, dürftig ist, dass 90% der Dienstleistungen im Bereich geistiger Gesundheit privat und deren Kosten gemessen am Durchschnittseinkommen extrem hoch sind, dass ein akuter Mangel an psychosozialen Fachkräften und ein relativ geringes Bewusstseinsstandes für psychische Gesundheit besteht, und dass das Stigma, das mit psychischen Störungen verbunden ist, und die Diskriminierung von Patienten und deren Familie Personen davon abhält, Dienstleistungen der psychischen Gesundheitsvorsorge in Anspruch zu nehmen. Dem ist die Situation des Klägers gegenüberzustellen, der im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) akut psychotherapeutisch und ambulant psychiatrisch behandlungsbedürftig ist. Eine signifikante Änderung seines Gesundheitszustands ist nicht erkennbar, so dass auch das Erfordernis eines stationären Aufenthalts in einer auf psychische Erkrankungen spezialisierten Klinik, wie mehrfach im vergangenen Jahr, jederzeit wieder möglich erscheint. Für das Gericht ist nicht erkennbar, dass für den Kläger diese derzeit für ihn nötige medizinische Versorgung (Psychotherapie, ambulante psychiatrische Behandlung, Bereitstehen eines Platzes, wenn und sobald erforderlich, für einen stationären Krankenhausaufenthalt) bei der beschriebenen medizinischen Versorgungslage in Pakistan in Bezug auf psychische Erkrankungen gewährleistet wäre. Nachdem sich aus den klägerseits vorgelegten Bestätigungen nicht ergibt, dass sich bisher trotz der mehrfachen und laufenden medizinischen Behandlung eine signifikante Verbesserung seines Gesundheitszustands ergeben hat, muss auch davon ausgegangen werden, dass sich seine Krankheit i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in Folge der Abschiebung, nämlich wegen des Nichtzurverfügungstehens der erforderlichen medizinischen Behandlung, wesentlich, zumal lebensbedrohend, verschlechtern würde (vgl. im Übrigen erneut ärztliches Attest vom 27.11.2018, unter Nr. 4). Von einer maßgeblichen Unterstützung des Klägers, die notwendige Behandlung zu erreichen, durch Verwandte kann nicht ausgegangen werden. Zum einen ist der Gesundheitszustand des Klägers nach ärztlicher Beurteilung gerade auf eine - wenn auch wohl wahnhaft - angenommene Verfolgung durch Angehörige zurückzuführen. Zum anderen ist selbst, wenn von einer gewissen finanziellen Unterstützung durch Dritte ausgegangen würde, nicht anzunehmen, dass objektiv betrachtet die für den Kläger derzeit erforderlichen Behandlungskapazitäten in Pakistan vorhanden wären. Schließlich stellt in Bezug auf die gesundheitliche Versorgung in Pakistan auch der streitgegenständlichen Bescheid (vgl. S. 9 f.) nicht auf eine Unterstützung des Klägers durch Dritte ab.

Das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt daher vor.

Ob auch die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG erfüllt sind, bedarf keiner Prüfung, da es sich beim national begründeten Abschiebungsverbot um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand handelt (BVerwG, U.v. 8.9.2011 - 10 C 14/10 - BVerwGE 140, 319 - LS 1, juris).

Die Gewährung von Abschiebungsschutz hat zur Folge, dass sich die in Nr. 5 des streitgegenständlichen Bescheids enthaltene Abschiebungsandrohung (vgl. § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG) und damit auch die Befristungsentscheidung in Nr. 6 des streitgegenständlichen Bescheids (vgl. § 75 Nr. 12 AufenthG) als rechtswidrig erweisen und aufzuheben waren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO und trägt den jeweiligen Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten Rechnung. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Augsburg Urteil, 18. März 2019 - Au 4 K 17.32375

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Tatbestand 1 Der Kläger erstrebt Abschiebungsschutz wegen ihm in Afghanistan drohender Gefahren. 2

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(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind vorher zu hören. Die Vorschriften über Urteile gelten entsprechend.

(2) Die Beteiligten können innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids,

1.
Berufung einlegen, wenn sie zugelassen worden ist (§ 124a),
2.
Zulassung der Berufung oder mündliche Verhandlung beantragen; wird von beiden Rechtsbehelfen Gebrauch gemacht, findet mündliche Verhandlung statt,
3.
Revision einlegen, wenn sie zugelassen worden ist,
4.
Nichtzulassungsbeschwerde einlegen oder mündliche Verhandlung beantragen, wenn die Revision nicht zugelassen worden ist; wird von beiden Rechtsbehelfen Gebrauch gemacht, findet mündliche Verhandlung statt,
5.
mündliche Verhandlung beantragen, wenn ein Rechtsmittel nicht gegeben ist.

(3) Der Gerichtsbescheid wirkt als Urteil; wird rechtzeitig mündliche Verhandlung beantragt, gilt er als nicht ergangen.

(4) Wird mündliche Verhandlung beantragt, kann das Gericht in dem Urteil von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung des Gerichtsbescheides folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind vorher zu hören. Die Vorschriften über Urteile gelten entsprechend.

(2) Die Beteiligten können innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids,

1.
Berufung einlegen, wenn sie zugelassen worden ist (§ 124a),
2.
Zulassung der Berufung oder mündliche Verhandlung beantragen; wird von beiden Rechtsbehelfen Gebrauch gemacht, findet mündliche Verhandlung statt,
3.
Revision einlegen, wenn sie zugelassen worden ist,
4.
Nichtzulassungsbeschwerde einlegen oder mündliche Verhandlung beantragen, wenn die Revision nicht zugelassen worden ist; wird von beiden Rechtsbehelfen Gebrauch gemacht, findet mündliche Verhandlung statt,
5.
mündliche Verhandlung beantragen, wenn ein Rechtsmittel nicht gegeben ist.

(3) Der Gerichtsbescheid wirkt als Urteil; wird rechtzeitig mündliche Verhandlung beantragt, gilt er als nicht ergangen.

(4) Wird mündliche Verhandlung beantragt, kann das Gericht in dem Urteil von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung des Gerichtsbescheides folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt.

(1) Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er

1.
in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und
2.
sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

(2) Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, sind die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck sind genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge oder des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, einzuholen.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

Die Verfolgung kann ausgehen von

1.
dem Staat,
2.
Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder
3.
nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird. § 74 Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(2) Das Gericht kann außer in den Fällen des § 38 Absatz 1 und des § 73b Absatz 7 bei Klagen gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz im schriftlichen Verfahren durch Urteil entscheiden, wenn der Ausländer anwaltlich vertreten ist. Auf Antrag eines Beteiligten muss mündlich verhandelt werden. Hierauf sind die Beteiligten von dem Gericht hinzuweisen.

(3) Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe ab, soweit es den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt oder soweit die Beteiligten übereinstimmend darauf verzichten.

(4) Wird während des Verfahrens der streitgegenständliche Verwaltungsakt, mit dem ein Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde, durch eine Ablehnung als unbegründet oder offensichtlich unbegründet ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Das Bundesamt übersendet dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts. Nimmt der Kläger die Klage daraufhin unverzüglich zurück, trägt das Bundesamt die Kosten des Verfahrens. Unterliegt der Kläger ganz oder teilweise, entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich nur noch gegen die Androhung der Abschiebung; die gegen seine Ausweisung gerichtete Klage wurde bereits rechtskräftig abgewiesen.

2

Der 1966 in St. Petersburg geborene Kläger ist russischer Staatsangehöriger jüdischen Glaubens. Er beantragte im Februar 1995 beim Generalkonsulat in St. Petersburg eine Aufenthaltserlaubnis zum ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet. Der Beauftragte des Freistaats Bayern erteilte im Juni 1996 gegenüber dem Bundesverwaltungsamt eine Aufnahmezusage, die der Familie des Klägers durch das Generalkonsulat bekannt gegeben wurde. Der Kläger reiste im September 1997 mit einem Visum in die Bundesrepublik Deutschland ein und erhielt am 14. Oktober 1997 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Am 23. Oktober 1997 wurde ihm eine Bescheinigung ausgestellt, wonach er Flüchtling im Sinne des § 1 Abs. 1 des Gesetzes über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge (Kontingentflüchtlingsgesetz - HumHAG) sei.

3

Der Kläger wurde im Dezember 2003 wegen Mordes zu einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren verurteilt. Die Strafkammer ging wegen des Vorliegens einer undifferenzierten Schizophrenie davon aus, dass seine Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit erheblich eingeschränkt gewesen sei. In der Anhörung zur beabsichtigten Ausweisung machte der Kläger geltend, er sei herzkrank (Mitral- und Aortenklappenersatz) und erhalte in der Russischen Föderation keine angemessene medizinische Behandlung.

4

Die Beklagte wies den Kläger mit Bescheid vom 27. Februar 2006 aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Nr. 1) und drohte ihm die Abschiebung unmittelbar aus der Haft heraus in die Russische Föderation an (Nr. 2). Hilfsweise drohte sie ihm die Abschiebung binnen einer Woche nach Haftentlassung an (Nr. 3).

5

Das Verwaltungsgericht hob die Abschiebungsandrohung nach Haftentlassung binnen Wochenfrist (Nr. 3 des Bescheids) auf und wies die Klage im Übrigen ab. Mit Beschluss vom 3. September 2008 hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Zwar genössen jüdische Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion in entsprechender Anwendung des Kontingentflüchtlingsgesetzes Ausweisungsschutz gemäß Art. 33 GFK/§ 60 Abs. 1 AufenthG. Wegen der vom Kläger ausgehenden konkreten (Wiederholungs-)Gefahr greife dieses Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG/Art. 33 Abs. 2 GFK jedoch nicht.

6

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hat der Senat mit Beschluss vom 13. März 2009 (BVerwG 1 B 20.08) die Entscheidung des Berufungsgerichts hinsichtlich der Abschiebungsandrohung aus der Haft (Nr. 2 des Bescheids) aufgehoben und den Rechtsstreit an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen; hinsichtlich der Ausweisung (Nr. 1 des Bescheids) hat er die Beschwerde zurückgewiesen.

7

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 22. Dezember 2010 die Abschiebungsandrohung (Nr. 2 des Bescheids) und insoweit auch das Urteil des Verwaltungsgerichts aufgehoben. Er ist davon ausgegangen, dass der Kläger aufgrund des Beschlusses der Ministerpräsidentenkonferenz vom 9. Januar 1991 die Rechtsstellung eines Kontingentflüchtlings entsprechend § 1 Abs. 1 HumHAG genieße und sich auch ohne Vorliegen eines Verfolgungsschicksals auf das Abschiebungsverbot des Art. 33 Abs. 1 GFK/§ 60 Abs. 1 AufenthG berufen könne. Zwar entstehe dieser Status ausschließlich kraft Gesetzes, so dass auch die Bescheinigung gemäß § 2 HumHAG nur deklaratorische Bedeutung besitze. Daraus könne aber nicht geschlossen werden, dass jüdische Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion nicht unter den Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 HumHAG fielen. Dies würde der historischen Dimension der Aufnahme jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion nicht gerecht und widerspräche auch der zwischen Bund und Ländern vereinbarten Verwaltungspraxis. Danach sei den Betroffenen ohne individuelle Prüfung auf Verfolgung oder Diskriminierung analog § 1 Abs. 3 HumHAG sofort eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt und eine Bescheinigung nach § 2 HumHAG ausgestellt worden. Angesichts der besonderen Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland für die Verbrechen des Nationalsozialismus könne nicht davon ausgegangen werden, dass die analoge Heranziehung des Kontingentflüchtlingsgesetzes ausgerechnet vor dem Refoulement-Verbot des Art. 33 Abs. 1 GFK habe haltmachen wollen. Der besondere ausländerrechtliche Status sei auch mit dem Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes am 1. Januar 2005 nicht entfallen. § 60 Abs. 8 AufenthG stehe dem nicht mehr entgegen, denn seit Einnahme eines Neuroleptikums bestehe beim Kläger nach dem Ergebnis des fachpsychiatrischen Gutachtens keine konkrete Wiederholungsgefahr.

8

Darüber hinaus greife auch das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Zwar stünden die vom Kläger benötigten Medikamente und Behandlungsmaßnahmen auch in der Russischen Föderation zur Verfügung. Die dort übliche kostenlose medizinische Behandlung entspreche aber nicht dem nach einer Herzklappenoperation erforderlichen Standard. Der Kläger benötige nach Auskunft der Botschaft monatlich 400 € für die erforderlichen Behandlungsmaßnahmen, 110 € für die Lebenshaltung sowie 400 € für eine bescheidene Einzimmerwohnung am Stadtrand von St. Petersburg. Diese Summe könne er krankheitsbedingt nicht erarbeiten.

9

Mit ihren vom Berufungsgericht zugelassenen Revisionen rügen die Beklagte und die Landesanwaltschaft Bayern, das Kontingentflüchtlingsgesetz sei weder direkt noch analog auf den Kläger anzuwenden. Der Verwaltungsgerichtshof stütze seine Auffassung auf eine fehlerhafte Wiedergabe des Schreibens des Bundesministeriums des Inneren (BMI) vom 10. August 1993. Maßgeblich für die von der Ministerpräsidentenkonferenz beschlossene entsprechende Anwendung des Kontingentflüchtlingsgesetzes seien die finanzielle Beteiligung des Bundes an den Eingliederungsmaßnahmen und das Verteilungsverfahren auf die Länder gewesen. Daher könnten Regelungen dieses Gesetzes, die an eine Verfolgungssituation anknüpften, auf jüdische Emigranten nicht angewendet werden. Schließlich sei mit dem Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes für den in entsprechender Anwendung des Kontingentflüchtlingsgesetzes aufgenommenen Personenkreis nur der Aufenthaltstitel und kein Kontingentflüchtlingsstatus übergeleitet worden. Zudem greife § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG, denn beim Kläger bestehe eine konkrete Wiederholungsgefahr. Das Berufungsgericht habe auch das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu Unrecht bejaht. Der Verwaltungsgerichtshof habe keinerlei Feststellungen dazu getroffen, dass und wie sich der Gesundheitszustand des Klägers nach seiner Abschiebung in die Russische Föderation verschlimmern werde. Notwendig seien beim Kläger nur die regelmäßige Gabe eines blutverflüssigenden Medikaments und Blutgerinnungskontrollen; das hätte vom Berufungsgericht aufgeklärt werden müssen.

10

Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung. Die Anwendung des Kontingentflüchtlingsgesetzes ergebe sich bereits aus dem in § 103 AufenthG enthaltenen Grundsatz des Bestandsschutzes. Sein Vertrauen sei schutzwürdig, da die Beklagte die Bescheinigung, dass er Kontingentflüchtling sei, nicht widerrufen habe. Die Beklagte sei an die Erlasslage und ihre Verwaltungspraxis gebunden. Daraus werde ersichtlich, dass der Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz einen eigenen, sich nach dem Kontingentflüchtlingsgesetz richtenden Aufenthaltsgrund ausgestaltet habe. Zutreffend habe das Berufungsgericht das Vorliegen des Ausschlusstatbestandes des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG verneint und das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bejaht.

11

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hält die Revisionen für begründet.

Entscheidungsgründe

12

Die Revisionen der Beklagten und der Landesanwaltschaft Bayern sind zulässig und begründet. Die Berufungsentscheidung beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Der Verwaltungsgerichtshof hat die Abschiebungsandrohung, für deren gerichtliche Überprüfung grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner Entscheidung maßgeblich ist (1.), mit einer Begründung aufgehoben, die mit Bundesrecht unvereinbar ist. Denn jedenfalls seit Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes genießt der Kläger keine Rechtsstellung, die das Refoulement-Verbot (§ 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG i.V.m. § 1 Abs. 1 HumHAG und Art. 33 Abs. 1 GFK) umfasst (2.). Des Weiteren hat das Berufungsgericht seiner Gefahrenprognose im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG unzutreffende Beurteilungsmaßstäbe zugrunde gelegt (3.). Da der Senat mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen über das Vorliegen dieses Abschiebungsverbots nicht selbst abschließend entscheiden kann, ist die Sache zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

13

1. Der gerichtlichen Beurteilung einer Abschiebungsandrohung ist jedenfalls dann, wenn der Ausländer aufgrund der Androhung noch nicht abgeschoben wurde oder noch nicht freiwillig ausgereist ist, grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts zugrunde zu legen. Das liegt in der Konsequenz der neueren Rechtsprechung des Senats zum veränderten Zeitpunkt der maßgeblichen Sach- und Rechtslage für die gerichtliche Prüfung einer Ausweisung (Urteil vom 15. November 2007 - BVerwG 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 12), der Ermessensentscheidung über die Erteilung und Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis (Urteil vom 7. April 2009 - BVerwG 1 C 17.08 - BVerwGE 133, 329, Rn. 37 f.) sowie der Rücknahme oder des Widerrufs eines unbefristeten Aufenthaltstitels (Urteil vom 13. April 2010 - BVerwG 1 C 10.09 - Buchholz 402.242 § 51 AufenthG Nr. 1). Maßgeblich für die Änderung der Rechtsprechung war die Erwägung, dass die genannten Verwaltungsakte zu einer Aufenthaltsbeendigung führen können, bei der in vielen Fällen dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens aus Art. 8 EMRK und dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG auf freie Entfaltung der Persönlichkeit sowie bei familiären Bindungen dem Grundrecht aus Art. 6 GG besondere Bedeutung zukommt. Der diesen Freiheitsrechten immanente Verhältnismäßigkeitsgrundsatz spricht dafür, dass die Gerichte bei ihrer Entscheidung über einen aufenthaltsbeendenden Verwaltungsakt auf eine möglichst aktuelle, d.h. nicht bereits überholte Tatsachengrundlage abstellen (Urteil vom 15. November 2007 a.a.O. Rn. 16 a.E.). Sie sollen realitätsnah und aus Gründen der Verfahrensökonomie möglichst abschließend entscheiden können (Urteil vom 13. Dezember 2011 - BVerwG 1 C 14.10 - juris Rn. 10 - zur Veröffentlichung in der Sammlung BVerwGE bestimmt). Es liegt auf der Hand, dass diese Überlegungen erst recht für die Abschiebungsandrohung als vollstreckungsrechtliche Grundlage einer zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung zutreffen. Ob auch bei einer bereits durchgeführten Abschiebung oder einer freiwilligen Ausreise auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. Entscheidung der Tatsacheninstanz oder aber den Zeitpunkt der Abschiebung bzw. Ausreise abzustellen ist, kann hier dahinstehen.

14

Auch wenn - wie hier - für die revisionsgerichtliche Prüfung auf die Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ist, sind Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens zu beachten, wenn sie das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - zu berücksichtigen hätte (stRspr, etwa Urteil vom 11. Januar 2011 - BVerwG 1 C 1.10 - BVerwGE 138, 371 Rn. 10 m.w.N.). Maßgeblich sind deshalb im vorliegenden Fall die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. Dezember 2011 (BGBl I S. 2854). Damit sind auch die Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22. November 2011 (BGBl I S. 2258) zu beachten.

15

Nicht anzuwenden ist hingegen die Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger - Rückführungsrichtlinie - RFRL - (ABl EU Nr. L 348 vom 24. Dezember 2008 S. 98). Denn für die bereits 2006 verfügte und mit der Klage angegriffene Abschiebungsandrohung beansprucht die Rückführungsrichtlinie, die von den Mitgliedstaaten gemäß Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie bis zum 24. Dezember 2010 umzusetzen war, noch keine Geltung (zur intertemporalen Anwendung von Richtlinien vgl. EuGH, Urteil vom 4. Oktober 2007 - Rs. C-349/06, Polat - Slg. 2007, I-8167 Rn. 25 ff.). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Art. 15 Abs. 5 und 6 RFRL, der auf bereits vor der Umsetzung begonnene und darüber hinaus andauernde Inhaftierungen Anwendung findet (vgl. EuGH, Urteil vom 30. November 2009 - Rs. C-357/09 PPU, Kadzoev - Slg. 2009, I-11189 Rn. 38). Denn Regelungen zur Dauer der Abschiebungshaft betreffen zukünftige Auswirkungen eines noch andauernden Sachverhalts und nicht die gerichtliche Kontrolle einer Behördenentscheidung, die vor Ablauf der Umsetzungsfrist getroffen worden ist.

16

An diesen Maßstäben gemessen liegen die Voraussetzungen für den Erlass einer Androhung der Abschiebung unmittelbar aus der Haft (§ 59 Abs. 1 und 5 i.V.m. § 58 Abs. 1 AufenthG) vor. Insbesondere ist, da sich der Kläger in Haft befindet, die Überwachung seiner Ausreise erforderlich (§ 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG), so dass es keiner Fristsetzung zur freiwilligen Ausreise bedarf (§ 59 Abs. 5 AufenthG).

17

2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht das Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG i.V.m. § 1 Abs. 1 des Gesetzes über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge vom 22. Juli 1980 (BGBl I S. 1057) - Kontingentflüchtlingsgesetz (HumHAG) der streitgegenständlichen Abschiebungsandrohung nicht entgegen. Der Kläger ist kein Kontingentflüchtling (2.1). Dahinstehen kann, ob die ihm durch die Aufnahmezusage vermittelte Rechtsstellung ursprünglich auch das in Art. 33 Abs. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl 1953 II S. 559) - GFK - niedergelegte Refoulement-Verbot umfasst hat (2.2). Denn entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts besteht diese Rechtstellung nach Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes nicht mehr fort. Deshalb können sich jüdische Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion jedenfalls seit diesem Zeitpunkt allein aufgrund ihrer Aufnahme nicht auf das Refoulement-Verbot berufen (2.3).

18

2.1 Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Kläger, der weder als Asylberechtigter noch als Flüchtling anerkannt ist, sich nicht unmittelbar auf das Refoulement-Verbot (Art. 33 Abs. 1 GFK) berufen kann. Gemäß § 1 Abs. 1 HumHAG genießt im Bundesgebiet die Rechtsstellung nach den Art. 2 bis 34 GFK, wer als Ausländer im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen der Bundesrepublik Deutschland aufgrund der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vor der Einreise in der Form des Sichtvermerks oder aufgrund einer Übernahmeerklärung nach § 33 Abs. 1 AuslG 1990 im Geltungsbereich dieses Gesetzes aufgenommen worden ist. Zwar stünde der Fortgeltung des Kontingentflüchtlingsstatus nicht entgegen, dass das Kontingentflüchtlingsgesetz durch Art. 15 Abs. 3 Nr. 3 des Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 2004 (BGBl I S. 1950) mit Wirkung zum 1. Januar 2005 aufgehoben worden ist. Denn aus der Übergangsvorschrift des § 103 AufenthG, nach der für Kontingentflüchtlinge die Erlöschens- und die Widerrufsregelung des Kontingentflüchtlingsgesetzes (§ 2a und 2b HumHAG) weiter Anwendung finden, ergibt sich, dass ein unmittelbar aufgrund dieses Gesetzes entstandener Kontingentflüchtlingsstatus fortbesteht. Der Verwaltungsgerichtshof hat aber die Voraussetzungen für einen gesetzlichen Statuserwerb nach § 1 Abs. 1 HumHAG beim Kläger zu Recht verneint.

19

Nach den vom Berufungsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen befand sich der Kläger als jüdischer Emigrant aus der früheren Sowjetunion im Zeitpunkt seiner Aufnahme weder in einer Verfolgungssituation noch war seine Lage durch ein Flüchtlingsschicksal gekennzeichnet. Entscheidend ist jedoch, dass die Übernahme seitens der Bundesrepublik Deutschland nicht wegen eines derartigen Gruppenschicksals erfolgte (vgl. zu den Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 HumHAG: Urteile vom 17. Februar 1992 - BVerwG 9 C 77.89 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 150 S. 329<331, 332, 334> und vom 27. Februar 1996 a.a.O. Nr. 185 S. 75 <78>). Das Berufungsgericht hat den Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz (Besprechung des Bundeskanzlers mit den Regierungschefs der Länder) vom 9. Januar 1991 und die darauf aufbauende Aufnahmepraxis jüdischer Emigranten aus der früheren Sowjetunion vielmehr dahingehend gewürdigt, dass dieser Personenkreis im Bewusstsein der historischen Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland für die Verbrechen des Nationalsozialismus zur Erhaltung der Lebensfähigkeit jüdischer Gemeinden in Deutschland und zur Revitalisierung des jüdischen Elements im deutschen Kultur- und Geistesleben aufgenommen wurde. Das ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.

20

Durch die Liberalisierung der sowjetischen Ausreisepolitik im Zuge der Perestroika zogen, wie allgemeinkundig ist, sowjetische Juden nach dem Fall der Berliner Mauer ab 1989 verstärkt nach Ost-Berlin. Der Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik beschloss am 11. Juli 1990 im Rahmen vorläufiger Regelungen des Aufenthalts und des Asyls für Ausländer, zunächst in zu begrenzendem Umfang ausländischen jüdischen Bürgern, denen Verfolgung oder Diskriminierung drohte, aus humanitären Gründen Aufenthalt zu gewähren. Diese Regelung fand jedoch keinen Niederschlag im Einigungsvertrag. Die Bundesregierung bat vielmehr im September 1990 die Auslandsvertretungen, Zuwanderungsanträge sowjetischer Juden bis zur Klärung eines zwischen Bund und Ländern abgestimmten Aufnahmeverfahrens nur entgegenzunehmen und weiter zu bearbeiten, soweit nicht von vornherein eine Aufnahme nach den geltenden Gesetzen ausgeschlossen sei (vgl. BTDrucks 11/8439 S. 2). Im Bewusstsein der historischen Verantwortung Deutschlands für die Verbrechen des Nationalsozialismus stand sie dem Wunsch dieses Personenkreises, in Deutschland eine neue Heimat zu gründen, im Grundsatz aufgeschlossen gegenüber, da der Zuzug die jüdischen Gemeinden in Deutschland stärke und diese Stärkung mittel- und langfristig zu einer Revitalisierung des bedeutenden jüdischen Beitrags zum Kultur- und Geistesleben in Deutschland führe. Eine unbegrenzte Aufnahme sowjetischer Juden sei jedoch nicht möglich, sondern komme nur im Rahmen eines geordneten Verfahrens in Betracht. Daraus ergebe sich die Notwendigkeit eines mit den Ländern und den jüdischen Organisationen abgestimmten Aufnahmeprogramms, das Vorsorge für den geregelten Zugang und eine angemessene Unterbringung treffe (BTDrucks 11/8439 S. 3 f.). Diese Bestrebungen, Motive und Steuerungsbedürfnisse, die auch die damalige politische Debatte prägten (vgl. Plenarprotokolle des Deutschen Bundestags, 11. Wahlperiode, 231. Sitzung vom 25. Oktober 1990, S. 18359 ff. und 234. Sitzung vom 31. Oktober 1990, S. 18740 ff.), fanden Eingang in den Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz vom 9. Januar 1991. Damit wurde zwischen den Regierungschefs von Bund und Ländern in Anwesenheit des Bundesministers des Inneren Einvernehmen darüber hergestellt, dass die Einreise von Juden aus der Sowjetunion ohne zahlenmäßige Begrenzung auch in Zukunft aufgrund von Einzelfallentscheidungen in entsprechender Anwendung des Kontingentflüchtlingsgesetzes ermöglicht wird. Bei den großzügig zu handhabenden Einzelfallentscheidungen sollte u.a. der Gesichtspunkt der Erhaltung der Lebensfähigkeit jüdischer Gemeinden in Deutschland eine Rolle spielen; die Verteilung auf die einzelnen Länder sollte grundsätzlich nach dem "Königsteiner Schlüssel" erfolgen (vgl. auch BTDrucks 12/229 S. 1 ff.).

21

Vor diesem Hintergrund erweist sich die Annahme des Berufungsgerichts, die von der Ministerpräsidentenkonferenz beschlossene entsprechende Anwendung des Kontingentflüchtlingsgesetzes belege, dass jüdische Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion von der Bundesrepublik Deutschland nicht als verfolgte oder durch ein Flüchtlingsschicksal gekennzeichnete Gruppe aufgenommen worden sind, als überzeugend (ebenso VGH Mannheim, Urteil vom 13. Juli 2011 - 11 S 1413/10 - InfAuslR 2011, 383 <384, 385 f.>; VGH München, Beschluss vom 20. Dezember 2004 - 12 CE 04.3232 - juris ; OVG Greifswald, Urteil vom 15. September 2004 - 1 L 107/02 - LKV 2005, 510 <512>; OVG Berlin, Beschluss vom 30. Juli 2004 - 2 N 87.04 - juris). Mangels gesetzlichen Erwerbs des Kontingentflüchtlingsstatus kann sich der Kläger nicht unmittelbar auf das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG i.V.m. § 1 Abs. 1 HumHAG und Art. 33 Abs. 1 GFK berufen.

22

2.2 Da der Kläger den Kontingentflüchtlingsstatus nicht durch Gesetz erworben hat, konnte eine das Refoulement-Verbot umfassende Rechtsstellung entgegen der Annahme, wie sie der angefochtenen Entscheidung unausgesprochen zugrunde liegt, nur durch einen Rechtsakt (Verwaltungsakt) begründet werden. Denn nichtförmliches Verwaltungshandeln, auch wenn es einer auf Schreiben oberster Bundes- und Landesbehörden zurückzuführenden Verwaltungspraxis entspricht, wonach die Betroffenen hinsichtlich bestimmter begünstigender Rechtsfolgen wie Inhaber des Kontingentflüchtlingsstatus behandelt werden sollen, vermag einem Betroffenen weder diesen Status noch die Möglichkeit der Berufung auf das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 1 AufenthG bzw. Art. 33 GFK zu vermitteln.

23

Als rechtsbegründender Verwaltungsakt kommt im vorliegenden Fall nur die Aufnahmezusage des Beauftragten des Freistaats Bayern vom 18. Juni 1996 in Betracht. Sie wurde - wie vom Klägerbevollmächtigten im Revisionsverfahren belegt und auch von den übrigen Beteiligten nicht in Zweifel gezogen - der Familie des Klägers vor ihrer Ausreise durch das Generalkonsulat St. Petersburg bekannt gegeben. Diese Vorgehensweise entsprach wohl auch der damaligen Verwaltungspraxis (vgl. IV. Nr. 3 des Erlasses des Auswärtigen Amtes betreffend die Zuwanderung von Juden aus der ehemaligen UdSSR vom 25. März 1997, Gz.: 514-516.20/7, nach der die Aufnahmezusage den Antragstellern unverzüglich zuzustellen war).

24

Die dem Kläger bekannt gegebene Aufnahmezusage ist ein Verwaltungsakt, der zumindest die Zusicherung der Erteilung eines Visums sowie eines unbefristeten Aufenthaltstitels nach Einreise mit einem nationalen Visum enthielt (weitergehend i.S. eines Status sui generis: VGH Mannheim, Urteil vom 13. Juli 2011 a.a.O. S. 386 ff.; Hochreuter, NVwZ 2000, 1376, 1379 f.). Der Gegenauffassung, wie sie in IV. Nr. 7 des o.g. Erlasses des Auswärtigen Amtes vom 25. März 1997 zum Ausdruck kommt, wonach selbst eine zugestellte Aufnahmezusage als reines Verwaltungsinternum anzusehen sei, folgt der Senat nicht. Denn ob ein behördliches Schreiben eine verbindliche Regelung durch Verwaltungsakt enthält und welchen Inhalt dieser ggf. hat, ist durch Auslegung nach der im Öffentlichen Recht entsprechend anwendbaren Regel des § 133 BGB zu ermitteln. Dieser allgemeine Grundsatz findet hier Anwendung, ungeachtet des Umstands, dass das Verwaltungsverfahrensgesetz selbst gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 3 VwVfG nicht für die Tätigkeit der Vertretungen des Bundes im Ausland gilt. Maßgebend ist bei der Auslegung behördlicher Schreiben nicht der innere Wille der Behörde, sondern der erklärte Wille, wie ihn der Empfänger bei objektivierter Würdigung verstehen konnte, wobei Unklarheiten zu Lasten der Verwaltung gehen (stRspr, vgl. Urteile vom 12. Januar 1973 - BVerwG 7 C 3.71 - BVerwGE 41, 305 <306>; vom 18. Juni 1980 - BVerwG 6 C 55.79 - BVerwGE 60, 223 <228 f.>; vom 4. Dezember 2001 - BVerwG 4 C 2.00 - BVerwGE 115, 274 <279> und vom 20. April 2005 - BVerwG 9 C 4.04 - BVerwGE 123, 292 <297>;).

25

Bei Anwendung dieser Maßstäbe konnte und durfte der Kläger nach Erhalt des im Pendelbriefverfahren zwischen Generalkonsulat - Bundesverwaltungsamt - Beauftragter des Freistaats Bayern und zurück übermittelten Formulars mit der Überschrift "Aufnahme jüdischer Emigranten aus der Sowjetunion in der Bundesrepublik Deutschland" und der darin angekreuzten Variante "Die Aufnahmezusage wird erteilt." davon ausgehen, dass damit dem Grunde nach verbindlich über seinen künftigen Aufenthalt im Bundesgebiet entschieden worden war. Die Notwendigkeit, sich noch um ein Visum zu bemühen, steht dem nicht entgegen. Die gegenteilige Annahme wäre vor dem Hintergrund, dass der Kläger zuvor beim Generalkonsulat ein Formular "Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis - Zuwanderungsfall aus der SU" ausgefüllt hatte, lebensfremd. Dem Revisionsgericht ist die eigene Auslegung der Aufnahmezusage nicht verwehrt, da das Tatsachengericht in seiner Entscheidung aufgrund seines abweichenden rechtlichen Ansatzes dazu nichts ausgeführt hat (vgl. Urteil vom 21. Juni 2006 - BVerwG 6 C 19.06 - BVerwGE 126, 149 Rn. 52 m.w.N.).

26

Ob die Aufnahmezusage - ggf. in Verbindung mit einem beigefügten Merkblatt, wie es der Klägerbevollmächtigte beispielhaft aus einem Parallelverfahren vorgelegt hat - dem Kläger über die oben genannten aufenthaltsrechtlichen Vergünstigungen hinaus auch das in Art. 33 Abs. 1 GFK enthaltene Refoulement-Verbot vermittelt hat, kann offenbleiben. Eine derartige Annahme könnte sich jedenfalls nicht auf die Bescheinigung stützen, die ihm nach der Einreise im Oktober 1997 im Bundesgebiet ausgestellt wurde und wonach er Flüchtling im Sinne des § 1 Abs. 1 HumHAG ist. Denn für die Auslegung eines Verwaltungsakts sind nur solche Umstände indiziell zu berücksichtigen, die dem Empfänger bei Zugang der Willenserklärung - hier: der Aufnahmezusage - erkennbar waren (Urteile vom 4. Dezember 2001 a.a.O. und vom 21. Juni 2006 a.a.O.). Des Weiteren kommt es bei der Auslegung der Aufnahmezusage aus dem Empfängerhorizont nicht darauf an, ob diese rechtmäßig war oder nicht. Daher hat außer Betracht zu bleiben, ob das Ausländerrecht mit Blick auf die in § 33 AuslG 1990 eröffnete Möglichkeit, Ausländer u.a. aus humanitären Gründen oder politischen Interessen zu übernehmen, überhaupt Raum für eine entsprechende Anwendung des Kontingentflüchtlingsgesetzes ließ (verneinend VGH München, Urteil vom 29. Juli 2009 - 10 B 08.2447 - InfAuslR 2010, 26; Raabe, ZAR 2004, 410 <411 f.>). Das alles kann jedoch hier letztlich dahinstehen.

27

2.3 Selbst wenn die Aufnahmezusage seinerzeit das flüchtlingsrechtliche Abschiebungsverbot mit umfasst haben sollte, könnte sich der Kläger hierauf nach dem Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes nicht mehr berufen. Denn aus den Übergangsregelungen des Aufenthaltsgesetzes ergibt sich, dass der Gesetzgeber mit der Neuregelung des § 23 Abs. 2 AufenthG die zukünftige Rechtsstellung auch der vor dem 1. Januar 2005 aufgenommenen jüdischen Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion abschließend neu ausgestaltet hat.

28

Nach § 23 Abs. 2 AufenthG kann das Bundesministerium des Innern zur Wahrung besonders gelagerter politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland im Benehmen mit den obersten Landesbehörden anordnen, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Ausländern aus bestimmten Staaten oder in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen eine Aufnahmezusage erteilt. Den betroffenen Ausländern ist entsprechend der Aufnahmezusage eine zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigende Aufenthaltserlaubnis oder eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen, die mit einer wohnsitzbeschränkenden Auflage versehen werden kann; flüchtlingsrechtlichen Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG genießen sie nicht.

29

Der Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung ist zu entnehmen, dass man für das Kontingentflüchtlingsgesetz keinen Anwendungsbedarf mehr sah. Dort findet sich der Hinweis, dass derzeit (Frühjahr 2003) lediglich die Aufnahme jüdischer Immigranten aus der ehemaligen Sowjetunion in entsprechender Anwendung des Kontingentflüchtlingsgesetzes erfolge. Nunmehr werde für diesen Personenkreis bei besonders gelagerten politischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland mit § 23 Abs. 2 AufenthG die Möglichkeit geschaffen, von Anfang an eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen (BTDrucks 15/420 S. 64). In der speziellen Begründung zu § 23 Abs. 2 AufenthG wird ausgeführt (BTDrucks 15/420 S. 78):

"... Die Aufnahme jüdischer Immigranten aus der ehemaligen Sowjetunion seit 1991 (insgesamt bisher über 170 000 Personen) erfolgt bislang lediglich in entsprechender Anwendung des Kontingentflüchtlingsgesetzes (Ergebnis der Besprechung des Bundeskanzlers mit den Regierungschefs der Länder vom 9. Januar 1991). Die neue Vorschrift schafft für derartige Fälle nunmehr eine sichere Rechtsgrundlage. Das Ergebnis der Besprechung vom 9. Januar 1991 dokumentiert den übereinstimmenden Willen zur Aufnahme dieses Personenkreises, es bedarf deshalb auch nach Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes keiner erneuten Anordnung. Die in § 1 Abs. 1 Kontingentflüchtlingsgesetz vorgesehene Gewährung der Rechtsstellung nach den Artikeln 2 bis 34 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention) ist im Hinblick auf die Gewährung einer Niederlassungserlaubnis nicht erforderlich. Darüber hinaus ist eine Reihe der sich aus der Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention ergebenden Rechtsfolgen (z. B. Erlöschen der Rechtsstellung, wenn die Person sich freiwillig oder durch Annahme oder Erneuerung eines Nationalpasses erneut in den Schutz des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, begibt, § 2a Abs. 1 Nr. 1 Kontingentflüchtlingsgesetz) der Stellung aufgenommener jüdischer Immigranten nicht angemessen."

30

Diese - vom Berufungsgericht in Rn. 71 seiner Entscheidung fehlerhaft wiedergegebene - Begründung macht deutlich, dass mit Blick auf die bisher praktizierte entsprechende Anwendung des Kontingentflüchtlingsgesetzes ein Bedürfnis für die Schaffung einer "sicheren Rechtsgrundlage" gesehen wurde. Des Weiteren sollte die Rechtsstellung jüdischer Emigranten von den sich aus der Genfer Flüchtlingskonvention ergebenden Rechtsfolgen, die als nicht erforderlich und zum Teil als nicht angemessen erschienen, abgekoppelt und in Zukunft rein aufenthaltsrechtlich ausgestaltet werden. Dass die Neuregelung auch die vor dem 1. Januar 2005 aufgenommenen jüdischen Emigranten erfassen und damit zukünftig eine einheitliche, nicht länger mit rechtlichen Unsicherheiten behaftete Rechtsstellung schaffen wollte, ergibt sich auch aus den Übergangsregelungen des Aufenthaltsgesetzes. Darin hat der Gesetzgeber zwischen Personen, die den Kontingentflüchtlingsstatus gesetzlich erworben haben, und solchen, auf die das Kontingentflüchtlingsgesetz nur entsprechend angewendet worden ist, differenziert und die statusrechtlichen Folgen unterschiedlich ausgestaltet.

31

Gemäß § 103 AufenthG finden für Personen, die vor dem Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes gemäß § 1 HumHAG die Rechtsstellung nach den Artikeln 2 bis 34 GFK genießen, die Erlöschens- und die Widerrufsregelung des Kontingentflüchtlingsgesetzes (§ 2a und 2b HumHAG) weiter Anwendung. § 101 Abs. 1 Satz 2 AufenthG ordnet an, dass eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die nach § 1 Abs. 3 HumHAG oder in entsprechender Anwendung des vorgenannten Gesetzes erteilt worden ist, und eine anschließend erteilte Aufenthaltsberechtigung als Niederlassungserlaubnis nach § 23 Abs. 2 AufenthG fortgelten. Damit werden Kontingentflüchtlinge und Personen, auf die das Kontingentflüchtlingsgesetz von der Verwaltung nur entsprechend angewendet worden ist, aufenthaltsrechtlich gleich behandelt; ihr bestehendes Daueraufenthaltsrecht wird fortgeschrieben. Aus der Zusammenschau der Regelungen wird jedoch deutlich, dass nur ein gesetzlich erworbener Kontingentflüchtlingsstatus über den 1. Januar 2005 hinaus fortbesteht. Dieser systematische Befund wird durch die Gesetzesmaterialien zu den Übergangsvorschriften bestätigt. Denn nur in der Begründung zu § 101 Abs. 1 Satz 2 AufenthG wird die Gruppe der jüdischen Emigranten genannt; an dieser Stelle wird die Neuregelung des § 23 Abs. 2 AufenthG ausdrücklich auch auf Aufnahmefälle aus der Vergangenheit erstreckt: "Für jüdische Immigranten, die in entsprechender Anwendung des HumHAG aufgenommen wurden, gilt § 23 Abs. 2,..." (BTDrucks 15/420 S. 100). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 102 Abs. 1 AufenthG, da die Vermittlung des Kontingentflüchtlingsstatus keine Maßnahme im Sinne dieser Vorschrift ist.

32

Der Senat entnimmt diesen Regelungen den hinreichend deutlichen Willen des Gesetzgebers, mit der abschließenden aufenthaltsrechtlichen Neuregelung in § 23 Abs. 2 AufenthG auch die Fälle der vor dem 1. Januar 2005 aufgenommenen jüdischen Emigranten zu erfassen, um die bisherige, aus der entsprechenden Anwendung des Kontingentflüchtlingsgesetzes resultierende unklare Rechtslage für die Zukunft zu bereinigen (a.A. VGH Mannheim, Urteil vom 13. Juli 2011 a.a.O. <389>). Die darin liegende unechte Rückwirkung der Neuregelung ist mit Blick auf die bisherigen rechtlichen Unsicherheiten verfassungsrechtlich unbedenklich. Denn die Betroffenen behalten ihr Daueraufenthaltsrecht und haben die Möglichkeit, bei Furcht vor Verfolgung einen Asylantrag zu stellen. Schließlich ist bei dem Personenkreis der jüdischen Emigranten, die - wie dargestellt - nicht wegen eines Verfolgungsschicksals aufgenommen worden sind, auch kein schutzwürdiges Vertrauen auf den Fortbestand eines ihnen möglicherweise in der Vergangenheit gewährten flüchtlingsrechtlichen Abschiebungsschutzes ersichtlich. Demzufolge vermag sich der Kläger jedenfalls seit dem Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes nicht auf das Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG i.V.m. § 1 Abs. 1 HumHAG und Art. 33 GFK zu berufen. Unter diesen Umständen bedarf es keiner Entscheidung, ob das Berufungsgericht ohne Verstoß gegen Bundesrecht davon ausgegangen ist, dass im Fall des Klägers die Voraussetzungen für einen Ausschluss nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG nicht (mehr) vorliegen.

33

3. Die angefochtene Entscheidung verletzt zudem § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Das Berufungsgericht hat der Gefahrenprognose, die es bei Prüfung dieses Abschiebungsverbots gestellt hat, einen unzutreffenden Ansatz und darauf aufbauend fehlerhafte materiellrechtliche Beurteilungsmaßstäbe zugrunde gelegt.

34

Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer landesweit eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine krankheitsbedingte zielstaatsbezogene Gefahr kann sich im Einzelfall auch daraus ergeben, dass der erkrankte Ausländer eine notwendige und an sich im Zielstaat verfügbare medizinische Behandlung tatsächlich z.B. aus finanziellen Gründen nicht erlangen kann (Urteil vom 29. Oktober 2002 - BVerwG 1 C 1.02 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 66 zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG 1990). Der Senat hat bereits entschieden, dass die Verschlimmerung einer Erkrankung, die der Betroffene nicht mit einer Vielzahl seiner Landsleute teilt, so dass kein Bedürfnis für eine ausländerpolitische Leitentscheidung gemäß § 60a Abs. 1 AufenthG besteht und die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG nicht greift, als individuelle, unmittelbar am Maßstab der genannten Vorschrift zu prüfende Gefahr anzusehen ist (Urteil vom 17. Oktober 2006 - BVerwG 1 C 18.05 - BVerwGE 127, 33 Rn. 15 f. = Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff., AufenthG Nr. 21). In Fällen einer Erkrankung eher singulären Charakters - wie hier - sind die Voraussetzungen des genannten Abschiebungsverbots erfüllt, wenn sich die Krankheit des Betroffenen mangels (ausreichender) Behandlung im Abschiebungszielstaat verschlimmert und sich dadurch der Gesundheitszustand wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde (Beschluss vom 24. Mai 2006 - BVerwG 1 B 118.05 - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 16 m.w.N.). Konkret ist die Gefahr, wenn diese Verschlechterung alsbald nach der Abschiebung des Betroffenen einträte (Urteil vom 25. November 1997 - BVerwG 9 C 58.96 - BVerwGE 105, 383 <387> = Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 10). Diesen Prüfungsansatz und die sich daraus ergebenden Maßstäbe hat das Berufungsgericht in mehrfacher Hinsicht verfehlt.

