Invaliditätsleistung: Mehrfache Beeinträchtigung desselben Körperteils

published on 13/02/2012 20:05
Invaliditätsleistung: Mehrfache Beeinträchtigung desselben Körperteils
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Gliedtaxe für Verlust der Funktionsfähigkeit eines rumpfnäheren Gliedes schließt Verlust eines rumpfferneren Gliedes mit ein-BGH vom 14.12.11-Az:IV ZR 34/11
Der BGH hat mit dem Urteil vom 14.12.2011 (Az: IV ZR 34/11) folgendes entschieden:

Nach der für die Bemessung der Invaliditätsleistung maßgeblichen Gliedertaxe schließt der Verlust oder die Funktionsunfähigkeit eines funktionell höher bewerteten, rumpfnäheren Gliedes den Verlust oder die Funktionsunfähigkeit des rumpfferneren Gliedes ein (hier: Schulter und Hand des rechten Arms). Eine Addition der einzelnen Invaliditätsgrade findet nicht statt.

Führt die Funktionsunfähigkeit des rumpfferneren Körperteils zu einem höheren Invaliditätsgrad als die Funktionsunfähigkeit des rumpfnäheren Körperteils, so stellt die Invaliditätsleistung für das rumpffernere Körperteil die Untergrenze der geschuldeten Versicherungsleistung dar.

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 3. Februar 2011 wird zurückgewiesen. Auf die Anschlussrevision der Beklagten wird das angefochtene Urteil im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zu ihrem Nachteil erkannt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.


Tatbestand:

Der Kläger macht Invaliditätsansprüche aus einer mit der Beklagten geschlossenen Unfallversicherung geltend. Am 9. August 2003 stürzte er von einer Leiter, wobei er sich unter anderem das Schultergelenk des rechten Armes auskugelte und es zu einer Läsion des Plexus brachialis, d.h. einer Schädigung des den Arm und die Hand versorgenden Nervengeflechts kam. Der Versicherungsvertrag sieht eine Invaliditätssumme von 102.259 € mit einer progressiven Invaliditätsstaffel von 350% vor. Ihm liegen die AUB 88 sowie bezüglich der Progression die UBB 201 zugrunde. Die AUB 88 enthalten in § 7 u.a. folgende Bestimmungen:

Invaliditätsleistung

Führt der Unfall zu einer dauernden Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit (Invalidität) des Versicherten, so entsteht Anspruch aus Kapitalleistung aus der für den Invaliditätsfall versicherten Summe. ...

Die Höhe der Leistung richtet sich nach dem Grad der Invalidität.

Als feste Invaliditätsgrade gelten - unter Ausschluss des Nachweises einer höheren oder geringeren Invalidität - bei Verlust oder Funktionsunfähigkeit:

eines Arms im Schultergelenk 70%

eines Arms bis oberhalb des Ellenbogengelenks 65%

eines Arms unterhalb des Ellenbogengelenks 60%

einer Hand im Handgelenk 55%

eines Daumens 20%

eines Zeigefingers 10%

eines anderen Fingers 5%

Bei Teilverlust oder Funktionsbeeinträchtigung eines dieser Körperteile oder Sinnesorgane wird der entsprechende Teil des Prozentsatzes nach a) angenommen.

Sind durch den Unfall mehrere körperliche oder geistige Funktionen beeinträchtigt, so werden die Invaliditätsgrade, die sich nach (2) ergeben, zusammengerechnet. Mehr als 100% werden jedoch nicht angenommen."

Auf dieser Grundlage macht der Kläger geltend, bei ihm liege eine vollständige Funktionsunfähigkeit des rechten Arms vor, weshalb ein Gliedertaxwert von 70% zugrunde zu legen sei. Unter Berücksichtigung der Progressionsstaffel stehe ihm eine Versicherungsleistung von 204.518 € zu. Die Beklagte hat eine Funktionsbeeinträchtigung von 1/2-Armwert anerkannt und insgesamt 56.242,45 € gezahlt. Den Differenzbetrag von 148.275,55 € zuzüglich Rechtsanwaltskosten macht der Kläger mit der Klage geltend.

