Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 22. März 2018 - 11 ZB 18.30615

bei uns veröffentlicht am22.03.2018

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da keiner der geltend gemachten Zulassungsgründe (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 und 3 AsylG) hinreichend dargelegt ist.

1. Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36). Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist. Ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. Happ in Eyermann, a.a.O. § 124a Rn. 72). Ist die angegriffene Entscheidung auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, setzt die Zulassung der Berufung voraus, dass für jeden dieser Gründe die Zulassungsvoraussetzungen erfüllt sind (Kopp/ Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 124a Rn. 7).

Diese Voraussetzungen erfüllt der Zulassungsantrag nicht. Der Kläger hält für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob im Falle der Verweigerung des Militärdienstes mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zu rechnen ist, in deren Vollzug eine menschenrechtswidrige Behandlung droht und ob im ukrainischen Militärdienst völkerrechtswidrige Handlungen begangen werden. Diese Fragen waren im vorliegenden Fall nicht entscheidungserheblich, da das Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 27. Juli 2016 (§ 77 Abs. 2 AsylG) zum einen nicht festgestellt hat, dass der Kläger zum Militärdienst einberufen worden ist und zum anderen davon ausgegangen ist, dass derzeit in den umkämpften Gebieten nur Freiwillige eingesetzt werden. Darüber hinaus sind diese Fragen, wie der Kläger selbst ausgeführt hat, im Urteil des erkennenden Senats vom 24. August 2017 (11 B 17.30392 – juris) behandelt worden.

Des Weiteren ist die bloße Bezugnahme auf im Internet veröffentlichte Videos und Berichte, die noch dazu dem Zulassungsantrag nicht beigelegt sind, in Erfüllung des Darlegungsgebotes nicht ausreichend. Sinn und Zweck des Darlegungsgebotes ist es u.a., die Gerichte zu entlasten, indem dem Rechtsmittelführer auferlegt wird, vorzutragen, warum er die gesetzlich vorgesehenen Zulassungsgründe als gegeben erachtet (BVerfG, B.v. 23.6.2000 – 1 BvR 830/00 – NVwZ 2000, 1163 = juris Rn. 12). Der Verweis auf Fundstellen im Internet, aus dem nicht konkret hervorgeht, welche Informationen sich hinter dem jeweiligen Link verbergen, kann daher zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit nicht ausreichen (vgl. BayVGH, B.v.16.1.2018 – 20 ZB 18.30059 – juris; vgl. Berlit in GK-AsylG, Stand Dezember 2017, § 78 Rn. 613 a.E.), ebenso wenig der Verweis auf Videos oder Berichte ohne inhaltliche Auseinandersetzung mit denselben.

Im Übrigen droht dem Kläger keine Einberufung zum Wehrdienst, da er schon 37 Jahre alt ist und damit in der Ukraine nicht mehr unter die allgemeine Wehrpflicht fällt. Nach eigenen Angaben musste er keinen Wehrdienst leisten, da er aus gesundheitlichen Gründen ausgemustert worden ist. Da er noch nie Wehrdienst geleistet hat, muss er auch nicht befürchten, als Reservist einberufen zu werden.

2. Auch ein Verfahrensfehler nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO in Form der Verletzung des rechtlichen Gehörs ist nicht hinreichend dargelegt. Der Kläger macht geltend, das Verwaltungsgericht habe gegen den Amtsermittlungsgrundsatz verstoßen, da es in der mündlichen Verhandlung keine gezielten Fragen an ihn gerichtet habe. Bei einem (hier nicht ersichtlichen) Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO handelt es sich schon nicht um einen absoluten Revisionsgrund nach § 138 VwGO, der von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG erfasst wäre (vgl. BayVGH, B.v. 18.5.2015 – 11 ZB 15.30091 – juris Rn. 2; B.v. 13.4.2015 – 13a ZB 14.30047 – juris Rn. 4; OVG NRW, B.v. 25.3.2015 – 13 A 493/15.A – juris).

Soweit der Kläger geltend macht, es handele sich um eine Überraschungsentscheidung, da er nicht habe damit rechnen müssen, dass das Verwaltungsgericht die Klageabweisung darauf stütze, dass die emotionale Einfärbung des Vorbringens, er könne nicht auf seinen Bruder schießen, eingeübt erscheine und nicht Ausdruck einer tiefgreifenden Gewissensentscheidung sei, und dass das Verwaltungsgericht davon ausgehe, es würden nur Freiwillige in den Kampfgebieten eingesetzt, kann dies nicht zur Zulassung der Berufung führen. Von einer Überraschungsentscheidung kann unter anderem dann nicht gesprochen werden, wenn das Gericht Tatsachen, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten, in einer Weise würdigt, die nicht den subjektiven Erwartungen eines Prozessbeteiligten entspricht oder von ihm für unrichtig gehalten werden (BVerwG, B.v. 25.5.2017 – 5 B 75/15 D – juris Rn. 11). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts besteht keine, auch nicht aus Art. 103 Abs. 1 GG abzuleitende, generelle Pflicht des Gerichts, die Beteiligten vorab auf seine Rechtsauffassung oder die mögliche Würdigung des Sachverhalts hinzuweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Einschätzung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Entscheidungsfindung nach Schluss der mündlichen Verhandlung ergibt (vgl. BVerwG, B.v. 26.11.2001 – 1 B 347/01, 1 PKH 41 PKH 46/01 – juris Rn. 5; B.v. 28.12.1999 – 9 B 467/99 – Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 51 = juris Rn. 2; B.v. 11.5.1999 – 9 B 1076/98 – juris Rn. 10). Dass es im Asylverfahren, soweit entscheidungserheblich, stets auch um die Glaubwürdigkeit des Asylsuchenden und die Glaubhaftigkeit seines Vortrags geht, ist selbstverständlich und bedarf grundsätzlich nicht des besonderen Hinweises durch das Gericht (BVerwG, B.v. 26.11.2001, a.a.O.; vgl. auch OVG NW, B.v. 16.12.2016 – 1 A 2199/16.A – juris Rn. 27). Dass das Verwaltungsgericht die in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel auswertet und daraus seine Schlüsse zieht, versteht sich ebenfalls von selbst.

Die Würdigung der in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel und der Angaben des Klägers durch das Verwaltungsgericht verstößt auch nicht gegen das Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG. Ein Verstoß gegen das Willkürverbot liegt bei gerichtlichen Entscheidungen nur dann vor, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl. BVerfG, B.v. 23.1.2017 – 2 BvR 2584/12 – NJW 2017, 1731 = juris Rn. 27 m.w.N.). Dieser Maßstab gilt auch für die verfassungsrechtliche Überprüfung der von den Fachgerichten vorgenommenen Beweiswürdigung und den von ihnen getroffenen tatsächlichen Feststellungen (vgl. BVerfG a.a.O.). Danach sind die Ausführungen des Verwaltungsgerichts nicht zu beanstanden. Es hat sich auf den angefochtenen Bescheid, den neuesten Lagebericht und den Beschluss des Senats vom 13. Januar 2017 (11 ZB 16.31051 – juris) bezogen, die Angaben des Klägers gewürdigt und daraus seine Schlüsse gezogen. Damit setzt sich der Kläger nicht auseinander, sondern behauptet nur, die Rechtsanwendung sei willkürlich.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.

4. Dieser Beschluss, mit dem das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG), ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

Urteilsbesprechung zu Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 22. März 2018 - 11 ZB 18.30615

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Referenzen - Gesetze

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 3


(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. (3) Ni

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 22. März 2018 - 11 ZB 18.30615 zitiert 11 §§.

