Amtsgericht Tiergarten Urteil, 12. Jan. 2018 - (265 Ds) 285 Js 3091/17 (218/17)

bei uns veröffentlicht am05.05.2023

Rechtsgebiete

Eingereicht durch

Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

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Gericht

Amtsgericht Tiergarten

Richter

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Wirtschaftsrecht / Existenzgründung / Insolvenzrecht / Gesellschaftsrecht / Strafrecht
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Amtsgericht Tiergarten

Im Namen des Volkes

Urteil

 

In der Strafsache

gegen

 

A

geboren am … in …,

wohnhaft …

geschieden,  libanesischer  Staatsangehöriger,

 

alias

AA

geboren am 07.04.1979 in Essen, alias

AAA

geboren am 01.01.1979 in Essen, alias

AAAA

geboren am 31.12.1978 in Beirut, alias

AAAAA

geboren am 07.04.1979 in Essen, alias

AAAAAA

geboren am 07.04.1979 in Essen, Libanon,

wegen Hausfriedensbruchs  pp.

 

hat das Amtsgericht Tiergarten in der Sitzung vom 12.01.2018, an der teilgenommen haben:

 

Richter am Amtsgericht Pollmann, als Strafrichter

Referendarin Bauerschmidt, als Beamtin der Staatsanwaltschaft Berlin 

Rechtsanwalt Dr. Benedikt Mick, als Verteidiger

 

für Recht erkannt:

 

Der Angeklagte wird wegen Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 15,00 € verurteilt.

Der Angeklagte hat die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen zu tragen.

§§ 201 Abs.1 Nr. 1, 17 Satz 1, 49 StGB

 

Gründe:

I.

Der Angeklagte erhält als staatenloser Palästinenser in Deutschland nur eine Fiktionsbescheinigung. Er geht keiner Beschäftigung nach und lebt von Sozialleistungen. Aufgrund von Schussverletzungen leidet er unter Dauerschmerzen.

Das Bundeszentralregister enthält für den Angeklagten zahlreiche Eintragungen. Schon als Jugendlicher wurde er zu Jugendstrafen verurteilt, die auch vollstreckt werden mussten.

Als Erwachsener wurde der Angeklagte zu Geldstrafen und mehrfach auch zu Freiheitsstrafen verurteilt. Zuletzt wurde er im März 2008 aus der Strafhaft entlassen. Er steht noch bis zum 23.01.2018 unter Führungsaufsicht.

Wegen Straßenverkehrsdelikten verhängte das Amtsgericht Tiergarten am 23.01.2013 eine Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten mit Bewährung. Die Bewährungszeit wurde bis zum 23.01.2018 verlängert.

Zuletzt verurteilte das Amtsgericht Tiergarten den Angeklagten am 13.11.2014 wegen einer vorsätzlichen Körperverletzung zu 150 Tagessätzen Geldsstrafe und am 27.06.207 wegen Straßenverkehrsdelikten zu einer Geldstrafe von 200 Tagesätzen.

II.

Am 03.07.2017, nicht einmal eine Woche nach seiner letzten Verurteilung, suchte der Angeklagte die Ausländerbehörde in Berlin auf, um seine Fiktionsbescheinigung verlängern zu lassen. Die Zeugin B eröffnete ihm, dass sein „document de voyage" abgelaufen sei und sie ihm deshalb die Fiktionsbescheinigung nicht verlängern könne. Er müsse das Dokument erst in der libanesischen Botschaft verlängern lassen. Die Zeugin war angewiesen, Fiktionsbescheinigungen ohne ein solches gültiges „document de voyage" nur am letzten Tag der Gültigkeit zu verlängern.
 

Der Angeklagte, der unbedingt eine gültige Fiktionsbescheinigung haben wollte und nicht verstehen konnte oder wollte, weshalb keine Verlängerung erfolgen sollte, obwohl die Fiktionsbescheinigung in wenigen Tagen ohnehin ablaufen würde und er nicht damit rechnete, vor dem Ablauf noch ein gültiges „document de voyage" zu erhalten, war darüber sehr ungehalten.

Er wurde laut, verlangte den „Chef" und weigerte sich zu gehen. Die Zeugin rief deshalb den Sicherheitsdienst. Sie fühlte sich allerdings nicht von dem Angeklagten bedroht, sondern wollte ihn nur loswerden, um den nächsten Kunden empfangen zu können.