Das Landgericht hat nach Einholung eines unfallchirurgischen Gutachtens der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Beklagte unter Zurückweisung ihres weitergehenden Rechtsmittels verurteilt, an den Kläger 58.798,93 € nebst Zinsen zu zahlen. Mit der Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Die Beklagte begehrt mit der Anschlussrevision eine Abweisung der Klage insgesamt.


Entscheidungsgründe:

Das Rechtsmittel des Klägers hat keinen Erfolg. Auf die Anschlussrevision der Beklagten ist das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit zu ihrem Nachteil erkannt worden ist.

Das Berufungsgericht, dessen Urteil in r+s 2011, 487 veröffentlicht ist, hat ausgeführt, der Kläger könne die Zahlung einer Invaliditätsentschädigung in Höhe von 58.798,93 € verlangen. Dies entspreche 15/20 des Armwerts oder 52,5% der vereinbarten Versicherungssumme unter Einbeziehung der Progressionsstaffel. Hierbei seien die Feststellungen des Sachverständigen zugrunde zu legen. Dieser sei in seinem schriftlichen Gutachten und in seiner mündlichen Anhörung nicht zu widersprüchlichen Ergebnissen gekommen, sondern habe lediglich die im schriftlichen Gutachten festgestellte Beeinträchtigung des Arms mit 11/20 in seiner Anhörung aufgeschlüsselt. Der ergänzenden Einholung eines neurologischen Gutachtens bedürfe es nicht, da durch den Sachverständigen jedenfalls eine Mindestbeeinträchtigung festgestellt worden sei. Bei Anwendung der Gliedertaxe sei von der Position "Arm im Schultergelenk" auszugehen, während eine zusätzliche Berücksichtigung auch der Gliedertaxenbereiche Finger, Hand oder Ellenbogen nicht in Betracht komme. Es sei allein auf den Sitz der unfallbedingten Schädigung abzustellen, die hier im Schultergelenk des Arms liege. Der Umstand, dass die dort verletzten Nerven zugleich zu Beeinträchtigungen auch des Unterarms und der Hand geführt hätten, sei bei der Bemessung des für den gesamten Arm vereinbarten Taxwertes bereits berücksichtigt. Ob eine andere Betrachtung in den Fällen eines Polytraumas geboten sei, könne offen bleiben, da ein derartiger Fall nicht vorliege. Auch eine Addition der Gliedertaxeneinzelwerte nach § 7 I (2) d) AUB 88 komme nicht in Betracht, da sich die Klausel lediglich auf die Funktion verschiedener Körperglieder beziehe.

Allerdings dürfe bei der Berechnung die für das maßgebliche körpernähere Glied ermittelte Funktionsbeeinträchtigung nicht hinter derjenigen zurückbleiben, die für das körperfernere Glied ermittelt werde. Der Sachverständige habe die Beeinträchtigung des Arms mit 11/20 bewertet, was ausgehend von einem Invaliditätsgrad des Arms von 70% zu einem Anspruch auf 38,5% der Versicherungsleistung führe. Den Umfang der Beeinträchtigung der Hand allein habe der Sachverständige aber schon auf 80% geschätzt, was bei einem Invaliditätsgrad der Hand von 55% der Versicherungsleistung zu einem Anspruch des Klägers in Höhe von 44% führe. Diese Untergrenze von 44% müsse, weil bei dem Kläger nicht nur die Hand, sondern auch weitere Teile des Arms beeinträchtigt worden seien, erhöht werden. Die gesamte Quote sei auf 15/20 des Armwerts, d.h. 52,2% der Versicherungsleistung, zu schätzen. Der Kläger könne zudem keinen Ersatz der ihm entstandenen vorgerichtlichen Kosten verlangen, da es an einer schlüssigen Darlegung fehle, wann er seinen Rechtsanwalt zu welchen Tätigkeiten beauftragt habe.

Das hält rechtlicher Überprüfung nur teilweise stand.