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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

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Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 83b Gerichtskosten, Gegenstandswert


Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 77 Entscheidung des Gerichts


(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefä

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 86


(1) Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden. (2) Ein in der mündlichen Verhandlung gestellter Beweisantrag ka

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 78 Rechtsmittel


(1) Das Urteil des Verwaltungsgerichts, durch das die Klage in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet abgewiesen wird, ist unanfechtbar. Das gilt auch, wenn nur das Klagebegehren gegen di

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 80 Ausschluss der Beschwerde


Entscheidungen in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz können vorbehaltlich des § 133 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht mit der Beschwerde angefochten werden.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 138


Ein Urteil ist stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn1.das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,2.bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes aus

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Tenor I. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt. II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt. III. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

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Tenor I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt. II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Gründe Der Antrag auf Zulassung der Berufu

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 16. Jan. 2018 - 20 ZB 18.30059

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Tenor I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird verworfen. II. Die Kläger haben die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Gründe Der Antrag der Kläger auf Zula

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 24. Aug. 2017 - 11 B 17.30392

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Tenor I. Die Berufung wird zurückgewiesen. II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben. III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vo

Bundesverwaltungsgericht Beschluss, 02. Mai 2017 - 5 B 75/15 D

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Gründe 1 Die auf die Zulassungsgründe eines Verfahrensmangels (1.) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (2.) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 23. Jan. 2017 - 2 BvR 2584/12

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Tenor 1. Der Beschluss des Kammergerichts vom 12. Oktober 2012 - 4 VAs 49/12 - verletzt den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten aus Artikel 19 Absatz 4 und Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes.

Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Beschluss, 25. März 2015 - 13 A 493/15.A

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Tenor Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 16. Januar  2015 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen. 1G r ü n d e : 2Der Antrag hat keinen Erfolg. 3Der Kläger macht im Wesentlich
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Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 31. Jan. 2019 - 11 ZB 19.30197

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Tenor I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt. II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Gründe Der Antrag der Klägerin

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(1) Das Urteil des Verwaltungsgerichts, durch das die Klage in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet abgewiesen wird, ist unanfechtbar. Das gilt auch, wenn nur das Klagebegehren gegen die Entscheidung über den Asylantrag als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet, das Klagebegehren im Übrigen hingegen als unzulässig oder unbegründet abgewiesen worden ist.

(2) In den übrigen Fällen steht den Beteiligten die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zu, wenn sie von dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(3) Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.

(4) Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss, der keiner Begründung bedarf. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) § 134 der Verwaltungsgerichtsordnung findet keine Anwendung, wenn das Urteil des Verwaltungsgerichts nach Absatz 1 unanfechtbar ist.

(7) Ein Rechtsbehelf nach § 84 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung ist innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Gerichtsbescheids zu erheben.

(8) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 132 Absatz 1 und § 137 Absatz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung auch zu, wenn das Oberverwaltungsgericht

1.
in der Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat von deren Beurteilung durch ein anderes Oberverwaltungsgericht oder durch das Bundesverwaltungsgericht abweicht und
2.
die Revision deswegen zugelassen hat.
Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann auf diesen Zulassungsgrund nicht gestützt werden. Die Revision ist beschränkt auf die Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat. In dem hierfür erforderlichen Umfang ist das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 137 Absatz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden. Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigt für die Beurteilung der allgemeinen Lage diejenigen herkunfts- oder zielstaatsbezogenen Erkenntnisse, die von den in Satz 1 Nummer 1 genannten Gerichten verwertet worden sind, die ihm zum Zeitpunkt seiner mündlichen Verhandlung oder Entscheidung (§ 77 Absatz 1) von den Beteiligten vorgelegt oder die von ihm beigezogen oder erhoben worden sind. Die Anschlussrevision ist ausgeschlossen.

(8a) Das Bundesministerium des Innern und für Heimat evaluiert im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Justiz die Revision nach Absatz 8 drei Jahre nach Inkrafttreten.

(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird. § 74 Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(2) Das Gericht kann außer in den Fällen des § 38 Absatz 1 und des § 73b Absatz 7 bei Klagen gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz im schriftlichen Verfahren durch Urteil entscheiden, wenn der Ausländer anwaltlich vertreten ist. Auf Antrag eines Beteiligten muss mündlich verhandelt werden. Hierauf sind die Beteiligten von dem Gericht hinzuweisen.

(3) Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe ab, soweit es den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt oder soweit die Beteiligten übereinstimmend darauf verzichten.

(4) Wird während des Verfahrens der streitgegenständliche Verwaltungsakt, mit dem ein Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde, durch eine Ablehnung als unbegründet oder offensichtlich unbegründet ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Das Bundesamt übersendet dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts. Nimmt der Kläger die Klage daraufhin unverzüglich zurück, trägt das Bundesamt die Kosten des Verfahrens. Unterliegt der Kläger ganz oder teilweise, entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen.

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der 1993 geborene Kläger ist ukrainischer Staatsangehöriger und reiste nach eigenen Angaben am 23. Juli 2014 mit einem griechischen Schengen-Visum in die Bundesrepublik Deutschland ein. Er stellte am 17. September 2014 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag und legte dabei die Kopie eines Schriftstücks vor, das er als Einberufungsbescheid ansieht.

Zur Begründung seines Asylantrags trug der Kläger vor, er habe vom Frühjahr 2012 bis Frühjahr 2013 Wehrdienst geleistet und sei dabei als Fahrer für das höherrangige Militär eingesetzt gewesen. Am 26. Mai 2014 sei in seinem Dorf eine Liste ausgehängt worden, auf der gestanden habe, dass er nach Donezk einberufen werden solle. Seine Mutter habe eine Kopie der Ladung organisiert, worin stehe, dass er sich am 26. August 2014 beim Militärkommissariat in Kizman melden müsse. Das Original befinde sich noch beim Kommissariat, da die Ladung nur gegen Unterschrift ausgehändigt werde. Mit der Unterschrift verpflichte man sich, Wehrdienst zu leisten. Er habe kein Original der Ladung bekommen, da er die Unterschrift nicht geleistet habe.

Das Bundesamt lehnte den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Asylanerkennung mit Bescheid vom 1. Dezember 2015 als offensichtlich unbegründet ab. Den Antrag auf Gewährung subsidiären Schutzes lehnte es ebenfalls ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht bestehen. Es forderte den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen, sonst werde er in die Ukraine abgeschoben. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG werde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Der Kläger sei offensichtlich kein Flüchtling und auch nicht asylberechtigt, da eine mögliche Bestrafung wegen der Entziehung vom Militärdienst nicht an ein flüchtlingsschutzrelevantes Merkmal gemäß § 3 AsylG anknüpfe. Es könne ihm auch kein subsidiärer Schutz gewährt werden. Zwar werde eine Mobilisierungsentziehung in der Ukraine nach Art. 336 des ukrainischen Strafgesetzbuchs (UStGB) mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren bestraft. Eine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen der Verweigerung des Militärdienstes gem. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG gelte jedoch nur dann als Verfolgung, wenn der Kläger im Rahmen des Militärdienstes gezwungen wäre, Verbrechen oder Handlungen zu begehen, die als Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen den Frieden oder gegen die Menschlichkeit gelten würden. Das sei aber nicht ersichtlich. Ebenso lägen keine Abschiebungsverbote vor.

Im Klageverfahren legte der Kläger die Kopie einer weiteren Ladung des Militärkommissariats Kizman vor, nach der er am 8. Februar 2016 zur Präzisierung von Registrierdaten und zur medizinischen Untersuchung erscheinen solle. Er trug vor, er habe das Original nicht erhalten, da er nicht anwesend gewesen sei. Vielmehr hätte seine Mutter eine Kopie bekommen und ihm diese dann geschickt.

Mit Urteil vom 7. November 2016, zugestellt am 12. Januar 2017, hat das Verwaltungsgericht Würzburg die Klage abgewiesen. Es bestünden keine stichhaltigen Gründe dafür, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in die Ukraine eine Haftstrafe wegen Wehrdienstentziehung drohe und er dort unmenschlichen Haftbedingungen im Sinne von Art. 3 EMRK ausgesetzt sein werde. Unter Bezugnahme auf den Beschluss des Senats vom 15. Februar 2016 (11 ZB 16.30012 – juris Rn. 20) und des Artikels von Connection e.V. vom 22. April 2015 (www.c...de/a...) ergebe sich, dass überwiegend Bewährungsstrafen verhängt würden.

Mit seiner vom Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Berufung macht der Kläger geltend, er beabsichtige, den Militärdienst aus Gewissensgründen zu verweigern, dies sei in der Ukraine aber nicht möglich. Zudem müsse er im Rahmen des Militäreinsatzes an Kriegsverbrechen teilnehmen. Darüber hinaus drohe ihm eine unmenschliche Bestrafung, da er sich der Mobilisierung entzogen habe.

Er beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 7. November 2016 sowie den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 1. Dezember 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise subsidiären Schutz zuzuerkennen oder festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich der Ukraine vorliegen.