35

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Beweisaufnahme, wie die Beweisbeschlüsse vom 26. November 2009 zeigen, nur auf die Diagnose der Krankheiten des Klägers sowie deren Behandelbarkeit in der Russischen Föderation (einschließlich verfügbarer Medikation) fokussiert. Dem auf diesen tatsächlichen Feststellungen aufbauenden, für das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zentralen Beweisthema, nämlich dem Krankheitsverlauf bei Rückkehr bzw. Abschiebung in das Herkunftsland ohne medizinische Betreuung bzw. bei vom Kläger nur teilweise finanzierbarer Behandlung und Medikation, ist er nicht nachgegangen. Des Weiteren hat das Berufungsgericht, wie aus seinem Beweisbeschluss vom 11. Mai 2010 ersichtlich wird, die Beurteilung, ob die in den medizinischen Fachgutachten genannten Behandlungen und Medikamente erforderlich sind, den medizinischen Gutachtern überlassen. Diese haben ihrer Wertung jedoch den in Deutschland üblichen medizinischen Standard zugrunde gelegt und sich - mangels entsprechender Vorgaben des Berufungsgerichts - nicht am Maßstab einer wesentlichen Gesundheitsverschlechterung orientiert. Schließlich hat das Berufungsgericht in seiner finanziellen Bedarfsberechnung für den Kläger monatliche Wohnkosten "für eine bescheidene 1-Zimmer-Wohnung am Stadtrand von Sankt Petersburg" in Höhe von 400 € angesetzt (BA Rn. 82). Dieses Unterbringungsniveau, das der Verwaltungsgerichtshof selbst dem Auswärtigen Amt in seiner Anfrage vom 24. August 2010 vorgegeben hatte, verfehlt den strengen Maßstab des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

36

Diese Verstöße gegen § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen vermag der Senat über das Vorliegen des genannten Abschiebungsverbots selbst weder positiv noch negativ abschließend zu entscheiden. Damit war die Sache an den Verwaltungsgerichtshof zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO), ohne dass es eines Eingehens auf die von den Revisionsführern erhobenen Aufklärungsrügen bedarf.

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.

Der Kläger ist nach eigenen Angaben ukrainischer Staatsangehöriger mit ukrainischer Volkszugehörigkeit aus Charkov. Er stellte am 30. November 2011 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen Asylantrag.

Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 3. Januar 2012 erklärte der Kläger, eine „mafiöse“ Gruppe, geleitet bzw. unterstützt von einem Polizisten, habe ihm sein Unternehmen weggenommen. Zu diesem Zweck hätten sie ihn massiv verfolgt. Der ukrainische Staat habe ihn nicht geschützt. Er sei ausgereist, bevor im Dezember 2011 eine Gerichtsverhandlung gegen den besagten Polizisten habe stattfinden sollen. In der Ukraine lebten noch seine Ehefrau, die er zweimal geheiratet habe und die erneut die Scheidung eingereicht habe, eine Tochter aus dieser Ehe sowie eine Schwester.

Mit Bescheid vom 18. Dezember 2013 erkannte das Bundesamt dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nicht zu, lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab, erkannte auch den subsidiären Schutzstatus nicht zu, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen und drohte die Abschiebung unter Fristsetzung in die Ukraine an. Der Kläger habe nicht glaubhaft machen können, dass er einer Gefahr ausgesetzt sei. Die von ihm behauptete Verfolgung durch eine Gruppe von Leuten sei nicht nachvollziehbar. Er habe die Personen, die ihn verfolgt hätten, nicht benennen und den Hintergrund der behaupteten Verfolgung nicht schildern können. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb man von ihm die ganze Zeit Geld verlangt habe, wenn man doch gerade sein Geschäft habe kaufen wollen. Die Schilderung des Überfalls auf seine Person sei detailarm, oberflächlich und von so vagem Charakter, dass sie nicht den Schluss auf tatsächlich Erlebtes zuließe. Allein die Tatsache, dass es ein Verfahren gegen den Polizisten gegeben habe, widerspreche der Behauptung des Klägers, dass der ukrainische Staat ihn nicht schütze.

Die vom Kläger gegen den Bescheid sowie auf Stattgabe der vom Bundesamt abgelehnten Anträge erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Ansbach mit Urteil vom 15. Januar 2015 ab.

Hiergegen richtet sich der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.

Soweit der Kläger sich in vielfältiger Weise gegen die Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils wendet, legt er keinen Zulassungsgrund dar, weil der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) im asylverfahrensrechtlichen Streitigkeiten nicht gegeben ist, vgl. § 78 Abs. 3 AsylVfG. Soweit Zulassungsgründe nach § 78 Abs. 3 AsylVfG geltend gemacht wurden, liegen sie nicht vor.

1. Die Berufung ist nicht nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG zuzulassen. Der - tatsächlichen - Frage, ob in der Ukraine eine kostenfreie psychiatrische Behandlung für finanziell nicht leistungsfähige Patienten gewährleistet ist, kommt vorliegend keine grundsätzliche Bedeutung zu. Diese Frage ist hier, ebenso wie die Frage, ob der Kläger sich finanzielle Mittel für eine etwaige notwendige Behandlung in der Ukraine durch eine eigene Erwerbstätigkeit oder durch die Hilfe seiner (früheren) Ehefrau, seiner Schwester oder seiner Tochter beschaffen kann, nicht entscheidungserheblich.

Das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil (UA S. 12) ausgeführt, dass der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hat. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Ein solches Abschiebungshindernis kann sich daraus ergeben, dass die im Abschiebezielstaat zu erwartende Rechtsgutbeeinträchtigung in der Verschlimmerung einer Krankheit wegen unzureichender Behandlungsmöglichkeiten besteht, unter welcher der Ausländer bereits in der Bundesrepublik Deutschland leidet (vgl. BayVGH, U. v. 23.11.2012 - 13a B 12.30061 - juris; BVerwG, U. v. 17.10.2006 - 1 C 18/05 - juris). Hierfür ist es aber erforderlich, dass sich die vorhandene Erkrankung aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen, konkreten Gefahr für Leib und Leben führt, die diesem alsbald nach seiner Rückkehr in die Heimat droht. Im Hinblick auf eine geltend gemachte Erkrankung oder eine unzureichende medizinische Behandlungsmöglichkeit im Zielstaat ist eine erhebliche Gefahr für Leib oder Leben zu bejahen, wenn dort eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu befürchten ist, was dann der Fall wäre, wenn sich der Gesundheitszustand wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlimmern würde (BVerwG, U. v. 20.7.1999 - 9 C 2.99 - juris). Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes ist deshalb auch nicht schon bei einer befürchteten ungünstigen Entwicklung anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden (vgl. BVerwG, B. v. 24.5.2006 - 1 B 118.05 - juris).

Das Verwaltungsgericht hat diese Voraussetzungen hier rechtsfehlerfrei verneint (UA S. 13). Zwar hat der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren mit Schriftsatz vom 22. Juli 2014 eine Bescheinigung des Klinikums Nürnberg, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie vom 2. Juli 2014, vorgelegt, aus der sich ergab, dass sich der Kläger seit dem 20. Mai 2014 wegen einer depressiven Störung als schwere Episode ohne psychotische Symptome in ambulanter Behandlung befand. Mit Schriftsatz vom 20. August 2014 reichte er einen vorläufigen Arztbrief dieser Klinik vom 5. August 2014 nach, aus dem sich ergab, dass der Kläger dort in der Zeit vom 23. Juli 2014 bis 7. August 2014 wegen einer ambulant nicht beherrschbaren depressiven Symptomatik im Sinne einer mittelgradigen depressiven Episode stationär behandelt werden musste. Zu Recht stellt das Verwaltungsgericht hierzu fest, dass diese Bescheinigungen keine Aussage darüber treffen, auf welcher Grundlage die Diagnose gestellt wurde und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstelle; außerdem seien keine Aussagen zur Behandlungsbedürftigkeit (Medikation und Therapie) und zu den Folgen eines Abbruchs der ambulanten Behandlung gemacht worden. Aus dem vorläufigen Arztbrief vom 5. August 2014 ergebe sich, dass der Kläger von der Behandlung profitiert habe und dass bei Entlassung keine Selbst- oder Fremdgefährdung bestehe.

Auf die vorgelegten Atteste eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 21. Februar 2014, 11. September 2014 und 8. Januar 2015 hat das Verwaltungsgericht zu Recht nicht abgestellt, weil sie nicht von einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie ausgestellt wurden. Wie der Facharzt für Allgemeinmedizin die psychische Erkrankung des Klägers diagnostizieren können will und zu der Aussage kommt, der Kläger bräuchte neben den regelmäßigen psychotherapeutischen Behandlungen „in der psychiatrischen Institutsambulanz“ zusätzliche psychotherapeutische Betreuung in seiner Praxis, ist nicht nachvollziehbar.

Aus der im Berufungszulassungsverfahren vorgelegten ärztlichen Bescheinigung des Klinikums am Europakanal vom 11. Februar 2015 ergibt sich lediglich, dass sich der Kläger bis auf weiteres in stationärer Behandlung befindet. In einer weiteren ärztlichen Stellungnahme dieser Klinik vom 11. März 2015, vorgelegt mit Schriftsatz vom 24. März 2015 im Berufungszulassungsverfahren, wird dargelegt, dass sich der Kläger seit 9. Februar 2015 in stationärer Behandlung auf einer beschützenden psychiatrischen Station im Klinikum befinde. Der Kläger habe angegeben, dass er sich Mitte/Ende Januar zu erhängen versucht habe. Am 8. Februar 2015 habe er dann in Suizidabsicht Medikamente eingenommen. Bei Aufnahme sei der Kläger in der Stimmung massiv gedrückt gewesen, jedoch seien Sinnestäuschungen oder Ich-Störungen verneint worden. Der Kläger habe bei Aufnahme angegeben, weiterhin sterben zu wollen und habe sich von Suizidalität nicht distanzieren können. Eine akute Eigengefährdung sei gegeben gewesen. Als Grund für die Suizidversuche habe der Kläger die extreme Angst vor der Abschiebung zurück in die Ukraine angegeben, da er Angst habe, noch am Flughafen umgebracht zu werden; darüber hinaus ängstige ihn auch die aktuelle Situation im Krisengebiet Ukraine. In der weiteren Verlaufsbeobachtung hätten die erhebliche Angst vor der Abschiebung und die damit verbundenen Zukunftsängste dominiert. Im hiesigen, reizarmen Setting könne sich der Patient glaubhaft von einer akuten Suizidalität distanzieren. Der Kläger habe lediglich auf niedrigem Niveau stabilisiert werden können. Eine Verschlechterung des fragilen Zustands erscheine jederzeit möglich, vor allem wenn der Kläger keine intensive psychiatrische Begleitung bzw. Beratung erhalte. Vor allem in Krisenzeiten sei eine enge Anbindung an ein professionelles Helfersystem notwendig. Nach der Entlassung sei eine engmaschige, russischsprachige nervenärztliche Weiterversorgung unabdingbar.

Daraus ergeben sich keine zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisse in die Ukraine. Aus der ärztlichen Einschätzung geht eindeutig hervor, dass die Suizidalität des Klägers ausschließlich auf seiner Angst vor einer Abschiebung in die Ukraine beruht.

Das stellt die Reisefähigkeit des Klägers in Frage. Eine Reiseunfähigkeit liegt vor, wenn sich der Gesundheitszustand des Betroffenen unmittelbar durch die Ausreise bzw. Abschiebung oder als unmittelbare Folge davon voraussichtlich wesentlich oder lebensbedrohlich verschlechtert. Eine Reiseunfähigkeit stellt ausschließlich - wie das Verwaltungsgericht zutreffend darlegte (UA S. 12) - ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis dar, das die Ausländerbehörde im Falle einer Abschiebung ggf. durch eine amtsärztliche Untersuchung zu überprüfen hat.

2. Die Berufung ist auch nicht deshalb zuzulassen, weil ein in § 138 VwGO bezeichneter Verfahrensmangel (Zulassungsgrund des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG) vorliegt, wie der Kläger geltend macht.

2.1 Der Kläger trägt vor, das Verwaltungsgericht habe den klägerischen Vortrag als nicht glaubhaft angesehen, ohne ihm Gelegenheit zu geben, hierzu in der mündlichen Verhandlung Stellung zu nehmen. Insoweit handele es sich um eine Überraschungsentscheidung. Außerdem habe das Verwaltungsgericht Äußerungen des Klägers falsch wiedergegeben und die Bedrohungslage für den Kläger falsch gewürdigt.

Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere, dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden (BVerfG, B. v. 30.4.2003 -1 PBvU 1/02 - BVerfGE 107, 395/409 = NJW 2003, 1924). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wonach vor Gericht jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör hat, könnte nur dann festgestellt werden, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Aus Art. 103 Abs. 1 GG ergibt sich keine generelle Pflicht des Gerichts, den Beteiligten vorab mitzuteilen, wie es bestimmte Erkenntnismittel oder den Tatsachenvortrag des Asylbewerbers einschätzt. Das Tatsachengericht ist grundsätzlich nicht gehalten, den Asylbewerber vorab auf Ungereimtheiten und Widersprüche in seinem Vorbringen hinzuweisen, da die Beweiswürdigung der Schlussberatung des Gerichts vorbehalten bleibt und sich deshalb einer Voraberörterung mit den Beteiligten entzieht. Aus den asylspezifischen Anforderungen an die gerichtliche Ermittlungstiefe nach § 86 Abs. 1 VwGO folgen keine weitergehenden Anforderungen an die gerichtliche Hinweispflicht nach § 86 Abs. 3 VwGO (BVerwG, B. v. 26.11.2001 - 1 B 347.01 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 52). Eine unzulässige Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das Gericht in seiner Entscheidung auf einen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt abstellt, der weder im Verwaltungsverfahren noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erörtert wurde und der zunächst als fernliegend anzusehen war und damit dem Rechtsstreit eine unerwartete Wende gibt (BVerwG, B. v. 19.7.2010 - 6 B 20.10 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 54 = NVwZ 2011, 372; B. v. 19.6.1998 - 6 B 70.97 - Buchholz 448.6 § 1 KDVG Nr. 56 = NVwZ-RR 1998, 759).

Das Verwaltungsgericht hat in dem angegriffenen Urteil alle vom Kläger angeführten (tatsächlichen und rechtlichen) Gründe geprüft und dabei ersichtlich dessen Vorbringen zur Kenntnis genommen und erwogen. Es hat daraus aber andere Schlüsse als der Kläger gezogen. Weder der Überzeugungsgrundsatz noch der Anspruch auf rechtliches Gehör vermitteln aber einen Anspruch darauf, dass ein Gericht dem zur Kenntnis genommenen Vorbringen eines Beteiligten auch in der Sache folgt.

Das Verwaltungsgericht war zur Wahrung ausreichenden rechtlichen Gehörs nicht gehalten, dem Kläger zu der (beabsichtigten) rechtlichen Bewertung des Vorbringens zur Stützung der Klage eine Stellungnahme zu ermöglichen. Lediglich dann, wenn das Gericht bei seiner Entscheidung auf eine rechtliche Sichtweise oder auf eine bestimmte Bewertung des Sachverhalts abstellen will, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht, gebietet es der Grundsatz des rechtlichen Gehörs, über die allgemeine Pflicht des Gerichts hinaus, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, soweit sie entscheidungserheblich sind (BVerfG, B. v. 20.11.1995 - 4 C 10.95 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 267 S. 22), zur Vermeidung einer unzulässigen Überraschungsentscheidung vor der Entscheidung auf diese Gesichtspunkte hinzuweisen (BVerwG, U. v. 31.7.2013 - 6 C 9.12 - NVwZ 2013, 1614 Rn. 38 m. w. N.). Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist allerdings nur dann dargetan, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht diesen Pflichten nicht nachgekommen ist.

Davon kann vorliegend keine Rede sein. Die Ausführungen des Gerichts zur Frage der Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Klägers stellen keine Verletzung des rechtlichen Gehörs, insbesondere keine Überraschungsentscheidung dar. Bereits im Bescheid des Bundesamts ist ausgeführt, dass seine behauptete Verfolgung durch eine Gruppe von Leuten und seine Auffassung zur Entstehung des Feuers in seinem Geschäft nicht nachvollziehbar sei. Die Schilderung des Überfalls auf seine Person sei detailarm, oberflächlich und von so vagem Charakter, dass sie nicht den Schluss auf tatsächlich Erlebtes zuließe. Wenn es dem Kläger nach Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht gelungen ist, die Ungereimtheiten im Klageverfahren aufzuklären und das angeblich Erlebte glaubhaft im Detail zu schildern, stellt das keinen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs dar.

Das Verwaltungsgericht hat ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 14. Januar 2015 den Kläger ausführlich zu seinem Verfolgungsschicksal befragt; dieser hatte ausreichend Gelegenheit, die Geschehnisse, die ihn zur Ausreise bewogen, und die Personen, die ihn nach seinem Vortrag verfolgten, zu schildern. Das Verwaltungsgericht hat sich mit der Verfolgungsgeschichte des Klägers ausführlich befasst und in der mündlichen Verhandlung zu den Verfolgern und zum Verhalten des Klägers gegenüber den Verfolgern mehrfach nachgefragt. Wenn es die Angaben des Klägers für nicht nachvollziehbar hielt und insbesondere aus heutiger Sicht keine Bedrohungslage mehr annahm, weil der ukrainische Staat versucht hat, gegen den Polizisten vorzugehen und der Polizist, der die Bande angeleitet haben soll, jedenfalls nicht mehr im Amt ist, ist das keine Verletzung des rechtlichen Gehörs, sondern nur eine andere Bewertung als die des Klägers.

2.2 Die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge hat das Verwaltungsgericht zu Recht abgelehnt. Den dem Verwaltungsgericht vorgelegten ärztlichen Attesten und Stellungnahmen war nicht zu entnehmen, dass dem Kläger im Falle einer Rückkehr in die Ukraine eine erhebliche Gefahr für Leib oder Leben i. S. d. unter Nr. 1 dieses Beschlusses dargestellten Ausmaßes droht. Gerade aus der Tatsache, dass die psychiatrische Klinik, in der der Kläger stationär aufgenommen worden war, keine entsprechende ärztliche Stellungnahme abgegeben hat und aus der Tatsache, dass eine weitere Fachärztin für Psychiatrie, bei der der Kläger in Behandlung war, bewusst kein Attest zur Vorlage bei Gericht verfasst hat, ergibt sich, dass das Verwaltungsgericht keinen ausreichenden Anlass hatte, dieser Frage weiter nachzugehen. Zu den Attesten des Facharztes für Allgemeinmedizin gilt das unter Nr. 1 Ausgeführte.

Zu Recht hat das Verwaltungsgericht den in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag zur unentgeltlichen psychischen Behandlung in der Ukraine abgelehnt; auch hierzu wird auf die Ausführungen in Nr. 1 dieses Beschlusses verwiesen.

Soweit der Kläger im Berufungszulassungsverfahren geltend macht, das Anhörungsprotokoll des Bundesamt sei teilweise falsch, weil er sich mit der Dolmetscherin nicht ausreichend habe verständigen können, hat er das bereits im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltend gemacht. Soweit er im Tatbestand des Urteils Fehler entdeckt haben will, hätte er eine Tatbestandsberichtigung nach § 119 Abs. 1 VwGO geltend machen müssen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylVfG.

Mit der unanfechtbaren (§ 80 AsylVfG) Ablehnung des Zulassungsantrags ist das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG).

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

I.

Unter Abänderung der Nr. I. des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 6. April 2016 wird der Antrag insgesamt abgelehnt.

II.

Unter Abänderung der Nr. II. des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 6. April 2016 trägt die Antragstellerin die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

III.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.250 Euro festgesetzt.

Gründe

I. Mit ihrer Beschwerde begehrt die Antragsgegnerin die Antragsablehnung unter Aufhebung der ihr im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 123 Abs. 1 VwGO durch teilweise stattgebenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 6. April 2016 auferlegten Verpflichtung, der Antragstellerin - einer kosovarischen Staatsangehörigen, deren Asylbegehren abgelehnt worden war - bis zur Einholung einer ärztlichen Stellungnahme über ihre Reisefähigkeit eine Duldung zu erteilen.

Das Verwaltungsgericht hielt es angesichts der glaubhaft gemachten schweren psychischen Erkrankung (paranoide Schizophrenie) der Antragstellerin für erforderlich, ihre Reisefähigkeit durch amts- oder fachärztliche Stellungnahme daraufhin untersuchen zu lassen, ob und inwieweit sich durch eine Abschiebung die psychische Erkrankung akut verstärken würde und ob diesem Umstand gegebenenfalls durch ärztliche Begleitung während der Abschiebung begegnet werden könne. Den Antrag auf noch weitergehende Duldung für den Zeitraum bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage der Antragstellerin auf Erteilung einer Duldung für drei Monate (Au 1 K 16.326) lehnte das Verwaltungsgericht ab.

Zur Begründung ihrer Beschwerde macht die Antragsgegnerin insbesondere geltend, dass die gesetzliche Vermutung, nach der der Abschiebung keine gesundheitlichen Gründe entgegenstünden, im vorliegenden Fall nicht widerlegt sei. Die Antragstellerin habe insoweit den ihr obliegenden Beweis für das Bestehen eines Abschiebungshindernisses nach § 60a AufenthG nicht erbracht; Rückschlüsse von der bestehenden psychischen Erkrankung auf eine Reiseunfähigkeit seien im Übrigen auch dem hierfür fachlich nicht kompetenten Verwaltungsgericht untersagt. Die Antragsgegnerin beruft sich auf die Begründung zu dem mit Wirkung vom 12. März 2016 (BGBl I S. 394) neu eingeführten § 60a Abs. 2c, 2d AufenthG, dessen Erfordernissen die zwei vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen vom 22. Dezember 2015 und 12. Februar 2016 nicht entsprechen würden.

Die Antragstellerin legte im Beschwerdeverfahren einen „vorläufigen Arztbrief“ vom 18. Mai 2016 vor, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird. Der Bevollmächtigte der Antragstellerin teilte weiter mit, sie sei aktuell nicht von Suizidalität bedroht, was jedoch nur der ausgezeichneten Behandlung im und Betreuung durch das Bezirkskrankenhaus Augsburg geschuldet sei, wo sie sich vom 29. März bis 18. Mai 2016 und damit bereits zum dritten Mal stationär befunden habe. Im Kosovo sei eine solche Behandlung nicht möglich, vielmehr würde bei einer Abschiebung mit hoher Wahrscheinlichkeit eine erneute Selbstmordgefährdung aufbrechen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf die vorgelegte Behördenakte und die Gerichtsakten verwiesen.

II. Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin hat Erfolg. Die teilweise stattgebende Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 6. April 2016 kann keinen Bestand haben, weil die gesetzliche Vermutung der Reisefähigkeit der Antragstellerin durch die jüngste fachärztliche Bescheinigung vom 18. Mai 2016 nicht widerlegt wird (§ 60a Abs. 2c Satz 1, 3 AufenthG). Ein auf vorübergehende Aussetzung der Abschiebung durch Erteilung einer Duldung (§ 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG) gerichteter Anordnungsanspruch (§ 123 Abs. 1, 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO) ist daher nicht glaubhaft gemacht.

Nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers so lange auszusetzen, wie sie aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist. Ein rechtliches Abschiebungshindernis liegt vor, wenn durch die Beendigung des Aufenthalts eine konkrete Leibes- oder Lebensgefahr zu befürchten ist, so dass die Abschiebungsmaßnahme wegen des nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verbürgten grundrechtlichen Schutzes auszusetzen ist. Erforderlich ist dabei, dass infolge der Abschiebung als solcher (unabhängig vom konkreten Zielstaat) eine wesentliche Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes für den betroffenen Ausländer konkret droht (Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Februar 2016, A1 § 60a Rn. 57 f.). In Betracht kommen damit nur inlands- und nicht zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote (vgl. a. Beschluss des VG Augsburg v. 6.4.2016, II. S. 7). Zu Recht wird im erstinstanzlichen Beschluss darauf hingewiesen, dass der Antragstellerin nach dem bestandskräftigen Bescheid des Bundesamts vom 12. Mai 2015 wegen ihrer psychischen Erkrankung keine individuelle, erhebliche und konkrete Gefahr für Leib und Leben i. S. v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG droht.

Der Senat ist weiter davon überzeugt, dass die gemäß der Neuregelung in § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG bestehende gesetzliche Vermutung, wonach einer Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen, nicht widerlegt ist, so dass ein ernsthaftes Risiko, der Gesundheitszustand der Antragstellerin werde sich unmittelbar durch die Abschiebung oder als unmittelbare Folge davon wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern, nicht vorliegt. Der Zweck der gesetzlichen Vermutung wird in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/7538, zu Art. 2 S. 18) folgendermaßen umschrieben:

Die Geltendmachung von Abschiebungshindernissen in gesundheitlicher Hinsicht stellt die zuständigen Behörden quantitativ und qualitativ vor große Herausforderungen. Oftmals werden Krankheitsbilder angesichts der drohenden Abschiebung vorgetragen, die im vorangegangenen Asylverfahren nicht berücksichtigt worden sind ... Nach den Erkenntnissen der Praktiker werden insbesondere schwer diagnostizier- und überprüfbare Erkrankungen psychischer Art (z. B. Posttraumatische Belastungsstörungen [PTBS]) sehr häufig als Abschiebungshindernis (Vollzugshindernis) geltend gemacht, was in der Praxis zwangsläufig zu deutlichen zeitlichen Verzögerungen bei der Abschiebung führt.

Der Gesetzgeber geht nunmehr davon aus, dass lediglich lebensbedrohliche und schwerwiegende Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, die Abschiebung des Ausländers hindern. Mit dieser Präzisierung wird klargestellt, dass nur äußerst gravierende Erkrankungen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben nach Satz 1 darstellen. Eine solche schwerwiegende Erkrankung kann hingegen zum Beispiel in Fällen von PTBS regelmäßig nicht angenommen werden: In Fällen einer PTBS ist die Abschiebung regelmäßig möglich, es sei denn, die Abschiebung führt zu einer wesentlichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung.

Die Abschiebung darf nicht dazu führen, dass sich die schwerwiegende Erkrankung des Ausländers mangels Behandlungsmöglichkeit in einem Ausmaß verschlechtern wird, dass ihm eine individuell konkrete, erhebliche Gefahr an Leib oder Leben droht. Es wird jedoch im Falle einer Erkrankung nicht vorausgesetzt, dass die medizinische

Versorgung im Herkunftsland bzw. im Zielstaat der Abschiebung der Versorgung in Deutschland oder in der Europäischen Union gleichwertig ist...

Auch vor diesem Hintergrund lässt der Umstand, dass die Antragstellerin unter einer paranoiden Schizophrenie leidet und unmittelbar nach ihrer Anhörung vor dem Bundesamt am 6. März 2015 mit einem suizidalen Syndrom stationär-psychiatrisch aufgenommen und behandelt werden musste, keine ausreichenden Rückschlüsse auf ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis zu. Aus den vorliegenden Stellungnahmen geht im Gegenteil hervor, dass es jeweils nach medikamentöser Behandlung rasch zu Verbesserungen gekommen sei, so dass eine langfristige medikamentöse Behandlung und eine engmaschige nervenärztliche Behandlung dringend empfohlen würden; erst ein Abbruch der Behandlung werde mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut zu psychotischen Schüben führen. Allerdings ergibt sich aus diesem Befund kein Hinweis darauf, dass es schon während der Abschiebung und der sich unmittelbar daran anschließenden Zeitspanne der Ankunft im Heimatland zu einer derartigen Verschlechterung kommen werde, erst recht nicht, wenn ein entsprechender Medikamentenvorrat für einen Übergangszeitraum im Heimatland bis zur dortigen Aufnahme einer ärztlichen Betreuung zur Verfügung steht.

Auch mit der ärztlichen Stellungnahme vom 18. Mai 2016 wird kein Abschiebungshindernis glaubhaft gemacht. Die Stellungnahme erfüllt zwar im Grundsatz die Anforderungen an eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung im Sinn von § 60 a Abs. 2c Satz 2, 3 AufenthG, thematisiert aber mit keinem Wort die im vorliegenden Fall relevante Frage der Reisefähigkeit. Vielmehr befasst sie sich mit den hier nicht maßgeblichen, da zielstaatsbezogenen Voraussetzungen eines langfristigen Behandlungserfolgs im Kosovo. Im Übrigen schließt die aktuelle Stellungnahme eine akute Suizidalität der Antragstellerin aus.

Der Kostenausspruch für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes folgt in beiden Rechtszügen aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1, § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG i. V. m. Zi. 8.3 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.

Der Kläger ist nach eigenen Angaben ukrainischer Staatsangehöriger mit ukrainischer Volkszugehörigkeit aus Charkov. Er stellte am 30. November 2011 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen Asylantrag.

Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 3. Januar 2012 erklärte der Kläger, eine „mafiöse“ Gruppe, geleitet bzw. unterstützt von einem Polizisten, habe ihm sein Unternehmen weggenommen. Zu diesem Zweck hätten sie ihn massiv verfolgt. Der ukrainische Staat habe ihn nicht geschützt. Er sei ausgereist, bevor im Dezember 2011 eine Gerichtsverhandlung gegen den besagten Polizisten habe stattfinden sollen. In der Ukraine lebten noch seine Ehefrau, die er zweimal geheiratet habe und die erneut die Scheidung eingereicht habe, eine Tochter aus dieser Ehe sowie eine Schwester.

Mit Bescheid vom 18. Dezember 2013 erkannte das Bundesamt dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nicht zu, lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab, erkannte auch den subsidiären Schutzstatus nicht zu, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen und drohte die Abschiebung unter Fristsetzung in die Ukraine an. Der Kläger habe nicht glaubhaft machen können, dass er einer Gefahr ausgesetzt sei. Die von ihm behauptete Verfolgung durch eine Gruppe von Leuten sei nicht nachvollziehbar. Er habe die Personen, die ihn verfolgt hätten, nicht benennen und den Hintergrund der behaupteten Verfolgung nicht schildern können. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb man von ihm die ganze Zeit Geld verlangt habe, wenn man doch gerade sein Geschäft habe kaufen wollen. Die Schilderung des Überfalls auf seine Person sei detailarm, oberflächlich und von so vagem Charakter, dass sie nicht den Schluss auf tatsächlich Erlebtes zuließe. Allein die Tatsache, dass es ein Verfahren gegen den Polizisten gegeben habe, widerspreche der Behauptung des Klägers, dass der ukrainische Staat ihn nicht schütze.

Die vom Kläger gegen den Bescheid sowie auf Stattgabe der vom Bundesamt abgelehnten Anträge erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Ansbach mit Urteil vom 15. Januar 2015 ab.

Hiergegen richtet sich der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.

Soweit der Kläger sich in vielfältiger Weise gegen die Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils wendet, legt er keinen Zulassungsgrund dar, weil der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) im asylverfahrensrechtlichen Streitigkeiten nicht gegeben ist, vgl. § 78 Abs. 3 AsylVfG. Soweit Zulassungsgründe nach § 78 Abs. 3 AsylVfG geltend gemacht wurden, liegen sie nicht vor.

1. Die Berufung ist nicht nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG zuzulassen. Der - tatsächlichen - Frage, ob in der Ukraine eine kostenfreie psychiatrische Behandlung für finanziell nicht leistungsfähige Patienten gewährleistet ist, kommt vorliegend keine grundsätzliche Bedeutung zu. Diese Frage ist hier, ebenso wie die Frage, ob der Kläger sich finanzielle Mittel für eine etwaige notwendige Behandlung in der Ukraine durch eine eigene Erwerbstätigkeit oder durch die Hilfe seiner (früheren) Ehefrau, seiner Schwester oder seiner Tochter beschaffen kann, nicht entscheidungserheblich.

Das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil (UA S. 12) ausgeführt, dass der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hat. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Ein solches Abschiebungshindernis kann sich daraus ergeben, dass die im Abschiebezielstaat zu erwartende Rechtsgutbeeinträchtigung in der Verschlimmerung einer Krankheit wegen unzureichender Behandlungsmöglichkeiten besteht, unter welcher der Ausländer bereits in der Bundesrepublik Deutschland leidet (vgl. BayVGH, U. v. 23.11.2012 - 13a B 12.30061 - juris; BVerwG, U. v. 17.10.2006 - 1 C 18/05 - juris). Hierfür ist es aber erforderlich, dass sich die vorhandene Erkrankung aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen, konkreten Gefahr für Leib und Leben führt, die diesem alsbald nach seiner Rückkehr in die Heimat droht. Im Hinblick auf eine geltend gemachte Erkrankung oder eine unzureichende medizinische Behandlungsmöglichkeit im Zielstaat ist eine erhebliche Gefahr für Leib oder Leben zu bejahen, wenn dort eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu befürchten ist, was dann der Fall wäre, wenn sich der Gesundheitszustand wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlimmern würde (BVerwG, U. v. 20.7.1999 - 9 C 2.99 - juris). Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes ist deshalb auch nicht schon bei einer befürchteten ungünstigen Entwicklung anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden (vgl. BVerwG, B. v. 24.5.2006 - 1 B 118.05 - juris).

Das Verwaltungsgericht hat diese Voraussetzungen hier rechtsfehlerfrei verneint (UA S. 13). Zwar hat der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren mit Schriftsatz vom 22. Juli 2014 eine Bescheinigung des Klinikums Nürnberg, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie vom 2. Juli 2014, vorgelegt, aus der sich ergab, dass sich der Kläger seit dem 20. Mai 2014 wegen einer depressiven Störung als schwere Episode ohne psychotische Symptome in ambulanter Behandlung befand. Mit Schriftsatz vom 20. August 2014 reichte er einen vorläufigen Arztbrief dieser Klinik vom 5. August 2014 nach, aus dem sich ergab, dass der Kläger dort in der Zeit vom 23. Juli 2014 bis 7. August 2014 wegen einer ambulant nicht beherrschbaren depressiven Symptomatik im Sinne einer mittelgradigen depressiven Episode stationär behandelt werden musste. Zu Recht stellt das Verwaltungsgericht hierzu fest, dass diese Bescheinigungen keine Aussage darüber treffen, auf welcher Grundlage die Diagnose gestellt wurde und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstelle; außerdem seien keine Aussagen zur Behandlungsbedürftigkeit (Medikation und Therapie) und zu den Folgen eines Abbruchs der ambulanten Behandlung gemacht worden. Aus dem vorläufigen Arztbrief vom 5. August 2014 ergebe sich, dass der Kläger von der Behandlung profitiert habe und dass bei Entlassung keine Selbst- oder Fremdgefährdung bestehe.

Auf die vorgelegten Atteste eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 21. Februar 2014, 11. September 2014 und 8. Januar 2015 hat das Verwaltungsgericht zu Recht nicht abgestellt, weil sie nicht von einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie ausgestellt wurden. Wie der Facharzt für Allgemeinmedizin die psychische Erkrankung des Klägers diagnostizieren können will und zu der Aussage kommt, der Kläger bräuchte neben den regelmäßigen psychotherapeutischen Behandlungen „in der psychiatrischen Institutsambulanz“ zusätzliche psychotherapeutische Betreuung in seiner Praxis, ist nicht nachvollziehbar.

Aus der im Berufungszulassungsverfahren vorgelegten ärztlichen Bescheinigung des Klinikums am Europakanal vom 11. Februar 2015 ergibt sich lediglich, dass sich der Kläger bis auf weiteres in stationärer Behandlung befindet. In einer weiteren ärztlichen Stellungnahme dieser Klinik vom 11. März 2015, vorgelegt mit Schriftsatz vom 24. März 2015 im Berufungszulassungsverfahren, wird dargelegt, dass sich der Kläger seit 9. Februar 2015 in stationärer Behandlung auf einer beschützenden psychiatrischen Station im Klinikum befinde. Der Kläger habe angegeben, dass er sich Mitte/Ende Januar zu erhängen versucht habe. Am 8. Februar 2015 habe er dann in Suizidabsicht Medikamente eingenommen. Bei Aufnahme sei der Kläger in der Stimmung massiv gedrückt gewesen, jedoch seien Sinnestäuschungen oder Ich-Störungen verneint worden. Der Kläger habe bei Aufnahme angegeben, weiterhin sterben zu wollen und habe sich von Suizidalität nicht distanzieren können. Eine akute Eigengefährdung sei gegeben gewesen. Als Grund für die Suizidversuche habe der Kläger die extreme Angst vor der Abschiebung zurück in die Ukraine angegeben, da er Angst habe, noch am Flughafen umgebracht zu werden; darüber hinaus ängstige ihn auch die aktuelle Situation im Krisengebiet Ukraine. In der weiteren Verlaufsbeobachtung hätten die erhebliche Angst vor der Abschiebung und die damit verbundenen Zukunftsängste dominiert. Im hiesigen, reizarmen Setting könne sich der Patient glaubhaft von einer akuten Suizidalität distanzieren. Der Kläger habe lediglich auf niedrigem Niveau stabilisiert werden können. Eine Verschlechterung des fragilen Zustands erscheine jederzeit möglich, vor allem wenn der Kläger keine intensive psychiatrische Begleitung bzw. Beratung erhalte. Vor allem in Krisenzeiten sei eine enge Anbindung an ein professionelles Helfersystem notwendig. Nach der Entlassung sei eine engmaschige, russischsprachige nervenärztliche Weiterversorgung unabdingbar.

Daraus ergeben sich keine zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisse in die Ukraine. Aus der ärztlichen Einschätzung geht eindeutig hervor, dass die Suizidalität des Klägers ausschließlich auf seiner Angst vor einer Abschiebung in die Ukraine beruht.

Das stellt die Reisefähigkeit des Klägers in Frage. Eine Reiseunfähigkeit liegt vor, wenn sich der Gesundheitszustand des Betroffenen unmittelbar durch die Ausreise bzw. Abschiebung oder als unmittelbare Folge davon voraussichtlich wesentlich oder lebensbedrohlich verschlechtert. Eine Reiseunfähigkeit stellt ausschließlich - wie das Verwaltungsgericht zutreffend darlegte (UA S. 12) - ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis dar, das die Ausländerbehörde im Falle einer Abschiebung ggf. durch eine amtsärztliche Untersuchung zu überprüfen hat.

2. Die Berufung ist auch nicht deshalb zuzulassen, weil ein in § 138 VwGO bezeichneter Verfahrensmangel (Zulassungsgrund des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG) vorliegt, wie der Kläger geltend macht.

2.1 Der Kläger trägt vor, das Verwaltungsgericht habe den klägerischen Vortrag als nicht glaubhaft angesehen, ohne ihm Gelegenheit zu geben, hierzu in der mündlichen Verhandlung Stellung zu nehmen. Insoweit handele es sich um eine Überraschungsentscheidung. Außerdem habe das Verwaltungsgericht Äußerungen des Klägers falsch wiedergegeben und die Bedrohungslage für den Kläger falsch gewürdigt.

Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere, dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden (BVerfG, B. v. 30.4.2003 -1 PBvU 1/02 - BVerfGE 107, 395/409 = NJW 2003, 1924). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wonach vor Gericht jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör hat, könnte nur dann festgestellt werden, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Aus Art. 103 Abs. 1 GG ergibt sich keine generelle Pflicht des Gerichts, den Beteiligten vorab mitzuteilen, wie es bestimmte Erkenntnismittel oder den Tatsachenvortrag des Asylbewerbers einschätzt. Das Tatsachengericht ist grundsätzlich nicht gehalten, den Asylbewerber vorab auf Ungereimtheiten und Widersprüche in seinem Vorbringen hinzuweisen, da die Beweiswürdigung der Schlussberatung des Gerichts vorbehalten bleibt und sich deshalb einer Voraberörterung mit den Beteiligten entzieht. Aus den asylspezifischen Anforderungen an die gerichtliche Ermittlungstiefe nach § 86 Abs. 1 VwGO folgen keine weitergehenden Anforderungen an die gerichtliche Hinweispflicht nach § 86 Abs. 3 VwGO (BVerwG, B. v. 26.11.2001 - 1 B 347.01 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 52). Eine unzulässige Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das Gericht in seiner Entscheidung auf einen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt abstellt, der weder im Verwaltungsverfahren noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erörtert wurde und der zunächst als fernliegend anzusehen war und damit dem Rechtsstreit eine unerwartete Wende gibt (BVerwG, B. v. 19.7.2010 - 6 B 20.10 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 54 = NVwZ 2011, 372; B. v. 19.6.1998 - 6 B 70.97 - Buchholz 448.6 § 1 KDVG Nr. 56 = NVwZ-RR 1998, 759).

Das Verwaltungsgericht hat in dem angegriffenen Urteil alle vom Kläger angeführten (tatsächlichen und rechtlichen) Gründe geprüft und dabei ersichtlich dessen Vorbringen zur Kenntnis genommen und erwogen. Es hat daraus aber andere Schlüsse als der Kläger gezogen. Weder der Überzeugungsgrundsatz noch der Anspruch auf rechtliches Gehör vermitteln aber einen Anspruch darauf, dass ein Gericht dem zur Kenntnis genommenen Vorbringen eines Beteiligten auch in der Sache folgt.

Das Verwaltungsgericht war zur Wahrung ausreichenden rechtlichen Gehörs nicht gehalten, dem Kläger zu der (beabsichtigten) rechtlichen Bewertung des Vorbringens zur Stützung der Klage eine Stellungnahme zu ermöglichen. Lediglich dann, wenn das Gericht bei seiner Entscheidung auf eine rechtliche Sichtweise oder auf eine bestimmte Bewertung des Sachverhalts abstellen will, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht, gebietet es der Grundsatz des rechtlichen Gehörs, über die allgemeine Pflicht des Gerichts hinaus, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, soweit sie entscheidungserheblich sind (BVerfG, B. v. 20.11.1995 - 4 C 10.95 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 267 S. 22), zur Vermeidung einer unzulässigen Überraschungsentscheidung vor der Entscheidung auf diese Gesichtspunkte hinzuweisen (BVerwG, U. v. 31.7.2013 - 6 C 9.12 - NVwZ 2013, 1614 Rn. 38 m. w. N.). Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist allerdings nur dann dargetan, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht diesen Pflichten nicht nachgekommen ist.

Davon kann vorliegend keine Rede sein. Die Ausführungen des Gerichts zur Frage der Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Klägers stellen keine Verletzung des rechtlichen Gehörs, insbesondere keine Überraschungsentscheidung dar. Bereits im Bescheid des Bundesamts ist ausgeführt, dass seine behauptete Verfolgung durch eine Gruppe von Leuten und seine Auffassung zur Entstehung des Feuers in seinem Geschäft nicht nachvollziehbar sei. Die Schilderung des Überfalls auf seine Person sei detailarm, oberflächlich und von so vagem Charakter, dass sie nicht den Schluss auf tatsächlich Erlebtes zuließe. Wenn es dem Kläger nach Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht gelungen ist, die Ungereimtheiten im Klageverfahren aufzuklären und das angeblich Erlebte glaubhaft im Detail zu schildern, stellt das keinen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs dar.

Das Verwaltungsgericht hat ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 14. Januar 2015 den Kläger ausführlich zu seinem Verfolgungsschicksal befragt; dieser hatte ausreichend Gelegenheit, die Geschehnisse, die ihn zur Ausreise bewogen, und die Personen, die ihn nach seinem Vortrag verfolgten, zu schildern. Das Verwaltungsgericht hat sich mit der Verfolgungsgeschichte des Klägers ausführlich befasst und in der mündlichen Verhandlung zu den Verfolgern und zum Verhalten des Klägers gegenüber den Verfolgern mehrfach nachgefragt. Wenn es die Angaben des Klägers für nicht nachvollziehbar hielt und insbesondere aus heutiger Sicht keine Bedrohungslage mehr annahm, weil der ukrainische Staat versucht hat, gegen den Polizisten vorzugehen und der Polizist, der die Bande angeleitet haben soll, jedenfalls nicht mehr im Amt ist, ist das keine Verletzung des rechtlichen Gehörs, sondern nur eine andere Bewertung als die des Klägers.

2.2 Die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge hat das Verwaltungsgericht zu Recht abgelehnt. Den dem Verwaltungsgericht vorgelegten ärztlichen Attesten und Stellungnahmen war nicht zu entnehmen, dass dem Kläger im Falle einer Rückkehr in die Ukraine eine erhebliche Gefahr für Leib oder Leben i. S. d. unter Nr. 1 dieses Beschlusses dargestellten Ausmaßes droht. Gerade aus der Tatsache, dass die psychiatrische Klinik, in der der Kläger stationär aufgenommen worden war, keine entsprechende ärztliche Stellungnahme abgegeben hat und aus der Tatsache, dass eine weitere Fachärztin für Psychiatrie, bei der der Kläger in Behandlung war, bewusst kein Attest zur Vorlage bei Gericht verfasst hat, ergibt sich, dass das Verwaltungsgericht keinen ausreichenden Anlass hatte, dieser Frage weiter nachzugehen. Zu den Attesten des Facharztes für Allgemeinmedizin gilt das unter Nr. 1 Ausgeführte.

Zu Recht hat das Verwaltungsgericht den in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag zur unentgeltlichen psychischen Behandlung in der Ukraine abgelehnt; auch hierzu wird auf die Ausführungen in Nr. 1 dieses Beschlusses verwiesen.

Soweit der Kläger im Berufungszulassungsverfahren geltend macht, das Anhörungsprotokoll des Bundesamt sei teilweise falsch, weil er sich mit der Dolmetscherin nicht ausreichend habe verständigen können, hat er das bereits im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltend gemacht. Soweit er im Tatbestand des Urteils Fehler entdeckt haben will, hätte er eine Tatbestandsberichtigung nach § 119 Abs. 1 VwGO geltend machen müssen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylVfG.

Mit der unanfechtbaren (§ 80 AsylVfG) Ablehnung des Zulassungsantrags ist das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG).

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich nur noch gegen die Androhung der Abschiebung; die gegen seine Ausweisung gerichtete Klage wurde bereits rechtskräftig abgewiesen.

2

Der 1966 in St. Petersburg geborene Kläger ist russischer Staatsangehöriger jüdischen Glaubens. Er beantragte im Februar 1995 beim Generalkonsulat in St. Petersburg eine Aufenthaltserlaubnis zum ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet. Der Beauftragte des Freistaats Bayern erteilte im Juni 1996 gegenüber dem Bundesverwaltungsamt eine Aufnahmezusage, die der Familie des Klägers durch das Generalkonsulat bekannt gegeben wurde. Der Kläger reiste im September 1997 mit einem Visum in die Bundesrepublik Deutschland ein und erhielt am 14. Oktober 1997 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Am 23. Oktober 1997 wurde ihm eine Bescheinigung ausgestellt, wonach er Flüchtling im Sinne des § 1 Abs. 1 des Gesetzes über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge (Kontingentflüchtlingsgesetz - HumHAG) sei.

3

Der Kläger wurde im Dezember 2003 wegen Mordes zu einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren verurteilt. Die Strafkammer ging wegen des Vorliegens einer undifferenzierten Schizophrenie davon aus, dass seine Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit erheblich eingeschränkt gewesen sei. In der Anhörung zur beabsichtigten Ausweisung machte der Kläger geltend, er sei herzkrank (Mitral- und Aortenklappenersatz) und erhalte in der Russischen Föderation keine angemessene medizinische Behandlung.

4

Die Beklagte wies den Kläger mit Bescheid vom 27. Februar 2006 aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Nr. 1) und drohte ihm die Abschiebung unmittelbar aus der Haft heraus in die Russische Föderation an (Nr. 2). Hilfsweise drohte sie ihm die Abschiebung binnen einer Woche nach Haftentlassung an (Nr. 3).

