Verwaltungsgericht Würzburg Urteil, 10. Apr. 2019 - W 2 K 17.1104

bei uns veröffentlicht am10.04.2019

Gericht

Verwaltungsgericht Würzburg

Tenor

I. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 20.04.2016 verpflichtet, die Arbeit des Klägers zu Aufgabe 3 der Zweiten Juristischen Staatsprüfung 2015/2 durch neue Prüfer unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bewerten.

II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

I.

Der Kläger wendet sich gegen die Bewertung der schriftlichen Prüfungsaufgabe Nr. 3 im Rahmen der Zweiten Juristischen Staatsprüfung im Termin 2015/2.

Mit Bescheid vom 20. April 2016 teilte das Bayerische Staatsministerium der Justiz (im Folgenden: Landesjustizprüfungsamt) dem Kläger die Ergebnisse der Prüfung mit. In der schriftlichen Prüfung wurde die dritte Prüfungsaufgabe mit der Einzelnote 1,0 Punkte bewertet. Als Prüfungsgesamtnote erzielte der Kläger 10,45 Punkte (vollbefriedigend).

II.

Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 3. Mai 2016, bei Gericht vorab per Telefax am selben Tag eingegangen, ließ der Kläger gegen den Bescheid Klage erheben.

Gleichzeitig beantragte der Kläger beim Beklagten die Nachprüfung der Prüfungsaufgabe Nr. 3. Im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens wurden die Stellungnahmen der beiden Prüfer eingeholt, auf die Bezug genommen wird. Diese hielten an ihren Bewertungen fest.

Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 30. Juli 2016 ließ der Kläger seine Klage begründen. Es werde zunächst gerügt, dass der Tenor der Entscheidung, das Wahlbanner an einen Sequester herauszugeben, nicht „neben der Sache“ liege. Denn das Gericht sei zwar nicht befugt, einer Partei etwas zuzusprechen, was diese nicht beantragt habe (§ 308 Abs. 1 ZPO), das Gericht könne aber ein Minus zusprechen. Dies sei bei der Anordnung einer Sequestration der Fall, da hierdurch die Sache vom Sequester sichergestellt und für den Antragsteller verwahrt werde, bis das Gericht der Hauptsache entschieden habe. Der Gedanke sei daher nicht fernliegend gewesen, geschweige denn neben der Sache. Der Kläger habe entgegen der Behauptung des Korrektors erkannt, dass bei verbotener Eigenmacht ausnahmsweise eine Leistungsverfügung zulässig sei, und im Folgenden begründet, warum seiner Ansicht nach vorliegend eine solche nicht in Betracht komme. Dieses Ergebnis, das von der Ausnahme mit inhaltlicher Begründung wieder zum Regelfall zurückkehre, sei jedenfalls vertretbar. Hinsichtlich des Tenors liege somit ein objektiver Korrekturfehler vor. Zudem sei vom Erstkorrektor zu Unrecht gerügt worden, der Kläger habe die Unzulässigkeit des Schmerzensgeldantrags nicht erkannt. Zwar schreibe der Kläger zu Beginn der betreffenden Passage von „Verfügungsanspruch“, im weiteren Verlauf ergebe sich aber ganz eindeutig, dass dies ein Versehen gewesen sei. Denn er erläutere vollkommen richtig, dass durch die Gewährung von Schmerzensgeld mittels einstweiliger Verfügung die Hauptsache vorweggenommen würde und dies somit zur Unzulässigkeit des Antrags führe. Auch hier liege ein objektiver Korrekturfehler vor. Die Kritik, dass die Prüfung des § 265 Abs. 2 ZPO „ganz unsystematisch“ sei, sei unzutreffend. Es sei absolut unstreitig, dass § 265 Abs. 2 ZPO einen Fall der gesetzlichen Prozessstandschaft begründe. Als parteibezogene Zulässigkeitsvoraussetzung müsse dies in der Zulässigkeit angesprochen werden. Es sei schlicht und ergreifend die Lösungsskizze falsch, die diese Problematik erst in der Begründetheit prüfe. Die Kritik des Erstkorrektors, der Arbeit fehle eine hinreichende Praxistauglichkeit, sei unsubstantiiert und genüge nicht den Anforderungen der Rechtsprechung zur Bewertung von Prüfungsleistungen. Im Übrigen treffe diese Bewertung nicht zu, weil die Ausführungen absolut praxisgerecht seien. Insgesamt lasse sich die Bewertung der Leistung des Klägers mit lediglich einem Punkt und die Bezeichnung als desolate und völlig ungeordnete Prüfungsleistung nicht rechtfertigen. Es handele es sich um eine umfassende und anspruchsvolle Arbeit, die mit wenigen Ausnahmen nahezu perfekt gelöst worden sei.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 20. April 2016, Az. ZJS 2015/2, zu verpflichten, über die Zweite Juristische Staatsprüfung des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Erst- und Zweitbewertung der Aufgabe 3 sei jeweils frei von Bewertungsfehlern. Auf die im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens ergangenen Stellungnahmen werde Bezug genommen. Hinsichtlich des Tenors verkenne der Kläger, dass die von ihm gewählte Tenorierung rechtlich nicht geboten gewesen sei. Der Kläger habe grundlegend verkannt, dass die Darlegung einer Dringlichkeit der Herausgabe nach der vom Gesetzgeber bezweckten Funktion der Besitzschutzansprüche für eine auf Herausgabe gerichtete einstweilige Verfügung regelmäßig gerade nicht erforderlich sei. Im Übrigen sei nicht behauptet worden, die Lösung des Klägers sei falsch bzw. nicht vertretbar. Wie eine vertretbare Lösung bewertungsmäßig zu würdigen sei, falle jedoch in den originären, gerichtlich nicht überprüfbaren Bewertungsspielraum der Prüfer. Hinsichtlich der Unzulässigkeit des Schmerzensgeldanspruchs könne dahinstehen, ob ein Schreibversehen vorliege. Denn es stelle keine Überschreitung des prüfungsspezifischen Bewertungsspielraums dar, wenn der Korrektor die Wortwahl des Klausurbearbeiters „für bare Münze“ nehme. Bezüglich der Prüfung des § 265 ZPO verkenne der Kläger, dass die Lösungsskizze keineswegs eine Prüfung der Begründetheit vor der Zulässigkeit vorsehe. Vielmehr gehe es um eine Verortung des Problems im Rahmen der Erörterung der materiellen Rechtslage, die Teil der Begründetheit sei. Im Übrigen falle die Frage, ob die gewählte Darstellungsart als mehr oder weniger übersichtlich empfunden werde, in den originären, gerichtlich nicht überprüfbaren Bewertungsspielraum der Prüfer. Die allgemeine Bewertungsrüge des Klägers gehe ins Leere. Es genüge, dass der Prüfer die Bewertung schriftlich, unter Hinweis auf die für das Ergebnis ausschlaggebenden Gesichtspunkte kurz, aber verständlich darlege. Auch die Gesamtbewertung der Arbeit könne der Kläger nicht erfolgreich angreifen. Mit seinen Ausführungen setze der Kläger seine Bewertung an die Stelle der Bewertung der Prüfer. Dies sei unzulässig.