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Eine über 52,5% hinausgehende Invaliditätsentschädigung steht dem Kläger jedenfalls nicht zu. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass keine Addition der Invaliditätswerte stattfindet, wenn neben Verlust oder Funktionsunfähigkeit eines rumpfnäheren Körperteils zugleich Verlust oder Funktionsunfähigkeit eines rumpfferneren Körperteils vorliegt.

Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit - auch - auf seine Interessen an. Hierbei sind Versicherungsbedingungen aus sich selbst heraus zu interpretieren ohne vergleichende Betrachtung mit anderen Bedingungen, die dem Versicherungsnehmer regelmäßig nicht bekannt sind und auch nicht bekannt sein müssen, so dass ihm eine bedingungsüber-greifende Würdigung von vornherein verschlossen bleibt. Die Entstehungsgeschichte der Bedingungen hat ebenso wie ihre spätere Entwicklung außer Betracht zu bleiben.

Ein um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer entnimmt § 7 I (1) AUB 88 zunächst, dass die Beklagte ihm eine Invaliditätsleistung verspricht für den Fall, dass ein Unfall zu einer dauernden Beeinträchtigung seiner körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit (Invalidität) führt. Grundlage für die Berechnung der Leistung bilden die Versicherungssumme und der Grad der unfallbedingten Invalidität. Wie sich die Höhe der Leistungen im Einzelnen bemisst, kann der Versicherungsnehmer § 7 I (2) a) AUB 88 für die dort genannten Körperteile und Sinnesorgane entnehmen. Die Gliedertaxe bestimmt nach einem abstrakten und generellen Maßstab feste Invaliditätsgrade bei Verlust oder diesem gleichgestellter Funktionsunfähigkeit der mit ihr benannten Glieder. Gleiches gilt bei Verlust oder Funktionsunfähigkeit eines durch die Gliedertaxe abgegrenzten Teilbereichs eines Gliedes. Demgemäß beschreibt die Regelung abgegrenzte Teilbereiche eines Armes und Beines und ordnet jedem Teilbereich einen festen Invaliditätsgrad zu, der mit Rumpfnähe des Teilgliedes steigt. Die Gliedertaxe stellt damit für den Verlust und für die Funktionsunfähigkeit der in ihr genannten Gliedmaßen oder deren Teilbereiche durchgängig allein auf den Sitz der unfallbedingten Schädigung ab.

Der Systematik der Gliedertaxe kann der Versicherungsnehmer ferner entnehmen, dass für die Bereiche der mit dem Arm und dem Bein zusammenhängenden Körperteile abgestufte Invaliditätsgrade festgesetzt werden, die beim Arm mit der Bewertung der Invalidität eines Fingers mit 5% beginnen und mit dem Arm im Schultergelenk mit 70% enden. Hiermit trägt die Gliedertaxe dem Umstand Rechnung, dass Gliedverluste - Entsprechendes gilt für völlige oder teilweise Gebrauchsunfähigkeit - mit zunehmender Rumpfnähe der Stelle, an der das Körperglied verloren gegangen (oder die Gebrauchsbeeinträchtigungen auslösende Ursache zu lokalisieren) ist, zu wachsender Einschränkung der generellen Leistungsfähigkeit von Menschen führen.

Ausgehend hiervon erkennt ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer, dass der Verlust oder die Funktionsunfähigkeit des Armes im Schultergelenk (nur) deshalb mit dem höchsten Invaliditätsgrad von 70% bemessen wird, weil hierin zugleich die Beeinträchtigung der übrigen Teilglieder des Armes enthalten ist. In jedem der in der Gliedertaxe genannten Invaliditätssätze ist bereits mitberücksichtigt, wie sich der unfallbedingte Verlust oder die Gebrauchsunfähigkeit eines Gliedteils auf den verbleibenden Gliedrest auswirkt. Daraus resultiert das Ansteigen des Invaliditätsprozentsatzes mit zunehmender Rumpfnähe des Gliedverlustes oder der Funktionsstörung. Anderenfalls wäre kein Grund dafür ersichtlich, warum der Invaliditätsgrad kontinuierlich mit Rumpfnähe ansteigt. Wären die Invaliditätsgrade für die verschiedenen Teilglieder isoliert zu berechnen und zu addieren, so müsste eine gesonderte Bewertung der rumpfnäheren Teilglieder ohne Berücksichtigung der rumpfferneren erfolgen.