5

Das Verwaltungsgericht hob die Abschiebungsandrohung nach Haftentlassung binnen Wochenfrist (Nr. 3 des Bescheids) auf und wies die Klage im Übrigen ab. Mit Beschluss vom 3. September 2008 hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Zwar genössen jüdische Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion in entsprechender Anwendung des Kontingentflüchtlingsgesetzes Ausweisungsschutz gemäß Art. 33 GFK/§ 60 Abs. 1 AufenthG. Wegen der vom Kläger ausgehenden konkreten (Wiederholungs-)Gefahr greife dieses Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG/Art. 33 Abs. 2 GFK jedoch nicht.

6

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hat der Senat mit Beschluss vom 13. März 2009 (BVerwG 1 B 20.08) die Entscheidung des Berufungsgerichts hinsichtlich der Abschiebungsandrohung aus der Haft (Nr. 2 des Bescheids) aufgehoben und den Rechtsstreit an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen; hinsichtlich der Ausweisung (Nr. 1 des Bescheids) hat er die Beschwerde zurückgewiesen.

7

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 22. Dezember 2010 die Abschiebungsandrohung (Nr. 2 des Bescheids) und insoweit auch das Urteil des Verwaltungsgerichts aufgehoben. Er ist davon ausgegangen, dass der Kläger aufgrund des Beschlusses der Ministerpräsidentenkonferenz vom 9. Januar 1991 die Rechtsstellung eines Kontingentflüchtlings entsprechend § 1 Abs. 1 HumHAG genieße und sich auch ohne Vorliegen eines Verfolgungsschicksals auf das Abschiebungsverbot des Art. 33 Abs. 1 GFK/§ 60 Abs. 1 AufenthG berufen könne. Zwar entstehe dieser Status ausschließlich kraft Gesetzes, so dass auch die Bescheinigung gemäß § 2 HumHAG nur deklaratorische Bedeutung besitze. Daraus könne aber nicht geschlossen werden, dass jüdische Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion nicht unter den Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 HumHAG fielen. Dies würde der historischen Dimension der Aufnahme jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion nicht gerecht und widerspräche auch der zwischen Bund und Ländern vereinbarten Verwaltungspraxis. Danach sei den Betroffenen ohne individuelle Prüfung auf Verfolgung oder Diskriminierung analog § 1 Abs. 3 HumHAG sofort eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt und eine Bescheinigung nach § 2 HumHAG ausgestellt worden. Angesichts der besonderen Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland für die Verbrechen des Nationalsozialismus könne nicht davon ausgegangen werden, dass die analoge Heranziehung des Kontingentflüchtlingsgesetzes ausgerechnet vor dem Refoulement-Verbot des Art. 33 Abs. 1 GFK habe haltmachen wollen. Der besondere ausländerrechtliche Status sei auch mit dem Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes am 1. Januar 2005 nicht entfallen. § 60 Abs. 8 AufenthG stehe dem nicht mehr entgegen, denn seit Einnahme eines Neuroleptikums bestehe beim Kläger nach dem Ergebnis des fachpsychiatrischen Gutachtens keine konkrete Wiederholungsgefahr.

8

Darüber hinaus greife auch das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Zwar stünden die vom Kläger benötigten Medikamente und Behandlungsmaßnahmen auch in der Russischen Föderation zur Verfügung. Die dort übliche kostenlose medizinische Behandlung entspreche aber nicht dem nach einer Herzklappenoperation erforderlichen Standard. Der Kläger benötige nach Auskunft der Botschaft monatlich 400 € für die erforderlichen Behandlungsmaßnahmen, 110 € für die Lebenshaltung sowie 400 € für eine bescheidene Einzimmerwohnung am Stadtrand von St. Petersburg. Diese Summe könne er krankheitsbedingt nicht erarbeiten.

9

Mit ihren vom Berufungsgericht zugelassenen Revisionen rügen die Beklagte und die Landesanwaltschaft Bayern, das Kontingentflüchtlingsgesetz sei weder direkt noch analog auf den Kläger anzuwenden. Der Verwaltungsgerichtshof stütze seine Auffassung auf eine fehlerhafte Wiedergabe des Schreibens des Bundesministeriums des Inneren (BMI) vom 10. August 1993. Maßgeblich für die von der Ministerpräsidentenkonferenz beschlossene entsprechende Anwendung des Kontingentflüchtlingsgesetzes seien die finanzielle Beteiligung des Bundes an den Eingliederungsmaßnahmen und das Verteilungsverfahren auf die Länder gewesen. Daher könnten Regelungen dieses Gesetzes, die an eine Verfolgungssituation anknüpften, auf jüdische Emigranten nicht angewendet werden. Schließlich sei mit dem Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes für den in entsprechender Anwendung des Kontingentflüchtlingsgesetzes aufgenommenen Personenkreis nur der Aufenthaltstitel und kein Kontingentflüchtlingsstatus übergeleitet worden. Zudem greife § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG, denn beim Kläger bestehe eine konkrete Wiederholungsgefahr. Das Berufungsgericht habe auch das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu Unrecht bejaht. Der Verwaltungsgerichtshof habe keinerlei Feststellungen dazu getroffen, dass und wie sich der Gesundheitszustand des Klägers nach seiner Abschiebung in die Russische Föderation verschlimmern werde. Notwendig seien beim Kläger nur die regelmäßige Gabe eines blutverflüssigenden Medikaments und Blutgerinnungskontrollen; das hätte vom Berufungsgericht aufgeklärt werden müssen.

10

Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung. Die Anwendung des Kontingentflüchtlingsgesetzes ergebe sich bereits aus dem in § 103 AufenthG enthaltenen Grundsatz des Bestandsschutzes. Sein Vertrauen sei schutzwürdig, da die Beklagte die Bescheinigung, dass er Kontingentflüchtling sei, nicht widerrufen habe. Die Beklagte sei an die Erlasslage und ihre Verwaltungspraxis gebunden. Daraus werde ersichtlich, dass der Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz einen eigenen, sich nach dem Kontingentflüchtlingsgesetz richtenden Aufenthaltsgrund ausgestaltet habe. Zutreffend habe das Berufungsgericht das Vorliegen des Ausschlusstatbestandes des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG verneint und das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bejaht.

11

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hält die Revisionen für begründet.

Entscheidungsgründe

12

Die Revisionen der Beklagten und der Landesanwaltschaft Bayern sind zulässig und begründet. Die Berufungsentscheidung beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Der Verwaltungsgerichtshof hat die Abschiebungsandrohung, für deren gerichtliche Überprüfung grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner Entscheidung maßgeblich ist (1.), mit einer Begründung aufgehoben, die mit Bundesrecht unvereinbar ist. Denn jedenfalls seit Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes genießt der Kläger keine Rechtsstellung, die das Refoulement-Verbot (§ 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG i.V.m. § 1 Abs. 1 HumHAG und Art. 33 Abs. 1 GFK) umfasst (2.). Des Weiteren hat das Berufungsgericht seiner Gefahrenprognose im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG unzutreffende Beurteilungsmaßstäbe zugrunde gelegt (3.). Da der Senat mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen über das Vorliegen dieses Abschiebungsverbots nicht selbst abschließend entscheiden kann, ist die Sache zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

13

1. Der gerichtlichen Beurteilung einer Abschiebungsandrohung ist jedenfalls dann, wenn der Ausländer aufgrund der Androhung noch nicht abgeschoben wurde oder noch nicht freiwillig ausgereist ist, grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts zugrunde zu legen. Das liegt in der Konsequenz der neueren Rechtsprechung des Senats zum veränderten Zeitpunkt der maßgeblichen Sach- und Rechtslage für die gerichtliche Prüfung einer Ausweisung (Urteil vom 15. November 2007 - BVerwG 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 12), der Ermessensentscheidung über die Erteilung und Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis (Urteil vom 7. April 2009 - BVerwG 1 C 17.08 - BVerwGE 133, 329, Rn. 37 f.) sowie der Rücknahme oder des Widerrufs eines unbefristeten Aufenthaltstitels (Urteil vom 13. April 2010 - BVerwG 1 C 10.09 - Buchholz 402.242 § 51 AufenthG Nr. 1). Maßgeblich für die Änderung der Rechtsprechung war die Erwägung, dass die genannten Verwaltungsakte zu einer Aufenthaltsbeendigung führen können, bei der in vielen Fällen dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens aus Art. 8 EMRK und dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG auf freie Entfaltung der Persönlichkeit sowie bei familiären Bindungen dem Grundrecht aus Art. 6 GG besondere Bedeutung zukommt. Der diesen Freiheitsrechten immanente Verhältnismäßigkeitsgrundsatz spricht dafür, dass die Gerichte bei ihrer Entscheidung über einen aufenthaltsbeendenden Verwaltungsakt auf eine möglichst aktuelle, d.h. nicht bereits überholte Tatsachengrundlage abstellen (Urteil vom 15. November 2007 a.a.O. Rn. 16 a.E.). Sie sollen realitätsnah und aus Gründen der Verfahrensökonomie möglichst abschließend entscheiden können (Urteil vom 13. Dezember 2011 - BVerwG 1 C 14.10 - juris Rn. 10 - zur Veröffentlichung in der Sammlung BVerwGE bestimmt). Es liegt auf der Hand, dass diese Überlegungen erst recht für die Abschiebungsandrohung als vollstreckungsrechtliche Grundlage einer zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung zutreffen. Ob auch bei einer bereits durchgeführten Abschiebung oder einer freiwilligen Ausreise auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. Entscheidung der Tatsacheninstanz oder aber den Zeitpunkt der Abschiebung bzw. Ausreise abzustellen ist, kann hier dahinstehen.

14

Auch wenn - wie hier - für die revisionsgerichtliche Prüfung auf die Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ist, sind Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens zu beachten, wenn sie das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - zu berücksichtigen hätte (stRspr, etwa Urteil vom 11. Januar 2011 - BVerwG 1 C 1.10 - BVerwGE 138, 371 Rn. 10 m.w.N.). Maßgeblich sind deshalb im vorliegenden Fall die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. Dezember 2011 (BGBl I S. 2854). Damit sind auch die Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22. November 2011 (BGBl I S. 2258) zu beachten.

15

Nicht anzuwenden ist hingegen die Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger - Rückführungsrichtlinie - RFRL - (ABl EU Nr. L 348 vom 24. Dezember 2008 S. 98). Denn für die bereits 2006 verfügte und mit der Klage angegriffene Abschiebungsandrohung beansprucht die Rückführungsrichtlinie, die von den Mitgliedstaaten gemäß Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie bis zum 24. Dezember 2010 umzusetzen war, noch keine Geltung (zur intertemporalen Anwendung von Richtlinien vgl. EuGH, Urteil vom 4. Oktober 2007 - Rs. C-349/06, Polat - Slg. 2007, I-8167 Rn. 25 ff.). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Art. 15 Abs. 5 und 6 RFRL, der auf bereits vor der Umsetzung begonnene und darüber hinaus andauernde Inhaftierungen Anwendung findet (vgl. EuGH, Urteil vom 30. November 2009 - Rs. C-357/09 PPU, Kadzoev - Slg. 2009, I-11189 Rn. 38). Denn Regelungen zur Dauer der Abschiebungshaft betreffen zukünftige Auswirkungen eines noch andauernden Sachverhalts und nicht die gerichtliche Kontrolle einer Behördenentscheidung, die vor Ablauf der Umsetzungsfrist getroffen worden ist.

16

An diesen Maßstäben gemessen liegen die Voraussetzungen für den Erlass einer Androhung der Abschiebung unmittelbar aus der Haft (§ 59 Abs. 1 und 5 i.V.m. § 58 Abs. 1 AufenthG) vor. Insbesondere ist, da sich der Kläger in Haft befindet, die Überwachung seiner Ausreise erforderlich (§ 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG), so dass es keiner Fristsetzung zur freiwilligen Ausreise bedarf (§ 59 Abs. 5 AufenthG).

17

2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht das Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG i.V.m. § 1 Abs. 1 des Gesetzes über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge vom 22. Juli 1980 (BGBl I S. 1057) - Kontingentflüchtlingsgesetz (HumHAG) der streitgegenständlichen Abschiebungsandrohung nicht entgegen. Der Kläger ist kein Kontingentflüchtling (2.1). Dahinstehen kann, ob die ihm durch die Aufnahmezusage vermittelte Rechtsstellung ursprünglich auch das in Art. 33 Abs. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl 1953 II S. 559) - GFK - niedergelegte Refoulement-Verbot umfasst hat (2.2). Denn entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts besteht diese Rechtstellung nach Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes nicht mehr fort. Deshalb können sich jüdische Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion jedenfalls seit diesem Zeitpunkt allein aufgrund ihrer Aufnahme nicht auf das Refoulement-Verbot berufen (2.3).

18

2.1 Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Kläger, der weder als Asylberechtigter noch als Flüchtling anerkannt ist, sich nicht unmittelbar auf das Refoulement-Verbot (Art. 33 Abs. 1 GFK) berufen kann. Gemäß § 1 Abs. 1 HumHAG genießt im Bundesgebiet die Rechtsstellung nach den Art. 2 bis 34 GFK, wer als Ausländer im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen der Bundesrepublik Deutschland aufgrund der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vor der Einreise in der Form des Sichtvermerks oder aufgrund einer Übernahmeerklärung nach § 33 Abs. 1 AuslG 1990 im Geltungsbereich dieses Gesetzes aufgenommen worden ist. Zwar stünde der Fortgeltung des Kontingentflüchtlingsstatus nicht entgegen, dass das Kontingentflüchtlingsgesetz durch Art. 15 Abs. 3 Nr. 3 des Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 2004 (BGBl I S. 1950) mit Wirkung zum 1. Januar 2005 aufgehoben worden ist. Denn aus der Übergangsvorschrift des § 103 AufenthG, nach der für Kontingentflüchtlinge die Erlöschens- und die Widerrufsregelung des Kontingentflüchtlingsgesetzes (§ 2a und 2b HumHAG) weiter Anwendung finden, ergibt sich, dass ein unmittelbar aufgrund dieses Gesetzes entstandener Kontingentflüchtlingsstatus fortbesteht. Der Verwaltungsgerichtshof hat aber die Voraussetzungen für einen gesetzlichen Statuserwerb nach § 1 Abs. 1 HumHAG beim Kläger zu Recht verneint.

19

Nach den vom Berufungsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen befand sich der Kläger als jüdischer Emigrant aus der früheren Sowjetunion im Zeitpunkt seiner Aufnahme weder in einer Verfolgungssituation noch war seine Lage durch ein Flüchtlingsschicksal gekennzeichnet. Entscheidend ist jedoch, dass die Übernahme seitens der Bundesrepublik Deutschland nicht wegen eines derartigen Gruppenschicksals erfolgte (vgl. zu den Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 HumHAG: Urteile vom 17. Februar 1992 - BVerwG 9 C 77.89 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 150 S. 329<331, 332, 334> und vom 27. Februar 1996 a.a.O. Nr. 185 S. 75 <78>). Das Berufungsgericht hat den Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz (Besprechung des Bundeskanzlers mit den Regierungschefs der Länder) vom 9. Januar 1991 und die darauf aufbauende Aufnahmepraxis jüdischer Emigranten aus der früheren Sowjetunion vielmehr dahingehend gewürdigt, dass dieser Personenkreis im Bewusstsein der historischen Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland für die Verbrechen des Nationalsozialismus zur Erhaltung der Lebensfähigkeit jüdischer Gemeinden in Deutschland und zur Revitalisierung des jüdischen Elements im deutschen Kultur- und Geistesleben aufgenommen wurde. Das ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.

20

Durch die Liberalisierung der sowjetischen Ausreisepolitik im Zuge der Perestroika zogen, wie allgemeinkundig ist, sowjetische Juden nach dem Fall der Berliner Mauer ab 1989 verstärkt nach Ost-Berlin. Der Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik beschloss am 11. Juli 1990 im Rahmen vorläufiger Regelungen des Aufenthalts und des Asyls für Ausländer, zunächst in zu begrenzendem Umfang ausländischen jüdischen Bürgern, denen Verfolgung oder Diskriminierung drohte, aus humanitären Gründen Aufenthalt zu gewähren. Diese Regelung fand jedoch keinen Niederschlag im Einigungsvertrag. Die Bundesregierung bat vielmehr im September 1990 die Auslandsvertretungen, Zuwanderungsanträge sowjetischer Juden bis zur Klärung eines zwischen Bund und Ländern abgestimmten Aufnahmeverfahrens nur entgegenzunehmen und weiter zu bearbeiten, soweit nicht von vornherein eine Aufnahme nach den geltenden Gesetzen ausgeschlossen sei (vgl. BTDrucks 11/8439 S. 2). Im Bewusstsein der historischen Verantwortung Deutschlands für die Verbrechen des Nationalsozialismus stand sie dem Wunsch dieses Personenkreises, in Deutschland eine neue Heimat zu gründen, im Grundsatz aufgeschlossen gegenüber, da der Zuzug die jüdischen Gemeinden in Deutschland stärke und diese Stärkung mittel- und langfristig zu einer Revitalisierung des bedeutenden jüdischen Beitrags zum Kultur- und Geistesleben in Deutschland führe. Eine unbegrenzte Aufnahme sowjetischer Juden sei jedoch nicht möglich, sondern komme nur im Rahmen eines geordneten Verfahrens in Betracht. Daraus ergebe sich die Notwendigkeit eines mit den Ländern und den jüdischen Organisationen abgestimmten Aufnahmeprogramms, das Vorsorge für den geregelten Zugang und eine angemessene Unterbringung treffe (BTDrucks 11/8439 S. 3 f.). Diese Bestrebungen, Motive und Steuerungsbedürfnisse, die auch die damalige politische Debatte prägten (vgl. Plenarprotokolle des Deutschen Bundestags, 11. Wahlperiode, 231. Sitzung vom 25. Oktober 1990, S. 18359 ff. und 234. Sitzung vom 31. Oktober 1990, S. 18740 ff.), fanden Eingang in den Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz vom 9. Januar 1991. Damit wurde zwischen den Regierungschefs von Bund und Ländern in Anwesenheit des Bundesministers des Inneren Einvernehmen darüber hergestellt, dass die Einreise von Juden aus der Sowjetunion ohne zahlenmäßige Begrenzung auch in Zukunft aufgrund von Einzelfallentscheidungen in entsprechender Anwendung des Kontingentflüchtlingsgesetzes ermöglicht wird. Bei den großzügig zu handhabenden Einzelfallentscheidungen sollte u.a. der Gesichtspunkt der Erhaltung der Lebensfähigkeit jüdischer Gemeinden in Deutschland eine Rolle spielen; die Verteilung auf die einzelnen Länder sollte grundsätzlich nach dem "Königsteiner Schlüssel" erfolgen (vgl. auch BTDrucks 12/229 S. 1 ff.).

21

Vor diesem Hintergrund erweist sich die Annahme des Berufungsgerichts, die von der Ministerpräsidentenkonferenz beschlossene entsprechende Anwendung des Kontingentflüchtlingsgesetzes belege, dass jüdische Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion von der Bundesrepublik Deutschland nicht als verfolgte oder durch ein Flüchtlingsschicksal gekennzeichnete Gruppe aufgenommen worden sind, als überzeugend (ebenso VGH Mannheim, Urteil vom 13. Juli 2011 - 11 S 1413/10 - InfAuslR 2011, 383 <384, 385 f.>; VGH München, Beschluss vom 20. Dezember 2004 - 12 CE 04.3232 - juris ; OVG Greifswald, Urteil vom 15. September 2004 - 1 L 107/02 - LKV 2005, 510 <512>; OVG Berlin, Beschluss vom 30. Juli 2004 - 2 N 87.04 - juris). Mangels gesetzlichen Erwerbs des Kontingentflüchtlingsstatus kann sich der Kläger nicht unmittelbar auf das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG i.V.m. § 1 Abs. 1 HumHAG und Art. 33 Abs. 1 GFK berufen.

22

2.2 Da der Kläger den Kontingentflüchtlingsstatus nicht durch Gesetz erworben hat, konnte eine das Refoulement-Verbot umfassende Rechtsstellung entgegen der Annahme, wie sie der angefochtenen Entscheidung unausgesprochen zugrunde liegt, nur durch einen Rechtsakt (Verwaltungsakt) begründet werden. Denn nichtförmliches Verwaltungshandeln, auch wenn es einer auf Schreiben oberster Bundes- und Landesbehörden zurückzuführenden Verwaltungspraxis entspricht, wonach die Betroffenen hinsichtlich bestimmter begünstigender Rechtsfolgen wie Inhaber des Kontingentflüchtlingsstatus behandelt werden sollen, vermag einem Betroffenen weder diesen Status noch die Möglichkeit der Berufung auf das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 1 AufenthG bzw. Art. 33 GFK zu vermitteln.

23

Als rechtsbegründender Verwaltungsakt kommt im vorliegenden Fall nur die Aufnahmezusage des Beauftragten des Freistaats Bayern vom 18. Juni 1996 in Betracht. Sie wurde - wie vom Klägerbevollmächtigten im Revisionsverfahren belegt und auch von den übrigen Beteiligten nicht in Zweifel gezogen - der Familie des Klägers vor ihrer Ausreise durch das Generalkonsulat St. Petersburg bekannt gegeben. Diese Vorgehensweise entsprach wohl auch der damaligen Verwaltungspraxis (vgl. IV. Nr. 3 des Erlasses des Auswärtigen Amtes betreffend die Zuwanderung von Juden aus der ehemaligen UdSSR vom 25. März 1997, Gz.: 514-516.20/7, nach der die Aufnahmezusage den Antragstellern unverzüglich zuzustellen war).

24

Die dem Kläger bekannt gegebene Aufnahmezusage ist ein Verwaltungsakt, der zumindest die Zusicherung der Erteilung eines Visums sowie eines unbefristeten Aufenthaltstitels nach Einreise mit einem nationalen Visum enthielt (weitergehend i.S. eines Status sui generis: VGH Mannheim, Urteil vom 13. Juli 2011 a.a.O. S. 386 ff.; Hochreuter, NVwZ 2000, 1376, 1379 f.). Der Gegenauffassung, wie sie in IV. Nr. 7 des o.g. Erlasses des Auswärtigen Amtes vom 25. März 1997 zum Ausdruck kommt, wonach selbst eine zugestellte Aufnahmezusage als reines Verwaltungsinternum anzusehen sei, folgt der Senat nicht. Denn ob ein behördliches Schreiben eine verbindliche Regelung durch Verwaltungsakt enthält und welchen Inhalt dieser ggf. hat, ist durch Auslegung nach der im Öffentlichen Recht entsprechend anwendbaren Regel des § 133 BGB zu ermitteln. Dieser allgemeine Grundsatz findet hier Anwendung, ungeachtet des Umstands, dass das Verwaltungsverfahrensgesetz selbst gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 3 VwVfG nicht für die Tätigkeit der Vertretungen des Bundes im Ausland gilt. Maßgebend ist bei der Auslegung behördlicher Schreiben nicht der innere Wille der Behörde, sondern der erklärte Wille, wie ihn der Empfänger bei objektivierter Würdigung verstehen konnte, wobei Unklarheiten zu Lasten der Verwaltung gehen (stRspr, vgl. Urteile vom 12. Januar 1973 - BVerwG 7 C 3.71 - BVerwGE 41, 305 <306>; vom 18. Juni 1980 - BVerwG 6 C 55.79 - BVerwGE 60, 223 <228 f.>; vom 4. Dezember 2001 - BVerwG 4 C 2.00 - BVerwGE 115, 274 <279> und vom 20. April 2005 - BVerwG 9 C 4.04 - BVerwGE 123, 292 <297>;).

25

Bei Anwendung dieser Maßstäbe konnte und durfte der Kläger nach Erhalt des im Pendelbriefverfahren zwischen Generalkonsulat - Bundesverwaltungsamt - Beauftragter des Freistaats Bayern und zurück übermittelten Formulars mit der Überschrift "Aufnahme jüdischer Emigranten aus der Sowjetunion in der Bundesrepublik Deutschland" und der darin angekreuzten Variante "Die Aufnahmezusage wird erteilt." davon ausgehen, dass damit dem Grunde nach verbindlich über seinen künftigen Aufenthalt im Bundesgebiet entschieden worden war. Die Notwendigkeit, sich noch um ein Visum zu bemühen, steht dem nicht entgegen. Die gegenteilige Annahme wäre vor dem Hintergrund, dass der Kläger zuvor beim Generalkonsulat ein Formular "Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis - Zuwanderungsfall aus der SU" ausgefüllt hatte, lebensfremd. Dem Revisionsgericht ist die eigene Auslegung der Aufnahmezusage nicht verwehrt, da das Tatsachengericht in seiner Entscheidung aufgrund seines abweichenden rechtlichen Ansatzes dazu nichts ausgeführt hat (vgl. Urteil vom 21. Juni 2006 - BVerwG 6 C 19.06 - BVerwGE 126, 149 Rn. 52 m.w.N.).

26

Ob die Aufnahmezusage - ggf. in Verbindung mit einem beigefügten Merkblatt, wie es der Klägerbevollmächtigte beispielhaft aus einem Parallelverfahren vorgelegt hat - dem Kläger über die oben genannten aufenthaltsrechtlichen Vergünstigungen hinaus auch das in Art. 33 Abs. 1 GFK enthaltene Refoulement-Verbot vermittelt hat, kann offenbleiben. Eine derartige Annahme könnte sich jedenfalls nicht auf die Bescheinigung stützen, die ihm nach der Einreise im Oktober 1997 im Bundesgebiet ausgestellt wurde und wonach er Flüchtling im Sinne des § 1 Abs. 1 HumHAG ist. Denn für die Auslegung eines Verwaltungsakts sind nur solche Umstände indiziell zu berücksichtigen, die dem Empfänger bei Zugang der Willenserklärung - hier: der Aufnahmezusage - erkennbar waren (Urteile vom 4. Dezember 2001 a.a.O. und vom 21. Juni 2006 a.a.O.). Des Weiteren kommt es bei der Auslegung der Aufnahmezusage aus dem Empfängerhorizont nicht darauf an, ob diese rechtmäßig war oder nicht. Daher hat außer Betracht zu bleiben, ob das Ausländerrecht mit Blick auf die in § 33 AuslG 1990 eröffnete Möglichkeit, Ausländer u.a. aus humanitären Gründen oder politischen Interessen zu übernehmen, überhaupt Raum für eine entsprechende Anwendung des Kontingentflüchtlingsgesetzes ließ (verneinend VGH München, Urteil vom 29. Juli 2009 - 10 B 08.2447 - InfAuslR 2010, 26; Raabe, ZAR 2004, 410 <411 f.>). Das alles kann jedoch hier letztlich dahinstehen.

27

2.3 Selbst wenn die Aufnahmezusage seinerzeit das flüchtlingsrechtliche Abschiebungsverbot mit umfasst haben sollte, könnte sich der Kläger hierauf nach dem Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes nicht mehr berufen. Denn aus den Übergangsregelungen des Aufenthaltsgesetzes ergibt sich, dass der Gesetzgeber mit der Neuregelung des § 23 Abs. 2 AufenthG die zukünftige Rechtsstellung auch der vor dem 1. Januar 2005 aufgenommenen jüdischen Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion abschließend neu ausgestaltet hat.

28

Nach § 23 Abs. 2 AufenthG kann das Bundesministerium des Innern zur Wahrung besonders gelagerter politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland im Benehmen mit den obersten Landesbehörden anordnen, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Ausländern aus bestimmten Staaten oder in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen eine Aufnahmezusage erteilt. Den betroffenen Ausländern ist entsprechend der Aufnahmezusage eine zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigende Aufenthaltserlaubnis oder eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen, die mit einer wohnsitzbeschränkenden Auflage versehen werden kann; flüchtlingsrechtlichen Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG genießen sie nicht.

29

Der Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung ist zu entnehmen, dass man für das Kontingentflüchtlingsgesetz keinen Anwendungsbedarf mehr sah. Dort findet sich der Hinweis, dass derzeit (Frühjahr 2003) lediglich die Aufnahme jüdischer Immigranten aus der ehemaligen Sowjetunion in entsprechender Anwendung des Kontingentflüchtlingsgesetzes erfolge. Nunmehr werde für diesen Personenkreis bei besonders gelagerten politischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland mit § 23 Abs. 2 AufenthG die Möglichkeit geschaffen, von Anfang an eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen (BTDrucks 15/420 S. 64). In der speziellen Begründung zu § 23 Abs. 2 AufenthG wird ausgeführt (BTDrucks 15/420 S. 78):

"... Die Aufnahme jüdischer Immigranten aus der ehemaligen Sowjetunion seit 1991 (insgesamt bisher über 170 000 Personen) erfolgt bislang lediglich in entsprechender Anwendung des Kontingentflüchtlingsgesetzes (Ergebnis der Besprechung des Bundeskanzlers mit den Regierungschefs der Länder vom 9. Januar 1991). Die neue Vorschrift schafft für derartige Fälle nunmehr eine sichere Rechtsgrundlage. Das Ergebnis der Besprechung vom 9. Januar 1991 dokumentiert den übereinstimmenden Willen zur Aufnahme dieses Personenkreises, es bedarf deshalb auch nach Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes keiner erneuten Anordnung. Die in § 1 Abs. 1 Kontingentflüchtlingsgesetz vorgesehene Gewährung der Rechtsstellung nach den Artikeln 2 bis 34 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention) ist im Hinblick auf die Gewährung einer Niederlassungserlaubnis nicht erforderlich. Darüber hinaus ist eine Reihe der sich aus der Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention ergebenden Rechtsfolgen (z. B. Erlöschen der Rechtsstellung, wenn die Person sich freiwillig oder durch Annahme oder Erneuerung eines Nationalpasses erneut in den Schutz des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, begibt, § 2a Abs. 1 Nr. 1 Kontingentflüchtlingsgesetz) der Stellung aufgenommener jüdischer Immigranten nicht angemessen."

30

Diese - vom Berufungsgericht in Rn. 71 seiner Entscheidung fehlerhaft wiedergegebene - Begründung macht deutlich, dass mit Blick auf die bisher praktizierte entsprechende Anwendung des Kontingentflüchtlingsgesetzes ein Bedürfnis für die Schaffung einer "sicheren Rechtsgrundlage" gesehen wurde. Des Weiteren sollte die Rechtsstellung jüdischer Emigranten von den sich aus der Genfer Flüchtlingskonvention ergebenden Rechtsfolgen, die als nicht erforderlich und zum Teil als nicht angemessen erschienen, abgekoppelt und in Zukunft rein aufenthaltsrechtlich ausgestaltet werden. Dass die Neuregelung auch die vor dem 1. Januar 2005 aufgenommenen jüdischen Emigranten erfassen und damit zukünftig eine einheitliche, nicht länger mit rechtlichen Unsicherheiten behaftete Rechtsstellung schaffen wollte, ergibt sich auch aus den Übergangsregelungen des Aufenthaltsgesetzes. Darin hat der Gesetzgeber zwischen Personen, die den Kontingentflüchtlingsstatus gesetzlich erworben haben, und solchen, auf die das Kontingentflüchtlingsgesetz nur entsprechend angewendet worden ist, differenziert und die statusrechtlichen Folgen unterschiedlich ausgestaltet.

31

Gemäß § 103 AufenthG finden für Personen, die vor dem Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes gemäß § 1 HumHAG die Rechtsstellung nach den Artikeln 2 bis 34 GFK genießen, die Erlöschens- und die Widerrufsregelung des Kontingentflüchtlingsgesetzes (§ 2a und 2b HumHAG) weiter Anwendung. § 101 Abs. 1 Satz 2 AufenthG ordnet an, dass eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die nach § 1 Abs. 3 HumHAG oder in entsprechender Anwendung des vorgenannten Gesetzes erteilt worden ist, und eine anschließend erteilte Aufenthaltsberechtigung als Niederlassungserlaubnis nach § 23 Abs. 2 AufenthG fortgelten. Damit werden Kontingentflüchtlinge und Personen, auf die das Kontingentflüchtlingsgesetz von der Verwaltung nur entsprechend angewendet worden ist, aufenthaltsrechtlich gleich behandelt; ihr bestehendes Daueraufenthaltsrecht wird fortgeschrieben. Aus der Zusammenschau der Regelungen wird jedoch deutlich, dass nur ein gesetzlich erworbener Kontingentflüchtlingsstatus über den 1. Januar 2005 hinaus fortbesteht. Dieser systematische Befund wird durch die Gesetzesmaterialien zu den Übergangsvorschriften bestätigt. Denn nur in der Begründung zu § 101 Abs. 1 Satz 2 AufenthG wird die Gruppe der jüdischen Emigranten genannt; an dieser Stelle wird die Neuregelung des § 23 Abs. 2 AufenthG ausdrücklich auch auf Aufnahmefälle aus der Vergangenheit erstreckt: "Für jüdische Immigranten, die in entsprechender Anwendung des HumHAG aufgenommen wurden, gilt § 23 Abs. 2,..." (BTDrucks 15/420 S. 100). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 102 Abs. 1 AufenthG, da die Vermittlung des Kontingentflüchtlingsstatus keine Maßnahme im Sinne dieser Vorschrift ist.

32

Der Senat entnimmt diesen Regelungen den hinreichend deutlichen Willen des Gesetzgebers, mit der abschließenden aufenthaltsrechtlichen Neuregelung in § 23 Abs. 2 AufenthG auch die Fälle der vor dem 1. Januar 2005 aufgenommenen jüdischen Emigranten zu erfassen, um die bisherige, aus der entsprechenden Anwendung des Kontingentflüchtlingsgesetzes resultierende unklare Rechtslage für die Zukunft zu bereinigen (a.A. VGH Mannheim, Urteil vom 13. Juli 2011 a.a.O. <389>). Die darin liegende unechte Rückwirkung der Neuregelung ist mit Blick auf die bisherigen rechtlichen Unsicherheiten verfassungsrechtlich unbedenklich. Denn die Betroffenen behalten ihr Daueraufenthaltsrecht und haben die Möglichkeit, bei Furcht vor Verfolgung einen Asylantrag zu stellen. Schließlich ist bei dem Personenkreis der jüdischen Emigranten, die - wie dargestellt - nicht wegen eines Verfolgungsschicksals aufgenommen worden sind, auch kein schutzwürdiges Vertrauen auf den Fortbestand eines ihnen möglicherweise in der Vergangenheit gewährten flüchtlingsrechtlichen Abschiebungsschutzes ersichtlich. Demzufolge vermag sich der Kläger jedenfalls seit dem Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes nicht auf das Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG i.V.m. § 1 Abs. 1 HumHAG und Art. 33 GFK zu berufen. Unter diesen Umständen bedarf es keiner Entscheidung, ob das Berufungsgericht ohne Verstoß gegen Bundesrecht davon ausgegangen ist, dass im Fall des Klägers die Voraussetzungen für einen Ausschluss nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG nicht (mehr) vorliegen.

33

3. Die angefochtene Entscheidung verletzt zudem § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Das Berufungsgericht hat der Gefahrenprognose, die es bei Prüfung dieses Abschiebungsverbots gestellt hat, einen unzutreffenden Ansatz und darauf aufbauend fehlerhafte materiellrechtliche Beurteilungsmaßstäbe zugrunde gelegt.

34

Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer landesweit eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine krankheitsbedingte zielstaatsbezogene Gefahr kann sich im Einzelfall auch daraus ergeben, dass der erkrankte Ausländer eine notwendige und an sich im Zielstaat verfügbare medizinische Behandlung tatsächlich z.B. aus finanziellen Gründen nicht erlangen kann (Urteil vom 29. Oktober 2002 - BVerwG 1 C 1.02 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 66 zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG 1990). Der Senat hat bereits entschieden, dass die Verschlimmerung einer Erkrankung, die der Betroffene nicht mit einer Vielzahl seiner Landsleute teilt, so dass kein Bedürfnis für eine ausländerpolitische Leitentscheidung gemäß § 60a Abs. 1 AufenthG besteht und die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG nicht greift, als individuelle, unmittelbar am Maßstab der genannten Vorschrift zu prüfende Gefahr anzusehen ist (Urteil vom 17. Oktober 2006 - BVerwG 1 C 18.05 - BVerwGE 127, 33 Rn. 15 f. = Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff., AufenthG Nr. 21). In Fällen einer Erkrankung eher singulären Charakters - wie hier - sind die Voraussetzungen des genannten Abschiebungsverbots erfüllt, wenn sich die Krankheit des Betroffenen mangels (ausreichender) Behandlung im Abschiebungszielstaat verschlimmert und sich dadurch der Gesundheitszustand wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde (Beschluss vom 24. Mai 2006 - BVerwG 1 B 118.05 - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 16 m.w.N.). Konkret ist die Gefahr, wenn diese Verschlechterung alsbald nach der Abschiebung des Betroffenen einträte (Urteil vom 25. November 1997 - BVerwG 9 C 58.96 - BVerwGE 105, 383 <387> = Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 10). Diesen Prüfungsansatz und die sich daraus ergebenden Maßstäbe hat das Berufungsgericht in mehrfacher Hinsicht verfehlt.

35

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Beweisaufnahme, wie die Beweisbeschlüsse vom 26. November 2009 zeigen, nur auf die Diagnose der Krankheiten des Klägers sowie deren Behandelbarkeit in der Russischen Föderation (einschließlich verfügbarer Medikation) fokussiert. Dem auf diesen tatsächlichen Feststellungen aufbauenden, für das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zentralen Beweisthema, nämlich dem Krankheitsverlauf bei Rückkehr bzw. Abschiebung in das Herkunftsland ohne medizinische Betreuung bzw. bei vom Kläger nur teilweise finanzierbarer Behandlung und Medikation, ist er nicht nachgegangen. Des Weiteren hat das Berufungsgericht, wie aus seinem Beweisbeschluss vom 11. Mai 2010 ersichtlich wird, die Beurteilung, ob die in den medizinischen Fachgutachten genannten Behandlungen und Medikamente erforderlich sind, den medizinischen Gutachtern überlassen. Diese haben ihrer Wertung jedoch den in Deutschland üblichen medizinischen Standard zugrunde gelegt und sich - mangels entsprechender Vorgaben des Berufungsgerichts - nicht am Maßstab einer wesentlichen Gesundheitsverschlechterung orientiert. Schließlich hat das Berufungsgericht in seiner finanziellen Bedarfsberechnung für den Kläger monatliche Wohnkosten "für eine bescheidene 1-Zimmer-Wohnung am Stadtrand von Sankt Petersburg" in Höhe von 400 € angesetzt (BA Rn. 82). Dieses Unterbringungsniveau, das der Verwaltungsgerichtshof selbst dem Auswärtigen Amt in seiner Anfrage vom 24. August 2010 vorgegeben hatte, verfehlt den strengen Maßstab des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

36

Diese Verstöße gegen § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen vermag der Senat über das Vorliegen des genannten Abschiebungsverbots selbst weder positiv noch negativ abschließend zu entscheiden. Damit war die Sache an den Verwaltungsgerichtshof zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO), ohne dass es eines Eingehens auf die von den Revisionsführern erhobenen Aufklärungsrügen bedarf.

Tenor

I.

Die Berufung wird zurückgewiesen.

II.

Die Kosten des Verfahrens in allen Rechtszügen beginnend mit dem Berufungsverfahren 19 B 07.2762 trägt der Kläger.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1. Der ... in St. Petersburg geborene Kläger ist russischer Staatsangehöriger jüdischen Glaubens. Nachdem ihm und seiner Familie im Februar 1995 die Aufnahme in das Bundesgebiet als jüdische Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion zugesagt worden war, reiste der Kläger im September 1997 mit einem Visum in die Bundesrepublik Deutschland ein und erhielt am 14. Oktober 1997 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Am 23. Oktober 1997 wurde ihm eine Bescheinigung ausgestellt, wonach er Flüchtling im Sinne des § 1 Abs. 1 des Gesetzes über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge (Kontingentflüchtlingsgesetz - HumHAG) sei.

Der Kläger wurde im Dezember 2003 wegen Mordes zu einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren verurteilt. Die Strafkammer hat § 21 StGB angewendet, weil eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit (Steuerungsfähigkeit) aufgrund der beim Kläger vorliegenden undifferenzierten Schizophrenie nicht ausgeschlossen werden könne.

Angehört wegen einer beabsichtigten Ausweisung machte der Kläger geltend, er sei herzkrank (Mitral- und Aortenklappenersatz) und erhalte in der Russischen Föderation keine angemessene medizinische Behandlung.

Die Beklagte wies den Kläger mit Bescheid vom 27. Februar 2006 aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Nr. I) und ordnete seine Abschiebung (frühestens eine Woche nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Ausweisungsverfügung) unmittelbar aus der Haft heraus in die Russische Föderation oder in einen anderen übernahmebereiten oder übernahmeverpflichteten Staat an (Nr. II). Für den Fall, dass seine Abschiebung während der Inhaftierung nicht möglich sein und er aus der JVA entlassen werden sollte, wurde der Kläger aufgefordert, das Bundesgebiet binnen einer Woche nach Haftentlassung zu verlassen, andernfalls ihm die Abschiebung (mit dem bereits bezeichneten Ziel) angedroht wurde (Nr. III).

2. Das Verwaltungsgericht hob durch Urteil vom 30. Januar 2007 (Az. AN 19 K 06.1116) die Abschiebungsandrohung nach Haftentlassung binnen Wochenfrist (Nr. III des Bescheids) auf und wies die Klage im Übrigen ab. Mit Beschluss vom 3. September 2008 hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Az. 19 B 07.2762). Zwar genössen jüdische Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion in entsprechender Anwendung des Kontingentflüchtlingsgesetzes Ausweisungsschutz gemäß Art. 33 GFK/§ 60 Abs. 1 AufenthG. Wegen der vom Kläger ausgehenden konkreten (Wiederholungs-)Gefahr greife dieses Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG/Art. 33 Abs. 2 GFK jedoch nicht.

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hin hat das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 13. März 2009 (BVerwG 1 B 20.08) die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs hinsichtlich der Anordnung der Abschiebung aus der Haft (Nr. II des Bescheids) aufgehoben und den Rechtsstreit an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen; hinsichtlich der Ausweisung (Nr. I des Bescheids) hat es die Beschwerde zurückgewiesen.

3. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 22. Dezember 2010 die Anordnung der Abschiebung aus der Haft (Nr. II des Bescheids) und insoweit auch das Urteil des Verwaltungsgerichts aufgehoben (Az. 19 B 09.824). Er ist davon ausgegangen, dass der Kläger aufgrund des Beschlusses der Ministerpräsidentenkonferenz vom 9. Januar 1991 die Rechtsstellung eines Kontingentflüchtlings entsprechend § 1 Abs. 1 HumHAG genieße und sich auch ohne Vorliegen eines Verfolgungsschicksals auf das Abschiebungsverbot des Art. 33 Abs. 1 GFK/§ 60 Abs. 1 AufenthG berufen könne. Der besondere ausländerrechtliche Status sei auch mit dem Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes am 1. Januar 2005 nicht entfallen. § 60 Abs. 8 AufenthG stehe dem nicht mehr entgegen, denn seit er ein Neuroleptikum einnehme, bestehe bei ihm nach dem Ergebnis des fachpsychiatrischen Gutachtens keine konkrete Wiederholungsgefahr. Darüber hinaus greife auch das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Zwar stünden die vom Kläger benötigten Medikamente und Behandlungsmaßnahmen auch in der Russischen Föderation zur Verfügung. Die dort übliche kostenlose medizinische Behandlung entspreche aber nicht dem nach einer Herzklappenoperation erforderlichen Standard. Der Kläger benötige nach Auskunft der Botschaft monatlich 400 € für die erforderlichen Behandlungsmaßnahmen, 110 € für die Lebenshaltung sowie 400 € für eine bescheidene Einzimmerwohnung am Stadtrand von St. Petersburg. Diese Summe könne er krankheitsbedingt nicht erarbeiten.

Auf die vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Revisionen der Beklagten und der Landesanwaltschaft hin hat das Bundesverwaltungsgericht durch Urteil vom 22. März 2012 (Az. 1 C 3/11) den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 22. Dezember 2010 aufgehoben. Es hat festgestellt, dass sich jüdische Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion jedenfalls seit dem Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes wegen ihrer Aufnahme in das Bundesgebiet nicht auf das Abschiebungsverbot des Art. 33 Abs. 1 GFK/§ 60 Abs. 1 AufenthG berufen können; für eine Anwendung des Kontingentflüchtlingsgesetzes auf sie habe der Gesetzgeber keinen Bedarf mehr gesehen. Außerdem hat das Bundesverwaltungsrecht festgestellt, der Verwaltungsgerichtshof habe seiner Gefahrenprognose im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG unzutreffende Beurteilungsmaßstäbe zugrunde gelegt. Der Verwaltungsgerichtshof habe die Beweisaufnahme nur auf die Diagnose der Krankheiten des Klägers sowie deren Behandelbarkeit in der Russischen Föderation (einschließlich verfügbarer Medikation) fokussiert. Dem auf diesen tatsächlichen Feststellungen aufbauenden, für das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zentralen Beweisthema, nämlich dem Krankheitsverlauf bei Rückkehr bzw. Abschiebung in das Herkunftsland ohne medizinische Betreuung bzw. bei vom Kläger nur teilweise finanzierbarer Behandlung und Medikation, sei er nicht nachgegangen. Des Weiteren habe der Verwaltungsgerichtshof die Beurteilung, ob die in den medizinischen Fachgutachten genannten Behandlungen und Medikamente erforderlich sind, den medizinischen Gutachtern überlassen. Diese hätten ihrer Wertung jedoch den in Deutschland üblichen medizinischen Standard zugrunde gelegt und sich - mangels entsprechender Vorgaben des Verwaltungsgerichtshofs - nicht am Maßstab einer wesentlichen Gesundheitsverschlechterung orientiert. Schließlich habe der Verwaltungsgerichtshof in seiner finanziellen Bedarfsberechnung für den Kläger monatliche Wohnkosten „für eine bescheidene 1-Zimmer-Wohnung am Stadtrand von Sankt Petersburg“ in Höhe von 400 € angesetzt. Dieses Unterbringungsniveau, das der Verwaltungsgerichtshof selbst dem Auswärtigen Amt vorgegeben habe, verfehle den strengen Maßstab des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Nachdem das Bundesverwaltungsgericht auf der Grundlage der vom Verwaltungsgerichtshof getroffenen tatsächlichen Feststellungen über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht abschließend zu entscheiden vermochte, hat es die Sache an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.

4. Im Hinblick auf die bevorstehende Entlassung des Klägers aus der Strafhaft hat ihn die Beklagte mit Bescheid vom 21. Dezember 2012 aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von sieben Tagen nach der Haftentlassung zu verlassen, wenn seine Abschiebung aus der Haft heraus nicht möglich sein sollte, andernfalls ihm die Abschiebung in die Russische Föderation oder einen anderen Staat angedroht werde, in den er einreisen dürfe bzw. der zu seiner Übernahme verpflichtet sei. Der Kläger hat diesen Bescheid vor dem Verwaltungsgericht angefochten; eine verwaltungsgerichtliche Entscheidung ist bislang nicht ergangen.

