Verwaltungsgericht München Urteil, 14. Juni 2018 - M 24 K 17.5237
nachgehend
Tenor
I. Der Bescheid der Beklagten vom 2. Oktober 2017 in der Gestalt vom 14. Juni 2018 wird in Nr. 2 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, über die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots (§ 11 AufenthG) nach der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Verfahrens hat der Kläger 4/5 und die Beklagte 1/5 zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
den Bescheid der Landeshauptstadt München vom 2. Oktober 2017, zugestellt am 4. Oktober 2017, aufzuheben.
- eine Stellungnahme der JVA an die Staatsanwaltschaft, Strafvollstreckung, vom 6. März 2018 zur vorzeitig bedingten Entlassung des Klägers gemäß § 57 Abs. 1 StGB und zum Absehen von der weiteren Strafvollstreckung gemäß § 456a StPO, in der einer vorzeitigen Entlassung des Klägers gemäß § 57 Abs. 1 StGB zum Zweidrittelzeitpunkt nicht entgegengetreten wurde,
- den Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des LG … beim AG … vom … April 2018, mit dem die Vollstreckung des Rests der Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren 4 Monaten aus dem Urteil des AG … vom … März 2017 ab 17. August 2018 zur Bewährung - mit einer Bewährungszeit von 4 Jahren - ausgesetzt wurde und
- einen aktuellen Führungsbericht der JVA vom 23. Mai 2018 nebst Haftzeitübersicht vom 24. Mai 2018 und Vollzugsplan der JVA vom 23. Mai 2018.
die Klage abzuweisen.
Gründe
Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht München Urteil, 14. Juni 2018 - M 24 K 17.5237
Urteilsbesprechungen zu Verwaltungsgericht München Urteil, 14. Juni 2018 - M 24 K 17.5237
Referenzen - Gesetze
Referenzen - Urteile
Verwaltungsgericht München Urteil, 14. Juni 2018 - M 24 K 17.5237 zitiert oder wird zitiert von 12 Urteil(en).
(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.
(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.
(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.
(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.
(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.
(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.
(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.
(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.
(7) Gegen einen Ausländer,
- 1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder - 2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.
(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn
- 1.
zwei Drittel der verhängten Strafe, mindestens jedoch zwei Monate, verbüßt sind, - 2.
dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann, und - 3.
die verurteilte Person einwilligt.
(2) Schon nach Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe, mindestens jedoch von sechs Monaten, kann das Gericht die Vollstreckung des Restes zur Bewährung aussetzen, wenn
- 1.
die verurteilte Person erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßt und diese zwei Jahre nicht übersteigt oder - 2.
die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit der verurteilten Person und ihrer Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, daß besondere Umstände vorliegen,
(3) Die §§ 56a bis 56e gelten entsprechend; die Bewährungszeit darf, auch wenn sie nachträglich verkürzt wird, die Dauer des Strafrestes nicht unterschreiten. Hat die verurteilte Person mindestens ein Jahr ihrer Strafe verbüßt, bevor deren Rest zur Bewährung ausgesetzt wird, unterstellt sie das Gericht in der Regel für die Dauer oder einen Teil der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung einer Bewährungshelferin oder eines Bewährungshelfers.
(4) Soweit eine Freiheitsstrafe durch Anrechnung erledigt ist, gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne der Absätze 1 bis 3.
(5) Die §§ 56f und 56g gelten entsprechend. Das Gericht widerruft die Strafaussetzung auch dann, wenn die verurteilte Person in der Zeit zwischen der Verurteilung und der Entscheidung über die Strafaussetzung eine Straftat begangen hat, die von dem Gericht bei der Entscheidung über die Strafaussetzung aus tatsächlichen Gründen nicht berücksichtigt werden konnte und die im Fall ihrer Berücksichtigung zur Versagung der Strafaussetzung geführt hätte; als Verurteilung gilt das Urteil, in dem die zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.
(6) Das Gericht kann davon absehen, die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, wenn die verurteilte Person unzureichende oder falsche Angaben über den Verbleib von Gegenständen macht, die der Einziehung von Taterträgen unterliegen.
(7) Das Gericht kann Fristen von höchstens sechs Monaten festsetzen, vor deren Ablauf ein Antrag der verurteilten Person, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, unzulässig ist.
(1) Die Vollstreckungsbehörde kann von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe, einer Ersatzfreiheitsstrafe oder einer Maßregel der Besserung und Sicherung absehen, wenn der Verurteilte wegen einer anderen Tat einer ausländischen Regierung ausgeliefert, an einen internationalen Strafgerichtshof überstellt oder wenn er aus dem Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes abgeschoben, zurückgeschoben oder zurückgewiesen wird.
(2) Kehrt der Verurteilte zurück, so kann die Vollstreckung nachgeholt werden. Für die Nachholung einer Maßregel der Besserung und Sicherung gilt § 67c Abs. 2 des Strafgesetzbuches entsprechend. Die Vollstreckungsbehörde kann zugleich mit dem Absehen von der Vollstreckung die Nachholung für den Fall anordnen, dass der Verurteilte zurückkehrt, und hierzu einen Haftbefehl oder einen Unterbringungsbefehl erlassen sowie die erforderlichen Fahndungsmaßnahmen, insbesondere die Ausschreibung zur Festnahme, veranlassen; § 131 Abs. 4 sowie § 131a Abs. 3 gelten entsprechend. Der Verurteilte ist zu belehren.
(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn
- 1.
zwei Drittel der verhängten Strafe, mindestens jedoch zwei Monate, verbüßt sind, - 2.
dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann, und - 3.
die verurteilte Person einwilligt.
(2) Schon nach Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe, mindestens jedoch von sechs Monaten, kann das Gericht die Vollstreckung des Restes zur Bewährung aussetzen, wenn
- 1.
die verurteilte Person erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßt und diese zwei Jahre nicht übersteigt oder - 2.
die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit der verurteilten Person und ihrer Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, daß besondere Umstände vorliegen,
(3) Die §§ 56a bis 56e gelten entsprechend; die Bewährungszeit darf, auch wenn sie nachträglich verkürzt wird, die Dauer des Strafrestes nicht unterschreiten. Hat die verurteilte Person mindestens ein Jahr ihrer Strafe verbüßt, bevor deren Rest zur Bewährung ausgesetzt wird, unterstellt sie das Gericht in der Regel für die Dauer oder einen Teil der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung einer Bewährungshelferin oder eines Bewährungshelfers.
(4) Soweit eine Freiheitsstrafe durch Anrechnung erledigt ist, gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne der Absätze 1 bis 3.
(5) Die §§ 56f und 56g gelten entsprechend. Das Gericht widerruft die Strafaussetzung auch dann, wenn die verurteilte Person in der Zeit zwischen der Verurteilung und der Entscheidung über die Strafaussetzung eine Straftat begangen hat, die von dem Gericht bei der Entscheidung über die Strafaussetzung aus tatsächlichen Gründen nicht berücksichtigt werden konnte und die im Fall ihrer Berücksichtigung zur Versagung der Strafaussetzung geführt hätte; als Verurteilung gilt das Urteil, in dem die zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.
(6) Das Gericht kann davon absehen, die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, wenn die verurteilte Person unzureichende oder falsche Angaben über den Verbleib von Gegenständen macht, die der Einziehung von Taterträgen unterliegen.
(7) Das Gericht kann Fristen von höchstens sechs Monaten festsetzen, vor deren Ablauf ein Antrag der verurteilten Person, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, unzulässig ist.
(1) Das Bundesamt erlässt nach den §§ 59 und 60 Absatz 10 des Aufenthaltsgesetzes eine schriftliche Abschiebungsandrohung, wenn
- 1.
der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt wird, - 2.
dem Ausländer nicht die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird, - 2a.
dem Ausländer kein subsidiärer Schutz gewährt wird, - 3.
die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen oder die Abschiebung ungeachtet des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Absatz 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes ausnahmsweise zulässig ist und - 4.
der Ausländer keinen Aufenthaltstitel besitzt.
(2) Die Abschiebungsandrohung soll mit der Entscheidung über den Asylantrag verbunden werden. Wurde kein Bevollmächtigter für das Verfahren bestellt, sind die Entscheidungsformel der Abschiebungsandrohung und die Rechtsbehelfsbelehrung dem Ausländer in eine Sprache zu übersetzen, deren Kenntnis vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann.
(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn
- 1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder - 2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
- 1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder - 2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.
(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.
(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.
(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.
(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.
(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn
- 1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder - 2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.
Tatbestand
- 1
-
Der Kläger, ein kosovarischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine Ausweisung aus der Bundesrepublik Deutschland.
- 2
-
Der 1978 geborene Kläger reiste 1996 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Nach einem erfolglos gebliebenen Asylverfahren heiratete er im Juni 1999 eine deutsche Staatsangehörige. Er erhielt daraufhin Mitte 2000 zunächst eine befristete und im Oktober 2004 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die ab Januar 2005 als Niederlassungserlaubnis fortgalt. Nach Scheidung seiner Ehe im Jahre 2006 und einer nur kurze Zeit dauernden zweiten Ehe mit einer Kosovarin heiratete der Kläger im Januar 2008 im Kosovo in dritter Ehe eine kosovarische Staatsangehörige. Zu einem Nachzug der Ehefrau nach Deutschland kam es nicht.
- 3
-
Der Kläger, der seit mehreren Jahren eine feste Arbeitsstelle als Staplerfahrer besaß, wurde im Juni 2008 in Untersuchungshaft genommen und im Februar 2009 vom Landgericht Heidelberg wegen Beihilfe zum schweren Bandendiebstahl in zwölf Fällen und zum versuchten schweren Bandendiebstahl in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Daraufhin wies ihn das Regierungspräsidium Karlsruhe mit Bescheid vom 23. Juni 2009 aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Nr. 1) und drohte ihm die Abschiebung in den Kosovo an (Nr. 2). In der Begründung hieß es, der Kläger genieße zwar besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG und könne deshalb nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Solche Gründe lägen aber hier wegen der schweren, in hoher Zahl und über einen längeren Zeitraum hinweg begangenen Eigentumsdelikte vor. Die Ausweisung sei sowohl aus spezialpräventiven Gründen wegen der von ihm ausgehenden Wiederholungsgefahr als auch aus generalpräventiven Gründen wegen der besonderen Schwere der Straftaten gerechtfertigt. Bei der im Rahmen der Ermessensausübung vorzunehmenden Interessenabwägung überwiege das öffentliche Interesse an der Ausweisung die persönlichen Interessen des Klägers an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet, zumal seine Ehefrau im Kosovo lebe.
- 4
-
Das Verwaltungsgericht hat die dagegen gerichtete Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Zwar gehe von dem Kläger, der inzwischen nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe unter Aussetzung des Strafrests zur Bewährung aus der Haft entlassen worden sei, keine Wiederholungsgefahr mehr aus. Die Ausweisung sei aber wegen der besonderen Schwere der von ihm begangenen Straftaten, die der organisierten Kriminalität zuzurechnen seien, aus generalpräventiven Gründen gerechtfertigt. Sie sei auch unter Berücksichtigung der persönlichen Situation des Klägers, der erst als Erwachsener nach Deutschland eingereist sei, nicht unverhältnismäßig, zumal der Kläger auch noch starke Kontakte zum Kosovo habe.
- 5
-
Auf die Berufung des Klägers hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg mit Urteil vom 18. März 2011 die Ausweisung und die Abschiebungsandrohung für den Fall der Haftentlassung (Nr. 2 Abs. 2 des Bescheides) aufgehoben. Zur Begründung hat er ausgeführt: Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Berufungsverhandlung lägen keine schwerwiegenden Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vor, wie sie für eine Ausweisung des Klägers erforderlich seien. Die Ausweisung könne nicht auf spezialpräventive Gründe gestützt werden, weil von dem Kläger derzeit keine Wiederholungsgefahr mehr ausgehe. Die Ausweisung werde vom Beklagten allein tragend zur - generalpräventiven - Abschreckung anderer Ausländer aufrechterhalten. Ein allein auf diesen Gesichtspunkt gestütztes öffentliches Interesse an der Ausweisung stelle bei der Personengruppe der "verwurzelten" Ausländer, zu der der Kläger gehöre, im Lichte von Art. 8 EMRK regelmäßig keinen schwerwiegenden Grund im Sinne von § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG dar. Dies ergebe sich in einer Gesamtschau aus den neueren Rechtsprechungslinien sowohl des Bundesverfassungsgerichts als auch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - EGMR - und im Übrigen auch aus der Rechtsauffassung des Gerichtshofs der Europäischen Union - EuGH - in Bezug auf Unionsbürger sowie des Bundesverwaltungsgerichts in Bezug auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige. Dies gelte jedenfalls seit Inkrafttreten des EU-Reformvertrags von Lissabon am 1. Dezember 2009. Der vom Bundesverfassungsgericht besonders betonte Verhältnismäßigkeitsgrundsatz stehe bei nachhaltig verwurzelten Ausländern, die sich auf den qualifizierten Schutz von Art. 8 EMRK berufen könnten, einer Ausweisung aus generalpräventiven Gründen in der Regel entgegen. Auch die Rechtsprechung des EGMR laufe in rechtstatsächlicher Hinsicht sehr stark auf eine Ausweisung - nur oder nur auch - aus spezialpräventiven Gründen zu. Bei freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen könne der Aufenthalt nach der Rechtsprechung des EuGH und des Bundesverwaltungsgerichts nicht mehr allein aus generalpräventiven Gesichtspunkten beendet werden. Daraus ergebe sich unter Berücksichtigung der ebenfalls aufenthaltsrechtlich besonders geschützten drittstaatsangehörigen Familienmitglieder dieser Personengruppen für rund zwei Drittel aller in Deutschland lebenden Ausländer ein Verbot der Ausweisung aus generalpräventiven Gründen. Die richterrechtliche Schöpfung der Ausweisung aus generalpräventiven Gründen habe deshalb auch bezüglich der in Deutschland nachhaltig "verwurzelten" Ausländer ihre Berechtigung grundsätzlich verloren. Bei ihnen könne eine generalpräventiv begründete Ausweisung nur ausnahmsweise im Fall besonders schwerwiegender staats- oder gesellschaftsgefährdender Delikte zulässig sein, wie sie etwa in Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG - Qualifikationsrichtlinie - ("Terrorismusdelikte") oder in Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG - Unionsbürgerrichtlinie - genannt seien. Entsprechend dem Vorbild der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Verschiebung des maßgeblichen Zeitpunkts bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Ausweisungen müsse das grundsätzliche Verbot der generalpräventiven Ausweisung mit Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages und der dadurch bedingten Aufwertung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und der Rechtsprechung des EGMR auf nachhaltig "verwurzelte" Ausländer erstreckt werden. Der Kläger gehöre zu dieser Personengruppe: Er lebe seit 14 Jahren im Bundesgebiet, wo seine gesamte berufliche Entwicklung erfolgt sei. Hier lebten enge Familienangehörige und sein Freundeskreis, er verfüge über einen Arbeitsplatz, der ihn ohne ergänzende Sozialleistungen unterhalte, und verbringe sein Privatleben mit seiner deutschen Partnerin. Auf eine gleichzeitige tiefgreifende "Entwurzelung" aus dem Heimatland komme es dabei nicht an.