Mit Schreiben vom 11. Dezember 2018 wies das Gericht darauf hin, dass die Bewertung des Tenors, der eine Herausgabe des Wahlbanners an einen Sequester vorsieht, derzeit nicht nachvollziehbar sei. Es sei nicht zutreffend, dass der Kläger die Thematik (überhaupt) nicht erkannt habe, wie der Prüfer in seiner Stellungnahme ausführe. Zudem fehlten Ausführungen zur Unzulässigkeit des Schmerzensgeldanspruchs nicht, wie sich leicht aus dem Kontext ersehen lasse.

Mit Schreiben vom 13. Februar 2019 übersandte der Beklagte daraufhin die weiteren Stellungnahmen des Erst- und des Zweitkorrektors, die beide an ihren Bewertungen festhielten.

Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte mit dem Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 10. April 2019 und die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache Erfolg. Der Bescheid vom 20. April 2016 ist im streitgegenständlichen Umfang rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten; er hat deshalb einen Anspruch auf Neubewertung der Prüfungsaufgabe Nr. 3 (§ 113 Abs. 5 VwGO).

1. Die Bewertung der Aufgabe 3 erweist sich als rechtswidrig, da sie mehrere Bewertungsfehler aufweist und sich diese auf die Notengebung ausgewirkt haben.

Die Aufhebung eines Prüfungsbescheids und die Verpflichtung der Behörde, das Prüfungsverfahren durch Neubewertung der betreffenden Aufgabe fortzusetzen, setzt voraus, dass die Bewertung fehlerhaft ist und dass dieser Fehler Einfluss auf das Gesamtergebnis hat.

Prüfungsbewertungen sind wegen des den Prüfern zustehenden Bewertungsspielraums gerichtlich nur eingeschränkt dahingehend überprüfbar, ob die objektiven Grenzen des Prüferspielraums überschritten wurden. Dies ist der Fall, wenn die Prüfungsbehörden Verfahrensfehler begehen, anzuwendendes Recht verkennen, von einem unrichtigen Sachverhalt ausgehen, allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe verletzen, sich von sachfremden Erwägungen leiten lassen oder bei offenen Rechtsfragen eine vertretbare und folgerichtig begründete Lösung als falsch werten. Ein in diesem Sinne allgemeingültiger Bewertungsgrundsatz ist es, dass zutreffende Antworten und brauchbare Lösungen im Prinzip nicht als falsch bewertet werden und zum Nichtbestehen führen dürfen. Soweit die Richtigkeit oder Angemessenheit von Lösungen wegen der Eigenart der Prüfungsfrage nicht eindeutig bestimmbar ist, gebührt zwar dem Prüfer ein Bewertungsspielraum, dem aber ein Antwortspielraum des Prüflings gegenübersteht. Eine vertretbare und mit gewichtigen Argumenten folgerichtig begründete Lösung darf nicht als falsch gewertet werden (vgl. BVerwG, B.v. 13.5.2004 - 6 B 25.04 - juris Rn. 11). Darüber hinaus ist zu prüfen, ob die Prüfer ihre Bewertung auf Tatsachen und Feststellungen gestützt haben, die einer sachlichen Überprüfung standhalten, ob sie bei ihrer Bewertung den Zweck, dem die Prüfung dient, verkannt haben, ob die Bewertung in sich schlüssig und nachvollziehbar ist und ob sie den Anforderungen rationaler Abwägung nicht widerspricht (BayVGH, B.v. 29.4.2009 - 7 ZB 08.996 - juris Rn. 21).

Das Ausmaß der gerichtlichen Prüfung ist trotz des Amtsermittlungsgrundsatzes im Verwaltungsprozessrecht auf konkrete substantiierte Einwendungen des Klägers beschränkt. Der Kläger muss konkret darlegen, in welchen Punkten die Korrektur seiner Meinung nach Bewertungsfehler aufweist, indem er substantiierte Einwände gegen Prüferbemerkungen und -bewer-tungen erhebt. Er hat mithin plausibel mit konkreten Hinweisen darzulegen, dass die Beurteilung des Prüfers einem Fachkundigen als unhaltbar erscheinen muss. Macht er geltend, dass etwa eine als falsch bewertete Antwort in Wahrheit vertretbar sei und so auch vertreten werde, so hat er dies unter Hinweis auf entsprechende Fundstellen näher darzulegen (BVerwG, U.v. 24.2.1993 - 6 C 35/92 - juris Rn. 27).

Gemessen an diesen Maßstäben hat der Kläger einen Anspruch auf Neubewertung seiner Prüfungsaufgabe Nr. 3, da die Bewertung dieser Klausur unter mehreren Bewertungsfehler leidet.

a) Der Einwand des Klägers, der Tenor seiner Arbeit, in dem er die Herausgabe der streitgegenständlichen Sache an einen Sequester und nicht an den Antragsteller selbst anordnet, sei zu Unrecht als „neben der Sache“ gewertet worden, ist begründet.

Der Erstkorrektor hat sich in der Begründung der Bewertung nicht mit den entsprechenden Ausführungen des Klägers auseinandergesetzt. Im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens erklärte er, dass der Tenor deshalb „neben der Sache“ sei, weil die Herausgabe an einen Sequester weder beantragt noch rechtlich geboten sei. Zudem sei in der Arbeit nicht erkannt, dass die einstweilige Verfügung zwar grundsätzlich nicht zur Befriedigung des Antragstellers führen dürfe, jedoch eine Ausnahme bestehe in Fällen der Herausgabe einer Sache an den früheren Besitzer bei verbotener Eigenmacht. Auf richterlichen Hinweis ergänzte er seine Stellungnahme und erklärte nunmehr, „neben der Sache“ würde nicht „falsch“ oder „unvertretbar“ bedeuten, sondern nur, dass der Kern der Problematik nicht getroffen sei.

Der Zweitkorrektor hat in seiner Stellungnahme im Nachprüfungsverfahren „voll inhaltlich Bezug“ genommen auf die Stellungnahme des Erstkorrektors. Auch in seiner Stellungnahme im gerichtlichen Verfahren verweist er auf die „zu Recht“ erfolgten Ausführungen des Erstkorrektors.

Damit haben beide Prüfer ihren Beurteilungsspielraum offenkundig überschritten.