Die Beklagte tritt der Berufung entgegen.

Die Erkenntnismittelliste „Ukraine“ (Stand: 7.7.2017) wurde zum Gegenstand des Verfahrens gemacht.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen, die vorgelegten Behördenakten und die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

Gründe

Über die Berufung konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 24. August 2017 entschieden werden, da die Beklagte unter Hinweis darauf, dass auch beim Ausbleiben eines Beteiligten ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, ordnungsgemäß geladen worden ist.

Die Berufung hat keinen Erfolg. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 7. November 2016 ist rechtmäßig, denn der Kläger hat weder Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (I.) noch auf Feststellung von unionsrechtlichem subsidiärem Schutz (II.) oder nationalen Abschiebungsverboten (III.).

I.

Nach § 3 Abs. 1 des Asylgesetzes vom 2. September 2008 (AsylG, BGBl I S. 1798), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. Juli 2017 (BGBl I S. 2780), ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslands befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.

1. Als Verfolgung in diesem Sinne kann nach § 3a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 AsylG eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung gelten. Eine Verfolgungshandlung nach § 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG kann dabei auch in einer unverhältnismäßigen Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung bestehen (vgl. EuGH, U.v. 26.2.2015 – C-472/13 – Shepherd – ABl EU 2015 C 138, S. 7 = juris Rn. 56; Marx, Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie, 1. Aufl. 2009, § 9 Rn. 178). Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass jeder Staat ein legitimes Recht hat, eine Streitkraft zu unterhalten, seine Staatsangehörigen zum Wehrdienst in dieser Streitkraft heranzuziehen und Personen, die sich dem Wehrdienst entziehen, angemessen zu bestrafen. Eine unverhältnismäßige Bestrafung wegen einer Wehrdienstentziehung kann regelmäßig nur dann angenommen werden, wenn der Betreffende durch die fehlende Möglichkeit der Verweigerung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen und die daraus folgende Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung in seinem Recht aus Art. 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention vom 4. November 1950 (EMRK, BGBl 1952 II S.685), zuletzt geändert durch Protokoll Nr. 14 vom 13. Mai 2004, verletzt wird (vgl. EGMR, U.v. 7.7.2011 – 23459/03 – BeckRS 2012 80059 Rn 112 ff.). Dabei kommt es insbesondere auch darauf an, ob der Betreffende eine echte und aufrichtige Gewissensentscheidung gegen den Wehr- oder Kriegsdienst glaubhaft machen kann (Marx a.a.O. Rn. 192; EGMR a.a.O. Rn. 111).

Die Furcht vor Verfolgung ist nur dann begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – BVerwGE 146, 67 = juris Rn. 19; B.v. 11.7.2017 – 1 B 116.17 – juris Rn. 8). Die Gefahr kann nicht bereits dann verneint werden, wenn gegenwärtig oder unmittelbar bevorstehend keine politisch motivierten Verfolgungsmaßnahmen zu erwarten sind, sondern erst dann, wenn bei einer auf absehbare Zeit ausgerichteten Zukunftsprognose nicht ernstlich mit asylrechtlich erheblichen Maßnahmen gerechnet werden muss (BVerwG, U.v. 18.10.1983 – 9 C 158.80 – BVerwGE 68, 106 = juris Rn. 14). Wurde der Betroffene bereits verfolgt oder hat er einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten bzw. war er von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht, so ist dies nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (RL 2011/95/EU – Qualifikationsrichtlinie, ABl Nr. L 337 S. 9) ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden.

Gemessen an diesen Vorgaben droht dem Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatland nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung.

Den aktuellen Erkenntnismitteln ist zu entnehmen, dass keine neue Mobilisierungswelle geplant ist (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine vom 7.2.2017, Stand: Januar 2017 – Lagebericht 2017 – Nr. II.1.6, S. 9), sondern dass verstärkt Berufssoldaten in die Armee aufgenommen werden (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Fact Finding Mission Report Ukraine, May 2017 – BFA-Report – Chapter 3.1.2, S. 24 f. und Chapter 3.1.3.3, S. 31). Für den Kläger als Reservist besteht daher bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland auf absehbare Zeit keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass er eingezogen wird.

Der Kläger hat darüber hinaus auch keine echte und aufrichtige Gewissensentscheidung gegen den Militärdienst glaubhaft gemacht. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt hat er geäußert, er habe zwar Wehrdienst geleistet, er sei aber für den Krieg nicht bereit und könne weder schießen noch wolle er erschossen werden. Vor dem Verwaltungsgericht hat er ausgeführt, er sei das einzige Kind in seiner Familie und habe bereits Wehrdienst geleistet. Er habe damals nur ein einziges Mal eine Waffe in der Hand gehalten und habe Angst, getötet zu werden. Erstmals mit seiner Berufungsbegründung hat er ausgeführt, seiner Militärdienstentziehung liege eine echte Gewissensentscheidung zugrunde. Weitere Ausführungen hat er dazu nicht gemacht. Diesem pauschalen Vortrag ist keine echte und aufrichtige Gewissensentscheidung zu entnehmen.

2. Nach § 3a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 5 AsylG kann auch eine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklausel des § 3 Abs. 2 AsylG fallen, als Verfolgung gelten. Dabei umfasst der Schutz auch solche Personen, bei denen es bei vernünftiger Betrachtung plausibel erscheint, dass sie sich bei der Ausübung ihrer Funktionen in den Streitkräften in hinreichend unmittelbarer Weise an solchen Handlungen beteiligen müssen (vgl. EuGH, U.v. 26.2.2015 – C-472/13 – Shepherd – ABl EU 2015 C 138, S. 7 = juris Rn. 38). Die Prüfung kann sich dabei nur darauf stützen, ob ausreichende Indizien vorliegen, die geeignet sind, in Anbetracht aller relevanten Umstände zu belegen, dass die bei diesem Dienst bestehende Situation die Begehung solcher Handlungen plausibel erscheinen lässt (vgl. EuGH a.a.O. Rn. 40). Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, ob in der Rechtsordnung des betreffenden Staates Rechtsvorschriften enthalten sind, die Kriegsverbrechen unter Strafe stellen und Gerichte existieren, die ihre tatsächliche Ahndung sicherstellen (vgl. EuGH a.a.O. Rn. 42). Es obliegt dem Betreffenden, mit hinreichender Plausibilität darzulegen, dass die Streitkräfte, zu denen er ggf. herangezogen werden soll, Einsätze durchführen oder in der Vergangenheit durchgeführt haben, bei denen Handlungen unter Verletzung des Völkerrechts mit hoher Wahrscheinlichkeit begangen werden oder wurden (vgl. EuGH a.a.O. Rn. 43).

Abgesehen davon, dass keine neue Mobilisierungswelle geplant ist (s.o. Nr. 1) und eine Einberufung des Klägers daher nicht hinreichend wahrscheinlich ist, würde dem Kläger bei einer Verweigerung des Militärdienstes auch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Strafverfolgung oder Bestrafung gemäß § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG drohen. Den in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnismitteln kann nicht entnommen werden, dass der Dienst im staatlichen ukrainischen Militär hinreichend plausibel und mit hoher Wahrscheinlichkeit völkerrechtswidrige Handlungen umfassen würde. Soweit der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren auf einen Bericht von Connection e.V. vom 19. März 2015 verwiesen hat, können diesem Bericht keine Ausführungen zu den Umständen bei Ableistung des Militärdienstes entnommen werden. Der vom Kläger ebenfalls genannte Bericht von Amnesty International vom Mai 2015 mit dem Titel „Breaking Bodies: Torture and summary killings in eastern Ukraine“ (Amnesty-Bericht Mai 2015) bezieht sich auf den Zeitraum Juli 2014 bis April 2015. Er schildert die Situation nach Ausbruch des Konflikts im März 2014, wo es auch nach anderen Auskunftsmitteln, insbesondere in den von Separatisten kontrollierten Gebieten und auch in den nicht von den ukrainischen Streitkräften selbst, sondern von sogenannten „Freiwilligen-Bataillonen“ kontrollierten Gebieten zu schweren Menschenrechtsverletzungen gekommen ist (vgl. Lagebericht 2017, Nr. II.4, S. 12). Zwar wird auch weiterhin von Übergriffen der Streitkräfte berichtet (vgl. Office of the United Nations High Commissioner for Human rights, Report on the human rights situation in Ukraine 16 August to 15 November 2016 – OHCHR-Report November 2016, Chapter II.A und II.D.1). Es kam jedoch zu einer Deeskalation (vgl. OHCHR-Report November 2016, Chapter II.A, S. 8 Rn. 17) und teilweise findet auch eine Strafverfolgung bei Übergriffen statt (vgl. OHCHR-Report November 2016, Chapter I, S. 7 Rn. 11). Unabhängig davon, ob die im Amnesty-Bericht Mai 2015 beschriebenen Probleme tatsächlich Verbrechen oder Handlungen der Streitkräfte umfassten, die unter die Ausschlussklausel des § 3 Abs. 2 AsylG gefallen wären, hat sich die Situation durch das im Februar 2015 vereinbarte Maßnahmenpaket von Minsk verbessert. Zwar gibt es weiterhin Verstöße gegen das Waffenstillstandsabkommen und ggf. gelegentliche Übergriffe der Streitkräfte. Aktuelle Erkenntnisse, nach denen im ukrainischen Militärdienst mit hoher Wahrscheinlichkeit völkerrechtswidrige Handlungen begangen werden, hat der Kläger aber nicht genannt und sind nicht ersichtlich.