- 6
-
Dagegen richtet sich die vom Verwaltungsgerichtshof zugelassene Revision des Beklagten. Er macht geltend, dass sich weder aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts noch der des EGMR das vom Verwaltungsgerichtshof angenommene grundsätzliche Verbot einer generalpräventiven Ausweisung für "verwurzelte" Ausländer aus Drittstaaten ergebe.
- 7
-
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil und stellt darüber hinaus die Berechtigung einer allein generalpräventiv motivierten Ausweisung grundsätzlich in Frage. Die behauptete abschreckende Wirkung von Ausweisungen sei nicht durch empirische Studien belegt und könne schon deshalb einen derartigen Grundrechtseingriff nicht rechtfertigen. Zudem setze die richterrechtliche Figur der generalpräventiven Ausweisung eine zur Verhaltenssteuerung geeignete kontinuierliche Ausweisungspraxis voraus. Diese liege angesichts der großen Anzahl unionsrechtlich privilegierter Ausländer, die nur noch aus spezialpräventiven Gründen ausgewiesen werden dürften, in der Realität nicht mehr vor.
- 8
-
Der Vertreter des Bundesinteresses hat sich an dem Verfahren beteiligt und unterstützt die Auffassung des Beklagten.
- 9
-
Der Kläger hat inzwischen während einer Besuchsreise in den Kosovo im November 2011 in vierter Ehe eine in Deutschland lebende kosovarische Staatsangehörige geheiratet. Anschließend ist ihm von der Deutschen Botschaft in Pristina für die Wiedereinreise ein Visum zum Familiennachzug erteilt worden. Die Beteiligten haben daraufhin in der Revisionsverhandlung den Rechtsstreit hinsichtlich der Abschiebungsandrohung in Nr. 2 Abs. 2 des Bescheides vom 23. Juni 2009 übereinstimmend für erledigt erklärt.
Entscheidungsgründe
- 10
-
Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 141, 125 Abs. 1 VwGO einzustellen. Zugleich ist die Unwirksamkeit der vorinstanzlichen Entscheidungen hinsichtlich der Abschiebungsandrohung in Nr. 2 Abs. 2 des angefochtenen Bescheides festzustellen (§ 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO in entsprechender Anwendung).
- 11
-
Hinsichtlich der allein noch in Streit befindlichen Ausweisung (Nr. 1 des angefochtenen Bescheides) ist die Revision der Beklagten begründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs beruht insoweit auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Der Verwaltungsgerichtshof hat die Ausweisung als rechtswidrig angesehen, weil er das Vorliegen schwerwiegender Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG bei dem Kläger verneint hat. Die hierfür angeführte Begründung ist mit Bundesrecht nicht vereinbar (1.). Da der Senat mangels ausreichender Feststellungen im Berufungsurteil nicht selbst abschließend entscheiden kann, ob bei dem Kläger schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorliegen (2.), und sich die Ausweisung auch nicht bereits aus anderen Gründen als rechtswidrig erweist (3.), ist die Sache gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (4.).
- 12
-
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts, hier also des Verwaltungsgerichtshofs (Urteil vom 15. November 2007 - BVerwG 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 12). Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, etwa Urteil vom 11. Januar 2011 - BVerwG 1 C 1.10 - BVerwGE 138, 371 Rn. 10 m.w.N.). Maßgeblich sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. Dezember 2011 (BGBl I S. 2854). Damit sind insbesondere auch die Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22. November 2011 (BGBl I S. 2258) - im Folgenden: Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 - zu beachten.
- 13
-
Der Verwaltungsgerichtshof ist - in Übereinstimmung mit dem Beklagten - zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger mit seiner rechtskräftigen Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten den (Regel-)Ausweisungstatbestand des § 54 Nr. 1 AufenthG verwirklicht hat, dass er aber aufgrund des Besitzes einer Niederlassungserlaubnis und seines mehr als fünfjährigen rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz genießt. Der Kläger kann daher nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG und nur aufgrund einer sämtliche Umstände des Einzelfalles berücksichtigenden Ermessensentscheidung der Beklagten nach § 56 Abs. 1 Satz 5 AufenthG ausgewiesen werden.
- 14
-
1. Die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, dass schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG hier nicht vorlägen, beruht indes auf einer fehlerhaften Auslegung dieser Vorschrift.
- 15
-
a) Soweit sich diese Annahme auf die vom Beklagten ursprünglich auch angeführten spezialpräventiven Gründe für die Ausweisung des Klägers, nämlich die von ihm ausgehende Gefahr der erneuten Begehung vergleichbarer Straftaten, bezieht, ist sie revisionsrechtlich allerdings nicht zu beanstanden. Nachdem bereits das Verwaltungsgericht das Vorliegen spezialpräventiver Gründe verneint hatte, ist auch der Verwaltungsgerichtshof aufgrund der ihm vorliegenden Erkenntnismittel zu der Überzeugung gelangt, dass von dem Kläger inzwischen keine gesteigerte Wiederholungsgefahr mehr ausgeht. Mit dem Begriff der gesteigerten Wiederholungsgefahr ist dabei erkennbar die auch von der Rechtsprechung des Senats verlangte ernsthaft drohende Gefahr erneuter schwerer Verfehlungen des Ausländers - im Gegensatz zur lediglich entfernten Möglichkeit solcher Verfehlungen - gemeint (vgl. Urteile vom 13. Januar 2009 - BVerwG 1 C 2.08 - Buchholz 402.242 § 54 AufenthG Nr. 7 Rn. 16 und vom 11. Juni 1996 - BVerwG 1 C 24.94 - BVerwGE 101, 247 <253>). Dies wird durch die Bezugnahme des Verwaltungsgerichtshofs auf die entsprechenden Ausführungen im Urteil des Verwaltungsgerichts deutlich, die auf diese Rechtsprechung zurückgreifen. Auch vom Beklagten werden die Feststellungen zum Fehlen einer Wiederholungsgefahr nicht angegriffen. Vielmehr wird die Ausweisung nunmehr tragend allein auf generalpräventive Gründe gestützt.
- 16
-
b) Die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs, dass es für eine allein generalpräventiv begründete Ausweisung an schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung schon deshalb fehle, weil bei "verwurzelten" Ausländern eine so begründete Ausweisung regelmäßig unzulässig sei, hält einer revisionsgerichtlichen Prüfung dagegen nicht stand.
- 17
-
aa) Schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung können nicht nur bei Verwirklichung der Ausweisungstatbestände der §§ 53 und 54 Nr. 5, 5a und 7 AufenthG, bei denen die Vermutung des § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG eingreift, sondern auch bei Vorliegen sonstiger (Regel- und Ermessens-)Ausweisungsgründe gegeben sein. Erforderlich ist jedoch stets, dass dem Ausweisungsanlass ein besonderes Gewicht zukommt. Dieses kann sich bei Straftaten insbesondere aus deren Art, Schwere und Häufigkeit ergeben (stRspr, zuletzt Urteil vom 13. Januar 2009 a.a.O.). Darüber hinaus ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass strafrechtliche Verurteilungen nicht nur dann einen solchen schwerwiegenden Ausweisungsanlass bilden können, wenn von dem betreffenden Ausländer die Gefahr der erneuten Begehung von Straftaten ausgeht (Spezialprävention), sondern auch dann, wenn durch die Ausweisung andere Ausländer von der Begehung solcher Straftaten abgehalten werden sollen (Generalprävention). Allerdings liegt bei einer allein auf generalpräventive Gründe gestützten Ausweisung im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ein schwerwiegender Ausweisungsanlass nur ausnahmsweise vor, wenn die Straftat besonders schwer wiegt und deshalb ein dringendes Bedürfnis daran besteht, über eine strafrechtliche Sanktion hinaus durch Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten (Urteile vom 11. Juni 1996 a.a.O. <254 ff.> m.w.N. und vom 31. August 2004 - BVerwG 1 C 25.03 - BVerwGE 121, 356 <362>).
- 18
-
An dieser Rechtsprechung, die ihrerseits schon sehr hohe Anforderungen an die Annahme schwerwiegender Gründe im Sinne von § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG bei einer allein generalpräventiv motivierten Ausweisung stellt, ist auch weiterhin festzuhalten.
- 19
-
bb) Soweit der Klägervertreter die abschreckende Wirkung von Ausweisungen auf andere Ausländer generell in Frage stellt, weil sie nicht durch empirische Studien belegt sei, und meint, aufgrund der großen Anzahl privilegierter Ausländer, die nur noch aus spezialpräventiven Gründen ausgewiesen werden dürften, habe die richterrechtliche Figur der generalpräventiven Ausweisung mangels kontinuierlicher Ausweisungspraxis inzwischen ihre Berechtigung verloren, kann dem nicht gefolgt werden. Denn die grundsätzliche Möglichkeit einer generalpräventiv begründeten Ausweisung von Ausländern, die nicht zu einem unionsrechtlich privilegierten Personenkreis gehören, beruht nicht auf einer rein richterrechtlichen Schöpfung, sondern liegt erkennbar auch der gesetzlichen Regelung sowohl des Ausländergesetzes 1990 als auch des Aufenthaltsgesetzes zugrunde. Dies ergibt sich schon aus der Tatsache, dass der Gesetzgeber bei bestimmten schwerwiegenden Verurteilungen in § 53 AufenthG (im Anschluss an die Vorgängerregelung in § 47 Abs. 1 AuslG 1990) eine zwingende Ausweisung vorgeschrieben hat. Das zeigt, dass er die Ausweisung jedenfalls in diesen Fällen unabhängig vom Vorliegen einer Wiederholungsgefahr und damit auch bei Fehlen spezialpräventiver Gründe - also allein aus generalpräventiven Erwägungen - als zulässig und geboten angesehen hat. Auch dem Umstand, dass der Gesetzgeber des Ausländergesetzes 1990 und des Aufenthaltsgesetzes sich in Kenntnis der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht von der Vorstellung einer generalpräventiv motivierten Ausweisung abgewandt hat, ist zu entnehmen, dass er diese in seinen Willen aufgenommen hat. Das wird durch die Ausführungen zu den Ausweisungsvorschriften (§§ 45 ff. AuslG 1990) im Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Neuregelung des Ausländerrechts vom 27. Januar 1990 bestätigt (BTDrucks 11/6321 S. 49 ff.). Dort wird eingangs allgemein auf die verhaltenssteuernde - also generalpräventive - Wirkung des Ausweisungsrechts für die Ausländer verwiesen und u.a. von der "Notwendigkeit der Generalprävention" sowohl im Rahmen der Strafzumessung als auch im Rahmen der verwaltungsrechtlichen Beurteilung der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung gesprochen (a.a.O. S. 50). Durch das Aufenthaltsgesetz, das die Ausweisungsvorschriften zwar neu strukturiert, aber die hier entscheidenden Regelungen inhaltlich übernommen hat, hat sich an diesem Befund nichts geändert (BTDrucks 15/420 S. 90 f.). Da der Gesetzgeber selbst grundsätzlich generalpräventive Motive im Ausweisungsrecht anerkennt und gerade bei strafrechtlichen Verurteilungen auch als alleinigen Grund für eine Ausweisung billigt, können die Gerichte und Behörden bei der Anwendung der einschlägigen Vorschriften dies nicht wegen eines fehlenden empirischen Nachweises der Abschreckungswirkung für andere Ausländer oder wegen des zunehmenden Anteils nur spezialpräventiv auszuweisender Ausländer in Frage stellen. Denn insoweit ist die Einschätzung des Gesetzgebers, die im Rahmen des ihm zustehenden weiten gesetzgeberischen Ermessens liegt und nicht erkennbar willkürlich ist, zu respektieren. Im Übrigen sind bei der von dem Klägervertreter aufgeworfenen Frage, ob Ausweisungen angesichts der erhöhten Anforderungen an ihre Zulässigkeit und der dadurch bedingten rückläufigen Ausweisungspraxis überhaupt noch geeignet sind, verhaltenssteuernd auf andere Ausländer zu wirken, nicht nur die rein generalpräventiv begründeten Ausweisungen, sondern auch die spezialpräventiven Ausweisungen oder Aufenthaltsbeendigungen infolge der Begehung von Straftaten in den Blick zu nehmen. Auch diese spezialpräventiven Maßnahmen können nämlich verhaltenssteuernd auf andere Ausländer wirken.
- 20
-
cc) Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs ist das Erfordernis schwerwiegender Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG auch nicht einschränkend dahin auszulegen, dass es jedenfalls bei nachhaltig "verwurzelten" Ausländern im Falle einer allein auf generalpräventive Gründe gestützten Ausweisung regelmäßig nicht vorliegt. Eine derartige regelhafte Einschränkung, die ihrerseits die Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles - etwa der Schwere der konkreten Straftat oder auch der "Entwurzelung" des Ausländers in seinem Herkunftsstaat - von vornherein ausblendet, stimmt weder mit der bisherigen Rechtsprechung des Senats zu § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG überein, noch ist sie, wie der Verwaltungsgerichtshof meint, im Lichte von Art. 8 EMRK aufgrund einer Gesamtschau der neueren Rechtsprechungslinien des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - EGMR - in Verbindung mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union - EuGH - und des Bundesverwaltungsgerichts zu Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen geboten.