Im fortgeführten Berufungsverfahren vertritt der Kläger die Auffassung, zu seiner Rechtsstellung als jüdischer Zuwanderer gehöre das Refoulement-Verbot des § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 HumHAG und Art. 33 Abs. 1 GFK, sowie die Auffassung, die Ausschlussvoraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG lägen nicht vor. Die Änderung der genannten Rechtsstellung durch das AufenthG sei mit Art. 20 Abs. 3 GG nicht in Einklang zu bringen, weswegen das Verfahren auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG vorzulegen sei. Im Übrigen dürfe er im Hinblick auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht nach Russland abgeschoben werden. Bereits die Abschiebung selbst werde wegen seiner psychiatrischen und kardiologischen Beeinträchtigungen zu einer wesentlichen Verschlechterung seiner Gesundheit führen. Diese sowie die orthopädischen Beeinträchtigungen hätten sich in den letzten Jahren verstärkt, weshalb eine aktuelle arbeitsmedizinische Begutachtung erforderlich sei. Um eine wesentliche Verschlimmerung seiner schizophrenen Erkrankung zu verhindern und die Einnahme der insoweit erforderlichen Medikamente zu gewährleisten, sei er auf ein stabilisierendes soziales Umfeld angewiesen, das nur im Bundesgebiet vorhanden sei. Hierzu zähle unter anderem seine Mutter. Verwandte, die ihn unterstützen würden, habe er weder im Bundesgebiet noch in Russland. Eine Betreuung, wie sie im Bundesgebiet für ihn errichtet worden ist, gebe es in Russland nicht. Wegen seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen sei er nicht erwerbsfähig; er könne nur in einer geschützten Umgebung für geistig Behinderte tätig sein. Daher könne er in Russland weder eine Unterkunft, die seinen Bedürfnissen als geistig Behinderter entspricht (keine Gemeinschaftswohnung) und kostengünstig ist, noch seinen allgemeinen Lebensbedarf oder die Aufwendungen für die Erhaltung seines Gesundheitszustandes finanzieren. Kostenlose Leistungen durch das staatliche Gesundheitssystem in Russland werde er nicht erhalten. Der Kläger zieht die Fachkompetenz der Vertrauensärzte der deutschen Botschaft in Moskau in Zweifel, die sich zum staatlichen Gesundheitssystem geäußert haben. Die Leistungen des staatlichen Gesundheitssystems setzten überdies bürokratische Verfahren voraus, deren positives Ergebnis nicht gewährleistet sei und deren Abschluss er wegen seines Gesundheitszustandes nicht abwarten könne. Auch könne er die Zuzahlungen, die im staatlichen Gesundheitssystem gefordert werden, und die Aufwendungen für die von ihm benötigten Medikamente nicht erbringen. Die Beklagte berücksichtige bei ihrer Berechnung nur einen Teil der von ihm tatsächlich benötigten Medikamente und sonstigen auf ihn zukommenden Aufwendungen. Allein die Kosten der ärztlichen Behandlungen betrügen pro Monat 300 €. Unterstützung werde er weder durch das russische Rückkehrprogramm noch durch staatliche Arbeitslosen-, Wohnungslosen-, Erwerbsunfähigkeits- oder sonstige Sozial-Hilfen noch durch Verwandte in Russland oder Deutschland erhalten.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 30. Januar 2007 insoweit abzuändern, dass der Bescheid der Beklagten vom 27. Februar 2006 hinsichtlich Ziffer 2 einschließlich der nachträglichen Setzung einer Ausreisefrist durch die Beklagte mit Bescheid vom 21. Dezember 2012 aufgehoben wird,

hilfsweise,

dem Kläger eine Duldung zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen

Sie vertritt die Auffassung, das Bundesverwaltungsgericht habe rechtskräftig entschieden, dass das Refoulement-Verbot des § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 HumHAG und Art. 33 Abs. 1 GFK nicht zur Rechtsstellung des Klägers als jüdischer Zuwanderer gehört. Auf die Ausschlussvoraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG komme es daher nicht an. Eine konkrete Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG drohe dem Kläger in Russland nicht. Der Kläger sei erwerbsfähig. Er sei zum Funkingenieur ausgebildet und auch noch nach dem Ausbruch seiner schizophrenen Erkrankung erwerbstätig gewesen. Hinreichende Anhaltspunkte für eine Verschlechterung seiner Gesundheit in den letzten Jahren lägen nicht vor. Die Residualsymptomatik, die der Kläger außerhalb produktivpsychotischer Episoden aufweist, sei nicht mit wesentlichen Einschränkungen verbunden. Schizophrene Episoden seien weder bei einer Abschiebung noch alsbald danach wahrscheinlich. Auf die soziale Situation des Klägers im Bundesgebiet komme es für die Frage des Ausbruchs einer solchen Episode nicht entscheidend an. Die Beklagte verweist insoweit unter anderem auf das Alter der Mutter des Klägers und geht davon aus, dass der Kläger ein russisch geprägtes Umfeld bevorzugt sowie Verwandte in Russland hat, über die er unter Verstoß gegen seine Mitwirkungspflicht keine Auskunft gebe. Der Kläger werde in der Zeit alsbald nach einer Abschiebung nach Russland seinen Lebensunterhalt einschließlich der Aufwendungen verdienen können, die ihm im Rahmen der staatlichen Gesundheitsversorgung verbleiben. Der Kläger könne eine Unterkunft finden, die deutlich weniger als diejenigen 400 € pro Monat koste, von denen der Verwaltungsgerichtshof im Beschluss vom 22. Dezember 2010 ausgegangen ist. Die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers bedingten nicht, dass er das Wohnungsangebot nur eingeschränkt nutzen könne. Die Kosten, die für die Erhaltung seiner Gesundheit erforderlich sind und ihm verbleiben, könne er aufgrund seiner Erwerbstätigkeit tragen. Der Kläger gehe hier von zu hohen Kosten aus, weil er nicht berücksichtige, dass es nur auf den Zeitraum alsbald nach der Abschiebung ankomme, dass ärztliche Behandlungen zu Marktpreisen (außerhalb des staatlichen Gesundheitssystems) nicht erforderlich seien und dass er das Medikament Zyprexa zur Erhaltung seines Gesundheitszustandes in der Zeit alsbald nach der Abschiebung nicht benötige. Die Beklagte vertritt weiter die Auffassung, notfalls könne der Kläger - neben der Unterstützung durch Familienmitglieder in Deutschland und Verwandte in Russland - auf verschiedene Formen staatlicher Unterstützung in Russland zurückgreifen. Schließlich hat die Beklagte dem Kläger zugesichert, ihm einen Betrag von 5.000 € mitzugeben, den er nach eigenem Ermessen für Medikamente oder sonstige Bedürfnisse verwenden kann.

Die Landesanwaltschaft Bayern stellt keinen Antrag.

Sie vertritt die Auffassung, der Kläger lasse die Wirkung der Zurückverweisung durch das Bundesverwaltungsgericht und den Umfang der Bindungswirkung des Revisionsurteils unberücksichtigt, wenn er weiterhin die Rechtsansicht geltend macht, die Rechtsstellung des Klägers umfasse das Refoulementverbot, und den Verwaltungsgerichtshof wegen der gegenteiligen Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts zur Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG auffordert. Die Landesanwaltschaft teilt die Auffassung der Beklagten hinsichtlich der vom Bundesverwaltungsgericht für den vorliegenden Fall näher bestimmten Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Gründe

A) Gegenstand des Berufungsverfahrens ist - entsprechend dem vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gestellten Antrag - die Abschiebungsandrohung in Nr. II des Bescheides vom 27. Februar 2006 sowie die durch den Bescheid vom 21. Dezember 2012 (kurz vor dem Ende der Strafhaft des Klägers) beigefügte Frist für eine freiwillige Ausreise. Die Klage gegen den Bescheid vom 21. Dezember 2012, die aufgrund dessen Rechtsbehelfsbelehrung vom Kläger sicherheitshalber zum Verwaltungsgericht erhoben worden ist (AN 6 K 13.00220), ist wegen der Rechtshängigkeit dieses Bescheids im hiesigen Berufsberufungsverfahren unzulässig (§ 17 Abs. 1 Satz 2 GVG).

I.

Die Antragstellung des Klägers ist sachgerecht, weil die Nr. II des Bescheides vom 27. Februar 2006 die behördliche Entscheidung enthält, die Ausweisung zu vollziehen, und diese Entscheidung durch seine Haftentlassung am 3. Februar 2013 nicht gegenstandslos geworden ist. Bei Bescheiden, die - wie der Bescheid vom 27. Februar 2006 in Nrn. II und III - sowohl von einer Abschiebung aus der Haft heraus als auch von einer Abschiebung nach Fristsetzung sprechen, liegt diese Vollzugsentscheidung trotz des gegenteiligen äußeren Erscheinungsbildes des Bescheides nur einmal vor. Entsprechend den zu empfangsbedürftigen Willenserklärungen im Zivilrecht entwickelten Grundsätzen ist bei Verwaltungsakten nicht auf den wirklichen Willen des Erklärenden (sog. natürliche Auslegung), sondern auf die objektive Erklärungsbedeutung (sog. normative Auslegung), wie sie der Empfänger verstehen musste, abzustellen (st. Rspr. des BVerwG, U. v. 27.6.2012 - 9 C 7.11 - BVerwGE 143, 222, und vom 2.9.1999 - 2 C 22.98 - BVerwGE 109, 283 <286>; BFH, U. v. 26.8.1982 - IV R 31/82 - BFHE 136, 351 m.w.N; vgl. zum Zivilrecht Ellenberger, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 73. Aufl. 2014, § 133 Rn. 7, 9). Der Kläger konnte dem Bescheid vernünftigerweise nicht entnehmen, die Beklagte wolle ihn wegen der Ausweisung zweimal abschieben. Die Behörde wollte durch die Aufspaltung in zwei Tenor-Nummern (die Nrn. II und III ihres Bescheides vom 27. Februar 2006) ersichtlich nur den unterschiedlichen Detailregelungen Rechnung tragen, die § 59 AufenthG für die Abschiebung von Ausländern in Freiheit und von Ausländern in Haft enthält, weil bei dem Bescheidserlass noch nicht absehbar war, welche dieser beiden Detailregelungen anzuwenden sein würde. Nachdem die Behörde ihre Entscheidung, die Ausweisung zu vollziehen, bereits durch Nr. II des Bescheides bekannt gegeben hatte, beschränkte die später vom Verwaltungsgericht rechtskräftig aufgehobene Nr. III des Bescheides vom 27. Februar 2006 - wie auch ihre Einleitung deutlich macht („Sollte Ihre Abschiebung während Ihrer Inhaftierung nicht möglich sein und Sie daher aus der JVA entlassen werden….“) - lediglich die Gültigkeit des Zusatzes „unmittelbar aus der Haft heraus“ in Nr. II des Bescheides auf die Haftzeit und fügte der Abschiebungsandrohung die im Falle eines Aufenthalts des Ausländers in Freiheit gebotene Frist für eine freiwillige Ausreise hinzu (der Umstand, dass in Nr. II des Bescheides die Entscheidung bereits getroffen war, den Kläger nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Ausweisungsverfügung abzuschieben, dürfte auch der Grund dafür gewesen sein, dass sich in der Nr. III des Bescheides nicht erneut die Wendung „nach Unanfechtbarkeit dieser Ausweisungsverfügung“ findet; zur Unabhängigkeit der grundlegenden Entscheidung zum Vollzug der Ausreisepflicht von der Regelung der Ausreisefrist vgl. Hailbronner, AuslR, § 59 AufenthG, Rn. 80,85 ff., Funke-Kaiser in GK AufenthG, Stand 3/2012, § 59 AufenthG Rn. 204 ff., 223, 226 ff. sowie Bauer in Renner/Bergmann/Dienelt, AuslR, 10. Aufl. 2013, § 59 Rn. 13, 23, 25, 63 jeweils mit Rspr.-Nachw.; Aspekte einer solchen Abstraktion der Entscheidung, die Ausreisepflicht durchzusetzen, ergeben sich auch aus § 59 Abs. 1 Satz 6 AufenthG sowie aus dem Umstand, dass die Androhung der Abschiebung aus der Haft lediglich einen in Abs. 5 geregelten Unterfall der als solche in § 59 AufenthG geregelten Abschiebungsandrohung darstellt). Demzufolge ist die Abschiebungsandrohung vom 21. Dezember 2012, die ebenfalls ausdrücklich nur für den Fall Geltung beansprucht, dass eine Abschiebung aus der Haft heraus nicht möglich war, dahingehend auszulegen, dass die Beklagte mit ihr den in Nr. II des Bescheides vom 27. Februar 2006 bereits grundsätzlich verfügten Vollzug der Ausreisepflicht des Klägers lediglich für die Zeit nach der Haftentlassung regeln und mit der dann erforderlichen Fristsetzung versehen wollte. Nachdem die Verfügung in Nr. II des Bescheides vom 27. Februar 2006 bei der Haftentlassung des Klägers bereits durch den Bescheid vom 21. Dezember 2012 - nicht anders als vorher durch Nr. III des Bescheides vom 27. Februar 2006 - neugefasst gewesen ist, ist zu diesem Zeitpunkt nicht die Androhung der Abschiebung durch Nr. II des Bescheides vom 27. Februar 2006 gegenstandslos geworden, sondern lediglich der dortige Zusatz „unmittelbar aus der Haft heraus“.

II.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist weiterhin ein Duldungsbegehren. Der Kläger macht geltend, in Folge der bei ihm bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen werde es zu einer zusätzlichen wesentlichen Beschädigung seiner Gesundheit zum einen schon im Rahmen der Abschiebung selbst kommen - was zutreffendenfalls eine Unmöglichkeit der Abschiebung aus rechtlichen Gründen im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG (mit der Folge eines Duldungsanspruchs) darstellen würde, weil Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG einer Abschiebung mit solchen Folgen entgegensteht (vgl. VGH Baden-Württemberg, B. v. 6.2.2008 - 11 S 2439/07 - juris Rn. 7 und B. v. 10.7.2003 - 11 S 2622/02 - juris Rn. 16; vgl. auch AVwV AufenthG Nr. 60a.2.1.1.2.2) - und zum anderen auch nach der Abschiebung (vor allem wegen einer Unerreichbarkeit der in seiner gesundheitlichen Situation erforderlichen ärztlichen und medikamentösen Behandlung) - was zutreffendenfalls eine erhebliche konkrete Gefahr für die in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG genannten existenziellen Rechtsgüter darstellen würde (zu den Voraussetzungen dieser Bestimmung im einzelnen vgl. B vor I.). Aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG folgt zwar zunächst nur ein Abschiebungsverbot betreffend einen bestimmten Zielstaat und nicht unmittelbar ein Duldungsanspruch, weil grundsätzlich Abschiebungen nicht nur in das Heimatland des Ausländers möglich sind und die streitgegenständliche Ankündigung der Abschiebung auch nicht nur die Russische Föderation benennt; nachdem jedoch kein anderer aufnahmebereiter oder aufnahmeverpflichteter Staat ersichtlich ist, würde ein Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich der Russischen Föderation zu einem Duldungsanspruch führen.

Ein Duldungsbegehren, das auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG und/oder auf § 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG gestützt ist, kann nicht im Rahmen der Anfechtung der Abschiebungsandrohung geltend gemacht werden, denn die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung bleibt der Vorschrift des § 59 Abs. 3 Satz 3 AufenthG zufolge von solchen Abschiebungsverboten unberührt. Der Kläger hat daher zu Recht zusätzlich (sinngemäß) einen Verpflichtungsantrag gestellt, und zwar hilfsweise, weil das Duldungsbegehren als Antrag auf Aussetzung der Abschiebung voraussetzt, dass der Kläger mit seinem Anfechtungsbegehren gegen die Vollzugsregelung selbst (vgl. I.) unterliegt. Die beiden erwähnten Duldungsbegehren haben von Anfang an im Mittelpunkt des Klägervorbringens betreffend den Vollzug der Ausweisung gestanden. Daher schadet es nicht, dass der Kläger erst jetzt die Vorschrift des § 59 Abs. 3 Satz 3 AufenthG bei seiner Antragstellung berücksichtigt hat.

III.

Die Ausweisungsentscheidung in Nr. I. des Bescheides vom 27. Februar 2006 ist nicht mehr Gegenstand des Berufungsverfahrens. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch seinen Beschluss vom 13. März 2009 (1 B 20.08) den Beschluss des Senats vom 3. September 2008 (19 B 07.2762) nur insoweit aufgehoben, als dieser Beschluss die Anfechtung der Abschiebungsandrohung (Nr. II des Bescheides vom 27.2.2006) und damit auch die von dieser Vollzugsentscheidung abhängigen Duldungsbegehren betrifft. Soweit durch diesen Beschluss die Berufung des Klägers gegen den Teil des Urteils des Verwaltungsgerichts zurückgewiesen worden ist, durch den die Ausweisungsentscheidung selbst bestätigt worden ist, hat das Bundesverwaltungsgericht die Senatsentscheidung vom 3. September 2008 aufrechterhalten. Die Ausweisungsentscheidung in Nr. I. des Bescheides vom 27. Februar 2006 ist somit seit dem 13. März 2009 bestandskräftig.

B) Nach dem Ergebnis des Berufungsverfahrens, in dem die vom Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 13. März 2009 und in seinem Urteil vom 22. März 2012 entwickelte rechtliche Beurteilung zu beachten ist, hat das Verwaltungsgericht zu Recht die Klage gegen die Abschiebungsandrohung (versehen mit der Wendung „aus der Haft heraus“, vgl. Nr. II des Bescheides vom 27.2.2006) abgewiesen und auch die geltend gemachten Duldungsgründe nicht anerkannt. Der Vollzug der Ausweisungsverfügung (nunmehr in Form des Bescheides vom 21.12.2012, durch den der Abschiebungsandrohung eine Frist zur freiwilligen Ausreise beigefügt worden ist) ist zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats (auf den es bei der Überprüfung einer Abschiebungsandrohung wie der vorliegenden ankommt, vgl. BVerwG, U. v. 22.3.2012 - 1 C 3/11 - Abschnitt II.1 der Gründe) rechtmäßig; zu einer wesentlichen Verschlechterung der Gesundheit des Klägers wird es mit Wahrscheinlichkeit weder während des Abschiebungsvorganges noch alsbald nach der Abschiebung in die Russischen Föderation kommen. Die Berufung gegen den noch nicht rechtskräftigen (also den Vollzug der Ausweisung betreffenden) Teil des Urteils des Verwaltungsgerichts ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen.

Die Entscheidung, die Ausreise zu vollziehen (Nr. II des Bescheides vom 27.2.2006 in Gestalt des Bescheides v. 21.12.2012), ist rechtmäßig.

Die Problematik, die zur Aufhebung einer Abschiebungsandrohung ähnlich der nun am 21. Dezember 2012 erlassenen (Abschiebungsandrohung in Nr. III des Bescheides vom 27.2.2006 für den Fall des Ablaufs einer Ausreisefrist, die nicht von der Unanfechtbarkeit der Ausweisungsverfügung abhängig ist) durch das insoweit rechtskräftig gewordene verwaltungsgerichtliche Urteil vom 30. Januar 2007 geführt hat, besteht nicht mehr. Während die Ausweisung in Nr. I. des Bescheides vom 27. Februar 2006 zum Zeitpunkt des Urteils des Verwaltungsgerichts nicht vollziehbar gewesen ist und die Voraussetzungen des § 58 Abs. 1 Satz 1 AufenthG daher zu diesem Zeitpunkt nicht vorgelegen haben, liegen diese Voraussetzungen nunmehr vor, weil die Ausweisung durch den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. März 2009 (1 B 20.08) bestandskräftig geworden ist (vgl. oben). Auch sonst liegen die in §§ 58 Abs. 1, 59 AufenthG genannten Voraussetzungen vor. Ein Fall, in dem die Vollzugsregelung gegenstandslos geworden ist, weil dem Ausländer ein Aufenthaltsrecht erteilt worden ist, liegt nicht vor. Der Kläger hat nach der Ausweisung kein Aufenthaltsrecht mehr erworben.

Eine Rechtsstellung, die das Refoulement-Verbot (§ 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 HumHAG und Art. 33 Abs. 1 GFK) umfasst und - mit Blick auf die Vorschrift des § 25 Abs. 2 AufenthG - nicht nur ein Abschiebungsverbot im Sinne des § 59 Abs. 3 Satz 3 AufenthG, das die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung unberührt lässt, begründen würde, genießt der Kläger dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. März 2012 (Az. 1 C 3.11 - Nr. II.1 und 2 der Gründe) zufolge nicht. Der Kläger hätte gegen dieses Urteil Verfassungsbeschwerde erheben können, hat es aber nicht getan. Im hiesigen Verfahren müssen seine verfassungsrechtlichen Einwendungen gegen diese Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts angesichts der Vorschrift des § 144 Abs. 6 VwGO ohne Erfolg bleiben. Auf die Frage, ob die Ausschlussvoraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG vorliegen, kommt es daher nicht an.

Der Kläger hat auch nicht den Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung (Duldung), der im Mittelpunkt seines Vorbringens steht.

Es ist nicht davon auszugehen, dass die Gesundheit des Klägers durch den Abschiebungsvorgang selbst wesentlich beeinträchtigt werden wird; eine Unmöglichkeit der Abschiebung aus rechtlichen Gründen (§ 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) liegt daher nicht vor. Nachdem der Kläger die Verhältnisse in den Vordergrund stellt, die ihn in Russland erwarten, sowie die deswegen von ihm befürchteten (nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu beurteilenden, vgl. unten) gesundheitlichen Beeinträchtigungen, und im Rahmen dieser Ausführungen auch Beeinträchtigungen im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG bereits durch den Abschiebungsvorgang selbst geltend macht, geht auch der Senat auf das letztgenannte Vorbringen im Rahmen seiner Ausführungen zu den im Hinblick auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen ein.

Die anhand des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. März 2012 und dessen übriger Rechtsprechung zu prüfenden Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG für ein Verbot der Abschiebung des Klägers nach Russland sind ebenfalls nicht erkennbar. Dort besteht für den Kläger mit Wahrscheinlichkeit keine erhebliche und konkrete (also: alsbald eintretende) Gefahr für Leib, Leben, Gesundheit oder Freiheit im Sinne dieser Bestimmung. Der Kläger hat kein Asylverfahren durchgeführt, so dass diese Prüfung im ausländerrechtlichen Verfahren vorzunehmen ist (vgl. § 24 Abs. 2 AsylVfG).

Der Maßstab des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist anzuwenden, weil der Gesundheitszustand des Klägers Besonderheiten aufweist, die in vergleichbarer Weise nicht bei einer Vielzahl seiner Landsleute zu finden sind. Nachdem nur eine individuelle Gefahr in Betracht kommt, besteht kein Bedürfnis für eine ausländerpolitische Leitentscheidung gemäß § 60a Abs. 1 AufenthG und greift die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG nicht (BVerwG, U. v. 22.3.2012 - 1 C 3/11; vgl. auch U. v. 17.10.2006 - 1 C 18.05 - BVerwGE 127,33 Rn. 15 f.).

Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer landesweit eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Aus allgemeinen wirtschaftlichen Gründen besteht eine solche Gefahr dann, wenn der Ausländer bei der gebotenen, grundsätzlich generalisierenden Betrachtungsweise ein Leben zu erwarten hätte, das zu Hunger, Verelendung und schließlich zum Tode führt oder wenn er nichts anderes zu erwarten hätte als ein „Dahinvegetieren am Rande des Existenzminimums“ (BVerwG, B. v. 31.7.2002 - 1 B 128.02 - InfAuslR 2002,455, und v. 21.5.2003 - 1 B 298.02 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 270). Mit Blick auf den vorliegenden Fall hat das Bundesverwaltungsgericht die für die Anwendung der Vorschrift von ihm entwickelten Grundsätze in seiner Entscheidung vom 22. März 2012 (1 C 3/11) zusammengefasst. Eine krankheitsbedingte zielstaatsbezogene Gefahr kann sich im Einzelfall daraus ergeben, dass der erkrankte Ausländer eine notwendige und an sich im Zielstaat verfügbare medizinische Behandlung tatsächlich, zum Beispiel aus finanziellen Gründen, nicht erlangen kann (U. v. 29.10.2002 - 1 C 1.02 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 66 zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG 1990). In Fällen einer Erkrankung eher singulären Charakters, wie sie hier vorliegt, sind die Voraussetzungen des genannten Abschiebungsverbots erfüllt, wenn sich die Krankheit des Betroffenen mangels (ausreichender) Behandlung im Abschiebungszielstaat verschlimmert und sich dadurch der Gesundheitszustand wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde (B. v. 14.5.2006 - 1 B 118.05 - Buchholz 402.240 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 16 m. w. N.). Konkret ist die Gefahr, wenn diese Verschlechterung alsbald nach der Abschiebung des Betroffenen einträte (BVerwG, U. v. 25.11.1997 - 9 C 58.96 - BVerwGE 105, 383/387).

Mit dem Begriff „alsbald“ ist einerseits kein in unbestimmter zeitlicher Ferne liegender Termin gemeint (BVerwG, U. v. 27.4.1998 - 9 C 13.97 - InfAuslR 1998,409), andererseits aber auch keine sofortige, gewissermaßen noch am Tag der Ankunft im Abschiebungszielstaat eintretende Entwicklung (BVerwG, U. v. 29.6.2010 - 10 C 10.09 - BVerwGE 137,326). Für die alsbaldige Verschlechterung muss eine beachtliche Wahrscheinlichkeit sprechen (BVerwG, U. v. 17.10.1995 - 9 C 9/95 - BVerwGE 99,329,330 zu § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG); dies ergibt sich bereits aus dem Gefahrbegriff (BVerwG, U. v. 16.4.1985 - 9 C 109/84 - BVerwGE 71, 180, Juris Rn. 17). Es müssen begründete Anhaltspunkte für die Gefahr vorliegen (BVerfG, B. v. 31.5.1994 - 2 BvR 1193/93 - NJW 1994, 2883, Juris Rn. 13). Eine zukünftige Entwicklung ist dann beachtlich wahrscheinlich, wenn bei der zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für die Entwicklung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen (vgl. BVerwG, U. v. 5.11.1991 - 9 C 118/90 - BVerwGE 89,162). Hieraus ergibt sich, dass der Kläger im Schriftsatz vom 29. Januar 2014 zu Recht davon ausgeht, eine vage Hoffnung auf Existenzsicherung lasse eine bestehende Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht entfallen. Hieraus ergibt sich aber auch, dass seine Annahme ohne Grundlage ist, eine alsbaldige wesentliche Verschlechterung der Gesundheit müsse ausgeschlossen sein und es seien staatliche Garantien insoweit erforderlich.

Eine konkrete Gefahr der beschriebenen Art besteht nicht, wenn eine erwerbsfähige Person durch eigene und notfalls auch weniger attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt (einschließlich einer Heilbehandlung, durch die einer wesentlichen oder sogar lebensbedrohlichen Verschlimmerung einer vorhandenen Krankheit vorgebeugt wird) unbedingt Notwendige erlangen kann. Zu den regelmäßig zumutbaren Arbeiten gehören dabei auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs ausgeübt werden können, auch soweit diese Arbeiten im Bereich einer „Schatten- oder Nischenwirtschaft“ stattfinden. Der Verweis auf eine entwürdigende oder eine kriminelle Arbeit - etwa durch Beteiligung an Straftaten im Rahmen „mafiöser“ Strukturen - ist dagegen nicht zumutbar (BVerwG, B. v. 17.5.2006 - 1 B 100/05 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 328; vgl. auch U. vom 1.2.2007 - 1 C 24.06 - InfAuslR 2007,211).

Der Kläger wird nach seiner Rückkehr in die Heimat in der Lage sein, seinen derzeitigen Gesundheitszustand zu erhalten und seinen allgemeinen sowie medizinischen Existenzbedarf zu verdienen, so dass eine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht besteht, und ihm droht - wie insbesondere auf S. 21 und S. 51 dargelegt ist - auch im Rahmen der Abschiebung selbst keine Beeinträchtigung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG (I.). In dem unwahrscheinlichen Fall, dass sich der Kläger nach der Abschiebung zu einem Verzicht auf das Medikament Zyprexa entschließen sollte mit der Folge einer produktivpsychotischen Episode, könnten sich daraus bereits deshalb die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht ergeben, weil die Abschiebung nicht die wesentliche Ursache der Episode wäre (II.). Die Voraussetzungen der genannten Bestimmung wären dann zusätzlich auch deshalb nicht gegeben, weil eine produktivpsychotische Episode mit Wahrscheinlichkeit keine existenzgefährdenden Folgen hätte (III.). In dem nicht wahrscheinlichen Fall eines Scheiterns des Klägers bei der Sicherung des Lebensunterhalts steht ihm hinreichende Unterstützung von verschiedenen Seiten zur Verfügung (IV.).

I.

Der Kläger wird nach seiner Rückkehr in die Heimat in der Lage sein, seinen gesamten Existenzbedarf zu verdienen.

Der Kläger ist arbeitswillig und kann Tätigkeiten ausführen, die ihn körperlich nur leicht belasten (1.). Seine schizophrene Erkrankung steht einer solchen Tätigkeit im Ergebnis nicht entgegen (2.). Er wird in St. Petersburg mit Wahrscheinlichkeit Einkünfte aus einer qualifizierten Tätigkeit erzielen, durch die er seinen Lebensunterhalt einschließlich des Teils der medizinischen Aufwendungen bestreiten kann, der vom kostenlosen staatlichen Gesundheitssystem in Russland nicht getragen wird (3.).

1. Der Kläger, der am ... sein 48. Lebensjahr vollendet hat, ist arbeitswillig und zu einer geistig anspruchsvollen Beschäftigung sowohl in dem von ihm erlernten technischen Bereich als auch in kaufmännischen Bereichen in der Lage (zur psychiatrischen Gesundheitsbeeinträchtigung des Klägers, die einer solchen Beschäftigung nicht entgegensteht, vgl. 2.).

Der Kläger hat bei mehreren Gelegenheiten (gegenüber dem psychiatrischen Gutachter Dr. W. - vgl. die Gutachten vom 12.11.2009 und vom 23.8.2013 - sowie gegenüber seinem Betreuer - vgl. den Betreuerbericht vom 1.12.2013) starkes Interesse an einer Erwerbstätigkeit geäußert.

Der Kläger weist zwar orthopädische Beeinträchtigungen auf und insbesondere eine kardiologische Problematik (nach dem Ersatz von Herzklappen im November 1998). Dem arbeits- und sozialmedizinischen Fachgutachten des Prof. D. vom 19. April 2010 zufolge kann der Kläger aber Tätigkeiten vollschichtig ausführen, die mit einer leichten körperlichen Belastung verbunden sind, wie sie auch im Alltag vorkommen. Tatsächlich hat der Kläger in der Haft, also zu einer Zeit, in der diese Problematik bereits bestanden hat, Arbeit geleistet. Obwohl es sich hierbei um eine eher körperlich als geistig anspruchsvolle Beschäftigung gehandelt hat (Maschinenarbeit), ist weder den vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen noch den Äußerungen des Klägers etwas dafür zu entnehmen, dass er hierdurch überlastet worden oder aus sonstigen Gründen hierzu unfähig gewesen ist (vgl. hierzu auch B.I.2.c,aa am Ende).

Eine Erwerbsfähigkeiten relevante Änderung ist seit der arbeits- und sozialmedizinischen Begutachtung vom 19. April 2010 nicht eingetreten. Der Kläger macht zwar eine Verschlechterung seiner orthopädischen Gesundheitssituation geltend (Schriftsatz vom 16. Mai 2014). Dem Widerspruchsbescheid des Landesversorgungsamtes vom 14. Januar 2014, auf den sich der Kläger beruft (und den er nicht weiter angefochten hat), ist aber zu entnehmen (vgl. S. 3), dass sich der auf der orthopädischen Problematik beruhende Teil der bescheinigten Behinderung seit dem Jahr 1999 gerade nicht wesentlich verändert hat; die vom Kläger hervorgehobene Erhöhung des Gesamt-GdB beruht ausschließlich auf einer veränderten Bewertung der psychiatrischen Problematik (vgl. B.I.2.c, vor aa). Diese behördliche Beurteilung ist auf aktuelle Stellungnahmen der den Kläger behandelnden Orthopäden (vom 25. März 2013 und vom 1. Juli 2013) sowie auf deren Bewertung durch den versorgungsärztlichen Dienst gestützt. Auch im kardiologischen Bereich ist eine Erwerbsfähigkeiten relevante Änderung nicht eingetreten. Dem kardiologischen Gutachten vom 8. April 2013 zufolge hat die Ergometrie keinen wesentlichen Unterschied gegenüber der Messung ergeben, die in dem (im arbeitsmedizinischen Gutachten berücksichtigten) kardiologischen Gutachten vom 9. Februar 2010 mitgeteilt wird. Auch der Grad der Aortenklappeninsuffizienz ist derselbe geblieben. Die bluthochdruckbedingte Herzwandverdickung hat sich leicht zurückgebildet. Das Vorhofflimmern hat sich dem Gutachten vom 8. April 2013 zufolge zwar etabliert. Es ist aber schon seit dem Herzklappenersatz im November 1998 Bestandteil des Symptomatik des Klägers (vgl. den Klinikbericht vom 2.2.1999, Bl. 9 der Schwb-Akte) und auch in der kardiologischen Begutachtung vom 9. Februar 2010 (S. 2 unten) berücksichtigt worden, der zufolge die körperliche Belastbarkeit für leichte Alltagstätigkeiten als ausreichend anzusehen ist und der Kläger bei mittelschweren körperlichen Belastungen durch seine Herzerkrankung limitiert ist. Auch das arbeitsmedizinische Gutachten vom 19. April 2010 bezieht daher das Vorhofflimmern mit ein (vgl. S. 4 oben), wenn es körperlich leichte Tätigkeiten (z. B. Bürotätigkeiten im erlernten Beruf als Ingenieur) vollschichtig für möglich hält (S. 16). Das Fortbestehen dieser Belastbarkeit ergibt sich auch daraus, dass im kardiologischen Gutachten vom 8. April 2013 keine Einschränkung der Belastbarkeitsfeststellung im Gutachten vom 9. Februar 2010 vorgenommen wird, sowie aus der schwerpunktmäßigen Einordnung der Herzproblematik durch das Gutachten vom 8. April 2013 in das Stadium II der NYHA-Klassifikation (Herzerkrankung mit leichter Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit). Der Kläger selbst hilft dem psychiatrischen Gutachten des Dr. W. vom 23. August 2013 zufolge seit seiner Haftentlassung im Haushalt seiner nunmehr 78 -jährigen Mutter (eine Notwendigkeit zusätzlicher externer Hilfen wird nicht erwähnt), und bezeichnet dem Betreuerbericht vom 1. Dezember 2013 zufolge seinen gesundheitlichen Zustand selbst als „gut“. Schließlich setzt der Widerspruchsbescheid des Landesversorgungsamtes vom 21. Januar 2014, dem das vom Senat eingeholte Gutachten des Kardiologen Dr. H. vom 8. April 2013 (Bl. 57 der Schwb-Akte) sowie dessen gleichsinnige Stellungnahme vom 21. August 2013 (Bl. 71 der Schwb-Akte) zugrunde liegt und der vom Kläger nicht angefochten worden ist, die Einzel-GdB für die kardiologischen Beeinträchtigungen des Klägers mit dem Wert 50 fest, der bereits im bisher geltenden Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung N. vom 11. Oktober 1999 (vorgelegt im Verfahren 19 B 07.2762) festgelegt gewesen ist. In der Begründung des Bescheides vom 21. Januar 2014 wird ausgeführt, es liege kein Herzschaden mit Beeinträchtigung der Herzleistung schon bei leichter alltäglicher Belastung vor und ein höherer GdB für das Herzleiden lasse sich nicht begründen. Bei dieser Sachlage fehlt es an hinreichenden nichtpsychiatrischen Anhaltspunkten für die mit Beweisantrag Nr. 3 beantragte Einholung eines ergänzenden arbeitsmedizinischen Gutachtens zum Beweis dafür, dass aufgrund des Gesundheitszustandes des Klägers keine Erwerbsfähigkeit besteht (zur Nichteinholung eines Gutachtens betreffend eine Erwerbsunfähigkeit aus psychiatrischen Gründen vgl. B.I.2.c, bb vor aaa).

2. Der Kläger wird durch seine schizophrene Erkrankung mit Wahrscheinlichkeit weder an der Sicherung seines Lebensunterhalts gehindert werden noch auf sonstige Weise in Existenznot geraten. Das Medikament Zyprexa (Olanzapin) verhindert produktivpsychotische Episoden, und zwar auch bei der Abschiebung selbst, bei der das Episodenrisiko ohnehin gering ist (a). Es besteht keine Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger nach der Abschiebung dieses Medikament absetzen wird (b). Die vom Medikament nicht unterbundene Residualsymptomatik bringt keine wesentlichen Einschränkungen mit sich und hindert den Kläger daher ebenfalls nicht an der Sicherung seines Lebensunterhalts (c).

a) Bei Einnahme des Medikamentes Zyprexa drohen dem Kläger keine produktivpsychotischen Episoden der schizophrenen Erkrankung, so dass es dann bei der Residualproblematik verbleibt.

Der Kläger leidet an einer schizophrenen Erkrankung. Zwar haben die Gutachter über deren diagnostische Einordnung keine abschließende Einigung erzielt. Dr. W. geht in seinem Gutachten vom 18. Oktober 2001 und in seinen späteren Äußerungen von einer undifferenzierten Schizophrenie aus, während Dr. G. in seinem Gutachten vom 21. Juli 2009 von einem Residualsyndrom nach schizophrenen Psychosen auf der Grundlage einer paranoiden Schizophrenie ausgeht. Jedoch handelt es sich bei dieser Divergenz lediglich um eine Wertungsfrage bezüglich der (von den Gutachtern übereinstimmend festgestellten) Symptome (vgl. Dr. W. im Gutachten vom 12.11.2009, S. 35, bzw. um eine unbedeutende Problematik von nicht ausschlaggebendem Belang, vgl. S. 39). Die schizophrene Erkrankung äußert sich (neuroleptisch unbehandelt) in produktivpsychotischen Episoden mit wahnhaften Gedanken, aus denen sich in Einzelfällen aggressive Handlungen unterschiedlichen Ausmaßes ergeben. Außerhalb solcher Episoden äußert sich die schizophrene Erkrankung (mit und ohne Neuroleptikabehandlung) in einem Residuum, das aus verschiedenen wenig ausgeprägten und unauffälligen Symptomen wie Antriebseinschränkung, Affektivitätsbesonderheiten und Besonderheiten des formalen Denkablaufs besteht.

Dem Kläger drohen keine produktivpsychotischen Episoden, wenn er das Neuroleptikum Zyprexa einnimmt. Der Angabe des Klägers vom 17. März 2010 sowie den gutachtlichen Äußerungen des Dr. W. vom 27. Mai 2010 und vom 23. August 2013 zufolge wird der Kläger seit März 2010 mit Zyprexa behandelt. Der Kläger hat seitdem keine wahnhaften Gedanken mehr. Der Stellungnahme desselben Gutachters vom 20. Juli 2010 zufolge (Ergänzung zur Stellungnahme vom 27. Mai 2010) wird durch die Einnahme dieses Medikaments die Rezidivgefahr soweit reduziert, dass von einer „bloßen - gleichsam entfernten - Möglichkeit“ gesprochen werden kann. Auch aus der Stellungnahme vom 23. August 2013 ergibt sich, dass produktivpsychotische Episoden nicht auftreten, ihre Auftretenswahrscheinlichkeit jedenfalls unter 50% liegt, wenn der Kläger das Medikament Zyprexa einnimmt. Der Gutachter geht hier davon aus, die Wiederauftretenswahrscheinlichkeit neuerlicher Krankheitsschübe nehme bei einem Wegfall der Neuroleptikabehandlung auf über 50% zu. Bereits in seiner Äußerung vom 12. November 2009 hat Dr. W. die Neuroleptikabehandlung als die wichtigste Rehabilitations- und Vorbeugungsmaßnahme eingeschätzt; im Hintergrund seiner damaligen Äußerungen zur Wiederholungsgefahr steht das damalige Fehlen einer solchen Behandlung. In seiner Äußerung vom 23. August 2013 geht der Gutachter zwar davon aus, eine Abschiebung bedinge eine deutliche Zunahme des Risikos eines neuerlichen psychotischen Schubs; auch hiermit bringt er jedoch nicht die Erwartung eines produktivpsychotischen Schubs trotz neuroleptischer Behandlung zum Ausdruck. Der Gutachter gibt diese Prognose ausdrücklich „unter Würdigung der aktuell gegebenen Behandlungscompliance“ ab, geht also deshalb von einer Risikozunahme nach der Abschiebung aus, weil er annimmt, der Kläger werde dann das Neuroleptikum weglassen. Diese Annahme beruht darauf, dass der Gutachter die Einnahme der Medikation auf eine entsprechende Motivation durch die „soziale Situation“ des Klägers im Bundesgebiet zurückführt und von der Abschiebung die Beendigung dieser „sozialen Situation“ - und damit der Medikationseinnahme - erwartet (zur Unrichtigkeit der gutachterlichen Annahme, in Russland habe der Kläger keine gleichwertige „soziale Situation“ zu erwarten, vgl. B.I.2.b). Die Auffassung des Gutachters, dass keine Gefahr einer paranoidpsychotischen Episode besteht, solange der Kläger Zyprexa einnimmt, ergibt sich auch aus der weiteren Ausführung im Gutachten vom 23. August 2013 (am Ende), eine alsbaldige Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers sei zu erwarten, wenn dieser in seiner Heimat deutlich schlechtere soziale Rahmenbedingungen vorfinde „und er darüber hinaus keine Medikation mehr“ akzeptiere. Der Gutachter Dr. G. bringt die ausschlaggebende Wirkung von Zyprexa zum Ausdruck, indem er in seinem Gutachten vom 21. Juli 2009 feststellt, dass das Delinquenzrisiko durch die Schizophrenie um ein Mehrfaches erhöht wird und das Fehlen einer kontinuierlichen psychiatrischen Behandlung sich prognostisch besonders ungünstig auswirkt.

Dem Kläger droht auch bei der Abschiebung selbst keine solche Episode; es kommt daher nicht mehr darauf an, dass auch im Falle einer solchen Episode eine erhebliche Gesundheitsverschlechterung, die den Tatbestand des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG erfüllt, noch nicht wahrscheinlich wäre (vgl. B.III). In keinem der vorliegenden Gutachten wird der Abschiebungsvorgang selbst als Auslöser einer solchen Gefahr bezeichnet. Die allgemeine Annahme des Dr. W. im Gutachten vom 12. November 2009, soziale und emotionale Belastungen seien von besonderer Relevanz, begründet nicht die Wahrscheinlichkeit einer durch den Abschiebungsvorgang selbst hervorgerufenen produktivpsychotischen Episode. Der Gutachter gründet diese Annahme auf allgemeine Kenntnisse über Erkrankungen des schizophrenen Formenkreises sowie auf eine Verallgemeinerung der Umstände der bisherigen produktivpsychotischen Episoden des Klägers. Bei genauer Betrachtung ist festzustellen, dass sich alle ärztlich festgestellten produktivpsychotischen Episoden des Klägers in Zeiträumen ohne neuroleptische Behandlung und im Zusammenhang mit intensiven Konflikten im privaten Bereich entwickelt haben, nämlich ganz überwiegend im Zusammenhang mit Familienkonflikten (vgl. nachfolgend lit. b) und einmal im Vorfeld der Tat vom 7. Februar 2001, als der Kläger von einem Geschäftspartner unter extremen und sukzessive sich steigernden Druck gesetzt worden ist. Dr. G spricht in seinem Gutachten vom 21. Juli 2009 von Belastungen durch Auseinandersetzungen mit seinem sozialen Umfeld. Adressat staatlicher Gewalt ist der Kläger mehrfach gewesen (und zwar ohne neuroleptische Behandlung), ohne dass objektive Anhaltspunkte für eine produktivpsychotische Episode oder auch nur für eine (abwehrende) heftige Gemütsbewegung zu Tage getreten sind. Er ist in Untersuchungshaft genommen worden, einem intensiven Ermittlungsverfahren und zweimal mehrtägigen Verhandlungen und Verurteilungen durch das Strafgericht - jeweils mit anschließendem Revisionsverfahren - ausgesetzt gewesen (dem rechtskräftig gewordenen Strafurteil vom 18.12.2003 ist das durch Urteil des BGH vom 12.2.2003 - 1 StR 403/02, BGHSt. 48,207 - aufgehobene Strafurteil des Landgerichts N. vom 15.3.2002 - 5 Ks 103 Js 358/01 - vorausgegangen), ist im Strafvollzug viele Male verschubt und einmal diszipliniert worden. Seinen eigenen Angaben zufolge hat der Kläger während des Strafvollzugs bisweilen wahnhafte Gedanken gehabt (vor allem zu Anfang des Strafvollzugs, als er Probleme mit russischen Mitgefangenen hatte). Er ist mit dieser Wahnproblematik aber zurechtgekommen und sie ist wieder verschwunden; zu einem auffälligen Verhalten des Klägers oder sonstigen Weiterungen hat sie nicht geführt. Bei dieser Sachlage fehlt es an jeglichem Anhaltspunkt dafür, dass durch den behördlichen Vollzug der Abschiebung eine produktivpsychotische Episode ausgelöst wird (zumal durch Begleitpersonen die Einnahme der neuroleptischen Medikation gewährleistet werden kann) oder auch nur eine extreme Aufregung. Die Frage einer ungewöhnlichen kardiologischen Belastung infolge des Abschiebungsvorgangs stellt sich nach allem nicht. Auch unabhängig von der Frage der seelischen Sondersituation ist mit einer solchen Belastung aufgrund des Abschiebungsvorgangs nicht zu rechnen (vgl. Nr. B.I.3 lit. b, S. 51).

b) Es ist nicht wahrscheinlich, dass der Kläger nach der Abschiebung das Medikament Zyprexa absetzen wird mit der Folge, dass produktivpsychotische Episoden mit etwaigen Weiterungen möglich werden.