Den Grundsatz, dass keine Addition der einzelnen Invaliditätswerte erfolgt, wird der Versicherungsnehmer auch daraus entnehmen, dass für den gesamten Arm im Schultergelenk lediglich eine maximale Invalidität von 70% vorgesehen ist. Wären demgegenüber sämtliche Invaliditätsgrade der Teilglieder zu addieren, würde der Versicherungsnehmer bereits bei vollständiger Invalidität der Hand im Handgelenk, des Daumens und der Finger eine 100%ige Invalidität erreichen. Käme noch der Arm unterhalb bzw. oberhalb des Ellenbogengelenks hinzu, so ergäbe sich häufig eine Invalidität von über 100% und eine Deckelung auf 100% würde jeweils erst durch die Regelung in § 7 I (2) d) AUB 88 erreicht.

Ferner ersieht der Versicherungsnehmer aus der Gliedertaxe, dass diese Verlust und Funktionsunfähigkeit der aufgeführten Körperteile und Sinnesorgane gleichstellt. Hierbei spielt es keine Rolle, dass etwa der Verlust eines Armes oder einer Hand der Funktionsunfähigkeit dieses Gliedes im Gelenk bei verbleibender Teilfunktionsfähigkeit nicht gleichstehen muss, gleichwohl aber derselbe Invaliditätsgrad in Betracht kommt. Der Versicherungsnehmer kann das auf die mit der Gliedertaxe vorgenommene pauschalierende Bewertung des Invaliditätsgrades zurückführen, deren versicherungswirtschaftliche oder medizinische Rechtfertigung sich ihm ohnehin nicht erschließt. Dieser Bewertung kann der Versicherungsnehmer zugleich entnehmen, dass der Verlust eines Körperteils oder Sinnesorgans in jedem Fall denselben Invaliditätsgrad nach sich zieht wie die Funktionsunfähigkeit. Das wäre aber nicht mehr der Fall, wenn bei Funktionsunfähigkeit die Invaliditätsgrade von rumpffernen und rumpfnahen Körperteilen zusammenzurechnen wären. Dies würde -wie vom Kläger geltend gemacht - beim Arm im Schultergelenk und dessen vollständiger Funktionsunfähigkeit bei gleichzeitiger Funktionsunfähigkeit rumpffernerer Teilglieder dazu führen, dass der Invaliditätsgrad regelmäßig deutlich über 100% liegt, während bei vollständigem Verlust eines Armes im Schultergelenk, etwa infolge Amputation, immer nur die Höchstgrenze der Invalidität von 70% zu gewähren wäre. Eine derart unterschiedliche Invaliditätsbemessung erschließt sich einem durchschnittlichen

Versicherungsnehmer nicht.

Der Kläger kann auch nichts aus der Regelung in § 7 I (2) d) AUB 88 für sich herleiten, die bestimmt, dass bei Beeinträchtigung mehrerer Körperteile oder Sinnesorgane die nach den vorstehenden Bestimmungen ermittelten Invaliditätsgrade zusammengerechnet, mehr als 100% jedoch nicht angenommen werden. Diese Addition greift nur in dem Fall ein, dass nach den vorangegangenen Bestimmungen isolierte Invaliditätsgrade anzusetzen sind. Das kann etwa in Betracht kommen, wenn der Arm und das Bein beeinträchtigt sind oder es um eine Kombination der Invalidität nach der Gliedertaxe mit der Invaliditätsbestimmung nach der allgemeinen Regelung in § 7 I (2) c) AUB 88 geht. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