- 21
-
Das Bundesverfassungsgericht hat auch in seiner neueren Kammerrechtsprechung zur Verhältnismäßigkeit des durch eine Ausweisung bewirkten Eingriffs in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG die Bedeutung generalpräventiver Erwägungen im Ausweisungsrecht (unter Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 1979 - 1 BvR 650/77 - BVerfGE 51, 386 <397>) anerkannt und betont, dass eine am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte Entscheidung allerdings voraussetzt, dass die Ausländerbehörde die Umstände der Straftat und die persönlichen Verhältnisse des Betroffenen von Amts wegen sorgfältig ermittelt und eingehend würdigt. Insbesondere kann das Gewicht der für die Ausweisung sprechenden öffentlichen Interessen nicht allein anhand der Typisierung der den Ausweisungsanlass bildenden Straftaten in den Ausweisungsvorschriften des Aufenthaltsgesetzes bestimmt werden. Vielmehr sind auch bei strafrechtlichen Verurteilungen nach § 53 AufenthG im Einzelfall die Umstände der begangenen Straftat, wie sie sich aus dem Strafurteil und dem vorangegangenen Strafverfahren ergeben, individuell zu würdigen. Dies gilt naturgemäß erst recht bei unterhalb der Schwelle des § 53 AufenthG liegenden strafrechtlichen Verurteilungen nach § 54 Nr. 1 AufenthG. Darüber hinaus sind in gleicher Weise die gegen die Ausweisung sprechenden privaten Belange des Betroffenen im Einzelnen zu ermitteln und individuell zu würdigen, um sie dann unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes mit den entgegenstehenden öffentlichen Interessen abwägen zu können (BVerfG, Beschlüsse vom 10. Mai 2007 - 2 BvR 304/07 - BVerfGK 11, 153 und vom 10. August 2007 - 2 BvR 535/06 - NVwZ 2007, 1300). Diese vom Bundesverfassungsgericht nunmehr präzisierten Prüfungsanforderungen lassen keinen Schluss auf die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellte Auslegungsregel zu, die sowohl im Hinblick auf die den Ausweisungsanlass bildende Straftat als auch im Hinblick auf die schutzwürdigen Belange des Betroffenen die Berücksichtigung und Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalles ausblendet und durch eine typisierende Betrachtung - wenn auch zugunsten des Ausländers - ersetzt.
- 22
-
Die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellte Auslegungsregel kann auch nicht aus der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 8 EMRK hergeleitet werden. Die Entscheidungen des EGMR zum Schutz des Privat- und Familienlebens in Fällen der Ausweisung straffällig gewordener Ausländer enthalten kein ausdrückliches Verbot generalpräventiv begründeter Ausweisungen. Im Gegenteil hat der Gerichtshof in einzelnen Fällen, in denen generalpräventive Gründe für die Ausweisung maßgeblich waren, eine Konventionsverletzung verneint (EGMR, Urteile vom 28. Juni 2007 - Nr. 31753/02 - Kaya/Deutschland - InfAuslR 2007, 325 und vom 6. Dezember 2007 - Nr. 69735/01 - Chair/Deutschland - InfAuslR 2008, 111). Auch die vom EGMR aufgestellten sog. "Boultif/Üner-Kriterien" (vgl. EGMR, Urteil vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99 - Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279 Rn. 57 f.) laufen der Sache nach nicht auf ein de-facto-Verbot solcher Ausweisungen hinaus (a.A. OVG Bremen, zuletzt Urteil vom 10. Mai 2011 - 1 A 306.10 u.a. - InfAuslR 2011, 341 <343>). Sowohl die Art und Schwere der begangenen Straftat als auch die seit der Straftat vergangene Zeit und das Nachtatverhalten des Betroffenen können sinnvoll auch bei einer generalpräventiv begründeten Ausweisung als Gesichtspunkte im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung berücksichtigt werden. Auch das Bundesverfassungsgericht, das die Rechtsprechung des EGMR und die von ihm entwickelten Kriterien ausdrücklich in Bezug genommen hat, hat daraus ersichtlich kein Regelverbot einer generalpräventiven Ausweisung hergeleitet.
- 23
-
Soweit der Verwaltungsgerichtshof sich bei seiner Gesamtschau auf die Rechtsprechung des EuGH zur Aufenthaltsbeendigung von Unionsbürgern und deren Familienangehörigen sowie die Rechtsprechung zu assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen berufen hat, derzufolge bei diesem Personenkreis eine generalpräventiv motivierte Aufenthaltsbeendigung ausgeschlossen ist, können daraus keine Schlüsse für die übrigen Drittstaatsangehörigen gezogen werden. Denn bei den genannten Personen handelt es sich um unionsrechtlich privilegierte Gruppen, die sich durch erhöhten Ausweisungsschutz von den übrigen Drittstaatsangehörigen unterscheiden. Entsprechendes gilt im Übrigen auch für die aufenthaltsrechtlich stärker geschützten Inhaber einer Daueraufenthaltserlaubnis-EG (vgl. Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2003/109/EG).
- 24
-
2. a) Ist eine einschränkende Auslegung des Begriffs der schwerwiegenden Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG in Gestalt der vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Regel damit nicht durch höherrangiges Recht geboten, verbleibt es bei der nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats maßgeblichen Auslegung der Bestimmung. Danach sind, wie oben bereits ausgeführt, bei allein generalpräventiv begründeten Ausweisungen an die Annahme schwerwiegender Gründe der öffentliche Sicherheit und Ordnung im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besonders hohe Anforderungen zu stellen. In diesen Fällen ist erforderlich, dass die den Ausweisungsanlass bildende Straftat besonders schwer wiegt und deshalb ein dringendes Bedürfnis daran besteht, über die strafrechtliche Sanktion hinaus durch die Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Dabei kommt es stets auf die besondere Schwere der Straftat im Einzelfall an. Dies setzt voraus, dass die konkreten Umstände der begangenen Straftat oder Straftaten, wie sie sich aus dem Strafurteil und dem vorangegangenen Strafverfahren ergeben, ermittelt und individuell gewürdigt werden. Die besondere Schwere der Straftat im Hinblick auf die verhaltenssteuernde Wirkung der Ausweisung auf andere Ausländer erfordert, dass von einer derartigen Straftat eine besonders hohe Gefahr für den Staat oder die Gesellschaft ausgeht, wie dies insbesondere bei Drogendelikten oder Straftaten aus dem Bereich der organisierten Kriminalität der Fall sein kann.
- 25
-
Sind diese Anforderungen an das Vorliegen eines schwerwiegenden Ausweisungsanlasses im Sinne von § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG für eine generalpräventiv begründete Ausweisung erfüllt, ist darüber hinaus zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit - in der Regel im Rahmen der erforderlichen Ermessensausübung nach § 56 Abs. 1 Satz 5 AufenthG - das Gewicht des öffentlichen Interesses an der Ausweisung mit dem Gewicht des schutzwürdigen privaten Interesses des Ausländers an dem Verbleib in Deutschland abzuwägen. Dadurch wird sichergestellt, dass gerade die Belange "verwurzelter" Ausländer je nach ihrem Gewicht im Einzelfall zum Tragen kommen.
- 26
-
b) Für den Fall des Klägers bedeutet dies, dass der Senat nicht selbst abschließend darüber entscheiden kann, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für die angefochtene Ausweisung, nämlich schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, vorliegen. Denn der Verwaltungsgerichtshof hat - nach seiner Rechtsauffassung folgerichtig - keine Feststellungen zu den konkreten Umständen der Begehung der Straftaten, insbesondere zur Bedeutung des Tatbeitrages des Klägers, sowie zu weiteren Umständen des Einzelfalles wie etwa zu seinem Verhalten nach der Tat im Ermittlungs- und Strafverfahren getroffen. Ohne eine solche tatrichterliche Feststellung und Würdigung ist eine Entscheidung über das Vorliegen schwerwiegender Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung aber nicht möglich. Denn die Straftaten des Klägers sind nicht schon von vornherein gänzlich ungeeignet, ein schwerwiegendes öffentliches Interesse an einer Ausweisung in dem oben dargestellten Sinn zu begründen. Schwere Bandendiebstähle nach § 244a StGB sind Delikte, die der Gesetzgeber der organisierten Kriminalität zurechnet. Der qualifizierte Straftatbestand des § 244a StGB ist mit dem Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität (OrgKG) vom 15. Juli 1992 (BGBl I S. 1302) in das Strafgesetzbuch eingefügt und - anders als der einfache Bandendiebstahl - als Verbrechen eingestuft worden. Dabei ging es dem Gesetzgeber u.a. darum, eine höhere individuelle wie allgemeine Abschreckungswirkung zu erzielen (BTDrucks 12/989 S. 25). Die vom Kläger begangenen Straftaten kommen deshalb als Anlass einer allein generalpräventiven Ausweisung grundsätzlich in Betracht. Auch der Umstand, dass der Kläger nur wegen Beihilfe verurteilt worden ist, führt angesichts des nach den Ausführungen im Strafurteil nahe an der Mittäterschaft liegenden Tatbeitrags nicht dazu, dass ohne nähere tatrichterliche Feststellung und Würdigung im Einzelfall bereits von vornherein ein schwerwiegender Ausweisungsanlass verneint werden kann.
- 27
-
4. Die Aufhebung der Ausweisung durch den Verwaltungsgerichtshof erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO).
- 28
-
a) Allerdings müssen bei einer allein auf generalpräventive Erwägungen gestützten Ausweisung eines Ausländers mit besonderem Ausweisungsschutz (§ 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) die Wirkungen der Ausweisung regelmäßig von Amts wegen zugleich mit der Ausweisung befristet werden. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer, der ausgewiesen worden ist, nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten. Ihm darf nach Satz 2 der Vorschrift kein Aufenthaltstitel nach diesem Gesetz erteilt werden. Diese kraft Gesetzes eintretenden Wirkungen werden nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG auf Antrag befristet. Wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat, schließt diese Regelung es nicht aus, dass die Ausländerbehörde zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung im Einzelfall von Amts wegen verpflichtet ist, die Wirkungen der Ausweisung schon bei Erlass der Ausweisung zu befristen. Ob dies erforderlich ist, hängt von den gesamten Umständen des Einzelfalles, insbesondere dem Ausmaß der von dem Ausländer ausgehenden Gefahr, der Vorhersehbarkeit der zukünftigen Entwicklung dieser Gefahr und den schutzwürdigen Belangen des Ausländers und seiner Angehörigen ab (Urteile vom 15. März 2005 - BVerwG 1 C 2.04 - Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 42, vom 23. Oktober 2007 - BVerwG 1 C 10.07 - BVerwGE 129, 367 Rn. 18 und vom 2. September 2009 - BVerwG 1 C 2.09 - Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 54 Rn. 25 sowie Beschluss vom 20. August 2009 - BVerwG 1 B 13.09 - Buchholz 402.242 § 11 AufenthG Nr. 4 Rn. 8). Dies führt bei einer allein generalpräventiv motivierten Ausweisung eines Ausländers mit besonderem Ausweisungsschutz - außer in den Fällen des Ausschlusses der Befristung nach § 11 Abs. 1 Satz 7 AufenthG - regelmäßig dazu, dass eine Befristung der Wirkungen der Ausweisung von Amts wegen zugleich mit der Ausweisung auszusprechen ist. Ist die Ausweisung zunächst sowohl auf spezialpräventive als auch auf generalpräventive Gründe gestützt und ergibt sich - wie hier - erst im gerichtlichen Verfahren, dass die spezialpräventiven Gründe nicht (mehr) vorliegen und die Ausweisung allein auf generalpräventive Gründe gestützt wird, kann und muss die Ausländerbehörde die Befristung der Wirkungen der Ausweisung nachholen.
- 29
-
Wird ein Ausländer infolge einer besonders schweren Straftat nach Maßgabe von § 56 Abs. 1 AufenthG allein zu generalpräventiven Zwecken ausgewiesen und geht somit von ihm selbst in dem für die Ausweisungsentscheidung maßgeblichen Zeitpunkt keine relevante Gefahr der erneuten Straffälligkeit mehr aus, erfordert das bei einem derartigen Eingriff besonders zu beachtende Gebot der Verhältnismäßigkeit grundsätzlich eine Befristung der Wirkungen der Ausweisung. In diesem Fall lässt sich bereits in dem für die Ausweisung maßgeblichen Zeitpunkt beurteilen, wie lange der Betroffene unter Berücksichtigung seiner schützwürdigen privaten Belange vom Bundesgebiet ferngehalten werden muss, damit die notwendige generalpräventive Wirkung erzielt werden kann. Es wäre deshalb unverhältnismäßig, ihn über diesen für seine Lebensplanung wichtigen Umstand im Unklaren zu lassen, ohne dass hierfür ein rechtfertigender sachlicher Grund besteht. Gerade weil der Betroffene bei einer allein generalpräventiv begründeten Ausweisung - anders als bei einer spezialpräventiv begründeten Ausweisung - keinen Einfluss auf das Entfallen des Ausweisungszwecks nehmen kann, wiegt es bei schützenswerten Bindungen an das Bundesgebiet besonders schwer, wenn ihm mit der Ausweisung keine konkrete zeitliche Perspektive für die Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots sowie der Sperre für die Erteilung eines Aufenthaltstitels aufgezeigt wird. Sollten sich seine persönlichen Bindungen an die Bundesrepublik Deutschland zu einem späteren Zeitpunkt - etwa durch Änderung der familiären Situation - noch verstärken, kann dem durch eine Verkürzung der Befristung Rechnung getragen werden. Sollte der Betroffene nachträglich trotz der positiven Prognose erneut straffällig werden, kann dies bei der erneuten Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Ablauf der Sperrwirkung berücksichtigt werden.
- 30
-
b) Das Fehlen einer Befristung der Wirkungen der Ausweisung hat aber nicht zur Folge, dass die - ansonsten rechtmäßige - Ausweisung aufzuheben ist, sondern führt dazu, dass der Ausländer schon mit der Anfechtung der Ausweisung zugleich seinen Anspruch auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG durchsetzen kann. Das materiellrechtliche Erfordernis, dass eine allein generalpräventiv motivierte Ausweisung in den Fällen des § 56 Abs. 1 AufenthG in ihren Wirkungen grundsätzlich zugleich zu befristen ist, ist verfahrensrechtlich dadurch zu verwirklichen, dass der bestehende Anspruch auf Befristung schon im Rechtsstreit um die Ausweisungsverfügung realisiert werden kann. Damit wird dem Anspruch des Betroffenen auf gleichzeitige Entscheidung über die Ausweisung und die Befristung ihrer Wirkungen Rechnung getragen und die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung im Ergebnis gewährleistet. Diese verfahrensrechtliche Ausgestaltung entspricht der gesetzlichen Systematik, die zwei getrennte Verwaltungsakte - nämlich die Ausweisung einerseits und die Befristung ihrer Wirkungen andererseits - vorsieht (vgl. hierzu Beschluss vom 10. Dezember 1993 - BVerwG 1 B 160.93 - Buchholz 402.240 § 47 AuslG 1990 Nr. 2 zur Vorgängerregelung in § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG 1990). Prozessual wird dieses Ergebnis dadurch sichergestellt, dass in der Anfechtung der Ausweisung zugleich - als minus - für den Fall der Bestätigung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung ein (Hilfs-)Antrag auf Verpflichtung der Ausländerbehörde zu einer angemessenen Befristung der Wirkungen der Ausweisung gesehen wird. Der Ausländer darf insoweit nicht auf ein eigenständiges neues Verfahren verwiesen werden. Im Fall der rechtskräftigen Bestätigung der Ausweisung wird vielmehr auf den Hilfsantrag des Betroffenen hin zugleich eine Entscheidung über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung getroffen.
