Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 14. Juni 2019 - 10 ZB 19.723

bei uns veröffentlicht am14.06.2019
vorgehend
Verwaltungsgericht München, M 9 K 17.4793, 20.03.2019

Gericht

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 21. September 2017, mit dem er aus dem Bundesgebiet ausgewiesen worden ist, und auf Verpflichtung der Beklagten auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, weiter.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich nicht die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestünden nur dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2010 - 1 BvR 2011/10 - juris Rn. 17; B.v. 9.6.2016 - 1 BvR 2453/12 - juris Rn. 16; B.v. 8.5.2019 - 2 BvR 657/19 - juris Rn. 33). Dies ist hier in Bezug auf die Ausweisung des Klägers und die Ablehnung seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht der Fall.

Die Ausweisung betreffend hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bestehe eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger weiterhin Straftaten begehen werde. Er sei nach Aktenlage und nach den Ergebnissen der mündlichen Verhandlung weiterhin spielsüchtig. Nach seinen Angaben habe er die Spielsucht zwar „überwunden“, eine erfolgreich absolvierte Therapie habe er aber nicht nachgewiesen. Laut Beschluss der Strafvollstreckungskammer sei der Kläger ein Bewährungsversager mit hoher Rückfallgeschwindigkeit; seine Taten seien letztlich auf Geldmangel wegen einer ungelösten Spielsuchtproblematik zurückzuführen. Diesem Beschluss komme indizielle Bedeutung zu. Es sei auch nicht erkennbar geworden, dass sich an der grundlegenden Einstellung des Klägers zur Rechtsordnung etwas geändert hätte. Er habe nach wie vor keine Versuche unternommen, sich legale Einkommensquellen zu erschließen. Dass er seit der Haftentlassung straffrei geblieben sei, ändere daran nichts. Auch könne der Kläger keine Integrationsfaktoren vorweisen, die dafür sprächen, dass er über die Zeit der Führungsaufsicht hinaus ein straffreies Leben werde führen können. Sein Vater oder sein Bruder, bei dem er die überwiegende Zeit gelebt habe, hätten ihm auch in der Vergangenheit nicht die nötige Stabilität vermitteln können.

In Bezug auf die Verpflichtungsklage auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis führt das Gericht aus, dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG an § 25 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 und 4 AufenthG und § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG scheitere.

Der Einwand des Klägers, die Argumentation des Verwaltungsgerichts zum Vorliegen der Wiederholungsgefahr sei in sich nicht schlüssig, begründet keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils. Entgegen dem Vorbringen im Zulassungsantrag konnte das Verwaltungsgericht davon ausgehen, dass beim Kläger nach wie vor eine Spielsucht bzw. eine problematische Einstellung zum Glücksspiel besteht. Es hat sich dabei insbesondere auf den Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 8. September 2017 bezogen, in dem dem Kläger aufgegeben wird, sich zur Aufarbeitung der Spielsuchtproblematik einer ambulanten Suchtentwöhnungsbehandlung zu unterziehen. Der Kläger habe angegeben, dass er vor seiner Inhaftierung fünf Jahre lang ca. 20.000 Euro an Spielautomaten verspielt habe. Eine derartige mehrjährige Problematik bedürfe der therapeutischen Aufarbeitung, da der Kläger seine Straftaten primär aus Geldmangel begangen habe und die ungelöste Spielsuchtproblematik weitere einschlägige Taten befürchten lasse. Im Bericht vom 12. September 2018 weist seine Bewährungshelferin darauf hin, dass auch die Psychiaterin (die die psychiatrische Erkrankung behandelt) dringend zusätzlich zur ambulanten Suchtentwöhnungsbehandlung eine psychotherapeutische Unterstützung im Einzelsetting empfehle. Die tatsächlichen Feststellungen zur Spielsucht des Klägers beruhen also nicht, wie im Zulassungsverfahren vorgebracht, auf den Angaben des Klägers gegenüber der Betreuerin. Die von der Strafvollstreckungskammer im Beschluss vom 8. September 2017 angeordnete ambulante Suchtentwöhnungsbehandlung hat der Kläger nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung wegen Problemen mit der Gruppe bereits nach zwei Monaten abgebrochen. Daher konnte das Verwaltungsgericht auch davon ausgehen, dass mangels erfolgreich abgeschlossener Therapie nach wie vor vom Bestehen der Spielsucht und damit einer Wiederholungsgefahr für Straftaten gegen das Eigentum anderer auszugehen ist.

Ebenso zutreffend ist die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass aus der Straffreiheit des Klägers seit der Haftentlassung nicht zwangsläufig auf das Entfallen der Wiederholungsgefahr geschlossen werden könne. Der Zeitraum von eineinhalb Jahren ist angesichts der bisherigen Delinquenz, der hohen Rückfallgeschwindigkeit und der angeordneten Höchstdauer der Führungsaufsicht nicht geeignet, eine für den Kläger günstige Gefahrenprognose zu begründen. Zunächst erzeugt bereits das laufende Ausweisungsverfahren einen „Legalbewährungsdruck“ (vgl. BayVGH, B.v. 10.4.2019 - 19 ZB 17.1535 - juris Rn. 15). Zudem muss der Kläger den Auflagen und Weisungen des Führungsaufsichtsbeschlusses nachkommen, so dass sein Verhalten einer Kontrolle unterliegt (BayVGH, a.a.O.; B.v. 1.3.2019 - 10 ZB 18.2494 - juris Rn. 10 m.w.N.). Beim Kläger war vom Entfallen der Führungsaufsicht nach der Haftentlassung nicht abzusehen, weil die von Gesetzes wegen eintretende Führungsaufsicht ermöglichen soll, seine weitere Entwicklung zu beobachten und ihn insbesondere durch die Beiordnung eines Bewährungshelfers in positiver Hinsicht zu stabilisieren (Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 8. September 2017, S. 4).

Ein Widerspruch in der Argumentation des Verwaltungsgerichts, der die Richtigkeit der Gefahrenprognose in Frage stellen würde, ist darin nicht zu sehen. Denn die nicht therapierte Spielsucht des Klägers stellt neben der bisherigen Delinquenz, der Rückfallgeschwindigkeit und des fehlenden stabilen sozialen Empfangsraums nur einen bei der Gefahrenprognose zu berücksichtigenden Umstand dar (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 18; BayVGH, B.v. 14.1.2019 - 10 ZB 18.1413 - juris Rn. 9 m.w.N.) und der Führungsaufsicht kommt gerade im Hinblick auf die Spielsucht wegen der Therapieweisung eine besondere Bedeutung als Druckmittel für ein straffreies Verhalten zu.

Bezüglich der Abweisung der Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis fehlt es bereits an einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Darlegung eines Zulassungsgrunds.

Soweit der Kläger anführt, das Gericht hätte zur Frage, ob noch eine hinreichend konkrete Wiederholungsgefahr besteht, ein Sachverständigengutachten einholen müssen, benennt er schon keinen der in § 124 Abs. 2 VwGO genannten Zulassungsgründe und erfüllt zudem die Darlegungsvoraussetzungen nicht. Der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO i.V.m. § 86 Abs. 2 VwGO läge nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht einen unbedingten Beweisantrag zur Einholung eines Sachverständigengutachtens abgelehnt hätte und sich hierfür im Prozessrecht keine Stütze finden würde. Der Kläger hat jedoch einen entsprechenden Beweisantrag nicht gestellt. Für die erfolgreiche Geltendmachung einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht aus § 124 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 86 Abs. 1 VwGO hätte es der Darlegung bedurft, dass sich dem Verwaltungsgericht die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage, ob vom Kläger derzeit noch die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten ausgeht, hätte aufdrängen müssen. Bei der Prognoseentscheidung zur Wiederholungsgefahr bewegt sich das Gericht jedoch regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen, die Gerichten allgemein zugänglich sind. Die Frage der Wiederholungsgefahr nach strafrechtlichen Verurteilungen kann daher grundsätzlich von den Gerichten ohne Zuziehung eines Sachverständigen beurteilt werden (stRspr des Senats, vgl. BayVGH, B.v. 4.1.2019 - 10 ZB 18.2036 - juris Rn. 9 m.w.N.). Nur ausnahmsweise bedarf es der Zuziehung eines Sachverständigen, wenn die Prognose aufgrund besonderer Umstände nicht ohne spezielle fachliche Kenntnisse erstellt werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 4.10.2012 - 1 C 13.11 - juris Rn. 5). Im Übrigen kann auch ein Sachverständigengutachten die Prognoseentscheidung des Tatrichters nicht ersetzen, sondern nur Hilfestellung bieten (BVerwG, U.v. 13.3.2009 - 1 B 20.08 - juris Rn. 5). Anhaltspunkte dafür, dass im Fall des Klägers die Prognoseentscheidung nicht ohne Sachverständigengutachten hätte getroffen werden können, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2, § 39 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124 A Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Urteilsbesprechung zu Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 14. Juni 2019 - 10 ZB 19.723

Urteilsbesprechungen zu Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 14. Juni 2019 - 10 ZB 19.723

Referenzen - Gesetze

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 52 Verfahren vor Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit


(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 47 Rechtsmittelverfahren


(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, inn

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 124


(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird. (2) Die B
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 14. Juni 2019 - 10 ZB 19.723 zitiert 12 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 52 Verfahren vor Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit


(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 47 Rechtsmittelverfahren


(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, inn

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 124


(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird. (2) Die B

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 124a


(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nic

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 152


(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochte

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 63 Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren


(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anh

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 86


(1) Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden. (2) Ein in der mündlichen Verhandlung gestellter Beweisantrag ka

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 25 Aufenthalt aus humanitären Gründen


(1) Einem Ausländer ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn er als Asylberechtigter anerkannt ist. Dies gilt nicht, wenn der Ausländer unter den Voraussetzungen des § 53 Absatz 3a ausgewiesen worden ist. Bis zur Erteilung der Aufenthaltserlau

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 5 Allgemeine Erteilungsvoraussetzungen


(1) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt in der Regel voraus, dass 1. der Lebensunterhalt gesichert ist,1a. die Identität und, falls er nicht zur Rückkehr in einen anderen Staat berechtigt ist, die Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt is

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 39 Grundsatz


(1) In demselben Verfahren und in demselben Rechtszug werden die Werte mehrerer Streitgegenstände zusammengerechnet, soweit nichts anderes bestimmt ist. (2) Der Streitwert beträgt höchstens 30 Millionen Euro, soweit kein niedrigerer Höchstwert be

Referenzen - Urteile

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 14. Juni 2019 - 10 ZB 19.723 zitiert oder wird zitiert von 7 Urteil(en).

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 14. Juni 2019 - 10 ZB 19.723 zitiert 6 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 04. Jan. 2019 - 10 ZB 18.2036

bei uns veröffentlicht am 04.01.2019

Tenor I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt. II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000,- Euro festgesetzt. Gründe

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 14. Jan. 2019 - 10 ZB 18.1413

bei uns veröffentlicht am 14.01.2019

Tenor I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt. II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt. Gründe

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 10. Apr. 2019 - 19 ZB 17.1535

bei uns veröffentlicht am 10.04.2019

Tenor I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt. II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt. Gründe

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 01. März 2019 - 10 ZB 18.2494

bei uns veröffentlicht am 01.03.2019

Tenor I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt. II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt. Gründe

Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 09. Juni 2016 - 1 BvR 2453/12

bei uns veröffentlicht am 09.06.2016

Tenor 1. Der Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 20. September 2012 - 2 LA 234/11 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Gru

Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 20. Dez. 2010 - 1 BvR 2011/10

bei uns veröffentlicht am 20.12.2010

Tenor 1. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 28. Juni 2010 - 12 N 33.10 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgese
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 14. Juni 2019 - 10 ZB 19.723.

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 16. Juli 2019 - 10 ZB 19.1208

bei uns veröffentlicht am 16.07.2019

Tenor I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt. II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt. Gründe

Referenzen

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Tenor

1. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 28. Juni 2010 - 12 N 33.10 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes.

Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 28. Juni 2010 - 12 N 33.10 - wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zurückverwiesen.

2. ...

Gründe

I.

1

Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen einen Beschluss des Oberverwaltungsgerichts, mit dem sein Antrag auf Zulassung der Berufung gegen ein verwaltungsgerichtliches Urteil zurückgewiesen wurde. Im erstinstanzlichen Verfahren hatte er eine Reduzierung der von ihm für das Jahr 2001 geforderten Abgaben für ein ärztliches Versorgungswerk angestrebt.

2

1. § 20 Abs. 1 Satz 1 der Satzung der Berliner Ärzteversorgung in der Fassung vom 1. April 2000 verpflichtet jedes Mitglied zur Leistung von Versorgungsabgaben, sofern Einkünfte aus ärztlicher Berufsausübung erzielt werden. Als allgemeine Versorgungsabgabe ist eine "Normalabgabe" zu zahlen, die gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 der Satzung dem höchsten Pflichtbeitrag zur Angestelltenversicherung im gleichen Jahr entspricht. Als Mindestabgabe ist der 0,2-fache Betrag der Normalabgabe zu zahlen. In ständiger Verwaltungspraxis mussten im streitgegenständlichen Zeitraum Mitglieder, deren Einkommen 2.000 DM pro Monat unterschritt, nur einen reduzierten Versorgungsbeitrag in Höhe des hälftigen Beitragssatzes der Rentenversicherung der Angestellten erbringen (im Folgenden: Härtefallregelung).

3

Im Jahr 2001 belief sich der höchste Pflichtbeitrag zur Rentenversicherung der Angestellten auf 1.661,70 DM (849,61 €).

4

2. Der Beschwerdeführer ist Arzt und war aufgrund seiner Mitgliedschaft in der Ärztekammer, der Beklagten des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Beklagte) auch Mitglied der von ihr eingerichteten Ärzteversorgung.

5

Auf Grundlage eines Honorarvertrags war der Beschwerdeführer ab Juli 2000 als Bereitschaftsarzt für eine Privatklinik tätig. Da er zunächst weniger als 2.000 DM pro Monat verdiente, beantragte er bei der Beklagten eine Beitragsreduzierung auf Basis der Härtefallregelung, die diese mit Bescheid von Februar 2001 ab Januar 2000 gewährte. Für den Zeitraum ab Januar 2001 setzte die Beklagte gegenüber dem Beschwerdeführer unter Zugrundelegung der Härtefallregelung einen monatlichen Beitrag von 81,20 DM fest. Die Tätigkeit des Beschwerdeführers als Bereitschaftsarzt endete mit Ablauf des Monats Oktober 2001. Das letzte Honorar wurde im November 2001 ausgezahlt. Für den Rest des Jahres 2001 erzielte der Beschwerdeführer keine Einnahmen aus ärztlicher Tätigkeit mehr.

6

a) Nachdem der Beschwerdeführer den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2001 vorgelegt hatte, aus dem sich Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 20.291 DM (10.374,62 €) ergaben, setzte die Beklagte im Mai 2003 für das Jahr 2001 bezüglich der Monate Januar bis Oktober 2001, ausgehend vom 0,2-fachen der Normalabgabe, einen monatlichen Beitrag von jeweils 169,92 € fest. Unter Berücksichtigung bereits gezahlter Beiträge und vorhandener Guthaben forderte sie vom Beschwerdeführer zugleich eine Nachzahlung in Höhe von 1.206,79 €. Der gegen die Höhe der Abgabe gerichtete Widerspruch des Beschwerdeführers blieb erfolglos.

7

b) Mit seiner daraufhin erhobenen Klage verlangte der Beschwerdeführer eine Reduzierung des Nachzahlungsbetrags auf 485,52 €, weil er der Härtefallregelung unterfalle. Sein monatliches Einkommen unterschreite die Grenze von 2.000 DM, weil das erst im November 2001 ausgezahlte Honorar nicht mehr als Einkommen berücksichtigt werden dürfe.

8

Das Verwaltungsgericht wies die Klage ab. Die Beklagte habe die Versorgungsabgaben für 2001 in der zutreffenden Höhe festgesetzt. Die Härtefallregelung könnte nicht zugunsten des Beschwerdeführers angewendet werden, weil sein monatliches Einkommen mehr als 2.000 DM pro Monat betragen habe. Abzustellen sei auf das Einkommen, das sich aus dem Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2001 ergebe. Weder habe der Beschwerdeführer belegen können, dass in den im Steuerbescheid ausgewiesenen Einkünften auch Einkommen aus dem Jahr 2000 enthalten sei, noch komme es für das von Januar bis Oktober 2001 erarbeitete Einkommen auf den Zeitpunkt des Zuflusses an. Da nur für die Dauer der ärztlichen Tätigkeit Abgaben zu leisten seien, habe die Beklagte den 2001 verdienten Betrag auch richtigerweise lediglich auf 10 statt auf 12 Monate verteilt.

9

c) Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts beantragte der Beschwerdeführer die Zulassung der Berufung. Er berief sich hierbei ausdrücklich auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Das Verwaltungsgericht sei nicht befugt gewesen, das ihm erst im November zugeflossene Einkommen zu berücksichtigten, weil es auf den Zufluss des Entgelts während der Dauer der Beschäftigung ankomme. Weiter sei zu erwähnen, dass die Beklagte ihre Forderung auch bei Anwendung des Entstehungsprinzips nicht begründen könne; denn in diesem Fall müssten von seinen einkommensteuerrechtlich für das Jahr 2001 ermittelten Einkünften aus selbständiger Arbeit seine während der zweiten Dezemberhälfte 2000 erwirtschafteten Honorare in Höhe von 985,50 DM abgezogen werden, wodurch nur noch Jahreseinkünfte von 19.305 DM verblieben. Dies führe ebenfalls zur Anwendung der Härtefallregelung. Der Beschwerdeführer bezog sich dabei auf bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegte Unterlagen. Seinem Schriftsatz war darüber hinaus als Anlage ein von Januar 2010 datierendes Schreiben der Rechtsnachfolgerin der Klinik, für die er tätig gewesen war, beigefügt, aus dem sich ergab, dass der Beschwerdeführer im Monat Dezember 2000 am 2., 9., 25., 28. und 31. Dezember Dienste absolviert hatte.

10

d) Das Oberverwaltungsgericht wies den Zulassungsantrag zurück. Die Berufung sei nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung zuzulassen, weil ein Divergenzfall nicht gegeben sei. Auch ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils in Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden nicht. Die Auslegung des Verwaltungsgerichts sei sowohl mit Wortlaut als auch mit Sinn und Zweck der Satzung vereinbar. Die Ausführungen des Beschwerdeführers, die sein Einkommen im Jahr 2001 beträfen, seien in Bezug auf den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO nicht entscheidungserheblich. Nichts anderes ergebe sich, wenn man zu seinen Gunsten unterstelle, dass er insoweit ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung habe geltend machen wollen; denn in diesem Fall sei durch die bloße Vorlage eines Honorarvertrags nicht nachgewiesen, dass im Januar 2001 Honorare für eine im Dezember 2000 ausgeübte ärztliche Tätigkeit gezahlt worden seien.

11

3. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3, Art. 3 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG.