Ohne Erfolg beruft sich die Revision ferner auf die Unklarheitenregelung gemäß § 305c Abs. 2 BGB. Unklar sind Klauseln, bei denen nach Ausschöpfung der in Betracht kommenden Auslegungsmethoden ein nicht behebbarer Zweifel bleibt und mindestens zwei Auslegungen rechtlich vertretbar sind. Demgegenüber genügt es für eine Unklarheit nicht, dass eine Klausel lediglich auf den ersten Blick unklar erscheint oder Streit über ihre Auslegung besteht. Auf dieser Grundlage ist nach den obigen Ausführungen für eine Mehrdeutigkeit oder sonstige Unklarheit i.S. des § 305c Abs. 2 BGB nichts ersichtlich. Insbesondere kann der Kläger zu seinen Gunsten nichts aus der Rechtsprechung des Senats zu den Klauseln in der Gliedertaxe bezüglich des "Fußes im Fußgelenk", der "Hand im Handgelenk" sowie des "Armes im Schultergelenk" herleiten. In diesen Urteilen hat der Senat lediglich entschieden, dass die entsprechenden Formulierungen der Gliedertaxe unklar sind, weil sie sowohl eine Auslegung dahin erlauben, dass bereits auf die Funktionsunfähigkeit des Gelenks isoliert abzustellen ist, als auch eine solche Interpretation möglich ist, nach der es auf die Funktionsunfähigkeit des gesamten Teilgliedes Hand, Schulter bzw. Fuß ankommt. In diesen Fällen kommt nach § 305c Abs. 2 BGB die dem Versicherungsnehmer günstigste Auslegung in Betracht, mithin ein Abstellen allein auf die Funktionsunfähigkeit des Gelenkes selbst.

Um eine derartige Fallkonstellation geht es hier nicht, sondern um Funktionsunfähigkeiten in verschiedenen Teilbereichen des Armes vom Schultergelenk bis hinunter zu den Fingern. Mit der Frage, ob bei Funktionsunfähigkeit verschiedener Teilglieder eines Armes oder Beines der Invaliditätsgrad für das jeweils rumpfnähere Körperteil den Invaliditätsgrad für das rumpffernere Körperteil beinhaltet, hat der Senat sich in den genannten Entscheidungen nicht befasst. Selbst wenn es im Einzelfall in Betracht kommt, dass der Versicherungsnehmer etwa die Regelung bezüglich des "Armes im Schultergelenk" dahin verstehen darf, dass es für die Funktionsunfähigkeit allein auf das Gelenk ankommt, führt dies nicht dazu, dass er zugleich davon ausgehen dürfte, Funktionsunfähigkeiten weiterer rumpfferner Körperteile wie etwa der Hand seien bei der Bemessung des Invaliditätsgrades zu addieren.

Auf dieser Grundlage entspricht es nahezu einhelliger Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum, dass die Funktionsunfähigkeit eines rumpfnäheren Gliedes die Funktionsunfähigkeit des rumpfferneren Gliedes einschließt und eine Addition der Werte aus der Gliedertaxe nicht stattfindet. Lediglich Knappmann äußert Bedenken, ob das System der Gliedertaxe hinreichend transparent sei, weil einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer kaum hinreichend vor Augen gestellt werde, dass zusätzliche Beschwerden und unfallbedingte krankhafte Veränderungen außerhalb des Sitzes der unmittelbaren Verletzung und der Beschwerden nicht bewertet werden sollten. Jedenfalls für die hier in Betracht kommende Fallgruppe, bei der es darum geht, ob die Funktionsunfähigkeit des rumpfnäheren Gliedes die Funktionsunfähigkeit des rumpfferneren Gliedes bei der Bemessung der Invalidität beinhaltet, kann der Versicherungsnehmer aus den genannten Gründen den Bedingungen entnehmen, dass keine Addition der einzelnen Invaliditätsgrade stattfindet.