- 31
-
c) Erachtet das Gericht die Ausweisung für rechtmäßig, hat es auf den Hilfsantrag des Betroffenen hin zunächst darüber zu befinden, ob ihm bereits zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts ein Anspruch auf die Befristung der Wirkungen der Ausweisung zusteht. Sollte ein Befristungsanspruch bestehen, hat das Gericht sodann über die konkrete Dauer der Befristung zu befinden. Die Bemessung der Dauer steht nämlich seit dem Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 nicht mehr im Ermessen der Ausländerbehörde. Es handelt sich vielmehr um eine gebundene Entscheidung. Dies ergibt sich aus den folgenden Erwägungen:
- 32
-
Weder der Wortlaut des nunmehr geltenden § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. noch derjenige seiner Vorgängerreglungen in § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG a.F. oder § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG 1990 verhalten sich ausdrücklich zur Frage, ob die Bemessung der Frist in das Ermessen der Ausländerbehörden gestellt ist. Seit dem Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 ist der Anspruch auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung nicht mehr allein im Regelfall gegeben, wie dies zuvor in § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG a.F. bestimmt gewesen ist. Vielmehr besteht ein solcher Anspruch - vorbehaltlich der Ausnahme nach § 11 Abs. 1 Satz 7 AufenthG - in jedem Fall. Hinsichtlich der Dauer der Frist ist nunmehr geregelt, dass sie unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles festzusetzen ist und fünf Jahre nur überschreiten darf, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (§ 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG n.F.). Die Änderungen des § 11 AufenthG dienen der Umsetzung des Art. 11 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 - Rückführungsrichtlinie. Mit dieser Richtlinie, die auf Art. 63 Abs. 3 Buchst. b EG (jetzt: Art. 79 Abs. 2 Buchst. c AEUV) gestützt ist und also der Bekämpfung der illegalen Einwanderung zu dienen bestimmt ist, soll eine wirksame Rückkehrpolitik als notwendiger Bestandteil einer gut geregelten Migrationspolitik mit klaren, transparenten und fairen Vorschriften unterlegt werden (4. Erwägungsgrund). Im Einklang mit allgemeinen Grundsätzen des EU-Rechts sollen Entscheidungen gemäß dieser Richtlinie auf Grundlage des Einzelfalls und anhand objektiver Kriterien getroffen werden (6. Erwägungsgrund). Um die Interessen der Betroffenen wirksam zu schützen, sollen für Entscheidungen in Bezug auf die Rückkehr eine Reihe gemeinsamer rechtlicher Mindestgarantien gelten (11. Erwägungsgrund). Die Wirkung der einzelstaatlichen Rückführungsmaßnahmen soll einen europäischen Zuschnitt erhalten (14. Erwägungsgrund). Daher garantiert Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie, dass gegen Entscheidungen nach ihrem Art. 12 Abs. 1 - also Rückkehrentscheidungen sowie gegebenenfalls Entscheidungen über ein Einreiseverbot oder eine Abschiebung - ein wirksamer Rechtsbehelf eingelegt werden kann.
- 33
-
Neben dieser nunmehr unionsrechtlichen Prägung von § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG, die das Interesse des Einzelnen an der zeitlichen Beschränkung des Einreiseverbots und an einem darauf bezogenen wirksamen Rechtsschutz rechtlich erheblich aufwertet, ist auch die Bedeutung der Befristung für die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK zu berücksichtigen. So zieht der EGMR die Frage der Befristung bei der Prüfung von Ausweisungen am Maßstab des Art. 8 Abs. 2 EMRK als ein wesentliches Kriterium heran (EGMR, Urteile vom 17. April 2003 - Nr. 52853/99 - Yilmaz/Deutschland - NJW 2004, 2147; vom 27. Oktober 2005 - Nr. 32231/02 - Keles/Deutschland - InfAuslR 2006, 3 <4>; vom 22. März 2007 - Nr. 1638/03 - Maslov/Österreich - InfAuslR 2007, 221 <223> und vom 25. März 2010 - Nr. 40601/05 - Mutlag/Deutschland - InfAuslR 2010, 325 <327>). In der Gesamtschau der sich aus den Grundrechten des Grundgesetzes und der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie aus dem Unionsrecht ergebenden Argumente und der erstmals mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 im Grundsatz eingeführten Höchstfrist von fünf Jahren sind die schützenswerten privaten Interessen des Betroffenen an der Befristung nunmehr in einer Weise aufgewertet, dass vor dem Hintergrund des insoweit offenen Wortlauts des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. nicht mehr angenommen werden kann, der Verwaltung sei ein Spielraum zur Rechtskonkretisierung im Einzelfall eingeräumt, der nur auf die Einhaltung äußerer Grenzen gerichtlich überprüfbar wäre. Die Regelung ist in ihrem europäischen Gesamtzusammenhang betrachtet nunmehr so zu verstehen, dass dem Betroffenen ein Recht auf eine vollständige gerichtliche Kontrolle der Dauer der Befristung eingeräumt ist, um sein Recht auf eine verhältnismäßige Aufenthaltsbeendigung zu sichern. An dem bisherigen Verständnis des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG a.F., der nach allgemeiner Meinung die Dauer der Befristung in das Ermessen der Ausländerbehörde stellte (h.M. vgl. etwa Dienelt, in: Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl. 2011 § 11 AufenthG Rn. 44), ist angesichts der neuen Rechtslage seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 am 26. November 2011 nicht mehr festzuhalten.
- 34
-
Sofern die Ausländerbehörde rechtsfehlerhaft keine Befristung ausgesprochen hat oder die von ihr verfügte Frist zu lang ist, hat das Gericht die Behörde deshalb zu verpflichten, die Wirkungen der Ausweisung auf einen konkreten, von ihm für geboten gehaltenen Zeitraum zu befristen. Damit ist gewährleistet, dass mit der abschließenden gerichtlichen Entscheidung über die Ausweisung auch die Dauer der Sperrwirkung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG feststeht und der Ausländer sich in seiner Lebensplanung darauf einstellen kann.
- 35
-
c) Ob die Notwendigkeit einer zugleich mit der Ausweisung zu verfügenden Befristung des Einreiseverbots künftig auch unmittelbar aus Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG hergeleitet werden könnte, bedarf hier keiner Klärung. Insbesondere kann offenbleiben, ob die Ausweisung als solche, gegebenenfalls in Verbindung mit der Abschiebungsandrohung, als Rückkehrentscheidung im Sinne der Richtlinie anzusehen ist (verneinend VGH Mannheim, Urteil vom 10. Februar 2012 - 11 S 1361/11 - juris). Denn selbst wenn dies der Fall wäre, würde die hier streitige, im Juli 2009 verfügte und mit der Klage angegriffene Ausweisung von der Richtlinie, die von den Mitgliedstaaten bis zum 24. Dezember 2010 umzusetzen war, noch nicht erfasst (vgl. zur intertemporalen Anwendung von Richtlinien: EuGH, Urteil vom 4. Oktober 2007 - Rs. C-349/06, Polat - Slg. 2007, I-8167 Rn. 25 ff.). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass Art. 15 Abs. 5 und 6 der Richtlinie für bereits vor deren Umsetzung begonnene und darüber hinaus andauernde Inhaftierungen gelten (vgl. EuGH, Urteil vom 30. November 2009 - Rs. C-357/09 PPU, Kadzoev - Slg. 2009, I-11189 Rn. 38). Denn Regelungen zur Dauer der Abschiebungshaft betreffen zukünftige Auswirkungen eines noch andauernden Sachverhalts und nicht die gerichtliche Kontrolle einer Behördenentscheidung, die vor Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie getroffen worden ist. Im Übrigen dürften sich aus der Richtlinie, sofern sie Ausweisungsentscheidungen erfassen sollte, auch keine weitergehenden Rechtsfolgen hinsichtlich der Befristung des Einreiseverbots ergeben, als sie für die bereits aus Gründen der Verhältnismäßigkeit gebotene Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG gelten.
- 36
-
5. Erweist sich die Berufungsentscheidung damit nicht bereits aus anderen Gründen als richtig, ist die Sache zur weiteren Aufklärung an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen. In dem erneuten Berufungsverfahren wird der Beklagte, sofern er auch angesichts der aktuellen persönlichen Verhältnisse des Klägers an der Ausweisung festhalten will, Gelegenheit haben, seine maßgeblichen Ermessenserwägungen unter Beachtung der hierfür vom Senat aufgestellten formalen Anforderungen (Urteil vom 13. Dezember 2011 - BVerwG 1 C 14.10 - Leitsatz 2, zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen) zu ergänzen und die erforderliche Entscheidung über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung nachzuholen. Der Verwaltungsgerichtshof wird seinerseits die erforderlichen Feststellungen zur Schwere der konkreten Straftat des Klägers treffen und die festgestellten Umstände würdigen müssen. Sollte er schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung bejahen und auch die - nachzuholende - Ermessensentscheidung des Beklagten einschließlich der Verhältnismäßigkeitsprüfung als rechtsfehlerfrei ansehen, müsste er auch noch über den im Begehren des Klägers als minus enthaltenen Antrag auf Verpflichtung des Beklagten zur Befristung der Wirkungen des Ausweisung oder gegebenenfalls über die Rechtmäßigkeit einer inzwischen von dem Beklagten ausgesprochen Befristung befinden.
- 37
-
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten. Einer gesonderten Kostenentscheidung in Bezug auf den übereinstimmend für erledigt erklärten Teil des Rechtsstreits (Abschiebungsandrohung in Nr. 2 Abs. 2 des Bescheides) bedarf es nicht. Der Abschiebungsandrohung, die allein auf der Ausweisung beruht, kommt im vorliegenden Fall kostenmäßig keine eigenständige Bedeutung zu. Es entspricht daher billigem Ermessen im Sinne von § 161 Abs. 2 VwGO, hier in Anwendung des Rechtsgedankens des § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO von einer gesonderten Kostenregelung hinsichtlich der Abschiebungsandrohung abzusehen.
(1) Die Anfechtungsklage muß innerhalb eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheids erhoben werden. Ist nach § 68 ein Widerspruchsbescheid nicht erforderlich, so muß die Klage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts erhoben werden.
(2) Für die Verpflichtungsklage gilt Absatz 1 entsprechend, wenn der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts abgelehnt worden ist.
(1) Für die Berechnung der Fristen gelten die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs.
(2) Fällt das Ende einer Frist auf einen Sonntag, einen allgemeinen Feiertag oder einen Sonnabend, so endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages.
(3) Bei der Berechnung einer Frist, die nach Stunden bestimmt ist, werden Sonntage, allgemeine Feiertage und Sonnabende nicht mitgerechnet.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.
(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.
(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.
(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn
- 1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder - 2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.
(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer
- 1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist, - 1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten - a)
gegen das Leben, - b)
gegen die körperliche Unversehrtheit, - c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches, - d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder - e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
- 1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, - 2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand, - 3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet, - 4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder - 5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören, - a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt, - b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder - c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.
(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer
- 1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist, - 2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist, - 3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht, - 4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht, - 5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben, - 6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist, - 7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde, - 8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland - a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder - b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
- 9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.
(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer
- 1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, - 2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, - 3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, - 4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder - 5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.
(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn
- 1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, - 2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält, - 3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt, - 4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält, - 5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder - 6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.
(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.
(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.
(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.
(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.
(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn
- 1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder - 2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.
(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer
- 1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist, - 1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten - a)
gegen das Leben, - b)
gegen die körperliche Unversehrtheit, - c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches, - d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder - e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
- 1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, - 2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand, - 3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet, - 4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder - 5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören, - a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt, - b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder - c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.
(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer
- 1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist, - 2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist, - 3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht, - 4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht, - 5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben, - 6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist, - 7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde, - 8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland - a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder - b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
- 9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.
Tenor
I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner.
III.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
Tenor
I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000, - Euro festgesetzt.
Gründe
Tenor
-
Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 9. September 2016 - 19 CS 16.1194 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
-
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
-
Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
-
Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 10.000 € (in Worten: zehntausend Euro) und für das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf 5.000 € (in Worten: fünftausend Euro) festgesetzt.
Gründe
-
I.
- 1
-
1. Der am 1. Januar 1989 geborene Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger. Er lebte zunächst in der Türkei. Im Alter von drei Jahren zog er zu seinem Vater und dessen neuer Ehefrau in die Bundesrepublik Deutschland. Nach der Scheidung von Vater und Stiefmutter lebte er mit der Stiefmutter und deren zwei Kindern in Nürnberg. Er besuchte eine Förderschule bis zur neunten Klasse und verließ diese 2004 ohne Schulabschluss. Am 18. Januar 2005 erteilte ihm die Ausländerbehörde eine Niederlassungserlaubnis nach § 35 AufenthG. In der Folge nahm er ohne Erfolg an mehreren Bildungs- und Berufsvorbereitungsmaßnahmen teil. Im Jahr 2008 erlangte er den Hauptschulabschluss.
- 2
-
2. Er wurde mehrfach strafgerichtlich verurteilt: Am 9. März 2006 wurde er vom Amtsgericht wegen Diebstahls in zwei Fällen zu Freizeitarrest verurteilt. Am 11. August 2006 verurteilte ihn das Amtsgericht zu einem Kurzarrest von zwei Tagen und einer Geldauflage, weil er gemeinsam mit einem Freund die Verpackungen von X-Box-Spielen im Wert von 200 Euro aufgebrochen und diese an sich genommen hatte. Am 18. Juni 2007 wurde er vom Amtsgericht wegen gemeinschaftlicher räuberischer Erpressung, gemeinschaftlichen Diebstahls in einem besonders schweren Fall und Beleidigung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren, die zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt. Er befand sich vom 28. Februar 2007 bis zum Tag der Verurteilung in Untersuchungshaft; die ihm auferlegten 250 Arbeitsstunden leistete er ab. Am 2. Oktober 2008 verurteilte ihn das Amtsgericht unter Einbeziehung der Verurteilung vom 18. Juni 2007 wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten, nachdem er erneut X-Box-Spiele entwendet hatte. Er verbüßte im Anschluss einen Teil der Strafe. Mit Urteil vom 25. Juli 2011 wurde er vom Amtsgericht wegen des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen verurteilt.