3. Eine Gesamtbetrachtung aller Umstände ergibt damit, dass eine Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht und damit kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gegeben ist. Eine Einberufung des Klägers ist derzeit ohnehin nicht zu erwarten und er hat weder eine echte und aufrichtige Gewissensentscheidung aufgezeigt noch mit hinreichender Plausibilität dargelegt, dass in den Streitkräften eine Verletzung des Völkerrechts mit hoher Wahrscheinlichkeit drohe.

II.

Es liegen auch keine Gründe für die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 2 AufenthG vor. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Voraussetzung ist, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den geschützten Rechtsgütern droht (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – NVwZ 2012, 454 = juris Rn. 20). Die Beweiserleichterungen des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU finden nach Art. 18 RL 2011/95/EU ebenfalls Anwendung. Nach Überzeugung des Gerichts droht dem Kläger in der Ukraine keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG.

1. Dem Kläger droht nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Bestrafung, denn eine strafbare Mobilisierungsentziehung liegt nach Überzeugung des Senats nicht vor. Es kann dabei offen bleiben, ob die vom Kläger vorgelegten Kopien von echten Schreiben des Militärkommissariats Kizman angefertigt worden sind, denn die Schreiben sind dem Kläger nicht persönlich zugestellt worden und es handelt sich dabei auch nicht um Einberufungsbefehle. Sie können daher keine negativen Folgen für den Kläger haben.

Nach der Auskunft des Auswärtigen Amts vom 24. Mai 2017 an das Bundesamt (Gz. 508-516.80/49347) dürfen Einberufungsbefehle dem Betroffenen nur persönlich mit Empfangsbestätigung übergeben werden. Die Aushändigung an Dritte kann keine rechtlichen Konsequenzen für den Betroffenen nach sich ziehen. Unstreitig sind die beiden an den Kläger gerichteten Schreiben des Militärkommissariats Kizman nicht ihm persönlich ausgehändigt worden, da er sich nach eigenen Angaben zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht in der Ukraine, sondern in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten hat. Der Kläger hat vor dem Bundesamt selbst angegeben, das Original des ersten Schreibens liege noch beim Militärkommissariat, da er es nicht angenommen habe. Vor dem Verwaltungsgericht hat er ausgeführt, er habe auch kein Original des zweiten Schreibens erhalten, da er keine Unterschrift geleistet habe. Soweit der Kläger erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vorgetragen hat, die Schreiben seien von seiner Großmutter entgegengenommen und die Empfangsbestätigungen von ihr unterzeichnet worden, stellt dies ebenfalls keine persönliche Zustellung dar. Darüber hinaus erscheint dieser Vortrag auch nicht glaubhaft, da weder ersichtlich ist, aus welchen Gründen seine Großmutter die Schreiben entgegengenommen haben sollte, während der Kläger sich im Ausland befunden hat, noch weshalb er sowohl beim Bundesamt als auch vor dem Verwaltungsgericht bisher stets vorgetragen hat, er habe die Schreiben nicht im Original erhalten, sondern seine Mutter habe Kopien besorgt und ihm geschickt.

Darüber hinaus gibt es nach der Auskunft des Auswärtigen Amts vom 24. Mai 2017 für den Wehrdienst in der Ukraine drei unterschiedliche Benachrichtigungen/Einberufungsbefehle. Zuerst erfolgt eine Benachrichtigung, zu einem bestimmten Zeitpunkt zwecks Abgleich der persönlichen Daten beim Kreiswehrersatzamt zu erscheinen. Dann erfolgt eine Einladung zu einer medizinischen Untersuchung. Erst danach wird der tatsächliche Einberufungsbefehl zugestellt, mit der Vorgabe, wann und wo der betreffende ukrainische Staatsbürger zu erscheinen hat und welche persönlichen Gegenstände mitzuführen sind. Im vorliegenden Fall handelt es sich bei dem ersten Schreiben nur um eine Aufforderung, zum Datenabgleich zu erscheinen. Das zweite Schreiben enthält auch eine Einladung zu einer medizinischen Untersuchung. Eine Einberufung zum Militärdienst ist aber von beiden Schreiben nicht umfasst.

2. Auch wenn gleichwohl bei seiner Rückkehr ein Strafverfahren gegen den Kläger eingeleitet werden würde, so wie er befürchtet, weil er die Aufforderungen zur Registrierung und medizinischen Untersuchung nicht beachtet hat, wäre nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit einer Verurteilung zu rechnen.

Nach Art. 337 des Ukrainischen Strafgesetzbuchs (UStGB) kommen für die Vermeidung der militärischen Registrierung nur Geldstrafe, Arbeitsstunden oder Freiheitsstrafe für bis zu sechs Monate in Betracht (Lagebericht 2017, Nr. II.1.6, S. 10). Dem Kläger ist aber keines der beiden Schreiben persönlich zugestellt worden und es können daraus keine Rechtswirkungen folgen. Ein gleichwohl angestrengtes Strafverfahren müsste mangels Nachweises einer Straftat eingestellt werden.

Im Übrigen haben nach der Auskunftslage im März/April 2014 z.B. 70 Prozent der Reservisten in Kiew die Ladungen ignoriert und sind nicht bei den Rekrutierungsbüros erschienen (BFA-Report, Chapter 3.3.3.1, S. 35 ff.). Um 1.000 Männer zu mobilisieren, seien bis zu 40.000 Ladungen notwendig gewesen (BFA-Report a.a.O. S. 37). Angesichts dieser Zahlen erscheint es sehr unwahrscheinlich, dass fast ein Jahr nach der Demobilisierung aller tatsächlich eingezogenen Soldaten im Oktober 2016 (Lagebericht 2017, Nr. II.1.6, S. 9) nunmehr ein großer Teil der männlichen Bevölkerung mit Strafverfahren überzogen wird, weil sie die Ladungsschreiben nicht entgegen genommen haben. Den in das Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln lässt sich nicht entnehmen, dass eine solche Vorgehensweise der Strafverfolgungsbehörden bisher erfolgt oder noch zu erwarten ist, sondern es wird berichtet, es seien zahlreiche Strafverfahren gegen solche Personen eingeleitet worden, die vom Militärdienst desertiert sind oder sich der Einberufung entzogen haben (vgl. Home Office, Country Policy and Information Note Ukraine: Militäry Service, Version 4.0 April 2017, Nr. 9.2.4 ff.). Der Kläger hat auch keine Erkenntnismittel genannt, die für die von ihm befürchtete Vorgehensweise der Strafverfolgungsbehörden sprechen würden, und selbst vorgetragen, dass ihm keinerlei weitere Schreiben, Nachfragen oder Nachforschungen der Militär-, Polizei- oder Strafverfolgungsbehörden an der Adresse seiner Mutter bekannt seien, obwohl er telefonischen Kontakt mit ihr halte.