12

a) Die Nichtzulassung der Berufung verstoße gegen Art. 19 Abs. 4 GG, hilfsweise gegen Art. 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG als allgemeines Prozessgrundrecht auf ein faires Gerichtsverfahren. Der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sei erfüllt, es bestünden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils. Falsch sei schon, dass das Gericht auf das Entstehungsprinzip abgestellt habe, denn maßgebend sei das Zuflussprinzip. Das ihm erst im November 2001 zugegangene Honorar dürfe daher nicht mitberücksichtigt werden. Selbst bei Anwendung des Entstehungsprinzips müsse aber zu seinen Gunsten die Härtefallregelung eingreifen; auch dann liege sein durchschnittliches Monatseinkommen während des maßgeblichen Zeitraums unter der Grenze von 2.000 DM. Es müsse nämlich das Honorar, das in der zweiten Dezemberhälfte des Jahres 2000 von ihm erwirtschaftet worden sei, aus dem Einkommen, das sich aus dem Steuerbescheid 2001 ergebe, herausgerechnet werden.

13

b) Auch die Ablehnung der weiteren Zulassungsgründe verstoße gegen Art. 19 Abs. 4 GG. Im Übrigen verletze die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Art. 3 Abs. 1 GG als Gleichbehandlungsgebot und Willkürverbot.

14

4. Der Senatsverwaltung für Justiz des Landes Berlin und der Ärztekammer Berlin wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die Akten des Ausgangsverfahrens waren beigezogen.

II.

15

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 19 Abs. 4 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt (vgl. BVerfGE 78, 88 <98 f.>; 96, 27 <39>; 104, 220 <231 f.>). Die Verfassungsbeschwerde ist zudem offensichtlich begründet.

16

1. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 28. Juni 2010 verletzt das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 19 Abs. 4 GG.

17

a) Art. 19 Abs. 4 GG enthält ein Grundrecht auf effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 8, 274 <326>; 67, 43 <58>; 96, 27 <39>; stRspr). Die Vorschrift erfordert zwar keinen Instanzenzug (vgl. BVerfGE 49, 329 <343>; 83, 24 <31>; 87, 48 <61>; 92, 365 <410>; 96, 27 <39>; stRspr); eröffnet das Prozessrecht aber eine weitere Instanz, so gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG in diesem Rahmen die Effektivität des Rechtsschutzes im Sinne eines Anspruchs auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 40, 272 <274 f.>; 54, 94 <96 f.>; 65, 76 <90>; 96, 27 <39>; stRspr). Das Rechtsmittelgericht darf ein von der jeweiligen Prozessordnung eröffnetes Rechtsmittel daher nicht ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer "leerlaufen" lassen (vgl. BVerfGE 78, 88 <98 f.>; 96, 27 <39>; 104, 220 <231 f.>). Sehen die prozessrechtlichen Vorschriften - wie §§ 124, 124a VwGO - die Möglichkeit vor, die Zulassung eines Rechtsmittels zu erstreiten, so verbietet Art. 19 Abs. 4 GG eine Auslegung und Anwendung dieser Rechtsnormen, die die Beschreitung des eröffneten Rechtswegs in einer unzumutbaren, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert (vgl. BVerfGE 78, 88 <98 f.>; 96, 27 <39>; 104, 220 <231 f.>). Vor diesem Hintergrund dürfen an die Darlegung eines Zulassungsgrundes keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Insbesondere ist der in § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO enthaltene Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils immer schon dann erfüllt, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hat (vgl. BVerfGE 110, 77 <83>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 23. Juni 2000 - 1 BvR 830/00 -, juris, Rn. 15).

18

b) Diese Maßstäbe hat das Oberverwaltungsgericht verkannt und den Zugang des Beschwerdeführers zur Berufungsinstanz dadurch in unzumutbarer Weise verkürzt.

19

aa) Verfassungsrechtlich nicht haltbar ist schon der rechtliche Ausgangspunkt des Oberverwaltungsgerichts, eine Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO komme nicht in Betracht, weil der Beschwerdeführer nicht "nachgewiesen" habe, dass im Januar 2001 gezahltes Honorar auch Einkommen für eine im Dezember 2000 ausgeübte ärztliche Tätigkeit enthalte. Des Nachweises einer solchen Behauptung durch den Antragsteller bedarf es im Berufungszulassungsverfahren gerade nicht. Schlüssige Gegenargumente liegen vielmehr bereits dann vor, wenn der Antragsteller substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist. Ob tatsächliche Umstände, die ein Antragsteller schlüssig behauptet, auch wirklich gegeben sind, muss bei Unklarheiten nach Zulassung der Berufung während des sich anschließenden Berufungsverfahrens im Rahmen der Amtsermittlung geklärt werden. Es ist nicht zulässig, diese Prüfung ins Zulassungsverfahren vorzuverlagern und damit die eigentlich erforderliche Beweisaufnahme zu umgehen (vgl. auch BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 21. Dezember 2009 - 1 BvR 812/09 -, juris, Rn. 22).

20

bb) Der fehlerhafte rechtliche Ansatz des Oberverwaltungsgerichts führt auch zu einem verfassungsrechtlich nicht hinnehmbaren Ergebnis. Das Gericht hätte die Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zulassen müssen, weil der Beschwerdeführer im Berufungszulassungsverfahren eine das verwaltungsgerichtliche Urteil tragende Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hat.

21

(1) Das Verwaltungsgericht geht, unter Zugrundelegung der ständigen Verwaltungspraxis der Beklagten, davon aus, dass ein Kammermitglied Anspruch auf einen (reduzierten) Beitrag in Höhe des hälftigen Beitragssatzes zur Rentenversicherung der Angestellten hat, sofern es einen Monatsverdienst von weniger als 2.000 DM erzielt. Für den Beschwerdeführer verneint das Gericht dann einen solchen, die 2.000 DM-Grenze unterschreitenden Verdienst pro Monat, weil die von ihm im Jahr 2001 erzielten Einnahmen von 20.291 DM auf 10 Monate, nämlich den Zeitraum von Januar bis einschließlich Oktober 2001, zu verteilen seien. Denn die Einnahmen könnten nur auf die Monate verteilt werden, in denen sie erarbeitet worden seien; auf den Zeitpunkt des Zuflusses komme es nicht an. Für die Höhe der Einnahmen stützt sich das Verwaltungsgericht auf die aus dem Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2001 ergebende Einkommenshöhe, unterstellt also, dass die sich aus dem Einkommensteuerbescheid ergebenden Einnahmen vom Beschwerdeführer in dem Zeitraum von Januar bis Oktober 2001 erarbeitet worden sind und stützt seine Entscheidung auf diese Annahme.

22

(2) Demgegenüber hat der Beschwerdeführer zur Begründung seines Antrags auf Zulassung der Berufung eingewandt, in den Einnahmen, die in dem Einkommensteuerbescheid 2001 ausgewiesen seien, seien auch Verdienste aus dem Jahr 2000 enthalten, und zwar Honorare in Höhe von 985,50 DM, die er durch seine ärztliche Tätigkeit in der zweiten Dezemberhälfte 2000 erwirtschaftet habe. Zum Beleg seiner Behauptung hat er das Schreiben von Januar 2010, wonach er im Dezember 2000 an fünf Tagen Dienste wahrgenommen hat, vorgelegt. Darüber hinaus hat er vorgetragen, aufgrund des klinikinternen Abrechnungsmodus sei das Honorar während seiner Tätigkeit immer jeweils von Monatsmitte zu Monatsmitte berechnet und anschließend ausgezahlt worden. Da hiernach für die Monate Januar bis Oktober 2001 nur noch ein Einkommen von 19.305 DM verbleibe - also weniger als 2.000 DM monatlich - sei die Härtefallklausel schon aus diesem Grunde auf ihn anzuwenden.

23

(3) Damit hat der Beschwerdeführer die Prämisse des Verwaltungsgerichts, in dem aus dem Steuerbescheid ergebenden Einkommen seien keine Einnahmen aus dem Jahre 2000 enthalten, mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt. Denn auf Grundlage der Behauptungen des Beschwerdeführers, die er zudem mit dem Schreiben von Januar 2010 belegt hat, erscheint es nicht lediglich als möglich, sondern sogar als nahe liegend, dass entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts im Steuerbescheid des Jahres 2001 als Einkommen auch Honorar berücksichtigt war, das der Beschwerdeführer im Dezember 2000 erarbeitet hatte. Dafür spricht nicht nur das Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach sein Honorar in einem Abrechnungsmodus von Monatsmitte bis Monatsmitte berechnet und ausbezahlt wurde. Auch aus verwaltungspraktischen Gründen erscheint es wenig wahrscheinlich, dass insbesondere für eine ab dem 25. Dezember 2000, also während der Weihnachtsfeiertage und danach, geleistete Arbeit die Vergütung noch im selben Monat überwiesen werden konnte. Anhaltspunkte für eine Zahlung des Honorars im Voraus oder für Abschlagszahlungen gibt es nicht.

24

(4) Die Tatsachenfeststellungen, die der Beschwerdeführer mit seinem Vorbringen in Frage stellt, sind auch rechtlich erheblich. Denn das Verwaltungsgericht hätte, wären die Behauptungen des Beschwerdeführers zutreffend, seiner Klage jedenfalls teilweise stattgeben müssen. In diesem Fall hätte sich nämlich für 2001 ein in diesem Jahr "erarbeitetes" Honorar von lediglich 19.305,50 DM ergeben, weil 985,50 DM als Honorar für Dienste im Dezember 2000 von dem im Steuerbescheid 2001 ausgewiesenen Einkommen von 20.291 DM abzuziehen gewesen wären. Für die zehnmonatige ärztliche Tätigkeit des Beschwerdeführers im Jahr 2001 hätte sein monatlicher Verdienst folglich nur noch 1.930,55 DM betragen und damit die 2.000 DM-Grenze unterschritten. Nach der vom Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegten Rechtsauffassung - die vom Oberverwaltungsgericht in dem angegriffenen Beschluss auch nicht in Zweifel gezogen wird - wäre bei diesem geringen Einkommen die Härtefallregelung anzuwenden gewesen. Da sich die monatlichen Abgaben dementsprechend nur nach dem hälftigen Beitragssatz der Rentenversicherung für Angestellte, also der Hälfte von damals 19,1 %, errechnen würden, hätten sich diese nicht wie von der Beklagten festgesetzt auf - umgerechnet - 169,92 € belaufen, sondern lediglich auf 94,27 €. Auch die geltend gemachte Nachforderung würde sich entsprechend verringern.

25

cc) Dem Beschwerdeführer kann auch nicht entgegengehalten werden, er habe den Zulassungsgrund im Berufungszulassungsverfahren nicht hinreichend dargelegt. Insbesondere ist es unschädlich, dass er in dem Zulassungsschriftsatz die von ihm vorgebrachten Argumente keinem beziehungsweise jedenfalls nicht dem zutreffenden Berufungszulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugeordnet hat. Denn für eine den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügende Darlegung eines oder mehrerer Berufungszulassungsgründe ist es nicht notwendig, dass der Antragsteller ausdrücklich einen der in § 124 Abs. 2 VwGO normierten Zulassungsgründe oder die dort angeführten tatbestandlichen Voraussetzungen benennt. Ebenso ist es kein Hindernis, wenn der Antragsteller sein Vorbringen unter dem falschen Berufungszulassungsgrund erörtert oder verschiedene Gesichtspunkte, die bei unterschiedlichen Zulassungsgründen im Sinne von § 124 Abs. 2 VwGO relevant sein können, miteinander vermengt. Art. 19 Abs. 4 GG verpflichtet das den Zulassungsantrag prüfende Gericht nämlich dazu, den Vortrag des jeweiligen Antragstellers angemessen zu würdigen und durch sachgerechte Auslegung selbstständig zu ermitteln, welche Zulassungsgründe der Sache nach geltend gemacht werden und welche Einwände welchen Zulassungsgründen zuzuordnen sind (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. August 2010 - 1 BvR 2309/09 -, juris, Rn. 13; vgl. insoweit auch BVerfGK 5, 369 <375 f.>). Erst dann, wenn aus einer nicht auf einzelne Zulassungsgründe zugeschnittenen Begründung auch durch Auslegung nicht eindeutig ermittelt werden kann, auf welchen Zulassungsgrund der Antrag gestützt wird, stellt die Verwerfung des Antrags als unzulässig keine unzumutbare Erschwerung des Zugangs zur Berufungsinstanz dar (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. August 2010, a.a.O., Rn. 13). Dass sich das Vorbringen des Beschwerdeführers ohne Schwierigkeiten dem Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuordnen lässt, folgt hier schon daraus, dass es vom Oberverwaltungsgericht unter diesem Gesichtspunkt geprüft wurde. Eine solche Zuordnung lag im Übrigen auch auf der Hand, weil die Ausführungen des Beschwerdeführers nur zu diesem Zulassungsgrund passen.

26

c) Die weiteren Argumente, die der Beschwerdeführer gegen die Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils vorgebracht hat, sind allerdings nicht geeignet, einen Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG zu begründen. Dass das Oberverwaltungsgericht im Hinblick auf diese Einwände das Vorliegen des Zulassungsgrundes des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO verneint hat, lässt keine Grundrechtsverletzung erkennen. Der Beschwerdeführer hat schon nicht nachvollziehbar dargelegt, warum die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Zufluss des Einkommens erst nach dem Ablauf des Zeitraums der Tätigkeit sei unschädlich - maßgeblich sei vielmehr der Zeitpunkt des Erarbeitens -, fehlerhaft sein sollte. Der Ansatz des Gerichts, allein an den Tätigkeitszeitraum anzuknüpfen und den Zuflusszeitpunkt als unerheblich anzusehen, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

27

Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO (Divergenz) sei nicht gegeben, gegen Art. 19 Abs. 4 GG verstoßen könnte. Die Gründe, mit denen das Gericht das Vorliegen des Zulassungsgrundes ablehnt, sind gut nachvollziehbar. Dass sie den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG nicht genügen könnten, ist nicht zu erkennen.

28

Eine Berufung auf den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (grundsätzliche Bedeutung) scheitert schließlich unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität schon daran, dass sich der Beschwerdeführer auf diesen Grund im Berufungszulassungsverfahren weder ausdrücklich noch der Sache nach berufen hat.

29

2. Die angegriffene Entscheidung beruht auf dem festgestellten Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG. Ob der Beschluss auch gegen Art. 3 Abs. 1 GG beziehungsweise Art. 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verstößt, kann daher offenbleiben.

30

3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

Tenor

1. Der Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 20. September 2012 - 2 LA 234/11 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.

2. Das Land Niedersachsen hat die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers zu erstatten.

3. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 10.000 € (in Worten: zehntausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein verwaltungsgerichtliches Verfahren aus dem Bereich des Schulrechts.

2

1. a) Der Beschwerdeführer besuchte ein öffentliches technisches Fachgymnasium. Da er an einer Lese- und Rechtschreibstörung (Legasthenie) leidet, beantragte er zum Nachteilsausgleich eine Schreibzeitverlängerung für die Anfertigung von Klausuren sowie die Nichtbewertung der Rechtschreibung (sog. Notenschutz). Die Schule lehnte dies ab.

3

b) Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren verpflichtete das Oberverwaltungsgericht die Schule, dem Beschwerdeführer bis zur Entscheidung in der Hauptsache bei der Anfertigung schriftlicher Leistungsüberprüfungen außer in naturwissenschaftlich-mathematischen Fächern eine Schreibzeitverlängerung von 10 % der jeweiligen Bearbeitungszeit zu gewähren. Soweit der Eilantrag darüber hinaus auf vorläufige Gewährung eines Zeitzuschlages von 25 % und Notenschutz bezüglich der Rechtschreibleistung in allen Fächern sowie auf die ebenfalls bereits vorgerichtlich geltend gemachte Verpflichtung der Schule gerichtet war, ihn in Mathematik anwendungsbezogen auf das erste Prüfungsfach Elektronik zu unterrichten, blieb er ohne Erfolg. Eine vom Beschwerdeführer in dieser Sache erhobene Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen (1 BvR 2129/08).

4

c) In der Hauptsache fasste das Verwaltungsgericht zunächst einen Beweisbeschluss zur Frage der medizinischen Notwendigkeit eines weitergehenden Nachteilsausgleichs. Dieser wurde jedoch nicht mehr ausgeführt, nachdem der Beschwerdeführer die Allgemeine Hochschulreife erworben hatte. Der Beschwerdeführer stellte seine Klage daraufhin um. Neben Feststellungsanträgen begehrte er, seine unter anderem auf Klausurabwertungen wegen Schreibfehlern (sog. "GRZ-Abzug") beruhenden Kursnoten im Fach Deutsch in der Jahrgangsstufe 12 anzuheben.

5

Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit der Begründung ab, die in der Jahrgangsstufe 12 erteilten Einzelnoten seien bestandskräftig geworden und daher nicht mehr anfechtbar. Der Zulässigkeit der Feststellungsanträge stehe teilweise der Subsidiaritätsgrundsatz und teilweise das Fehlen eines Feststellungsinteresses entgegen.

6

d) Den Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Berufung lehnte das Oberverwaltungsgericht mit dem hier angegriffenen Beschluss ab.

7

aa) Es könne offenbleiben, ob das Verwaltungsgericht die halbjährlichen Kursabschlussnoten als eigenständig anfechtbare Regelungen habe ansehen dürfen. Die Versäumung der Widerspruchsfrist sei insoweit jedenfalls unschädlich, da die Widerspruchsbehörde eine Sachentscheidung getroffen habe. Von der Bestandskraft der Einzelnoten könne daher nicht ausgegangen werden.

8

An der Richtigkeit der Ablehnung des Verpflichtungsantrags bestünden im Ergebnis gleichwohl keine ernstlichen Zweifel, da nicht ersichtlich sei, dass die den Kursnoten zugrunde liegenden Bewertungen fehlerhaft gewesen sein könnten. Es sei in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung geklärt, dass unter einer Legasthenie leidenden Schülern zum Nachteilsausgleich nur Schreibzeitverlängerungen gewährt werden könnten oder die Nutzung technischer Hilfsmittel gestattet werden könne. Die Gewährung von Notenschutz (durch Nichtbewertung der Rechtschreibung) sei demgegenüber in der Regel nicht zulässig, da sie zu einer Benachteiligung von Schülern führen könne, denen aus sonstigen Gründen Rechtschreibfehler in größerem Umfang unterliefen. Darüber hinaus komme ein Ausgleich durch Notenschutz deswegen nicht in Betracht, weil sich die vom Beschwerdeführer beanstandeten Noten gerade auf das Fach Deutsch bezögen und in diesem unter anderem Rechtschreibung und Zeichensetzung zu den allgemein vorausgesetzten Kompetenzen gehörten. Ein Anspruch auf Notenschutz folge selbst bei einem den Behinderungsbegriff erfüllenden Ausmaß der Legasthenie auch nicht aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, da sich hieraus ein originärer subjektiver Leistungsanspruch nicht ableiten lasse. Unmittelbar aus Art. 24 des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention, BGBl 2008 II S. 1419) ergäben sich ebenfalls keine entsprechenden Rechte. Schließlich sehe die geltende Erlasslage in gewissem Umfang eine differenzierte Bewertung vor und eröffne einen pädagogischen Bewertungsspielraum, der eine einzelfallgerechte Berücksichtigung des Erscheinungsbildes der Legasthenie ermögliche. Es sei nicht ersichtlich, dass bei der Bewertung der den beanstandeten Kursnoten zugrunde liegenden Deutschklausuren hiervon in willkürlicher Weise abgewichen worden sei.