- 3
-
Am 7. Mai 2012 verurteilte ihn das Amtsgericht zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und 3 Monaten wegen Handeltreibens mit Marihuana in 74 Fällen. Er hatte im Zeitraum von Juli bis Oktober 2011 in seiner Wohnung Marihuana angebaut, dieses in kleinen Mengen an einen Bekannten verkauft und im Übrigen bei sich eingelagert. Die mit Beschluss des Amtsgerichts vom 14. Februar 2013 gewährte Haftentlassung auf Bewährung wurde widerrufen, nachdem er erneut Marihuana konsumiert und nicht ausreichend Kontakt zu seinem Bewährungshelfer gehalten hatte. Er verbüßte seine Haftstrafe ab dem 22. April 2014.
- 4
-
3. Die Ausländerbehörde leitete am 8. Januar 2014 ein Ausweisungsverfahren ein. Sein Verfahrensbevollmächtigter teilte unter anderem mit, der Beschwerdeführer beabsichtige, eine Suchtmitteltherapie anzutreten. Mit Bescheid vom 6. Mai 2015 wies die Ausländerbehörde den Beschwerdeführer aus der Bundesrepublik Deutschland aus, ordnete die sofortige Vollziehung an, forderte ihn zur Ausreise bis zum 1. Juni 2015 auf und drohte die Abschiebung an. Er erfülle die zwingenden Ausweisungstatbestände des § 53 Nr. 1 und 2 AufenthG. Allerdings sei er Assoziationsberechtigter, weshalb eine Ausweisung nur als Ermessensausweisung möglich sei; das Ausweisungsinteresse überwiege sein Bleibeinteresse. Er sei wiederholt und schwer, unter anderem wegen Drogendelikten, straffällig geworden. Auch mehrfache Verurteilungen und Inhaftierungen hätten ihn nicht zu einem straffreien Leben anhalten können. Die Strafaussetzung zur Bewährung sei widerrufen worden. Es bestehe Wiederholungsgefahr. Demgegenüber könne er sich zwar auf den Assoziationsstatus berufen und sei im Wesentlichen in Deutschland aufgewachsen. Er habe sich hier jedoch nie wirtschaftlich integriert, und die von ihm ausgehenden Gefahren für höchste Rechtsgüter rechtfertigten die Schwierigkeiten, die er bei einer Rückkehr in die Türkei hinzunehmen habe. Die sofortige Vollziehung werde angeordnet, da er aus spezialpräventiven Gründen ausgewiesen werde und ein langwieriges Gerichtsverfahren nicht abzuwarten sei.
- 5
-
4. Der Beschwerdeführer erhob Klage gegen diesen Bescheid und beantragte die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage. Zur Begründung führte er insbesondere aus, dass kein besonderes Vollzugsinteresse gegeben sei. Die Ausländerbehörde habe bei zahlreichen anderen spezialpräventiven Ausweisungen von der Anordnung des Sofortvollzugs abgesehen. Das Verwaltungsverfahren habe über ein Jahr gedauert, so dass eine besondere Eilbedürftigkeit nicht erkennbar sei. Die Begründung der sofortigen Vollziehung bestehe aus bloßen Worthülsen. Im Übrigen, so machte er mit der Klagebegründung von demselben Tag geltend, sei der Bescheid jedenfalls rechtswidrig.
- 6
-
Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag mit Beschluss vom 18. August 2015 ab. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei nicht zu beanstanden, da die Ausländerbehörde auf die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten abgestellt habe. Die Verfügung erweise sich bei summarischer Prüfung als rechtmäßig. Die Ausländerbehörde habe zutreffend festgestellt, dass der Beschwerdeführer schon seit seinem Jugendalter in sich steigerndem Maße straffällig geworden sei. Auch während laufender Bewährung habe er mehrfach weitere Straftaten begangen und gegen Bewährungsauflagen verstoßen. Die begonnene Drogentherapie habe er noch nicht erfolgreich abgeschlossen; im Übrigen bleibe die statistische Rückfallgefahr auch nach einer solchen hoch. Bei bedrohten Rechtsgütern von hervorgehobener Bedeutung gälten für die Feststellung einer Wiederholungsgefahr geringere Anforderungen. Es sei jedenfalls im Falle wiederholter Straffälligkeit nicht erforderlich gewesen, zur Frage der Wiederholungsgefahr ein Prognosegutachten einzuholen. Es sei dem Beschwerdeführer zumutbar, in die Türkei zurückzukehren, auch wenn er diese als Kleinkind verlassen habe. Auf Art. 6 GG könne er sich nicht berufen, da er erwachsen, unverheiratet und kinderlos sei. Ob die Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf fünf Jahre rechtmäßig sei, spiele im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO keine Rolle.
- 7
-
5. Der Beschwerdeführer legte gegen den Beschluss Beschwerde ein. Das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass der Sofortvollzug der Ausweisung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur bei einem das Ausweisungsinteresse übersteigenden Vollzugsinteresse angeordnet werden könne. Hierfür sei eine besondere Prognoseentscheidung zu treffen, die in der Entscheidung des Verwaltungsgerichts fehle. Dabei sei zu berücksichtigen gewesen, dass er die letzte abgeurteilte Straftat 2011 begangen habe und die letzte Verurteilung 2012 erfolgt sei. Die Grundinteressen der Gemeinschaft seien nicht bedroht. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass ein Handel mit Betäubungsmitteln erneut drohe, bestünden nicht. Der Erfolg der Klage sei offen, da es für die Rechtmäßigkeit der Ausweisungsentscheidung auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ankomme, im Eilverfahren deshalb eine Prognose über die Sachlage im Zeitpunkt dieser Verhandlung hätte getroffen werden müssen. Das Verwaltungsgericht habe außerdem die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu der Bedeutung seines langjährigen Aufenthalts in Deutschland nicht hinreichend berücksichtigt.
- 8
-
Der Verwaltungsgerichtshof wies die Beschwerde zurück. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts sei sowohl bei ihrem Erlass - gestützt auf § 53 Nr. 1 und 2 AufenthG a. F. - als auch im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nach den §§ 53 ff. AufenthG n. F. rechtmäßig gewesen. Der Beschwerdeführer habe nach altem Recht zwingende Ausweisungstatbestände verwirklicht, doch habe der assoziationsrechtliche Ausweisungsschutz zu einer Herabstufung als Ermessensausweisung geführt. Der Vortrag, es bestehe keine Wiederholungsgefahr, sei angesichts seiner regelmäßig und sich steigernden Straffälligkeit nicht ausreichend. Die keineswegs jugendtypische Delinquenz belege vielmehr die Wiederholungsgefahr. Da er vielfach auch Eigentumsdelikte, teilweise unter Gewaltanwendung, begangen habe, bestehe weiterhin die Gefahr, dass er in Anbetracht seiner Drogenabhängigkeit solche Taten wiederholen werde. Im Übrigen könne bei einem Drogenabhängigen vom Wegfall der Wiederholungsgefahr nicht gesprochen werden, solange nicht eine Therapie abgeschlossen worden sei, deren Erfolg durch eine längere Zeit straffreien Verhaltens bestätigt sei. Die Ausweisungsverfügung sei auch bei Zugrundelegung des neuen Rechts rechtmäßig, da dieses die Rechtslage nach der früheren Rechtsprechung im Wesentlichen kodifiziert habe. Auch bei Zugrundelegung seines besonders schwerwiegenden Bleibeinteresses gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG bleibe es aus den zuvor dargestellten Gründen bei einem Überwiegen des Ausweisungsinteresses. Die Anordnung des Sofortvollzugs sei angesichts der zu bekämpfenden akuten Gefahren erforderlich. Die bei Aufschub des Vollzugs eintretenden konkreten Nachteile überwögen schließlich das Bleibeinteresse des Antragstellers bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens.
- 9
-
6. Unter dem 14. April 2016 beantragte der Beschwerdeführer bei dem Verwaltungsgericht die Abänderung des Beschlusses gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO. Er habe sich vom 17. Dezember 2015 bis zum 7. April 2016 zur stationären Behandlung seiner Abhängigkeitserkrankung in einem Therapiezentrum befunden und sei regulär entlassen worden. Die Prognose sei nach Angaben der behandelnden Therapeutin aufgrund seiner deutlichen Entscheidung für Abstinenz, seiner hohen Selbstreflexionsfähigkeit sowie der guten kognitiven Fähigkeiten günstig. Laut der vorgelegten Bescheinigung hatte der Beschwerdeführer in der Therapieeinrichtung zunächst Schwierigkeiten mit der Eingewöhnung. Er habe jedoch in der Folge einen guten Kontakt zu den Therapeuten aufgebaut, sich engagiert und habe auch schwierige Situationen, insbesondere Rückfälle anderer Patienten, gut gemeistert.
- 10
-
Die Ausländerbehörde trat dem Antrag entgegen und meinte insbesondere, veränderte relevante Umstände lägen nicht vor. Auch die Vertreterin des öffentlichen Interesses beantragte, den Antrag abzulehnen. Demgegenüber wies der Beschwerdeführer darauf hin, dass das Amtsgericht mit Beschluss vom 6. Mai 2016 die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe gemäß § 36 Abs. 1 Satz 3 BtMG unter Auflagen zur Bewährung ausgesetzt habe. Von der in dieser Entscheidung zum Ausdruck kommenden Einschätzung könne nur aufgrund eines negativen kriminalprognostischen Gutachtens abgewichen werden.
- 11
-
Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag mit Beschluss vom 25. Mai 2016 ab. Die abgeschlossene Drogentherapie führe nicht zum Wegfall einer gegenwärtigen schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Eine etwaige Verhaltensänderung müsse sich erst im Anschluss an den Therapieabschluss beweisen. Statistisch sei von einer erheblichen Rückfallquote auszugehen. Auch die Strafaussetzungsentscheidung binde im ausländerrechtlichen Verfahren nicht, da bei ersterer die Resozialisierung des Täters im Vordergrund stünde.
- 12
-
7. Der Beschwerdeführer legte hiergegen unter dem 11. Juni 2016 Beschwerde zum Verwaltungsgerichtshof ein. Insbesondere habe das Verwaltungsgericht zu Unrecht ein besonderes Vollzugsinteresse bejaht, da jedenfalls eine akute Wiederholungsgefahr nicht mehr bestehe.
- 13
-
Mit Beschluss vom 9. September 2016 wies der Verwaltungsgerichtshof die Beschwerde zurück. Angesichts der tiefgreifenden und länger andauernden Suchtproblematik stelle die Therapie allenfalls einen Teilerfolg dar, der die Wiederholungsgefahr nicht entfallen lasse. Der Beschwerdeführer verfüge auch unabhängig von seiner Drogensucht über ein hohes Maß an krimineller Energie. Die Strafaussetzungsentscheidung nach § 36 BtMG, die wie eine Aussetzungsentscheidung nach § 57 StGB geringeres ausweisungsrechtliches Gewicht als eine Entscheidung nach § 56 StGB habe, stelle auf einen engeren strafvollzugsrechtlichen Prognosehorizont als die ausländerrechtliche Entscheidung ab. Der Sofortvollzug sei auch angesichts des schon einmal erfolgten Widerrufs der Strafaussetzung zur Bewährung notwendig.
-
II.
- 14
-
Der Beschwerdeführer hat am 18. September 2016 Verfassungsbeschwerde erhoben und zugleich einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs verletze ihn in seinem Recht aus Art. 2 Abs. 1 GG, welches in Ausweisungssituationen angesichts der gravierenden Folgen für den Ausländer besonderen Schutz vermittle. Dabei sei das von Art. 8 EMRK gewährleistete Grundrecht auf Privatleben zu beachten. Die angegriffenen Entscheidungen hätten rechtsfehlerhaft eine Wiederholungsgefahr bejaht, da nach der erfolgten Strafaussetzung zumindest ein Gutachten hätte eingeholt werden müssen. Eine regelmäßige und sich steigernde Intensität von Straftaten des Beschwerdeführers liege nicht vor, der Bewährungswiderruf sei nur wegen des Verstoßes gegen Bewährungsauflagen und nicht wegen der Begehung von Straftaten erfolgt. Angesichts der vorgelegten Therapiebescheinigung sei die Prognose positiv gewesen; hierüber hätten sich die Gerichte nicht einfach hinwegsetzen dürfen. Schließlich sei der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt, da das Nachtatverhalten des Beschwerdeführers nicht ausreichend gewürdigt worden sei. In sich widersprüchlich sei dabei die Begründung, dass der Strafaussetzungsentscheidung ein kürzerer Prognosemaßstab als der ausländerrechtlichen Entscheidung zugrunde liege, da die Bewährungszeit wie die Befristung der Wirkung der Ausweisung auf fünf Jahre festgesetzt worden sei. Schließlich verstoße es gegen Art. 19 Abs. 4 GG, wenn die Gerichte Erlassinteresse und den Sofortvollzug nahezu wortgleich begründet hätten. Denn der Gesetzgeber habe gerade für Ausweisungen keinen Wegfall der aufschiebenden Wirkung von Gesetzes wegen angeordnet, so dass das Regel-Ausnahmeverhältnis verkannt worden sei. Das besondere, über das Erlassinteresse hinausgehende Vollzugsinteresse hätte die Ausländerbehörde darlegen und nicht etwa der Beschwerdeführer widerlegen müssen.
-
III.
- 15
-
Die Akten des Ausgangsverfahrens, die Ausländerakte und die Akten des Strafverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen. Der Freistaat Bayern hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.
-
IV.
- 16
-
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor. Die Annahme der Verfassungsbeschwer-de ist zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 GG angezeigt. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt. Die zulässige (1.) Verfassungsbeschwerde ist in einem die Entscheidungskompetenz der Kammer eröffnenden Sinn offensichtlich begründet (2.).
- 17
-
1. Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs über die Beschwerde gegen die Entscheidung nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO ist tauglicher Beschwerdegegenstand. Der Beschwerdeführer war insoweit, nachdem im Hinblick auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vom 21. März 2016 innerhalb der Verfassungsbeschwerdefrist geänderte Umstände aufgetreten waren, die den Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO eröffneten, aufgrund der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde gehalten, erst diesen Rechtsbehelf zu nutzen, bevor er Verfassungsbeschwerde einlegen konnte. Nachdem dieser Antrag von den Gerichten abgelehnt wurde, hat er innerhalb der Frist des § 93 Abs. 1 BVerfGG Verfassungsbeschwerde eingelegt.