Dr. W. hält es in seinem Gutachten vom 23. August 2013 zwar für wahrscheinlich, dass der Kläger nach der Abschiebung eine produktivpsychotische Episode entwickelt. Diese Prognose beruht jedoch nicht auf den besonderen fachärztlichen Kenntnissen des Gutachters. Sie beruht auf einer unzutreffenden tatsächlichen Annahme und ist daher unrichtig. Zu dieser vom Gutachten abweichenden Feststellung ist der Senat befugt, da ein Gutachten stets nur Grundlage der Überzeugungsbildung sein kann und diese selbst Aufgabe des Gerichts ist. Will das Gericht eine Frage, für deren Beantwortung es sachverständige Hilfe für erforderlich gehalten hat, im Widerspruch zu dem Gutachten beantworten, muss es die Gründe hierfür in einer Weise darlegen, die dem Rechtsmittelgericht die Nachprüfung erlaubt, ob es das Gutachten zutreffend gewürdigt und aus ihm rechtlich zulässige Schlüsse gezogen hat (st. Rspr., vgl. u. a. BGH, U. v. 22.4.1975 - VI ZR 50/74 - NJW 1975,1463, und v. 13.9.2001 - 3 StR 333/01 - NStZ-RR 2002,259; vgl. auch Schmidt in Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, insb. Rn. 4 u. 7). Der Gutachter meint, die gegenwärtige „soziale Situation“ im Bundesgebiet sei geeignet, den Kläger zur Medikamenteneinnahme zu motivieren, werde jedoch nach der Abschiebung in gleichwertiger Weise nicht mehr bestehen, so dass er auf die Medikation verzichten und dadurch Episoden und deren Weiterungen auslösen werde. Die Beklagte vertritt demgegenüber insbesondere mit ihren detaillierten Ausführungen im Schriftsatz vom 14. Januar 2014 zu Recht die Auffassung, dass die tatsächliche Annahme des Gutachters, nach der Abschiebung werde eine der derzeitigen Situation im Bundesgebiet gleichwertige „soziale Situation“ nicht mehr bestehen, unzutreffend und eine fortlaufende Einnahme des Medikamentes Zyprexa in Russland nicht weniger wahrscheinlich als in Deutschland ist.

Der Gutachter bezeichnet als „soziale Situation“ (später als „soziale Komponente“), die die Einnahme des neuroleptischen Medikaments durch den Kläger begünstige, die Motivation „aktuell vor allem durch die Mutter und durch die Bewährungshilfe (gemeint: durch die Führungsaufsicht); dazu gehört auch ein Arzt, dem - was bei der gegenwärtigen Ärztin der Fall ist - der Kläger vertraut, so dass er die verordnete Medikation akzeptiert“. Aufgrund des Vorschlags des Gutachters Dr. G., eine Betreuung des Klägers herbeizuführen, ist auch die im Oktober 2010 errichtete Betreuung als motivierender Faktor (Teil der „sozialen Situation“) in Betracht zu ziehen.

Jedoch kann der Kläger einen Arzt, zu dem er ein Vertrauensverhältnis aufbauen kann, auch in Russland finden. Der Kläger hat zu der Ärztin Frau M. im Klinikum N. in kürzester Zeit ein Vertrauensverhältnis aufgebaut; sie spricht fließend Russisch; seine Hausärztin in der Zeit nach der Übersiedlung ins Bundesgebiet sprach ebenfalls fließend Russisch (vgl. Bl. 159 der Ausländerakten). Dies spricht dafür, dass dem Kläger der Aufbau eines Vertrauensverhältnisses wesentlich dadurch erleichtert wird, dass die Kommunikation in seiner Muttersprache stattfindet. Den vorliegenden Betreuungsberichten sind keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass die im Bundesgebiet bestellten Betreuer tatsächlich einen erheblichen Beitrag zur kontinuierlichen Einnahme der neuroleptischen Medikation geleistet haben; dies verwundert nicht, nachdem sie ihn nur sporadisch besuchen und keine Haushaltsgemeinschaft mit ihm haben. Eine Zwangsbehandlung kann der Betreuer nach übereinstimmender Auffassung aller beteiligten Gutachter ohnehin nicht herbeiführen (vgl. Nr. II). Im Übrigen ist die staatliche Unterstützung für Personen, die eigene Angelegenheiten eigenständig nicht hinreichend erledigen können, die der Kläger im Bundesgebiet in Form der Betreuung erhält, entgegen der unsubstantiierten Behauptung des Klägers auch im russischen Rechtssystem vorgesehen. Das russische Zivilgesetzbuch, das dem deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch angenähert ist, regelt die Rechtsinstitute der Vormundschaft, der Pflegschaft und der Betreuung (Nußberger, Einführung in das russische Recht, München 2010, JuS-Schriftenreihe, insbesondere S. 121 ff. und 199/200). Für die Annahme, das Verfahren über die Errichtung des einschlägigen Rechtsinstituts über den Kläger werde selbst dann längere Zeit in Anspruch nehmen, wenn ein Notfall vorliegt, fehlt es an sachlichen Anhaltspunkten; nicht anders als im Bundesgebiet besteht auch in Russland die Notwendigkeit, Fälle zu bewältigen, in denen die Gefahr einer geistigen Erkrankung oder die geistige Erkrankung selbst akut ist. Die Errichtung einer Betreuung in Russland kann zudem schon jetzt vorbereitet werden, beispielsweise kann der Kläger mit Hilfe seiner in medizinischer Hinsicht sachkundigen Mutter (Neurochirurgin) und des hiesigen Betreuers die russische Botschaft (zur Weiterleitung an die zuständige russische Stelle) auf seine bevorstehende Abschiebung hinweisen und über seine (gutachterlich dokumentierte) Problematik informieren. Entgegen der Auffassung des Gutachters kommt der Mutter des Klägers hinsichtlich der Medikamenteneinnahme keine wesentliche unterstützende Bedeutung zu. Sie ist 78 Jahre alt (am ... geboren) und zu 80% schwerbehindert. Angesichts dessen ist auch fraglich, wie lange sie noch versuchen kann, auf den Kläger einzuwirken. Zum anderen hat sie (von der Haftzeit abgesehen) stets entweder mit ihm zusammen oder in seiner Nähe gewohnt, jedoch weder verhindern können, dass der Kläger nach seinen Aufenthalten in einem psychiatrischen Krankenhaus in den Jahren 1990 (27.1. bis 15.2., vgl. S. 21 des Strafurteils) und 1991 (5.2. bis 5.3., a. a. O.) jeweils die Medikation wieder abgesetzt hat, noch bewirken können, dass er auf die produktivpsychotischen Episoden in den Jahren 1992 und 1998 hin ein Neuroleptikum eingenommen hat. Der Betreuungsbericht vom 5. Juni 2013 deutet darauf hin, dass der Kläger etwa ein Vierteljahr nach seiner Haftentlassung und Übersiedlung zu seiner Mutter erneut eigenständig die Medikation abgesetzt hat. Die tatsächlichen Umstände der Mehrzahl der bisherigen produktivpsychotischen Episoden des Klägers deuten sogar darauf hin, dass die Mutter des Klägers für diesen ein erhebliches Risiko darstellt, selbst wenn ihre Anwesenheit für ihn mit wirtschaftlichen und auch einzelnen persönlichen Vorteilen verbunden ist. Die Mutter des Klägers besitzt ein dominantes Wesen (Strafurteil vom 18.12.2003 S. 4; Angaben von Frau Dr. E. Zufolge dem Gutachten des Dr. N. vom 19.10.1998, Bl. 159 der Ausländerakten); das vom Versorgungsamt eingeholte Gutachten vom 7. September 1999 spricht von einer pathologischen Mutterbeziehung; der Kläger selbst hat seine Mutter zufolge dem Gutachten des Dr. G. vom 21. Juli 2009 als den „Chef“ zuhause bezeichnet. Familiäre Spannungen, die in Handgreiflichkeiten des Klägers vor allem gegen sie gemündet haben, haben im Mittelpunkt der Mehrzahl der bisherigen produktivpsychotischen Episoden gestanden (vgl. u. a. das Gutachten des Dr. W. vom 18.10.2001 und das Attest des Klinikums N. vom 6.2.2013). Der Kläger ist der Auffassung, seine Eltern hätten seine Schwestern ihm vorgezogen (vgl. das Gutachten des Dr. N. vom 13.10.1998 sowie die Stellungnahme des Dr. We. vom 12.11.1998 und das Attest des Klinikums N. vom 6.2.2013). Dr. G. 2009 erörtert in seinem Gutachten vom 21. Juli 2009 die Möglichkeit eines Zuzugs des Klägers zu seiner Mutter nach der Haftentlassung, befürwortet aber einen solchen Zuzug wegen des Risikos familiärer Auseinandersetzungen für die Auslösung produktivpsychotischer Episoden letztlich nicht. Die im Gutachten des Dr. W. vom 23. August 2013 angesprochene Führungsaufsicht („Bewährungshilfe“) vermag die Neuroleptika-Einnahme ebenfalls nicht nachhaltig zu gewährleisten. Auflagenverstöße (vorliegend: ein Weglassen des Neuroleptikums) sind zwar strafbewehrt. In der strafgerichtlichen Praxis beschränkt sich die Ahndung aber - anders als bei einem Verstoß gegen Bewährungsauflagen - auf Geldstrafen. Darüber hinaus endet die Führungsaufsicht in wenigen Jahren. Weiterhin spricht viel dafür, dass der Kläger seine Kontaktschwierigkeiten in Russland wesentlich leichter als in Deutschland überwinden und auf diese Weise ein stützendes soziales Umfeld aufbauen kann. Der Kläger ist in Sankt Petersburg aufgewachsen, hat dort seine Sozialisation erfahren und seine Schul- und Berufsausbildung absolviert. Er hat dort (psychiatrisch erkrankt, jedoch überwiegend unbehandelt) mehrere Jahre gearbeitet und als Selbstständiger erfolgreich Kontakte geknüpft (vgl. Nr. B.I.2 lit. c, bb, bbb, aaaa). Der Kläger hat zwar in den 16 Jahren seines Aufenthalts im Bundesgebiet die deutsche Sprache besser gelernt; er hat aber immer noch gewisse Verständigungsschwierigkeiten, wie der Dolmetschereinsatz in der Verhandlung des Betreuungsgerichts vom 14. Oktober 2010 und mehrere Bemerkungen im Gutachten Dr. W. vom 23. August 2013 belegen. Seine Kontakte und Geschäftstätigkeiten im Bundesgebiet sind wenig integrationsförderlich gewesen. Sie haben - wie vor allem dem Strafurteil vom 18. Dezember 2003 zu entnehmen ist - überwiegend exilrussischen Charakter gehabt. Wie eben erwähnt bevorzugt der Kläger russischsprachige Ärzte und vermag schnell ein Vertrauensverhältnis zu ihnen aufzubauen. Wie seine beiden Reisen wenige Wochen vor der Tat vom 7. Februar 2001 belegen, verfügt der Kläger über Kontakte in Russland. Angesichts des Akteninhalts und der vorliegenden Angaben hat der Senat davon auszugehen, dass der Kläger auch Verwandte in Sankt Petersburg hat. Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass eine Kontaktaufnahme zu seinen Verwandten den Kläger so stark belasten könnte, dass eine alsbaldige wesentliche Verschlechterung seines Gesundheitszustandes zu befürchten wäre, bestehen nicht (vgl. IV.). Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Kläger etwa 25.000 € Schulden und aufgrund dessen die eidesstattliche Versicherung vor einem Gerichtsvollzieher nach § 802c Abs. 3 ZPO abgegeben hat. Bei Erwerbsanstrengungen im Bundesgebiet wäre der Kläger hierdurch von vornherein stark seelisch (vgl. Dr. G. im Gutachten vom 21.7.2009) und materiell belastet. Ein Wohnsitzwechsel nach Russland würde die Problematik praktisch erledigen, weil deutsche Gerichtsentscheidungen in Russland nicht vollstreckt werden.

c) Der Kläger weist außerhalb produktivpsychotischer Episoden eine Residualsymptomatik auf, die auch durch Neuroleptika nicht zu beseitigen ist. Sie hindert den Kläger aber weder daran, seinen Lebensunterhalt in Russland zu sichern, noch beeinträchtigt sie sein Leben im Übrigen wesentlich. Aus der Tatsache, dass die psychiatrische Einzel-GdB im bestandskräftig gewordenen Bescheid des Landesversorgungsamtes vom 21. Januar 2014 auf 50 festgelegt worden ist, während sie 20 im vorher geltenden Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung N. vom 11. Oktober 1999 (vorgelegt im Verfahren 19 B 07.2762) betragen hat, ergibt sich nichts anderes. Mit der im Bescheid vom 11. Oktober 1999 bewerteten seelischen Störung hat das Versorgungsamt die im Gutachten vom 7. September 1999 (Bl. 27 der Schwb-Akte) gestellte Diagnose einer depressiven Neurose bei selbstunsicherer Persönlichkeit und pathologischer Mutterbeziehung umgesetzt. Die Erhöhung der psychiatrischen Einzel-GdB (mit der Folge einer Erhöhung der Gesamt-GdB) durch den Widerspruchsbescheid vom 21. Januar 2014 beruht darauf, dass das Versorgungsamt im Widerspruchsverfahren das vom Betreuungsgericht eingeholte psychiatrische Gutachten vom 26. August 2013 beigezogen und auf dieser Grundlage (mit den Worten „Residualzustand nach seelischer Krankheit“) erstmals berücksichtigt hat, dass der seelischen Störung eine Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis zugrunde liegt. Nachdem sich aus den vorliegenden psychiatrischen Gutachten - das Gutachten des Dr. W. vom 23. August 2013 eingeschlossen - ergibt, dass die Residualsymptomatik keine wesentliche Einschränkung des Klägers bedingt (aa), und nachdem auch die Erwerbsbiografie des Klägers keine Anhaltspunkte für eine negative Erwerbsprognose liefert (bb), fehlt es auch im Bereich der seelischen Gesundheit an hinreichenden Anhaltspunkte für eine Einholung des mit Beweisantrag Nr. 3 begehrten ergänzenden arbeitsmedizinischen Gutachtens zum Beweis dafür, dass aufgrund des Gesundheitszustandes des Klägers keine Erwerbsfähigkeit besteht (zum Fehlen nichtpsychiatrischer Anhaltspunkte für die Einholung eines derartigen Gutachtens vgl. B.I.1.).

aa) Die Tatsache, dass die Residualsymptomatik den Kläger nicht wesentlich beeinträchtigt, ergibt sich zunächst daraus, dass Dr. W. in seinem Gutachten vom 23. August 2013 weder schwerwiegende psychopathologische Auffälligkeiten noch eine wesentliche Beeinträchtigung der kognitiven Leistungsfähigkeit des Klägers feststellt, der seit März 2010 mit Zyprexa behandelt wird; ein geringgradiges Antriebsdefizit zieht er lediglich in Betracht. Dr. W. führt aus, die noch vorhandenen Einschränkungen der Denkabläufe seien nicht eindeutig; der Gutachter meint, der Eindruck solcher Einschränkungen könne auch aufgrund des unterschiedlichen kulturellen Hintergrundes oder infolge von Verständnisschwierigkeiten entstanden sein. Dies ist nachvollziehbar, nachdem die Residualsymptomatik schon in den früheren Gutachten, bei deren Erstellung der Kläger neuroleptisch noch unbehandelt gewesen ist, als unauffällig und nicht ausgeprägt beschrieben worden ist. In seinem Gutachten vom 12. November 2009 hat Dr. W. der Residualsymptomatik insbesondere eine Einschränkung des Antriebs, Besonderheiten der Affektivität sowie Besonderheiten des formalen Denkablaufs zugeordnet (wie Weitschweifigkeit und Redebeiträge, die an gestellten Fragen vorbeigehen) und diese Symptomatik als nicht ausgeprägt, geringgradig und nach außen nicht auffallend bewertet. Bei seiner Erörterung der zwischen den Gutachtern umstrittenen Frage, wie die übereinstimmend festgestellten Symptome diagnostisch einzuordnen sind, hebt Dr. W. noch einmal die Geringgradigkeit dieser Symptome besonders hervor und verweist darauf, dass sie auch in der JVA - trotz des engen sozialen Zusammenlebens dort - nicht aufgefallen sind (die in der JVA tätigen Ärzte sind noch im Frühjahr 2010 davon ausgegangen, dass der Kläger in psychiatrischer Hinsicht nicht behandlungsbedürftig ist, vgl. die Klägerschriftsätze vom 12.2.2010 und vom 17.3.2010 im Verfahren 19 B 09.824; auch den JVA-Berichten über den Strafvollzug ist nichts für ungewöhnliche Eigenschaften oder Verhaltensweisen des Klägers zu entnehmen, vgl. etwa den JVA-Bericht vom 19.1.2006, Bl. 301 der Ausländerakte). In diesem Sinn hatte sich Dr. W. auch schon im Gutachten vom 18. Oktober 2001 geäußert. Auch der Gutachter Dr. G. hat in seinem Gutachten vom 21. Juli 2009 von „diskreten“ Einschränkungen gesprochen, ähnlich das Attest des Klinikums N. vom 6. Februar 2013, in dem der psychische Zustand des Klägers als stabil bezeichnet wird. Dem psychiatrischen Gutachten B. vom 26. August 2013, das im Betreuungsverfahren eingeholt und auch im Widerspruchsbescheid des Landesversorgungsamtes zugrunde gelegt worden ist, ist ebenfalls zu entnehmen, dass die Residualsymptomatik nur mit geringgradigen Einschränkungen verbunden ist; u. a. vermerkt der Gutachter, der Kläger habe trotz der Sprachbarriere auch die schwierigste Frage der (testweise gestellten) Unterschiedsfragen verschiedenen Schwierigkeitsgrades beantwortet. Die Betreuung in den Bereichen der Gesundheitsfürsorge und der Aufenthaltsbestimmung wurde weiterhin für erforderlich gehalten wegen der eventuellen Notwendigkeit, den Kläger der nervenärztlichen Heilbehandlung zuzuführen und über seine Unterbringung zu entscheiden, die dem übrigen Gutachtensinhalt zufolge nur bei einem Verzicht auf die Neuroleptikabehandlung eintreten kann. Die Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern wurde dem jeweiligen Betreuer des Klägers, der noch immer mit Sprachschwierigkeiten zu kämpfen hat (vgl. u. a. den Bericht des Führungsaufsehers vom 23.5.2013 in der Betreuungsakte), insbesondere deshalb übertragen, weil Anträge auf Rente, Altersversorgung, Sozialhilfe sowie auf Integrationshilfen nach der Haftentlassung im Raum gestanden haben. Bei diesen Finanz- und Verwaltungsangelegenheiten handelt es sich um komplexe Vorgänge, bei denen regelmäßig auch Personen fachlicher Unterstützung bedürfen, die im Bundesgebiet aufgewachsen sind, die deutsche Sprache vollständig beherrschen und keine psychiatrische Beeinträchtigung aufweisen. Eine Darlegung, welche Teile gerade der Residualsymptomatik einer sachgerechten Erledigung dieser Angelegenheiten entgegenstehen, ist den Betreuungsgutachten nicht zu entnehmen. Die von allen Gutachtern festgestellte Geringgradigkeit dieser Symptomatik spricht gegen eine solche Ursächlichkeit. Die Gutachter aus nichtpsychiatrischen Fachgebieten (Kardiologe, Orthopäde, Arbeitsmediziner) referieren umfangreiche anamnestische Angaben des Klägers ohne jede Andeutung von Kommunikationsschwierigkeiten oder Verhaltensauffälligkeiten. Die Unauffälligkeit der Residualsymptomatik wird schließlich auch durch die Berichte der ihm bestellten Betreuer bestätigt. Die Betreuer erwähnen derartige Symptome nicht, sondern legen dar, der Kläger sei im Umgang sehr angenehm, er führe sich sehr gut und sei kooperativ (Betreuerbericht vom 4.11.2013); er mache einen stabilen Eindruck, sei ruhig, angenehm und zuverlässig (Betreuerbericht vom 1.12.2013). Insgesamt ist den im Betreuungsverfahren eingeholten Stellungnahmen und gefassten Beschlüssen nichts für eine eingeschränkte Erwerbsfähigkeit des Klägers zu entnehmen.

Der Umstand, dass der Kläger in der Haft nur kurzzeitig als Arbeiter eingesetzt worden ist, liefert keinen Anhaltspunkt für die Annahme, die Residualsymptomatik stehe einer erfolgreichen Erwerbstätigkeit des Klägers in Russland entgegen.

Den Mitteilungen des Klägers, der die Arbeit mit Werkzeugmaschinen für die Zeit nach der Haftentlassung in Erwägung gezogen hat, ist zu entnehmen, dass er nicht als einer der stärksten Leistungsträger eingeschätzt worden ist, die auch bei kleiner Auftragslage eingesetzt werden, sondern als einer der (grundsätzlich durchaus verwendbaren) Mitarbeiter, die erst eingesetzt werden, wenn der JVA-Betrieb größere Auftragsvolumina abzuarbeiten hat (vgl. die im Gutachten des Dr. W. vom 12.11.2009 - zu Nr. 4 - wiedergegebenen Angaben des Klägers). Es kommt in Betracht, dass diese betriebsseitige Einschätzung auf persönlichen Eigenschaften ohne Bezug zu gesundheitlichen Einschränkungen beruht (wie wohl bei dem größten Teil der Erwerbstätigen, die nicht zur stärksten Leistungsgruppe gehören). In Betracht zu ziehen ist aber auch die Möglichkeit, dass diese Einschätzung die betriebsseitige Umschreibung desjenigen Teils der Residualsymptomatik darstellt, der von den Gutachtern mit den Begriffen „Antriebsdefizit“ und „Verlangsamung“ bezeichnet worden ist. In jedem Fall läuft die betriebsseitige Einschätzung weder auf eine fehlende Erwerbsfähigkeit noch auf eine wesentlich geminderte Erwerbsfähigkeit hinaus und bestätigt damit, dass die Residualsymptomatik mit keinen wesentlichen Einschränkungen des Klägers verbunden ist. Nachdem die Arbeitslosigkeit in Russland und insbesondere in Zentren wie St. Petersburg niedrig ist (vgl. B.I.3 lit. a, aa), ist es wahrscheinlich, dass auch der Kläger einen solchen Arbeitsplatz finden würde.

Im Übrigen ist es zwar nachvollziehbar, wenn der Kläger die Arbeit in der Justizvollzugsanstalt in den Vordergrund stellt, nachdem es sich hierbei um seine letzte Arbeitserfahrung handelt. Seinem Fähigkeitenprofil entspricht jedoch nicht die ihm im JVA-Betrieb abgeforderte, eher die Körperkraft beanspruchende Serienarbeit, sondern eine Tätigkeit in technischen und/oder kaufmännischen Bereichen, in denen es nicht auf eine schnellstmögliche Abarbeitung von Stückzahlen ankommt (vgl. B.I.1) und diesbezügliche Defizite daher - wie auch an den erfolgreichen Geschäften des Klägers in Russland und Deutschland ersichtlich (vgl. B.I.2. lit. c, bb, bbb, aaaa) - keine Rolle spielen.

bb) Die Gutachter Dr. G. und Dr. W. haben dem Kläger eine überwiegend negative Erwerbsprognose gestellt. Dr. G. hat in seinem Gutachten vom 21. Juli 2009 ausgeführt, für die Zeit nach einer möglichen Entlassung sei wieder mit den seit Anfang der 90er Jahre bestehenden Schwierigkeiten zu rechnen, sich in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren; auch Dr. W. hat in seinem Gutachten vom 12. November 2009 die Auffassung vertreten, es werde dem Kläger wahrscheinlich schwerfallen, einer regulären Berufstätigkeit nachzugehen. In seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 23. August 2013 nimmt Dr. W zwar keine Bewertung der Erwerbsbiografie des Klägers mehr vor; er geht jedoch hier auf das Gutachten des Dr. G. vom 21. Juli 2009 detailliert ein und nimmt die selbst erstellte Begutachtung vom 12. November 2009 in Bezug, ohne hinsichtlich dieses Aspekts eine neue Sichtweise zu entwickeln. Die negative Erwerbsprognose der Gutachter bezieht sich in erster Linie auf ein Erwerbsleben im Bundesgebiet, denn diese Gutachten sind überwiegend nicht zur gegenwärtigen Fragestellung erstattet worden (das Gutachten des Dr. G. vom 21.7.2009 zur Frage der Strafrestaussetzung zur Bewährung; das Gutachten Dr. W. vom 12.11.2009 zu den tatsächlichen Ausweisungsvoraussetzungen). Der Senat geht aber davon aus, dass Gründe, die ein Scheitern des Klägers im deutschen Erwerbsleben begründen würden, auch ein Scheitern im russischen Erwerbsleben herbeiführen würden.

Die Äußerungen der beiden Gutachter rechtfertigen aber nicht die Erwartung eines Fehlschlags des Klägers bei Erwerbsbemühungen. Die Gründe, die der negativen Erwartung der Gutachter zugrunde liegen, sind - anders als die psychiatrischen Grundlagen (Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis, produktivpsychotische Episoden in bestimmten Fällen bei fehlender Neuroleptikabehandlung, Residualproblematik) - nicht fachmedizinischer, sondern tatsächlicher Natur, denn sie sind der Erwerbsbiografie des Klägers während bestehender psychiatrischer Erkrankung entnommen. Die Auswertung aller vorhandenen Informationen über diese Erwerbsbiografie ergibt, dass deren negative Bewertung durch die Gutachter, die insoweit über deutlich weniger Informationen als das Gericht verfügt haben, nicht bzw. nicht mehr zutrifft. Der Senat ist daher zu der Feststellung in der Lage, dass die Erwerbsprognose nicht negativ, sondern positiv ist. Seit März 2010 drohen dem Kläger infolge der Medikation mit Zyprexa keine produktivpsychotischen Episoden mehr (aaa). Die Erwerbsbiografie des Klägers ist von den psychiatrischen Gutachtern Dr. G. und Dr. W. auf einer unzutreffenden Tatsachengrundlage negativ bewertet worden; tatsächlich liefert sie aber keine Anhaltspunkte für eine negative Erwerbsprognose (bbb). Nachdem sich die Frage der Erwerbsfähigkeit des Klägers in psychiatrischer Hinsicht anhand der medizinischen Feststellungen in den vorliegenden psychiatrischen Gutachten in Verbindung mit der (zutreffend ermittelten) Erwerbsbiografie des Klägers beantworten lässt und im Ergebnis zu bejahen ist, war den diesbezüglichen Beweisanträgen (Nrn. 1 lit. b, 2 lit. e < soweit er eine Arbeitsstelle betrifft > und 3 sowie dem letzten in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag) nicht nachzukommen.

aaa) Die Äußerungen betreffend einen Misserfolg des Klägers am Arbeitsmarkt sowohl in dem Gutachten des Dr. G. vom 21. Juli 2009 als auch in dem Gutachten des Dr. W. vom 12. November 2009 gründen wesentlich auf dem Umstand, dass der Kläger im Jahr 2009 neuroleptisch noch unbehandelt gewesen ist (dem Gutachten vom 12.11.2009 zufolge eine solche Behandlung auch abgelehnt hat) und den Gutachtern über kürzlich erlebte Wahnvorstellungen berichtet hat. Zwar haben diese Wahnvorstellungen in der JVA nicht zu Weiterungen geführt; sie sind von Außenstehenden nicht einmal bemerkt worden. Nachdem sie jedoch prägendes Kennzeichen produktivpsychotischer Episoden des Klägers sind, ist es nachvollziehbar, wenn die Gutachter davon ausgehen, dass ihr Auftreten im Rahmen einer Arbeitssuche oder im Rahmen einer Erwerbstätigkeit des Klägers erwerbsgefährdende Auswirkungen haben könnte, und die neuroleptische Behandlung für unabdingbar halten. Jedoch nimmt der Kläger seit nunmehr vier Jahren ein Neuroleptikum ein. Die neuroleptische Unbehandeltheit, die für die negative Erwartung der Gutachter betreffend die Erwerbschancen des Klägers (auch) maßgeblich gewesen ist, trifft somit nicht mehr zu. Seit dem Beginn dieser Medikamentierung im Bundesgebiet gibt es keine Anzeichen mehr für Wahnvorstellungen und Episoden. In seiner gutachterlichen Äußerung vom 23. August 2013 bezeichnet Dr. W. die Symptomatik als deutlich gebessert. Betreffend die Erwerbschancen des Klägers äußert er nur noch „Skepsis“, die er mit „der vorliegenden Erkrankung und nach wie vor bestehenden Einschränkungen im Hinblick auf die Antriebsleistung sowie Besonderheiten des formalen Denkablaufs“ begründet. Diese Residualsymptomatik hat der Gutachter jedoch in derselben Äußerung als jedenfalls nicht schwerwiegend, nur geringgradig und nicht wesentlich bewertet; sie stellt keine ausreichende Grundlage für eine negative Erwerbsprognose dar (vgl. B.I.2 lit. c, aa).

bbb) Die Gutachter Dr. G. und Dr. W. begründen ihre pessimistischen Erwerbsprognosen darüber hinaus nicht mit spezifisch psychiatrischen Feststellungen, sondern mit der Erwerbsbiografie des Klägers bis zu seiner Inhaftierung. Dies ist im Ansatz nachvollziehbar, denn im Falle solcher Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit in früheren Phasen der Grunderkrankung wären vergleichbare Beeinträchtigungen auch in Zukunft zu erwarten. Die Einschätzung der Gutachter ist aber dennoch unzutreffend. Sie steht zum einen in Widerspruch zu deren eigener Feststellung einer Residualsymptomatik ohne wesentliche Einschränkungen (vgl. B.I.2 lit. c, aa). Zum anderen beruht sie auf unzutreffenden Tatsachenannahmen. Dr. G. meint in seinem Gutachten vom 21. Juli 2009 der Erwerbsbiografie des Klägers einen deutlichen Leistungseinbruch entnehmen zu können, und erklärt diesen Leistungseinbruch mit der schizophrenen Erkrankung des Klägers. Die Beklagte kommt jedoch zu einer anderen Bewertung der Erwerbsbiografie des Klägers; sie vertritt die Auffassung, eine Arbeitsunfähigkeit aufgrund der psychiatrischen Erkrankung sei nicht ersichtlich (Schriftsätze vom 23.8.2012 und vom 27.3.2014). Diese Auffassung ist zutreffend. Dr. G. geht zu Unrecht von einem deutlichen Nachlassen der beruflichen Leistungsfähigkeit des Klägers aus (aaaa). Die gleichgeartete Annahme des Gutachters Dr. W. in seiner Äußerung vom 12. November 2009 ist ebenfalls ohne Grundlage (bbbb). Daher hat der Senat im Ergebnis nicht von einer eingeschränkten beruflichen Leistungsfähigkeit des Klägers auszugehen; er hat nur die übrige Residualsymptomatik zugrunde zu legen, die keine wesentlichen Einschränkungen des Klägers beinhaltet.

aaaa) Dr. G geht in seinem Gutachten vom 21. Juli 2009 davon aus, dass es dem Kläger zwar gelungen sei, die Schule problemlos zu durchlaufen und die Ausbildung zum Funkingenieur erfolgreich abzuschließen, und dass er dann eine Stelle in einem Produktionsunternehmen für Radios gehabt habe, diese aber aufgrund der Krankheit nach nur eineinhalb Jahren verloren habe und dann in Russland und später auch in Deutschland es nicht vermocht habe, eine seiner verschiedenen Geschäftsideen erfolgreich umzusetzen und mit selbstständigen Tätigkeiten sein Geld zu verdienen (an anderer Stelle: dass es ihm nach der erstmaligen stationären Behandlung psychotischer Symptome - in zeitlichem Zusammenhang mit dem Arbeitsplatzverlust - weder in Russland noch später in Deutschland gelungen ist, beruflich wieder Fuß zu fassen und an die im Rahmen der schulischen Laufbahn zu Tage getretene Leistungsfähigkeit anzuknüpfen). Dr. G. ist ersichtlich der Auffassung, dass ein Leistungsbild des Klägers, das sich in gleichartiger Weise sowohl bei der Angestelltentätigkeit des Klägers in Russland als auch während seiner Selbstständigkeit dort sowie während seiner Videofilmgeschäfte in Deutschland abzeichnet, einen verlässlichen Schluss auf die Erwerbsfähigkeit nach der Haftentlassung zulässt. Die von Dr. G. angenommene grundsätzliche Wende der Erwerbsbiografie ins Negative zu Beginn der 90er Jahre hat aber nicht stattgefunden. Der Kläger ist zwar möglicherweise durch produktivpsychotische Episoden in seinem Erwerbsleben beeinträchtigt worden, außerhalb dieser Episoden aber geschäftlich erfolgreich gewesen. Ein einheitliches (und damit verlässliches) Leistungsbild während verschiedener Phasen der Erwerbstätigkeit ab dem Beginn der 90er Jahre liegt vor; es ist jedoch nicht negativ, sondern eher positiv.

Der Kläger hat Anfang des Jahres 1990 eine produktivpsychotische Episode erlitten; den vom Strafgericht ausgewerteten Krankenunterlagen aus Russland zufolge ist er vom 27. Januar 1990 bis zum 15. Februar 1990 in einem psychiatrischen Krankenhaus stationär behandelt worden (die Mutter des Klägers - zitiert im Gutachten des Dr. W. vom 18.10.2001 - hat dessen Psychiatrieaufenthalte nur grob und jeweils ein Jahr später datiert, seinen ersten Psychiatrieaufenthalt also auf das Jahr 1991). Dem Arbeitsbuch des Klägers zufolge (Bl. 113 der Akte des Verwaltungsgerichts) hat diese Episode nicht zu einer Beendigung seiner Tätigkeit als Ingenieur für Fertigungstechnik geführt; hierzu ist es erst etwa ein Jahr später gekommen, nämlich am 5. Februar 1991. Die Angabe des Klägers gegenüber Dr. G., er habe die Stelle als Funkingenieur in einem Produktionsbetrieb für Radios nach eineinhalb Jahren verloren, spricht zwar für eine Zuordnung des Vorgangs zum Jahr 1990; für die Richtigkeit des im Arbeitsbuch vermerkten Datums spricht jedoch, dass es mit dem Tag identisch ist, an dem der Kläger den vom Strafgericht ausgewerteten medizinischen Unterlagen zufolge erneut wegen einer Episode in ein psychiatrisches Krankenhaus gebracht worden ist. Die von Dr. G. interpretierten anamnestischen Angaben des Klägers sind auch im Übrigen fragwürdig und drücken ganz überwiegend subjektives Empfinden aus; eine Darstellung der konkreten Gründe für die Beendigung der (dem Arbeitsbuch zufolge) etwa zweieinhalbjährigen Angestelltentätigkeit enthalten sie nicht. Dem Attest der Institutsambulanz des Klinikums N. vom 6. Februar 2013 zufolge hat der Kläger dort angegeben, seine Ingenieurstelle selbst gekündigt zu haben; ebenso hat sich der Kläger bei der Anamnese im Rahmen des Gutachtens des Dr. W. vom 18. Oktober 2001 geäußert. Das Attest vom 6. Februar 2013 enthält auch Angaben des Klägers, die die Beendigung der Angestelltentätigkeit in einen Zusammenhang mit einer Erpressung im beruflichen Umfeld stellen sowie (allerdings unter Nennung des Jahres 1990) eine produktivpsychotische Episode des Klägers beschreiben. Dem Gutachten des Dr. W. vom 18. Oktober 2001 zufolge hat der Kläger eine der produktivpsychotischen Episoden dahingehend detailliert, „dass man in Russland einmal versucht habe, ihn zu erpressen“. Im Strafurteil vom 18. Dezember 2003 (Seite 5) wird ebenfalls eine der produktivpsychotischen Episoden (das Strafurteil spricht von Episoden „in den Jahren 1990/1991“) auf eine Erpressung des Klägers zurückgeführt. Schließlich hat die Mutter des Klägers dem Gutachten des Dr. W. vom 18. Oktober 2001 zufolge eine produktivpsychotische Episode darauf zurückgeführt, dass er wegen „der Perestroika“ arbeitslos geworden sei; sie hat damit auf die Teilliberalisierung und teilweise Beseitigung der sozialistischen Wirtschaftsordnung Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre Bezug genommen, die - wie allgemein bekannt - gerade zu Beginn der 90er Jahre einen regelrechten Verfall der russischen Wirtschaft zur Folge gehabt hat. Für die von der Mutter des Klägers angegebene Begründung für die Beendigung der Angestelltentätigkeit des Klägers könnte nicht nur diese zeitgeschichtliche Übereinstimmung, sondern auch der Umstand sprechen, dass es sich bei dem Radiohersteller um einen Staatsbetrieb gehandelt hat (Angabe des Klägers laut dem Gutachten des Dr. W. vom 18.10.2001). Demzufolge sind als Gründe für die (möglicherweise durch Kündigung im Vorfeld einer Entlassung erfolgte) Beendigung der Angestelltentätigkeit des Klägers der allgemeine Verfall der russischen Wirtschaft Anfang der 90er Jahre, strafrechtliche Vorgänge im Umfeld des Klägers oder/und eine produktivpsychotische Episode in Betracht zu ziehen. Für eine Verursachung durch die Residualsymptomatik liegen keine tragfähigen Anhaltspunkte vor. Weder der Kläger noch seine Mutter hat den Arbeitsplatzverlust in einen Zusammenhang mit einer Antriebseinschränkung oder mit einer der anderen diskreten Beeinträchtigungen gestellt, die der Kläger außerhalb von Episoden aufweist.

Die Annahme im Gutachten des Dr. G. vom 21. Juli 2009, dem Kläger sei nach der Beendigung seiner Arbeit für den Radiohersteller (auch in Russland) eine erfolgreiche Erwerbstätigkeit nicht mehr gelungen, verfügt über keine hinreichende Grundlage; zahlreiche Anhaltspunkte sprechen gegen sie.

Es spricht nichts dafür, dass der Kläger nach seiner Entlassung aus der Klinik am 5. März 1991 im Erwerbsleben nur eingeschränkt leistungsfähig gewesen ist. Der Kläger ist seinem Arbeitsbuch zufolge vom 1. April 1991 bis zum 1. August 1993 als Fachmann für Warenkunde und vom 1. September 1993 bis zum 1. Dezember 1996 als Vorarbeiter („Polier“) eines Bau- und Montagebereichs beschäftigt gewesen. Der Kläger selbst hat allerdings bei der Anamneseerhebung durch Dr. G. von einer anderweitigen Angestelltentätigkeit in Russland nichts berichtet. Bei anderen Gelegenheiten hat er nur sehr allgemein von einer kaufmännischen Tätigkeit bei verschiedenen Firmen gesprochen (Strafurteil vom 18.12.2003, Seite 4; Gutachten des Dr. W. vom 18.10.2001). In die Erwerbstätigkeit als Fachmann für Warenkunde fällt die weitere produktivpsychotische Episode im Jahr 1992, die nur ambulant behandelt worden ist (vgl. das Gutachten des Dr. G. vom 21.7.2009) und offensichtlich keine Auswirkungen auf das Beschäftigungsverhältnis gehabt hat. Dem Vorbringen des Klägers und seiner Mutter sowie den sonstigen insoweit aussagekräftigen Unterlagen (insbesondere dem Arbeitsbuch) ist nichts dafür zu entnehmen, dass die Erwerbstätigkeit des Klägers in diesen insgesamt etwa fünfeinhalb Jahren durch die Residualsymptomatik nachteilig beeinflusst worden wäre.

Anschließend (vielleicht auch schon als Nebenbeschäftigung in der letzten Zeit seiner Angestelltentätigkeit) ist der Kläger selbstständig erwerbstätig gewesen. Dr. G. nimmt in seinem Gutachten vom 21. Juli 2009 an, es sei dem Kläger nicht gelungen, eine seiner verschiedenen Geschäftsideen erfolgreich umzusetzen und mit einer selbstständigen Tätigkeit sein Geld zu verdienen. Jedoch deutet die Angabe des Klägers gegenüber dem Gutachter Dr. N. (Gutachten vom 13.10.1998 auf die produktivpsychotische Episode vom Frühjahr 1998 hin), er habe Videofilme (Spielfilme, Dokumentar- und Kriegsfilme) landesweit verkauft, auf einen erfolgreichen Verlauf dieser gewerblichen Tätigkeit hin. Hierfür sprechen auch die im Gutachten des Dr. W. vom 18. Oktober 2001 zitierten (später durch Ausführungen seiner Mutter bestätigten) Angaben des Klägers, denen der Gutachter entnimmt, dass es dem Kläger gelungen ist, stabile Rahmenbedingungen für seine selbstständige Tätigkeit herzustellen (vgl. auch die inhaltsgleiche Äußerung des Gutachters Dr. W. in der Hauptverhandlung, wiedergegeben auf S. 65 des Strafurteils vom 18.12.2003), sowie die Angaben seiner Mutter, denen zufolge der Kläger hohe Erwartungen hinsichtlich des Gewinns hatte, den sein Cousin mit dem vom Kläger aufgebauten Geschäft (dem Cousin im Rahmen der Ausreise übergeben) erzielen sollte. Den Angaben des Klägers bei seiner Untersuchung in der Institutsambulanz des Klinikums N. (Attest vom 6.2.13) ist zu entnehmen, dass er durch seine selbstständige Tätigkeit in Russland mehr verdient hat als vorher als Ingenieur. Auch bei seiner Befragung durch den Gutachter Dr. W. im Vorfeld des Gutachtens vom 18. Oktober 2001 hat der Kläger seine berufliche Veränderung mit „finanziellen Interessen“ begründet. Die Angaben des Klägers gegenüber Dr. G. betreffend eine krankheitsbedingte Verlangsamung seiner selbstständigen Tätigkeit sind keine geeignete Grundlage für die von Dr. G. vorgenommene Bewertung. Der Kläger hat ansonsten einen solchen Zusammenhang nicht hergestellt. Zufolge des Gutachtens des Dr. W. vom 18. Oktober 2001 hat der Kläger damals dem Gutachter mitgeteilt, es seien die Medikamente gewesen, die ihn langsam gemacht hätten. Dem Gutachten des Dr. W. vom 12. November 2009 zufolge hat der Kläger wenige Monate nach seiner Begutachtung durch Dr. G. erneut angegeben, dass er den Eindruck habe, unter Medikamenten verlangsamt zu sein; im gleichen Sinn hatte sich in der nichtöffentlichen Sitzung des Betreuungsgerichts vom 14. Oktober 2010 geäußert, in der ein Russisch-Dolmetscher zugegen gewesen ist (Bl. 156 der Betreuungsakte), gegenüber dem Neurologen Dr. B. (vgl. dessen Stellungnahme vom 22.8.1012) und bei der Befragung durch Dr. W. im Vorfeld des Gutachtens vom 23. August 2013. Der Umstand, dass der Kläger bei seinen anamnestischen Angaben gegenüber Dr. G. emotional teilweise stark bewegt, teilweise nivelliert und teilweise dissoziiert gewesen ist (vgl. insbesondere S. 11 und 28 des Gutachtens) und seine vorausgegangene mehrjährige Angestelltentätigkeit in den 90er Jahren (dokumentiert in dem Arbeitsbuch, das er im verwaltungsrechtlichen Verfahren selbst vorgelegt hat) ganz überwiegend vernachlässigt hat, sprechen dafür, dass die Angaben des damals neuroleptisch noch nicht behandelten und an einer Strafrestaussetzung zur Bewährung interessierten Klägers wenig verlässlich sind. Es kommt hinzu, dass der Gutachtensinhalt auf Verständigungsschwierigkeiten bei der Erhebung der Anamnese durch Dr. G. hindeutet. Auf S. 45 des Gutachtens gibt der Gutachter die Mitteilung der JVA wieder, mangelnde Sprachkenntnisse des Klägers hätten einer Gewalttherapie entgegengestanden; der Gutachter setzt dieser Mitteilung keinen gegenteiligen Eindruck entgegen, sondern bestätigt sie mittelbar durch Benennen weiterer Hinderungsgründe für eine Gewalttherapie. Die Exploration hat offensichtlich teilweise in russischer und teilweise in deutscher Sprache statt gefunden: einerseits wurde wegen der „nicht ausreichenden Sprachkenntnisse des Probanden“ ein Dolmetscher für die russische Sprache hinzugezogen (vgl. S 2/3), andererseits die „oberfränkische Sprachfärbung“ des Klägers vermerkt (S. 12). Nicht nur die von Dr. G. zitierten Angaben zum geringen Geschäftserfolg stehen in einem auffälligen Widerspruch zu Angaben des Klägers, die dieser bei anderen Gelegenheiten gemacht hat. In den Mittelpunkt der Beschreibung seiner Geschäftstätigkeit in Russland hat der Kläger mehrfach Videofilme gestellt (vgl. insbesondere das Strafurteil vom 18.12.2003 Seite 4); diese scheinen im Gutachten des Dr. G. vom 21. Juli 2009 in keiner Weise auf.

Nach seiner Übersiedlung in das Bundesgebiet im Herbst 1997 hat der Kläger die deutsche Sprache nicht schulmäßig erlernt; er ging zunächst keiner Erwerbstätigkeit nach und erhielt Sozialhilfe (S. 5 des Strafurteils). In diese Zeit fällt die produktivpsychotische Episode vom Frühjahr 1998, die gutachterlich festgehalten, jedoch nicht medikamentös behandelt worden und wieder abgeklungen ist.

Der Kläger hat dann in der Zeit vor der Straftat vom 7. Februar 2001 einen Handel mit illegal vervielfältigten russischsprachigen CDs und Videos aufgebaut. Dem Gutachten des Dr. G. vom 21. Juli 2009 zufolge hat der Kläger bei der Gutachtensanamnese insoweit lediglich angegeben, die Geschäfte seien „zunächst“ nicht gut gelaufen, so dass er von Sozialhilfe habe leben müssen. Zur Entwicklung der Geschäfte nach dieser wenig erfolgreichen (wie bei Geschäftseröffnung nicht vollkommen ungewöhnlich) Anfangsphase ist dem Gutachten nichts zu entnehmen. Das Strafurteil vom 18. Dezember 2003 (zur st. Rspr. des BVerwG betreffend die Geltung strafgerichtlicher Feststellungen im Ausweisungsverfahren vgl. B. v. 24.2.1998 InfAuslR 1998,221) stellt jedoch fest, der Handel habe ein größeres Ausmaß erreicht (S. 31); es spricht von einem florierenden Geschäft (S. 32), durch das der Kläger erhebliche Gewinne erzielt habe (S. 57), und bewertet diesen Handel auf der Grundlage des Marktwerts des in der Wohnung des Klägers gefundenen Materials und des Umfangs der von ihm getätigten Geldgeschäfte (Strafurteil S. 8 ff. und S. 30 ff.) als „äußerst lukrativ“ (Seiten 3 und 29 des Strafurteils). Aus den Feststellungen des Strafgerichts in diesem Zusammenhang ergibt sich eine erhebliche Geschäftstüchtigkeit des Klägers (beispielsweise hat er demzufolge noch wenige Wochen vor der Straftat vom 7.2.2001 zwei Reisen nach Russland zum Zweck des CD- und Video-Handels unternommen). Aufgrund des geschäftlichen Erfolges, der auch deshalb plausibel ist, weil sich der Kläger dabei in einem Bereich bewegt hat, der ihm sprachlich und fachlich vertraut gewesen ist, hat der Kläger geplant - zusammen mit seinem späteren Opfer, das gut Deutsch sprach und im Umgang mit Behörden erfahren war -, den CD- und Videohandel offiziell und in größerem Stil (und nicht mehr nur mit illegalem Material, sondern auch mit legalem) von einem angemieteten Ladenlokal aus zu betreiben. Dem Gutachten des Dr. W. vom 18. Oktober 2001 und dem Strafurteil vom 18. Dezember 2003 zufolge war eine konkrete Lokalität bereits in die engere Wahl gezogen worden.

bbbb) Die Ausführung des Dr. W. im Gutachten vom 12. November 2009, dem Kläger sei es im Vorfeld der Inhaftierung nicht gelungen „eine stabile berufliche Situation herzustellen“, beruht nicht auf eigenen Feststellungen oder fachlichen Erkenntnissen des Gutachters. Mit dieser Ausführung übernimmt Dr. W. lediglich die gleichsinnige Annahme des Dr. G. im Gutachten vom 21. Juli 2009, ohne sich fundiert eine eigene Überzeugung zu bilden.