Die Behauptung, die Arbeit habe die Thematik „nicht erkannt“, ist falsch. Der Kläger hat ausweislich seiner Ausführungen auf S. 19 der Arbeit erkannt, dass im Falle verbotener Eigenmacht „grundsätzlich eine Vorwegnahme der Hauptsache im Wege der Rückgabe an den Antragsteller bejaht werden kann“. Des Weiteren begründet er - wenn auch mit fraglichen Argumenten -, wieso er dies im konkreten Fall trotzdem nicht annimmt. Die Behauptung des Erstkorrektors, dass der Kläger die Thematik (überhaupt) nicht erkannt habe, ist deshalb objektiv unzutreffend.

Darüber hinaus ist die Bewertung auch vor dem Hintergrund fehlerhaft, dass sie in sich widersprüchlich ist. Der Erstkorrektor hat im gerichtlichen Verfahren hinsichtlich seiner Bewertung als „neben der Sache“ darauf hingewiesen, dass dies nicht „falsch“ oder „unvertretbar“ bedeuten würde. Unabhängig davon, dass nach dem allgemeinen Sprachgebrauch die Formulierung „neben der Sache“ kaum als „richtig“ oder „vertretbar“ verstanden werden kann, setzt er sich damit auch in Widerspruch zu seiner eigenen Bewertung. Denn entweder ist nach seiner Auffassung die Lösung des Klägers falsch und führt - wie geschehen - zur Abwertung oder aber sie ist zumindest vertretbar und entsprechend bei der Bewertung zu berücksichtigen.

b) Auch der Einwand des Klägers, der Erstkorrektor meine zu Unrecht, dass die Unzulässigkeit des Schmerzensgeldantrags nicht erkannt worden sei, ist begründet.

Im Bewertungsbogen des Erstkorrektors heißt es an der entsprechenden Stelle „fehlt!“. In der zusammenfassenden Würdigung heißt es: „Im Übrigen ist die Unzulässigkeit des Schmerzensgeldantrags nicht erkannt.“ In seiner Stellungnahme im Nachprüfungsverfahren verstärkte er diese Aussage noch, indem er ausführt, es werde „irrig“ formuliert „Jedoch fehlt es an der Darlegung des Verfügungsanspruchs“, wodurch deutlich werde, dass die Arbeit den Grund der Unzulässigkeit des Antrags nicht erkannt habe.

Damit ist der Beurteilungsspielraum ebenfalls überschritten worden. Denn die Behauptung, die Unzulässigkeit des Schmerzensgeldantrags sei nicht erkannt und fehle, ist objektiv falsch. Auf S. 8 der Arbeit finden sich unter Ziff. 6 Ausführungen zur Unzulässigkeit des Schmerzensgeldanspruchs: „Die Zahlung von Schmerzensgeld im Wege einstweiliger Verfügung wäre eine grundsätzlich unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache, die nur in engen Ausnahmefällen anerkannt ist. Hier fehlt es an einer Darlegung, warum bezüglich der Leistung von Schmerzensgeld die Hauptsache nicht abgewartet werden kann. Daher ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung insoweit unzulässig.“ Zwar ist diesen Ausführungen der (unzutreffende) Satz vorangestellt, dass es bezüglich des Schmerzensgeldantrags „an einer Darlegung des Verfügungsanspruchs“ fehle. Die weiteren Ausführungen beziehen sich aber offensichtlich auf die Unzulässigkeit des Antrags, wie sich eindeutig dem einleitenden und dem abschließenden Satz entnehmen lässt. Aus dem Kontext ist leicht ersichtlich, dass der Kläger die Unzulässigkeit des Schmerzensgeldantrags erkannt hat. Einleitend benennt er die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Antrags und sieht die Dringlichkeit als unproblematisch an, soweit es um die Herausgabe des Wahlbanners und die Unterlassung der Äußerungen geht. Sodann fährt er mit der Prüfung hinsichtlich des Antrags auf Schmerzensgeld fort und kommt zum Ergebnis der Unzulässigkeit des Antrags.

Somit irrt der Erstkorrektor auch hier, wenn er fälschlicherweise behauptet, die Unzulässigkeit des Schmerzensgeldantrags sei nicht erkannt. Dasselbe gilt für den Zweitkorrektor, der sich in seiner Stellungnahme im Nachprüfungsverfahren dem Erstkorrektor vollumfänglich angeschlossen hat und in seiner Stellungnahme im gerichtlichen Verfahren ausführt, die Ausführungen des Klägers seien „völlig unklar und unsystematisch“ und hätten „keine rechtliche Aussagekraft und Substanz“.

Ein weiterer Bewertungsfehler ergibt sich hinsichtlich dieser Einwendung auch durch die ergänzenden Ausführungen des Erstkorrektors im gerichtlichen Verfahren. Wenn er meint, das (richtige) Ergebnis „erscheint mithin als eher zufällig denn durch systematische Prüfung gefunden“, ist dies eine willkürliche Unterstellung ohne jeglichen sachlichen Grund. Zu Lasten des Prüflings ein richtiges Ergebnis als „zufällig gefunden“ abzuwerten, beruht offensichtlich auf sachfremden Erwägungen. Der Prüfer überschreitet damit deutlich die Grenzen seines Beurteilungsspielraums.

c) Schließlich dringt der Kläger auch mit seinem Einwand durch, der Erstkorrektor habe seine Prüfung des § 265 ZPO als „ganz unsystematisch“ kritisiert.

Im Bewertungsbogen des Erstkorrektors heißt es an der entsprechenden Stelle „Ganz unsystematisch (S. 6); auch S. 7/8. auch: S. 19 Ergebnis??“. In seiner Stellungnahme im Nachprüfungsverfahren begründete er seine Bewertung als unsystematisch damit, dass das Wahlbanner erst während des Verfahrens weitergegeben worden sei; deshalb sei erst die materielle Rechtslage bezüglich des Herausgabebegehrens zu prüfen und dann die Frage, ob der Anspruch gegen den nicht mehr besitzenden Antragsgegner geltend gemacht werden kann.

Damit verkennt er, dass der Prüfungsaufbau des Klägers gut vertretbar ist und es somit allgemeinen Bewertungsmaßstäben widerspricht, eine solche Lösung als „unsystematisch“ abzuwerten.

Der Kläger hat die Thematik der Veräußerung der streitbefangenen Sache zunächst im Rahmen der Zulässigkeit des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung geprüft unter dem Punkt „Prozessführungsbefugnis des Antragsgegners“. Im Rahmen der Begründetheit des Antrags hat er zutreffend ausgeführt, dass durch die Weggabe keine Erledigung eingetreten sei.