- 18
-
2. Die angegriffene Entscheidung verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG. Die Beschränkung des Freizügigkeitsgrundrechts nach Art. 11 GG auf Deutsche schließt nicht aus, auf den Aufenthalt von Ausländern in der Bundesrepublik Deutschland Art. 2 Abs. 1 GG anzuwenden (vgl. BVerfGE 35, 382 <399>). Die Ausweisung ist ein Eingriff in das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit des sich im Bundesgebiet aufhaltenden Ausländers (zu den Merkmalen eines Grundrechtseingriffs im Allgemeinen vgl. BVerfGE 105, 279 <299 f.>). Der Eingriff liegt im Entzug des Aufenthaltsrechts und der daraus folgenden Verpflichtung zur Ausreise (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 5, § 50 Abs. 1 AufenthG); auf weitere mit der Ausweisung verbundene Rechtsnachteile kommt es daneben - für die Frage des Vorliegens eines Grundrechtseingriffs - nicht an. Ausweisungen oder sonstige Maßnahmen zum Entzug oder zur Verkürzung eines bereits gewährten Aufenthaltsrechts sind aufgrund gesetzlicher Vorschriften grundsätzlich möglich. In materieller Hinsicht markiert in diesem Zusammenhang allerdings - vorbehaltlich besonderer verfassungsrechtlicher Gewährleistungen - der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die verfassungsrechtliche Grenze für Einschränkungen des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 90, 145 <172>; vgl. auch BVerfGE 75, 108 <154 f.>; 80, 137 <153>).
- 19
-
Die einzelfallbezogene Würdigung der für die Ausweisung sprechenden öffentlichen Belange und der gegenläufigen Interessen des Ausländers sowie deren Abwägung gegeneinander ist den Verwaltungsgerichten übertragen. Das Bundesverfassungsgericht kann diese gerichtlichen Entscheidungen nicht in allen Einzelheiten, sondern nur auf die Beachtung der verfassungsrechtlichen Maßstäbe überprüfen (vgl. BVerfGE 27, 211 <219>; 76, 363 <389>). Die verfassungsgerichtliche Überprüfung erstreckt sich darauf, ob die Verwaltungsgerichte die für die Abwägung wesentlichen Umstände erkannt und ermittelt haben und ob die vorgenommene Gewichtung der Umstände den Vorgaben der Verfassung entspricht. Hierbei sind auch die Vorgaben der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu berücksichtigen (vgl. BVerfGK 11, 153 <159 ff.>). Danach besteht zwar für faktische Inländer kein generelles Ausweisungsverbot. Bei der Ausweisung hier geborener beziehungsweise als Kleinkinder nach Deutschland gekommener Ausländer ist aber im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung der besonderen Härte, die eine Ausweisung für diese Personengruppe darstellt, in angemessenem Umfang Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGK 12, 37 <45>). Es ist im Rahmen der verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung nicht ausreichend, wenn die Gerichte von der Begehung von Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz in jedem Fall ohne Weiteres auf die Gefährdung höchster Gemeinwohlgüter und auf eine kaum widerlegliche Rückfallgefahr schließen. Vielmehr ist der konkrete, der Verurteilung zugrundeliegende Sachverhalt ebenso zu berücksichtigen wie das Nachtatverhalten und der Verlauf von Haft und - gegebenenfalls - Therapie. Auch bei Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz darf ein allgemeines Erfahrungswissen nicht zu einer schematischen Gesetzesanwendung führen, die die im Einzelfall für den Ausländer sprechenden Umstände ausblendet (vgl. BVerfGK 12, 37 <41 f.>).
- 20
-
Diesen Maßstäben werden die gerichtlichen Entscheidungen ungeachtet des Umstands, dass im vorliegenden Fall starke Indizien für das Vorliegen hinreichender Gründe für eine Ausweisung und Abschiebung vorliegen dürften, nicht gerecht.
- 21
-
Zum einen hat der Verwaltungsgerichtshof im Verfahren über den Abänderungsantrag die Wiederholungsgefahr ausschließlich mit allgemeinen Erwägungen zur hohen Rückfallwahrscheinlichkeit bei Betäubungsmittelabhängigen begründet und die durchgeführte Drogentherapie sowie die Strafaussetzung zur Bewährung nach § 36 Abs. 1 Satz 3 BtMG für nicht entscheidend gehalten. Zwar trifft es im Ausgangspunkt zu, dass Ausländerbehörde und Verwaltungsgerichte für die Frage der Wiederholungsgefahr nicht an die Strafaussetzungsentscheidung der Strafvollstreckungskammern gebunden sind. Solchen Entscheidungen kommt jedoch eine erhebliche indizielle Bedeutung zu. Jedenfalls soweit die Prognose der Wiederholungsgefahr Bedeutung im Rahmen einer grundrechtlich erforderlichen Abwägung hat, bedarf es einer substantiierten Begründung, wenn von der strafgerichtlichen Einschätzung abgewichen werden soll (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 27. August 2010 - 2 BvR 130/10 -, juris, Rn. 36 m.w.N.). Auch die eher negative Bewertung der Therapiebescheinigung vom 7. April 2016 beruht auf der pauschalen Annahme, eine derartige Bescheinigung gewinne angesichts der statistisch erwiesenen hohen Rückfallquote erst "längere Zeit nach Straf- bzw. Therapieende" Bedeutung.
- 22
-
Nicht ausreichend ist es zum anderen, eine positive Entwicklung des Verurteilten ohne aussagekräftige Indizien darauf zurückzuführen, der Ausländer habe sich erst unter dem Druck des Ausweisungsverfahrens zur Therapie - beziehungsweise allgemeiner zu einem rechtstreuen Verhalten - entschlossen. Denn mit einem solchen Verhalten während und nach der Inhaftierung sowie in laufender Bewährungszeit wird der Ausländer dem vom deutschen Strafvollzug bezweckten Resozialisierungsziel gerecht. Es ist mit dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung nicht zu vereinbaren, wenn ein solches im Strafvollzug erwartetes und während laufender Bewährung gefordertes Verhalten ausländerrechtlich gegen den Betroffenen gewertet wird. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn offensichtlich ist, dass die Bemühungen des Ausländers ausschließlich dem Ausweisungsverfahren geschuldet sind. Dies ist vorliegend jedoch nicht ersichtlich. Der Beschwerdeführer hatte sich vielmehr seit geraumer Zeit um eine Drogentherapie bemüht und hat diese nunmehr wie geplant abgeschlossen.
- 23
-
Schließlich fehlt es im angegriffenen Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs sowohl an einer individualisierten Auseinandersetzung mit dem Umstand, dass die nicht drogenbezogene Kriminalität des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt der Entscheidung acht Jahre zurückliegt, als auch an einer ernsthaften Berücksichtigung des Umstands, dass der 27-jährige Beschwerdeführer seit 24 Jahren in Deutschland lebt und - auch im Hinblick auf das Erreichen des Hauptschulabschlusses - möglicherweise als faktischer Inländer betrachtet werden muss, so dass der Vollzug der Ausweisung einen Grundrechtseingriff von erheblichem Gewicht darstellen dürfte (vgl. im Übrigen zur möglichen Unverhältnismäßigkeit einer Ausweisung auch beim Handeltreiben mit nicht geringen Mengen an Marihuana BVerfGK 12, 37 <42>).
- 24
-
Wiegt das Bleibeinteresse des Ausländers besonders schwer, so wird sich nach einer Strafaussetzungsentscheidung der Strafvollstreckungskammer eine relevante Wiederholungsgefahr nur dann bejahen lassen, wenn die ausländerrechtliche Entscheidung auf einer breiteren Tatsachengrundlage als derjenigen der Strafvollstreckungskammer getroffen wird, etwa wenn Ausländerbehörde oder Gericht ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben haben, welches eine Abweichung zulässt, oder wenn die vom Ausländer in der Vergangenheit begangenen Straftaten fortbestehende konkrete Gefahren für höchste Rechtsgüter erkennen lassen. Für eine derartige breitere Tatsachengrundlage ist vorliegend nichts ersichtlich. Ein Sachverständigengutachten haben Ausländerbehörde und Gerichte nicht eingeholt. Für die Annahme fortbestehender konkreter Gefahren für höchste Rechtsgüter hätte es konkreter Feststellungen zu den vom Beschwerdeführer drohenden Straftaten bedurft. Die vom Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 21. März 2016 gesehene Gefahr, dass zu befürchten sei, dass der Beschwerdeführer wieder Cannabis konsumieren werde und zur Finanzierung seiner Sucht weitere Straftaten begehen werde, entbehrt nach den eigenen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs einer Grundlage im Verhalten des Beschwerdeführers.
- 25
-
Haben damit die Gerichte schon das Ausweisungsinteresse fehlerhaft bewertet, so ist die weitere Begründung, angesichts dieses Interesses müsse das Bleibeinteresse des Beschwerdeführers zurückstehen, verfassungsrechtlich nicht haltbar. Die tatsächlichen Feststellungen der Gerichte genügen insoweit den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht, da sie eine Rückkehr des Beschwerdeführers schlicht für zumutbar halten, ohne Feststellungen zur Integrationsfähigkeit des Beschwerdeführers in der Türkei zu treffen, die er im Alter von drei Jahren verlassen hat.
- 26
-
3. Liegt mithin eine Verletzung des Art. 2 Abs. 1 GG vor, so bedarf es keiner Entscheidung, ob auch Art. 19 Abs. 4 GG verletzt worden ist.
-
V.
- 27
-
Mit der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Die Kammer geht davon aus, dass vor der erneuten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs keine Abschiebung stattfinden wird.
-
VI.
- 28
-
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Werts des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG.
Tenor
I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,-- Euro festgesetzt.
Gründe
Tenor
-
Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 9. September 2016 - 19 CS 16.1194 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
-
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
-
Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
-
Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 10.000 € (in Worten: zehntausend Euro) und für das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf 5.000 € (in Worten: fünftausend Euro) festgesetzt.
Gründe
-
I.
- 1
-
1. Der am 1. Januar 1989 geborene Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger. Er lebte zunächst in der Türkei. Im Alter von drei Jahren zog er zu seinem Vater und dessen neuer Ehefrau in die Bundesrepublik Deutschland. Nach der Scheidung von Vater und Stiefmutter lebte er mit der Stiefmutter und deren zwei Kindern in Nürnberg. Er besuchte eine Förderschule bis zur neunten Klasse und verließ diese 2004 ohne Schulabschluss. Am 18. Januar 2005 erteilte ihm die Ausländerbehörde eine Niederlassungserlaubnis nach § 35 AufenthG. In der Folge nahm er ohne Erfolg an mehreren Bildungs- und Berufsvorbereitungsmaßnahmen teil. Im Jahr 2008 erlangte er den Hauptschulabschluss.
- 2
-
2. Er wurde mehrfach strafgerichtlich verurteilt: Am 9. März 2006 wurde er vom Amtsgericht wegen Diebstahls in zwei Fällen zu Freizeitarrest verurteilt. Am 11. August 2006 verurteilte ihn das Amtsgericht zu einem Kurzarrest von zwei Tagen und einer Geldauflage, weil er gemeinsam mit einem Freund die Verpackungen von X-Box-Spielen im Wert von 200 Euro aufgebrochen und diese an sich genommen hatte. Am 18. Juni 2007 wurde er vom Amtsgericht wegen gemeinschaftlicher räuberischer Erpressung, gemeinschaftlichen Diebstahls in einem besonders schweren Fall und Beleidigung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren, die zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt. Er befand sich vom 28. Februar 2007 bis zum Tag der Verurteilung in Untersuchungshaft; die ihm auferlegten 250 Arbeitsstunden leistete er ab. Am 2. Oktober 2008 verurteilte ihn das Amtsgericht unter Einbeziehung der Verurteilung vom 18. Juni 2007 wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten, nachdem er erneut X-Box-Spiele entwendet hatte. Er verbüßte im Anschluss einen Teil der Strafe. Mit Urteil vom 25. Juli 2011 wurde er vom Amtsgericht wegen des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen verurteilt.
- 3
-
Am 7. Mai 2012 verurteilte ihn das Amtsgericht zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und 3 Monaten wegen Handeltreibens mit Marihuana in 74 Fällen. Er hatte im Zeitraum von Juli bis Oktober 2011 in seiner Wohnung Marihuana angebaut, dieses in kleinen Mengen an einen Bekannten verkauft und im Übrigen bei sich eingelagert. Die mit Beschluss des Amtsgerichts vom 14. Februar 2013 gewährte Haftentlassung auf Bewährung wurde widerrufen, nachdem er erneut Marihuana konsumiert und nicht ausreichend Kontakt zu seinem Bewährungshelfer gehalten hatte. Er verbüßte seine Haftstrafe ab dem 22. April 2014.
- 4
-
3. Die Ausländerbehörde leitete am 8. Januar 2014 ein Ausweisungsverfahren ein. Sein Verfahrensbevollmächtigter teilte unter anderem mit, der Beschwerdeführer beabsichtige, eine Suchtmitteltherapie anzutreten. Mit Bescheid vom 6. Mai 2015 wies die Ausländerbehörde den Beschwerdeführer aus der Bundesrepublik Deutschland aus, ordnete die sofortige Vollziehung an, forderte ihn zur Ausreise bis zum 1. Juni 2015 auf und drohte die Abschiebung an. Er erfülle die zwingenden Ausweisungstatbestände des § 53 Nr. 1 und 2 AufenthG. Allerdings sei er Assoziationsberechtigter, weshalb eine Ausweisung nur als Ermessensausweisung möglich sei; das Ausweisungsinteresse überwiege sein Bleibeinteresse. Er sei wiederholt und schwer, unter anderem wegen Drogendelikten, straffällig geworden. Auch mehrfache Verurteilungen und Inhaftierungen hätten ihn nicht zu einem straffreien Leben anhalten können. Die Strafaussetzung zur Bewährung sei widerrufen worden. Es bestehe Wiederholungsgefahr. Demgegenüber könne er sich zwar auf den Assoziationsstatus berufen und sei im Wesentlichen in Deutschland aufgewachsen. Er habe sich hier jedoch nie wirtschaftlich integriert, und die von ihm ausgehenden Gefahren für höchste Rechtsgüter rechtfertigten die Schwierigkeiten, die er bei einer Rückkehr in die Türkei hinzunehmen habe. Die sofortige Vollziehung werde angeordnet, da er aus spezialpräventiven Gründen ausgewiesen werde und ein langwieriges Gerichtsverfahren nicht abzuwarten sei.
