Strafprozessrecht: Zum hinreichenden Tatverdacht bei Bestellungen von Betäubungsmitteln im Darknet

bei uns veröffentlicht am20.08.2018

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Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

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Zusammenfassung des Autors

Allein aufgrund von Bestelllisten, einer Empfängeranschrift auf einem Versandetikett oder einem abgefangenen Paket kann kein Tatnachweis geführt werden – BSP Rechtsanwälte – Anwälte für Strafrecht Berlin

 

Bestellungen im Darknet

Beim Drogenkauf im Darknet läuft der Bestellprozess anonym ab. Regelmäßig wird der Tor-Browser genutzt, um in das Darknet zu gelangen und die Bezahlung wird über Bitcoins abgewickelt. Damit die Bestellung zum Käufer gelangen kann, muss dieser allerdings seine Anschrift angeben. Die Anschrift wird üblicherweise vom Verkäufer verwaltet und für die Postsendung auf dem Versandetikett festgehalten. Fraglich ist, ob anhand der im Rahmen einer Hausdurchsuchung beim Verkäufer aufgefundenen Bestelllisten ein Tatverdacht begründet bzw. aus der Empfängeranschrift auf einem bei der Post abgefangenen Paket ein Tatnachweis gefolgert werden kann. Das ist regelmäßig nicht der Fall. Bei anonymen Online-Bestellungen findet keine Identitätskontrolle statt. Entsprechend kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Bestellung etwa unter falschem Namen aufgegeben wurde. Auch ist allein aus dem Vorliegen der Bestelllisten nicht zu ersehen, ob die Sendungen tatsächlich abgeschickt worden sind.

 

Entscheidung des AG Mannheim

Das AG Mannheim hat im vorliegenden Fall die Eröffnung des Hauptverfahrens mangels Tatverdacht abgelehnt. Da zwischen dem Verkäufer und dem Erwerber kein persönlicher Kontakt zustande kam, könne nicht nachgewiesen werden, dass es sich bei dem Besteller tatsächlich um den Angeklagten handelte. Auch wurde die Bestellung per Standardbrief verschickt, sodass nicht nachvollziehbar sei, wer diese in Empfang genommen hat oder ob sie überhaupt abgeschickt wurde.


Das AG Mannheim hat in seinem Beschluss vom 25.04.2018 (1 Ls 805 Js 21014/15) folgendes entschieden:

Tenor:

Die Eröffnung des Hauptverfahrens wird abgelehnt.

Die Verfahrenskosten und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten hat die Staatskasse zu tragen.

Gründe:

Der Angeschuldigte entschloss sich ab mindestens Dezember 2012 dazu, aus seiner damaligen Wohnung in pp. heraus einen schwunghaften und gewinnbringenden Handel mit Betäubungsmitteln - insbesondere Amphetamin, MDMA, Haschisch und Kokain - zu betreiben und die Betäubungsmittel mit Gewinnaufschlag an seine nicht identifizierten Abnehmer zu veräußern, um sich auf diese Weise eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Umfang zu verschaffen und seinen Lebensunterhalt und Eigenkonsum zu finanzieren.

Entsprechend diesem Entschluss bestellt der Angeschuldigte unter dem Account-Namen pp. über die Internet-Plattform „silk road anonymous marketplace" bei verschiedenen Verkäufern Betäubungsmittel. Bei der „silk road" handelte es sich um einen Marktplatz für Verkäufer und Käufer jedweder illegaler Produkte und Dienstleistungen, die ihren Käufern absolute Anonymität über das sogenannte „TOR-Netzwerk" garantierte. Die Betäubungsmittel wurden dem Angeschuldigten von den Betreibern der jeweiligen Verkäufer-Accounts wenige Tage nach der Bestellung über die „silk road" per Post an seine oben genannten Wohnadresse übersandt. Bezahlt wurden die Betäubungsmittel vom Angeschuldigten mittels bitcoins.

Im Einzelnen bestellte der Angeschuldigte wie nachfolgend dargestellt Betäubungsmittel, die er sodann nach Bezahlung des Kaufpreises wenige Tage später an seine oben genannte Adresse per Post übersandt bekam:
Tatziffer Bestelldatum Verkäufer- Account Betäubungsmittel Kaufpreis in USD
1. 31.01.2013, pp. 300 Gramm Haschisch 2.404,62 14.43 Uhr
2. 01.04.2013, pp. 100 Gramm Amphetamin 356,57 18.18 Uhr, 
3. 03.04.2013, pp. 100 Gramm MDMA mit einem irkstoffgehalt von 84 % 1.343,04 18.42 Uhr
4. 17.04.2013, pp. 200 Gramm Haschisch 1.700,94 12.27 Uhr
5. 23.05.2013, 04.03 Uhr pp. 200 Gramm Haschisch 1.845,70
6. 01.07.2013, pp. 200 Gramm Haschisch 3.442,71 10.16 Uhr
7. 05.07.2013, 25 Gramm Amphetamin durchschnittlicher Qualität 266,29 12.47 Uhr
8. 13.05.2013, 0,5 Gramm Kokain 79,79 05.13 Uhr

Das Haschisch hatte hierbei einen Wirkstoffgehalt von mindestens 10 %.