Eine Einschränkung erfährt diese Auslegung der AUB lediglich für den Fall, dass die Funktionsunfähigkeit des rumpfferneren Körperteils zu einem höheren Invaliditätsgrad führt als die Funktionsunfähigkeit des rumpfnäheren Körperteils. Das kommt insbesondere dann in Betracht, wenn die verschiedenen Körperteile keine vollständige Funktionsunfähigkeit erfahren haben, sondern nur teilweise beeinträchtigt sind. In einem solchen Fall stellt die Invaliditätsleistung für das rumpffernere Körperteil die Untergrenze der geschuldeten Versicherungsleistung dar. Auf der Grundlage der bisherigen sachverständigen Feststellungen ergibt sich eine Funktionsbeeinträchtigung des Arms im Schultergelenk als körpernächstes Glied von 40%, mithin eine Invaliditätsleistung von 28% (70% x 40%). Aus der von dem Sachverständigen für die Hand ermittelten Funktionsbeeinträchtigung von 80% folgt eine Invaliditätsleistung von 44% (55% x 80%) als Untergrenze. Da das Berufungsgericht bereits eine weitere Erhöhung auf 52,2% vorgenommen hat, kann der Kläger jedenfalls mit der Revision keine höhere Invalidität beanspruchen.

Ohne Erfolg macht der Kläger ferner geltend, das Berufungsgericht hätte ihm die vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten auf der Grundlage der geltend gemachten 2,0 Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 VV RVG zumindest anteilig zuerkennen müssen. Diesbezüglich fehlt es an einer schlüssigen Darlegung der Verzugsvoraussetzung gemäß § 286 BGB. Der Kläger hat nicht dargelegt, wann er seinen Prozessbevollmächtigten zunächst mit der außergerichtlichen Vertretung beauftragt und wann er Klagauftrag erteilt hat. Sollte der Kläger von Anfang an unbedingten Klagauftrag erteilt haben, so fallen auch die Tätigkeiten vor Erhebung der Klage allein unter die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG (vgl. Vorbemerkung 3 Abs. 2 VV RVG).

Begründet ist dagegen die Anschlussrevision der Beklagten.

Sie macht mit Recht geltend, das Berufungsgericht habe nicht ohne weiteres von den vom Sachverständigen angesetzten Invaliditätswerten für das rechte Schultergelenk von 40% und der rechten Hand von 80% ausgehen dürfen. Gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bestanden konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründeten und deshalb eine erneute Feststellung geboten. Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit eines Sachverständigengutachtens können sich aus dem Gutachten oder der Person des Gutachters ergeben, insbesondere wenn das Gutachten in sich widersprüchlich oder unvollständig ist oder wenn der Sachverständige erkennbar nicht sachkundig war.

Hier sind die Feststellungen der Invaliditätswerte durch den Sachverständigen bei einem Vergleich seines schriftlichen Gutachtens mit den Ausführungen in der mündlichen Verhandlung teilweise nicht nachvollziehbar und in sich widersprüchlich. In seinem schriftlichen Gutachten hatte der Sachverständige sich noch insgesamt allein am Armwert orientiert und diesen mit 11/20 bemessen, wobei er hierzu Teilwerte für die Bewegungseinschränkung der Schulter mit 1/10-Armwert, der Ellenbogen- und Handgelenke mit 0/10-Armwert und der hochgradigen Störung der Greiffunktion der rechten Hand mit 9/20-Armwert angegeben hatte. Diese Systematik entspricht nicht der Gliedertaxe, da diese keine einheitliche Bewertung des Arms vorsieht, sondern auf die einzelnen Teilglieder abstellt. Hierauf ist der Sachverständige dann mit seinen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung vom 5. März 2010 eingegangen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat der Sachverständige sein Gesamtergebnis nicht lediglich "aufgeschlüsselt". So hat der Gutachter beispielsweise in seinem schriftlichen Gutachten die Beeinträchtigung der rechten Hand mit 9/20-Armwert angegeben, was bei einem Invaliditätswert von 70% einer Invaliditätsleistung für die Hand von 31,5% entspräche. In der mündlichen Anhörung hat er dagegen den reinen Handwert mit 80% bemessen, was bei einem Invaliditätswert von 55% einer Versicherungsleistung von 44% entspricht. Nachvollziehbar erläutert wurde das nicht.