- 5
-
4. Der Beschwerdeführer erhob Klage gegen diesen Bescheid und beantragte die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage. Zur Begründung führte er insbesondere aus, dass kein besonderes Vollzugsinteresse gegeben sei. Die Ausländerbehörde habe bei zahlreichen anderen spezialpräventiven Ausweisungen von der Anordnung des Sofortvollzugs abgesehen. Das Verwaltungsverfahren habe über ein Jahr gedauert, so dass eine besondere Eilbedürftigkeit nicht erkennbar sei. Die Begründung der sofortigen Vollziehung bestehe aus bloßen Worthülsen. Im Übrigen, so machte er mit der Klagebegründung von demselben Tag geltend, sei der Bescheid jedenfalls rechtswidrig.
- 6
-
Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag mit Beschluss vom 18. August 2015 ab. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei nicht zu beanstanden, da die Ausländerbehörde auf die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten abgestellt habe. Die Verfügung erweise sich bei summarischer Prüfung als rechtmäßig. Die Ausländerbehörde habe zutreffend festgestellt, dass der Beschwerdeführer schon seit seinem Jugendalter in sich steigerndem Maße straffällig geworden sei. Auch während laufender Bewährung habe er mehrfach weitere Straftaten begangen und gegen Bewährungsauflagen verstoßen. Die begonnene Drogentherapie habe er noch nicht erfolgreich abgeschlossen; im Übrigen bleibe die statistische Rückfallgefahr auch nach einer solchen hoch. Bei bedrohten Rechtsgütern von hervorgehobener Bedeutung gälten für die Feststellung einer Wiederholungsgefahr geringere Anforderungen. Es sei jedenfalls im Falle wiederholter Straffälligkeit nicht erforderlich gewesen, zur Frage der Wiederholungsgefahr ein Prognosegutachten einzuholen. Es sei dem Beschwerdeführer zumutbar, in die Türkei zurückzukehren, auch wenn er diese als Kleinkind verlassen habe. Auf Art. 6 GG könne er sich nicht berufen, da er erwachsen, unverheiratet und kinderlos sei. Ob die Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf fünf Jahre rechtmäßig sei, spiele im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO keine Rolle.
- 7
-
5. Der Beschwerdeführer legte gegen den Beschluss Beschwerde ein. Das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass der Sofortvollzug der Ausweisung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur bei einem das Ausweisungsinteresse übersteigenden Vollzugsinteresse angeordnet werden könne. Hierfür sei eine besondere Prognoseentscheidung zu treffen, die in der Entscheidung des Verwaltungsgerichts fehle. Dabei sei zu berücksichtigen gewesen, dass er die letzte abgeurteilte Straftat 2011 begangen habe und die letzte Verurteilung 2012 erfolgt sei. Die Grundinteressen der Gemeinschaft seien nicht bedroht. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass ein Handel mit Betäubungsmitteln erneut drohe, bestünden nicht. Der Erfolg der Klage sei offen, da es für die Rechtmäßigkeit der Ausweisungsentscheidung auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ankomme, im Eilverfahren deshalb eine Prognose über die Sachlage im Zeitpunkt dieser Verhandlung hätte getroffen werden müssen. Das Verwaltungsgericht habe außerdem die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu der Bedeutung seines langjährigen Aufenthalts in Deutschland nicht hinreichend berücksichtigt.
- 8
-
Der Verwaltungsgerichtshof wies die Beschwerde zurück. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts sei sowohl bei ihrem Erlass - gestützt auf § 53 Nr. 1 und 2 AufenthG a. F. - als auch im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nach den §§ 53 ff. AufenthG n. F. rechtmäßig gewesen. Der Beschwerdeführer habe nach altem Recht zwingende Ausweisungstatbestände verwirklicht, doch habe der assoziationsrechtliche Ausweisungsschutz zu einer Herabstufung als Ermessensausweisung geführt. Der Vortrag, es bestehe keine Wiederholungsgefahr, sei angesichts seiner regelmäßig und sich steigernden Straffälligkeit nicht ausreichend. Die keineswegs jugendtypische Delinquenz belege vielmehr die Wiederholungsgefahr. Da er vielfach auch Eigentumsdelikte, teilweise unter Gewaltanwendung, begangen habe, bestehe weiterhin die Gefahr, dass er in Anbetracht seiner Drogenabhängigkeit solche Taten wiederholen werde. Im Übrigen könne bei einem Drogenabhängigen vom Wegfall der Wiederholungsgefahr nicht gesprochen werden, solange nicht eine Therapie abgeschlossen worden sei, deren Erfolg durch eine längere Zeit straffreien Verhaltens bestätigt sei. Die Ausweisungsverfügung sei auch bei Zugrundelegung des neuen Rechts rechtmäßig, da dieses die Rechtslage nach der früheren Rechtsprechung im Wesentlichen kodifiziert habe. Auch bei Zugrundelegung seines besonders schwerwiegenden Bleibeinteresses gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG bleibe es aus den zuvor dargestellten Gründen bei einem Überwiegen des Ausweisungsinteresses. Die Anordnung des Sofortvollzugs sei angesichts der zu bekämpfenden akuten Gefahren erforderlich. Die bei Aufschub des Vollzugs eintretenden konkreten Nachteile überwögen schließlich das Bleibeinteresse des Antragstellers bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens.
- 9
-
6. Unter dem 14. April 2016 beantragte der Beschwerdeführer bei dem Verwaltungsgericht die Abänderung des Beschlusses gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO. Er habe sich vom 17. Dezember 2015 bis zum 7. April 2016 zur stationären Behandlung seiner Abhängigkeitserkrankung in einem Therapiezentrum befunden und sei regulär entlassen worden. Die Prognose sei nach Angaben der behandelnden Therapeutin aufgrund seiner deutlichen Entscheidung für Abstinenz, seiner hohen Selbstreflexionsfähigkeit sowie der guten kognitiven Fähigkeiten günstig. Laut der vorgelegten Bescheinigung hatte der Beschwerdeführer in der Therapieeinrichtung zunächst Schwierigkeiten mit der Eingewöhnung. Er habe jedoch in der Folge einen guten Kontakt zu den Therapeuten aufgebaut, sich engagiert und habe auch schwierige Situationen, insbesondere Rückfälle anderer Patienten, gut gemeistert.
- 10
-
Die Ausländerbehörde trat dem Antrag entgegen und meinte insbesondere, veränderte relevante Umstände lägen nicht vor. Auch die Vertreterin des öffentlichen Interesses beantragte, den Antrag abzulehnen. Demgegenüber wies der Beschwerdeführer darauf hin, dass das Amtsgericht mit Beschluss vom 6. Mai 2016 die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe gemäß § 36 Abs. 1 Satz 3 BtMG unter Auflagen zur Bewährung ausgesetzt habe. Von der in dieser Entscheidung zum Ausdruck kommenden Einschätzung könne nur aufgrund eines negativen kriminalprognostischen Gutachtens abgewichen werden.
- 11
-
Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag mit Beschluss vom 25. Mai 2016 ab. Die abgeschlossene Drogentherapie führe nicht zum Wegfall einer gegenwärtigen schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Eine etwaige Verhaltensänderung müsse sich erst im Anschluss an den Therapieabschluss beweisen. Statistisch sei von einer erheblichen Rückfallquote auszugehen. Auch die Strafaussetzungsentscheidung binde im ausländerrechtlichen Verfahren nicht, da bei ersterer die Resozialisierung des Täters im Vordergrund stünde.
- 12
-
7. Der Beschwerdeführer legte hiergegen unter dem 11. Juni 2016 Beschwerde zum Verwaltungsgerichtshof ein. Insbesondere habe das Verwaltungsgericht zu Unrecht ein besonderes Vollzugsinteresse bejaht, da jedenfalls eine akute Wiederholungsgefahr nicht mehr bestehe.
- 13
-
Mit Beschluss vom 9. September 2016 wies der Verwaltungsgerichtshof die Beschwerde zurück. Angesichts der tiefgreifenden und länger andauernden Suchtproblematik stelle die Therapie allenfalls einen Teilerfolg dar, der die Wiederholungsgefahr nicht entfallen lasse. Der Beschwerdeführer verfüge auch unabhängig von seiner Drogensucht über ein hohes Maß an krimineller Energie. Die Strafaussetzungsentscheidung nach § 36 BtMG, die wie eine Aussetzungsentscheidung nach § 57 StGB geringeres ausweisungsrechtliches Gewicht als eine Entscheidung nach § 56 StGB habe, stelle auf einen engeren strafvollzugsrechtlichen Prognosehorizont als die ausländerrechtliche Entscheidung ab. Der Sofortvollzug sei auch angesichts des schon einmal erfolgten Widerrufs der Strafaussetzung zur Bewährung notwendig.
-
II.
- 14
-
Der Beschwerdeführer hat am 18. September 2016 Verfassungsbeschwerde erhoben und zugleich einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs verletze ihn in seinem Recht aus Art. 2 Abs. 1 GG, welches in Ausweisungssituationen angesichts der gravierenden Folgen für den Ausländer besonderen Schutz vermittle. Dabei sei das von Art. 8 EMRK gewährleistete Grundrecht auf Privatleben zu beachten. Die angegriffenen Entscheidungen hätten rechtsfehlerhaft eine Wiederholungsgefahr bejaht, da nach der erfolgten Strafaussetzung zumindest ein Gutachten hätte eingeholt werden müssen. Eine regelmäßige und sich steigernde Intensität von Straftaten des Beschwerdeführers liege nicht vor, der Bewährungswiderruf sei nur wegen des Verstoßes gegen Bewährungsauflagen und nicht wegen der Begehung von Straftaten erfolgt. Angesichts der vorgelegten Therapiebescheinigung sei die Prognose positiv gewesen; hierüber hätten sich die Gerichte nicht einfach hinwegsetzen dürfen. Schließlich sei der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt, da das Nachtatverhalten des Beschwerdeführers nicht ausreichend gewürdigt worden sei. In sich widersprüchlich sei dabei die Begründung, dass der Strafaussetzungsentscheidung ein kürzerer Prognosemaßstab als der ausländerrechtlichen Entscheidung zugrunde liege, da die Bewährungszeit wie die Befristung der Wirkung der Ausweisung auf fünf Jahre festgesetzt worden sei. Schließlich verstoße es gegen Art. 19 Abs. 4 GG, wenn die Gerichte Erlassinteresse und den Sofortvollzug nahezu wortgleich begründet hätten. Denn der Gesetzgeber habe gerade für Ausweisungen keinen Wegfall der aufschiebenden Wirkung von Gesetzes wegen angeordnet, so dass das Regel-Ausnahmeverhältnis verkannt worden sei. Das besondere, über das Erlassinteresse hinausgehende Vollzugsinteresse hätte die Ausländerbehörde darlegen und nicht etwa der Beschwerdeführer widerlegen müssen.
-
III.
- 15
-
Die Akten des Ausgangsverfahrens, die Ausländerakte und die Akten des Strafverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen. Der Freistaat Bayern hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.
-
IV.
- 16
-
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor. Die Annahme der Verfassungsbeschwer-de ist zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 GG angezeigt. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt. Die zulässige (1.) Verfassungsbeschwerde ist in einem die Entscheidungskompetenz der Kammer eröffnenden Sinn offensichtlich begründet (2.).
- 17
-
1. Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs über die Beschwerde gegen die Entscheidung nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO ist tauglicher Beschwerdegegenstand. Der Beschwerdeführer war insoweit, nachdem im Hinblick auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vom 21. März 2016 innerhalb der Verfassungsbeschwerdefrist geänderte Umstände aufgetreten waren, die den Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO eröffneten, aufgrund der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde gehalten, erst diesen Rechtsbehelf zu nutzen, bevor er Verfassungsbeschwerde einlegen konnte. Nachdem dieser Antrag von den Gerichten abgelehnt wurde, hat er innerhalb der Frist des § 93 Abs. 1 BVerfGG Verfassungsbeschwerde eingelegt.
- 18
-
2. Die angegriffene Entscheidung verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG. Die Beschränkung des Freizügigkeitsgrundrechts nach Art. 11 GG auf Deutsche schließt nicht aus, auf den Aufenthalt von Ausländern in der Bundesrepublik Deutschland Art. 2 Abs. 1 GG anzuwenden (vgl. BVerfGE 35, 382 <399>). Die Ausweisung ist ein Eingriff in das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit des sich im Bundesgebiet aufhaltenden Ausländers (zu den Merkmalen eines Grundrechtseingriffs im Allgemeinen vgl. BVerfGE 105, 279 <299 f.>). Der Eingriff liegt im Entzug des Aufenthaltsrechts und der daraus folgenden Verpflichtung zur Ausreise (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 5, § 50 Abs. 1 AufenthG); auf weitere mit der Ausweisung verbundene Rechtsnachteile kommt es daneben - für die Frage des Vorliegens eines Grundrechtseingriffs - nicht an. Ausweisungen oder sonstige Maßnahmen zum Entzug oder zur Verkürzung eines bereits gewährten Aufenthaltsrechts sind aufgrund gesetzlicher Vorschriften grundsätzlich möglich. In materieller Hinsicht markiert in diesem Zusammenhang allerdings - vorbehaltlich besonderer verfassungsrechtlicher Gewährleistungen - der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die verfassungsrechtliche Grenze für Einschränkungen des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 90, 145 <172>; vgl. auch BVerfGE 75, 108 <154 f.>; 80, 137 <153>).