In seinem Gutachten vom 18. Oktober 2001 und in seiner Erläuterung dieses Gutachtens vor dem Strafgericht (vgl. S. 65 des Strafurteils vom 18.12.2003) hatte Dr. W. noch angegeben, die Erkrankung habe das Leben des Klägers nicht sehr beeinträchtigt; er habe sein Studium (Hochfrequenztechnik, Diplom im Jahr 1988) abschließen können und (nach der Angestelltentätigkeit bei einem Radiohersteller) einer selbstständigen Tätigkeit nachgehen können, wobei er stabile Rahmenbedingungen hergestellt habe. Trotz der Residualsymptomatik sei der Verlauf symptomarm gewesen; nach den Episoden Anfang der 90er Jahre sei der Gesundheitszustand des Klägers gebessert gewesen und lange Zeit stabil geblieben; der Kläger habe trotz fehlender Medikation einer beruflichen Tätigkeit nachgehen können. In seinem Gutachten vom 12. November 2009, bei dessen Abfassung ihm das Gutachten des Dr. G. vom 21. Juli 2009 vorgelegen hat, bewertet Dr. W. nunmehr die bisherige Erwerbstätigkeit des Klägers entgegengesetzt, legt seine Gründe für seine Meinungsänderung jedoch nicht dar. Dr. W. nimmt zwar Bezug auf sein Gutachten vom 18. Oktober 2001 und fügt sogar einen mehrseitigen Auszug daraus in sein neues Gutachten ein, jedoch nicht den Abschnitt betreffend den symptomarmen Verlauf nach den Episoden Anfang der 90er Jahre; mit diesem Abschnitt setzt er sich auch nicht inhaltlich auseinander. Die ergänzende Anamnese, die Dr. W. Im Vorfeld seines Gutachtens vom 12. November 2009 erhoben hat, erstreckt sich nicht auf die Erwerbsbiografie (vgl. S. 25 ff.). Aus all dem ergibt sich, dass der Gutachter Dr. W. mit der Ausführung im Gutachten vom 12. November 2009, dem Kläger sei es im Vorfeld der Inhaftierung nicht gelungen „eine stabile berufliche Situation herzustellen“, die gleichsinnige Bewertung in dem kurz vorher erstellten Gutachten des Dr. G. übernommen hat, ohne diese Bewertung im Hinblick auf ihre Grundlagen und die eigene frühere (entgegengesetzte) Bewertung kritisch zu würdigen und zu hinterfragen.

3. Aufgrund seiner Erwerbsfähigkeit wird der Kläger seinen Lebensbedarf einschließlich der auf ihn fallenden Gesundheitsaufwendungen finanzieren können.

Nach den vorliegenden Informationen wird der Kläger deutlich mehr verdienen als die in der Botschaftsäußerung vom 26. November 2010 genannten Beschäftigten im Durchschnitt. Es spricht Überwiegendes für eine entsprechende qualifizierte Beschäftigung; es sind aber auch keine Gründe ersichtlich, die einer Selbstständigkeit des Klägers in einer der ihm bereits bekannten Branchen oder in einer anderen (jedenfalls legalen) Branche mit einem verfügbaren Gewinn entgegenstehen, der solchen Arbeitseinkünften vergleichbar ist. Bei der Prüfung der Frage, ob der Kläger seinen existenziellen Bedarf (den medizinischen eingeschlossen) nach der Rückkehr nach Russland mit Wahrscheinlichkeit decken können wird, geht der Senat hinsichtlich Einkommen, allgemeinem Existenzminimum und Wohnungskosten zunächst von den Beträgen aus, die bei einer Rückkehr im Jahr 2010 hätten zugrunde gelegt werden müssen, weil die Botschaft entsprechende Angaben im Jahr 2010 geliefert hat (a). Dem Ergebnis dieser Bilanz stellt der Senat die alsbald nach der Übersiedlung erforderlichen Gesundheitsaufwendungen gegenüber, für die die Botschaft erst vor kurzem noch Informationen geliefert hat (b). Die Gegenüberstellung von Beträgen aus dem Jahr 2010 und von aktuellen Beträgen ist möglich, weil Informationen über die Entwicklung des Realeinkommens, zu dem die bei lit. a erörterten Beträge gehören, Gegenstand des Verfahrens sind (c).

a) Das monatliche Nettoeinkommen einer Person mit den Fähigkeiten des Klägers liegt - bezogen auf das Jahr 2010 - deutlich über 16.100 R (aa), so dass nach Abzug des Existenzminimums 2010 von 4481,2 R (bb) und Wohnungskosten 2010 von weniger als 8148 R (cc) ein Betrag von deutlich über 3465 R verbleibt. Dieser Betrag, der für Gesundheitsaufwendungen eingesetzt werden kann, entsprach im Jahr 2010 etwa 85 €.

aa) Die wirtschaftliche Situation in Russland ist wesentlich günstiger als bei der Übersiedlung des Klägers ins Bundesgebiet im Jahr 1997. Seit dem Jahr 2000 haben sich die Realeinkünfte der russischen Bevölkerung im Durchschnitt mehr als verdoppelt; der unterhalb der Armutsgrenze lebende Bevölkerungsanteil hat sich halbiert. Aufgrund der Wirtschaftskrise vor wenigen Jahren ist die Arbeitslosigkeit zwar erheblich angestiegen und hat im Februar 2009 einen Höchststand von 9,4% erreicht (vgl. Auswärtiges Amt, Länderinformation zur Russischen Föderation, Stand März 2011, vorgelegt von der Klägerseite zusammen mit der Revisionserwiderung vom 3.5.2011 im Verfahren BVerwG 1 C 3.11). Nunmehr ist sie aber wieder auf das Niveau vor der Wirtschaftskrise zurückgegangen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 10.6.2013, Abschnitt IV.1.1); sie liegt derzeit Russland unter 6%, im zentralen Föderalbezirk mit Sankt Petersburg wenig über 3% (Germany Trade & Invest - Gesellschaft zur Außenwirtschaftsförderung der Bundesrepublik Deutschland -, Lohn und Lohnnebenkosten in Russland, April 2012, S. 7/8). Dies bedeutet, dass in St. Petersburg faktisch Vollbeschäftigung herrscht, also sogar ungelernte Kräfte einen Arbeitsplatz finden.

Für eine erfolgreiche Existenzgründung des Klägers in Sankt Petersburg spricht, dass er hier mehr als 30 Jahre lang gelebt hat, so dass ihm die örtlichen Grundstrukturen bekannt sind. Er hat zudem Verwandte in Sankt Petersburg (vgl. IV.), die ihn bei der Stellensuche oder sonstigen Existenzgründung unterstützen können. Solche Bemühungen sind ihm mithilfe der vielfältigen Telekommunikationsmöglichkeiten auch jetzt schon möglich. Der Stellungnahme der Deutschen Botschaft in Moskau vom 8. November 2013 zufolge können sich von Arbeitslosigkeit Betroffene in Sankt Petersburg darüber hinaus beim Arbeitsamt melden, das bei der Arbeitssuche behilflich ist, bei Bedarf Umschulungen bezahlt und in dieser Zeit die Kranken, Renten- und Sozialversicherung übernimmt. Die Beweisanträge Nr. 2 lit. c und d sind nicht geeignet, diese Auskunft in Frage zu stellen (vgl. IV.).

Zusätzliche Hilfe kann der Kläger auf der Grundlage des staatlichen Programms zur Unterstützung im Ausland lebender Personen russischer Sprache erhalten, die auf das Territorium der Russischen Föderation zurückkehren wollen („Programm Landsleute“). Dieses zum 1. Juni 2007 in Kraft getretene Förderprogramm soll der sinkenden Bevölkerungszahl in Russland entgegenwirken; Rückkehrwilligen werden ein Arbeitsplatz und Unterstützung bei der Wohnungssuche zugesichert (http://www.russland.ru/schlagzeilen/morenews.php?iditem=55450 und http://www.ornispress.de/hindernislauffuerrueckkehrer.1208.0.html). Zwar scheinen diese Zusicherungen nicht immer effektiv zu sein; die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Existenzgründung des Klägers wird jedoch durch das Rückkehrerprogramm weiter erhöht. Durch eine Antragstellung vom Bundesgebiet aus kann der Kläger zu einer beschleunigten Aufnahme in das Rückkehrerprogramm beitragen. Anhaltspunkte dafür, dass die besonderen Umstände des Klägers Ausschlussgründe darstellen könnten, liegen nicht vor. Die erklärte Rückübernahmebereitschaft der russischen Behörden spricht gegen ein russisches Interesse, die Reintegration des Klägers zu erschweren.

Aufgrund der Tatsache, dass dem Kläger infolge seiner krankheitsbedingten Einschränkungen nur leichte Tätigkeiten zuzumuten sind, hat der Senat mit Schreiben vom 24. August 2010 im Verfahren 19 B 09.824 bei der Botschaft nach dem Durchschnittsverdienst einer Bürokraft in Sankt Petersburg gefragt und von dort die Monatsverdienste von Ladenverkäufern, Callcenter-Mitarbeitern, Dispatchern, Buchhaltern und Kellnern mitgeteilt erhalten (Stellungnahme der Botschaft vom 26.11.2010). Jedoch spricht mehr für eine erheblich qualifiziertere Tätigkeit des Klägers. Der Kläger ist nach gutachterlicher Beurteilung überdurchschnittlich intelligent, hat im Jahr 1988 an einer russischen Hochschule für Hochfrequenztechnik die Ausbildung zum Rundfunk- und Fernsehingenieur mit dem Diplom abgeschlossen hat und in diesem Beruf auch schon gearbeitet. Der Kläger ist zwar seit vielen Jahren nicht mehr als Ingenieur tätig gewesen und kann deshalb nicht übergangslos eine solche Beschäftigung erneut ausüben. Seine akademische Ausbildung spricht jedoch dafür, dass er über ein vertieftes Grundwissen sowie über die Fähigkeit verfügt, sich in Neuentwicklungen einzuarbeiten. Diese selbstständige Fortbildungsfähigkeit ergibt sich auch aus den Akten (vgl. die Angaben des Klägers in der Sitzung des Betreuungsgerichts vom 14.10.2010 sowie das Attest des Klinikums N. vom 6.2.2013). Das arbeits- und sozialmedizinische Gutachten des Prof. D. vom 19. April 2010 hält eine Tätigkeit im erlernten Beruf als Ingenieur für denkbar. Ihrer Äußerung vom 27. Juli 2010 zufolge geht auch die deutsche Botschaft in Moskau davon aus, dass der Kläger seine Vorbildung als Ingenieur auf dem russischen Arbeitsmarkt verwerten kann. Selbst wenn der Kläger die Befähigung eines kontinuierlich beschäftigten Ingenieurs nicht erreichen sollte, wird er deutlich qualifizierter verwendet werden können als in den im Wesentlichen nur angelernten Tätigkeiten, die die deutsche Botschaft am 26. November 2010 angeführt hat. Seine kaufmännischen Fähigkeiten hat der Kläger schon vor der Übersiedlung ins Bundesgebiet unter Beweis gestellt, sowohl als Arbeitnehmer als auch als Selbstständiger; in Deutschland ist er geschäftlich (wenn auch illegal) ebenfalls erfolgreich gewesen (vgl. B.I.2 lit. c, bb, bbb). Bei diesen Fähigkeiten handelt es sich im Wesentlichen um persönliche Eigenschaften, auf die der Zeitablauf keine oder viel geringere Auswirkungen hat als auf Fachwissen.

Der monatliche Durchschnittsverdienst in den von der Botschaft am 26. November 2010 genannten Tätigkeiten hat damals bei etwa 18.500 Rubel gelegen (die Botschaft hat Monatsverdienste zwischen 14.000 und 23.000 Rubel genannt). Der in Russland von ortsansässigen Arbeitnehmern zu zahlende Einkommensteuersatz liegt bei 13% (zu Sozialversicherungsbeiträgen werden russische Arbeitnehmer nicht herangezogen, vgl. S. 5 und 7 der bereits zitierten Broschüre der Germany Trade & Invest: Lohn und Lohnnebenkosten in Russland) so dass der Netto-Durchschnittsverdienst im Jahr 2010 bei etwa 16.100 R gelegen hat. Es liegt auf der Hand, dass ein russischer Staatsangehöriger, der - wie der Kläger - zum einen unternehmerische Fähigkeiten und Geschäftstüchtigkeit besitzt (die er sowohl selbstständig als auch unselbstständig einsetzen kann) und zum anderen zu einer selbstständigen Aktualisierung veralteten Ingenieurwissens befähigt ist, deutlich mehr verdienen kann.

bb) Der Botschaftsäußerung vom 26. November 2010 zufolge hat damals der monatliche Mindestbedarf für Lebenshaltungskosten (Wohnung ausgenommen) nach dem russischen Sozialhilfegesetz bei 4481,2 Rubel gelegen.

cc) Hinsichtlich seiner Unterkunft ist der Kläger nicht bereits dann existenzgefährdet, wenn ihm kein abgeschlossenes 1-Zimmer-Apartment zur Verfügung steht (BVerwG, U. v. 22.3.2012 - 1 C 3.11). Die deutsche Botschaft in Moskau hat in ihrer Stellungnahme vom 8. November 2013 mitgeteilt, sie könne die Frage nach kostengünstigeren Unterkunftsmöglichkeiten für den Kläger nicht konkret beantworten; in St. Petersburg bestehe aber die Möglichkeit, Makler, Zeitungsinserate und Internet zu nutzen und in einem Einzelzimmer oder in einer Wohngemeinschaft unterzukommen. Demzufolge gibt es kostengünstige Unterkunftsmöglichkeiten für Alleinstehende in Sankt Petersburg. Angesichts des Erfahrungswissens und der Nachforschungsmöglichkeiten der Botschaft stellt dies eine für die Prognose verwertbare Information dar.

Nur beispielhaft weist der Senat darauf hin, dass dem Internet, auf das die Botschaft unter anderem verwiesen hat, zu entnehmen ist, dass in St. Petersburg, wo der größte Teil der Bevölkerung in bescheidenen, weitgehend von der früheren Wohnraumbewirtschaftung geprägten Verhältnissen wohnt, noch immer eine traditionelle Form der Wohngemeinschaft sehr verbreitet ist („Kommunalka“), bei der sich mehrere Parteien eine Wohnung in der Weise teilen, dass ein Teil (Zimmer) den privaten Lebensbereich bildet, die Sanitär- und Kücheneinrichtungen aber gemeinsam genutzt werden. Der im Schriftsatz vom 16. Mai 2014 zitierten Veröffentlichung „Die Hauptstadt der Kommunalkas“ (Bauwelt 24.10) zufolge leben auf diese Weise noch mehr als eine halbe Million St. Petersburger, was gegen eine Begrenztheit auf besonders problematische Bevölkerungsgruppen spricht. Die städtischen Pläne, die Kommunalkas durch moderne Wohnformen zu ersetzen, kommen seit Jahrzehnten nicht voran (vgl. die im Schriftsatz vom 16.5.2014 zitierte Internet-Veröffentlichung „Petersburg wird seine Kommunalkas nicht los“) und sind daher für die Zeit alsbald nach der Abschiebung unerheblich.

Den Beweisanträgen auf Einholung eines psychiatrischen Gutachtens zum Beweis dafür, dass eine zwangsweise Unterkunft in einer sog. „Kommunalka“ oder in einer anderen Form von Gemeinschaftsunterkunft zu einer alsbaldigen Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers führen würde (Beweisantrag Nr. 1 lit a), sowie zum Beweis dafür, dass der Kläger, soweit er nicht mehr bei seiner Mutter bleiben kann, auf eine Unterkunft in beschützter Umgebung für geistig behinderte Erwachsene angewiesen ist (Beweisantrag Nr. 1 lit. c), konnte aus mehreren Gründen nicht Rechnung getragen werden. Der Beweisantrag Nr. 1 lit. a ist zunächst nicht erheblich, weil der Kläger weder nur in Gemeinschaftsunterkünften unterkommen kann noch zu einer speziellen Unterkunft („zwangsweisen Unterkunft“) genötigt ist. Darüber hinaus sind beide Beweisanträge unsubstantiiert, weil keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Kläger von einer auf ihn zugeschnittenen Wohnform nicht nur profitieren würde, sondern auf einen ruhigen isolierten Wohnraum mit einer Rückzugsmöglichkeit oder gar auf eine Unterkunft für geistig behinderte Erwachsene zur Vermeidung einer Gesundheitsverschlechterung tatsächlich angewiesen und unfähig zum Wohnen in einer Gemeinschaftswohnung ist. In St. Petersburg lebt noch mehr als eine halbe Million Menschen in Kommunalkas (Bauwelt 24/2010 als Anlage zum Klägerschriftsatz vom 16.5.2014; die im selben Schriftsatz in Bezug genommene Internet-Veröffentlichung von Russland-Aktuell spricht von 744.000 Personen oder 15% der Stadtbevölkerung). Aus dieser Zahl ergibt sich, dass in Kommunalkas alle persönlichen Eigenschaften und nicht etwa nur randständige Persönlichkeiten anzutreffen sind. Das Attest der Institutsambulanz des Klinikums N. vom 6. Februar 2013, das von einem „ruhigen isolierten Wohnraum mit einer Rückzugsmöglichkeit“ spricht, stellt keinen Anhaltspunkt dafür dar, dass der Kläger auf einen ruhigen isolierten Wohnraum mit einer Rückzugsmöglichkeit angewiesen, also unfähig zum Wohnen in einer Gemeinschaftswohnung ist. Das Attest ist erstellt worden, als sich der drei Tage vorher aus der JVA entlassene und nun zur Wohnungnahme in einer Gemeinschaftsunterkunft verpflichtete (Art. 4 Abs. 1 Satz 1, Art. 1 AufnG; § 1 Abs. 1 AsylbLG) Kläger erstmals in der psychiatrischen Institutsambulanz des Klinikums vorgestellt hat. Aufgrund des Attests ist eine Befreiung von dieser Verpflichtung ausgesprochen worden (vgl. die von der Beklagten mit Schriftsatz vom 27.6.2013 vorgelegten Unterlagen). Das Attest ist somit zur Stützung des Antrags auf Befreiung von der Verpflichtung zum Wohnen in einer Gemeinschaftsunterkunft erstellt worden, in der alleinstehende Männer nicht selten in Mehrbettzimmern untergebracht sind. Der Maßstab des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt dem Attest nicht zugrunde. Die Verfasser des Attests nehmen keinen Bezug auf Akten oder Gutachten. Das Attest ist ausschließlich anhand der vielfach sehr subjektiven Angaben des Klägers und seiner Mutter verfasst worden (vgl. etwa die Darstellung der Straftat vom 7.2.2001). Das Klinikum berücksichtigt bei dem Verfassen des Attests lediglich die Pauschalität der ausländerrechtlichen Zielsetzungen, auf denen die Wohnungnahmeverpflichtung beruht, den Umstand, dass der Kläger psychiatrisch beeinträchtigt ist, sowie die sich bei oberflächlicher Betrachtung aufdrängende Möglichkeit des Wohnens bei der Mutter. Das Konfliktpotenzial der Beziehung zwischen dem Kläger und seiner Mutter scheint zwar andeutungsweise in der Anamnese auf; die abschließende Stellungnahme des Klinikums zum Befreiungsantrag würdigt jedoch ausschließlich die positiven Aspekte dieser Beziehung. Eine differenzierte Abwägung, inwieweit der Kläger in einer Gemeinschaftsunterkunft leben kann, insbesondere wenn eine andere Unterkunftsmöglichkeiten nicht besteht, und eine Berücksichtigung eines konkreten Maßes der Gemeinschaftlichkeit (die bis zum Schlafraum reichen kann, sich aber auch - wie in der traditionellen Kommunalka in Sankt Petersburg - auf die Küchen- und Badeinrichtungen beschränken kann) ist dem Attest nicht zu entnehmen. Die medizinische Begründung („schwere psychotische Erkrankung mit einer bekannt niedrigen Reizschwelle“) lässt sowohl die Tatsache außer acht, dass der Kläger - neuroleptisch unbehandelt und dennoch ohne Entwicklung einer produktivpsychotischen Episode - neun Jahre unter Strafgefangenen verbracht hat (insgesamt zwölf Jahre), unter denen nach seiner eigenen Angabe (Klägerschriftsatz vom 29.2.2008 im Verfahren 19 B 07.2762) Gewalt herrscht, als auch den durch die Behandlung mit Zyprexa erreichten Gesundheitszustand. Das Attest enthält auch keine differenzierte Erwägung zur Frage, in welchem Zeitraum (unter welchen Umständen) die Entstehung einer produktivpsychotischen Episode im Falle des Fehlens eines ruhigen isolierten Wohnraums mit einer Rückzugsmöglichkeit zu erwarten wäre. Nachdem der Kläger nicht aus Gesundheitsgründen auf eine Unterkunft in beschützter Umgebung für geistig behinderte Erwachsene angewiesen ist, ist die Frage unerheblich, ob dem Kläger in der Russischen Föderation eine solche Wohnsituation zur Verfügung steht, und war der hierzu gestellte Beweisantrag Nr. 2 lit. e (Alternative 2) abzulehnen.

Auch die Möglichkeit, dass der Kläger jedenfalls in der ersten Zeit bei Verwandten unterkommt und durch diese (auch schon vor der Übersiedlung) bei der Wohnungssuche unterstützt wird (vgl. Nr. IV) ist realistisch, zumal der Kläger bislang nicht dargelegt hat, wie seine Eltern über die Wohnung verfügt haben, die sie infolge der Übersiedlung ins Bundesgebiet aufgegeben haben, und eine Überlassung an Verwandte naheliegt.

Ein russischer Staatsangehöriger, der - wie der Kläger - in Sankt Petersburg geboren ist und russischsprachige Websites auswerten kann, konnte im Jahr 2010 nach der Überzeugung des Senats eine bescheidene Unterkunft für deutlich weniger als 200 € pro Monat finden. Dies ergibt sich daraus, dass angesichts der von der Botschaft genannten Verdienstmöglichkeiten einerseits und der Aufwendungen für die allgemeine Lebenshaltung andererseits für einen wesentlichen Teil der Bevölkerung nur solche Unterkunftskosten noch tragbar sind. Auf der Basis des in der Botschaftsäußerung vom 26. November 2010 mitgeteilten Währungsverhältnisses - 4481,2 Rubel für etwa 110 Euro - entspricht der Betrag von 200 € einem Betrag von etwa 8148 R. Einem Wohnqualitäts-Vergleich der in alten und abgewohnten Gebäuden gelegenen Kommunalkas mit der abgeschlossenen 1-Zimmer-Wohnung zum Mietpreis von 400 €, die über eigene Sanitär- und Kücheneinrichtungen verfügt und Gegenstand der Auskunft der deutschen Botschaft vom 26. November 2010 ist, spricht ebenfalls für diese Schätzung der Kosten einer bescheidenen Unterkunft.

Möglicherweise kann der Kläger eine noch günstigere Unterkunft finden, da einerseits seine Registrierung in Sankt Petersburg zu erwarten ist und er dann Zugang zu staatlich geförderten Wohnungen hat (vgl. nachfolgend lit. b) und andererseits das „Programm Landsleute“ Unterstützung auch insoweit bietet (vgl. IV.). Da aber offen ist, ob der Kläger eines dieser beiden Fördersysteme alsbald nutzen kann, lässt der Senat die Möglichkeit einer öffentlich geförderten Wohnung unberücksichtigt.

b) Der Kläger wird mit Wahrscheinlichkeit für seine Gesundheit nicht mehr als 95 €/Monat aufwenden müssen.

Der Kläger kann damit rechnen, in die kostenlose staatliche Gesundheitsfürsorge aufgenommen zu werden.

Die kostenlose medizinische Versorgung ist von der Registrierung abhängig. Die Registrierung legalisiert den Aufenthalt und ermöglicht den Zugang zu Sozialhilfe, staatlich geförderten Wohnungen und zum kostenlosen Gesundheitssystem sowie zum legalen Arbeitsmarkt; die Registrierung erfolgt bei Vorlage des Inlandspasses und Nachweis von Wohnraum (zum Registrierungssystem vgl. Nr. IV.2 des Lageberichts vom 10.6.2013 sowie Nußberger a. a. O. S. 102). Der Kläger kann das Recht auf kostenlose medizinische Versorgung in St. Petersburg geltend machen, denn es ist davon auszugehen, dass er hier eine Wohnsitzregistrierung erhalten wird. Der Ort der Registrierung aus dem Ausland zurückkehrender russischer Staatsangehöriger ist in aller Regel der letzte Wohnort, an dem sie vor ihrer Ausreise registriert waren (Botschaftsstellungnahme vom 27.7.2010). Der Kläger ist in St. Petersburg (Leningrad) geboren, aufgewachsen und war vor seiner Übersiedlung ins Bundesgebiet hier registriert (vgl. die Übersetzung des Passes vom 15.4.1982, Blatt 4 der Ausländerakte, sowie den Reisepass vom 14.1.1994, Blatt 18 der Ausländerakte sowie Schwb-Akte Bl. 3). Es bestehen keine Zweifel daran, dass die russischen Behörden hieran anknüpfen werden; die russische Zusage, den Kläger zurückzunehmen (vgl. den Beklagtenschriftsatz vom 7.1.2013) deutet darauf hin, dass diese Anknüpfung bereits erfolgt ist. Somit ist nicht zu erwarten, dass ihm die Ausstellung eines Inlandspasses in Sankt Petersburg verweigert wird, wie dies bei Personen vorkommt, die vorher an einem anderen Ort in der Russischen Föderation (insbesondere in Tschetschenien) registriert gewesen sind (vgl. den Lagebericht vom 10.6.2013 a. a. O.). Auch den für die Registrierung erforderlichen Wohnraumnachweis wird der Kläger führen können (vgl. B.I.3 lit. a, cc). Daher ist der Beweisantrag Nr. 2 lit. f (auf Einholung eines länderkundlichen Gutachtens zum Beweis der Tatsache, dass sich der Kläger in der Russischen Föderation nicht registrieren lassen kann, ohne ausreichenden Wohnraum nachzuweisen) unerheblich.

Die Botschaft ist hinreichend sachkundig hinsichtlich der erteilten Auskünfte. Die Botschaft hat sich nicht zur gesundheitlichen Situation des Klägers geäußert, wofür es besonderer ärztlicher Fachkenntnis bedurft hätte (die sich ein Vertrauensarzt durch die konsiliarische Einschaltung eines entsprechenden Facharztes beschaffen könnte). Die Voraussetzungen und Leistungen der Krankenversorgung, beispielsweise die Verfügbarkeit und die Kosten von Medikamenten, können von jeder russischsprachigen Person festgestellt werden. Über seine Kontakte in Russland, über das Internet und mit Hilfe seiner als Neurochirurgin tätig gewesenen Mutter und deren Heimatkontakte ist dies auch dem Kläger möglich. Die von der Botschaft übermittelten Informationen können daher nicht durch einen Hinweis auf die Grenzen einer ärztlichen Ausbildung in Zweifel gezogen werden, sondern nur durch die substantiierte Darlegung, die Tatsachen lägen anders als in der Botschaftsäußerung dargestellt. Dies ist nicht geschehen, so dass der Senat die Botschaftsangaben zugrunde zulegen hat.

Zwar erhält dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 10. Juni 2013 (S. 26) zufolge die Hälfte der erwerbstätigen Bevölkerung keine kostenfreie medizinische Versorgung. Jedoch bedeutet dies nicht, dass dieser Bevölkerungsteil medizinisch unversorgt bleibt, denn zum einen finanzieren die Arbeitgeber nunmehr eine leistungsfähige Krankenversicherung (vgl. S. 5 und 7 der bereits zitierten Broschüre der Germany Trade & Invest: Lohn und Lohnnebenkosten in Russland) und zum anderen können Empfänger höherer Gehälter ihre Gesundheitsaufwendungen selbst erbringen. Diese Anmerkung im Lagebericht ist somit kein Anhaltspunkt für eine Unbrauchbarkeit der kostenlosen Gesundheitsfürsorge.

Ein herzkranker Patient, der in der Russischen Föderation in den Genuss einer möglichst kostenfreien Behandlung und Medikation kommen will, muss nach der Stellungnahme der Deutschen Botschaft in Moskau vom 8. November 2013 (auf der Grundlage von Auskünften eines Vertrauensarztes) eine Invalidität beantragen. Anschließend muss er sich persönlich einer medizinischen Kommission stellen, die den Grad der Beeinträchtigung feststellt. Unabhängig von dem Ergebnis der Kommission muss sich der Patient im Anschluss beim Bezirkskardiologen vorstellen, der den notwendigen Umfang der kostenlosen medizinischen Betreuung bestimmt und auch die Verschreibung der kostenfreien Substanzen festlegt. Die ärztlichen Unterlagen aus Deutschland können bei der Vorstellung vor einer medizinischen Kommission beigebracht werden. Eine Weiterbehandlung und Nachsorge des Klägers ist grundsätzlich unter anderem in der Föderalen Klinik Nr. 2 in Sankt Petersburg gewährleistet.

Der Botschaftsäußerung vom 8. November 2013 zufolge kann zwar von der Botschaft keine Stellungnahme abgegeben werden, in welchem Umfang der Kläger einen Anspruch auf kostenlose medizinische Behandlung und Bezug von Medikamenten hätte, weil dies erst aufgrund der erwähnten persönlichen Vorstellung und Einzelfallprüfung festgelegt wird. An der Aufnahme des Klägers in die kostenlose staatliche Gesundheitsversorgung als solche äußert die Botschaft keine Zweifel. Nicht zuletzt wegen der detaillierten Gutachten, mit denen der Kläger seine gesundheitlichen Beeinträchtigungen belegen kann, hat der Senat auch keine Zweifel daran, dass das von der Botschaft beschriebene russische Prüfungs- und Diagnoseverfahren zu einer sachgerechten Behandlung des Klägers auf dem Niveau des staatlichen russischen Gesundheitssystems führen wird. In Sankt Petersburg sind das Wissen und die technischen Möglichkeiten auch für anspruchsvolle Behandlungen vorhanden und ist die Versorgung mit Medikamenten gut (Lagebericht vom 10.6.2013, Nr. IV.1.2.).

Der Senat hat auch davon auszugehen, dass die Einleitung der kardiologischen Behandlung im Rahmen des staatlichen Gesundheitssystems zeitgerecht erfolgt. Da sich Herzkrankheiten schnell lebensbedrohlich entwickeln können, hätte ein Gesundheitssystem, das für solche besonderen Fälle keine notfallmäßige (also ein akribisches Begutachtungsverfahren nicht erfordernde) Versorgung vorsieht, nicht nur einen niedrigeren Standard als im Bundesgebiet, sondern wäre insoweit wertlos. Im Übrigen steht eine dringliche, mit Verzögerungen unvereinbare Behandlung des Klägers nicht an, so dass der Kläger nicht sofort nach der Übersiedlung auf Leistungen des staatlichen Gesundheitssystems angewiesen ist. Schließlich hat die Beklagte zugesichert, dem Kläger vor der Ausreise oder Abschiebung einen Geldbetrag in Höhe von 5.000 € zu übergeben, so dass er zunächst existenzgesichert ist einschließlich der Möglichkeit, die benötigten Medikamente für die erste Zeit nach eigenem Ermessen entweder (nach Rezeptierung durch die ihn behandelnden Ärzte) mitzunehmen oder nach der Ankunft in Russland zu erwerben (vgl. IV.). Auch die in der ersten Zeit erforderlichen (kostengünstigen, vgl. unten) Kontrolluntersuchungen (Rezeptausstellungen eingeschlossen) kann der Kläger auf diese Weise finanzieren. Schließlich ist der Beweisantrag auch ungeeignet. Nachdem sich die Botschaft nicht in der Lage sieht, den konkreten Verlauf des Verfahrens zu prognostizieren, ist auch eine konkrete Zeitprognose nicht zu erwarten.

Soweit der Kläger mit Beweisantrag Nr. 2 lit. b die Einholung eines länderkundlichen Gutachtens zum Beweis der Tatsache beantragt hat, dass ihm in der Russischen Föderation keine kostenfreie ärztliche und medikamentöse Versorgung in Russland zuteil werden wird, konnte dem nicht Folge geleistet werden. Nachdem den vorliegenden Auskünften der deutschen Botschaft über die öffentliche Gesundheitsversorgung zu entnehmen ist, dass das Gegenteil der Beweisbehauptung zutrifft, und Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit oder ein sonstiges Ungenügen dieser Auskünfte nicht vorliegen, bedarf es einer weiteren Beweiserhebung nicht (§ 98 ZPO, § 412 Abs. 1 ZPO; vgl. auch BVerwG, B. v. 27.3.2013 - 10 B 34.12). Soweit der Kläger mit seiner Beweisbehauptung auf den Umstand abhebt, dass im Rahmen der „kostenlosen“ staatlichen Gesundheitsversorgung Zuzahlungen verlangt werden, bedarf es der beantragten Beweiserhebung nicht, weil der Senat - wie im nachfolgenden Absatz dargestellt - von solchen Zuzahlungen auf der Grundlage der Auskünfte der deutschen Botschaft ausgeht; sie werden jedoch für den Kläger erschwinglich sein und daher nicht zur Ursache einer wesentlichen Gesundheitsverschlechterung werden.

Trotz der Aufnahme in das staatliche Gesundheitssystem muss der Kläger damit rechnen, eigene Mittel für die Behandlung aufwenden zu müssen. Nach Nr. IV.1.2. des Lageberichts des Auswärtigen Amtes vom 10. Juni 2013 werden in der Praxis nahezu alle Gesundheitsdienstleistungen erst nach verdeckter privater Zuzahlung geleistet, obwohl die ärztliche Behandlung eigentlich kostenfrei ist. Allerdings zeigt sich dem von der Beklagten in Bezug genommenen Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 4. April 2010 (S. 29) zufolge im Alltag häufig, dass von mittellosen und wenig verdienenden Personen nichts bzw. wenig an Zusatzzahlungen abverlangt wird, bei normal- bis gut verdienenden Personen dagegen mehr. Angesichts des unveränderten Fortbestandes des staatlichen russischen Gesundheitssystems fehlt es an Anhaltspunkten, die dafür sprechen, dass diese Äußerung des Auswärtigen Amtes keine Gültigkeit mehr besitzt. Manche Medikamente sind in die Medikamentenliste des Gesundheitsministeriums nicht aufgenommen und somit im kostenlosen staatlichen Gesundheitssystem nicht vorgesehen. Bei den meisten der vom Kläger benötigten Medikamente ist dies der Fall (Botschaftsäußerung vom 26.11.2010 im Verfahren 19 B 09.824).

Russlands Präsident Putin hat am 28. Juni 2012 bei der Vorstellung der Haushaltsbotschaft für die Jahre 2013 bis 2015 dazu aufgefordert, jegliche Spekulationen betreffend eine Aufhebung der kostenlosen medizinischen Betreuung und Ausbildung einzustellen; er hat den Willen zu einer verbesserten Finanzierung sowie zu einer qualitätsfördernden Konkurrenz staatlicher und privater Leistungserbringer bekräftigt (vgl. S. 10 der Länderinformationen zur Russischen Föderation vom August 2012 des Informationszentrums Asyl und Migration im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge). Neben dieser politischen Zielsetzung von Gewicht spricht auch die deutliche Verbesserung der russischen Wirtschafts- und Einkommenssituation seit dem Jahr 2000 (vgl. lit. a) für eine schrittweise Verbesserung der derzeit eingeschränkten Leistungsfähigkeit des staatlichen Gesundheitssystems.

Der Kläger benötigt ein Mittel zur Blutverdünnung mit ausreichender Gerinnungshemmung. Das dem Kläger derzeit verabreichte, in Russland jedoch nicht verfügbare (Auskunft der Firma Roche vom 8.1.2007, vorgelegt im Verfahren 19 B 07.2762) Medikament Marcumar kann der Stellungnahme des Dr. H. vom 3. September 2013 zufolge durch das für Patienten mit Kunstklappen geeignete Medikament Warfarin ersetzt werden, das der Botschaftsäußerung vom 8. November 2013 zufolge in Russland verfügbar ist. Die Kosten für Warfarin betragen etwa 5 Euro, wobei es sich - wie bei den anderen von der Botschaft genannten Medikamentenkosten - um den Monatsbetrag handelt (Botschaftsäußerung vom 8.11.2013, S. 2 oben). Der Kläger benötigt weiterhin einen ACE-Hemmer, in Russland kostengünstig erhältlich für weniger als 10 Euro/Monat, einen Kalziumantagonist, in Russland erhältlich für weniger als 35 €/Monat und ein Diuretikum. Der Botschaftsauskunft zufolge ist dies „kostengünstig“ in Russland zu erhalten; angesichts der gleichartigen Formulierung der Botschaft im Zusammenhang mit dem ACE-Hemmer geht der Senat auch hinsichtlich des Diuretikums von etwa 10 Euro/Monat aus. Diese Medikamente sind dem Gutachten des Dr. H. vom 8. April 2013 zwingend notwendig, um zu verhindern, dass es innerhalb weniger Wochen zu einer kardialen Dekompensation kommt. Im Gegensatz zur Beklagten (Schriftsatz vom 27.6.2013) zweifelt der Senat nicht daran, dass eine kardiale Dekompensation (Sauerstoffunterversorgung und Ödeme bereits im Ruhezustand) eine wesentliche Gesundheitsverschlechterung im Sinne des Art. 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG darstellt, nachdem sie - wie im Attest des Klinikums N. vom 6. Februar 2013 (S. 1) beschrieben, aber auch allgemein bekannt - notfalltherapeutisch behandelt werden muss.

Die Medikation mit einem zusätzlichen Diuretikum und mit einem niedrig dosierten kardioselektiven Betablocker (als Kosten wären für das weitere Diuretikum ebenfalls 10 Euro/Monat anzusetzen - vgl. oben - und hinsichtlich des Betablockers der Botschaftsauskunft zufolge weniger als 15 €/Monat) hält der kardiologische Gutachter für sinnvoll. Der Kardiologe führt aber darüber hinaus aus, es sei nicht mit Sicherheit zu sagen, ob ihr Weglassen zu einer alsbaldigen Verschlechterung des Gesundheitszustandes führen würde; hier würde er eher mit mittelfristigen Effekten rechnen. Hieraus ergibt sich klar, dass im Falle des Weglassens keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer alsbaldigen wesentlichen Gesundheitsverschlechterung besteht. Mit seinen Ausführungen im Schriftsatz vom 11. Juli 2013 verkennt der Kläger, dass die Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht als solche eine Aufenthaltsbeendigung entgegensteht, sondern nur in Verbindung mit einem Zeithorizont, der durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anhand des Begriffs „alsbald“ festgelegt worden ist. Dieser Begriff steht in einem deutlichen Gegensatz zu dem vom Sachverständigen verwendeten Begriff „mittelfristig“. Anhaltspunkte dafür, dass die nichtkardiologischen gesundheitlichen Beeinträchtigungen (insbesondere die schizophrene Residualsymptomatik) eine andere kardiologische Beurteilung begründen könnten, liegen nicht vor.

Für die Annahme, der Kläger werde sich mit seiner Abschiebung nicht abfinden und deshalb schon hierbei einer außergewöhnlichen seelischen und/oder kardiologischen Belastung ausgesetzt sein (mit der Folge einer Gefährdung von Gesundheit und Leben, so dass § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG i. V. m. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG der Abschiebung entgegensteht), spricht nichts. Dem Gutachten vom 8. April 2013 ist die Wahrscheinlichkeit mittelfristiger Effekte im Falle des Weglassens der genannten Herzmedikamente zu entnehmen, also keine Wahrscheinlichkeit solcher Effekte bei der Abschiebung, während der die gutachterlich festgelegte Therapie noch wirkt. Durch Begleitpersonen kann die Einnahme der neuroleptischen Medikation gewährleistet und eine produktivpsychotische Episode verhindert werden; selbst in der neuroleptisch unbehandelten Zeit haben behördliche Maßnahmen beim Kläger keine Steigerung der gesundheitlichen Beeinträchtigung herbeigeführt (vgl. B.I.2 lit. a). Schließlich ist den Gutachten des Dr. H. zu entnehmen, dass selbst im Falle eines (nicht wahrscheinlichen) Aufbegehrens des Klägers gegen die Abschiebung die Gefahr einer erheblichen gesundheitlichen Verschlechterung nicht besteht. Nach dem Gutachten vom 9. Februar 2010 (zu Nr. 7) ist es - auf der Grundlage der vom Gutachter zuvor getroffenen diagnostischen Feststellungen - eher unwahrscheinlich, dass eine Durchsetzung der Abschiebung eine lebensbedrohliche Verschlimmerung der Erkrankung zur Folge hat. Die diagnostischen Feststellungen, die Dr. H. in seinem Gutachten vom 9. Februar 2010 trifft, sind im Wesentlichen auch dem Gutachten vom 8. April 2013 zu entnehmen (vgl. Nr. B.I.1).

Im Ergebnis summieren sich die Kosten der kardiologischen Medikamente, die der Kläger benötigt, um einer wesentlichen Verschlechterung seiner Gesundheit alsbald nach der Abschiebung vorzubeugen, auf 60 € pro Monat. Nachdem der Botschaftsstellungnahme vom 26. November 2010 zufolge nur „die meisten“ der vom Kläger benötigten Medikamente nicht vom staatlichen Gesundheitssystem zur Verfügung gestellt werden (also immerhin ein Teil zur Verfügung gestellt wird), liegen die benötigten Beträge tatsächlich etwas tiefer.

Über die Medikation hinaus erfordert die kardiologische Problematik des Klägers ärztliche Behandlungen und Kontrolluntersuchungen mit unterschiedlicher Frequenz. In seiner Entscheidung vom 22. Dezember 2010 (19 B 09.824) ist der Senat aufgrund der von ihm bei der deutschen Botschaft in Moskau eingeholten Informationen davon ausgegangen, dass sich die Kosten für die ärztliche Behandlung (ohne Medikamentenkosten), die der Kläger in Russland benötigen wird, auf etwa 300 € pro Monat belaufen werden. Den für die hiesige Entscheidung bindenden Gründen des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. März 2012 zufolge (zu den Revisionsrügen betreffend den Betrag von 300 € vgl. u. a. den Schriftsatz der Landesanwaltschaft vom 28.3.2011) hat der Verwaltungsgerichtshof hierbei nicht hinreichend beachtet, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht schon dann erfüllt sind, wenn dem Kläger nicht mehr der in Deutschland übliche medizinische Standard dauerhaft zur Verfügung steht, sondern nur dann, wenn ihm die Behandlung nicht mehr zur Verfügung steht, durch die eine alsbaldige und wesentliche (gegebenenfalls sogar lebensbedrohliche) Verschlechterung seines Gesundheitszustandes verhindert wird.

Die Würdigung der Botschaftsinformationen unter Berücksichtigung dieser Vorgaben ergibt, dass die erforderliche Behandlung des Klägers nicht zu Arztkosten in Höhe von 300 € pro Monat führt, sondern grundsätzlich im Rahmen des kostenlosen staatlichen Gesundheitssystems erfolgen kann und deshalb lediglich Zuzahlungen in Höhe von wenigen Euro erfordert.

Die Frage des Senats, ob in Russland ein Anspruch auf kostenlose Gesundheitsbehandlung und Versorgung mit Medikamenten besteht (Nr. 2 des Beweisbeschlusses vom 11.5.2010 im Verfahren 19 B 09.824), hat die Botschaft mit Schreiben vom 27. Juli 2010 (zu Nr. 2) für den Ort der Registrierung des Staatsbürgers grundsätzlich bejaht. Sie hat diese Bestätigung jedoch in zweierlei Hinsicht eingeschränkt: die kostenlose Versorgung entspreche nicht dem Standard in der Bundesrepublik und hinsichtlich der Medikamente beschränke sie sich auf diejenigen, die im Medikamentenverzeichnis des Gesundheitsministeriums aufgeführt seien. Auf die weitere Frage des Senats, ob der Kläger die in den fachpsychiatrischen, kardiologischen, orthopädischen und arbeitsmedizinischen Gutachten für erforderlich erachteten Behandlungsmaßnahmen in staatlichen russischen Kliniken oder in russischen Privatkliniken erhalten könne (Nr. 3 des Beweisbeschlusses vom 11.5.2010), hat die Botschaft geantwortet, sie seien „in der Russischen Föderation“ erhältlich. Die monatlichen Kosten hierfür hat die Vertrauensärztin der Botschaft auf etwa 300 €/Monat geschätzt (zu Nr. 4; aus Nr. 1 lit. a und lit. b der Botschaftsauskunft vom 26.11.2010 ergibt sich, dass die Medikamentenkosten in diesem Betrag nicht inbegriffen sind). Die weitere Frage, ob diese Kosten im Falle von Arbeitslosigkeit von öffentlichen Institutionen (Sozialhilfe) übernommen würden (Nr. 5 des Beweisbeschlusses vom 11.5.2010), hat die Botschaft weder bejaht noch verneint; sie hat erneut auf den Anspruch auf kostenlose medizinische Behandlung (bei Medikamenten vorbehaltlich der Auflistung im offiziellen Medikamentenverzeichnis) verwiesen. Auf die Nachfrage des Senats vom 24. August 2010 hat die Botschaft dann unter dem 26. November 2010 (zur Nr. 1 lit. a) mitgeteilt, der Kläger müsse die Behandlungskosten von 300 €/Monat selbst tragen.