3. Selbst wenn sich der Kläger einer Mobilisierungsentziehung schuldig gemacht haben sollte – wovon der Senat nicht überzeugt ist –, wäre aber jedenfalls nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zu rechnen, in deren Vollzug eine menschenrechtswidrige Behandlung drohen würde.

Zwar kann nach Art. 336 UStGB eine Mobilisierungsentziehung mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft werden (Lagebericht 2017, Nr. II.1.6, S. 10) und eine Strafverfolgung von Fahnenflüchtigen findet auch statt (vgl. BFA-Report, Chapter 3.3.3, S. 39). Auch Verurteilungen zu Freiheitsstrafen wegen Mobilisierungsentziehung werden berichtet, die in einzelnen Fällen auch nicht zur Bewährung ausgesetzt werden (vgl. BFA-Report a.a.O. S. 39 f.; UNHCR, International Protection Considerations related to developments in Ukraine – Update III, September 2015, Nr. 34, S. 13; Anfrage des Bundesamt an das Auswärtige Amt vom 28.7.2016 [Gz. 9206-230; 7406-374/16; UKR-454]). Dabei muss jedoch berücksichtigt werden, dass in jedem konkreten Fall das Gericht die Schwere der Schuld des Betreffenden unter den aktuellen Gegebenheiten feststellt und bei Personen, die mit den Strafverfolgungsbehörden kooperieren, keine Freiheitsstrafen ohne Aussetzung zur Bewährung verhängt werden (vgl. BFA-Report a.a.O. S. 40). Angesichts der Umstände, dass der Kläger bei seiner Ausreise noch sehr jung war und immer noch ist, seine Ausreise zur Vermeidung des Militärdienstes nicht politisch motiviert war und er nicht vorbestraft ist, erscheint es dem Senat nicht hinreichend wahrscheinlich, dass er zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt werden würde.

Darüber hinaus erscheint es auch nicht hinreichend wahrscheinlich, dass bei der Vollstreckung einer kurzen Freiheitsstrafe eine menschenrechtswidrige Behandlung droht. Zwar sind trotz erheblicher Fortschritte in den Haftanstalten, da aufgrund einer Reform der Ukrainischen Strafprozessordnung die Zahl der Insassen stark rückläufig ist, schlecht bezahltes und unzureichend ausgebildetes Wachpersonal, überbelegte Großraumzellen, mangelhafte Ernährung, unzureichende medizinische Betreuung, unzulängliche hygienische Verhältnisse sowie unverhältnismäßig starke Beschränkungen von Kontakten zur Außenwelt weiterhin nicht völlig verschwunden (Lagebericht 2017, Nr. II.4, S. 14) und in einigen Untersuchungshaft- und psychiatrischen Einrichtungen herrschen weiterhin sehr schlechte Zustände (Lagebericht 2017 a.a.O.). Auch ist der Bericht des Auswärtigen Amts über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine vom 11. Februar 2016, Stand Januar 2016, noch davon ausgegangen, die Missstände in den Gefängnissen seien in der Regel anzutreffen. Die Änderung der Formulierung im Lagebericht 2017 legt jedoch eine spürbare Verbesserung zumindest in Haftanstalten zur Verbüßung kürzerer Freiheitsstrafen nahe. Die Bedingungen im Polizeigewahrsam sowie in Untersuchungshaft sind schlechter als in Gefängnissen mit niederer oder mittlerer Sicherheitsstufe (vgl. USDOS, Country Report on Human Rights Practices 2016 Ukraine, USDOS Country Report, Section 1.c., S. 4) und stellen manchmal eine ernsthafte Gefahr für das Leben und die Gesundheit der Gefangenen dar. Auch zu lebenslanger Haft Verurteilte erleiden oft erhebliche Rechtsverletzungen (USDOS Country Report a.a.O.). Das Auswärtige Amt hat auch seit 2013 in neun Fällen „Monitoring“ durch die Botschaft Kiew nach erfolgter Auslieferung veranlasst. Die Auslieferungen erfolgen jeweils nach Einzelfallprüfungen und Abgabe von Zusicherungen, u.a. hinsichtlich EMRK-konformer Behandlung und Unterbringung (Auswärtiges Amt, Auskunft an das Bundesamt vom 30.8.2016, Gz. 508-516.80/48541). Demgegenüber ist es aber für die Häftlinge und ihre Familienangehörigen möglich, beim Ombudsmann für Menschenrechte eine Beschwerde zu erheben und es finden auch unabhängige Kontrollen der Gefängnisse durch internationale und lokale Menschenrechtsorganisationen statt (USDOS Country Report a.a.O. S. 4 f.). Nach Auskunft des Foreign and Commonwealth Office soll jedes Gefängnis über eine medizinische Abteilung verfügen, in der medizinische Hilfe gewährleistet ist (vgl. Home Office, Country Policy and Information Note, Ukraine: Prison conditions, Version 2.0, April 2017, Chapter 7.1.4 und 7.2.3, S. 11 f.). Vom 21. bis 30. November 2016 hat das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe die Ukraine besucht und festgestellt, dass durch die Gefängnisreform die Auslastung der Haftanstalten stark zurückgegangen ist. Die Gesundheitsversorgung sowie die Personalausstattung seien weiterhin verbesserungsbedürftig. In den besuchten Haftanstalten seien aber keine aktuellen Misshandlungen der Gefangenen durch das Personal festgestellt worden und die Ausstattung sei überwiegend in Ordnung gewesen. In den besuchten Untersuchungsgefängnissen sei es jedoch zu Misshandlungen durch Mitgefangene gekommen. Hinsichtlich der zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Gefängnisinsassen komme es immer wieder zu inakzeptablen Maßnahmen (vgl. insgesamt Council of Europe, Report to the Ukrainian government on the visit to Ukraine carried out by the European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT) from 21 to 30 November 2016, Straßburg 19.6.2017).

Angesichts dieser Auskunftslage wäre nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass dem Kläger eine unmenschliche Behandlung in Haft drohen würde. Zum einen käme wohl nur eine kurze Haftstrafe in Betracht, die in einem Gefängnis mit niederer oder mittlerer Sicherheitsstufe verbüßt werden könnte. Solche Haftanstalten weisen – wie ausgeführt – einen besseren Standard auf. Dass der Kläger in Untersuchungshaft oder Polizeigewahrsam genommen werden oder eine psychiatrische Einrichtung eingewiesen werden würde, in denen die Zustände weit schlechter sind, ist demgegenüber nicht zu erwarten. Zum anderen haben sich die Verhältnisse in den ukrainischen Gefängnissen in den von der Regierung kontrollierten Landesteilen durch die Reform der Prozessordnung und der Gefängnisreform verbessert und die Zahl menschenrechtswidriger Verstöße ist zurückgegangen.

4. Eine Gesamtbetrachtung ergibt daher, dass der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung von subsidiärem Schutz nach § 4 Abs. 1 AsylG hat, da ihm nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein ernsthafter Schaden in seinem Herkunftsland droht. Nach Überzeugung des Senats hat er sich nicht strafbar gemacht. Selbst im Falle einer Verurteilung würde eine mögliche Haftstrafe wohl zur Bewährung ausgesetzt und bei der Verbüßung einer kurzzeitigen Freiheitsstrafe würde auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche Behandlung in der Strafhaft drohen.

III.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

1. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl 1952 II S.685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Der sachliche Schutzbereich des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ist dabei weitgehend identisch mit dem unionsrechtlichen Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG und geht über dieses nicht hinaus (BVerwG, U.v. 13.6.2013 – 10 C 13.12 – BVerwGE 147, 8 = juris Rn. 25). Eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung droht dem Kläger aber nicht (s. II.).

2. Auch ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist nicht ersichtlich. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Bei dem Kläger handelt es sich um einen gesunden, arbeitsfähigen, jungen Mann. Seine Mutter und seine Großmutter leben in der Westukraine und es ist nicht ersichtlich, dass er nicht an seinen früheren Wohnort bei seiner Mutter zurückkehren und dort wieder eine Arbeit aufnehmen könnte.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 ff. ZPO.

V.

Die Revision war nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe im Sinn von § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird verworfen.

II. Die Kläger haben die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 29. November 2017 (Az. B 3 K 17.32946) ist unzulässig, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe im Asylgesetz nicht vorgesehen sind bzw. nicht entsprechend den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dargelegt sind.