- 19
-
Die einzelfallbezogene Würdigung der für die Ausweisung sprechenden öffentlichen Belange und der gegenläufigen Interessen des Ausländers sowie deren Abwägung gegeneinander ist den Verwaltungsgerichten übertragen. Das Bundesverfassungsgericht kann diese gerichtlichen Entscheidungen nicht in allen Einzelheiten, sondern nur auf die Beachtung der verfassungsrechtlichen Maßstäbe überprüfen (vgl. BVerfGE 27, 211 <219>; 76, 363 <389>). Die verfassungsgerichtliche Überprüfung erstreckt sich darauf, ob die Verwaltungsgerichte die für die Abwägung wesentlichen Umstände erkannt und ermittelt haben und ob die vorgenommene Gewichtung der Umstände den Vorgaben der Verfassung entspricht. Hierbei sind auch die Vorgaben der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu berücksichtigen (vgl. BVerfGK 11, 153 <159 ff.>). Danach besteht zwar für faktische Inländer kein generelles Ausweisungsverbot. Bei der Ausweisung hier geborener beziehungsweise als Kleinkinder nach Deutschland gekommener Ausländer ist aber im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung der besonderen Härte, die eine Ausweisung für diese Personengruppe darstellt, in angemessenem Umfang Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGK 12, 37 <45>). Es ist im Rahmen der verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung nicht ausreichend, wenn die Gerichte von der Begehung von Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz in jedem Fall ohne Weiteres auf die Gefährdung höchster Gemeinwohlgüter und auf eine kaum widerlegliche Rückfallgefahr schließen. Vielmehr ist der konkrete, der Verurteilung zugrundeliegende Sachverhalt ebenso zu berücksichtigen wie das Nachtatverhalten und der Verlauf von Haft und - gegebenenfalls - Therapie. Auch bei Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz darf ein allgemeines Erfahrungswissen nicht zu einer schematischen Gesetzesanwendung führen, die die im Einzelfall für den Ausländer sprechenden Umstände ausblendet (vgl. BVerfGK 12, 37 <41 f.>).
- 20
-
Diesen Maßstäben werden die gerichtlichen Entscheidungen ungeachtet des Umstands, dass im vorliegenden Fall starke Indizien für das Vorliegen hinreichender Gründe für eine Ausweisung und Abschiebung vorliegen dürften, nicht gerecht.
- 21
-
Zum einen hat der Verwaltungsgerichtshof im Verfahren über den Abänderungsantrag die Wiederholungsgefahr ausschließlich mit allgemeinen Erwägungen zur hohen Rückfallwahrscheinlichkeit bei Betäubungsmittelabhängigen begründet und die durchgeführte Drogentherapie sowie die Strafaussetzung zur Bewährung nach § 36 Abs. 1 Satz 3 BtMG für nicht entscheidend gehalten. Zwar trifft es im Ausgangspunkt zu, dass Ausländerbehörde und Verwaltungsgerichte für die Frage der Wiederholungsgefahr nicht an die Strafaussetzungsentscheidung der Strafvollstreckungskammern gebunden sind. Solchen Entscheidungen kommt jedoch eine erhebliche indizielle Bedeutung zu. Jedenfalls soweit die Prognose der Wiederholungsgefahr Bedeutung im Rahmen einer grundrechtlich erforderlichen Abwägung hat, bedarf es einer substantiierten Begründung, wenn von der strafgerichtlichen Einschätzung abgewichen werden soll (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 27. August 2010 - 2 BvR 130/10 -, juris, Rn. 36 m.w.N.). Auch die eher negative Bewertung der Therapiebescheinigung vom 7. April 2016 beruht auf der pauschalen Annahme, eine derartige Bescheinigung gewinne angesichts der statistisch erwiesenen hohen Rückfallquote erst "längere Zeit nach Straf- bzw. Therapieende" Bedeutung.
- 22
-
Nicht ausreichend ist es zum anderen, eine positive Entwicklung des Verurteilten ohne aussagekräftige Indizien darauf zurückzuführen, der Ausländer habe sich erst unter dem Druck des Ausweisungsverfahrens zur Therapie - beziehungsweise allgemeiner zu einem rechtstreuen Verhalten - entschlossen. Denn mit einem solchen Verhalten während und nach der Inhaftierung sowie in laufender Bewährungszeit wird der Ausländer dem vom deutschen Strafvollzug bezweckten Resozialisierungsziel gerecht. Es ist mit dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung nicht zu vereinbaren, wenn ein solches im Strafvollzug erwartetes und während laufender Bewährung gefordertes Verhalten ausländerrechtlich gegen den Betroffenen gewertet wird. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn offensichtlich ist, dass die Bemühungen des Ausländers ausschließlich dem Ausweisungsverfahren geschuldet sind. Dies ist vorliegend jedoch nicht ersichtlich. Der Beschwerdeführer hatte sich vielmehr seit geraumer Zeit um eine Drogentherapie bemüht und hat diese nunmehr wie geplant abgeschlossen.
- 23
-
Schließlich fehlt es im angegriffenen Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs sowohl an einer individualisierten Auseinandersetzung mit dem Umstand, dass die nicht drogenbezogene Kriminalität des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt der Entscheidung acht Jahre zurückliegt, als auch an einer ernsthaften Berücksichtigung des Umstands, dass der 27-jährige Beschwerdeführer seit 24 Jahren in Deutschland lebt und - auch im Hinblick auf das Erreichen des Hauptschulabschlusses - möglicherweise als faktischer Inländer betrachtet werden muss, so dass der Vollzug der Ausweisung einen Grundrechtseingriff von erheblichem Gewicht darstellen dürfte (vgl. im Übrigen zur möglichen Unverhältnismäßigkeit einer Ausweisung auch beim Handeltreiben mit nicht geringen Mengen an Marihuana BVerfGK 12, 37 <42>).
- 24
-
Wiegt das Bleibeinteresse des Ausländers besonders schwer, so wird sich nach einer Strafaussetzungsentscheidung der Strafvollstreckungskammer eine relevante Wiederholungsgefahr nur dann bejahen lassen, wenn die ausländerrechtliche Entscheidung auf einer breiteren Tatsachengrundlage als derjenigen der Strafvollstreckungskammer getroffen wird, etwa wenn Ausländerbehörde oder Gericht ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben haben, welches eine Abweichung zulässt, oder wenn die vom Ausländer in der Vergangenheit begangenen Straftaten fortbestehende konkrete Gefahren für höchste Rechtsgüter erkennen lassen. Für eine derartige breitere Tatsachengrundlage ist vorliegend nichts ersichtlich. Ein Sachverständigengutachten haben Ausländerbehörde und Gerichte nicht eingeholt. Für die Annahme fortbestehender konkreter Gefahren für höchste Rechtsgüter hätte es konkreter Feststellungen zu den vom Beschwerdeführer drohenden Straftaten bedurft. Die vom Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 21. März 2016 gesehene Gefahr, dass zu befürchten sei, dass der Beschwerdeführer wieder Cannabis konsumieren werde und zur Finanzierung seiner Sucht weitere Straftaten begehen werde, entbehrt nach den eigenen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs einer Grundlage im Verhalten des Beschwerdeführers.
- 25
-
Haben damit die Gerichte schon das Ausweisungsinteresse fehlerhaft bewertet, so ist die weitere Begründung, angesichts dieses Interesses müsse das Bleibeinteresse des Beschwerdeführers zurückstehen, verfassungsrechtlich nicht haltbar. Die tatsächlichen Feststellungen der Gerichte genügen insoweit den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht, da sie eine Rückkehr des Beschwerdeführers schlicht für zumutbar halten, ohne Feststellungen zur Integrationsfähigkeit des Beschwerdeführers in der Türkei zu treffen, die er im Alter von drei Jahren verlassen hat.
- 26
-
3. Liegt mithin eine Verletzung des Art. 2 Abs. 1 GG vor, so bedarf es keiner Entscheidung, ob auch Art. 19 Abs. 4 GG verletzt worden ist.
-
V.
- 27
-
Mit der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Die Kammer geht davon aus, dass vor der erneuten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs keine Abschiebung stattfinden wird.
-
VI.
- 28
-
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Werts des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG.
(1) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Dabei sind namentlich die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind.
(2) Das Gericht kann unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 auch die Vollstreckung einer höheren Freiheitsstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aussetzen, wenn nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen. Bei der Entscheidung ist namentlich auch das Bemühen des Verurteilten, den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen, zu berücksichtigen.
(3) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten wird die Vollstreckung nicht ausgesetzt, wenn die Verteidigung der Rechtsordnung sie gebietet.
(4) Die Strafaussetzung kann nicht auf einen Teil der Strafe beschränkt werden. Sie wird durch eine Anrechnung von Untersuchungshaft oder einer anderen Freiheitsentziehung nicht ausgeschlossen.
(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn
- 1.
zwei Drittel der verhängten Strafe, mindestens jedoch zwei Monate, verbüßt sind, - 2.
dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann, und - 3.
die verurteilte Person einwilligt.
(2) Schon nach Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe, mindestens jedoch von sechs Monaten, kann das Gericht die Vollstreckung des Restes zur Bewährung aussetzen, wenn
- 1.
die verurteilte Person erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßt und diese zwei Jahre nicht übersteigt oder - 2.
die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit der verurteilten Person und ihrer Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, daß besondere Umstände vorliegen,
(3) Die §§ 56a bis 56e gelten entsprechend; die Bewährungszeit darf, auch wenn sie nachträglich verkürzt wird, die Dauer des Strafrestes nicht unterschreiten. Hat die verurteilte Person mindestens ein Jahr ihrer Strafe verbüßt, bevor deren Rest zur Bewährung ausgesetzt wird, unterstellt sie das Gericht in der Regel für die Dauer oder einen Teil der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung einer Bewährungshelferin oder eines Bewährungshelfers.
(4) Soweit eine Freiheitsstrafe durch Anrechnung erledigt ist, gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne der Absätze 1 bis 3.
(5) Die §§ 56f und 56g gelten entsprechend. Das Gericht widerruft die Strafaussetzung auch dann, wenn die verurteilte Person in der Zeit zwischen der Verurteilung und der Entscheidung über die Strafaussetzung eine Straftat begangen hat, die von dem Gericht bei der Entscheidung über die Strafaussetzung aus tatsächlichen Gründen nicht berücksichtigt werden konnte und die im Fall ihrer Berücksichtigung zur Versagung der Strafaussetzung geführt hätte; als Verurteilung gilt das Urteil, in dem die zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.
(6) Das Gericht kann davon absehen, die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, wenn die verurteilte Person unzureichende oder falsche Angaben über den Verbleib von Gegenständen macht, die der Einziehung von Taterträgen unterliegen.
(7) Das Gericht kann Fristen von höchstens sechs Monaten festsetzen, vor deren Ablauf ein Antrag der verurteilten Person, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, unzulässig ist.
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.
(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.
(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.
(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn
- 1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder - 2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
II.
Gründe
I.
In Abänderung des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichts München
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II.
Von den Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen trägt die Beklagte ein Viertel, der Kläger drei Viertel.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Entscheidungsgründe:
Rechtsmittelbelehrung
Beschluss:
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000,-- Euro festgesetzt (§ 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2 GKG i. V. m. Nr. 8.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).
(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer
- 1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist, - 1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten - a)
gegen das Leben, - b)
gegen die körperliche Unversehrtheit, - c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches, - d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder - e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
- 1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, - 2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand, - 3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet, - 4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder - 5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören, - a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt, - b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder - c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.
(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer
- 1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist, - 2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist, - 3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht, - 4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht, - 5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben, - 6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist, - 7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde, - 8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland - a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder - b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
- 9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.
(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer
- 1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, - 2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, - 3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, - 4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder - 5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.
(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn
- 1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, - 2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält, - 3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt, - 4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält, - 5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder - 6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.
(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.
(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.
(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.
(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.
(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn
- 1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder - 2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Ist die Revision unzulässig, so verwirft sie das Bundesverwaltungsgericht durch Beschluß.
(2) Ist die Revision unbegründet, so weist das Bundesverwaltungsgericht die Revision zurück.
(3) Ist die Revision begründet, so kann das Bundesverwaltungsgericht
- 1.
in der Sache selbst entscheiden, - 2.
das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.
(4) Ergeben die Entscheidungsgründe zwar eine Verletzung des bestehenden Rechts, stellt sich die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig dar, so ist die Revision zurückzuweisen.
(5) Verweist das Bundesverwaltungsgericht die Sache bei der Sprungrevision nach § 49 Nr. 2 und nach § 134 zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück, so kann es nach seinem Ermessen auch an das Oberverwaltungsgericht zurückverweisen, das für die Berufung zuständig gewesen wäre. Für das Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht gelten dann die gleichen Grundsätze, wie wenn der Rechtsstreit auf eine ordnungsgemäß eingelegte Berufung bei dem Oberverwaltungsgericht anhängig geworden wäre.
(6) Das Gericht, an das die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen ist, hat seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts zugrunde zu legen.
(7) Die Entscheidung über die Revision bedarf keiner Begründung, soweit das Bundesverwaltungsgericht Rügen von Verfahrensmängeln nicht für durchgreifend hält. Das gilt nicht für Rügen nach § 138 und, wenn mit der Revision ausschließlich Verfahrensmängel geltend gemacht werden, für Rügen, auf denen die Zulassung der Revision beruht.
(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.
(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.
(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.
(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.
(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.
(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.
(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.
(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.
(7) Gegen einen Ausländer,
- 1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder - 2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.
(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.
Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.
Gründe
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
10 B 13.715
Im Namen des Volkes
Urteil
vom 25. August 2014
(VG München, Entscheidung vom 21. Juli 2011, Az.: M 23 K 10.1455)
10. Senat
Sachgebietsschlüssel: 600
Hauptpunkte:
- Ausweisung eines wegen Betäubungsmitteldelikten mehrfach verurteilten, Nigerianers, - Beziehungen des Ausländers zu seinen vier nichtehelichen Kindern von drei unterschiedlichen Müttern, - Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots
Rechtsquellen:
In der Verwaltungsstreitsache
...
gegen
Landeshauptstadt München,
vertreten durch den Oberbürgermeister,
dieser vertreten durch KVR HA II Ausländerangelegenheiten, Ruppertstr. 19, 80337 München,
- Beklagte -
beteiligt:
Landesanwaltschaft Bayern, als Vertreter des öffentlichen Interesses, Ludwigstr. 23, 80539 München,
wegen Ausweisung;
hier: Berufung des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München
erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 10. Senat, durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Senftl, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Eich, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Martini ohne weitere mündliche Verhandlung
am 25. August 2014
folgendes Urteil:
I.
Unter Aufhebung der Nr. 2 des Bescheids der Beklagten vom 3. März 2010 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 2. Juli 2014 wird die Beklagte verpflichtet, über die Länge der Frist für das Einreise- und Aufenthaltsverbot für den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II.
Der Kläger trägt drei Viertel der Kosten des Berufungsverfahrens, die Beklagte trägt ein Viertel.
III.
Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Entscheidungsgründe:
Rechtsmittelbelehrung
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.
(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.
(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.
(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.
(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.
(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.
(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.
(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.
(7) Gegen einen Ausländer,
- 1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder - 2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.
(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.
Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteiligten können die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.
(2) Wer einen Antrag, eine Klage, ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf zurücknimmt, hat die Kosten zu tragen.
(3) Kosten, die durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entstehen, fallen dem Antragsteller zur Last.
(4) Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, können diesem auferlegt werden.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.