Aus diesem Schriftwechsel sowie aus der Tatsache, dass trotz mehrfacher Nachfrage des Senats keine Aufschlüsselung des Betrags seitens der Botschaft zu erreichen war, ergibt sich, dass (wie bereits im vorherigen Rechtszug von der Beklagten - vgl. Schriftsatz vom 20.12.2010 - und von der Landesanwaltschaft - vgl. u. a. Schriftsatz vom 28.3.2011 - angenommen und vom BVerwG zur Begründung seiner Zurückverweisungsentscheidung vom 22.3.2012 herangezogen) die Botschaft die gutachterlich ermittelte Behandlung des Klägers dem deutschen Standard zugeordnet hat, der vom kostenlosen staatlichen Gesundheitssystem in Russland nicht erreicht wird, und daher für diese ärztlichen Behandlungen überschlägig den langfristig zu erwartenden Durchschnittsbetrag pro Monat für eine Vielzahl von Marktpreisen angesetzt hat. Dies ist nachvollziehbar. Das durch Einholung von Gutachten ermittelte Behandlungskonzept ist von erfahrenen Spezialisten, leitenden Klinikärzten und Hochschullehrern im Rahmen intensiver Begutachtungen mit zahlreichen Tests und Diagnoseverfahren entworfen worden. Sowohl dieser Aufwand für die Befundung als auch die auf dieser Grundlage ermittelte Gesundheitsversorgung entspricht im Wesentlichen der höchsten deutschen Qualitätsstufe, liegt also noch über dem Standard der durchschnittlichen deutschen Krankenversorgung, der der Botschaftsauskunft zufolge vom staatlichen russischen Gesundheitssystem nicht erreicht wird. Beispielsweise wird in der Stellungnahme des Dr. H. vom 9. Februar 2010 (S. 3: für den Falle einer negativen Entwicklung, für die noch keine Anhaltspunkte vorliegen) das Übernähen des Lecks in der implantierten Aortenklappenprothese angesprochen. Welche ärztliche Maßnahme innerhalb dieses weiten Zeit- und Qualitätshorizonts wann und wie oft angewendet wird, ist von nicht konkret absehbaren Einzelfallumständen sowie der jeweiligen ärztlichen Beurteilung abhängig. Eine exakte Kostenberechnung war nicht möglich, lediglich eine überschlägige Prognose. Die scheinbar ausweichende Antwort der Botschaft zu Nr. 5 des Beweisbeschlusses vom 11. Mai 2010 hat somit ihren Grund zum einen darin, dass jeder russische Staatsbürger (also auch ein arbeitsloser) am Ort seiner Registrierung Anspruch auf die kostenlose staatliche Gesundheitsfürsorge hat, die dem Grunde nach auch Herz- und Seelenkrankheiten erfasst, und zum anderen aber auch darin, dass eine Bejahung der Frage in Nr. 5 des Beweisbeschlusses (Kostenübernahme durch öffentliche Institutionen?) gleichwohl nicht möglich war, weil die in der Nr. 5 und auch die in den Nrn. 3 und 4 des Beweisbeschlusses angesprochenen, nicht konkret feststehenden Behandlungen einem Standard entsprechen, der nur am Markt und nicht im staatlichen Gesundheitssystem erhältlich ist.

Nach der Stellungnahme des Dr. H. vom 8. April 2013 müssen beim Kläger Gerinnungskontrollen im Abstand von 2 bis 3 Wochen durchgeführt werden; der Blutdruck muss regelmäßig kontrolliert werden. Nachdem es sich bei diesen Messungen einerseits um Standardmaßnahmen bei einer Vielzahl von Patienten mit Herz- und Gefäßerkrankungen und andererseits um technisch sehr einfache Maßnahmen handelt, die der Kläger - wie die meisten Patienten - selbst durchführen kann (vgl. den Arztbericht von Frau Dr. W. betreffend unter anderem die Selbstkontrolle des Gerinnungswertes durch den Kläger, Schwb-Akte Bl. 6 Rückseite), beispielsweise mit dem Selbstmessgerät „CoaguCheck“, das in der von der Beklagten vorgelegten (Anlage zum Schriftsatz vom 17.1.2008 im Verfahren 19 B 07.2762) und später wiederholt in Bezug genommenen Veröffentlichung aus dem Jahr 2004 - „Mit dem CoaguCheck zum Baikalsee“ - Erwähnung findet, hat der Senat keine Zweifel daran, dass sie und die damit zusammenhängende ärztliche Beratung zu den Leistungen des kostenlosen russischen Gesundheitssystems gehören. Soweit hier eine Zuzahlung verlangt werden sollte, geht der Senat davon aus, dass sie für alle diese Maßnahmen nicht über 10 Euro/Monat liegt, nachdem sogar der (außerhalb des kostenfreien Gesundheitssystems zu zahlende) Marktpreis sehr niedrig liegt (laut der vorerwähnten Veröffentlichung aus dem Jahr 2004 ist dem Verfasser als Tourist für eine Gerinnungskontrolle ein Betrag von 2 Euro abverlangt worden; der technische Fortschritt, die zunehmende Verbreitung moderner Messgeräte sowie die massenhafte Nachfrage sprechen dafür, dass heute die Kosten jedenfalls nicht höher liegen).

Kalium- und Kreatinin-Kontrollen müssen der kardiologischen Stellungnahme vom 8. April 2013 zufolge nur gelegentlich durchgeführt werden. Hieraus ergibt sich, dass der Gutachter ein Kontrollergebnis, das zu wesentlichen Behandlungskonsequenzen führt, nicht für alsbald wahrscheinlich hält, ein Wegfall dieser Kontrollen also nicht alsbald zu einer wesentlichen Gesundheitsverschlechterung führt. Im Übrigen fehlt es an Anhaltspunkten dafür, dass die Bestimmung solcher Laborwerte zur Kontrolle der Herz- und Nierenfunktion nicht vom kostenlosen staatlichen Gesundheitssystem geleistet wird, so dass die vorstehenden Erwägungen auch insoweit gelten. Der Hinweis der Beklagten, es handle sich um Routinekontrollen, hat Bedeutung vor dem Hintergrund, dass den Angaben der deutschen Botschaft Moskau zufolge das kostenlose russische Gesundheitssystem grundsätzlich ausreichend ist. Der Einschränkung, dass es nicht den deutschen Standard hat, kommt bei routinemäßigen Laboruntersuchungen kein wesentliches Gewicht zu.

Eine jährliche echokardiographische Untersuchung und eine Endokarditisprophylaxe (um Kunstklappen-Entzündungen vorzubeugen) vor zahnärztlichen Eingriffen hält der Gutachter für prinzipiell wünschenswert. Eine Unterlassung dieser Vorbeugungsmaßnahmen führt demgemäß nicht mit Wahrscheinlichkeit zu einer wesentlichen Gesundheitsverschlechterung. Darüber hinaus deutet nichts darauf hin, dass sie alsbald nach der Abschiebung erforderlich sein werden.

Insgesamt geht der Senat davon aus, dass die Behandlung der kardiologischen Problematik, die zur Verhinderung einer alsbaldigen Existenzbedrohung erforderlich ist, dem Kläger allenfalls 70 €/Monat abverlangen wird. Hinsichtlich des Systems der Zuzahlungen ist darüber hinaus darauf hinzuweisen, dass die Höhe des Zuzahlungsverlangens vom Wohlstand/Verdienst des Patienten abhängt (Lagebericht vom 4.4.2010 Seite 29). Bereits deshalb ist nicht zu befürchten, dass durch die Zuzahlungen der notwendige Unterhalt des Klägers gefährdet sein wird.

Die psychiatrische Problematik des Klägers ist in Russland aktenkundig. Der Kläger verfügt über Informationen, die den im russischen Gesundheitssystem Tätigen die sachgerechte Anknüpfung an die damalige Behandlung ermöglichen. Die Anfang der 90er Jahre behandelnde Klinik ist einschließlich Name und Adresse des behandelnden Arztes bekannt. Der Kläger ist laut den im Gutachten Dr. W. vom 18. Oktober 2010 zitierten Angaben mit seiner psychiatrischen Erkrankungen in Russland registriert und musste deshalb keinen Wehrdienst leisten (den im Gutachten Dr. N. vom 13.10.1998 zitierten Angaben zufolge hatte er von 1991 bis 1995 die Diagnose einer Schizophrenie bzw. reaktiven Psychose - Psychopathie; dem Strafurteil zufolge liegen zwei medizinische Unterlagen aus Russland hierzu vor). Der Kläger kann sämtliche psychiatrischen Erkenntnisse aus Deutschland den russischen Ärzten vorlegen (vgl. die Ausführungen der Deutschen Botschaft Moskau betreffend die Verwendbarkeit deutscher Arztunterlagen im kostenlosen russischen Gesundheitssystem).

Der Senat vermag sich nicht der Auffassung der Beklagten anzuschließen, die Medikation, die der Kläger zur Behandlung seiner schizophrenen Erkrankung erhält, sei in seinen Bedarf nicht einzubeziehen, weil ihr Wegfall eine alsbaldige Existenzbedrohung nicht zur Folge haben werde. Die von der Beklagten (in Nr. 2 lit. b ihres Schriftsatzes vom 14.1.2014) zitierten gutachterlichen Ausführungen betreffend eine längere Stabilität des Klägers auch ohne neuroleptische Medikation beziehen sich ersichtlich auf Lebensabschnitte ohne einschneidende Veränderungen. Die in Russland bestehende Notwendigkeit, den Lebensunterhalt eigenständig zu sichern, könnte aber eine einschneidende Veränderung darstellen, selbst wenn der Kläger auf zahlreiche Unterstützungsmöglichkeiten zurückgreifen kann (vgl. u. a. IV.). Die Möglichkeit ist in Betracht zu ziehen, dass der Kläger nach der Abschiebung - fehlte diese Medikation - wegen der ungewohnten, mit den Schwierigkeiten einer Existenzgründung belasteten Situation eine produktivpsychotische Episode entwickelt. Zwar ist eine solche Episode noch keine wesentliche Verschlechterung der Gesundheit oder Gefährdung der Existenz des Klägers und wird auch mit Wahrscheinlichkeit hierzu nicht führen (vgl. III.). Dennoch hält es der Senat in Anbetracht der Gesamtsituation des Klägers nicht für zumutbar, sehenden Auges das mit einer produktivpsychotischen Episode verbundene Restrisiko einzugehen (das - ausweislich der gerichtlich bestätigten Ausweisung des Klägers - auch für die Allgemeinheit nicht hinnehmbar ist), und bezieht daher diese Behandlungsnotwendigkeit in den Bedarf des Klägers ein.

Psychiatrische Krankheiten können - wie beim Kläger bereits Anfang der 90er Jahre geschehen - in Sankt Petersburg behandelt werden. Zweifel daran, dass der Standard der kostenlosen staatlichen Gesundheitsfürsorge vorliegend nicht ausreichend sein könnte, sind nicht veranlasst. Eine vollumfängliche Befunderhebung und Diagnose liegt bereits vor, so dass in der Zeit alsbald nach der Abschiebung lediglich die ärztliche Verschreibung des Neuroleptikums und die Kontrolle seiner (bereits über vier Jahre hinweg belegten) Wirkung anfällt.

Das dem Kläger verordnete Medikament Zyprexa mit dem Wirkstoff Olanzapin ist der Botschaftsauskunft vom 8. November 2013 zufolge ein rezeptpflichtiges modernes und deshalb erheblich teueres Psychopharmakon, das in Russland für 50 €/Monat erhältlich ist. Allerdings ist nach den zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Unterlagen der Patentschutz für Zyprexa vor wenigen Jahren ausgelaufen, so dass Generika mit demselben Wirkstoff auch in Russland verfügbar sind. Den diesbezüglichen Botschaftsmitteilungen von 22. und 23. Juli 2014 ist zu entnehmen, dass mehrere dieser in Russland erhältlichen Generika zum halben Zyprexa-Preis oder für weniger erworben werden können (das günstigste Generikum für etwa ein Fünftel des Zyprexa-Preises). Nachdem bei einem Medikamentenwechsel Unverträglichkeiten nicht ausgeschlossen werden können und daher eine gewisse Auswahl möglich sein sollte, veranschlagt der Senat die Kosten für die Behandlung mit dem Wirkstoff Olanzapin auf 25 €/Monat.

Demzufolge wird die medizinische Behandlung einschließlich Medikamentierung, durch die verhindert wird, dass sich die Gesundheit des Klägers alsbald wesentlich verschlechtert, Kosten von allenfalls 95 €/Monat verursachen.

c) Der aktuell erforderliche Betrag von 95 € zur Erhaltung der Gesundheit alsbald nach der Rückkehr nach Russland (vgl. lit. b) liegt zwar um 10 € über dem Betrag, der nach der unter lit. a für das Jahr 2010 erstellten Berechnung hierfür zur Verfügung steht. Aus mehreren Gründen wird es aber beim Kläger nicht zu einem Fehlbetrag kommen und damit auch nicht zur Inanspruchnahme einer der ihm zur Verfügung stehenden Unterstützungsmöglichkeiten (vgl. hierzu IV.). Die Berechnung unter lit. a geht vom Durchschnittslohn der in der Botschaftsäußerung vom 26. November 2010 genannten Beschäftigten aus; eine Person mit den kaufmännischen sowie fachlichen Eignungen und der Fortbildungsfähigkeit des Klägers verdient aber deutlich mehr. Nach der Botschaftsäußerung vom 26. November 2010 sind die meisten der vom Kläger benötigten Medikamente in die Medikamentenliste des Gesundheitsministeriums nicht aufgenommen und somit im kostenlosen staatlichen Gesundheitssystem nicht vorgesehen; der (von der Botschaft nicht näher bestimmte) Teil der in diese Liste aufgenommenen Medikamente, der in der Berechnung des Senats nicht (kostenmindernd) berücksichtigt ist, verbessert die Unterhaltssituation des Klägers entsprechend. Nachdem es auf die wirtschaftliche Situation des Klägers nach seiner Rückkehr nach Russland ankommt, müssen nicht nur die absehbaren Gesundheitsaufwendungen, sondern auch die Berechnungsposten, die unter lit. a auf der Grundlage von Auskünften aus dem Jahr 2010 einbezogen worden sind, mit ihrer aktuellen Wertigkeit berücksichtigt werden. Hierbei ergibt sich, dass die wirtschaftliche Situation des Klägers in Russland mit Wahrscheinlichkeit günstiger sein wird als sie es bei einer Rückkehr im Jahr 2010 gewesen wäre. Die Betrachtung der im Jahr 2010 mitgeteilten Berechnungsposten auf aktueller Basis ist anhand der Reallohnentwicklung möglich, denn die Wohnungskosten und die Kosten des sonstigen Mindestbedarfs bilden das Preisniveau, das für den größten Teil der Bevölkerung relevant ist. Seit dem Jahr 2010 ist der Reallohn in Russland um durchschnittlich 9% pro Jahr gestiegen (Germany Trade & Invest: Lohn und Lohnnebenkosten in Russland), hat also der jährliche Anstieg des Durchschnittslohnniveaus um 9% über dem jährlichen Anstieg der Lebenshaltungskosten gelegen.

II.

Sollte es nach der Abschiebung zu einer produktivpsychotischen Episode aufgrund Nichteinnahme des Neuroleptikums kommen (was nach allem unwahrscheinlich ist), könnten sich daraus bereits deshalb die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG nicht ergeben, weil die Abschiebung zwar der Episode zeitlich vorangegangen, nicht aber ihre wesentliche Ursache wäre.

Nach den psychiatrischen Erkenntnissen, auf die das Strafurteil vom 18. Dezember 2003 gestützt ist (Gutachten des Dr. N. vom 13.10.1998, Gutachten des Dr. W. vom 18.10.2001 sowie dessen mündliche Erläuterung in der Hauptverhandlung), war der Kläger zur Zeit der Tat vom 7. Februar 2001 voll einsichtsfähig, obwohl er nicht unter neuroleptischer Behandlung gestanden hat. Der Kläger hat im Zusammenhang mit der Straftat überlegte Verhaltensweisen an den Tag gelegt (vgl. das Gutachten des Dr. G. vom 21.7.2009). Dr. W. sieht seinem Gutachten vom 18. Oktober 2001 zufolge den wesentlichen (Ursachen-)Anteil der Tat nicht in der schizophrenen Erkrankung, sondern in nicht krankheitsbedingten Gefühlen des Klägers. Das Strafgericht hat sich in seinem Urteil vom 18. Dezember 2003 dieser Bewertung angeschlossen, wie die Verhängung einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren zeigt - bei gegebener Möglichkeit, die lebenslange Freiheitsstrafe für Mord in Anwendung der (wegen verbliebener Zweifel an der Steuerungsfähigkeit angewendeten) Vorschrift des § 21 StGB bis zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren zu mildern (vgl. § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB). In seinem Gutachten vom 12. November 2009 bekräftigt Dr. W. seine Auffassung vom 18. Oktober 2001. Zufolge der in der Folgezeit eingeholten psychiatrischen Erkenntnisse ist der Kläger jedenfalls immer dann voll steuerungsfähig, wenn er unter Neuroleptikamedikation steht. An seiner Geschäftsfähigkeit bestehen - im Gegensatz zur Geschäftsfähigkeit des Ausländers, dessen Abschiebung Gegenstand des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Oktober 2010 (1 C 1/02) ist - keine Zweifel. Auch nach dem im Betreuungsverfahren eingeholten psychiatrischen Gutachten des Arztes B. vom 26. August 2013 hat der Kläger keinerlei Verantwortlichkeitseinschränkungen und liegen deshalb die Voraussetzungen für einen Einwilligungsvorbehalt nach § 1903 BGB nicht vor. Daher ist ein solcher Einwilligungsvorbehalt nach § 1903 BGB („zur Abwendung einer erheblichen Gefahr für die Person oder das Vermögen des Betreuten“) vom Betreuungsgericht auch nicht angeordnet worden. Vor diesem Hintergrund sind die Fachärzte - offensichtlich in Kenntnis der damaligen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. insbesondere B. v. 11.10.2000 XII ZB 69/00 und vom 1.2.2006 XII ZB 236/05) - durchwegs zum Ergebnis gelangt, dass die Voraussetzungen weder für eine Unterbringung noch für eine Zwangsbehandlung vorliegen (Mitteilung des Amtsarztes Dr. We. vom 7.8.1998 an das Ordnungsamt, zitiert im Gutachten des Dr. N. vom 13.10.1998, Bl. 4; Dr. W. im Gutachten vom 12.11.2009; vom JVA-Arzt eingeholte Stellungnahme des Konsiliarpsychiaters Dr. B. vom 22.8.2012). Die Neufassung des § 1906 BGB durch das Gesetz zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme vom 18. Februar 2013 (BGBl. I S. 266 - m.W. v. 26.2.2013) hat hieran nichts geändert. Nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 1 BGB n. F. setzt eine Zwangsbehandlung voraus, dass der Betreute die Notwendigkeit der Behandlung nicht erkennen kann oder dass er nicht nach dieser Einsicht handeln kann. Dies ist beim Kläger nach den vorliegenden ärztlichen Feststellungen nicht der Fall. Somit ist auch nach neuem Recht eine Zwangsbehandlung des Klägers frühestens dann möglich, wenn er das Neuroleptikum nicht mehr einnimmt und sich auf dieser Grundlage eine produktivpsychotische Episode entwickelt. Bei dieser Sachlage wäre ein (in Russland oder auch schon im Bundesgebiet gefasster) Entschluss des Klägers, ein ihm zur Verfügung stehendes Neuroleptikum nicht mehr einzunehmen (mit der Folge der Möglichkeit, dass es zu produktivpsychotischen Episoden kommt und möglicherweise auch zu Weiterungen), eine eigenverantwortliche Selbstschädigung und Wahrnehmung des vom Bundesverfassungsgericht schon im Beschluss vom 7. Oktober 1981 (2 BvR 1194/80, BVerfGE 58,208) anerkannten Rechts auf „Freiheit zur Krankheit“ (ebenso Dr. W. im Gutachten vom 12.11.2009). Deswegen sich ergebende produktivpsychotische Episoden (und etwaige mit ihnen zusammenhängende Weiterungen) wären keine Gefahr, die wesentlich durch die Abschiebung verursacht ist, also keine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

III.

Sollte der Kläger - was nicht wahrscheinlich ist - das Neuroleptikum nach der Abschiebung eigenverantwortlich absetzen und es in der Folge zu einer produktivpsychotischen Episode kommen, wären die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG auch deshalb nicht erfüllt, weil (worauf die Beklagte in Nr. 2 lit. a ihres Schriftsatzes vom 14.1.2014 hinweist) die Wahnvorstellungen, die solche Episoden des Klägers kennzeichnen, noch keine Gesundheitsverschlechterung des in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beschriebenen Schweregrades darstellen und weil Weiterungen, die diesen Schweregrad erreichen, nicht beachtlich wahrscheinlich sind. Die (wenn auch kleinen, vgl. das Gutachten des Dr. W. vom 18.10.2001) psychiatrisch relevanten Ursachenanteile an der Gewalttat vom 7. Februar 2001 bewertet der Senat in Übereinstimmung mit dem Kläger (vgl. dessen Schriftsatz vom 13.5.2011 im Verfahren 1 C 3/11) als eine solche Weiterung, weil diese Gewalttat zu einem langjährigen Freiheitsverlust geführt hat und weil derartige Taten wegen des Notwehrrechts des Geschädigten mit einem hohen Risiko auch für den Täter verbunden sind. Die Mehrzahl der objektiv festgestellten produktivpsychotischen Episoden (mehrere Anfang der 90er Jahre in Russland und eine im Jahr 1998 im Bundesgebiet, überwiegend mit Misshandlung der Eltern) hat aber weder anhaltende noch schwerwiegende Folgen für den Kläger gehabt; er ist hier jeweils lediglich der medizinischen Behandlung zugeführt worden, soweit dies erforderlich war. Die vom Kläger angegebenen Wahnvorstellungen während einzelner Phasen der Strafhaft sind allesamt von selbst wieder abgeklungen.

IV.

Sollte dem Kläger - was nicht wahrscheinlich ist - aus Krankheitsgründen oder aus einem anderen Grund die Sicherung des Lebensunterhalts nicht möglich sein, kann er mit Unterstützung von verschiedenen Seiten rechnen, so dass die in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geregelte Situation nicht eintreten wird.

Nach der Stellungnahme der Deutschen Botschaft in Moskau vom 8. November 2013 kann im Falle von Arbeitslosigkeit - neben staatlicher Unterstützung bei der Arbeitssuche und bei Umschulungen - Arbeitslosengeld bis zu einem Jahr in gesetzlich festgelegter Höhe in Anspruch genommen werden. Dem hiergegen gerichteten Beweisantrag Nr. 2 lit. c auf Einholung eines länderkundlichen Gutachtens zum Beweis der Tatsache, dass der Kläger in der Russischen Föderation keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld bzw. Umschulungen hat und auch die Kosten der Sozialversicherung nicht vom Arbeitsamt übernommen werden, war nicht nachzukommen. Der Auskunft der deutschen Botschaft vom 8. November 2013 ist das Gegenteil der Beweisbehauptung zu entnehmen. Nachdem Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit oder ein sonstiges Ungenügen dieser Auskunft nicht vorliegen, bedarf es keiner weiteren Beweiserhebung (§ 98 ZPO, § 412 Abs. 1 ZPO; vgl. auch BVerwG, B. v. 27.3.2013 - 10 B 34.12; der im Klägerschriftsatz vom 16.5.2014 geforderten Einzelfallprüfung durch die russische Sozialbehörde bedarf es nicht, nachdem die im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu stellende Prognose - also die Wahrscheinlichkeit einer Situation oder Entwicklung - im Streit steht). Auch dem Beweisantrag Nr. 2 lit. d auf Einholung eines länderkundigen Gutachten zum Beweis der Tatsache, dass die Arbeitslosengeldzahlungen in der russischen Föderation nicht ausreichen, um den Lebensunterhalt zu sichern, war nicht nachzukommen. Der Senat geht davon aus, dass die Beweisbehauptung zutrifft, dass also das Arbeitslosengeld nicht reichen würde, um den Lebensunterhalt des Klägers zu sichern. Angesichts der sonstigen Unterstützungsmöglichkeiten, auf die der Kläger zurückgreifen kann (insbesondere - wie nachfolgend dargestellt - Familie und Verwandtschaft sowie der Geldbetrag der Beklagten), würde dieser Umstand aber nicht zur Ursache einer wesentlichen Gesundheitsverschlechterung des Klägers werden. Aus diesem Grund kommt es auch nicht auf die im Klägerschriftsatz vom 16. Mai 2014 thematisierte Frage an, ob das russische Arbeitsamt die Kranken-, Renten- und Sozialversicherung nur während einer Umschulung oder auch während der übrigen Dauer der Arbeitslosigkeit übernimmt.

In dem unwahrscheinlichen Fall, dass der Kläger keine existenzsichernde Erwerbstätigkeit in Russland ausüben kann, kann er mit Erwerbsunfähigkeitsleistungen rechnen. Nach der in das Verfahren eingeführte Veröffentlichung von Vogts/Shteynberg (Russische Rentengesetze und Ansprüche in Deutschland, Die Rentenversicherung, 2010, Heft 3; http://www. vogtsundpartner.de/voe/So-6-Die%20RV-Heft%203-2010-Auszug-Vogts-Shteynberg-Rentengesetze.pdf) können arbeitsunfähige Personen, die das Rentenalter noch nicht erreicht haben, - sogar wenn sie (noch) im Ausland leben - lebenslang oder bis zum Beginn der Arbeitsaltersrente Anspruch auf eine Arbeitsbehindertenrente haben, die Ähnlichkeiten zur deutschen Rente wegen Erwerbsunfähigkeit aufweist. Eine solche Rente können auch Personen erhalten, die nur kurz oder niemals einer Beschäftigung nachgegangen sind. Die Rentenhöhe ist vom vorangegangenen Beschäftigungszeitraum und dem Behinderungsgrad (drei Stufen) abhängig. Die in der Veröffentlichung von Vogts/Shteynberg beschriebenen Grundsätze gelten für den im Jahr 1966 geborenen Kläger, denn entgegen seiner Auffassung betrifft die Veröffentlichung gerade ältere, spätestens im Jahr 1966 geborene Personen, auf die das neue versicherungsbasierte Rentenmodell noch nicht anwendbar ist. Die mit Klägerschriftsatz vom 16. Mai 2014 eingewendete Voraussetzung einer Beschäftigung von mindestens fünf Jahren gilt - entsprechend S. 1 der Veröffentlichung - nur für die Arbeitsaltersrente. Nachdem der Kläger seinem Arbeitsbuch zufolge acht Jahre lang in Russland erwerbstätig gewesen ist, wird eine solche Rente mit Wahrscheinlichkeit - bei Zugrundelegung der geltenden Maximalbeträge (vgl. Vogts/Shteynberg a. a. O.) - weniger als 100 € betragen. Zu berücksichtigen sind bei der Gesamtbewertung aber auch staatliche Leistungen, die zusätzlich zur Rentenleistung erbracht werden, wie etwa das Recht zur Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel (vgl. Nußberger a. a. O. S. 41).

Schließlich kann der Kläger mit verschiedenartiger Unterstützung aus dem „Programm Landsleute“ rechnen (vgl. B.I.3 lit. a, aa).

Bei nachgewiesener finanzieller Mittellosigkeit können sich (der Stellungnahme der deutschen Botschaft in Moskau vom 8. November 2013 zufolge) in Not geratene und deshalb von Wohnungslosigkeit betroffene russische Staatsangehörige und Einwohner von St. Petersburg bezüglich einer sozialen Unterkunft an das Komitee für Sozialpolitik der Stadt wenden. Nachdem diese öffentliche Sozialleistung der Vermeidung von Obdachlosigkeit dient, ist auszuschließen, dass nach dem Eintritt eines solchen Notfalls längere Zeit bis zu ihrer Gewährung verstreicht. Der Kläger hat zwar mit Beweisantrag Nr. 2 lit. a begehrt, ein länderkundliches Gutachten zum Beweis der Tatsache einzuholen, dass dem Kläger in Russland oder St. Petersburg keine für ihn unter Berücksichtigung seines Gesundheitszustandes (vgl. Attest der Beklagten vom 6.2.2013) geeignete einfache Wohnung durch die Kommune kostenfrei zur Verfügung gestellt wird. Diesem nur für den unwahrscheinlichen Fall einer Unterstützungsbedürftigkeit des Klägers relevanten Beweisantrag war nicht nachzukommen, weil er unsubstantiiert ist. Der Kläger hat keine Anhaltspunkte angegeben, die für eine Unrichtigkeit der Auskunft vom 8. November 2013 sprechen. Der Beweisantrag ist auch deshalb unsubstantiiert, weil keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Kläger auf einen ruhigen isolierten Wohnraum mit einer Rückzugsmöglichkeit angewiesen, also unfähig zum Wohnen in einer Gemeinschaftswohnung ist, und weil auch das Attest vom 6. Februar 2013 aus den in Abschnitt B.I.3 lit. a, cc dargelegten Gründen keinen solchen Anhaltspunkt darstellt (mit dem „Attest der Beklagten vom 6.2.2013“ meint der Kläger offensichtlich das Attest der Institutsambulanz des Klinikums N. vom 6.2.2013, das von einem „ruhigen isolierten Wohnraum mit einer Rückzugsmöglichkeit“ spricht).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist eine mögliche Unterstützung durch Angehörige im In- und Ausland in die gerichtliche Prognose gemäß § 53 Abs. 6 Ausländergesetz 1990 (Jetzt § 60 Abs. 7 AufenthG) mit einzubeziehen (vgl. B. v. 1.10.2001 - 1 B 185/01).

Die Beklagte hat im Revisionsverfahren Az. 1 C 3/11 ausgeführt, im russischen Kulturbereich bestehe traditionell ein enger familiärer Zusammenhalt. Für die Richtigkeit dieses Vorbringens spricht der Stand der Entwicklung der russischen Gesellschaft und die begrenzte Leistungsfähigkeit des sozialistischen Staates, die sich nach den Umwälzungen ab dem Ende der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts in einer faktischen Begrenztheit des russischen Sozialsystems fortsetzt (vgl. insbesondere B.I.3 lit. b).

Von der Existenz von Verwandten des Klägers in Russland, insbesondere in St. Petersburg, hat der Senat auszugehen. Die Eltern des Klägers haben hier gelebt und gearbeitet, der Kläger ist hier aufgewachsen. Für dortige Verwandte des Klägers sprechen auch seine Angaben gegenüber dem Gutachter Dr. W. (vgl. dessen Gutachten vom 23.8.2013), die Überlassung des Petersburger Geschäfts des Klägers an einen Cousin sowie die Erwähnung „entfernter“ Verwandter im Schriftsatz vom 29. Januar 2014. Die Beklagte hat den Kläger im Hinblick auf eine Unterstützung durch Verwandte in Russland mehrfach auf seine Mitwirkungspflicht betreffend die Feststellung des familiären Umfeldes in Russland hingewiesen. Dieser Hinweis ist zutreffend, weil es um persönliche Umstände aus dem Bereich des Klägers geht (vgl. BVerwG, U. v. 29.10.2002 - 1 C 1.02 - DVBl. 2003,463 - Juris Rn. 11). Der Kläger hat sich jedoch dieser Anforderung von Anfang an verweigert (beispielsweise hat er im Verfahren 19 B 07.2762 vorgetragen, er habe bei den Reisen nach Russland im Zeitraum 2000/2001 „keine ihm bekannten Personen besucht“, und die Existenz von Verwandten bestritten). Er beschränkt sich darauf, die von der Beklagten genannten Anhaltspunkte für Verwandte in Russland in Zweifel zu ziehen und die Beklagte insoweit auf den Berufsbetreuer zu verweisen (Klägerschriftsatz vom 29.1.2014). Jedoch verfügt nicht der Betreuer, sondern der Kläger über das einschlägige Wissen, und es ist auch nicht ersichtlich, dass er (anwaltlich vertreten) zu einem entsprechenden Vortrag nicht in der Lage wäre. Eine Darstellung der Verwandtschaftsverhältnisse in Russland hat die Klägerseite selbst dann nicht angeboten, als sie durch die Gründe des Beschlusses, durch den eine Einvernahme der Mutter des Klägers abgelehnt worden ist, noch einmal auf die Mitwirkungsverpflichtung hingewiesen worden ist. Die auf das bewusste Verhalten des Klägers zurückzuführende Unklarheit hinsichtlich seiner Verwandten in Russland wirkt sich zu seinen Lasten aus; er hat die nachteiligen Folgen seiner mangelnden Mitwirkung zu tragen (vgl. BVerwG, U. v. 26.1.2006 - 2 C 43/04 - BVerwGE 125,79, Juris Rn. 22).

Der Kläger behauptet, er unterhalte seit seiner Einreise in das Bundesgebiet keinerlei Kontakte zu seinen russischen Verwandten. Jedoch kann der Senat vom Fehlen solcher Kontakte nicht ausgehen, denn der Kläger verhindert durch seine Weigerung, seine Verwandtschaftsverhältnisse in Russland darzulegen, dass der Frage der Existenz solcher Kontakte nachgegangen werden kann. Unter anderem der in russischen Familien übliche enge verwandtschaftliche Zusammenhalt, die Überlassung des Petersburger Geschäfts an einen Cousin, die Reisen des Klägers zum Jahreswechsel 2000/2001 nach Russland sowie die Tatsache, dass der Kläger im Bundesgebiet kein neues Beziehungsgeflecht zu knüpfen vermocht hat, stellen Anhaltspunkte für solche Kontakte dar. In dem unwahrscheinlichen Fall, dass der Kläger tatsächlich seit seinem Aufenthalt im Bundesgebiet keine Kontakte zu seinen russischen Verwandten gehabt haben sollte, spräche nichts dafür, dass eine Kontaktaufnahme für ihn eine besondere Belastung darstellen könnte. Der Kläger hat erst im Alter von mehr als 30 Jahren Russland verlassen. Angesichts dessen ist nicht ersichtlich, dass er nicht auf früher geknüpfte Kontakte zurückgreifen könnte. Zudem sind von seiner Mutter, die die Situation des Klägers und die verwandtschaftlichen Beziehungen mit Wahrscheinlichkeit besonders gut kennt, Hilfeleistungen bei der Kontaktaufnahme und Appelle an den familiären Zusammenhalt gegenüber der Verwandtschaft zu erwarten. Schließlich würde selbst eine besondere Belastung des Klägers infolge der Kontaktaufnahme angesichts der neuroleptischen Medikation keine produktivpsychotische Episode auslösen.

Von Seiten ortsnaher Verwandter kommt Unterstützung insbesondere durch Sozialkontakte und durch Sachleistungen in Betracht, etwa das Angebot einer Unterkunft. Nachdem der Kläger in der Lage ist, seine Straftat überzeugend als Notwehrhandlung darzustellen (vgl. die Anamnese im Attest vom 6.2.2013), wird sie selbst dann einer verwandtschaftlichen Hilfeleistung nicht entgegenstehen, wenn sie den Verwandten bekannt werden sollte.

Mit dem Beweisantrag Nr. 4 hat der Kläger die Einvernahme seiner Mutter zum Beweis der Tatsachen begehrt, dass er keinerlei Kontakt zu Verwandten in Russland hat, die Zeugin selbst keinen Kontakt hat und keinen Kontakt herstellen kann. Auch diesem Beweisantrag konnte mangels der erforderlichen Substantiierung nicht nachgegangen werden. In ihm wird ebenfalls das Fehlen von Kontakten (des Klägers und seiner Mutter) zur russischen Verwandtschaft unterstellt, wovon der Senat aus den bereits genannten Gründen nicht ausgehen kann. Zudem werden für die Behauptung, die Mutter des Klägers könne solche Kontakte auch nicht herstellen, keinerlei Anhaltspunkte vorgetragen. Gegen die Richtigkeit dieser Behauptung spricht, dass die Mutter des Klägers fast ihr ganzes Leben in Russland verbracht hat (wo dem familiären Zusammenhalt besondere Bedeutung zukommt) und die verwandtschaftlichen Beziehungen mit Wahrscheinlichkeit besonders gut kennt.

In Deutschland leben auch noch die beiden Schwestern des Klägers. Auch wenn in den letzten Jahren zwischen dem Kläger und seinen Schwestern kein Kontakt bestanden haben sollte, hat er zumindest mäßige Unterstützungsbeiträge von diesen zu erwarten.

Mit dem Beweisantrag Nr. 4 hat der Kläger die Einvernahme seiner Mutter zum Beweis auch dafür begehrt, dass seine in Deutschland lebenden Schwestern wirtschaftlich nicht in der Lage sind, den Kläger zu unterstützen und ebenfalls keinen Kontakt zu dem Kläger haben und ihn deshalb auch nicht unterstützen würden. Auch diesem Beweisantrag kann nicht stattgegeben werden. Hinsichtlich der Behauptung, die Schwestern des Klägers seien wirtschaftlich nicht in der Lage, den Kläger zu unterstützen, ist der Beweisantrag unsubstantiiert, weil beide Schwestern (berufstätig als Ärztin bzw. als Krankenschwester) Erwerbseinkommen haben und der Vortrag, sie hätten Unterhaltsverpflichtungen, nicht genügt, um die Behauptung einer Unfähigkeit zur Unterstützung (die angesichts der Tatsache, dass der Lebensunterhalt in Russland zu einem Bruchteil des hiesigen zu bestreiten ist, nicht hoch sein muss) zu substantiieren. Für die Frage, ob die Schwestern des Klägers (Verwandte des zweiten Grades) diesen unterstützen würden, sind bestehende Kontakte zwischen dem Kläger und seinen Schwestern nicht entscheidend; gerade ein Notfall kann zur Wiederaufnahme von Kontakten führen. Eine Aussage der Mutter des Klägers mit dem Inhalt, dieser werde von seinen Schwestern nicht unterstützt werden, ergäbe keinen Beweis, so dass der Beweisantrag darüber hinaus ungeeignet ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kommt es auf die Wahrscheinlichkeit der Unterstützung an; die Frage, ob eine Rechtspflicht zur Unterstützung besteht, ist unerheblich. Diese Wahrscheinlichkeit kann nur durch tatsächliche Anhaltspunkte festgestellt werden, nicht aber durch eine Zeugenaussage, die durch die verwandtschaftliche Interessenlage bestimmt ist. Daher war auch der Anregung der Klägerseite in der mündlichen Verhandlung, die Schwestern des Klägers zu vernehmen, nicht nachzukommen. Für eine Unterstützung durch die Schwestern sprechen die verwandtschaftlichen Nähe, die gemeinsame Kindheit, die gemeinsame Jugend, die gemeinsame Übersiedlung ins Bundesgebiet sowie die Bedeutung des Zusammenhalts in russischen Familien. Weiterhin fühlt sich die Mutter des Klägers offensichtlich verpflichtet, ihren Sohn zu unterstützen, und es ist nicht zu erwarten, dass die Töchter ihre Mutter, die Grundsicherung erhält, bei diesem nachvollziehbaren Vorhaben allein lassen werden.

Schließlich hat die Beklagte (entsprechend einer Anregung der Landesanwaltschaft im Revisionsverfahren 1 C 3.11 und einer eigenen Überlegung im Schriftsatz vom 27.3.2014) zugesichert, dem Kläger bei der Aufenthaltsbeendigung einen Geldbetrag in Höhe von 5.000 € auszuhändigen, so dass er bei der Gründung einer Existenz gesichert und auch in der Lage ist, die benötigten Medikamente für die erste Zeit zu erwerben.

C. Die Kostenentscheidung betrifft nur noch die Kosten des Verfahrens betreffend die Regelung des Vollzugs der Ausweisung. Die Ausweisung ist nicht mehr Verfahrensgegenstand und die Kosten des sie betreffenden Verfahrens sind dem Kläger bereits auferlegt worden (vgl. insoweit zuletzt den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 13.3.2009 im Verfahren 1 B 20.08). Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, nachdem der Kläger letztlich auch hinsichtlich der Regelung des Vollzugs der Ausweisung und der hiermit zusammenhängenden Fragen unterlegen ist.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff. ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird. § 74 Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(2) Das Gericht kann außer in den Fällen des § 38 Absatz 1 und des § 73b Absatz 7 bei Klagen gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz im schriftlichen Verfahren durch Urteil entscheiden, wenn der Ausländer anwaltlich vertreten ist. Auf Antrag eines Beteiligten muss mündlich verhandelt werden. Hierauf sind die Beteiligten von dem Gericht hinzuweisen.

(3) Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe ab, soweit es den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt oder soweit die Beteiligten übereinstimmend darauf verzichten.

(4) Wird während des Verfahrens der streitgegenständliche Verwaltungsakt, mit dem ein Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde, durch eine Ablehnung als unbegründet oder offensichtlich unbegründet ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Das Bundesamt übersendet dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts. Nimmt der Kläger die Klage daraufhin unverzüglich zurück, trägt das Bundesamt die Kosten des Verfahrens. Unterliegt der Kläger ganz oder teilweise, entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

1. Die Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung der Nrn. 4, 5 und 6 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 20. Dezember 2016 verpflichtet, festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beim Kläger hinsichtlich Pakistans vorliegen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Von den Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens tragen der Kläger 3/4, die Beklagte 1/4.

3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch den jeweiligen Vollstreckungsgläubiger durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der Kläger ist pakistanischer Staatsangehöriger, sunnitischer Religionszugehörigkeit und Paschtune. Nach eigenen Angaben reiste er am 13. September 2015 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 16. August 2016 Asyl.

Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im folgenden Bundesamt) am 18. Oktober 2016 gab der Kläger im Wesentlichen an, er habe sein Heimatland Anfang bzw. Mitte 2014 verlassen und sei über den Iran, die Türkei, Bulgarien, Serbien, Ungarn und Österreich auf dem Landweg nach Deutschland gekommen. In Pakistan habe er zusammen mit seiner Familie in einem Haus in Peshawar gelebt. Er habe eine Ausbildung zum Autoelektriker begonnen, aber noch nicht abgeschlossen.

Die Familie des Klägers stamme ursprünglich aus Afghanistan. Sein Großvater habe einen Obstladen in Peshawar gehabt und ein Wohnhaus im Stadtteil Kakshal gekauft. Zwei Jahre später sei er verstorben, das Haus hätten der Vater des Klägers und dessen Bruder geerbt. Der Onkel des Klägers sei nicht anständig gewesen, habe nicht gearbeitet und Haschisch konsumiert. Er habe deswegen ständig Streit mit dem Vater des Klägers gehabt. Die Leute, mit denen sein Onkel zusammen gewesen sei, seien verdorben gewesen. In der Nachbarschaft habe eine Familie gelebt, die Drogen verkauft und Leute umgebracht habe. Der Onkel des Klägers habe mit dieser Familie zu tun gehabt und sich von ihnen Geld geliehen, dann aber seine Schulden nicht begleichen können. Der Onkel habe gegenüber seinen Gläubigern angegeben, Eigentümer des gesamten Hauses der Familie des Klägers zu sein. Deswegen seien diese Leute ständig zum Kläger nach Hause gekommen und hätten seine Familie bedroht, damit diese das Haus verlasse. Der Onkel des Klägers sei mit diesen Leuten anfangs befreundet gewesen, wegen der Schulden sei daraus aber eine Feindschaft entstanden. Einer dieser Leute habe seinen Onkel mit einer Pistole angeschossen. Eines Tages habe sein Onkel zwei Brüder aus dieser Familie umgebracht. Der Kläger und seine Eltern hätten davon nichts gewusst. Eines Tages, etwa im Januar oder Februar 2013, als der Kläger mit seiner Familie abends etwa gegen 20.00 Uhr zu Hause ferngesehen hätte, hätten plötzlich Leute auf sie geschossen. Seine Eltern und sein einer Bruder seien dabei gestorben. Der Kläger selbst sei von einer Kugel am Hals getroffen worden. Er habe nicht gewusst, dass seine Eltern getroffen worden seien und sei ganz durcheinander gewesen. Nachbarn hätten ihn in ein Krankenhaus gebracht und er sei bewusstlos geworden. Später habe er erfahren, dass die Polizei da gewesen sei, die wohlhabenden Nachbarn diese aber bestochen hätten, so dass der Fall nicht weiter verfolgt worden sei.

Nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus sei der Kläger zunächst zu einem anderen Onkel in Faisalabad gegangen. Dieser und Freunde hätten dem Kläger aber gesagt, sein Leben sei auch dort in Gefahr. Der Kläger sei dann weiter nach Punjab gegangen. Dort habe er bei einem Mann namens Arbeit und Unterkunft gefunden und zunächst ein normales Leben führen können. Eines Tages seien aber Personen gekommen und hätten gefragt, ob der Kläger bei ihm arbeite. Dieser habe dies zwar verneint, die Leute hätten ihm aber gesagt, sie wüssten, dass dies der Fall sei. habe dem Kläger dann gesagt, dass es auch in Punjab für ihn zu gefährlich sei. Der Kläger habe sich nicht an die Behörden wenden können, da er in Punjab als Flüchtling gelebt habe und nur eine Flüchtlingskarte besessen habe. Dabei habe es sich um seine Identifikationskarte gehandelt, ohne die er bei Kontrollen im Gefängnis gelandet wäre, da behauptet worden sei, er sei ein Flüchtling aus Afghanistan. Er wisse nicht, wie es diesen Leuten gelungen sei, ihn in Punjab aufzuspüren. Sein anderer Bruder, der bei dem Überfall nicht getötet worden sei, sei von weit entfernt wohnenden Verwandten abgeholt worden. Auch der Kläger sei kurz bei diesen gewesen, sein Onkel habe ihm aber gesagt, er müsse weiter, da nach ihm gesucht werde.

Mit Bescheid vom 20. Dezember 2016 wurde der Antrag des Klägers auf Asylanerkennung abgelehnt (Ziffer 2 des Bescheides), die Flüchtlingseigenschaft sowie der subsidiäre Schutzstatus wurden nicht zuerkannt (Ziffern 1 und 3 des Bescheides). Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen (Ziffer 4 des Bescheides). Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland binnen 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen, widrigenfalls wurde ihm die Abschiebung nach Pakistan oder in einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht (Ziffer 5 des Bescheides). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 6 des Bescheides). Auf die Begründung des Bescheides wird Bezug genommen, § 77 Abs. 2 des Asylgesetzes (AsylG). Der Bescheid wurde dem Kläger am 22. Dezember 2016 gegen Postzustellungsurkunde zugestellt.

Mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 29. Dezember 2016, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth am gleichen Tage, ließ der Kläger Klage erheben und beantragt zuletzt,

den Bescheid vom 20. Dezember 2016 aufzuheben und dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,

hilfsweise ihm subsidiären Schutz zu gewähren,

weiter hilfsweise, das Bestehen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen.

Für die Beklagte erwiderte das Bundesamt mit Schriftsatz vom 12. Januar 2017 und beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Rechtsstreit wurde mit Kammerbeschluss vom 6. Dezember 2017 auf den Berichterstatter zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen.

Mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 11. Januar 2018 ließ der Kläger seine Klage dahingehend begründen, dass er in seiner Heimat massive Verfolgung ausgesetzt sei, hinsichtlich derer auf seine Ausführungen in der Anhörung Bezug genommen werde. Er habe eine Schussverletzung in die Weichteile der Halswirbelsäule erlitten, die operativ habe versorgt werden müssen und leide außerdem an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Er habe sich vom 9. August 2017 bis 6. September 2017 zur stationären Behandlung im Bezirkskrankenhaus befunden. Die psychiatrische Nachbehandlung werde seitdem durch die Institutsambulanz des Bezirkskrankenhauses durchgeführt. Der Kläger leide nach wie vor unter psychischen Beeinträchtigungen, weine aufgrund seiner depressiven Verstimmungen sehr viel und habe aufgrund der Schussverletzung nach wie vor Schmerzen im Nacken, Kopfschmerzen und sein Kopf fühle sich taub an. Er sei aufgrund seiner Hilfsbedürftigkeit nicht in der Lage in seinem Heimatland sein Existenzminimum zu sichern. Die Eltern des Klägers seien verstorben, wie sich aus den beigefügten Todesbescheinigungen ergebe. Der Kläger sei auf eine langfristige therapeutische Behandlung und Medikation angewiesen. Bei einer Rückkehr nach Pakistan bestünde für ihn aufgrund der dortigen unzureichenden Versorgungslage eine erhebliche, lebensbedrohliche Gesundheitsgefahr.

Der Kläger legte außerdem insbesondere einen Arztbrief des Bezirkskrankenhauses , Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, vom 6. September 2017 vor, in dem als Diagnosen eine posttraumatische Belastungsstörung (ICD10:F43.1), der Zustand nach Schussverletzung in die Weichteile der Halswirbelsäule 2013 mit operativer Versorgung, Spannung Kopfschmerzen und gastrointestinale Beschwerden mit verifizierter Norovirusinfektion angegeben sind. Außerdem wird ausgeführt, der Kläger habe im Rahmen des Anamnesegesprächs angegeben, er sei wegen eines Konfliktes mit einem Lehrer wegen seiner Wutanfälle und ständigen Streiten im April 2014 von der Schule verwiesen worden. Er wolle eine Ausbildung beginnen, dürfe dies aber während des laufenden Asylverfahrens nicht. Beim Kläger liege eine depressive Symptomatik mit gedrückter Stimmung, Antriebslosigkeit, Lustverlust, Freud- und Interesselosigkeit und sozialem Rückzug vor. Zur Linderung seiner Schlafstörungen und Grübelneigung habe er zunächst Olanzapin velotab 2,5 mg zur Nacht erhalten, was aber keinen Erfolg gebracht habe. Die Medikation sei dann auf Valdoxan 25 mg zur Nacht umgestellt worden. In der Nacht vom 17. August auf 18. August 2017 habe der Kläger verstärkte Albträume gehabt und einen dissoziationsnahen Zustand entwickelt sowie im Zimmer randaliert und Suizide alle Gedanken geäußert. Er sei daraufhin mit 1 mg Tavor expidet sediert worden, die Medikation sei anschließend auf Sertralin 100 mg pro Tag und Risperdal Quicklet bis zu 2 mg zur Nacht umgestellt worden, woraufhin sich das psychische Befinden des Klägers zunehmend gebessert habe. Gegen die weiterhin bestehenden Schlafstörungen habe er dann Dipiperon bis zu 60 mg zur Nacht erhalten, wodurch sich der Schlaf gebessert habe und keine Albträume mehr aufgetreten seien. Zum Entlasszeitpunkt habe der Kläger glaubhaft Suizidideen und -impulse sowie fremdaggressive Tendenzen verneint. Als weitere Therapie werde eine psychiatrisch-psychotherapeutische Weiterbehandlung unter Fortsetzung der aktuellen Medikation mit Risperdal Quicklet, Sertralin und Dipiperon mit regelmäßigen Spiegelkontrollen empfohlen.

Hinsichtlich des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift vom 25. Januar 2018 Bezug genommen. Ergänzend wird nach § 117 Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.

Gründe

1. Die zulässige Klage ist teilweise begründet, da hinsichtlich des Klägers ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG für Pakistan besteht. Im Übrigen war die Klage als unbegründet abzulehnen, da der streitgegenständliche Bescheid insoweit rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO), da er weder Anspruch auf die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG, noch auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG hat und zugunsten des Klägers auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegt.

a) Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG. Nach § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dann, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 4.11.1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylG).

Hieran gemessen sind die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht gegeben. Weder aus seinem Vorbringen gegenüber dem Bundesamt noch aus seinen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung ergibt sich eine Anknüpfung an eines der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Merkmale. Vielmehr ist der Kläger Opfer kriminellen Unrechts geworden.

b) Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG. Danach ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Die Gefahr eines ernsthaften Schadens kann nicht nur vom Staat drohen (§ 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c Nr. 2 AsylG) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings scheidet die Gewährung subsidiären Schutzes aus, wenn der Ausländer in einem Teil seines Herkunftslandes keiner Gefahr eines ernsthaften Schadens ausgesetzt ist, weil er dort Zugang zu Schutz vor einem solchen ernsthaften Schaden i.S.d. § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 4 Abs. 3 i.V.m. § 3e Abs. 1 AsylG).

Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes muss sich das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten Verfolgungsschicksals und der Wahrscheinlichkeit der Verfolgungsgefahr bilden. Eine bloße Glaubhaftmachung in der Gestalt, dass der Vortrag lediglich wahrscheinlich sein muss, ist nicht ausreichend (vgl. grundlegend BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109.84 – BVerwGE 71, 180). Es ist vielmehr der asylrechtliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu Grunde zu legen. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhaltes die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Hierbei darf das Gericht jedoch hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerland, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder der Feststellung eines Abschiebungsverbotes führen sollen, keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen, sondern muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fragen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, auch wenn Zweifel nicht völlig auszuschließen sind (BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109.84 – BVerwGE 71, 180). Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – BVerwGE 146, 67). Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ist dabei ein ernsthafter Hinweise darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von einer solchen Verfolgung und einem solchen Schaden bedroht wird (Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU – QualifikationsRL). Dies privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Damit wird für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür begründet, dass sie erneut von einem ernsthaften Schaden bei einer Rückkehr in ihr Heimatland bedroht werden. Dadurch wird der Antragsteller, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die einen solchen Schaden begründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Als vorverfolgt gilt ein Schutzsuchender dann, wenn er aus einer durch eine eingetretene oder unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung hervorgerufenen ausweglosen Lage geflohen ist. Die Ausreise muss das objektive äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck dieser Verfolgung stattfindenden Flucht aufweisen. Das auf dem Zufluchtsgedanken beruhende Asyl- und Flüchtlingsrecht setzt daher grundsätzlich einen nahen zeitlichen (Kausal-)Zusammenhang zwischen der Verfolgung und der Ausreise voraus. Es obliegt aber dem Schutzsuchenden, sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darzulegen. Er muss daher die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen. Dazu bedarf es – unter Angabe genauer Einzelheiten – einer stimmigen Schilderung des Sachverhalts. Daran fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder auf Grund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (VGH BW, U.v. 27.8.2013 – A 12 S 2023/11 – juris Rn. 35; Hess. VGH, U.v. 4.9.2014 – 8 A 2434/11.A – juris Rn. 15).

Hieran gemessen sind die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes nicht gegeben, denn dem Kläger steht jedenfalls eine inländische Fluchtalternative i.S.d. § 3e AsylG zur Verfügung. In den Städten Pakistans – vor allem in den Großstädten Rawalpindi, Lahore, Karatschi, Peshawar oder Multan – leben potentiell Verfolgte aufgrund der dortigen Anonymität sicherer als auf dem Lande. Selbst Personen, die wegen Mordes von der Polizei gesucht werden, könnten in einer Stadt, die weit genug von ihrem Heimatort entfernt liegt, unbehelligt leben (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Pakistan, Stand August 2017, S. 20). Es besteht – schon aufgrund der Größe des Landes – die Möglichkeit, in den Schutz der größeren Städte zu fliehen, falls es sich nicht um Personen handelt, die bereits überregional bekannt geworden sind. Dies wird auch von Vertretern unabhängiger pakistanischer Menschenrechtsorganisationen als Ausweichmöglichkeit gesehen. (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Pakistan, Stand 20.12.2017, S. 116; Accord – Austrian Center for Country of Origin and Asylum Research and Documentation, Anfragebeantwortung zu Pakistan: Gibt es für Personen, die sich weigern, sich den Taliban anzuschließen, eine innerstaatliche Fluchtalternative oder droht in diesem Fall eine landesweite Verfolg…, a-9045-2 (9046), vom 5.2.2015). Beim Kläger handelt es sich nicht um eine Person, bei der von einer überregionalen Bekanntheit in Pakistan auszugehen ist. Männer können bei privaten Disputen oder der Gefährdung, Opfer eines Ehrverbrechens zu werden, also in Fällen, wo nur durch Privatpersonen eine Verfolgung besteht, grundsätzlich meist in andere Gebiete Pakistans ausweichen (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Pakistan, Stand 20.12.2017, S. 116 f.). Dass der Kläger, wie von ihm vorgetragen, zwar in einem kleinen Ort im Punjab von seinen Verfolgern aufgespürt wurde, steht dem nicht entgegen. Naturgemäß ist es einfacher, eine gesuchte Person in einem ländlichen bzw. dörflichen Umfeld, in dem ein fremder wesentlich schneller auffällt, zu finden als in einer anonymen Großstadt wie beispielsweise Karatschi mit knapp 15 Millionen Einwohnern.

Es kann auch vernünftigerweise erwartet werden, dass er sich an einem anderen Ort niederlässt, an dem er vor Verfolgung sicher ist und dort sein soziales und wirtschaftliches Existenzminimum gewährleistet ist. Der knapp 21-jährige Kläger ist arbeitsfähig und war auch bislang in der Lage, in Pakistan für seinen Lebensunterhalt aufzukommen. Es ist daher nicht ersichtlich, dass ihm dies nicht auch in einer anderen Region Pakistans möglich sein sollte. Zudem kann sich der Kläger in Pakistan weitgehend frei bewegen. Laut Gesetz ist die Bewegungsfreiheit in Pakistan gewährleistet, eine Einschränkung besteht nur hinsichtlich des Zugangs zu bestimmten Gebieten der Stammesgebiete unter Bundesverwaltung im Nordwesten Pakistans (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Pakistan, Stand 29.6.2017, S. 109).

c) Der Kläger kann sich schließlich auch nicht auf das Bestehen eines Abschiebungsverbotes i.S.d. § 60 Abs. 5 AufenthG berufen. Auch insoweit schließt sich das Gericht den zutreffenden Ausführungen in den Gründen des streitgegenständlichen Bescheids insbesondere auch zu den humanitären Bedingungen in Pakistan im Hinblick auf Art. 3 EMRK an, auf die Bezug genommen wird, § 77 Abs. 2 AsylG.

d) Allerdings liegen hinsichtlich des Klägers die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf Pakistan vor. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche krankheitsbedingte Gefahr setzt gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG voraus, dass sich der Gesundheitszustand des Ausländers in seiner Heimat wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde, wobei eine konkrete Gefahr besteht, wenn der Ausländer alsbald nach der Rückkehr in den Heimatstaat in diese Lage geriete, weil er auf die dortigen unzureichenden Möglichkeiten zur Behandlung seines Leidens angewiesen wäre und auch anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte (BVerwG, U.v. 25.11.1997 – 9 C 58/96 – BVerwGE 105, 383).

Im Falle einer psychischen Erkrankung wie der vorliegend geltend gemachten posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) besteht angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes sowie seiner vielfältigen Symptome regelmäßig die Notwendigkeit der Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attests. Aus diesem muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Wird das Vorliegen einer PTBS auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist (vgl. BVerwG, U.v. 11.9.2007 – 10 C 8/07 – BVerwGE 129, 251).

Aus dem von Klägerseite vorgelegten Arztbrief des Bezirkskrankenhauses , Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, vom 6. September 2017, der ausführlich und nachvollziehbar die bisherige Behandlung, die Beschwerden des Klägers sowie die erhobenen Befunde darstellt, ergibt sich insoweit zur Überzeugung des Gerichts, dass der Kläger an einer PTBS leidet. Er bedarf zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt einer psychiatrischen Behandlung und Medikation, wie sie derzeit vom Bezirkskrankenhaus durchgeführt wird. Eine solche wäre für ihn aber in Pakistan nicht zu erreichen. Aufgrund der vorliegenden Erkenntnismittel geht das Gericht zwar davon aus, dass in Pakistan eine medizinische Behandlung grundsätzlich möglich ist und auch die Grundversorgung mit nahezu allen gängigen Medikamenten sichergestellt ist (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der islamischen Republik Pakistan – Lagebericht, Stand August 2017, S. 25), allerdings gilt dies nicht hinsichtlich der Behandlung psychischer Erkrankungen; insbesondere mit einer Psychotherapie. Die psychiatrische Versorgung in Pakistan ist gemessen an europäischen Standards dürftig, es besteht dabei noch ein großes Gefälle zwischen Stadt und Land. 90% der Dienstleistungen im Bereich geistiger Gesundheit sind darüber hinaus privat und deren Kosten gemessen am Durchschnittseinkommen extrem hoch. Auf Grund des akuten Mangels an psychosozialen Fachkräften und des relativ geringen Bewusstseinsstandes für psychische Gesundheit, lässt sich die Mehrheit der psychiatrischen Patienten von traditionellen „Wunderheilern“ und religiösen Heilern behandeln. Das Stigma, das mit psychischen Störungen verbunden ist, und die Diskriminierung von Patienten und deren Familie hält Personen davon ab, Dienstleistungen der psychischen Gesundheitsvorsorge in Anspruch zu nehmen. Der Bereich der geistigen Gesundheit hat die niedrigste Priorität, der Gesundheitsdienst ist elementar bis miserabel (vgl. hierzu ausführlich VG Ansbach, U.v. 27.2.2014 – AN 11 K 13.31170 – juris Rn. 43 ff; VG München, U.v. 12.5.2016 – M 23 K 14.31059 - juris Rn. 36, jeweils m.w.N.). Personen, die nach Pakistan zurückkehren, erhalten keinerlei staatliche Wiedereingliederungshilfen oder sonstige Sozialleistungen (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der islamischen Republik Pakistan – Lagebericht, Stand August 2017, S. 25). Die Kernfamilie des Klägers wurde nach seinem glaubhaften und auch vom Bundesamt nicht in Zweifel gezogenen Vortrag ermordet. Ebenso konnte der Kläger glaubhaft und nachvollziehbar schildern, dass sein Onkel mütterlicherseits, der ihn zunächst bei sich aufgenommen hatte, aus Angst vor den Verfolgern des Klägers dessen weitere Unterstützung abgelehnt und ihm geraten hat, das Land zu verlassen. Zu anderen Verwandten hat der Kläger nach seinen glaubhaften Angaben keinen Kontakt mehr. Anders als in der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids ausgeführt, kann der Kläger somit nicht auf weitere familiäre Bindungen in seinem Heimatland zurückgreifen. Bei einer Rückkehr nach Pakistan wäre er vielmehr auf sich allein gestellt. Darüber hinaus erscheint es aufgrund der medizinischen Stellungnahme als äußerst wahrscheinlich, dass sich der gesundheitliche Zustand des Klägers im Fall einer zwangsweisen Rückkehr in sein Heimatland deutlich verschlechtern würde. Im Laufe der Behandlung trat beim Kläger bereits einmal ein dissoziatonsnaher Zustand ein, in dem er Suizidabsichten äußerte. Deshalb ist davon auszugehen, dass sich im Fall einer zwangsweisen Rückkehr in seine Heimat der Gesundheitszustand mangels Möglichkeit der Inanspruchnahme einer umfangreichen psychologischen und psychiatrischen Behandlung deutlich verschlechtern würde. Damit liegt ein Abschiebungshindernis vor, dass zur Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führt.

Ziffer 4 des streitgegenständlichen Bescheids war daher insoweit aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass für den Kläger die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Pakistans vorliegen. Infolge des Abschiebungsverbots war auch die Abschiebungsandrohung in Ziffer 5 des Bescheids aufzuheben, da im Umkehrschluss zu § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG eine Abschiebungsandrohung unzulässig ist, wenn die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen und kein atypischer Fall gegeben ist (BayVGH, U.v. 23.11.2012 – 13a B 12.30061 – juris). Ziffer 5 des streitgegenständlichen Bescheids ist daher rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben. Die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten richtet sich nach § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 der Zivilprozessordnung (ZPO). Der Gegenstandswert beträgt nach § 30 Abs. 1 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) 5.000,00 €.

(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird. § 74 Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(2) Das Gericht kann außer in den Fällen des § 38 Absatz 1 und des § 73b Absatz 7 bei Klagen gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz im schriftlichen Verfahren durch Urteil entscheiden, wenn der Ausländer anwaltlich vertreten ist. Auf Antrag eines Beteiligten muss mündlich verhandelt werden. Hierauf sind die Beteiligten von dem Gericht hinzuweisen.

(3) Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe ab, soweit es den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt oder soweit die Beteiligten übereinstimmend darauf verzichten.

(4) Wird während des Verfahrens der streitgegenständliche Verwaltungsakt, mit dem ein Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde, durch eine Ablehnung als unbegründet oder offensichtlich unbegründet ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Das Bundesamt übersendet dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts. Nimmt der Kläger die Klage daraufhin unverzüglich zurück, trägt das Bundesamt die Kosten des Verfahrens. Unterliegt der Kläger ganz oder teilweise, entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tatbestand

1

Der Kläger erstrebt Abschiebungsschutz wegen ihm in Afghanistan drohender Gefahren.

2

Der 1970 geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört zur Volksgruppe der Paschtunen und stammt aus der Provinz Kunar. Er reiste im April 2001 nach Deutschland ein und betrieb hier erfolglos ein Asylverfahren. Im Juni 2007 stellte er einen Asylfolgeantrag. Mit Bescheid vom 18. Juni 2007 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens und eine Änderung seiner Feststellung zum Nichtvorliegen von Abschiebungshindernissen gemäß § 53 Abs. 1 bis 6 AuslG 1990 ab. Das Verwaltungsgericht hat das Bundesamt im Mai 2008 zu der Feststellung verpflichtet, dass bei dem Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Afghanistans vorliegt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.

3

Hiergegen hat nur die Beklagte Berufung eingelegt. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung im Juni 2009 zurückgewiesen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt: Das grundsätzlich vorrangige - europarechtlich begründete - Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG sei vorliegend nicht zu prüfen. Zwar sei im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in der Fassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes bereits in Kraft gewesen und der Kläger habe die Feststellung von Abschiebungsverboten "nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG" beantragt. Das Verwaltungsgericht habe über das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG aber - rechtsirrtümlich - nicht entschieden. Da es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass das Verwaltungsgericht bewusst nur über einen Teil des Streitgegenstandes entscheiden wollte, liege kein Teilurteil vor. Das Urteil sei vielmehr im Hinblick auf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG fehlerhaft. Es verstoße gegen § 88 VwGO, weil es über das europarechtliche Abschiebungsverbot rechtsirrtümlich nicht vorrangig entschieden habe. Der Kläger habe jedoch keinen Zulassungsantrag gestellt und der Antrag des Bundesamts auf Zulassung der Berufung sei auf den stattgebenden Teil des angefochtenen Urteils, also das - nationale - Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begrenzt gewesen; nur insoweit sei die Berufung zugelassen worden. Wegen der Dispositionsbefugnis der Beteiligten sei der Streitgegenstand des Berufungsverfahrens damit hierauf beschränkt. Mit der rechtskräftigen Abweisung der Klage durch das Verwaltungsgericht im Übrigen sei die Rechtshängigkeit des unbeschieden gebliebenen europarechtlich begründeten Abschiebungsverbots des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG entfallen.

4

Dem Kläger sei in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG Abschiebungsschutz zu gewähren. Er gehöre zu der Gruppe der beruflich nicht besonders qualifizierten afghanischen Staatsangehörigen, die bei einer Abschiebung nach Kabul ohne Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte seien und dort weder über Grundbesitz noch über nennenswerte Ersparnisse verfügten. Angehörige dieser Gruppe hätten kaum Aussicht, eine Arbeit zu finden und damit ihren eigenen Lebensunterhalt zu sichern. Unter diesen Umständen würden dem Kläger ausschließlich Tee und Brot als Nahrungsmittel zur Verfügung stehen. Angesichts dieser Lebensbedingungen in Afghanistan, insbesondere der derzeit vorherrschenden katastrophalen Versorgungslage, aber auch der medizinischen Versorgung und der Sicherheitslage, bestehe eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger zwangsläufig in einen fortschreitenden Prozess körperlichen Verfalls mit lebensbedrohlichen Folgen geraten würde. Insbesondere die durch die Mangelernährung erhöhte Infektanfälligkeit werde in Verbindung mit dem ebenfalls ernährungsbedingten Eisenmangel zu schwerwiegenden Infektionen der Atmungs- und Verdauungsorgane führen.

5

Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision beanstandet die Beklagte vor allem, dass sich das Berufungsgericht im Hinblick auf die vom Kläger befürchteten allgemeinen Gefahren auf zu schmaler Tatsachengrundlage über die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG hinweggesetzt habe.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Berufungsurteil verletzt in mehrfacher Hinsicht Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Da der Senat mangels ausreichender Feststellungen im Berufungsurteil in der Sache nicht abschließend entscheiden kann, ist das Verfahren an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

7

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist zunächst das Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes. Hierzu zählen in Umsetzung des subsidiären Schutzkonzepts nach Art. 15 und 17 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 - sog. Qualifikationsrichtlinie - die in § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG aufgeführten Abschiebungsverbote. Dieses Begehren ist mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union (BGBl I 2007, 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - im August 2007 Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens geworden und ist dies - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - nach wie vor. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist ferner das Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Feststellung eines (nationalen) Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 und 3 AufenthG einschließlich der Feststellung eines Abschiebungsverbots in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG. Nicht mehr Gegenstand des Verfahrens ist der Folgeantrag des Klägers hinsichtlich der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung, über den das Verwaltungsgericht rechtskräftig (negativ) entschieden hat. Eine Abschiebungsandrohung ist ebenfalls nicht Gegenstand des Verfahrens. Denn das Bundesamt hat hierzu in seinem angefochtenen Bescheid keine Entscheidung getroffen.

8

Das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht, weil es den unionsrechtlichen Abschiebungsschutz nicht geprüft hat (1.). Es verletzt ferner Bundesrecht, weil es beim nationalen Abschiebungsschutz den Anforderungen an die verfassungskonforme Auslegung und Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG im Falle allgemeiner Gefahren nicht hinreichend Rechnung getragen hat (2.). Schließlich verletzt es Bundesrecht, weil seine Feststellungen zur Gefahrenprognose bei verfassungskonformer Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten (3.).

9

1. Das Berufungsgericht hätte nicht ungeprüft lassen dürfen, ob der Kläger die Voraussetzungen für die Feststellung eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots erfüllt. Dieser Streitgegenstand ist in allen Übergangsfällen, in denen das Bundesamt über die Zuerkennung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG a.F. entschieden hat und hiergegen Klage erhoben wurde, mit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes im August 2007 im gerichtlichen Verfahren angewachsen. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats gilt dies jedenfalls dann, wenn das Bundesamt in seinem Ablehnungsbescheid über sämtliche zielstaatsbezogenen aufenthaltsrechtlichen Abschiebungsverbote sachlich entschieden und der Kläger die neuen, auf Unionsrecht beruhenden subsidiären Abschiebungsverbote in das anhängige gerichtliche Verfahren einbezogen hat (vgl. Urteile vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 4.09 - BVerwGE 136, 360 <364 f.> und vom 29. Juni 2010 - BVerwG 10 C 10.09 - BVerwGE 137, 226 <228 f.>). An dieser (vorsorglichen) Einschränkung für ein Anwachsen des unionsrechtlich begründeten Abschiebungsschutzes in Übergangsfällen hält der Senat nicht fest; vielmehr wächst dieser Streitgegenstand kraft Gesetzes und unabhängig vom Verfahrenshandeln der Beteiligten an. Dies leitet der Senat - in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur gesetzlichen Erweiterung des Streitgegenstands der Asylklage um die Prüfung der Voraussetzungen des flüchtlingsrechtlichen Abschiebungsverbots nach § 51 Abs. 1 AuslG 1990 (vgl. u.a. Urteil vom 18. Februar 1992 - BVerwG 9 C 59.91 - Buchholz 402.25 § 7 AsylVfG Nr. 1 = DVBl 1992, 843) - aus folgenden verfahrensrechtlichen und materiellrechtlichen Gründen her:

10

Verfahrensrechtlich hat der Senat in ständiger Rechtsprechung die dem Asylverfahrensgesetz zugrunde liegende Konzentrations- und Beschleunigungsmaxime betont, die dafür streitet, möglichst alle Fragen, die sich typischerweise in einem Asylverfahren stellen, in einem Prozess abschließend zu klären und nicht weiteren Verfahren vorzubehalten (vgl. etwa Urteil vom 29. Juni 2010 a.a.O.). Denn das Asylverfahren ist auf eine alle Arten des Schutzes vor zielstaatsbezogenen Gefahren umfassende Entscheidung angelegt (vgl. Urteile vom 20. April 1999 - BVerwG 9 C 29.98 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 18 und vom 20. Oktober 2004 - BVerwG 1 C 15.03 - Buchholz a.a.O. Nr. 82). Würde man im vorliegenden Zusammenhang ein Anwachsen des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes verneinen, könnte und müsste der Kläger dieses Begehren in einem weiteren Verfahren verfolgen, was in aller Regel mit (zusätzlichen) Verzögerungen verbunden ist.

11

Materiellrechtlich ist ein Anwachsen des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes zunächst im Hinblick auf den nachrangigen nationalen Abschiebungsschutz geboten, soweit es die verfassungskonforme Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG betrifft. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats kann die gesetzlich angeordnete Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei allgemeinen Gefahren nur dann im Wege einer verfassungskonformen Auslegung eingeschränkt werden, wenn für den Schutzsuchenden ansonsten eine verfassungswidrige Schutzlücke besteht. Eine Schutzlücke besteht für den Kläger indes nicht, falls er die Feststellung eines unionsrechtlichen Abschiebungsverbots beanspruchen kann. Dies bedeutet im Verhältnis von unionsrechtlichem und nationalem Abschiebungsschutz, dass bei allgemeinen Gefahren ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung nicht in Betracht kommt, solange die Zuerkennung von subsidiärem unionsrechtlichen Schutz nicht ausgeschlossen ist (vgl. hierzu zuletzt Urteil vom 29. Juni 2010 a.a.O. m.w.N.). Eine bloße Inzidentprüfung des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes im Rahmen der Entscheidung über die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung wäre keine geeignete Alternative, weil das Ergebnis dieser Prüfung keine Bindungswirkung hätte.

12

Die gesetzliche Erweiterung des Streitgegenstandes ergibt sich ferner daraus, dass das Gesetz im Fall der Ablehnung des Schutzantrags in der Regel den Erlass einer Abschiebungsandrohung vorsieht. Nach § 34 AsylVfG erlässt das Bundesamt die Abschiebungsandrohung, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt und ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt wird und er keinen Aufenthaltstitel besitzt. Die Rechtmäßigkeit dieser Abschiebungsandrohung einschließlich der Zielstaatsbezeichnung gemäß § 59 Abs. 2 AufenthG kann im Gerichtsverfahren aber nur dann bestätigt werden, wenn das Vorliegen sämtlicher zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote geprüft und verneint worden ist. Würden im gerichtlichen Verfahren zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote - wie die des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes - zunächst ungeprüft bleiben, müsste auch die Überprüfung der Zielstaatsbezeichnung einem weiteren Verfahren vorbehalten bleiben.

13

Diese materiellrechtlichen Gründe überlagern in ihrer verfahrensrechtlichen Konsequenz das allgemeine Verwaltungsprozessrecht und bewirken, dass in den Fällen, in denen das Bundesamt vor Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes über das (Nicht-)Vorliegen von nationalen Abschiebungsverboten entschieden hat und hiergegen Klage erhoben worden ist, in den anhängigen gerichtlichen Verfahren der am 28. August 2007 neu hinzugetretene unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz automatisch anwächst und damit zwingend zu prüfen ist. Über dieses Prüfprogramm können die Verfahrensbeteiligten nicht disponieren und damit in Übergangsfällen das Anwachsen des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes während des gerichtlichen Verfahrens nicht verhindern. In diesen Fällen bedarf es keiner ausdrücklichen Einbeziehung des neuen, auf Unionsrecht beruhenden subsidiären Abschiebungsschutzes in das anhängige gerichtliche Verfahren durch einen der Verfahrensbeteiligten (so Urteil vom 29. Juni 2010 a.a.O.). Ist der unionsrechtliche Abschiebungsschutz - wie hier - im erstinstanzlichen verwaltungsgerichtlichen Verfahren angewachsen, scheidet er allerdings dann aus dem gerichtlichen Verfahren aus, wenn das Verwaltungsgericht darüber ausdrücklich in der Sache entschieden hat und der unterlegene Beteiligte hiergegen kein Rechtsmittel eingelegt hat. Denn dann ist dieser Streitgegenstand durch eine rechtskräftige Entscheidung abgeschichtet worden. Entsprechendes gilt bei dem Anwachsen des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes im Berufungsverfahren im Falle einer unangefochten bleibenden und damit rechtskräftigen Sachentscheidung durch das Berufungsgericht.

14

Ein Nichtentscheiden oder irrtümliches Übergehen durch das Verwaltungsgericht reicht nicht aus, um den unionsrechtlichen Abschiebungsschutz aus dem Verfahren ausscheiden zu lassen, und zwar auch dann nicht, wenn einer der Beteiligten den unionsrechtlichen Abschiebungsschutz im Verfahren angesprochen hatte. Um Missverständnisse zu vermeiden, weist der Senat auf Folgendes hin: Falls eine gerichtliche Entscheidung, in der das Anwachsen des unionsrechtlich begründeten Abschiebungsschutzes in Übergangsfällen nicht berücksichtigt worden ist, rechtskräftig geworden ist, ist damit die Rechtshängigkeit dieses Teils des Streitgegenstandes entfallen (vgl. Urteil vom 22. März 1994 - BVerwG 9 C 529.93 - BVerwGE 95, 269 <274>). Der Betroffene kann dieses unbeschieden gebliebene Begehren daher beim Bundesamt geltend machen (Urteil vom 22. März 1994 a.a.O. S. 275).

15

Im Entscheidungsfall fehlt es an einer unanfechtbaren Sachentscheidung zum unionsrechtlichen Abschiebungsschutz. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zwar im Übrigen abgewiesen, diese Teilabweisung aber ersichtlich nicht auf den unionsrechtlichen Abschiebungsschutz bezogen. Dass der unionsrechtliche Abschiebungsschutz während des gerichtlichen Verfahrens angewachsen ist, hat das Verwaltungsgericht irrtümlich verkannt. Auch das Berufungsgericht geht von einem rechtsirrtümlichen Nichtentscheiden des Verwaltungsgerichts über das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG aus (UA S. 6).

16

Vorliegend ist der unionsrechtliche Abschiebungsschutz demnach im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht angewachsen und entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Das Berufungsgericht muss sich daher in dem erneuten Berufungsverfahren mit diesem Begehren befassen. Nach der Rechtsprechung des Senats handelt es sich insoweit um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand, der eigenständig und vorrangig vor den sonstigen zielstaatsbezogenen ausländerrechtlichen Abschiebungsverboten zu prüfen ist (vgl. Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 11). Das Berufungsgericht muss deshalb alle entsprechenden Anspruchsgrundlagen in den Blick nehmen, aus denen sich ein Anspruch auf Feststellung eines unionsrechtlichen Abschiebungsverbots in Bezug auf Afghanistan ergeben kann (§ 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG), wobei hier im Hinblick auf die allgemeinen Gefahren und den innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in Afghanistan § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG im Vordergrund stehen dürfte.

17

2. Das Berufungsurteil verletzt auch hinsichtlich des nationalen Abschiebungsschutzes Bundesrecht. Das Berufungsgericht wird sich im Falle der Ablehnung eines unionsrechtlichen Abschiebungsverbots auch mit diesem Begehren nochmals befassen müssen. Bei dem nationalen Abschiebungsschutz handelt es sich nach dem Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes ebenfalls um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand mit mehreren Anspruchsgrundlagen (§ 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung). Eine Abschichtung einzelner nationaler Abschiebungsverbote im Laufe des gerichtlichen Verfahrens ist daher ungeachtet des materiellen Nachrangs des Abschiebungsverbots in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG nicht möglich. Soweit der Senat im Urteil vom 29. Juni 2010 - BVerwG 10 C 10.09 - (BVerwGE 137, 226 Rn. 6) davon ausgegangen ist, dass im dortigen Verfahren nur (noch) § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG und nicht (mehr) § 60 Abs. 5 AufenthG Gegenstand des Verfahrens war, handelt es sich um eine vor Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes erklärte Rücknahme, die nach der früher maßgeblichen Staffelung der Streitgegenstände des nationalen Abschiebungsschutzes (vgl. zur früheren Rechtslage Urteil vom 15. April 1997 - BVerwG 9 C 19.96 - BVerwGE 104, 260) noch zulässig und wirksam war.

18

Das Berufungsgericht ist an der Feststellung eines Abschiebungsschutzes in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG entgegen der Auffassung der Beklagten allerdings nicht schon deshalb gehindert, weil der Schutzsuchende auch bei Vorliegen einer Extremgefahr auf die Anfechtung einer Abschiebungsandrohung bzw. der darin enthaltenen Zielstaatsbezeichnung beschränkt wäre. Bei Gewährung von Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG ersetzt die gerichtliche Schutzgewähr nicht im Einzelfall eine Anordnung nach § 60a Abs. 1 AufenthG; die gerichtliche Prüfung bleibt im System der positiven Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungsverbots (s.a. § 59 Abs. 3 Satz 3 AufenthG). Über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 3 AufenthG hat - wie bei anderen aufenthaltsrechtlichen Abschiebungsverboten auch - die Ausländerbehörde zu entscheiden.

19

Das Berufungsurteil ist aber insoweit mit Bundesrecht nicht vereinbar, als es dem Kläger Abschiebungsschutz nach nationalem Recht in verfassungskonformer Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG zugesprochen hat, ohne das Vorliegen des unionsrechtlich begründeten Abschiebungsschutzes (Abschiebungsverbote u.a. nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG) rechtsfehlerfrei zu prüfen und auszuschließen. Damit hat es sowohl den Vorrang des unionsrechtlichen gegenüber dem nationalen Abschiebungsschutz (vgl. Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 11) als auch die in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Voraussetzungen für die verfassungskonforme Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in Fällen einer allgemeinen Gefahr verfehlt.

20

Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG sind Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens sechs Monate ausgesetzt wird. Eine derartige Abschiebestopp-Anordnung besteht für die Personengruppe, der der Kläger angehört, nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht (mehr). Mit seinem Hinweis insbesondere auf die unzureichende Versorgungslage in Afghanistan, die für Rückkehrer ohne Berufsausbildung und familiäre Unterstützung bestehe, macht der Kläger allgemeine Gefahren geltend, die aufgrund der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG grundsätzlich nicht rechtfertigen können. Diese Sperrwirkung kann, wie ausgeführt, nur dann im Wege einer verfassungskonformen Auslegung eingeschränkt werden, wenn für den Schutzsuchenden ansonsten eine verfassungswidrige Schutzlücke besteht. Eine Schutzlücke besteht für den Kläger nicht, falls ihm unionsrechtlicher Abschiebungsschutz zusteht. Das Berufungsgericht hätte sich daher auch aus diesem Grund mit der Frage des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes befassen müssen, ehe es sich mittels verfassungskonformer Auslegung über die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG hinwegsetzt.

21

3. Schließlich ist die Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG durch das Berufungsgericht auch deshalb mit Bundesrecht nicht vereinbar, weil seine Feststellungen zum Vorliegen einer extremen Gefahr im Falle einer Rückkehr des Klägers nach Afghanistan einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten. Das Berufungsgericht hat zwar zutreffend erkannt, dass eine unmittelbare Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausscheidet, weil der Kläger keine individuellen, nur ihm drohenden Gefahren, sondern allgemeine Gefahren geltend macht. Es ist aber bei der verfassungskonformen Anwendung der Vorschrift hinter den maßgeblichen rechtlichen Anforderungen zurückgeblieben. So ist es zwar zutreffend von den rechtlichen Maßstäben ausgegangen, die der Senat zum Vorliegen einer extremen Gefahrenlage entwickelt hat. Es ist in diesem Zusammenhang aber den Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung nicht gerecht geworden und hat seine Entscheidung auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt.

22

Im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die den Kläger in Afghanistan erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, kann er Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren.

23

Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde". Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. Urteil vom 29. Juni 2010 a.a.O. Rn. 15 m.w.N.).

24

Das Berufungsgericht hat sich ausdrücklich auf diesen hohen Wahrscheinlichkeitsmaßstab bezogen und in diesem Zusammenhang die Rechtsprechung des Senats zitiert. Es spricht davon, dass der Kläger in Afghanistan mangels jeglicher Lebensgrundlage unausweichlich dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert wäre (UA S. 11). In einer Gesamtgefahrenschau müsse deshalb in seinem Falle eine extreme Gefahrenlage bejaht werden (UA S. 24). Diese rechtliche Schlussfolgerung ist durch die getroffenen tatsächlichen Feststellungen und deren Würdigung jedoch nicht gedeckt. Soweit das Berufungsgericht hierfür an der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Koblenz vom 6. Mai 2008 anknüpft, verweist der Senat auf seine dieses Urteil aufhebende Entscheidung vom 29. Juni 2010 - BVerwG 10 C 10.09 - (a.a.O.). Indes tragen auch die weitergehenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts, das eine weitere Verschärfung der allgemeinen Lebensbedingungen in Afghanistan konstatiert und dies unter anderem mit der inzwischen landesweit schwierigen Sicherheitslage begründet (UA S. 18 ff. und 22 f.), die von ihm vorgenommene Gesamtentscheidung nicht.

25

Dies zeigt sich insbesondere im Hinblick auf die vom Berufungsgericht festgestellte drohende Mangelernährung und die damit verbundenen gesundheitlichen Risiken. Das Berufungsgericht geht zwar von einer - gegenüber den vom Oberverwaltungsgericht Koblenz beschriebenen Gegebenheiten - weiteren Zuspitzung der Versorgungslage in Afghanistan aus, bedingt vor allem durch die weiter verschlechterte Sicherheitslage. Das Gericht belegt dies mit der Feststellung, nur noch 37 % der afghanischen Bevölkerung gebe an, sich notwendige Lebensmittel leisten zu können. Jedenfalls für die Mehrheit der auf dem Land lebenden Afghanen gebe es keine Ernährungssicherheit. Die Hälfte aller Kinder bis zum Alter von fünf Jahren gelte als chronisch unterernährt (jeweils UA S. 20). Diese Feststellungen tragen indes nicht den Schluss des Berufungsgerichts, dass in Afghanistan eine derart extreme Gefahr besteht, dass das Leben jedes alleinstehenden jüngeren arbeitsfähigen Mannes - und damit das des Klägers - aufgrund der mangelhaften Versorgungslage akut gefährdet ist. Dies zeigt, dass sich das Berufungsgericht bei der Würdigung dieser zentralen Frage auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt und den erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeitsmaßstab verfehlt hat.

26

Entsprechendes gilt für die durch Mangelernährung ausgelösten gesundheitlichen Risiken. Die Feststellung des Berufungsgerichts, der Kläger würde bei einer Ernährung ausschließlich von Tee und Brot alsbald und unausweichlich in einen fortschreitenden Prozess körperlichen Verfalls mit lebensbedrohlichen Folgen geraten (UA S. 12), ist nicht durch hinreichend detaillierte Tatsachen belegt. Dies gilt für die Wahrscheinlichkeit des vom Berufungsgericht befürchteten Krankheitsverlaufs im Allgemeinen, aber auch für die zeitliche Perspektive der lebensbedrohlichen Folgen und die Unausweichlichkeit des prognostizierten Geschehensablaufs.

27

Bei der Gesamtprognose ist nicht erkennbar, aus welchen Gründen sich das Berufungsgericht davon überzeugt hat, dass sich die jeweils hohe Eintrittswahrscheinlichkeit bei den Teilkomplexen zu einer entsprechend hohen Eintrittswahrscheinlichkeit insgesamt zusammenfügt. Dies hat der Senat bereits bei der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Koblenz beanstandet. Das Berufungsgericht hat ebenfalls im Wesentlichen einzelne Risiken festgestellt und bewertet, sie aber nicht im Rahmen einer umfassenden Gesamtgefahrenprognose gewürdigt (vgl. hierzu Beschluss vom 25. Februar 2000 - BVerwG 9 B 77.00 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 31). Dies zeigt sich etwa daran, dass der Zusammenhang zwischen Versorgungslage und Sicherheitslage nicht hinreichend deutlich wird. Beide Teilkomplexe stehen weitgehend unvermittelt nebeneinander.

28

4. Bei seiner erneuten Befassung mit der Sache ist das Berufungsgericht gehalten, sich auch mit der gegenteiligen Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte auseinanderzusetzen (vgl. etwa Urteil des VGH München vom 3. Februar 2011 - 13 a B 10.30394 - juris, das sich seinerseits allerdings auch nicht mit der Rechtsprechung des Berufungsgerichts auseinandersetzt; vgl. dazu auch Urteil des Senats vom 29. Juni 2010 a.a.O. Rn. 22). Sollte es für die Entscheidung weiterhin entscheidungserheblich auf das Vorhandensein einer familiären Unterstützung ankommen, wird das Berufungsgericht ferner auch den familiären Verhältnissen des Klägers in Afghanistan nochmals nachzugehen haben. Der Kläger hat sich für sein Vorbringen, dass Angehörige getötet worden seien, auf einen Brief bezogen, den ein Landsmann Ende 2005 in Deutschland erhalten habe. Der Inhalt dieses Briefes ist aber offenbar unklar (vgl. in der Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht die Einlassungen des Dolmetschers).

(1) Das Bundesamt erlässt nach den §§ 59 und 60 Absatz 10 des Aufenthaltsgesetzes eine schriftliche Abschiebungsandrohung, wenn

1.
der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt wird,
2.
dem Ausländer nicht die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird,
2a.
dem Ausländer kein subsidiärer Schutz gewährt wird,
3.
die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen oder die Abschiebung ungeachtet des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Absatz 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes ausnahmsweise zulässig ist und
4.
der Ausländer keinen Aufenthaltstitel besitzt.
Eine Anhörung des Ausländers vor Erlass der Abschiebungsandrohung ist nicht erforderlich. Im Übrigen bleibt die Ausländerbehörde für Entscheidungen nach § 59 Absatz 1 Satz 4 und Absatz 6 des Aufenthaltsgesetzes zuständig.

(2) Die Abschiebungsandrohung soll mit der Entscheidung über den Asylantrag verbunden werden. Wurde kein Bevollmächtigter für das Verfahren bestellt, sind die Entscheidungsformel der Abschiebungsandrohung und die Rechtsbehelfsbelehrung dem Ausländer in eine Sprache zu übersetzen, deren Kenntnis vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat unbeschadet der Aufgaben nach anderen Gesetzen folgende Aufgaben:

1.
Koordinierung der Informationen über den Aufenthalt zum Zweck der Erwerbstätigkeit zwischen den Ausländerbehörden, der Bundesagentur für Arbeit und der für Pass- und Visaangelegenheiten vom Auswärtigen Amt ermächtigten deutschen Auslandsvertretungen;
2.
a)
Entwicklung von Grundstruktur und Lerninhalten des Integrationskurses nach § 43 Abs. 3 und der berufsbezogenen Deutschsprachförderung nach § 45a,
b)
deren Durchführung und
c)
Maßnahmen nach § 9 Abs. 5 des Bundesvertriebenengesetzes;
3.
fachliche Zuarbeit für die Bundesregierung auf dem Gebiet der Integrationsförderung und der Erstellung von Informationsmaterial über Integrationsangebote von Bund, Ländern und Kommunen für Ausländer und Spätaussiedler;
4.
Betreiben wissenschaftlicher Forschungen über Migrationsfragen (Begleitforschung) zur Gewinnung analytischer Aussagen für die Steuerung der Zuwanderung;
4a.
Betreiben wissenschaftlicher Forschungen über Integrationsfragen;
5.
Zusammenarbeit mit den Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten der Europäischen Union als Nationale Kontaktstelle und zuständige Behörde nach Artikel 27 der Richtlinie 2001/55/EG, Artikel 25 der Richtlinie 2003/109/EG, Artikel 22 Absatz 1 der Richtlinie 2009/50/EG, Artikel 26 der Richtlinie 2014/66/EU und Artikel 37 der Richtlinie (EU) 2016/801 sowie für Mitteilungen nach § 51 Absatz 8a;
5a.
Prüfung der Mitteilungen nach § 16c Absatz 1, § 18e Absatz 1 und § 19a Absatz 1 sowie Ausstellung der Bescheinigungen nach § 16c Absatz 4, § 18e Absatz 5 und § 19a Absatz 4 oder Ablehnung der Einreise und des Aufenthalts;
6.
Führung des Registers nach § 91a;
7.
Koordinierung der Programme und Mitwirkung an Projekten zur Förderung der freiwilligen Rückkehr sowie Auszahlung hierfür bewilligter Mittel;
8.
die Durchführung des Aufnahmeverfahrens nach § 23 Abs. 2 und 4 und die Verteilung der nach § 23 sowie der nach § 22 Satz 2 aufgenommenen Ausländer auf die Länder;
9.
Durchführung einer migrationsspezifischen Beratung nach § 45 Satz 1, soweit sie nicht durch andere Stellen wahrgenommen wird; hierzu kann es sich privater oder öffentlicher Träger bedienen;
10.
Anerkennung von Forschungseinrichtungen zum Abschluss von Aufnahmevereinbarungen nach § 18d; hierbei wird das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge durch einen Beirat für Forschungsmigration unterstützt;
11.
Koordinierung der Informationsübermittlung und Auswertung von Erkenntnissen der Bundesbehörden, insbesondere des Bundeskriminalamtes und des Bundesamtes für Verfassungsschutz, zu Ausländern, bei denen wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit ausländer-, asyl- oder staatsangehörigkeitsrechtliche Maßnahmen in Betracht kommen;
12.
Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Absatz 1 im Fall einer Abschiebungsandrohung nach den §§ 34, 35 des Asylgesetzes oder einer Abschiebungsanordnung nach § 34a des Asylgesetzes sowie die Anordnung und Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Absatz 7;
13.
unbeschadet des § 71 Absatz 3 Nummer 7 die Beschaffung von Heimreisedokumenten für Ausländer im Wege der Amtshilfe.

(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteiligten können die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.

(2) Wer einen Antrag, eine Klage, ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf zurücknimmt, hat die Kosten zu tragen.

(3) Kosten, die durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entstehen, fallen dem Antragsteller zur Last.

(4) Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, können diesem auferlegt werden.

Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.