1. Soweit die Kläger geltend machen lassen, das angegriffene Urteil sei rechtsfehlerhaft, zielen sie auf die Geltendmachung ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung ab (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Dieser Berufungszulassungsgrund ist jedoch nach der abschließenden Regelung in § 78 Abs. 3 AsylG im Asylprozess nicht vorgesehen.

2. Des Weiteren lassen die Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend machen (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG). Dieser Zulassungsgrund ist jedoch nicht entsprechend den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dargelegt.

Als grundsätzlich bedeutsam werfen die Kläger die Fragen auf,

ob irakische Staatsangehörige kurdischer volks- und sunnitischer Glaubenszugehörigkeit in ihrem Heimatland aufgrund ihrer Religion[s]- und Volkszugehörigkeit verfolgt werden,

ob für diese Volksgruppe inländische Fluchtalternativen existieren und damit,

ob in diesen Personen die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. der subsidiäre Schutzstatus festzustellen ist.

Zur Begründung verweisen die Kläger auf verschiedene Links zu aktuellen neutralen Medienberichten im Internet und legen drei englischsprachige Berichte des British Telegraph vom 20. Januar 2016, des Human Rights Watch vom 3. November 2016 sowie der Aljazeera News vom 7. November 2016 über die aktuelle Situation der oben genannten Volksgruppe im Irak vor.

Damit ist die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG jedoch nicht dargetan. Denn diese Darlegung erfordert, dass der Rechtsmittelführer eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufzeigt, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich und klärungsbedürftig ist. Ferner muss dargelegt werden, weshalb der Frage eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 72). „Darlegen“ bedeutet schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch mehr als lediglich einen allgemeinen Hinweis. Etwas „darlegen“ bedeutet vielmehr so viel wie „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“ (BVerwG, B.v. 2.10.1961 – 8 B 78.61 – BVerwGE 13, 90/91; B.v. 9.3.1993 – 3 B 105.92 – NJW 1993, 2825). Der Orientierungspunkt dieser Erfordernisse ist die Begründung der angefochtenen Entscheidung, mit der sich die Begründung des Zulassungsantrags substantiiert auseinandersetzen muss (BVerfG, B.v. 2.3.2006 – 2 BvR 767/02 – NVwZ 2006, 683). Diesen Anforderungen werden die Ausführungen der Kläger im Zulassungsantrag nicht gerecht. Abgesehen davon, dass die aufgeworfenen Fragen in ihrer Allgemeinheit keiner Klärung in einem Berufungsverfahren zugänglich sind, fehlt es zur Darlegung der Entscheidungserheblichkeit (Klärungsfähigkeit) der aufgeworfenen Fragen an einer substantiierten Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung. Des Weiteren ist die bloße Bezugnahme auf eine Reihe von Medienberichten, die noch dazu nur zu einem kleinen Teil dem Zulassungsantrag beigelegt sind, im Sinne des Darlegungsgebotes nicht ausreichend. Denn Sinn und Zweck des Darlegungsgebotes ist es u.a., das Zulassungsverfahren zu vereinfachen, indem dem Rechtsmittelführer auferlegt wird, vorzutragen, warum er die gesetzlich vorgesehenen Zulassungsgründe als gegeben erachtet (BVerfG, NVwZ 2000, 1163). Der bloße pauschale Verweis auf Fundstellen im Internet, aus dem nicht einmal hervorgeht, welche Informationen sich hinter dem jeweiligen Link verbergen, kann daher zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit nicht ausreichen (vgl. BayVGH, B.v. 3.7.2017 – 20 ZB 17.30632 – juris; GK-AsylG, 105. ErgLfg April 2016, § 78 Rn. 613 a.E.), ebenso wenig der Verweis auf vorgelegte Berichte ohne inhaltliche Auseinandersetzung mit denselben.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83b AsylG.

Mit dieser Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).

(1) Das Urteil des Verwaltungsgerichts, durch das die Klage in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet abgewiesen wird, ist unanfechtbar. Das gilt auch, wenn nur das Klagebegehren gegen die Entscheidung über den Asylantrag als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet, das Klagebegehren im Übrigen hingegen als unzulässig oder unbegründet abgewiesen worden ist.

(2) In den übrigen Fällen steht den Beteiligten die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zu, wenn sie von dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(3) Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.

(4) Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss, der keiner Begründung bedarf. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) § 134 der Verwaltungsgerichtsordnung findet keine Anwendung, wenn das Urteil des Verwaltungsgerichts nach Absatz 1 unanfechtbar ist.

(7) Ein Rechtsbehelf nach § 84 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung ist innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Gerichtsbescheids zu erheben.

(8) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 132 Absatz 1 und § 137 Absatz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung auch zu, wenn das Oberverwaltungsgericht

1.
in der Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat von deren Beurteilung durch ein anderes Oberverwaltungsgericht oder durch das Bundesverwaltungsgericht abweicht und
2.
die Revision deswegen zugelassen hat.
Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann auf diesen Zulassungsgrund nicht gestützt werden. Die Revision ist beschränkt auf die Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat. In dem hierfür erforderlichen Umfang ist das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 137 Absatz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden. Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigt für die Beurteilung der allgemeinen Lage diejenigen herkunfts- oder zielstaatsbezogenen Erkenntnisse, die von den in Satz 1 Nummer 1 genannten Gerichten verwertet worden sind, die ihm zum Zeitpunkt seiner mündlichen Verhandlung oder Entscheidung (§ 77 Absatz 1) von den Beteiligten vorgelegt oder die von ihm beigezogen oder erhoben worden sind. Die Anschlussrevision ist ausgeschlossen.

(8a) Das Bundesministerium des Innern und für Heimat evaluiert im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Justiz die Revision nach Absatz 8 drei Jahre nach Inkrafttreten.

Ein Urteil ist stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn

1.
das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2.
bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3.
einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4.
ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, außer wenn er der Prozeßführung ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat,
5.
das Urteil auf eine mündliche Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder
6.
die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist.

(1) Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.

(2) Ein in der mündlichen Verhandlung gestellter Beweisantrag kann nur durch einen Gerichtsbeschluß, der zu begründen ist, abgelehnt werden.

(3) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende tatsächliche Angaben ergänzt, ferner alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.

(4) Die Beteiligten sollen zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung Schriftsätze einreichen. Hierzu kann sie der Vorsitzende unter Fristsetzung auffordern. Die Schriftsätze sind den Beteiligten von Amts wegen zu übermitteln.

(5) Den Schriftsätzen sind die Urkunden oder elektronischen Dokumente, auf die Bezug genommen wird, in Abschrift ganz oder im Auszug beizufügen. Sind die Urkunden dem Gegner bereits bekannt oder sehr umfangreich, so genügt die genaue Bezeichnung mit dem Anerbieten, Einsicht bei Gericht zu gewähren.

Ein Urteil ist stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn

1.
das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2.
bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3.
einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4.
ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, außer wenn er der Prozeßführung ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat,
5.
das Urteil auf eine mündliche Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder
6.
die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist.

(1) Das Urteil des Verwaltungsgerichts, durch das die Klage in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet abgewiesen wird, ist unanfechtbar. Das gilt auch, wenn nur das Klagebegehren gegen die Entscheidung über den Asylantrag als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet, das Klagebegehren im Übrigen hingegen als unzulässig oder unbegründet abgewiesen worden ist.

(2) In den übrigen Fällen steht den Beteiligten die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zu, wenn sie von dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(3) Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.

(4) Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss, der keiner Begründung bedarf. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) § 134 der Verwaltungsgerichtsordnung findet keine Anwendung, wenn das Urteil des Verwaltungsgerichts nach Absatz 1 unanfechtbar ist.

(7) Ein Rechtsbehelf nach § 84 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung ist innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Gerichtsbescheids zu erheben.