Zwar geht es bei der im Rahmen der Zulässigkeit zu thematisierenden Prozessführungsbefugnis grundsätzlich um die Frage, ob ein Kläger befugt ist, den Prozess zu führen, z.B. wenn ihm materiell das fragliche Recht nicht zusteht. § 265 ZPO regelt einen solchen Fall der gesetzlichen Prozessstandschaft und gibt dem Kläger das Recht, den Prozess im eigenen Namen zu führen, obwohl materiell-rechtlich eine dritte Person befugt wäre. Hier ist die streitbefangene Sache jedoch nicht durch den Kläger, sondern durch den Beklagten (bzw. Antragsgegner) veräußert worden. Die Frage, ob der Beklagte materiell-rechtlich (noch) der Richtige ist, dürfte aber eine Frage der Sachlegitimation und damit der Begründetheit sein.

Insofern ist entgegen der Auffassung des Klägers „die Lösungsskizze“ (also der Bewertungsbogen) nicht falsch, wonach die Rechtsfolgen der Veräußerung der streitbefangenen Sache durch den Antragsgegner erst in der Begründetheit des Antrags geprüft werden, weil § 265 ZPO den Fortbestand der Sachlegitimation fingiere.

Allerdings ist es ebenso vertretbar, so wie der Kläger die Prüfung des § 265 ZPO bereits im Rahmen der Zulässigkeit vorzunehmen. Denn es findet sich in Literatur und Rechtsprechung vielfach der Begriff einer sogenannten „passiven Prozessführungsbefugnis“, deren Fehlen zur Unzulässigkeit der Klage führt. So führen etwa Musielak/Voit, ZPO, 16. Aufl. 2019, § 51 Rn. 17, aus: „Wird allerdings das eingeklagte Recht vom Kläger als fremdes oder als nicht gegen den Beklagten persönlich gerichtet in Anspruch genommen, in den Fällen der Prozessstandschaft also, bedarf es umgekehrt eines besonderen Grundes, wenn den Parteien die Prozessführungsbefugnis zustehen soll.“ Auch Zöller/Althammer, ZPO, 32. Aufl. 2018, Vor § 50 Rn 28 erwähnen die passive Prozessführungsbefugnis. Schließlich prüft nicht zuletzt auch der Bundesgerichtshof eine passive Prozessführungsbefugnis innerhalb der Zulässigkeit (so z.B. in einer nachbarrechtlichen Konstellation BGH, U. v. 22.2.2019 - V ZR 136/18 -, juris Rn. 5-6). Die unverbindlichen Lösungshinweise des Beklagten führen an diesem Punkt ebenfalls aus, dass der Antrag auf diese Weise nicht unbegründet werde, vielmehr der Verfügungsbeklagte das Verfahren als „passiver“ gesetzlicher Prozessstandschafter fortführe. Eine „passive gesetzliche Prozessstandschaft“ im Rahmen der Zulässigkeit zu prüfen, ist deshalb nur folgerichtig und damit keineswegs „unsystematisch“.

Nach alledem überschreiten beide Prüfer auch hier ihren Beurteilungsspielraum, indem sie eine in Literatur und höchstrichterlicher Rechtsprechung vertretene Lösung als „ganz unsystematisch“ bewerten.

d) Diese Bewertungsfehler sind auch kausal für das Ergebnis der Bewertung. In der Begründung der Bewertung werden diese Prüfungspunkte explizit erwähnt und kritisiert. In den Stellungnahmen im Nachprüfungs- und gerichtlichen Verfahren haben beide Prüfer ihre Ausführungen noch vertieft und betonen geradezu die Erheblichkeit der vermeintlichen Fehler für die Bewertung der Arbeit.

2. Die Neubewertung der Arbeit hat durch andere Prüfer als die bisherigen Erst- und Zweitkorrektoren zu erfolgen. Denn bei beiden Prüfern ist angesichts ihrer Ausführungen im Nachprüfungsverfahren und vor allem im gerichtlichen Verfahren zu befürchten, dass sie nicht mehr unparteiisch eine nochmalige Bewertung vornehmen werden. Sie haben durch das unbeirrte Festhalten an ihrer Bewertung, durch die Bekräftigung ihrer Kritik in ihren Stellungnahmen und nicht zuletzt das Anstellen einer sachfremden Erwägung ihre fehlende Einsichtsfähigkeit deutlich zum Ausdruck gebracht. Es ist nach ihrem gesamten Verhalten davon auszugehen, dass sie beide voreingenommen und auf ihre Benotung festgelegt sind. Somit sind sie für eine neuerliche Bewertung ungeeignet.

3. Der Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.

4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Würzburg Urteil, 10. Apr. 2019 - W 2 K 17.1104

Urteilsbesprechungen zu Verwaltungsgericht Würzburg Urteil, 10. Apr. 2019 - W 2 K 17.1104

Referenzen - Gesetze

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl
Verwaltungsgericht Würzburg Urteil, 10. Apr. 2019 - W 2 K 17.1104 zitiert 8 §§.

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 711 Abwendungsbefugnis


In den Fällen des § 708 Nr. 4 bis 11 hat das Gericht auszusprechen, dass der Schuldner die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden darf, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet. § 709 Satz 2 gilt e

Zivilprozessordnung - ZPO | § 308 Bindung an die Parteianträge


(1) Das Gericht ist nicht befugt, einer Partei etwas zuzusprechen, was nicht beantragt ist. Dies gilt insbesondere von Früchten, Zinsen und anderen Nebenforderungen. (2) Über die Verpflichtung, die Prozesskosten zu tragen, hat das Gericht auch oh

Zivilprozessordnung - ZPO | § 265 Veräußerung oder Abtretung der Streitsache


(1) Die Rechtshängigkeit schließt das Recht der einen oder der anderen Partei nicht aus, die in Streit befangene Sache zu veräußern oder den geltend gemachten Anspruch abzutreten. (2) Die Veräußerung oder Abtretung hat auf den Prozess keinen Einf

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Bundesgerichtshof Urteil, 22. Feb. 2019 - V ZR 136/18

bei uns veröffentlicht am 22.02.2019

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL V ZR 136/18 Verkündet am: 22. Februar 2019 Rinke Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR:

Referenzen

(1) Das Gericht ist nicht befugt, einer Partei etwas zuzusprechen, was nicht beantragt ist. Dies gilt insbesondere von Früchten, Zinsen und anderen Nebenforderungen.

(2) Über die Verpflichtung, die Prozesskosten zu tragen, hat das Gericht auch ohne Antrag zu erkennen.

(1) Die Rechtshängigkeit schließt das Recht der einen oder der anderen Partei nicht aus, die in Streit befangene Sache zu veräußern oder den geltend gemachten Anspruch abzutreten.

(2) Die Veräußerung oder Abtretung hat auf den Prozess keinen Einfluss. Der Rechtsnachfolger ist nicht berechtigt, ohne Zustimmung des Gegners den Prozess als Hauptpartei an Stelle des Rechtsvorgängers zu übernehmen oder eine Hauptintervention zu erheben. Tritt der Rechtsnachfolger als Nebenintervenient auf, so ist § 69 nicht anzuwenden.