9

bb) Auch das Feststellungsinteresse habe das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht verneint. Ein Rehabilitationsinteresse könne nicht bejaht werden, da von den Einzelnoten und der Durchschnittsnote des Abiturzeugnisses keine den Beschwerdeführer in seiner Persönlichkeit diskriminierende Wirkung ausgehe. Die Bewertung im Fach Deutsch in der Jahrgangsstufe 12 könne für sich gesehen nicht als diskriminierend angesehen werden, zumal sich die begehrte Anhebung nicht auf die Durchschnittsnote auswirken würde. Hinsichtlich anderer Einzelnoten habe der Beschwerdeführer nicht näher dargelegt, welche Punktzahl er für angemessen halte. Soweit er sein Feststellungsbegehren auf eine beabsichtigte Amtshaftungsklage stütze, habe das Verwaltungsgericht zu Recht darauf abgestellt, dass eine solche mangels Verschuldens offensichtlich aussichtslos sei.

10

2. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 19 Abs. 4 GG, aus Art. 3 Abs. 1 und 3 GG in Verbindung mit der UN-Behindertenrechtskonvention sowie aus Art. 12 GG und führt dies näher aus. Insbesondere rügt er, das Ausgangsgericht habe zu keinem Zeitpunkt in einem ordentlichen Hauptsacheverfahren durch Beweisaufnahme geprüft, welche Maßnahmen notwendig gewesen seien, um die behinderungsbedingten Nachteile auszugleichen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei es aber uneingeschränkt gerichtlich überprüfbar, ob ein in Prüfungen gewährter Nachteilsausgleich die Störung vollständig ausgeglichen habe, was gegebenenfalls mit Hilfe von Sachverständigen zu ermitteln sei (Hinweis auf BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 21. Dezember 1992 - 1 BvR 1295/90 -, NJW 1993, S. 917 <918>). Das Oberverwaltungsgericht habe zudem verkannt, dass er durch die Anlegung desselben Leistungsbemessungsmaßstabs wie bei seinen nicht behinderten Mitschülern in einem Bereich, in dem er aufgrund seiner Funktionsstörung nicht gleichermaßen leistungsfähig sein könne, benachteiligt worden sei. Aus fachärztlicher Sicht habe er in allen Fächern zusätzlich 25 % der üblichen Bearbeitungszeit benötigt, um die gleichen Chancen bei der Bearbeitung der anstehenden Aufgaben zu haben. Ein reiner Nachteilsausgleich führe, auch wenn er den Verzicht auf die Benotung der Rechtschreibung beinhalte, keineswegs zu einer Beeinträchtigung der Chancengleichheit nichtbehinderter Mitschüler. Dadurch, dass es das Oberverwaltungsgericht versäumt habe, seine willkürliche Entscheidung aus dem Eilverfahren im Berufungszulassungsverfahren zu korrigieren, nehme es ihm die Möglichkeit der Rehabilitation und verschärfe damit die bereits erfolgte Diskriminierung. Damit werde zudem eine Amtshaftungsklage bewusst ausgeschlossen und würden legasthene Schüler in Niedersachsen im Ergebnis rechtlos gestellt.

11

3. Die Verfassungsbeschwerde ist dem Niedersächsischen Justizministerium und der Beklagten des Ausgangsverfahrens, der vormaligen Schule des Beschwerdeführers, zugestellt worden. Diese haben von einer Stellungnahme abgesehen. Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen der Kammer vor.

II.

12

1. Die Kammer nimmt die zulässige Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG; vgl. BVerfGE 90, 22 <25>). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor. Das Bundesverfassungsgericht hat die hier maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden. Die Verfassungsbeschwerde ist danach offensichtlich begründet.

13

2. Die Auslegung und Anwendung der Vorschriften über die Zulassung der Berufung durch das Oberverwaltungsgericht wird der verfassungsrechtlichen Verbürgung effektiven Rechtsschutzes nicht gerecht.

14

a) Das Gebot effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gewährleistet zwar keinen Anspruch auf die Errichtung eines bestimmten Instanzenzuges (vgl. BVerfGE 104, 220 <231>; 125, 104 <136 f.>; stRspr). Hat der Gesetzgeber jedoch mehrere Instanzen geschaffen, darf der Zugang zu ihnen nicht in unzumutbarer und durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 104, 220 <232>; 125, 104 <137>; stRspr). Das Gleiche gilt, wenn das Prozessrecht - wie hier die §§ 124, 124a VwGO - den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit gibt, die Zulassung eines Rechtsmittels zu erstreiten (vgl. BVerfGE 125, 104 <137>). Aus diesem Grund dürfen die Anforderungen an die Darlegung der Zulassungsgründe nicht derart erschwert werden, dass sie auch von einem durchschnittlichen, nicht auf das gerade einschlägige Rechtsgebiet spezialisierten Rechtsanwalt mit zumutbarem Aufwand nicht mehr erfüllt werden können und die Möglichkeit, die Zulassung eines Rechtsmittels zu erstreiten, für den Rechtsmittelführer leerläuft. Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Anforderungen an die Darlegung der Zulassungsgründe gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO, sondern in entsprechender Weise für die Auslegung und Anwendung der Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 VwGO selbst (vgl. BVerfGE 125, 104 <137>). Mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes unvereinbar ist eine Auslegung und Anwendung des § 124 Abs. 2 VwGO danach dann, wenn sie sachlich nicht zu rechtfertigen ist, sich damit als objektiv willkürlich erweist und den Zugang zur nächsten Instanz unzumutbar erschwert (vgl. BVerfGE 125, 104 <137>; 134, 106 <117 f. Rn. 34>).

15

b) Das Oberverwaltungsgericht hat durch seine Handhabung des Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO den Zugang zur Berufungsinstanz in sachlich nicht zu rechtfertigender Weise verengt und dadurch das Gebot effektiven Rechtsschutzes verletzt.

16

aa) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit eines verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sind immer schon dann begründet, wenn der Rechtsmittelführer einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (vgl. BVerfGE 125, 104 <140>). Dies hat der Beschwerdeführer getan. Er hat aufgezeigt, dass das Verwaltungsgericht seinen Verpflichtungsantrag rechtsfehlerhaft als unzulässig behandelt hat und die angenommene Unzulässigkeit der Feststellungsanträge betreffend den Notenschutz und den Umfang des ihm zustehenden Nachteilsausgleichs aus Subsidiaritätsgründen zumindest ernstlichen - vom Oberverwaltungsgericht selbst näher aufgezeigten - Zweifeln begegnet. Das Oberverwaltungsgericht hat mit einer verfassungsrechtlich nicht hinnehmbaren Begründung gleichwohl die Berufung nicht zugelassen.

17

bb) Es begegnet zwar keinen grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn das Berufungsgericht bei der Überprüfung des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) auf andere rechtliche oder tatsächliche Gesichtspunkte abstellt als das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen seines Urteils und wenn es - soweit rechtliches Gehör gewährt ist - die Zulassung der Berufung deshalb ablehnt, weil sich das Urteil aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig erweist. Es widerspricht jedoch sowohl dem Sinn und Zweck des dem Berufungsverfahren vorgeschalteten Zulassungsverfahrens als auch der Systematik der in § 124 Abs. 2 VwGO geregelten Zulassungsgründe und kann den Zugang zur Berufung in sachlich nicht mehr zu rechtfertigender Weise einschränken, wenn das Berufungsgericht auf andere Gründe entscheidungstragend abstellt als das Verwaltungsgericht, die nicht ohne Weiteres auf der Hand liegen und deren Heranziehung deshalb über den mit Blick auf den eingeschränkten Zweck des Zulassungsverfahrens von ihm vernünftigerweise zu leistenden Prüfungsumfang hinausgeht (vgl. BVerfGE 134, 106 <119 f. Rn. 40>; siehe auch BVerwG, Beschluss vom 10. März 2004 - BVerwG 7 AV 4.03 -, NVwZ-RR 2004, S. 542 <543>).

18

Dass dem Beschwerdeführer vor Erlass der angegriffenen Entscheidung im Hinblick auf die neue Begründung des Oberverwaltungsgerichts im Berufungszulassungsverfahren rechtliches Gehör gewährt worden wäre, lässt sich den beigezogenen Akten des Ausgangsverfahrens nicht entnehmen. Darüber hinaus lagen die Voraussetzungen für einen Austausch der Begründung hiernach auch nicht vor.

19

(1) Hinsichtlich der auf den Notenschutz bezogenen Klageanträge ergibt sich dies schon daraus, dass das Oberverwaltungsgericht die angenommene inhaltliche Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils auf Gründe stützt, denen ihrerseits grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zukommt. Denn die Heranziehung von Erwägungen mit Grundsatzbedeutung zur Ablehnung des Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel verkürzt den vom Gesetzgeber für Fragen von grundsätzlicher Bedeutung vorgesehenen Rechtsschutz im Berufungsverfahren in sachlich nicht zu rechtfertigender Weise (vgl. BVerfGK 10, 208 <213 f. m.w.N.>).

20

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtsfrage immer dann, wenn es maßgebend auf eine konkrete, über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage ankommt, deren Klärung im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts geboten erscheint. Der Begriff der grundsätzlichen Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO entspricht danach weitgehend dem der grundsätzlichen Bedeutung in der revisionszulassungsrechtlichen Bestimmung des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (vgl. BVerfGK 10, 208 <214>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 10. September 2009 - 1 BvR 814/09 -, NJW 2009, S. 3642 <3643>; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 22. August 2011 - 1 BvR 1764/09 -, NVwZ-RR 2011, S. 963 <964>).

21

Nach diesen Maßstäben kam der vom Oberverwaltungsgericht verneinten Frage, ob der Beschwerdeführer im Hinblick auf seine Legasthenie so genannten Notenschutz in Form der Nichtbewertung der Rechtschreibung verlangen konnte, grundsätzliche Bedeutung zu. Denn ihre Beantwortung hat Bedeutung weit über den Einzelfall des Beschwerdeführers hinaus und betrifft den Umfang des verfassungsrechtlich sowohl unter dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit im Prüfungsrecht (BVerfGE 52, 380 <388>) als auch des Benachteiligungsverbots gemäß Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG (BVerfGE 96, 288<301 ff.>) bestehenden Anspruchs auf behinderungsbezogenen Nachteilsausgleich (zu der namentlich aus den verfassungsrechtlichen Bezügen abgeleiteten Grundsatzbedeutung der Rechtmäßigkeit der Bemerkung der Nichtberücksichtigung von Rechtschreibleistungen im Abiturzeugnis vgl. BayVGH, Urteile vom 28. Mai 2014 - 7 B 14.22 u.a. -, juris, Rn. 27). Die umstrittene Frage des Umfangs des Nachteilsausgleichs, der an Legasthenie leidenden Schülern zusteht, war zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts noch nicht höchstrichterlich geklärt. Erst im Jahr 2015 hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass aus dem Gebot der Chancengleichheit nur Ansprüche auf Änderung der Prüfungsbedingungen (Nachteilsausgleich), nicht aber solche auf Änderung des Maßstabs der Leistungsbewertung (Notenschutz) abgeleitet werden könnten (BVerwGE 152, 330). Hiergegen sind beim Bundesverfassungsgericht mittlerweile Verfassungsbeschwerden anhängig (Az. 1 BvR 2577/15, 1 BvR 2578/15 und 1 BvR 2579/15), über die noch nicht entschieden ist.

22

Das Oberverwaltungsgericht konnte die Nichtzulassung der Berufung wegen inhaltlicher Richtigkeit daher hierauf nicht stützen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der flankierenden Erwägungen, im Fach Deutsch gehörten Rechtschreibung und Zeichensetzung gerade zu den allgemein vorausgesetzten Kompetenzen und der Schutz des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG beschränke sich auf seine Funktion als Abwehrrecht. Gleiches gilt für den Hinweis auf den nach den einschlägigen schulrechtlichen Ausführungsbestimmungen bestehenden pädagogischen Spielraum. Ob die erfolgten Abwertungen unter Berücksichtigung des Spielraums der Behinderung des Beschwerdeführers hinreichend Rechnung trugen, wäre gegebenenfalls erst in einem Berufungsverfahren zu klären gewesen.

23

(2) Auch mit Blick auf das (verneinte) Feststellungsinteresse verkürzt das Oberverwaltungsgericht die verfassungsrechtlich garantierten Zugangsmöglichkeiten zum Berufungsverfahren. Soweit es ausführt, es fehle an dem (vom Verwaltungsgericht insoweit nicht geprüften) Feststellungsinteresse, weil die Ausweisung der Deutschnoten in der Jahrgangsstufe 12 mit Blick auf deren Auswirkungen auf das Abiturergebnis keinen diskriminierenden Charakter hätten und der Beschwerdeführer hinsichtlich der anderen Einzelnoten schon nicht näher dargelegt habe, welche Punktzahl er für erforderlich halte, lagen diese Erwägungen nicht ohne Weiteres auf der Hand und überschritten den statthaften Prüfungsumfang im Berufungszulassungsverfahren. Inhaltlich liegen sie auch eher fern, weil der Beschwerdeführer dargelegt hat, dass die Feststellung, welche Noten er mit der von ihm für notwendig gehaltenen längeren Schreibzeitverlängerung in allen Fächern erreicht hätte, im Nachhinein nicht möglich ist. Gerade deswegen blieb ihm aber nur die Möglichkeit eines Feststellungsantrags, um eine in den erreichten Noten gegebenenfalls fortwirkende Benachteiligung durch einen entsprechenden Feststellungsausspruch zu beseitigen. In der fachgerichtlichen Rechtsprechung ist im Übrigen geklärt, dass sich das notwendige Feststellungsinteresse in einer solchen Situation bereits aus der Geltendmachung einer fortdauernden faktischen Grundrechtsbeeinträchtigung ergeben kann (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 27. Mai 2014 - BVerwG 1 WB 59.13 -, juris, Rn. 20; Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, § 113 Rn. 146 m.w.N.), die hier insbesondere im Hinblick auf Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG gerügt wird.

24

3. Auf die Beantwortung der weiteren vom Beschwerdeführer aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen kommt es nicht an, da der angegriffene Beschluss die Berufungszulassung behandelt und keine Entscheidung zur Sache enthält.

III.

25

1. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts beruht auf dem Verfassungsverstoß. Er ist daher gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben und die Sache ist an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen.

26

2. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG und den Grundsätzen für die Festsetzung des Gegenstandswerts im verfassungsgerichtlichen Verfahren (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>; BVerfGK 20, 336 <337 ff.>).

(1) Einem Ausländer ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn er als Asylberechtigter anerkannt ist. Dies gilt nicht, wenn der Ausländer unter den Voraussetzungen des § 53 Absatz 3a ausgewiesen worden ist. Bis zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gilt der Aufenthalt als erlaubt.

(2) Einem Ausländer ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder subsidiären Schutz im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes zuerkannt hat. Absatz 1 Satz 2 bis 3 gilt entsprechend.

(3) Einem Ausländer soll eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 vorliegt. Die Aufenthaltserlaubnis wird nicht erteilt, wenn die Ausreise in einen anderen Staat möglich und zumutbar ist oder der Ausländer wiederholt oder gröblich gegen entsprechende Mitwirkungspflichten verstößt. Sie wird ferner nicht erteilt, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine Straftat von erheblicher Bedeutung begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen ließ, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen verankert sind, zuwiderlaufen, oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.

(4) Einem nicht vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer kann für einen vorübergehenden Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, solange dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Eine Aufenthaltserlaubnis kann abweichend von § 8 Abs. 1 und 2 verlängert werden, wenn auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls das Verlassen des Bundesgebiets für den Ausländer eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(4a) Einem Ausländer, der Opfer einer Straftat nach den §§ 232 bis 233a des Strafgesetzbuches wurde, soll, auch wenn er vollziehbar ausreisepflichtig ist, für einen Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Die Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn

1.
seine Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen dieser Straftat von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre,
2.
er jede Verbindung zu den Personen, die beschuldigt werden, die Straftat begangen zu haben, abgebrochen hat und
3.
er seine Bereitschaft erklärt hat, in dem Strafverfahren wegen der Straftat als Zeuge auszusagen.

Nach Beendigung des Strafverfahrens soll die Aufenthaltserlaubnis verlängert werden, wenn humanitäre oder persönliche Gründe oder öffentliche Interessen die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet erfordern. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(4b) Einem Ausländer, der Opfer einer Straftat nach § 10 Absatz 1 oder § 11 Absatz 1 Nummer 3 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes oder nach § 15a des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes wurde, kann, auch wenn er vollziehbar ausreisepflichtig ist, für einen vorübergehenden Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Die Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn

1.
die vorübergehende Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen dieser Straftat von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre, und
2.
der Ausländer seine Bereitschaft erklärt hat, in dem Strafverfahren wegen der Straftat als Zeuge auszusagen.
Die Aufenthaltserlaubnis kann verlängert werden, wenn dem Ausländer von Seiten des Arbeitgebers die zustehende Vergütung noch nicht vollständig geleistet wurde und es für den Ausländer eine besondere Härte darstellen würde, seinen Vergütungsanspruch aus dem Ausland zu verfolgen. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(5) Einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, kann eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Die Aufenthaltserlaubnis soll erteilt werden, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist. Eine Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist. Ein Verschulden des Ausländers liegt insbesondere vor, wenn er falsche Angaben macht oder über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht oder zumutbare Anforderungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse nicht erfüllt.

(1) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt in der Regel voraus, dass

1.
der Lebensunterhalt gesichert ist,
1a.
die Identität und, falls er nicht zur Rückkehr in einen anderen Staat berechtigt ist, die Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt ist,
2.
kein Ausweisungsinteresse besteht,
3.
soweit kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht, der Aufenthalt des Ausländers nicht aus einem sonstigen Grund Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet und
4.
die Passpflicht nach § 3 erfüllt wird.

(2) Des Weiteren setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, einer Blauen Karte EU, einer ICT-Karte, einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU voraus, dass der Ausländer

1.
mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und
2.
die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat.
Hiervon kann abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Satz 2 gilt nicht für die Erteilung einer ICT-Karte.

(3) In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 24 oder § 25 Absatz 1 bis 3 ist von der Anwendung der Absätze 1 und 2, in den Fällen des § 25 Absatz 4a und 4b von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 1 bis 2 und 4 sowie des Absatzes 2 abzusehen. In den übrigen Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 kann von der Anwendung der Absätze 1 und 2 abgesehen werden. Wird von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 2 abgesehen, kann die Ausländerbehörde darauf hinweisen, dass eine Ausweisung wegen einzeln zu bezeichnender Ausweisungsinteressen, die Gegenstand eines noch nicht abgeschlossenen Straf- oder anderen Verfahrens sind, möglich ist. In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 26 Absatz 3 ist von der Anwendung des Absatzes 2 abzusehen.

(4) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 besteht oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a erlassen wurde.

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.