(8) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 132 Absatz 1 und § 137 Absatz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung auch zu, wenn das Oberverwaltungsgericht

1.
in der Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat von deren Beurteilung durch ein anderes Oberverwaltungsgericht oder durch das Bundesverwaltungsgericht abweicht und
2.
die Revision deswegen zugelassen hat.
Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann auf diesen Zulassungsgrund nicht gestützt werden. Die Revision ist beschränkt auf die Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat. In dem hierfür erforderlichen Umfang ist das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 137 Absatz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden. Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigt für die Beurteilung der allgemeinen Lage diejenigen herkunfts- oder zielstaatsbezogenen Erkenntnisse, die von den in Satz 1 Nummer 1 genannten Gerichten verwertet worden sind, die ihm zum Zeitpunkt seiner mündlichen Verhandlung oder Entscheidung (§ 77 Absatz 1) von den Beteiligten vorgelegt oder die von ihm beigezogen oder erhoben worden sind. Die Anschlussrevision ist ausgeschlossen.

(8a) Das Bundesministerium des Innern und für Heimat evaluiert im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Justiz die Revision nach Absatz 8 drei Jahre nach Inkrafttreten.

Tenor

I. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

III. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, da der Zulassungsantrag keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 31. Oktober 2013 ist unbegründet, weil die Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO nicht vorliegen.

Der Kläger macht eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend. Das Verwaltungsgericht habe die beiden in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge abgelehnt. Die Begründung, der erste Beweisantrag sei ein unzulässiger Ausforschungsantrag und der zweite sei verspätet gestellt worden, sei unzutreffend. Der Sachverhalt hätte weiter aufgeklärt werden müssen. Das Urteil beruhe auf der fehlenden Aufklärung.

Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt nicht vor. Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden (BVerfG, B.v. 30.4.2003 – 1 PBvU 1/02 – BVerfGE 107, 395/409 = NJW 2003, 1924). Die Ablehnung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BVerfG, B.v. 30.1.1985 – 1 BvR 393/84 – BVerfGE 69, 141/144 = NJW 1986, 833; BVerfG, B.v. 18.6.1993 – 2 BvR 1815/92 – NVwZ 1994, 60 = BayVBl 1993, 562; BayVerfGH, E.v. 26.4.2005 – Vf. 97-VI-04 – VerfGH 58, 108 = BayVBl 2005, 721). Voraussetzung einer begründeten Rüge der Versagung rechtlichen Gehörs ist in jedem Fall die (erfolglose) vorherige Ausschöpfung sämtlicher verfahrensrechtlich eröffneter und nach Lage der Dinge tauglicher Möglichkeiten, sich rechtliches Gehör zu verschaffen (BVerfG, B.v. 10.2.1987 – 2 BvR 314/86 – BVerfGE 74, 220/225 = NJW 1987, 1191). Falls ein Beweisantrag abgelehnt wurde, weil das Gericht die Umstände„verkannt“ hat, müsste der Rechtsanwalt einen weiteren klarstellenden Beweisantrag gestellt haben (BVerwG, B.v. 30.7.2008 – 5 B 59.08 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO Nr. 50). Die ungenügende Sachverhaltsaufklärung (Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes nach § 86 Abs. 1 VwGO) gehört nicht zu den in § 138 VwGO genannten Verfahrensmängeln (BayVerfGH, E.v. 29.1.2014 – Vf. 18-VI-12 – BayVBl 2014, 448).

Gemessen an diesen höchstrichterlichen Grundsätzen war dem Kläger das rechtliche Gehör nicht versagt.

Gemäß dem ersten Beweisantrag sollte ein Gutachten darüber eingeholt werden, dass aufgrund der in dem HNO-ärztlichen Attest des Dr. med. R. vom 26. Juli 2012 festgestellten gesundheitlichen Beschädigungen die Erinnerungsfähigkeit des Klägers beeinträchtigt sei. Jener durfte abgelehnt werden, weil er keine konkreten tatsächlichen Grundlagen für das Beweisthema enthielt. Das betreffende Attest (s. S. 81 der Bundesamtsakte) enthält folgende Diagnose: Knalltrauma rechts (mit Hochtonabfall), Tinnitus rechts. Anhaltspunkte für eine Störung des Erinnerungsvermögens ergeben sich hieraus nicht. Dem Argument in der Begründung des Zulassungsantrags, es sei nicht nur um die Erinnerungsfähigkeit, sondern auch um den Umfang der gesundheitlichen Beeinträchtigungen gegangen, ist entgegenzuhalten, dass dieses Thema im Beweisantrag nicht enthalten ist.

Gemäß dem zweiten Beweisantrag sollte der Bruder des Klägers als Zeuge dazu vernommen werden, dass dieser von den Taliban dreimal geschlagen wurde. Diesbezüglich kann der Zulassungsantrag deshalb keinen Erfolg haben, weil der Kläger nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft hat, sich rechtliches Gehör zu verschaffen. So hätte es ihm oblegen, bereits zu Beginn der mündlichen Verhandlung einen Beweisantrag zu stellen und den Bruder als präsenten Zeugen zu präsentieren, der sich nach Angaben des Klägers zu Beginn des Gerichtstermins noch im Zuschauerraum befand. Hierzu hätte Anlass bestanden, weil das Verwaltungsgericht in dem Beschluss vom 26. September 2013 über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe u.a. darauf abgestellt hat, dass die jeweiligen Angaben des Klägers bzw. des Bruders vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge widersprüchlich gewesen seien. Demnach wusste der Kläger, dass die Angaben des Bruders entscheidungserheblich gewesen wären. Außerdem hätte der Kläger nach dem ablehnenden Beschluss einen erneuten Beweisantrag unter Hinweis darauf stellen müssen, dass der Zeuge telefonisch erreichbar sei und ohne erhebliche Verzögerung der Verhandlung herbeigeholt werden könnte, wie dies in der Begründung des Zulassungsantrags dargelegt wurde. Dass der Kläger seinen Bruder bereits im Schriftsatz vom 28. Oktober 2013 als Zeugen benannte, vermag keine andere Entscheidung zu rechtfertigen, weil mit einem schriftsätzlichgestellten Beweisantrag lediglich die weitere Erforschung des Sachverhalts durch das Gericht angeregt wird (BVerwG, B.v. 20.8.2010 – 8 B 27.10 – juris; U.v. 26.6.1968 – V C 111.67 – BVerwGE 30, 57).

Das mit Schriftsatz vom 11. Februar 2015 nachgereichte fachärztliche psychiatrische Attest über PTBS vermag die Zulassung der Berufung ebenfalls nicht zu rechtfertigen. Abgesehen davon, dass die einmonatige Darlegungsfrist nach § 78 Abs. 4 Sätze 1 und 4 AsylVfG überschritten ist, kommt es hier nur auf die Prozesssituation in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht an.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylVfG.

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 16. Januar  2015 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.


1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Gründe

1

Die auf die Zulassungsgründe eines Verfahrensmangels (1.) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (2.) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

2

1. Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensfehlers (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.

3

Nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Damit sind Verstöße gegen Vorschriften gemeint, die den Verfahrensablauf bzw. den Weg zu dem Urteil und die Art und Weise des Urteilserlasses regeln, nicht jedoch Vorschriften, die den Urteilsinhalt betreffen und deren Verletzung sich als Mangel der sachlichen Entscheidung darstellt. Ein Verfahrensmangel ist nur dann im Sinne von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ausreichend bezeichnet, wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert dargetan wird (BVerwG, Beschlüsse vom 17. November 2015 - 5 B 17.15 - ZOV 2016, 160 Rn. 3 und vom 26. September 2016 - 5 B 1.16 D - juris Rn. 5, jeweils m.w.N.). Daran gemessen kommt die Zulassung der Revision nicht in Betracht.

4

Die Beschwerde macht geltend, das angefochtene Urteil beruhe in mehrfacher Hinsicht auf einer Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) (a) sowie des Anspruchs der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) (b). Zudem beanstandet sie die Entscheidung unter Willkürgesichtspunkten als verfahrensfehlerhaft (c). Außerdem leide das angefochtene Urteil an einem Verfahrensfehler, soweit das Oberverwaltungsgericht nicht die Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer tenoriert (d) und sich nicht mit den materiellen Nachteilen der überlangen Prozessdauer befasst habe (e). Das diesbezügliche Vorbringen der Beschwerde erfüllt zum Teil schon nicht die gesetzlichen Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO, zum Teil liegt der behauptete Verfahrensmangel in der Sache nicht vor.

5

a) Die Rüge, das Oberverwaltungsgericht sei seiner Pflicht zur umfassenden Ermittlung des Sachverhalts (§ 86 Abs. 1 VwGO) nicht ordnungsgemäß nachgekommen, bleibt ohne Erfolg.