Dasselbe gilt für die Funktionsbeeinträchtigung an der Schulter. Im schriftlichen Gutachten ist der Sachverständige lediglich von einem Armwert von 1/10 ausgegangen, was bei einem Invaliditätswert von 70% einer Versicherungsleistung von 7% entspricht. In der mündlichen Anhörung hat der Sachverständige eine Funktionsbeeinträchtigung von 40% zugrunde gelegt, was bei einem Invaliditätswert von 70% einer Invaliditätsleistung von 28% entspricht. Soweit er hierzu ausgeführt hat, dass er nur die Funktion der Schulter betrachtet habe, so ist schon im schriftlichen Gutachten bei dem 1/10-Armwert lediglich von einer Bewegungseinschränkung der Schulter die Rede. Erst recht bestehen nicht nachvollziehbare Unterschiede in der Gesamtbewertung der Invalidität, wenn der Sachverständige im schriftlichen Gutachten einen Armwert von 11/20 zugrunde legt, was einer Versicherungsleistung von 38,5% entspricht. Das ist mit den Angaben in der mündlichen Anhörung nicht in Übereinstimmung zu bringen, unabhängig davon, ob die Einzelwerte für die Teilglieder addiert werden oder nur vom rumpfnächsten Teilglied ausgegangen wird.

Unabhängig von diesen Unklarheiten im Gutachten des unfallchirurgischen Sachverständigen hätte das Berufungsgericht in jedem Fall ein neurologisches Zusatzgutachten einholen müssen. Der Schwerpunkt der Verletzungen des Klägers liegt nicht auf unfallchirurgischem Gebiet, sondern auf neurologischem. So heißt es bereits im fachchirurgischen Gutachten des W. H. vom 29. Dezember 2003, erhebliche Unfallfolgen am Schultergelenk seien nicht aufgetreten. Die festgestellten Bewegungsminderungen der Gelenkfunktionen der rechten oberen Gliedmaße seien Folge des Nervenschadens, der mit seinen motorischen und sensiblen Ausfallerscheinungen die Hauptunfallfolge darstelle. Ob es noch zu einer Besserung komme, solle durch ein neurologisches Zusatzgutachten abgeklärt werden. Der von der … Versicherung beauftragte Orthopäde hat in seinem Gutachten vom 30. Juni 2004 ausgeführt, er rate dringend zu einer Abschlussbegutachtung mit neurologischer Zusatzbegutachtung.

Dem unfallchirurgischen Sachverständigen fehlen für den neurologischen Bereich die erforderlichen Fachkenntnisse. Er hat in seiner Anhörung erklärt, soweit er bezüglich der Hand noch von einer Restfunktion ausgegangen sei, habe er dies den neurologischen Vorgutachten entnommen. Er habe kein neurologisches Zusatzgutachten für erforderlich gehalten, weil er die vorausgehenden neurologischen Begutachtungen nachvollziehbar gefunden habe und nach ärztlicher Erfahrung bei dieser Art von Verletzungen in neurologischer Hinsicht nicht mehr mit einer wesentlichen Veränderung zu rechnen sei. Hierbei wird übersehen, dass die neurologischen Gutachten keinesfalls eindeutig sind. So geht etwa die den Kläger behandelnde Neurologin in ihrem Gutachten vom 14. November 2006 davon aus, bei dem Kläger liege eine globale Armplexusparese rechts vor, die mit 1/1-Armwert zu bewerten sei. Die von der Beklagten beauftragten Neurologen sind in ihren Gutachten zu Armwerten von 3/10 und 1/2 gekommen.