(3) Hat der Kläger veräußert oder abgetreten, so kann ihm, sofern das Urteil nach § 325 gegen den Rechtsnachfolger nicht wirksam sein würde, der Einwand entgegengesetzt werden, dass er zur Geltendmachung des Anspruchs nicht mehr befugt sei.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Die Rechtshängigkeit schließt das Recht der einen oder der anderen Partei nicht aus, die in Streit befangene Sache zu veräußern oder den geltend gemachten Anspruch abzutreten.

(2) Die Veräußerung oder Abtretung hat auf den Prozess keinen Einfluss. Der Rechtsnachfolger ist nicht berechtigt, ohne Zustimmung des Gegners den Prozess als Hauptpartei an Stelle des Rechtsvorgängers zu übernehmen oder eine Hauptintervention zu erheben. Tritt der Rechtsnachfolger als Nebenintervenient auf, so ist § 69 nicht anzuwenden.

(3) Hat der Kläger veräußert oder abgetreten, so kann ihm, sofern das Urteil nach § 325 gegen den Rechtsnachfolger nicht wirksam sein würde, der Einwand entgegengesetzt werden, dass er zur Geltendmachung des Anspruchs nicht mehr befugt sei.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 136/18 Verkündet am:
22. Februar 2019
Rinke
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
EGBGB Art. 124; BGB § 195, § 199, § 1004; NRG BW § 26 Abs. 3
Der Anspruch des Grundstückseigentümers auf Zurückschneiden herüberragender
Äste aus § 1004 Abs. 1 BGB ist nicht nach § 26 Abs. 3 NRG BW unverjährbar.
Er unterliegt vielmehr der regelmäßigen Verjährungsfrist nach
BGH, Urteil vom 22. Februar 2019 - V ZR 136/18 - LG Ravensburg
AG Ravensburg
ECLI:DE:BGH:2019:220219UVZR136.18.0

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 22. Februar 2019 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterin Prof. Dr. Schmidt-Räntsch, den Richter Dr. Kazele, die Richterin Haberkamp und den Richter Dr. Hamdorf

für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des Landgerichts Ravensburg - 1. Zivilkammer - vom 26. April 2018 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke in BadenWürttemberg. Ihre Grundstücke liegen nicht nebeneinander, sondern stoßen rechtwinklig aufeinander und umgrenzen das Grundstück eines dritten Nachbarn. Alle drei Grundstücke haben einen gemeinsamen Grenzpunkt. In der Nähe des Grenzpunkts befindet sich eine Fichte, deren Stamm nach den Feststellungen des Berufungsgerichts teilweise auf dem Grundstück der Beklagten und teilweise auf dem Grundstück des dritten Nachbarn steht. Äste der Fichte ragen auf das Grundstück der Klägerin herüber.
2
Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin von der Beklagten das Zurückschneiden der Fichte dergestalt, dass Zweige und Äste nicht auf ihr Grundstück herüberragen. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung ist er- folglos geblieben. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

Entscheidungsgründe:


I.

3
Das Berufungsgericht hält die Klage für zulässig. Bei der Fichte handele es sich zwar um einen Grenzbaum, weil sie teilweise auf dem Grundstück der Beklagten und teilweise auf dem Grundstück des dritten Nachbarn stehe. Das führe aber nicht dazu, dass diese notwendige Streitgenossen seien, die gemeinsam hätten verklagt werden müssen. Da an dem Grenzbaum vertikal geteiltes Eigentum bestehe, könne jeder Teileigentümer für die Beseitigung der Störung, die von seinem Teil des Baums ausgehe, allein in Anspruch genommen werden. Die Klage sei unbegründet, weil die Klägerin nicht nach § 1004 Abs. 1 BGB den Rückschnitt der Äste verlangen könne. Es liege zwar, unabhängig von einer konkreten Beeinträchtigung, eine Eigentumsstörung vor. Die Beklagte sei auch Störerin. Der Anspruch auf Rückschnitt sei aber nach §§ 195, 199 BGB verjährt. Die Verjährung sei nicht nach § 26 Abs. 3 des Nachbarrechtsgesetzes Baden-Württemberg (NRG BW) ausgeschlossen. Die Vorschrift beziehe sich nur auf den im Landesnachbarrecht geregelten Beseitigungsanspruch nach § 23 NRG BW. Dieser betreffe lediglich Obstbäume.

II.