Der Angeklagte entschied sich während des Gesprächs mit der Zeugin B, die Unterhaltung mit seinem Handy aufzunehmen, weil er sich ungerecht behandelt fühlte. Zunächst erfolgte die Aufnahme heimlich, nach ca. 28 Sekunden wies er die Zeugin auf die Aufnahme hin. Dem Angeklagten war nicht bewusst, dass er durch das Aufnehmen des Gesprächs eine Straftat begehen könnte. Er hätte diesen Irrtum aber vermeiden können.

III.

Die Feststellungen zur Person beruhen auf den glaubhaften Angaben des Angeklagten und der Verlesung  des  Bundeszentralregisterauszugs.

Zur Sache hat sich der Angeklagte im wesentlichen geständig eingelassen. Die Aufzeichnung des Gesprächs wurde in Augenschein genommen und die Zeugin B vernommen. Die Einlassung des Angeklagten und die Angaben der Zeugin stimmten hinsichtlich der Beschreibung der Situation weitgehend überein. Soweit Abweichungen erkennbar waren betrafen diese nicht die festgestellten und für die Urteilsfindung relevanten Umstände. Lediglich die Bewertung des Sachverhalts als angemessenes oder unangemessenes Verhalten der Zeugin und des Angeklagten wies naturgemäß erhebliche Abweichungen auf.

Der Angeklagte hatte erkennbar keinerlei Unrechtsbewusstsein, denn sonst hätte er sicherlich weder der Zeugin von der Aufnahme erzählt, noch selbst nach der Polizei verlangt.

Das Gericht ist jedoch zu der Auffassung gelangt, dass er seinen diesbezüglichen Irrtum hätte vermeiden können. Ein Verbotsirrtum ist vermeidbar, wenn dem Täter zum Zeitpunkt der Tathandlung sein Vorhaben unter Berücksichtigung seiner Fähigkeiten und Kenntnisse hätte Anlass geben müssen, über dessen mögliche Rechtwidrigkeit nachzudenken oder sich zu erkundigen, und er auf diesem Wege zur Unrechtseinsicht gekommen wäre. Die zu stellenden Anforderungen sind höher als diejenigen zur Vermeidung eines Fahrlässigkeitsvorwurfs. Die persönlichen Voraussetzungen des Täters sind im Hinblick auf die konkrete Verbotsnorm zu bewerten (vgl. Fischer, § 17 StGB, Rn. 7, 8).

Bei der verfahrensgegenständlichen Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes handelt es sich um eine Strafnorm, deren Unrechtsgehalt sich sicherlich weniger aufdrängt als es bei Körperverletzung, Diebstahl oder ähnlichen universell geächteten Handlungen der Fall ist. Der Angeklagte entstammt zudem nicht dem europäischen Kulturkreis und die Aufnahme erfolgte in einer Behörde im Rahmen eines beruflichen Kontakts. Allerdings hält der Angeklagte sich seit über 20 Jahren in Deutschland auf und er spricht gut Deutsch. Es kann ihm nicht entgangen sein, dass Datenschutz und Schutz der Privatsphäre hier eine große Rolle spielen. Bei gehöriger Gewissensanspannung hätte er deshalb darauf kommen müssen, dass eine solche Aufnahme möglicherweise deutsche Strafgesetzte verletzen könnte. Eine einfache Nachfrage bei der Zeugin B, die wegen der Aufnahme  die Polizei rief, hätte zu einer entsprechenden  Information geführt.  Der Angeklagte hat  aber  nicht nachgefragt,  sondern  die Aufnahme  mit  seinem  Handy zunächst heimlich gestartet.

III.

Der Angeklagte hat sich einer Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes (§ 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB) schuldig gemacht. Den Strafrahmen hat das Gericht gern. §§ 17 Satz 1, 49 StGB wegen des vermeidbaren Verbotsirrtums gemildert. Zu Gunsten des Angeklagten sprach seine geständige, wenn auch nicht von Unrechtsbewusstsein getragene, Aussage sowie der Umstand, dass die in der Ausländerbehörde praktizierte Verlängerungspraxis - für die es gute Gründe geben mag - dem Angeklagten nachvollziehbar als Gängelung erschienen ist.

Zu Lasten des Angeklagten mussten sich seine Vorstrafen auswirken und insbesondere die hohe Rückfallgeschwindigkeit nach der letzten Veurteilung.

Unter Abwägung der für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände sowie in Würdigung seiner Persönlichkeit hat das Gericht auf eine tat- und schuldangemessene Geldstrafe von 60 Tagesätzen zu jeweils 15 Euro erkannt.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 464, 465 StPO.

 

Pollmann

Richter am Amtsgericht

 

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