Bis auf maximal 10 % der jeweils bestellten und übernommenen Betäubungsmittelmengen, die für seinen Eigenkonsum bestimmt war, veräußerte der Angeschuldigte die Betäubungsmittel mit Gewinnaufschlag in nicht bekannter Höhe an seine nicht identifizierten Abnehmer weiter.

Wie der Angeschuldigte wusste, war er nicht in Besitz der für den Umgang mit Betäubungsmitteln erforderlichen behördlichen Erlaubnis.

Die Eröffnung war abzulehnen, da ein hinreichender Tatverdacht nicht besteht.

Ein hinreichender Tatverdacht ist gegeben, wenn zu erwarten ist, dass es in einer Hauptverhandlung zu einer Verurteilung des Angeschuldigten kommen wird.

Dies ist vorliegend nicht der Fall. Eine Täterschaft des Angeschuldigten wird nicht nachgewiesen werden können.

Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens des ZFA Berlin-Brandenburg konnte der gesondert Verfolgte pp. als Inhaber des silk-road-Accounts pp. ermittelt werden, Er überließ den Ermittlern eine Aufstellung von angeblichen Betäubungsmittelerwerbern.

In dieser Aufstellung ist folgender Datensatz enthalten:
pp.
pp. Straße
0,5 Gramm Koks
verschickt am 13.05.
per Standardbrief

Einen persönlichen Kontakt zwischen dem gesondert verfolgten pp. und dem Erwerber pp. gab es nicht. Damit kann nicht nachgewiesen werden, dass es sich bei dem Besteller der 0,5 Gramm Kokain tatsächlich um den Angeschuldigten pp. handelte. Im Betäubungsmittelbereich ist es durchaus üblich Fremdpersonalien, mit oder ohne Wissen des Betroffenen, zu verwenden.

Die angebliche Lieferung von 0,5 Gramm Kokain wurde per Standardbrief verschickt. Damit ist nicht nachvollziehbar, wer die Sendung in Empfang genommen hat und ob diese überhaupt abgeschickt wurde.

Wie sich aus einem Lichtbild des Anwesens pp.Straße auf google-streetview ergibt, handelt es sich hierbei um einen Gebäudekomplex mit mehreren Wohneinheiten. Die Briefkastenanlage befindet sich im Eingangsbereich vor der Abschlusstür und ist insoweit frei zugänglich. Es handelt sich insgesamt um mindestens 30 Briefkästen.

Vor diesem Hintergrund wird nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit nachgewiesen werden können, dass der Angeschuldigte als Benutzer MP 0,5 Gramm Kokain von dem gesondert verfolgten pp. bezogen hat. Mithin fehlt es an einem hinreichenden Tatverdacht hinsichtlich der Tat Ziffer 8.

Aus dem Ausgeführten ergibt sich jedoch, dass auch hinsichtlich der Taten 1 bis 7 eine Verurteilung des Angeschuldigten nicht zu erwarten ist. Der Nachweis, dass er die Person war, die als Nutzer pp. die Betäubungsmittel erworben und erhalten hat, wird nicht geführt werden können.

Die elektronischen Endgeräte des Angeschuldigten wurden seitens der Polizei ausgewertet. Auf keinem der Geräte befanden sich relevante Dateien. Soweit auf dem noch sichergestellten PC des Angeschuldigten ein TOR-Browser installiert ist, vermag dies ebenfalls einen Tatverdacht nicht zu begründen.

Zwar ist der TOR-Browser erforderlich, um sich in das sogenannte Darknet einzuwählen.

Allerdings ist es mittlerweile so, dass dieser Browser sogar über seriöse Webseiten zum download angeboten wird, damit der interessierte Nutzer sich einen Einblick in das Darknet verschaffen kann. Hieraus den Schluss zu ziehen, dass beabsichtigt ist, rechtswidrige Taten zu begehen, ist nicht statthaft.

Mithin wird in einer Hauptverhandlung der Nachweis nicht geführt werden können, dass der Angeschuldigte als pp. bei den Verkäufern pp. und pp. Betäubungsmittel bestellt und erhalten hat.

Mithin war die Eröffnung des Hauptverfahrens mangels hinreichendem Tatverdacht abzulehnen.

 

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