Der am ... 1969 in der Türkei geborene Kläger türkischer Staatsangehörigkeit, der als Sohn eines türkischen Arbeitnehmers im Jahr 1979 ins Bundesgebiet eingereist und seit 26. September 2003 im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis (fortgeltend als Niederlassungserlaubnis seit 2005) ist und dessen 1989, 2002 und 2003 geborene Kinder deutsche Staatsangehörige sind, begehrt die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 22. Juni 2017, durch das seine Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 18. Dezember 2015 abgewiesen worden ist. Mit diesem Bescheid wurde der Kläger aus dem Bundesgebiet ausgewiesen (Nr. I. des Bescheides), die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet (Nr. II.), wurde das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf die Dauer von sieben Jahren ab Ausreise/Abschiebung befristet (Nr. III.), wurde die Abschiebung aus Haft heraus in die Türkei angeordnet (Nr. IV.) und der Kläger für den Fall, dass die Abschiebung unmittelbar aus dem Vollzug heraus nicht möglich ist und er aus dem Vollzug entlassen wird, aufgefordert, das Bundesgebiet unter Fristsetzung von einer Woche nach Haftentlassung zu verlassen, andernfalls er in die Türkei oder einen anderen aufnahmebereiten Staat abgeschoben werde (Nr. V.). Den Ausweisungsanlass bildet eine strafrechtliche Verurteilung durch das Landgericht N.-F. vom 23. März 2011 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten. Der Verurteilung liegt ein Rauschgiftgeschäft in Mittäterschaft über drei Kilogramm Aphetaminzubereitung zu 4.500 Euro zugrunde. Der Kläger ist seit 1988 wiederholt strafrechtlich in Erscheinung getreten (Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, Unterschlagung, Betrug, versuchte Nötigung, fahrlässige Trunkenheit im Verkehr, veruntreuende Unterschlagung, Fahren ohne Fahrerlaubnis, Waffendelikt). Am 27. Mai 2013 wurde der Kläger wegen uneidlicher Falschaussage zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. Ein Freispruch vom Vorwurf der uneidlichen Falschaussage durch Urteil des Amtsgerichts A. wurde auf Berufung der Staatsanwaltschaft durch Urteil des Landgerichts A. vom 27. April 2016 aufgehoben und der Kläger wegen uneidlicher Falschaussage zu einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt. Den Verurteilungen wegen uneidlicher Falschaussage lag zugrunde, dass der Kläger vor Gericht als Zeuge seinem der Verurteilung vom 23. März 2011 zugrunde liegenden Geständnis widersprechende Aussagen gemacht hatte.

Das Verwaltungsgericht hat die Ausweisung des Klägers gemäß §§ 53 ff. AufenthG (in der seit 1.1.2016 geltenden Fassung) als rechtmäßig angesehen. Sie sei nach § 53 Abs. 3 AufenthG zulässig, weil das persönliche Verhalten des Klägers eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstelle, die ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland berühre und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses nach der unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmenden Abwägung unerlässlich sei. Der Kläger sei aufgrund unterschiedlichster Delikte seit dem Jahr 1998 immer wieder und regelmäßig strafrechtlich belangt worden. Die Erfahrung von Jugendarrest, Untersuchungshaft und Strafhaft habe zu keinem inneren Wandel geführt. Die der Ausweisung zugrunde liegende Anlasstat habe der Kläger während dreifach laufender Bewährung begangen. Aufgrund der Vielzahl von unterschiedlichen Straftaten über einen Zeitraum von knapp 30 Jahren hinweg sei von der Begehung weiterer Straftaten durch den Kläger auszugehen. Während der Haft hätten mehrfach Disziplinarmaßnahmen gegenüber dem Kläger ergriffen werden müssen. Dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG stehe ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG aufgrund der Niederlassungserlaubnis des Klägers und seinem Aufenthalt im Bundesgebiet seit seinem 10. Lebensjahr gegenüber. Im Rahmen der Abwägung sei zu Gunsten des Klägers einzustellen, dass er sich seit 1979 im Bundesgebiet befinde und zwei noch minderjährige Kinder deutscher Staatsangehörigkeit im Bundesgebiet habe, für die ein gemeinsames Sorgerecht zusammen mit der Kindsmutter bestehe. Aufgrund der vielfachen Verurteilungen, verbüßter Haftstrafen und der sich auch nach Geburt der Kinder steigernden Delinquenz gehe die Abwägung zu Lasten des Klägers aus. Auch die Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf sieben Jahre begegne keinen durchgreifenden Bedenken.

Der dagegen gerichtete Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich weder die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.), noch hat der Kläger den weiter angeführten Zulassungsgrund der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) in einer den Anforderungen gemäß § 124 Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO genügenden Weise dargelegt (2.).

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten derart in Frage gestellt wird, dass sich die gesicherte Möglichkeit der Unrichtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung ergibt (z.B. BVerfG, B.v. 20.12.2010 - 1 BvR 2011/10 - NVwZ 2011, 546/547), mithin diese Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 - 7 AV 4/03 - DVBl 2004, 838/839). Die Beurteilung, ob ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO vorliegt, richtet sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung einer Ausweisungsentscheidung ist nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 12).

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts ergeben sich aus dem Zulassungsvorbringen des Klägers auch unter Berücksichtigung der aktuellen Entwicklung nicht.

Zur Begründung des Zulassungsbegehrens wird vorgetragen, der Kläger lebe seit seinem 10. Lebensjahr im Bundesgebiet, beherrsche die deutsche Sprache perfekt, habe hier Schule und Ausbildung absolviert und sei immer berufstätig gewesen. Zu seinen minderjährigen Kindern bestehe eine tiefe familiäre Verbundenheit, was sich auch durch die Haftzeit nicht geändert habe. Der Kläger sei faktischer Inländer, zum Land seiner Staatsangehörigkeit fehle jeder Bezug. Die der Ausweisung zugrunde liegende Verurteilung beruhe auf einem Geständnis, das der Kläger widerrufen habe. Die nachfolgenden Verfahren wegen uneidlicher Falschaussage stünden damit im Zusammenhang. Im Zusammenhang mit der Verurteilung durch das Landgericht N.-F. vom 23. März 2011 sei von einer äußerst komplexen und schwierigen Verfahrenssituation auszugehen. Der damalige strafprozessuale Deal habe nicht den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an strafprozessuale Vereinbarungen entsprochen. Die Widersprüchlichkeiten des Hauptbelastungszeugen seien niemals aufgeklärt worden. Der Kläger sei von seinem damaligen Bevollmächtigten dazu gedrängt worden, einem Geständnis zuzustimmen. Da er nachfolgend in weiteren Verfahren als Zeuge aussagen habe müssen, seien diese Aussagen im Widerspruch zu dem vorherigen Geständnis gestanden, was zu den Strafverfahren wegen Falschaussage geführt habe. Auch wenn der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht geäußert habe, gegen die Verurteilung durch das Landgericht N.-F. kein Wiederaufnahmeverfahren anstrengen zu wollen, werde die Begehung des der Verurteilung und Ausweisung zugrundeliegenden Betäubungsmitteldelikts vom Kläger weiterhin bestritten. Die Vorstrafenbelastung des Klägers liege größtenteils im Bagatellbereich. Das hohe Bleibeinteresse des Klägers aufgrund der familiären Verbundenheit zu seinen minderjährigen Kindern im Bundesgebiet sei vom Verwaltungsgericht unzureichend gewichtet worden. Die Ausweisung sei für den Kläger ein Eingriff von ungeheurer Intensität. Die Entscheidungsgründe ließen nicht erkennen, ob das Verwaltungsgericht den Kläger als faktischen Inländer angesehen habe. Bei einem faktischen Inländer könne auch bei mehrjährigen Haftstrafen eine Ausweisung unverhältnismäßig sein. Der Kläger würde in ein Land abgeschoben werden, das politisch auf der Kippe stehe und ihm fremd sei. Ob der Kläger jemals von seinen Kindern dort besucht werden könne, sei fraglich. Der Kläger habe aus den zurückliegenden Erfahrungen gelernt. Es besteht keine Gefahr für die Begehung von Straftaten.

Das Zulassungsvorbringen ist nicht geeignet, die verwaltungsgerichtliche Annahme zu widerlegen, dass das persönliche Verhalten des Klägers gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung nach § 53 Abs. 3 AufenthG darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist (1.1), und dass die nach § 53 Abs. 1 AufenthG vorzunehmende Abwägung ein Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Ausreise ergibt (1.2.).

1.1. Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitlich demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Steht dem Ausländer ein Aufenthaltsrecht nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation EWG-Türkei (ARB 1/80) zu, sind an die Qualität der erforderlichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erhöhte Anforderungen zu stellen. Er darf nach § 53 Abs. 3 AufenthG nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und wenn die Ausweisung zur Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist. Im Falle der Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen führt § 53 Abs. 3 AufenthG nicht zu einer Verdrängung der wertenden und gewichtenden Ausweisungsbestimmungen nach §§ 53 Abs. 1, 54, 55 AufenthG; ihnen kommt auch im Rahmen des § 53 Abs. 3 AufenthG die Bedeutung von gesetzlichen Umschreibungen spezieller Interessen mit dem jeweiligen Gewicht zu (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 - 1 C 3/16 - juris Rn. 24). Soweit die Entwurfsbegründung von einer „Sonderregelung“ spricht (BT-Drs. 18/4097, S. 50), bezieht sich diese Wendung jedoch ersichtlich auf das in § 53 Abs. 3 AufenthG festgelegte Maß der Sicherheitsgefahr und statuiert im Übrigen keine Verdrängung der wertenden und gewichtenden Ausweisungsbestimmungen. Das Verwaltungsgericht hat die angefochtene Ausweisungsverfügung unter Zugrundelegung eines assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts des Klägers nach Art. 7 ARB 1/80 zu Recht am Maßstab des § 53 Abs. 3 AufenthG gemessen, der exakt die Voraussetzungen wiedergibt, die nach ständiger Rechtsprechung (vgl. EuGH, U.v. 8.12.2011 - C-371/08, „Ziebell“ - Rn. 82 ff., und vom 29.3.2012 - C-7/10 und C-9/10, „Kahveci“ und „Inan“ - Rn. 40) für die Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen gemäß Art. 14 ARB 1/80 erfüllt sein mussten (stRspr, vgl. z.B. BayVGH, U.v. 28.3.2017 - 10 BV 16.1601 - juris Rn. 31 m.w.N.; B.v. 20.2.2019 - 10 ZB 18.2343 - juris Rn. 6).

Bei der Feststellung der für eine Ausweisung erforderlichen Sicherheitsgefahr bzw. der schwerwiegenden Gefahr i.S.v. § 53 Abs. 3 AufenthG handelt es sich um eine Prognose, die Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eigenständig zu treffen haben (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 18). Die Indizien, die für diese Prognose heranzuziehen sind, ergeben sich nicht nur aus dem Verhalten im Strafvollzug und danach. Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BVerwG, U.v. 16.11.2000 - 9 C 6/00 - BVerwGE 112, 185, juris Rn. 14; vgl. auch BVerwG, B.v. 4.5.1990 - 1 B 82/89 - NVwZ-RR 1990, 649, juris Rn. 4). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (stRspr; vgl. z.B. BayVGH, U.v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 34; BVerwG, U.v. 4.10.2012 - 1 C 13.11 - Rn. 18).

Betäubungsmitteldelikte gehören zu den schweren, die Grundinteressen der Gesellschaft berührenden und schwer zu bekämpfenden Straftaten (Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV). Die Folgen insbesondere für junge Menschen können äußerst gravierend sein. In ständiger Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Gefahren, die vom illegalen Handel mit Betäubungsmitteln ausgehen, schwerwiegend sind und ein Grundinteresse der Gesellschaft berühren (vgl. BVerwG, U.v. 14.5.2013 - 1 C 13.12 - juris Rn. 12 mit Nachweisen zur Rspr. des EuGH und des EGMR; vgl. BayVGH, B.v. 7.3.2019 - 10 ZB 18.2272 - juris Rn. 7). Die von unerlaubten Betäubungsmitteln ausgehenden Gefahren betreffen die Schutzgüter des Lebens und der Gesundheit, welche in der Werteordnung der Grundrechte einen sehr hohen Rang einnehmen. Rauschgift bedroht diese Schutzgüter in hohem Maße und trägt dazu bei, dass soziale Beziehungen zerbrechen und die Einbindung in wirtschaftliche Strukturen zerstört wird. Die mit dem Drogenkonsum häufig einhergehende Beschaffungskriminalität schädigt zudem die Allgemeinheit, welche ferner auch für die medizinischen Folgekosten aufkommen muss (BayVGH, B.v. 14.3.2013 - 19 ZB 12.1877 und B.v. 10.10.2017 - 19 ZB 119 ZB 16.2636 - juris Rn. 8).

Das mit einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten geahndete Betäubungsmitteldelikt des Klägers wiegt schwer, insbesondere in Anbetracht der wiederholten strafrechtlichen Verurteilungen des Klägers (15 Einträge im Zentralregister seit 1988 laut Auskunft vom 10.2.2017). Die Delinquenz des Klägers reiht sich ein in vorangegangene strafrechtliche Verurteilungen, die im Hinblick auf den Ausspruch und den Vollzug von Freiheitsstrafen nicht nur als „Bagatelldelikte“ anzusehen sind. Die jahrelange Begehung von Straftaten und das beharrliche Hinwegsetzen des Klägers über strafrechtliche Vorschriften auf ganz unterschiedlichen Feldern begründet eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung und berührt dadurch in schwerwiegender Weise das Grundinteresse der Gesellschaft an der Einhaltung der Strafrechtsnormen als Grundregeln für eine friedliche menschliche Koexistenz. Der Kläger hat gezeigt, dass er sich von den Sanktionen des Rechtsstaats nicht beeindrucken lässt.

Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts A. hat mit Beschluss vom 30. Oktober 2017 die Aussetzung der Vollstreckung des Strafrestes mit der Begründung abgelehnt, dass eine vorzeitige Entlassung unter Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit nicht verantwortet werden könne. Der Kläger sei vorbestraft, habe sich durch erlittene Strafhaft nicht von der Begehung weiterer Straftaten abhalten lassen, eingeräumte Bewährungen nicht durchgestanden, habe sich während der Strafhaft nicht beanstandungsfrei geführt und weise eine hohe Rückfallgeschwindigkeit auf. Es könne keine ausreichend günstige Prognose gestellt und eine bedingte Entlassung nicht verantwortet werden.

Der Kläger ist am 9. März 2018 nach Vollverbüßung aus der Haft entlassen und mit Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 11. Januar 2018 mit der Höchstdauer von fünf Jahren unter Führungsaufsicht gestellt worden. Zur Begründung wird ausgeführt, ein Entfallen der Führungsaufsicht nach § 68f Abs. 2 StGB komme nicht in Betracht. Der Kläger sei erheblich vorbestraft, eine positive Sozialprognose könne nicht mehr gestellt werden. Abstinenz-, Kontroll- und Vorstellungsweisungen wurden nicht festgesetzt, da aus keiner Verurteilung hervorgehe, dass ein Suchtmittelproblem in kausalem Zusammenhang mit den begangenen Straftaten stehe.

Zwar sind seit der Entlassung vom 9. März 2018 strafrechtlich relevante Vorkommnisse nicht bekannt. Dieser Zeitraum von etwa einem Jahr ist jedoch angesichts der vielfältigen Delinquenz des Klägers und des Umstandes, dass eine Strafrestaussetzung nicht gewährt werden konnte - mithin nicht einmal die für die Strafrestaussetzung erforderliche reale Chance einer Resozialisierung gesehen wurde (vgl. BayVGH, B.v. 2.5.2017 - 19 CS 16.2466 - juris Rn. 10) -, ungeeignet, eine positive Prognose zu begründen. Die bislang straffreie Führung von einem Jahr lässt auch wegen der Anordnung von Führungsaufsicht mit der Maximaldauer von fünf Jahren und wegen des noch offenen Ausweisungsverfahrens die Annahme einer Wiederholungsgefahr nicht entfallen. Abzustellen ist bei der Überprüfung der Gefahrenprognose bei einer Ausweisungsentscheidung ausschließlich auf den aktuellen Zeitpunkt und nicht darauf, wie sich die Prognose später einmal darstellen könnte (vgl. BayVGH, B.v. 20.11.2017 - 10 ZB 17.1961 - juris Rn. 10). Eine drohende Ausweisung erzeugt regelmäßig einen Legalbewährungsdruck, der nach den Erfahrungen des Senats über denjenigen einer drohenden Inhaftierung hinausgeht; hierzu trägt auch der Umstand bei, dass im Ausweisungsrechtsstreit aktuelle Entwicklungen zu berücksichtigen sind. Demzufolge ist Legalverhalten in einer Zeit, in der die Ausweisung gedroht hat und droht, zwar grundsätzlich als günstiges Indiz für die ausweisungsrechtliche Prognose heranzuziehen. Jedoch kommt diesem Indiz nur ein relatives Gewicht zu, weil es angesichts des Abstinenz- und Legalbewährungsdrucks, der während des (hier zudem nur ein Jahr anhaltenden) rechtstreuen Verhaltens besteht, nach allgemeiner Erfahrung und auch nach der Auffassung der Strafgesetzgebers nicht den Schluss auf ein gleichartiges Verhalten in Zeiträumen gewährleistet, in denen dieser Druck nicht besteht. Ein zeitweise bestehender Legalbewährungsdruck ist nicht geeignet, das Unterlassen von Straftaten auf Dauer zu gewährleisten, und bewirkt in einem großen Teil der Fälle keinen inneren Wandel, sondern nur ein druckmittelbedingtes Anpassungsverhalten ohne Nachhaltigkeit. Für Letzteres spricht vorliegend die anhaltende, sich steigernde Delinquenz des Klägers. Zudem hat der Kläger derzeit den Auflagen und Weisungen aus dem Beschluss zur Führungsaufsicht nachzukommen, so dass sein Verhalten einer Kontrolle unterliegt. Auch wenn von der strafgerichtlichen Entscheidung über die Anordnung der Führungsaufsicht keine Bindungswirkung für das Aufenthaltsrecht ausgeht, kann der Senat nicht außer Acht lassen, dass die Anordnung nach § 68 Abs. 1 StGB voraussetzt, dass trotz Verbüßung der Freiheitsstrafe nach wie vor die konkrete Gefahr der Begehung weiterer Straftaten besteht. Schließlich kann nicht übersehen werden, dass im Falle des Klägers die gesetzliche Höchstdauer von fünf Jahre vollständig ausgeschöpft worden ist und bislang eine Verkürzung nicht verfügt wurde (vgl. § 68c Abs. 1 StGB; vgl. VGH BW, U.v. 9.12.2015 - 11 S 1857/15 - juris Rn. 35).

Mit dem Verweis auf die komplexe und schwierige Situation im Strafverfahen und dem Zulassungsvorbringen, wonach er das der Verurteilung vom 23. März 2011 zugrunde liegende Geständnis widerrufen habe und nunmehr die Tat bestreite, zieht der Kläger die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung nicht ernsthaft in Zweifel. Er ist strafgerichtlich mit rechtskräftigem Urteil vom 23. März 2011 zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt worden. Diese strafrechtliche Verurteilung durfte das Verwaltungsgericht bei der Prüfung der Frage einer Wiederholungsgefahr nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ohne weitere Nachprüfung zugrunde legen. Daher kommt es nicht mehr darauf an, dass der Kläger gegen die nach seiner nunmehrigen Behauptung unrichtige strafrechtliche Verurteilung kein Wiederaufnahmeverfahren angestrengt hat und er aufgrund der dem Geständnis widersprechenden Zeugenaussagen wegen uneidlicher Falschaussage belangt wurde. Nach der klägerischen Einlassung müssten drei rechtskräftige strafrechtliche, auf umfangreichen Beweiserhebungen (einschließlich Telefonüberwachung) beruhende Verurteilungen trotz der Ausschöpfung des Rechtsweges bis zum Bundesgerichtshof unrichtig sein.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, B.v. 24.2.1998 - 1 B 21.98 - juris zu § 47 Abs. 1 AuslG 1990; B. v. 8.5.1989 - 1 B 77.89 - InfAuslR 1989, 269 zu § 10 Abs. 1 Nr. 2 AuslG 1965, jeweils m.w.N., vgl. auch BayVGH, B.v. 5.9.2018 - 10 ZB 18.1121 - juris Rn. 6 sowie OVG NRW, B.v. 8.12.2015 - 18 A 2462/13 - juris Rn. 11) erfordert die Anwendung der auf eine rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung abstellenden Ausweisungstatbestände keine Prüfung, ob der Betroffene tatsächlich eine Straftat begangen hat. Soweit es bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung etwa auf die Umstände der Tatbegehung ankommt (z.B. im Rahmen der Feststellung einer Wiederholungsgefahr oder bei der Ermessensausübung) besteht zwar keine strikte Bindung an eine rechtskräftige Verurteilung. Es ist aber geklärt, dass die Ausländerbehörden - und demzufolge auch die zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung berufenen Gerichte - in dieser Beziehung ohne weiteres in aller Regel von der Richtigkeit der Verurteilung ausgehen können und die darin getroffenen Feststellungen ihrer Entscheidung zugrunde legen dürfen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn strafgerichtliche Feststellungen offensichtlich unrichtig sind oder die Ausländerbehörden oder Verwaltungsgerichte über bessere Erkenntnismöglichkeiten als die Strafgerichte verfügen. Dies ergibt sich vorliegend weder aus dem Vorbringen in der ersten Instanz noch aus dem pauschalen Bestreiten der Tatbegehung im Zulassungsvorbringen.