4
Die Revision ist unbegründet.
5
1. Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, dass die Klage zulässig ist. Der Zulässigkeit der Klage steht nicht entgegen, dass die Klägerin nur die Beklagte und nicht auch den dritten Nachbarn, auf dessen Grundstück die Fichte teilweise steht, auf Rückschnitt der Äste nach § 1004 Abs. 1 BGB in Anspruch nimmt. Entgegen der Ansicht der Beklagten besteht zwischen ihr und dem dritten Nachbarn keine notwendige Streitgenossenschaft aus materiellrechtlichen Gründen im Sinne von § 62 Abs. 1 Alt. 2 ZPO.
6
a) Eine aus einem sonstigen Grund notwendige Streitgenossenschaft (§ 62 Abs. 1 Alt. 2 ZPO), liegt vor, wenn aus materiell-rechtlichen Gründen mehrere nur gemeinsam klagen oder gegen mehrere nur gemeinschaftlich Klage erhoben werden kann, also die Klage nur eines Berechtigten oder gegen nur einen Berechtigten als unzulässig abgewiesen werden müsste (vgl. Senat, Urteil vom 26. Oktober 1984 - V ZR 67/83, BGHZ 92, 351, 353). Das Erfordernis einer gemeinschaftlichen Klage ergibt sich aus der lediglich gemeinschaftlich vorhandenen materiell-rechtlichen Verfügungsbefugnis gemäß § 747 Satz 2, § 1008 BGB (vgl. Senat, Urteil vom 12. Januar 1996 - V ZR 246/94, BGHZ 131, 376, 378; BGH, Urteil vom 14. April 2010 - IV ZR 135/08, FamRZ 2010, 1068 Rn. 17).
7
b) Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Die Beklagte und der dritte Nachbar sind nicht gemeinschaftlich zum Rückschnitt der Äste aus § 1004 Abs. 1 BGB verpflichtet. Etwas anderes folgt nicht daraus, dass die Fichte ein Grenzbaum im Sinne des § 923 BGB ist, weil sie auf der Grenze des Grundstücks des Beklagten zum Grundstück des dritten Nachbarn steht.
8
Bei einem Grenzbaum gehört jedem Grundstückseigentümer der Teil des Baumes, der sich auf seinem Grundstück befindet (vertikal geteiltes Eigentum). Infolgedessen ist jeder Grundstückseigentümer für den ihm gehörenden Teil eines Grenzbaumes verkehrssicherungspflichtig, und zwar wie für einen vollständig auf seinem Grundstück stehenden Baum (Senat, Urteil vom 2. Juli 2004 - V ZR 33/04, BGHZ 160, 18, 22). Dementsprechend ist wegen des Alleineigentums jedes Grundstückseigentümers an einem Teil des Grenzbaumes jedem (Teil-)Eigentümer auch grundsätzlich nur die Beeinträchtigung als Störer zuzurechnen , die von seinem Baumteil ausgeht. Von ihm allein kann ein (dritter) Nachbar, der dadurch in der Benutzung seines Grundstücks beeinträchtigt ist, gemäß § 1004 BGB Beseitigung der Eigentumsstörung verlangen. Die Beklagte kann deshalb auf Rückschnitt der Äste, die von dem ihr gehörenden Teil des Grenzbaumes wachsen, allein in Anspruch genommen werden.
9
2. Die zulässige Klage ist unbegründet.
10
a) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts setzt der Anspruch der Klägerin auf Beseitigung der herüberragenden Äste nach § 1004 Abs. 1 BGB allerdings voraus, dass dadurch die Benutzung ihres Grundstücks beeinträchtigt ist. Fehlte es an einer solchen Beeinträchtigung, müsste die Klägerin das Herüberragen nach § 1004 Abs. 2 BGB dulden. Das folgt aus § 910 Abs. 2 BGB, der auch für den Beseitigungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB gilt (Senat, Urteil vom 14. November 2003 - V ZR 102/03, BGHZ 157, 33, 39; Urteil vom 26. November 2004 - V ZR 83/04, NZM 2005, 318). Ob der Nachbar ganz unerhebliche Beeinträchtigungen hinnehmen muss, hat der Senat bislang offengelassen (vgl. Urteil vom 14. November 2003 - V ZR 102/03, aaO mwN). Diese Frage bedarf auch hier keiner Entscheidung. Ebenso kann dahinstehen, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Anspruch auf Rückschnitt nach § 1004 Abs. 2 BGB ausgeschlossen sein kann, wenn die Störungen im Vergleich zu den Wirkungen des Rückschnitts außer Verhältnis stehen (vgl. dazu OLG Saarbrücken vom 11. Januar 2007 - 8 U 77/06, juris Rn. 25 f.; OLG Köln, Urteil vom 12. Juli 2011 - 4 U 18/10, juris Rn. 22; Dehner, Nachbarrecht [Mai 2013], B § 21 I 2; Lüke in Grziwotz/Lüke/Saller, Praxishandbuch Nachbarrecht, 2. Aufl., 2. Teil Rn. 395).
11
b) Das Berufungsurteil erweist sich im Ergebnis nämlich als richtig, weil der - für das Revisionsverfahren zugunsten der Klägerin zu unterstellende - Anspruch verjährt ist.
12
aa) Der Anspruch des Grundstückseigentümers auf Zurückschneiden herüberragender Äste aus § 1004 Abs. 1 BGB unterliegt der regelmäßigen Verjährungsfrist nach §§ 195, 199 BGB.
13
(1) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats findet die Vorschrift des § 902 Abs. 1 Satz 1 BGB, wonach Ansprüche aus eingetragenen Rechten nicht der Verjährung unterliegen, auf den Beseitigungsanspruch des § 1004 BGB keine Anwendung (vgl. Senat, Urteil vom 28. Januar 2011 - V ZR 141/10, NJW 2011, 1068 Rn. 7; Urteil vom 28. Januar 2011 - V ZR 147/10, NJW 2011, 1069 Rn. 13; Urteil vom 12. Juni 2015 - V ZR 168/14, NJW-RR 2016, 24 Rn. 31; Urteil vom 11. Dezember 2015 - V ZR 180/14, NZM 2016, 360 Rn. 26). Sie erfasst nur die der Verwirklichung des eingetragenen Rechts, jedoch nicht die der Abwehr von Störungen bei dessen Ausübung dienenden Ansprüche (Senat, Urteil vom 28. Januar 2011 - V ZR 147/10, aaO Rn. 14). An dieser Rechtsprechung hält der Senat trotz der im Schrifttum geäußerten Kritik (vgl. BeckOGK/Spohnheimer, BGB [1.11.2018], § 1004 Rn. 240.1 ff.; jurisPKBGB /Toussaint, 8. Aufl., § 902 Rn. 13; Staudinger/Gursky, BGB [2013], § 902 Rn. 9) fest. Maßgeblicher Gesichtspunkt für die Anwendung oder Nichtanwendung der Vorschrift des § 902 Abs. 1 Satz 1 BGB ist deren Zweck, den Bestand der im Grundbuch eingetragenen Rechte dauerhaft zu sichern. Unverjährbar sind deshalb alle Ansprüche, die der Verwirklichung des eingetragenen Rechts selbst dienen und sicherstellen, dass die Grundbucheintragung nicht zu einer bloßen rechtlichen Hülse wird. Geht es dagegen nur um eine Störung in der Ausübung des Rechts, welche die dem Grundstückseigentümer zustehende Rechtsmacht (§ 903 BGB) unberührt lässt, steht der Schutzzweck des § 902 Abs. 1 Satz 1 BGB der Möglichkeit der Verjährung eines auf Beseitigung der Störung gerichteten Anspruchs nicht entgegen (Senat, Urteil vom 28. Januar 2011 - V ZR 141/10, NJW 2011, 1068 Rn. 8).
14
Unabhängig von dem der Verjährung unterliegenden Anspruch aus § 1004 BGB steht dem Eigentümer eines Grundstücks das Selbsthilferecht des § 910 BGB zu, wonach er die von einem Nachbargrundstück herüberragenden Zweige abschneiden und behalten kann (vgl. Senat, Urteil vom 23. Februar 1973 - V ZR 109/71, BGHZ 60, 235, 241 f.; Urteil vom 7. März 1986 - V ZR 92/85, BGHZ 97, 231, 234; Urteil vom 28. November 2003 - V ZR 99/03, NJW 2004, 603).
15
(2) Eine andere Beurteilung der Verjährung folgt nicht aus der Rechtsprechung des Senats, wonach eine Verjährung von Unterlassungsansprüchen nicht in Betracht kommt, wenn eine einheitliche Dauerhandlung vorliegt, die den rechtswidrigen Zustand fortlaufend aufrechterhält und die die Verjährungsfrist deshalb gar nicht in Gang setzt, oder wenn es sich um wiederholte Störungen handelt, die jeweils neue Ansprüche begründen (vgl. Senat, Beschluss vom 16. Juni 2011 - V ZA 1/11, ZfIR 2011, 757 Rn. 7; Urteil vom 8. Mai 2015 - V ZR 178/14, NJW-RR 2015, 781 Rn. 9; Urteil vom 12. Juni 2015 - V ZR 168/14, NJW-RR 2016, 24 Rn. 31). Um einen solchen Fall handelt es sich bei der von herüberragenden Ästen ausgehenden Störung nicht; die gegenteilige Ansicht des Landgerichts Krefeld (MDR 2018, 989, 990; ablehnend jurisPKBGB /Lakkis, 8. Aufl., § 194 Rn. 10.1) trifft nicht zu. Der Anspruch auf Beseitigung der Störung entsteht in dem Zeitpunkt, in dem die Eigentumsbeeinträchtigung (§ 910 Abs. 2 BGB) infolge des Wachstums der Äste einsetzt (vgl. Senat, Urteil vom 8. Juni 1979 - V ZR 46/78, WM 1979, 1219; Urteil vom 12. Dezember 2003 - V ZR 98/03, NJW 2004, 1035, 1036; OLG Karlsruhe, Justiz 2010, 69; LG Freiburg, NJOZ 2015, 727, 728; Palandt/Herrler, BGB, 78. Aufl., § 1004 Rn. 45). Nimmt der Nachbar den störenden Zustand länger als drei Jahre hin, kann er die Beseitigung im Interesse des Rechtsfriedens, der durch die Verjährung geschaffen werden soll (vgl. Senat, Urteil vom 8. Dezember 2017 - V ZR 16/17, NJW-RR 2018, 394 Rn. 21), nicht mehr verlangen. Durch den kenntnisabhängigen Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist nach § 199 BGB ist er vor einem unerwarteten Rechtsverlust geschützt (vgl. BT-Drucks. 14/6040, S.