Eine neurologische Zusatzbegutachtung ist daher unabdingbar. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann dies auch nicht mit der Begründung übergangen werden, dass jeder Sachverständige eine Beeinträchtigung auf seinem Fachgebiet feststelle, die als Mindestbeeinträchtigung anzusehen sei. Wenn daher eine zusätzliche neurologische Begutachtung eine geringere Beeinträchtigung ergebe, könne dies die Höhe der Entschädigung nicht reduzieren. Dieser Ansatz verkennt, dass die Feststellung der Beeinträchtigungen des Klägers und des Invaliditätswerts für den Arm im Schultergelenk und die Hand im Handgelenk nur durch eine fachübergreifende chirurgisch-neurologische Begutachtung möglich sind. Eine isolierte Begutachtung durch den Sachverständigen einer Fachrichtung mit der Festsetzung eines Mindestwertes kommt demgegenüber nicht in Betracht. Das gilt gerade auch im vorliegenden Fall, in dem der Schwerpunkt der Unfallfolgen auf neurologischem und nicht auf chirurgischem Gebiet liegt.

Wird der Umfang der Invalidität des Klägers weiter aufzuklären sein, so kommt es im derzeitigen Verfahrensstadium nicht darauf an, ob -wie das Berufungsgericht angenommen hat - es zulässig war, den zugrunde zu legenden Invaliditätswert für die Hand im Handgelenk mit 44% allein deshalb zu erhöhen, weil auch weitere Teile des Arms betroffen waren, und deshalb eine Gesamtinvalidität von 15/20 anzunehmen.


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#BJNR001950896BJNE027902377 (1) Leistet der Schuldner auf eine Mahnung des Gläubigers nicht, die nach dem Eintritt der Fälligkeit erfolgt, so kommt er durch die Mahnung in Verzug. Der Mahnung stehen die Erhebung der Klage auf die Leistung sowie die Z

(1) Das Berufungsgericht hat seiner Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen:1.die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidung

(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags, so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht, werden nicht
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Annotations

(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags, so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht, werden nicht Vertragsbestandteil.

(2) Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen gehen zu Lasten des Verwenders.

*

(1) Leistet der Schuldner auf eine Mahnung des Gläubigers nicht, die nach dem Eintritt der Fälligkeit erfolgt, so kommt er durch die Mahnung in Verzug. Der Mahnung stehen die Erhebung der Klage auf die Leistung sowie die Zustellung eines Mahnbescheids im Mahnverfahren gleich.

(2) Der Mahnung bedarf es nicht, wenn

1.
für die Leistung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist,
2.
der Leistung ein Ereignis vorauszugehen hat und eine angemessene Zeit für die Leistung in der Weise bestimmt ist, dass sie sich von dem Ereignis an nach dem Kalender berechnen lässt,
3.
der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert,
4.
aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen der sofortige Eintritt des Verzugs gerechtfertigt ist.

(3) Der Schuldner einer Entgeltforderung kommt spätestens in Verzug, wenn er nicht innerhalb von 30 Tagen nach Fälligkeit und Zugang einer Rechnung oder gleichwertigen Zahlungsaufstellung leistet; dies gilt gegenüber einem Schuldner, der Verbraucher ist, nur, wenn auf diese Folgen in der Rechnung oder Zahlungsaufstellung besonders hingewiesen worden ist. Wenn der Zeitpunkt des Zugangs der Rechnung oder Zahlungsaufstellung unsicher ist, kommt der Schuldner, der nicht Verbraucher ist, spätestens 30 Tage nach Fälligkeit und Empfang der Gegenleistung in Verzug.

(4) Der Schuldner kommt nicht in Verzug, solange die Leistung infolge eines Umstands unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat.

(5) Für eine von den Absätzen 1 bis 3 abweichende Vereinbarung über den Eintritt des Verzugs gilt § 271a Absatz 1 bis 5 entsprechend.

(1) Das Berufungsgericht hat seiner Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen:

1.
die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten;
2.
neue Tatsachen, soweit deren Berücksichtigung zulässig ist.

(2) Auf einen Mangel des Verfahrens, der nicht von Amts wegen zu berücksichtigen ist, wird das angefochtene Urteil nur geprüft, wenn dieser nach § 520 Abs. 3 geltend gemacht worden ist. Im Übrigen ist das Berufungsgericht an die geltend gemachten Berufungsgründe nicht gebunden.