Insgesamt kommt unter Berücksichtigung der massiven Vorstrafen, der jeweiligen strafrechtlichen Rückfallgeschwindigkeit und der über einen Zeitraum von 30 Jahren sich erstreckenden, regelmäßigen Delinquenz des Klägers die Annahme eines Entfallens der Wiederholungsgefahr nicht in Betracht.

1.2. Das persönliche Verhalten des Klägers berührt ein Grundinteresse der Gesellschaft und die Ausweisung ist für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich (§ 53 Abs. 3 AufenthG).

Im Rahmen der Prüfung der Unerlässlichkeit der Ausweisung nach § 53 Abs. 3 AufenthG ist zu beachten, dass die Grundrechte des Betroffenen, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sein müssen, wobei sämtliche konkreten Umstände, die für die Situation des Betroffenen kennzeichnend sind, zu berücksichtigen sind (vgl. BayVGH, U.v. 3.2.2015 - 10 BV 13.421 - juris Rn. 77 m.w.N.). Unerlässlichkeit ist dabei nicht im Sinne einer „ultima ratio“ zu verstehen, sondern bringt den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für die Ausweisung von Unionsbürgern entwickelten Grundsatz zum Ausdruck, dass das nationale Gericht eine sorgfältige und umfassende Prüfung der Verhältnismäßigkeit vorzunehmen hat (BayVGH, B.v. 27.9.2017 - 10 ZB 16.823 - juris Rn. 20). Auch im Rahmen des § 53 Abs. 3 AufenthG ist unter Berücksichtigung des besonderen Gefährdungsmaßstabs für die darin bezeichneten Gruppen von Ausländern eine Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach § 53 Abs. 1 (i.V.m. Abs. 2) AufenthG durchzuführen.

Die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung vor allem mit Blick auf die Anforderungen der wertentscheidenden Grundsatznormen des Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 GG und des Art. 8 Abs. 1 EMRK ergibt, dass das Interesse des Klägers an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet das öffentliche Interesse an der Ausreise nicht überwiegt.

Ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse (i.S.v. § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) ist beim Kläger infolge seiner rechtskräftigen Verurteilung vom 23. März 2011 zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gegeben. Das in § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vertypte Ausweisungsinteresse setzt ein Strafmaß von zwei Jahren voraus; der Kläger ist jedoch mehr als doppelt so schwer bestraft worden. Dem steht ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 AufenthG gegenüber, weil der Kläger eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat. Darüber hinaus ist das Verwaltungsgericht, ohne das vertypte besonders schwerwiegende Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG zu benennen, zugunsten des Klägers von der Ausübung des gemeinsamen elterlichen Personensorgerechts für die minderjährigen Kinder ausgegangen.

Dem mit der Ausweisung verfolgten Ziel, eine schwere Gefahr (durch weitere Straftaten des Klägers) für ein Grundinteresse der Gesellschaft abzuwehren, kommt angesichts der vorliegenden Einzelfallumstände, insbesondere unter Berücksichtigung der vielfachen Straffälligkeit des Klägers trotz mehrfacher Hafterfahrung, seines mehrfachen Bewährungsversagens und der beachtlichen Rückfallgeschwindigkeit sowie des hohen Rangs des durch Betäubungsmittel gefährdeten Rechtsgutes (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) ein das besonders schwerwiegende Bleibeinteresse des Klägers überwiegendes Gewicht zu. Entgegen dem Zulassungsvorbringen hat das Verwaltungsgericht die familiäre Beziehung des Klägers zu seinem im Bundesgebiet lebenden (minderjährigen) Kindern zutreffend gewürdigt und gewichtet.

Im Rahmen der Ermittlung der privaten Belange ist in Rechnung zu stellen, inwieweit der Ausländer unter Berücksichtigung seines Lebensalters in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert ist. Als Gesichtspunkte für das Vorhandensein von anerkennenswerten Bindungen können Integrationsleistungen in persönlicher, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Hinsicht von Bedeutung sein, der rechtliche Status, die Beachtung gesetzlicher Pflichten und Verbote, der Grund für die Dauer des Aufenthalts und Kenntnisse der deutschen Sprache. Diese Bindungen des Ausländers im Inland sind in Beziehung zu setzen zu den (noch vorhandenen) Bindungen an seinen Heimatstaat. Hierzu gehört die Prüfung, inwieweit der Ausländer unter Berücksichtigung seines Lebensalters, seiner persönlichen Befähigung und seiner familiären Anbindung im Heimatland von dem Land seiner Staatsangehörigkeit bzw. Herkunft entwurzelt ist.

Das Zulassungsvorbringen zeigt keine Lebensumstände auf, die zu einer Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung wegen einer die Sicherheitsbedrohung überwiegenden Verwurzelung im Bundesgebiet, insbesondere unter Berücksichtigung der familiären Beziehungen des Klägers zu seinen im Bundesgebiet lebenden minderjährigen Kindern, führen könnten.

Das Verwaltungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass auch die elterliche Verantwortung des Klägers diesen nicht von der Begehung weiterer Straftaten mit zunehmender Schwere hat abhalten können. Unter Berücksichtigung des bereits jugendlichen Alters der Kinder erscheint es zumutbar, die Bindung durch Besuchskontakte oder unter Inanspruchnahme moderner Kommunikationsmittel aufrecht zu erhalten, zumal die Kinder bereits während der langjährigen Haft des Klägers auf Besuchskontakte verwiesen waren, was diese jedoch ausweislich der Besuchsliste der Justizvollzugsanstalt nur selten in Anspruch genommen haben. Nach der Besuchsliste hat die nunmehr 30-jährige Tochter den Kläger im Zeitraum von Oktober 2010 bis März 2018 insgesamt 18 mal besucht (2010: 1 Besuch, 2011: 8 Besuche, 2012: 2 Besuche, 2013: 1 Besuch, 2014: 4 Besuche, 2015: 1 Besuch, 2016: 1 Besuch), die 15-jährige Tochter lediglich 5 mal (2017: 4 Besuche, 2018: 1 Besuch) und der nunmehr 16-jährige Sohn den Vater im gesamten Zeitraum von Oktober 2010 bis März 2018 nur 2 mal (im Jahr 2017) besucht. Insofern war bereits während der langjährigen Haftzeit der Kontakt der Kinder zu ihrem Vater stark eingeschränkt.

Soweit von der geschiedenen Ehefrau des Klägers in einer Vorsprache vom 24. September 2018 bei der Ausländerbehörde der Beklagten darauf hingewiesen wird, dass der im Jahr 2002 geborene Sohn des Klägers im September 2016 an einem Gehirntumor mit nachfolgender Operation erkrankt sei, weshalb Flugreisen zu vermeiden seien, begründet auch dieses (nicht durch ärztliche Stellungnahmen belegte) Vorbringen keine Unzumutbarkeit der Ausweisung aus Sicht der minderjährigen Kinder.

Die in Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm gebietet es zwar, bei Entscheidungen über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen und die sich für Familienangehörige ergebenden Folgen einer Aufenthaltsbeendigung angemessen zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, B.v. 8.12.2005 - 2 BvR 1001/04 - juris Rn. 17; U.v. 23.1.2006 - 2 BvR 1935/05 - juris Rn. 16; B.v. 1.12.2008 - 2 BvR 1830/08 - juris Rn. 26; B.v. 5.6.2013 - 2 BvR 586/13 - juris Rn. 12). Dabei ist maßgeblich auf die Sicht des Kindes abzustellen (BVerfG, B.v. 8.12.2005 - 2 BvR 1001/04 - juris Rn. 25; B.v. 23.1.2006 - 2 BvR 1935/05 - juris Rn. 18; B.v. 1.12.2008 - 2 BvR 1830/08 - juris Rn. 31; B.v 25.6.2013 - 2 BvR 586/13 - juris Rn. 14).

Nach diesen Maßgaben erscheint es unter Berücksichtigung des Alters der Kinder des Klägers (30, 16 und 15 Jahre) und der Tatsache, dass die Erkrankung des 16-jährigen Sohnes des Klägers nahezu drei Jahre zurück liegt und der persönliche Kontakt des Sohnes während der Haft von 2010 bis 2018 auf zwei Besuche beschränkt war, in Würdigung der Vielzahl der vom Kläger verübten Straftaten über einen langen Zeitraum hinweg auch für die (minderjährigen, bei der Mutter lebenden) Familienangehörigen zumutbar, die Bindung zum Vater für einen im Hinblick auf die Befristung der Wirkungen der Ausweisung perspektivisch begrenzten Zeitraum in räumlicher Distanz aufrecht zu erhalten. Auf die Möglichkeit einer ausnahmsweisen Erlaubnis zum Betreten des Bundesgebiets vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 8 AufenthG, das zu Besuchszwecken im Falle einer tatsächlich bestehenden Reiseunfähigkeit des Sohnes zum Tragen kommen könnte, wird hingewiesen.

Auch das geltend gemachte Maß der Verwurzelung im Bundesgebiet steht einer Ausweisung nicht entgegen. Der Kläger ist nicht im Bundesgebiet geboren, sondern erst im Jahr 1979 im Alter von knapp 10 Jahren ins Bundesgebiet eingereist. Von 1983 bis 1985 hat er erneut in der Türkei gelebt und dort die Schule besucht. Er hat somit einen Großteil seiner Schulbildung in der Türkei erfahren. Der Begriff “faktischer Inländer“ ist nicht einheitlich definiert, sondern wird in der Rechtsprechung unterschiedlich umschrieben. Das Bundesverwaltungsgericht bezeichnet faktische Inländer als “im Bundesgebiet geborene und aufgewachsene Kinder, deren Eltern sich hier erlaubt aufhalten“ (vgl. BVerwG, U.v. 16.7.2002, 1 C 8/02, BVerwGE 116, 378, juris Rn. 23). Das Bundesverfassungsgericht umschreibt den Begriff mit “hier geborene bzw. als Kleinkinder nach Deutschland gekommene Ausländer“ (vgl. BVerfG, B.v. 19.10.2016, 2 BvR 1943/16, InfAuslR 2017, 8, juris Rn. 19). Bei Ausländern, die im Alter von 13 bzw. 14 Jahren eingereist waren und eine gelungene Integration in die Gesellschaft und Rechtsordnung nicht zu verzeichnen war, wurde die Stellung als „faktischer Inländer“ verneint (vgl. BayVGH, B.v. 26.11.2018 - 19 CE 17.2454 - juris Rn. 24; B.v. 7.3.2019 - 10 ZB 18.2272 - juris Rn. 10).

Ob der Kläger als „faktischer Inländer“ anzusehen ist, kann letztlich dahinstehen, da die Bezeichnung eines Ausländers als „faktischer Inländer“ nicht davon entbindet, die im jeweiligen Einzelfall gegebenen Merkmale der Verwurzelung zu prüfen, und auch für faktische Inländer kein generelles Ausweisungsverbot besteht (vgl. BVerfG, B.v. 19.10.2016, 2 BvR 1943/16, InfAuslR 2017, 8, juris Rn. 19). Es wird nicht verkannt, dass sich die streitgegenständliche Ausweisung in Anbetracht der langen Aufenthaltsdauer des Klägers im Bundesgebiet und seiner hier bestehenden familiären und sozialen Bindungen als gravierender Grundrechtseingriff darstellt. In Anbetracht der Schwere des die Ausweisung veranlassenden Betäubungsmitteldelikts und der zahlreichen Vorstrafen des Klägers, die entgegen dem Zulassungsvorbringen keineswegs nur Bagatelldelikte betreffen und sich nahezu über den gesamten Aufenthalt des Klägers als Erwachsener im Bundesgebiet erstrecken, kann jedoch nicht von einer gelungenen Integration in die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland ausgegangen werden. Er hat zwar im Bundesgebiet eine Ausbildung absolviert und war beruflich tätig. Ausweislich der Feststellungen des Landgerichts A. vom 27. April 2016 war der Kläger seit 2005 jedoch nicht mehr in Freiheit beruflich tätig. Eine nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt ist somit nicht gelungen.

Dem Kläger ist es zumutbar, im Land seiner Staatsangehörigkeit zu leben. Der Kläger beherrscht die türkische Sprache, ist jedenfalls durch seine Familie und die Schulbildung den heimatstaatlichen Lebensverhältnissen näher gebracht worden. Anhaltspunkte dafür, dass die Eingewöhnung in die aktuellen Gegebenheiten und sozialen Strukturen in der Türkei und der Aufbau eines Privatlebens für den 49-jährigen Kläger unmöglich oder unzumutbar sein könnten, werden mit dem Zulassungsantrag nicht geltend gemacht; sie ergeben sich auch nicht aus dem pauschalen Verweis auf die aktuellen politischen Verhältnisse in der Türkei.

2. Soweit sich der Kläger weiter auf den Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO beruft, wonach die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweise, ist dieser Zulassungsgrund schon nicht in der nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO gebotenen Weise dargelegt.

Zur Darlegung der besonderen Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) sind die entscheidungserheblichen tatsächlichen oder rechtlichen Fragen in fallbezogener Auseinandersetzung mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts konkret zu benennen, die diese Schwierigkeiten aufwerfen, und es ist anzugeben, dass und aus welchen Gründen die Beantwortung dieser Fragen besondere Schwierigkeiten bereitet. Es ist eine Begründung dafür zu geben, weshalb die Rechtssache an den entscheidenden Richter (wesentlich) höhere Anforderungen stellt als im Normalfall (Roth in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand: 1.10.2018, § 124a Rn. 75 m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt das Zulassungsvorbringen nicht. Der Kläger legt nicht dar, inwiefern insbesondere die Gefahrenprognose und die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung in seinem Fall wesentlich höhere Anforderungen als in sonstigen Ausweisungsfällen stellen könnten. Im Zulassungsverfahren wird nichts Detailliertes vorgetragen, was besondere Schwierigkeiten aufwerfen könnte. Derartige besondere Schwierigkeiten der Rechtssache ergeben sich auch nicht aus dem Widerruf des Geständnisses und dem nunmehrigen Bestreiten der Straftat. Soweit auf die sich aus der Rechtsstellung aufgrund des Assoziationsabkommens EWG/Türkei ergebenden Maßstäbe für die Gefahrenprognose hingewiesen wird, lässt sich diese Frage ohne weiteres in Anwendung des § 53 Abs. 3 AufenthG im Zulassungsverfahren beantworten. Auch aus der behaupteten Stellung als „faktischem Inländer“ ergeben sich solche erhöhten Anforderungen nicht (vgl. BayVGH, B.v. 20.2.2019 - 10 ZB 18.2343 - juris Rn. 18 und B.v. 27.9.2017 - 10 ZB 16.823 - juris Rn. 25).

Hat das Berufungsgericht - wie vorliegend - keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils, so kann die Rechtsfrage regelmäßig keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten aufweisen (vgl. BayVGH, B.v. 28.6.1999 - 19 ZB 97.1557 - juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 47 Abs. 3, Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 8.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage gegen seine Ausweisung mit Bescheid der Beklagten vom 20. April 2016 weiter.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich nicht die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne dieser Bestimmung bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11; BVerfG, B.v. 9.6.2016 - 1 BvR 2453/12 - juris Rn. 16). Dies ist jedoch nicht der Fall.

Die geltend gemachten Zweifel bezüglich des vom Verwaltungsgericht herangezogenen rechtlichen Rahmens für die Überprüfung der Ausweisungsentscheidung führen nicht zur Zulassung der Berufung. Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass die Rechtmäßigkeit der Ausweisungsentscheidung an §§ 53 ff. AufenthG i.V.m. Art. 5 Abs. 1 und Abs. 2 des Anhangs I des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz (FZA, ABl. EG Nr. L 114 S. 6 ff.) zu messen ist, es sich bei Art. 5 Abs. des Anhangs I um eine statische Verweisung handelt und die Freizügigkeitsrichtlinie (2004/38/EG) und die Daueraufenthaltsrichtlinie (2003/109/EG) daher auf die Ausweisung von Staatsbürgern der Schweiz keine Anwendung finden.

Es hat seine Rechtsauffassung umfassend unter Heranziehung allgemeiner Auslegungsregeln anhand des Wortlauts der Bestimmungen, des historischen Willens des Gesetzgebers, der gegenwärtigen Rechtsauffassung der Vertragsparteien, Sinn und Zweck und systematischer Erwägungen begründet (UA S. 14-19) und ist dabei ausführlich auf die einschlägigen Bestimmungen des Abkommens, hierzu ergangene Rechtsprechung und die diesbezügliche Kommentarliteratur eingegangen. Das Zulassungsvorbringen beschränkt sich dem gegenüber auf den Verweis auf die allgemeinen Auslegungsregeln der Wiener Vertragsrechtskonvention. Insbesondere geht der Kläger nicht auf die Argumentation des Verwaltungsgerichts ein, wonach Art. 16 Abs. 2 Satz 1 FZA die zu berücksichtigende Rechtsprechung zum Freizügigkeitsrechts einfriert, der Gemischte Ausschuss von der in Art. 16 Abs. 2 Satz 3 FZA vorgesehenen Dynamisierungsmöglichkeit keinen Gebrauch gemacht und die Schweiz im Jahr 2011 ausdrücklich auf Verhandlungen zur Übernahme der Freizügigkeitsrichtlinie verzichtet hat. Damit genügt sein Vorbringen bereits nicht den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO. Denn für den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils erfordern diese eine konkret fallbezogene und hinreichend substantiierte Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung. Es muss dargelegt werden, dass und weshalb das Verwaltungsgericht die entscheidungstragende Rechtsfrage unrichtig entschieden hat (vgl. BayVGH, B.v. 24.1.2019 - 10 ZB 17.1343 - juris Rn. 4 m.w.N.). Dem wird der Kläger nicht gerecht, weil er lediglich seine Auffassung zur dynamischen Verweisung darstellt, ohne sich mit der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts substantiiert auseinanderzusetzen.

Auch die Ausführungen des Klägers zu den behaupteten unzutreffenden Feststellungen zum entscheidungserheblichen Sachverhalt führen nicht zur Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils.