106).

16
(3) Einschlägig ist die dreijährige Verjährungsfrist nach § 195 BGB nF (Art. 229 § 6 Abs. 4 EGBGB, § 199 Abs. 1 BGB), die nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts bei Erhebung der Klage im März 2017 abgelaufen war.
17
bb) Der Anspruch des Grundstückseigentümers auf Zurückschneiden herüberragender Äste aus § 1004 Abs. 1 BGB ist, wie das Berufungsgericht richtig sieht, nicht nach § 26 Abs. 3 NRG BW unverjährbar. Nach dieser Vorschrift ist zwar der Anspruch auf das Zurückschneiden von Hecken, auf Beseitigung herüberragender Zweige und eingedrungener Wurzeln sowie auf Verkürzung zu hoch gewachsener Gehölze der Verjährung nicht unterworfen. Die Bestimmung erfasst aber nicht sich unmittelbar aus § 1004 Abs. 1 BGB ergebende Beseitigungsansprüche.
18
(1) Das ergibt sich bereits aus dem Wortlaut, der Systematik und der Entstehungsgeschichte von § 26 Abs. 3 NRG BW. Die Vorschrift ist im Zusammenhang mit § 26 Abs. 1 NRG BW zu sehen, der in seinem Einleitungssatz ausdrücklich bestimmt, dass eine Verjährungsregelung nur für „Beseitigungsan- sprüche nach diesem Gesetz“ getroffen werden soll. Der Landesgesetzgeber wollte mit der Neufassung von § 26 Abs. 1 NRG BW durch Art. 1 Nr. 17 des Gesetzes zur Änderung des Nachbarrechtsgesetzes vom 26. Juli 1995 (GBl. S. 605) die Verjährungsfrist für alle Beseitigungsansprüche, die sich aus dem Nachbarrechtsgesetz ergeben können, einheitlich auf zehn Jahre festlegen. Die frühere Bestimmung über die Verjährungsfrist von zehn Jahren bezog sich hingegen nur auf Beseitigungsansprüche hinsichtlich Einfriedungen, Hecken, Bäume und dergleichen (§§ 11 bis 18 NRG BW), während für andere Beseitigungsansprüche , z.B. wegen Nichteinhaltung von Abständen nach §§ 8 bis 10 NRG BW, die allgemeinen Verjährungsvorschriften der §§ 194 ff. BGB aF galten , so dass sie 30 Jahre nach ihrem Entstehen verjährten. Diese Differenzierung wurde als nicht gerechtfertigt angesehen (LT-Drucks. 11/1481 S. 15). Erfasst § 26 Abs. 1 NRG BW nur Ansprüche aus dem Landesrecht, kann für § 26 Abs. 3 NRG BW nichts anderes gelten. In diesem Sinne wird die Vorschrift nach allgemeiner und zutreffender Ansicht auch verstanden (vgl. OLG Karlsruhe, Justiz 2010, 69; LG Freiburg, NJOZ 2015, 727, 728; Birk, Nachbarrecht für Baden -Württemberg, 6. Aufl., § 26 Einleitung; Bruns, Nachbarrechtsgesetz BadenWürttemberg , 4. Aufl., Einl. Rn. 41 u. § 26 Rn. 33; Pelka, Das Nachbarrecht in Baden-Württemberg, 21. Aufl., S. 135).
19
(2) Nur ein solches Verständnis der Vorschrift des § 26 Abs. 3 NRG BW entspricht zudem dem Gebot verfassungskonformer Auslegung (vgl. dazu Senat , Urteil vom 21. Oktober 2011 - V ZR 10/11, NJW-RR 2012, 346 Rn. 28; BVerfGE 121, 317, 34), weil sie die Nichtigkeit der landesrechtlichen Regelung wegen fehlender Gesetzgebungskompetenz des Landes vermeidet.
20
(a) Eine landesgesetzliche Regelung kann zwar, wie Art. 124 EGBGB zeigt, das Grundstückseigentum zugunsten des Nachbarn weitergehenden Beschränkungen unterwerfen (vgl. Senat, Urteil vom 12. Dezember 2003 - V ZR 98/03, NJW 2004, 1035, 1037; Beschluss vom 4. März 2010 - V ZB 130/09, NJW-RR 2010, 807 Rn. 24). Dem Nachbarn stehen grundsätzlich Abwehr- und Beseitigungsansprüche nach § 1004 BGB auch hinsichtlich solcher weitergehenden Beschränkungen zu. Voraussetzungen, Inhalt und Umfang des Anspruchs aus § 1004 BGB im Einzelnen ergeben sich dann aus den Vorschriften des Landesrechts (vgl. Senat, Urteil vom 12. Juni 2015 - V ZR 168/14, NJW-RR 2016, 24 Rn. 7 zum Rheinland-Pfälzischen Nachbargesetz; Urteil vom 21. September 2018 - V ZR 302/17, juris Rn. 12 zum Hessischen Nachbargesetz). Der Landesgesetzgeber kann deshalb die Verjährung eines solchen Anspruchs abweichend vom Bürgerlichen Gesetzbuch regeln; er kann die Verjährung auch ausschließen (vgl. Dehner, Nachbarrecht [Mai 2013], B § 22 II 3f aE; LG Karlsruhe, Justiz 83, 254).
21
(b) Art. 124 EGBGB ermächtigt den Landesgesetzgeber aber nicht, Inhalt und Umfang des Anspruchs wegen einer unmittelbar von § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB erfassten Eigentumsbeeinträchtigung abweichend vom Bürgerlichen Gesetzbuch zu regeln.
22