Das Verwaltungsgericht hat dargelegt, dass es trotz der mit Beschluss der Strafvollstreckungskammer beim Landgericht M. I vom 4. April 2018 erfolgten Aussetzung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zur Bewährung vom Vorliegen einer Wiederholungsgefahr ausgehe. Die Ausländerbehörde und die Verwaltungsgerichte seien nicht an die Aussetzungsentscheidung der Strafvollstreckungskammer gebunden. Es bedürfe aber einer Begründung, wenn von der strafgerichtlichen Entscheidung abgewichen werde. Die indizielle Wirkung der Entscheidung, den Vollzug der Unterbringung vorzeitig zur Bewährung auszusetzen, sei maßgeblich herabgemindert. Das der Aussetzungsentscheidung zugrunde liegende Gutachten vom 2. Februar 2018 gehe nicht von einer uneingeschränkt positiven Sozialprognose für den Kläger aus. Es sehe Bedingungen zur Suchtmittelkarenz und zur therapeutischen Weiterbehandlung vor. In der Stellungnahme des Bezirkskrankenhauses vom 27. März 2018 werde auf die Alkoholkarenz verzichtet, ohne sich insoweit mit dem Gutachten auseinanderzusetzen. Zudem erwiesen sich die Annahmen des Gutachtens zu einem gut strukturierten sozialen Empfangsraum in Form eines Arbeitsplatzes und einer Wohnmöglichkeit bei der Lebensgefährtin nicht als tragfähig. Schließlich sei in dem Gutachten nicht erwähnt, dass der Kläger Schulden in Höhe von 142.024, 33 Euro gegenüber der Staatskasse habe. Auch sei zu berücksichtigen, dass eine Führungsaufsicht von 5 Jahren gegenüber dem Kläger und damit die Höchstfrist festgesetzt worden und die maximale Dauer der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt abgelaufen gewesen sei.

Der Kläger bringt dagegen vor, das Verwaltungsgericht sei bei seiner Beschäftigung, seinem Mietverhältnis, bei der Berufstätigkeit seiner Lebensgefährtin und seinen Schulden von falschen tatsächlichen Voraussetzungen ausgegangen. Daher habe das Verwaltungsgericht verkannt, dass die Ermessensausübung der Beklagten fehlerhaft und der Bescheid aufzuheben gewesen sei.

Damit zieht er jedoch die Feststellung des Verwaltungsgerichts, vom Kläger gehe weiterhin die Gefahr der Begehung von Straftaten aus, die ein Grundinteresse der Gemeinschaft berühren, nicht ernsthaft in Zweifel. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 5.11.2018 - 10 ZB 18.1710 - juris Rn. 9 m.w.N.) legt das Verwaltungsgericht dar, dass strafgerichtliche Entscheidungen über die Aussetzung der Strafe zur Bewährung für die Prognose der Wiederholungsgefahr zwar grundsätzlich von Bedeutung seien. Auch vor dem Hintergrund, dass dem Strafrecht und dem Ausländerrecht unterschiedliche Gesetzeszwecke zugrunde lägen, könne von der sachkundigen strafrichterlichen Prognose bei der Beurteilung der Wiederholungsgefahr grundsätzlich nur bei Vorliegen überzeugender Gründe abgewichen werden. Insbesondere sei zu berücksichtigen, dass vorzeitige Haftentlassung und Ausweisung unterschiedliche Zwecke verfolgten und deshalb unterschiedlichen Regeln unterlägen: Bei Aussetzungsentscheidungen nach § 57 StGB gehe es um die Frage, ob die Wiedereingliederung eines in Haft befindlichen Straftäters weiter im Vollzug stattfinden müsse oder durch vorzeitige Entlassung für die Dauer der Bewährungszeit ggf. unter Auflagen „offen“ inmitten der Gesellschaft verantwortet werden könne. Demgegenüber gehe es bei der Ausweisung um die Frage, ob das Risiko eines Misslingens der Resozialisierung von der deutschen Gesellschaft oder von der Gesellschaft im Heimatstaat des Ausländers getragen werden müsse. Die der Ausweisung zu Grunde liegende Prognoseentscheidung beziehe sich folglich nicht nur auf die Dauer der Bewährungszeit, sondern habe einen längeren Zeithorizont in den Blick zu nehmen. Denn es gehe hier um die Beurteilung, ob es dem Ausländer gelingen werde, über die Bewährungszeit hinaus ein straffreies Leben zu führen (BayVGH, B.v. 14.1.2019 - 10 ZB 18.1413 - juris Rn. 14 ff.).

Strafvollstreckungsrechtliche Entscheidungen, durch die - wie vorliegend - die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wegen positiver Prognose (vorläufig) beendet wird, haben eine der Strafrestaussetzungsentscheidung vergleichbare Bedeutung. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hat nicht das Ziel, Gefahren für die öffentliche Sicherheit längerfristig zu unterbinden. Für eine Anordnung dieser Maßregel genügt die hinreichend konkrete Aussicht (ein vertretbares Risiko ist einzugehen, vgl. Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, § 67d Rn. 11), dass durch sie der Verurteilte über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang bewahrt wird (§ 64 Satz 2 StGB), wobei „eine erhebliche Zeit“ in der Regel bereits ab einem Jahr angenommen werden kann (Schöch in Leipziger Kommentar StGB, 12. Aufl. 2008, § 64 Rn. 136). Eine langfristige Bewahrung vor dem Rückfall kann bereits deshalb nicht Ziel einer Unterbringung sein, weil dann entsprechend lange Unterbringungszeiten erforderlich wären. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt als freiheitsentziehende Maßnahme darf jedoch nach § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB grundsätzlich (vorbehaltlich des Satzes 3 der Bestimmung) zwei Jahre nicht übersteigen, muss in jedem Fall verhältnismäßig sein (§ 62 StGB) und insoweit umso strengeren Voraussetzungen genügen, je länger die Unterbringung dauert (BVerfG, B.v. 19.11.2012 - 2 BvR 193/12 - StV 2014,148 ff.). Die Beendigung der Unterbringung nach § 67d Abs. 5 Satz 1 StGB, „wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen“, ist somit bereits dann vorzunehmen, wenn für eine - im Vergleich zum ausländerrechtlichen Prognosehorizont - relativ kurze Zeitspanne die konkrete Aussicht (unter Eingehung eines vertretbaren Risikos) auf das Unterbleiben rechtswidriger Taten besteht. Nichts anderes gilt für die Beendigung der Unterbringung nach § 67d Abs. 2 Satz 1 StGB, „wenn zu erwarten ist, dass der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr begehen wird“, denn auch bei dieser strafvollstreckungsrechtlichen Entscheidung sowie bei der Erstellung eines Prognosegutachtens hierfür sind die begrenzte Zielsetzung der Unterbringung und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten (BayVGH, B.v. 10.10.2017 - 19 ZB 16.2636 - juris Rn. 21).

Mit einer strafrechtlichen Aussetzungsentscheidung entfällt damit ausländerrechtlich eine Wiederholungsgefahr nicht zwangsläufig. Das Verwaltungsgericht hat auf den Kläger bezogen eine Reihe von Faktoren aufgeführt, weshalb trotz des Gutachtens vom 2. Februar 2018, der Stellungnahme des Bezirkskrankenhauses vom 27. März 2018 und dem darauf beruhenden Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 4. April 2018 zur Aussetzung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ausländerrechtlich eine positive Gefahrenprognose beim Kläger noch nicht gerechtfertigt ist. Die in der Begründung des Zulassungsantrags dagegen vorgebrachten Einwände greifen nicht durch. Das Verwaltungsgericht weist zu Recht darauf hin, dass die beträchtlichen Schulden des Klägers in dem Gutachten und der Stellungnahme zur Sozialprognose nicht erwähnt werden. Die Schulden gegenüber der Staatskasse bestehen nach wie vor. Der Kläger hat zwar Einwände gegen die Höhe der Gerichtskosten erhoben, eine Stundung oder ein Erlass sind bislang aber nicht erfolgt. Mit der Anmietung einer eigenen Wohnung verstößt der Kläger jedenfalls gegen die Weisung nach § 68b Abs. 2 StGB in Nr. 6 b) des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer vom 4. April 2018. Zudem war gerade das Zusammenleben mit der langjährigen Partnerin, die keinen Suchtmittelmissbrauch betreibt, ein wesentlicher Faktor für die positive Prognose über den unterstützenden sozialen Empfangsraum, der jedenfalls deutlich an Gewicht verliert, wenn der Kläger nunmehr zeitweise bei seiner Tochter oder in der eigenen Wohnung lebt. Zutreffend weist das Verwaltungsgericht auch darauf hin, dass der erhebliche Alkoholkonsum, den der Kläger nach seinen eigenen Angaben mit 20 Jahren begonnen (1986) und bis zu seiner Inhaftierung im Jahr 2013 ununterbrochen fortgesetzt habe (bis zur Einreise nach Deutschland im Jahr 2003 sechs Halbe Bier und eine halbe Flasche Wodka, danach vier bis sechs Halbe Bier am Tag), im Beschluss vom 4. April 2018 zur Aussetzung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zur Bewährung vollkommen ausgeblendet wird, obwohl das Gutachten vom 2. Februar 2018 noch diesbezügliche Weisungen enthielt. Dies ist insofern problematisch, weil der Drogenkonsum und der übermäßige Alkoholgenuss beim Kläger in engem Zusammenhang standen. Zudem darf bei der Gefahrenprognose nicht außer Betracht bleiben, dass die Aussetzung der Maßregel zur Bewährung mit einer fünfjährigen Führungsaufsicht unter diversen strafbewehrten Weisungen verbunden ist. Insofern steht der Kläger unter einem strafbewehrten Legalbewährungsdruck und muss sich zudem einer ambulanten Suchttherapie und Blutkontrollen zur Überprüfung eines etwaigen Betäubungsmittelkonsums stellen (BayVGH, B.v. 10.10.2017 - 19 ZB 16.2336 - juris Rn. 35). Der Senat geht in ständiger Rechtsprechung (vgl. z.B. B.v. 2.1.2019 - 10 ZB 18.1638 - juris Rn. 6, B.v. 14.6.2018 - 10 ZB 18.794 - juris Rn. 6; B.v. 20.10.2017 - 10 ZB 17.993 - juris Rn. 6, B.v. 20.3.2018 - 10 ZB 17.2512 - Rn. 5) davon aus, dass von einem Fortfall der Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden kann, solange der Betroffene nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen und darüber hinaus die damit verbundene Erwartung künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat. Daran fehlt es hier, weil der Kläger zum einen noch unter dem Druck der Führungsaufsicht steht und zum anderen noch kein auseichend langer Zeitraum außerhalb des Maßregelvollzugs verstrichen ist, um beurteilen zu können, ob er tatsächlich den erforderlichen Einstellungswandel vollzogen hat. Insoweit fehlt es auch an einem hinreichend substantiierten Vorbringen im Zulassungsverfahren. Demgegenüber kommt der Einschätzung des Verwaltungsgerichts, der Kläger werde seine Tätigkeit bei dem Gartenbaubetrieb wegen der Entfernung und seiner anderweitigen beruflichen Pläne nicht fortsetzen und damit ein (weiterer) Faktor der günstigen Sozialprognose entfallen, keine entscheidende Bedeutung mehr zu. Es liegen anderweitig hinreichend gewichtige rechtliche und tatsächliche Gesichtspunkte vor, die die Indizwirkung der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts München I für die ausländerrechtliche Prognose zur Beurteilung der Wiederholungsgefahr entkräften.

An der Sache vorbei geht der Einwand des Klägers, aufgrund der fehlerhaften Ermittlung des Sachverhalts sei die Ermessensentscheidung der Beklagten fehlerhaft, das Verwaltungsgericht hätte sich der Einschätzung der Strafvollstreckungskammer hinsichtlich der Gefährdungsprognose auch im Ausweisungsrecht anschließen müssen. Denn bei dieser Prognoseentscheidung handelt es sich um keine Ermessensentscheidung. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht nach ständiger Rechtsprechung des Senats (z.B. B.v. 8.11.2017 - 10 ZB 16.2199 - juris Rn. 6 f.; B.v. 3.5.2017 - 10 ZB 15.2310 - juris Rn. 14) bei der gerichtlichen Überprüfung von spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen. Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt.

Soweit der Kläger meint, dass die Beziehungen zur Lebensgefährtin und zur Tochter nicht hinreichend berücksichtigt worden seien, auch wenn die Beklagte ihre „Ermessensentscheidung“ in der mündlichen Verhandlung ergänzt habe, genügt sein Vorbringen nicht den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO. Bei der nach § 53 Abs. 1 AufenthG zu treffenden Ausweisungsentscheidung, handelt es sich um keine Ermessensentscheidung, sondern um eine gerichtlich voll überprüfbare Abwägungsentscheidung (BVerwG, U.v. 22.2.2017 - 1 C 3.16 - juris Rn. 20 ff.) Der Kläger legt nicht substantiiert dar, aus welchen Gründen die zur Ausweisung führende Abwägungsentscheidung fehlerhaft sein sollte. Das Verwaltungsgericht führt aus, dass es von einer schützenswerten Beziehung zwischen dem Kläger und seiner erwachsenen Tochter ausgehe, dem Verhältnis von Eltern zu ihren erwachsenen Kindern aber in der Regel ein geringeres Gewicht beigemessen werde, da sie nicht auf den elterlichen Beistand angewiesen seien. Der Kläger habe hierzu nichts vorgetragen. An einem entsprechenden Vortrag fehlt es auch im Zulassungsverfahren. Die Beziehung zur Lebensgefährtin hat das Verwaltungsgericht trotz der spärlichen Kontakte in der Haft als gelebte Nähebeziehung gewertet, die bei der Abwägung zu berücksichtigen sei. Im Hinblick auf die bestehenden Bindungen in die Schweiz, die vom Kläger begangenen schwerwiegenden Straftaten und die noch bestehende Wiederholungsgefahr sowie die räumliche Nähe zur Schweiz geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass die Ausweisung trotz dieser Beziehung verhältnismäßig ist. Mit dieser Abwägungsentscheidung hat sich der Kläger im Zulassungsverfahren nicht ausreichend auseinandergesetzt.

Bezüglich des Einwands des Klägers, es bestehe schon keine Wiederholungsgefahr mehr, weil das Verwaltungsgericht das Abweichen von der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer von falschen Tatsachen abhängig gemacht habe, wird auf die Ausführungen oben verwiesen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und Abs. 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG.

Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 11. August 2017 weiter, mit dem er aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen wurde, die Abschiebung nach Afghanistan angeordnet bzw. bei nicht fristgerechter Ausreise nach Haftentlassung angedroht und die Wirkungen von Ausweisung und Abschiebung befristet wurden.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich weder die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.) noch ein Verfahrensmangel im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO (2.).

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestünden nur dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (vgl. BVerfG, B.v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 - 1 BvR 2453/12 - juris Rn. 16). Dies ist hier in Bezug auf die gegenüber dem Kläger erfolgte Ausweisung nicht der Fall.

a) Das Verwaltungsgericht hat die Ausweisung des Klägers als rechtmäßig erachtet, weil sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährde und das öffentliche Interesse an der Ausweisung das Interesse des Klägers am Verbleib in der Bundesrepublik Deutschland überwiege. Das Gericht gelangte zu der Überzeugung, dass vom Kläger eine erhebliche Wiederholungsgefahr ausgehe, da er keine bzw. nur eingeschränkt Einsicht in seine Taten zeige, deren Aufarbeitung bislang unterblieben sei. Unabhängig davon sei der Kläger bereits kurz nach seiner Einreise und im Folgenden wiederholt polizeilich wegen Übergriffe auf die körperliche Unversehrtheit seiner damaligen Ehefrau und Dritter in Erscheinung getreten, auch wenn es diesbezüglich zu keiner Verurteilung gekommen sei. Die bislang erfolgten Therapiebestrebungen des Klägers änderten nichts an der Einschätzung der Wiederholungsgefahr. Es sei auch nicht zu erwarten, dass der Kläger in ein stabiles soziales Umfeld zurückkehre, sondern von seinem sozialen Empfangsraum in seiner frauenfeindlichen Haltung eher noch bestärkt werde. So sei ein Schwager, der Bruder der geschiedenen Ehefrau, Mittäter einer Straftat des Klägers gewesen. Seine Schwiegereltern hätten den Kontakt zu ihrer Tochter abgebrochen, würden aber den Kläger willkommen heißen. Das Ausweisungsinteresse wiege schwer. Das in den Taten zu Tage getretene Aggressionspotential sei enorm. Das diesen zugrundeliegende Frauenbild könne nicht akzeptiert werden und rechtfertige die Ausweisung selbst dann, wenn zugunsten des Klägers angenommen werde, dass seine Kinder zu ihrem Wohl auf die Aufrechterhaltung der Beziehung zum Kläger angewiesen wären, wobei hiervon aufgrund der Angaben des Klägers und der Stellungnahmen der eingebundenen Fachbehörden ohnehin nicht auszugehen sei. Auch die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen führten zu keinem anderen Abwägungsergebnis; von einer erfolgreichen wirtschaftlichen Integration könne beim Kläger nicht gesprochen werden. Die Befristungsentscheidung erweise sich als ermessensfehlerfrei.

b) Demgegenüber macht der Kläger im Berufungszulassungsverfahren geltend, dass die vom Verwaltungsgericht getroffene Prognoseentscheidung rechtsfehlerhaft sei. Außer der Verurteilung durch das Landgericht München I vom 16. März 2017 lägen keine weiteren, vorangegangenen Verurteilungen vor. Mittlerweile habe die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Augsburg mit Beschluss vom 18. Juli 2018 den Kläger auf Bewährung aus der Haft entlassen. Die Bewährungszeit sei auf drei Jahre festgesetzt worden. Dem Beschluss liege ein forensisch-psychiatrisches Gutachten vom 30. Juni 2018 zugrunde, das zur Einschätzung gelangt sei, dass beim Kläger eine relativ geringe Gefahr des Fortbestehens der durch die Tat zu Tage getretenen Gefährlichkeit vorliege. Ferner habe der Kläger mittlerweile erfolgreich eine Gewalt-Präventions-Therapie abgeschlossen. Im Übrigen bestünden Zweifel an der Integrität der geschiedenen Ehefrau des Klägers, was zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen sie geführt habe. Rechtsfehlerhaft habe das Verwaltungsgericht angenommen, dass die Beziehung des Klägers zu seinen Kindern letztlich unbeachtlich sei. Ergänzend wies der Kläger darauf hin, dass er sich um Kontakt zu seinen Kindern bemühe, an einem Job-Coaching teilgenommen habe und aus Sicht des Bewährungshelfers kein Bedarf für eine weiterführende Interventionsmaßnahme bestehe, da er die Rückfallwahrscheinlichkeit als eher gering einschätze. Der Kläger zeige eine hohe Motivation zur künftig straffreien Lebensführung. Er habe sich zu einem Elternseminar angemeldet. Ferner legte er seine (aktuellen) wirtschaftlichen Verhältnisse dar.

c) Mit diesem Vorbringen hat der Kläger die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Ausweisung sei rechtmäßig, im Ergebnis nicht ernsthaft im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO in Zweifel gezogen.

Die Beurteilung, ob ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO vorliegt, richtet sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts. Eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ist - sofern es wie vorliegend nach dem materiellen Recht auf den Entscheidungszeitpunkt ankommt - daher zu berücksichtigen. Die Änderung der Sach- und Rechtslage ist allerdings grundsätzlich nur in dem durch die Darlegung des Rechtsmittelführers vorgegebenen Prüfungsrahmen relevant (Seibert in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Auflage 2018, § 124a Rn. 256 f.; vgl. auch BVerwG, B.v. 15.12.2003 - 7 AV 2.03 - NVwZ 2004, 744).