(aa) Der Landesgesetzgeber kann zum einen nicht dem Nachbarn Rechte nehmen, die sich aus § 1004 Abs. 1 BGB ergeben. Bestimmungen über die Verjährung eines für den Nachbarn vorteilhafteren landesrechtlichen Anspruchs bleiben deshalb auf ihren Anwendungsfall beschränkt und lassen konkurrierende Ansprüche nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch unberührt. Insbesondere führt die erfolgreiche Erhebung der auf eine landesrechtliche Bestimmung gestützten Verjährungseinrede nicht dazu, dass deshalb eine von der bundesrechtlichen Vorschrift des § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB unmittelbar erfasste Eigentumsbeeinträchtigung hingenommen werden müsste (vgl. Senat, Beschluss vom 4. März 2010 - V ZB 130/09, NJW-RR 2010, 807 Rn. 24 zu Art. 52 Abs. 1 BayAGBGB; zur Ausschlussfrist des § 43 Abs. 1 HNRG vgl. Urteil vom 12. Dezember 2003 - V ZR 98/03, NJW 2004, 1035; zur Ausschlussfrist des § 55 NachbRG SL vgl. Senat, Urteil vom 10. Juni 2005 - V ZR 251/04, ZMR 2013, 395 Rn. 11).
23
(bb) Der Landesgesetzgeber kann zum anderen nicht Art und Umfang der Ansprüche wegen einer von § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB erfassten Eigentumsbeeinträchtigung zugunsten des Nachbarn erweitern und Ausnahmen von den Verjährungsvorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs gewähren (so auch Dehner, Nachbarrecht [Mai 2013], B § 22 II 3f; unklar MüKoBGB/Baldus, 7. Aufl., § 1004 Rn. 261; Staudinger/Gursky, BGB [2012], § 1004 Rn. 201). Dafür fehlt ihm - vorbehaltlich weiterer Regelungen im EGBGB (Art. 1 Abs. 2 EGBGB) - die Gesetzgebungskompetenz. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG sieht eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Gebiet des Bürgerlichen Rechts vor; hiervon hat dieser für § 1004 BGB mit den §§ 194 ff. BGB umfassend Gebrauch gemacht.
24
(3) Um einen Beseitigungsanspruch aus dem Landesnachbarrecht Baden -Württemberg, der neben den Anspruch aus § 1004 BGB treten könnte, geht es hier nicht.
25
Das Landesrecht gewährt zwar Ansprüche auf Rückschnitt für Hecken in § 12 Abs. 2 und 3 NRG BW sowie für sonstige Gehölze (Bäume, Sträucher und andere Gehölze) in § 16 Abs. 3 NRG BW, wenn bei einer bestimmten Höhe der Grenzabstand nicht eingehalten ist, unabhängig davon, ob die Missachtung dieser Vorgaben zu einer Eigentumsbeeinträchtigung des Nachbargrundstückes im Sinne des § 1004 BGB führt (vgl. Regierungsbegründung vom 12. Dezember 1958, Beilage 2220 zur 2. Legislaturperiode, S. 3558; OLG Stuttgart, Urteil vom 14. November 2006 - 12 U 97/06, juris Rn. 28; Bruns, Nachbarrechtsgesetz Baden-Württemberg, 4. Aufl., § 26 Rn. 33). Auf eine Grenzab- standsregelung stützt die Klägerin das Verlangen auf Beseitigung der Äste aber nicht.
26
Besondere Ansprüche auf Zurückschneiden herüberragender Äste regelt das Landesnachbarrecht für bestimmte Bäume, und zwar Obstbäume (§ 23 Abs. 1 und 2 NRG BW; ausgenommen ist gemäß § 35 NRG BW der Geltungsbereich des badischen Ausführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch, für Bäume an öffentlichen Wegen (§ 25 NRG BW) und - im Geltungsbereich des württembergischen Ausführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch - für Bäume von Waldgrundstücken (§ 34 NRG BW). Die Vorschriften sind hier nicht einschlägig, weil es sich nicht um einen solchen Baum handelt. Es kann deshalb dahinstehen, ob und inwieweit sich aus den Vorbehalten der Art. 122, Art. 111 bzw. Art. 183 EGBGB eine Befugnis der Landesgesetzgeber für die genannten Regelungen ergibt (für Obstbäume allgemein bejaht nach Art. 122 EGBGB: vgl. Regierungsbegründung vom 12. Dezember 1958, Beilage 2220 zur 2. Legislaturperiode, S. 355; LG Freiburg, NJOZ 2015, 727, 728; Bruns, Nachbarrechtsgesetz Baden-Württemberg, 4. Aufl., § 23 Rn. 2, § 26 Rn. 33; Dehner, Nachbarrecht [September 2013], B § 21 III 1; MüKoBGB/Säcker, 7. Aufl., Art. 122 EGBGB Rn. 2; Staudinger/Jörg Mayer, BGB [2013], Art. 122 EGBGB Rn. 9; Staudinger/Roth, BGB [2016], § 910 Rn. 24; ebenso für Bäume von Waldgrundstücken gemäß Art. 183 EGBGB: MüKoBGB/Säcker, 5. Aufl., Art. 183 EGBGB Rn. 2; Staudinger/Jörg Mayer, aaO, Art. 183 EGBGB Rn. 5; umstritten für Bäume an öffentlichen Wegen: ablehnend Dehner aaO; Soergel /Baur, BGB, 13. Aufl., § 910 Rn. 10; Staudinger/Roth, aaO; bejahend Bruns, aaO, § 25 Rn. 3: Art. 111 EGBGB).

III.

27
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Stresemann Schmidt-Räntsch Kazele
Haberkamp Hamdorf

Vorinstanzen:
AG Ravensburg, Entscheidung vom 18.10.2017 - 10 C 254/17 -
LG Ravensburg, Entscheidung vom 26.04.2018 - 1 S 178/17 -

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

In den Fällen des § 708 Nr. 4 bis 11 hat das Gericht auszusprechen, dass der Schuldner die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden darf, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet. § 709 Satz 2 gilt entsprechend, für den Schuldner jedoch mit der Maßgabe, dass Sicherheit in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages zu leisten ist. Für den Gläubiger gilt § 710 entsprechend.