Entgegen den Ausführungen in der Zulassungsbegründung und auch unter Berücksichtigung der seit dem erstinstanzlichen Urteil eingetretenen Entwicklungen ist unter Anwendung des § 53 Abs. 1 AufenthG weiterhin davon auszugehen, dass sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung und sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet. Der Kläger hat diese Annahme in seiner Zulassungsbegründung nicht durchgreifend in Frage gestellt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 18). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BayVGH, U.v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 33 m.w.N.). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (stRspr; vgl. z.B. BayVGH, U.v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 34; BVerwG, U.v. 4.10.2012 - 1 C 13.11 - juris Rn. 18). Auch der Rang des bedrohten Rechtsguts ist dabei zu berücksichtigen; an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit dürfen andererseits keine zu geringen Anforderungen gestellt werden (vgl. BayVGH, B.v. 4.4.2017 - 10 ZB 15.2062 - juris Rn. 14; B.v. 22.11.2016 - 10 CS 16.2215 - juris Rn. 6).

Einer Strafaussetzungsentscheidung der Strafvollstreckungskammer - und gegebenenfalls den dieser zugrunde liegenden Gutachten und sonstigen Stellungnahmen, etwa der Justizvollzugsanstalt oder der Therapieeinrichtung - kommt zwar eine erhebliche indizielle Bedeutung zu. Die Ausländerbehörde und die Verwaltungsgerichte sind für die Frage der Beurteilung der Wiederholungsgefahr daran aber nicht gebunden; dabei bedarf es jedoch einer substantiierten Begründung, wenn von der strafgerichtlichen Entscheidung abgewichen wird (BVerfG, B.v. 19.10.2016 - 2 BvR 1943/16 - juris Rn. 21). Hier ist zu berücksichtigen, dass vorzeitige Haftentlassung und Ausweisung unterschiedliche Zwecke verfolgen und deshalb unterschiedlichen Regeln unterliegen: Bei Aussetzungsentscheidungen nach § 57 StGB geht es um die Frage, ob die Wiedereingliederung eines in Haft befindlichen Straftäters weiter im Vollzug stattfinden muss oder durch vorzeitige Entlassung für die Dauer der Bewährungszeit ggf. unter Auflagen „offen“ inmitten der Gesellschaft verantwortet werden kann. Bei dieser Entscheidung stehen naturgemäß vor allem Resozialisierungsgesichtspunkte im Vordergrund; zu ermitteln ist, ob der Täter das Potenzial hat, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen. Demgegenüber geht es bei der Ausweisung um die Frage, ob das Risiko eines Misslingens der Resozialisierung von der deutschen Gesellschaft oder von der Gesellschaft im Heimatstaat des Ausländers getragen werden muss. Die der Ausweisung zu Grunde liegende Prognoseentscheidung bezieht sich folglich nicht nur auf die Dauer der Bewährungszeit, sondern hat einen längeren Zeithorizont in den Blick zu nehmen. Denn es geht hier um die Beurteilung, ob es dem Ausländer gelingen wird, über die Bewährungszeit hinaus ein straffreies Leben zu führen. Bei dieser längerfristigen Prognose kommt dem Verhalten des Ausländers während der Haft und nach einer vorzeitigen Haftentlassung zwar erhebliches tatsächliches Gewicht zu. Dies hat aber nicht zur Folge, dass mit einer strafrechtlichen Aussetzungsentscheidung ausländerrechtlich eine Wiederholungsgefahr zwangsläufig oder zumindest regelmäßig entfällt. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Täter im entscheidungserheblichen Zeitpunkt auf tatsächlich vorhandene Integrationsfaktoren verweisen kann; das Potenzial, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen, ist nur ein solcher Faktor, genügt aber für sich genommen nicht (BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 10 C 10.12 - juris Rn. 19; BayVGH, B.v. 6.6.2017 - 10 ZB 17.588 - juris Rn. 5; B.v. 4.4.2017 - 10 ZB 15.2062 - juris Rn. 20 f.; B.v. 7.2.2018 - 10 ZB 17.1386 - juris Rn. 9).

Gemessen hieran spricht zwar zugunsten des Klägers neben der Teilnahme an einer Gewalt-Präventions-Therapie, dass auf der Grundlage des forensisch-psycholo-gischen Sachverständigengutachtens vom 30. Juni 2018 die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 18. Juli 2018 die weitere Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt hat; der Kläger wurde am 19. Juli 2018 aus der Haft entlassen. Auch bemühte er sich in der Folgezeit darum, die Voraussetzungen für eine Wiederherstellung des Kontakts zu seinen Kindern zu schaffen und nahm Angebote der Beruflichen Fortbildungszentren der Bayerischen Wirtschaft wahr. Die Bewährungshilfe sieht aktuell keinen Bedarf einer weiterführenden Interventionsmaßnahme und bescheinigte dem Kläger in der aktuellsten Stellungnahme eine hohe Motivation zur künftig straffreien Lebensführung.

Gleichwohl kann auch unter Berücksichtigung der positiven Entwicklungen (noch) nicht der Schluss gezogen werden, dass damit die vom Kläger ausgehende Gefahr soweit entfallen ist, dass dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung bzw. sonstige erhebliche Interessen des Bundesrepublik Deutschland nicht mehr gefährdet. Im Rahmen der längerfristig anzulegenden Prognose fällt zur Überzeugung des Senats (§ 108 Abs. 1 VwGO) die Beurteilung, ob es dem Kläger gelingen wird, über die Bewährungszeit hinaus ein straffreies Leben zu führen, derzeit negativ aus.

Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass der Kläger erst vor wenigen Monaten aus der Haft entlassen wurde und damit noch ganz am Anfang der vom Strafvollstreckungsgericht festgesetzten Bewährungszeit von drei Jahren steht. Das Strafvollstreckungsgericht hält u.a. die Weisungen für erforderlich, wonach sich der Kläger unverzüglich nach der Entlassung an die Bewährungshilfe zur Weiter- und Durchführung eines Gewaltpräventionsprogramms wendet und sich monatlich bei der Bewährungshilfe meldet. Der Umgang mit seinen drei Kindern darf nur nach den Vorgaben der festgelegten Umgangsregelung erfolgen. Bereits hieraus ergibt sich, dass eine relevante Rückfallgefahr keineswegs zu verneinen ist, sondern es lediglich als verantwortbar erachtet wird, zu erproben, ob der Kläger sich künftig straffrei führen wird. Ferner sind auch dem forensisch-psychologischen Sachverständigengutachten weiterhin Tendenzen des Klägers zu entnehmen, wonach er nur bedingt Einsicht in seine Taten zeigt. Dies war für das Erstgericht mitunter maßgeblich für die Annahme einer erheblichen Wiederholungsgefahr (s. UA S. 22 ff.). So wird von ihm auch jetzt noch bestritten, dass er gegenüber der Ehefrau - gemeint ist wohl vor der Trennung im September 2014 - gewalttätig gewesen sei (S. 21 des Gutachtens). Die Angaben zum Schuldvorwurf (S. 22-27 des Gutachtens) sind teils ausweichend bzw. verharmlosend („weiß nicht, was danach gewesen ist“, „das könne durchaus sein […] erinnert er nicht“). Mehrere konkrete Tatumstände der jeweiligen Anlasstaten werden erst auf entsprechende Vorhalte eingeräumt. Im Rahmen des Persönlichkeitsquerschnitts gelangte der Gutachter folglich zur Einschätzung, dass der Kläger bemüht gewesen sei, „seine Erfahrungen und seine Auffassung darzustellen, wobei er das Tatgeschehen sicher etwas aus seiner subjektiven Sichtweise, wenn auch nicht ganz unplausibel dargestellt hat, zumindest mit authentisch bedauerndem, und auch nicht übertreiben wirkendem Tonfall ohne dramatisierende Komponente“. Was den eigentlichen Tatablauf angehe, schildere er ihn jetzt analog der Verurteilung, bestreite aber weiterhin, dass es im Vorfeld zu Aggressionshandlungen gekommen sei (S. 39 des Gutachtens). Dies widerspricht jedenfalls den tatsächlichen Feststellungen, wie sie der vorliegenden Aktenlage zu entnehmen ist (s. bspw. Urteil des Amtsgerichts München, Schöffengericht, v. 13.12.2016, S. 18, Bl. 544 der Behördenakte; Stellungnahme der ambulanten Jugendhilfe v. 23.2.2014, Bl. 503 f. der Behördenakte; Stellungnahme Kriminalfachdezernat 2 München v. 8.6.2015, Bl. 505 ff. der Behördenakten).

Auffällig ist zudem, dass der Kläger hinsichtlich des zweiten Tatkomplexes seine Handlungen damit erklärte, dass es „sein Ziel“ gewesen sei, dass seine Ehefrau „quasi durch seine Augen sieht und ihre Schuld erkennt“ (S. 25 des Gutachtens). In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass das Erstgericht die Wiederholungsgefahr wegen der unbearbeiteten Gewaltproblematik gerade auch an dem sozialen Empfangsraum, in den Kläger nach seiner Haftentlassung voraussichtlich zurückkehren wird und der ihn in seiner frauenfeindlichen Gesinnung eher noch bestärkt, festgemacht hat. Der Gutachter geht ebenfalls davon aus, dass „eine gewisse Handlungsweise unter Gruppendruck gerade (…) bei soziokulturell sozial-mental streng tradierten Normen mehr als denkbar“ ist (S. 58 des Gutachtens) und der Kläger genügend soziale Bindungen zur Großfamilie habe (S. 63 des Gutachtens). Dass der Kläger sein bei den Straftaten zu Tage getretenes und auf tradierte Denkweisen beruhendes Frauen- und Familienbild (nachhaltig) geändert hätte, lässt sich den Ausführungen des Gutachters nicht entnehmen. Auch wenn dieser in Bezug auf Einsicht und Motivation dem Kläger eine aussichtsvolle postdeliktische Persönlichkeitsentwicklung bescheinigt und ihn „als ausreichend günstig jedenfalls für eine Entlassung“ einstuft, so nimmt er dennoch eine Rückfallwahrscheinlichkeit von acht bzw. zehn Prozent nach sieben bzw. zehn Jahren an. Die vom Gutachter zu erwartende „rasche“ berufliche Integration des Klägers (S. 64 des Gutachtens), auf die die Strafvollstreckungskammer ihre Entscheidung mit abstellte, ist ebenfalls noch nicht eingetreten.

Inwiefern die in der Zulassungsbegründung geltend gemachten Zweifel an der Integrität der geschiedenen Ehefrau ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO begründen sollten, ist ebenfalls nicht ersichtlich.

Schließlich kann der Kläger auch mit dem Einwand, dass neben der bisherigen Straffreiheit, den Zweifeln an der Integrität der Kindsmutter und der fehlenden Wiederholungsgefahr wegen der nicht „umkehrbaren, schweren Beeinträchtigung der Beziehung des Klägers zu seinen Kindern“ ein überwiegendes Bleibeinteresse des Klägers aus Art. 6 GG und Art. 8 EMRK abzuleiten sei und das Verwaltungsgericht rechtfehlerhaft die vorgenannten Belange nicht abgewogen habe, nicht durchdringen. Entgegen dem Vorbringen hat das Gericht die Bindungen des Klägers eingehend gewürdigt und sogar zu seinen Gunsten ein inniges Verhältnis zu seinen Kindern vor der Inhaftierung unterstellt (s. UA S. 27, 29). Das Verwaltungsgericht hat allerdings nachvollziehbar dargelegt, weshalb es zu der Auffassung gelangte, dass die Kinder nicht zu ihrem Wohl auf die Aufrechterhaltung der persönlichen Verbundenheit zum Kläger angewiesen sind (s. UA S. 30 f.). Dem ist der Kläger mit seinem Zulassungsvorbringen nicht bzw. nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten. Vielmehr besteht nach dem insoweit unbestrittenen Vortrag der Beklagten derzeit kein Umgang mit den Kindern, auch wenn sich der Kläger um eine Wiederherstellung des Kontakts bemüht.

d) Unabhängig davon bestehen auch deswegen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts, weil sich die Ausweisung jedenfalls aufgrund ihrer auch generalpräventiven Zielsetzung als rechtmäßig erweist. Zu den generalpräventiven Begründungselementen der Ausweisungsentscheidung verhält sich das Zulassungsvorbringen nicht, obwohl die Beklagte zur Begründung des Ausweisungsinteresses neben spezialpräventiven auch generalpräventive Belange herangezogen hat (s. Bescheid S. 12). Das Verwaltungsgericht hat hierauf gemäß § 117 Abs. 5 VwGO Bezug genommen und zudem generalpräventive Aspekte bei seiner Entscheidung (s. UA S. 27, 29) eingestellt. Mit dem Bundesverwaltungsgericht (vgl. U.v. 12.7.2018 - 1 C 16.17 - juris Rn. 16 ff.) ist davon auszugehen, dass auch allein generalpräventive Gründe ein Ausweisungsinteresse begründen können. Nach den Ausführungen des Amtsgerichts - Schöffengericht - München im Urteil vom 13. Dezember 2016 waren die Gewalttaten des Klägers gegenüber seiner damaligen Ehefrau von seinen kulturell bedingten Vorstellungen, wie sich Frauen zu verhalten haben und wie auf deren „Verfehlungen“ zu reagieren sei (s. Bl. 543, 546 f. der Behördenakte), getragen. Die bei den Anlasstaten zu Tage getretenen Denkweisen weisen nicht derartig singuläre Züge auf, dass die an sie anknüpfende Ausweisung keine abschreckende Wirkung entfalten könnte. Angesichts der Schwere der Taten und auch aus integrationspolitischen Erwägungen besteht ein hohes öffentliches Interesse für eine ordnungsrechtliche Prävention. Schließlich ist das generalpräventive Ausweisungsinteresse gemessen an den vom Bundesverwaltungsgericht in der vorgenannten Entscheidung aufgestellten Maßstäben (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2018 - 1 C 16.17 - juris Rn. 23) zum maßgeblichen Zeitpunkt noch aktuell; die absolute Verjährungsfrist bei der vom Kläger u.a. begangenen gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 StGB beträgt zwanzig Jahre (§ 78 Abs. 3 Nr. 3, § 78 Abs. 3 Satz 2 StGB). Demzufolge bestehen im Hinblick auf das (auch) generalpräventiv zu begründende Ausweisungsinteresse jedenfalls keine ernstlichen Zweifel am Ergebnis der Entscheidung.

2. Der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO liegt ebenfalls nicht vor bzw. ist schon nicht hinreichend dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).

a) Eine Aufklärungsrüge nach § 86 Abs. 1 VwGO, wie sie der Kläger u.a. erhoben hat, setzt die Darlegung voraus, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts ermittlungsbedürftig gewesen wären, welche Beweismittel zur Verfügung gestanden hätten und welche tatsächlichen Feststellungen bei der Durchführung der vermissten Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären (BVerwG, B.v. 8.7.2009 - 4 BN 12.09 - juris Rn. 7).

Der Kläger trägt insoweit vor, dass präsente Zeugen Auskunft über die Beziehung des Klägers zu seinen Kindern vor seiner Inhaftierung hätten geben können. Das Verwaltungsgericht hat in Bezug auf das Verhältnis des Klägers zu seinen Kindern dessen Vortrag zu seinen Gunsten unterstellt (s. UA S. 29 f.) und damit seiner Erörterung und Bewertung zugrunde gelegt. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, inwiefern der klägerische Sachvortrag unrichtig oder unvollständig gewesen sein sollte, so dass sich insoweit eine weitere Sachverhaltsaufklärung durch das Gericht aufgedrängt hätte. Die Aufklärungspflicht verlangt nicht, dass das Gericht - aus seiner Sicht unnötige - Ermittlungen anstellt, deren Ergebnis nach seinem materiellrechtlichen Rechtsstandpunkt für den Ausgang des Rechtsstreits unerheblich ist (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 5.8.2004 - 6 B 31.04 - juris Rn. 6; B.v. 13.9.2016 - 6 B 12.16 - juris Rn. 8 m.w.N.). Soweit der Kläger der Sache nach geltend macht, das Erstgericht hätte sich die rechtliche Auffassung des Klägers zu Eigen machen müssen, verkennt er, dass Rechtsfragen grundsätzlich einer Aufklärungsrüge nicht zugänglich sind, weil der Untersuchungsgrundsatz gemäß § 86 VwGO nur für die Ermittlung und Bewertung von Tatsachen gilt (vgl. Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 19. Aufl. 2019, § 86 Rn. 28).

b) Auch im Übrigen lässt die Würdigung des Tatsachenstoffes durch das Verwaltungsgericht einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz nicht erkennen. Das Gericht darf nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO zur Überzeugungsbildung die ihm vorliegenden Tatsachen und Beweise frei würdigen. Die Einhaltung der verfahrensrechtlichen Grenzen zulässiger Sachverhalts- und Beweiswürdigung ist deshalb nicht schon dann in Frage gestellt, wenn ein Beteiligter das vorliegende Tatsachenmaterial anders würdigt oder aus ihm andere Schlüsse ziehen will als das Gericht. Diese Grenzen sind erst dann überschritten, wenn es nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen annimmt, oder wenn die von ihm gezogenen tatsächlichen Schlussfolgerungen gegen die Denkgesetze verstoßen (vgl. BVerwG, B.v. 9.6.2015 - 6 B 59.14 - juris Rn. 53). Anhaltspunkte hierfür hat der Kläger mit der Zulassungsbegründung nicht aufgezeigt.

c) Schließlich sind auch darüber hinaus keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Verfahrensmangels etwa unter dem Aspekt der Verletzung des rechtlichen Gehörs wegen der Ablehnung des in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrages (§ 86 Abs. 2 VwGO) ersichtlich.

Die Ablehnung eines Beweisantrags nach § 86 Abs. 2 VwGO verstößt gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (BVerwG, B.v. 10.8.2015 - 5 B 48.15 - juris Rn. 10; B.v. 8.3.2006 - 1 B 84.05 - juris Rn. 7), das heißt ein Beweisantrag in willkürlicher Weise als unerheblich qualifiziert wird. Willkürlich ist ein Richterspruch, wenn er unter keinem denkbaren Ansatz rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht (stRspr, vgl. z.B. BayVGH, B.v. 23.1.2018 - 10 ZB 17.31099 - juris Rn. 3 m.w.N.; B.v. 11.9.2018 - 10 ZB 18.437 - juris Rn. 19).

Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen des Klägers schon deswegen nicht, weil er den Verfahrensmangel in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nicht konkret bezeichnet hat (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 124a Rn. 74; Roth in BeckOK, Posser/Wolf, VwGO, Stand 1.10.2018, § 124a Rn. 79 f.). Jedenfalls vermochte der Kläger mit seinem Zulassungsvorbringen nicht darzulegen, dass die Ablehnung seines Beweisantrags als für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts unerheblich im Prozessrecht keine Stütze findet. Denn das Verwaltungsgericht durfte den gestellten Beweisantrag wegen fehlender Entscheidungserheblichkeit ablehnen, weil es nach seiner maßgeblichen materiellen Rechtsauffassung davon ausgehen konnte, dass im Fall des Klägers ein überwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 1a. AufenthG selbst dann besteht, wenn er bis zu seiner Inhaftierung eine innige und gute Beziehung zu seinen Kindern gehabt und sich um sie gekümmert hätte.

Die Kostenentscheidung folgt nach alledem aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(1) Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.

(2) Ein in der mündlichen Verhandlung gestellter Beweisantrag kann nur durch einen Gerichtsbeschluß, der zu begründen ist, abgelehnt werden.

(3) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende tatsächliche Angaben ergänzt, ferner alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.

(4) Die Beteiligten sollen zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung Schriftsätze einreichen. Hierzu kann sie der Vorsitzende unter Fristsetzung auffordern. Die Schriftsätze sind den Beteiligten von Amts wegen zu übermitteln.

(5) Den Schriftsätzen sind die Urkunden oder elektronischen Dokumente, auf die Bezug genommen wird, in Abschrift ganz oder im Auszug beizufügen. Sind die Urkunden dem Gegner bereits bekannt oder sehr umfangreich, so genügt die genaue Bezeichnung mit dem Anerbieten, Einsicht bei Gericht zu gewähren.

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 1. März 2018 weiter, mit dem er aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen, das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf sechs Jahre befristet und seine Abschiebung in die Türkei angeordnet bzw. bei nicht fristgerechter Ausreise nach Haftentlassung angedroht und sein Antrag auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis abgelehnt wurde.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich nicht die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.). Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO; 2.).

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11; BVerfG, B.v. 9.6.2016 - 1 BvR 2453/12 - juris Rn. 16). Dies ist jedoch nicht der Fall.

1.1 Seine Einwendungen gegen die durch das Verwaltungsgericht vorgenommene Gefahrenprognose greifen nicht durch.

Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass der Kläger seit 2013 mehrfach straffällig geworden ist. Anlasstat für die Ausweisung sei die Verurteilung zu Freiheitsstrafen wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in Höhe von drei Jahren und neun Monaten und drei Jahren und fünf Monaten. Er sei Wiederholungstäter und Bewährungsversager. Erschwerend komme hinzu, dass er an einer narzisstischen Persönlichkeitsproblematik mit einer dissozialen Entwicklung leide, die zusammen mit Alkohol und Drogen ursächlich für die Straftaten mit einer massiven Steigerung der Aggressivität gewesen sei. Der therapiebedürftige Kläger sei bislang nicht therapiert. Die Therapie solle erst im November 2018 beginnen. Nicht entscheidend sei daher, dass der Kläger sich bislang im Strafvollzug unauffällig verhalten, eine Einzeltherapie (Anti-Gewalt-Training) begonnen und Kontakt zur externen Suchtberatung gehalten habe.

Der Kläger führt demgegenüber aus, das Verwaltungsgericht habe den Fortschritt, den er in der Haft gemacht habe, verkannt. Er habe den Mittelschulabschluss als Jahrgangsbester nachgeholt; das zeige, dass ein Einstellungswandel eingetreten sei. Das Gericht habe daher nicht ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens feststellen können, ob vom Kläger noch eine Wiederholungsgefahr ausgehe. Aus dem Schreiben der externen Suchtberatung vom 10. Juli 2018 und dem Schreiben der Sozialarbeiterin der Justizvollzugsanstalt vom 14. August 2018 ergebe sich, dass eine solche nicht mehr bestehe.

Damit hat der Kläger die Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts jedoch nicht ernsthaft im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO in Zweifel gezogen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats (z.B. B.v. 8.11.2017 - 10 ZB 16.2199 - juris Rn. 6 f.; B.v. 3.5.2017 - 10 ZB 15.2310 - juris Rn. 14) haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen. Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Auch der Rang des bedrohten Rechtsguts ist dabei zu berücksichtigen; an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit dürfen andererseits keine zu geringen Anforderungen gestellt werden. Bei Straftaten, die auf einer (Sucht-)Erkrankung des Ausländers beruhen, kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs von einem Wegfall der für die Ausweisung erforderlichen Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer eine erforderliche Therapie nicht erfolgreich abgeschlossen hat und die damit verbundene Erwartung eines künftig straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat (siehe z.B. BayVGH, B.v. 7.11.2016 - 10 ZB 16.1437 - juris Rn. 7; BayVGH, U.v. 3.2.2015 - 10 B 14.1613 - juris Rn. 32 m.w.N.). Denn solange sich der Ausländer nicht außerhalb des Straf- bzw. Maßregelvollzugs bewährt hat, kann nicht mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauerhaften Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung geschlossen werden, die ein Entfallen der Wiederholungsgefahr rechtfertigen würde (BavVGH, B.v. 13.10.2017 - 10 ZB 17.1469 - juris Rn. 12; B.v. 6.5.2015 - 10 ZB 15.231 - juris Rn. 11).

Das Landgericht Augsburg hat in seinem Urteil vom 26. September 2017 die Unterbringung des Klägers in einer Entziehungsanstalt wegen Substanzmissbrauchs (Alkohol und Drogen) nach § 64 StGB nach der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten angeordnet. Grundlage für die Anordnung war das Gutachten des Sachverständigen Dr. G. vom 10. August 2017. Ein Behandlungserfolg sei nach zwei Jahren zu erwarten. Zugleich solle auch eine Sozialtherapie zur Senkung der Gewaltbereitschaft des Klägers durchgeführt werden. Schon daraus ergibt sich bereits, dass die Kontakte zur externen Suchtberatung und eine acht Stunden umfassende Anti-Aggressions-Therapie nicht ausreichen, um die Sucht- und Verhaltensproblematik des Klägers auch nur annähernd in Griff zu bekommen und die Gefahr der Begehung weiterer gravierender Gewaltstraftaten zu mindern. Auch nach Auffassung der Sozialarbeiterin der Justizvollzugsanstalt (Aktenvermerk vom 14. August 2018) ist der Kläger „angehalten, seine Gewaltproblematik noch einmal im Rahmen der Unterbringung in der Entziehungsanstalt zu bearbeiten“. Eine Bescheinigung, wonach von ihm „nach Abschluss des Trainings im November 2018 keine Gefährdung der Gesellschaft mehr ausgehe“ - wie er im Zulassungsverfahren vorträgt - stellt dieser Aktenvermerk nicht dar. Genauso verhält es sich mit der Bescheinigung der externen Suchtberatung vom 10. Juli 2018, die lediglich feststellt, dass der Kläger engagiert mitarbeite und sehr motiviert wirke, die Therapie nach § 64 StGB, die sein Rückfallrisiko nicht nur in Bezug auf die Sucht, sondern auch die Delinquenz deutlich vermindern könne, erfolgreich abzuschließen. Der in der Haft erzielte erfolgreiche Schulabschluss lässt keine Rückschlüsse auf ein Entfallen der durch die Suchtmittel- und Verhaltensproblematik begründeten Wiederholungsgefahr zu.

Das Verwaltungsgericht war auch nicht verpflichtet, zur Verifizierung der Gefahrenprognose ein Sachverständigengutachten einzuholen. Bezüglich der gerügten unterlassenen Einholung eines Sachverständigengutachtens kann sich der Kläger sowohl auf den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils, wenn das Verwaltungsgericht den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt und daher auf einer fehlerhaften Tatsachengrundlage entschieden hat, als auch auf den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO berufen. Eine Zulassung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt aber nur in Betracht, wenn auch eine entsprechende Verfahrensrüge zur Zulassung führen würde (Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Mai 2018, § 124 Rn. 26g). Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Eine Verletzung des § 86 Abs. 2 VwGO scheidet bereits deshalb aus, weil der Kläger im verwaltungsgerichtlichen Verfahren keinen entsprechenden Beweisantrag gestellt hat. Für die erfolgreiche Geltendmachung einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht aus § 86 Abs. 1 VwGO bedarf es der Darlegung, dass sich dem Verwaltungsgericht die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage, ob vom Kläger derzeit noch die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten ausgeht, hätte aufdrängen müssen. Bei der Prognoseentscheidung zur Wiederholungsgefahr bewegt sich das Gericht regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen, die Gerichten allgemein zugänglich sind. Die Frage der Wiederholungsgefahr nach strafrechtlichen Verurteilungen kann daher grundsätzlich von den Gerichten ohne Zuziehung eines Sachverständigen beurteilt werden (stRspr des Senats: BayVGH, B.v. 8.11.2017 - 10 ZB 16.2199 - juris Rn. 7; B.v. 13.10.2017 - 10 ZB 17.1469 - juris Rn. 11; B.v. 18.3.2015 - 1 C 14.2655 - juris Rn. 22 m.w.N.;). Nur ausnahmsweise bedarf es der Zuziehung eines Sachverständigen, wenn die Prognose aufgrund besonderer Umstände - etwa bei der Beurteilung psychischer Erkrankungen - nicht ohne spezielle fachliche Kenntnisse erstellt werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 4.10.2012 - 1 C 13.11 - juris Rn. 5). Im Übrigen kann auch ein Sachverständigengutachten die Prognoseentscheidung des Tatrichters nicht ersetzen, sondern nur Hilfestellung bieten (BVerwG, U.v. 13.3.2009 - 1 B 20.08 - juris Rn. 5). Anhaltspunkte dafür, dass im Fall des Klägers die Prognoseentscheidung nicht ohne Sachverständigengutachten hätte getroffen werden können, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Verweis auf einen durch den nachgeholten Mittelschulabschluss unter Beweis gestellten Einstellungswandel reicht insoweit nicht aus.

Der Kläger hat auch die Auffassung des Verwaltungsgerichts, unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls überwiege das öffentliche Ausweisungsinteresse sein Bleibeinteresse deutlich, nicht mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt. Das gilt sowohl hinsichtlich der angeblich fehlenden türkischen Sprachkenntnisse als auch der Beziehung zu seiner Lebensgefährtin und seiner Tochter.

Das Verwaltungsgericht hat seine Abwägungsentscheidung u.a darauf gestützt, dass der Kläger türkisch sprechen und schreiben könne und noch Beziehungen in die Türkei habe, er zu seiner Tochter noch nie einen persönlichen Kontakt gehabt und auch keinen Unterhalt gezahlt habe und die Beziehung zur Verlobten nicht dem Schutzbereich des Art. 6 GG unterfalle. Demgegenüber gehe vom Kläger wegen der notwendigen, aber nicht abgeschlossenen Therapie eine erhebliche Wiederholungsgefahr aus.

Aus den bei den Verwaltungs- und Gerichtsakten befindlichen Unterlagen ergibt sich, dass der Kläger mündliche und schriftliche Kenntnisse der türkischen Sprache besitzt. Im Bericht der Justizvollzugsanstalt vom 17. Mai 2018 (Bl. 94 VG-Akte) ist festgehalten, dass er bei seinem Zugang in die Justizvollzugsanstalt angegeben hat, dass er der deutschen und türkischen Sprache mächtig sei. Das entspricht auch der Äußerung seiner Mutter, die gegenüber der Ausländerbehörde die türkischen Sprachkenntnisse des Klägers bestätigt hat (Bl. 380 ff. Ausländerakte). Die Angaben der Mutter sind auch schlüssig, weil sie ausweislich des Vermerks des Sachbearbeiters der Ausländerbehörde so schlecht deutsch spricht, dass die Befragung nur durchgeführt werden konnte, weil die Schwester des Klägers als Dolmetscherin fungierte. Demzufolge muss auch der Kläger in der Lage sein, mit seiner Mutter türkisch zu sprechen, um mit ihr zu kommunizieren.

Eine schutzwürdige Beziehung zu seiner Tochter hat der Kläger nicht aufgebaut. Unstreitig besteht zwischen ihm und dem Kind kein persönlicher oder schriftlicher Kontakt. Alleine das Bestehen eines Umgangsrechts reicht nicht aus, um eine nach Art. 6 GG schutzwürdige Beziehung anzunehmen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist zu berücksichtigen, dass Art. 6 GG keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt gewährt und allein aufgrund formal-rechtlicher Bindungen keine ausländerrechtlichen Schutzwirkungen entfaltet (vgl. BVerfG, B.v. 1.12.2008 - 2 BvR 1830/08 - juris). Selbst gewichtige familiäre Belange setzen sich nicht stets gegenüber gegenläufigen öffentlichen Interessen durch. Es ist zu würdigen, in welcher Form die Elternverantwortung ausgeübt wird und welche Folgen eine endgültige oder vorübergehende Trennung für eine gelebte Eltern-Kind-Beziehung und das Kindeswohl hätte (vgl. BVerfG, B.v. 5.6.2013 - 2 BvR 586/13 - NVwZ 2013, 1207). Eine gelebte Eltern-Kind-Beziehung zwischen dem Kläger und seinem Kind bestand nie. Das Zulassungsvorbringen zur behaupteten Unzumutbarkeit, die Beziehung über Besuche im Ausland aufrecht zu erhalten, geht daher an der Sache vorbei. Da der Kläger bislang keine Unterhaltszahlungen für sein Kind geleistet hat, zieht seine Ausweisung aus dem Bundesgebiet nicht einmal finanzielle Nachteile für seine Tochter nach sich.

Die Beziehung zu seiner Verlobten hat das Verwaltungsgericht bei seiner Abwägungsentscheidung berücksichtigt, sie aber als nicht wesentlich ins Gewicht fallend eingeordnet, weil die Eheschließung noch nicht unmittelbar bevorsteht, die Verlobten auch vor der Inhaftierung des Klägers nicht zusammengewohnt haben, er seine Verlobte nicht finanziell unterstützt hat und der Kontakt durch Besuche und Telefonate aufrecht erhalten werden kann. Dieser Bewertung ist der Kläger mit seinem Zulassungsvorbringen nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten. Insbesondere begründet ein Verlöbnis noch keinen Rückkehranspruch in das Bundesgebiet. Auch die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur mangelnden nachhaltigen Integration in den deutschen Arbeitsmarkt hat der Kläger nicht substantiiert in Frage gestellt.

Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts fällt erheblich ins Gewicht, dass der Kläger im Bundesgebiet geboren und aufgewachsen ist, hier die Schule besucht hat und seine wesentlichen persönlichen Beziehungen hier bestehen. Er hat allerdings auch noch Kontakte in die Türkei und spricht - auch wenn er das jetzt bestreitet - türkisch. Insbesondere ist ihm durch seine Eltern und die Urlaubsaufenthalte ein Bezug zur Türkei vermittelt worden. Angesichts der nicht ausgeräumten erheblichen Rückfallgefahr geht das Verwaltungsgericht aber von einem Überwiegen des öffentlichen Ausweisungsinteresses aus. Der Einwand des Klägers, die von ihm ausgehende Wiederholungsgefahr werde bei Betrachtung der Gesamtumstände der Tatbegehung und günstigen Ansätze für einen Einstellungswandel relativiert, greift demgegenüber nicht. Bei der Begehung der Straftaten war der Kläger nicht mehr Heranwachsender. Aus dem Strafurteil des Landgerichts Augsburg ergibt sich anschaulich, mit welcher Brutalität und Aggressivität er gegen seine Opfer vorgegangen ist. Ob tatsächlich ein Einstellungswandel stattfinden wird, lässt sich frühestens nach einem erfolgreichen Abschluss der gerade erst begonnen Therapie feststellen.

Auch bezüglich der Befristungsentscheidung hat der Kläger keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils dargelegt. Die persönlichen Beziehungen des Klägers rechtfertigen keine Verkürzung der Frist für die Einreisesperre. Angesichts der vom Kläger ausgehenden Wiederholungsgefahr und der Schwere der von ihm verübten Straftaten erweist sich die festgesetzte Einreisesperre auch unter Berücksichtigung seines langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet im Ergebnis als nicht ermessensfehlerhaft. Der Beklagte ist zutreffend davon ausgegangen, dass den Beziehungen zur Kernfamilie bei einem volljährigen Ausländer grundsätzlich keine besondere Bedeutung zukommt. Anhaltspunkte dafür, dass eine besondere Betreuungsbedürftigkeit besteht, ergeben sich aus dem Zulassungsvorbringen nicht. Sollte der Kläger seine Verlobte heiraten, steht ihm die Möglichkeit offen, eine Verkürzung der Frist für die Einreisesperre zu beantragen.

Soweit der Kläger nach Ablauf der Frist für die Begründung des Zulassungsantrags zusätzlich vorbringt, es bestehe wegen der Gefahr, dass er in der Türkei zum Militärdienst eingezogen und in den Krisengebieten an vorderster Front eingesetzt werde, ein Abschiebungshindernis, bleibt das ohne Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit der Abwägungsentscheidung nach § 53 AufenthG. Ein etwaiges (zielstaatsbezogenes) Abschiebungshindernis vermag einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung zu begründen, führt jedoch nicht zwangsläufig zur Rechtswidrigkeit der Ausweisungsentscheidung.

2. Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Um einen auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Zulassungsantrag zu begründen, muss der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, ausführen, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, erläutern, weshalb die vorformulierte Frage klärungsbedürftig ist und darlegen, weshalb der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (BayVGH, B.v. 11.7.2016 - 10 ZB 15.837 - juris Rn. 21).

Der Kläger hat nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechenden Weise dargelegt, dass die von ihm aufgeworfene Frage einer über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat. Die Frage, „ob die persönlichen Bindungen eines Ausländers im Bundesgebiet, der als faktischer Inländer zu qualifizieren ist, das(s) Interesse an einem Verbleib des Ausländers höher zu bewerten ist, als das Ausreiseinteresse des Staates“, kann nur für den jeweiligen Einzelfall beantwortet werden. Sowohl im Rahmen des Art. 8 Abs. 2 EMRK als auch bei der Abwägungsentscheidung im Rahmen des § 53 AufenthG kommt es auf die konkreten Gegebenheiten des Einzelfalls an, ob die Stellung als faktischer Inländer die Ausweisung unverhältnismäßig macht bzw. zu einem Überwiegen des Bleibeinteresses führt, so dass die Frage einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 39 Abs. 1 und § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anhörung der Parteien durch Beschluss vorläufig fest, wenn Gegenstand des Verfahrens nicht eine bestimmte Geldsumme in Euro ist oder gesetzlich kein fester Wert bestimmt ist. Einwendungen gegen die Höhe des festgesetzten Werts können nur im Verfahren über die Beschwerde gegen den Beschluss, durch den die Tätigkeit des Gerichts aufgrund dieses Gesetzes von der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht wird, geltend gemacht werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit.

(2) Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. In Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen oder der Finanzgerichtsbarkeit gilt dies nur dann, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse die Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält.

(3) Die Festsetzung kann von Amts wegen geändert werden

1.
von dem Gericht, das den Wert festgesetzt hat, und
2.
von dem Rechtsmittelgericht, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache oder wegen der Entscheidung über den Streitwert, den Kostenansatz oder die Kostenfestsetzung in der Rechtsmittelinstanz schwebt.
Die Änderung ist nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.

(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, innerhalb dieser Frist Rechtsmittelanträge nicht eingereicht, ist die Beschwer maßgebend.

(2) Der Streitwert ist durch den Wert des Streitgegenstands des ersten Rechtszugs begrenzt. Das gilt nicht, soweit der Streitgegenstand erweitert wird.

(3) Im Verfahren über den Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels ist Streitwert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.

(1) In demselben Verfahren und in demselben Rechtszug werden die Werte mehrerer Streitgegenstände zusammengerechnet, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(2) Der Streitwert beträgt höchstens 30 Millionen Euro, soweit kein niedrigerer Höchstwert bestimmt ist.

(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.

(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.