6

Die Aufklärungsrüge setzt die substantiierte Darlegung voraus, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiellrechtlichen Auffassung der Vorinstanz aufklärungsbedürftig waren, welche für erforderlich oder geeignet gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht kamen, welche tatsächlichen Feststellungen dabei voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern diese unter Zugrundelegung der materiellrechtlichen Auffassung des Tatsachengerichts zu einer für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätten führen können. Überdies muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auf der Grundlage seiner materiellrechtlichen Auffassung auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 26. September 2016 - 5 B 1.16 D - juris Rn. 9 m.w.N.). Gemessen daran hat die Beschwerde eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht nicht ausreichend bezeichnet.

7

aa) Das gilt zunächst, soweit die Beschwerde beanstandet, das Oberverwaltungsgericht habe die "unzutreffende, durch keine Fakten belegte, aus der Luft gegriffene These" vertreten, der Berichterstatter habe den Fall nach Eingang der Berufungszulassungsbegründung der Klägerin am 15. Juni 2011 unbearbeitet liegengelassen, um den Ausgang des Verfahrens über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision gegen das die Teildienstfähigkeit der Klägerin betreffende Urteil des Oberverwaltungsgerichts abzuwarten. Die anwaltlich vertretene Klägerin hat vor dem Oberverwaltungsgericht keinen Beweisantrag zu den Gründen des Berichterstatters für das Nichtbetreiben des Berufungszulassungsverfahrens in der Zeit vom Eingang der Berufungszulassungsbegründung bis Juli 2012 gestellt. Die Beschwerde legt nicht substantiiert dar, dass sich dem Oberverwaltungsgericht auf der Grundlage seiner materiellrechtlichen Auffassung die von der Klägerin für erforderlich gehaltene Befragung des Berichterstatters auch ohne einen solchen Antrag hätte aufdrängen müssen. Die Ausführungen der Beschwerde gründen vielmehr auf der von der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts abweichenden rechtlichen Ansicht der Klägerin. Diese geht davon aus, für die Frage, ob die Untätigkeit des Ausgangsgerichts aufgrund des dem Gericht zukommenden Gestaltungsspielraums sachlich gerechtfertigt gewesen sei, komme es auf die der Untätigkeit tatsächlich zugrundeliegende "Absicht" des konkreten Berichterstatters an. Die Beschwerde zeigt indessen - was erforderlich gewesen wäre - weder auf noch ist sonst hinreichend erkennbar, dass das Oberverwaltungsgericht die Rechtsansicht vertritt, es komme auf die "Absicht" bzw. subjektive Einschätzung des Berichterstatters an. Das Oberverwaltungsgericht spricht zwar im Rahmen der Subsumtion von der "maßgeblichen damaligen Sicht des Berichterstatters", nimmt aber bei der Formulierung der (abstrakten) rechtlichen Maßstäbe der streitentscheidenden Norm, d.h. des § 198 Abs. 1 GVG, auf die ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Bezug, wonach es darauf ankommt, wie "das [Ausgangs-]Gericht die Lage aus seiner Ex-ante-Sicht einschätzen durfte" (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2013 - 5 C 23.12 D - BVerwGE 147, 146 Rn. 41 und Beschluss vom 26. September 2016 - 5 B 1.16 D - juris Rn. 29 m.w.N.). Dies deutet bei verständiger Würdigung darauf hin, dass das Oberverwaltungsgericht eine objektivierende Betrachtung für geboten gehalten und vorgenommen hat, nach der es darauf ankommt, welche Gründe allgemein das prozessuale Verhalten und so auch eine (vorübergehende) Untätigkeit des Ausgangsgerichts (insgesamt) bzw. eines für eine bestimmte Maßnahme zuständigen Berichterstatters rechtfertigen können, ohne dass dafür maßgeblich ist, wie der konkrete Berichterstatter die Lage in der konkreten Situation tatsächlich subjektiv eingeschätzt hat. Nach diesem rechtlichen Maßstab musste sich dem Oberverwaltungsgericht die Vernehmung des damaligen, im konkreten Ausgangsfall zuständigen Berichterstatters nicht aufdrängen. Vielmehr kam es auf dessen subjektive Motivation nicht an.

8

Des Weiteren lässt die Beschwerde bei ihrer Würdigung auch unberücksichtigt, dass es bei Zugrundelegung einer objektivierenden Betrachtungsweise durchaus vertretbar sein kann, wenn das Ausgangsgericht das Ausgangsverfahren mit Blick auf einen parallel anhängigen Rechtsstreit, der für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens von rechtlicher Relevanz ist, zeitweise "faktisch", d.h. ohne förmliche Anordnung nach § 94 VwGO aussetzt. Dementsprechend kann etwa die mit der Bearbeitung oder Förderung eines Leitverfahrens korrespondierende Zeit der faktischen Aussetzung bei der Bewertung der angemessenen Dauer des parallel anhängigen Ausgangsverfahrens nicht zu Lasten des Staates berücksichtigt werden (vgl. BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 12/13 R - SozR 4-1720 § 198 GVG Nr. 4 Rn. 47 m.w.N.).

9

bb) Soweit die Beschwerde einen weiteren Aufklärungsmangel im Zusammenhang mit der vom Oberverwaltungsgericht angenommenen Kompensation der unangemessenen Verzögerung des Berufungszulassungsverfahrens durch die Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens sieht, legt sie schon nicht dar, welche konkreten Tatsachen zum Ablauf des erstinstanzlichen Verfahrens auf der Grundlage der materiellrechtlichen Auffassung der Vorinstanz aufklärungsbedürftig waren. Derartige Angaben fehlen vor allem auch, soweit die Beschwerde die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, für das erstinstanzliche Verfahren sei eine Dauer von bis zu sechs Monaten angemessen gewesen, beanstandet. Den Ausführungen der Beschwerde ist in erster Linie zu entnehmen, dass sie aufgrund des vom Oberverwaltungsgericht festgestellten tatsächlichen Ablaufs des erstinstanzlichen Verfahrens eine andere rechtliche Schlussfolgerung als die Vorinstanz für geboten hält, weil sie für die Bemessung der Angemessenheit der Verfahrensdauer erneut von anderen rechtlichen Grundsätzen als das Oberverwaltungsgericht ausgeht. Ihrer Ansicht nach kann dem Gericht insbesondere ein zeitlicher Gestaltungsspielraum jenseits der den Beteiligten und deren Prozessbevollmächtigten durch die gesetzlichen Schriftsatzfristen und Beschleunigungsregelungen auferlegten zeitlichen Vorgaben nicht zugebilligt werden, sodass bei Einhaltung dieser Vorgaben - so wie hier - nicht auf eine "sehr schnelle" Bearbeitung erkannt werden könne. Mit diesen Angriffen gegen die Rechtsanwendung durch das Oberverwaltungsgericht lässt sich jedoch eine Verletzung der gerichtlichen Pflicht zur Sachverhaltsermittlung nicht begründen.

10

b) Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) bleibt ohne Erfolg.

11

Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Die Beteiligten müssen demgemäß auch Gelegenheit erhalten, sich zu allen entscheidungserheblichen Tatsachen und Rechtsfragen sachgemäß, zweckentsprechend und erschöpfend erklären zu können (BVerwG, Beschluss vom 30. März 2016 - 5 B 11.16 - juris Rn. 20). Das Gericht braucht sich jedoch nicht mit jedem Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich auseinanderzusetzen. Denn es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Beteiligtenvorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Etwas anderes gilt, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Dies und die Entscheidungserheblichkeit des vermeintlich übergangenen Vorbringens sind von dem betreffenden Beteiligten darzulegen (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 30. Juni 2015 - 5 B 43.14 - ZOV 2015, 217). Des Weiteren verpflichtet der Anspruch auf rechtliches Gehör das Gericht grundsätzlich nicht, die Beteiligten auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffes hinzuweisen und offenzulegen, wie es seine Entscheidung im Einzelnen zu begründen beabsichtigt. Denn die tatsächliche und rechtliche Würdigung ergibt sich regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verbietet aber, dass ein Beteiligter durch die angegriffene Entscheidung im Rechtssinne überrascht wird. Eine unzulässige Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf - selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen - nicht zu rechnen brauchte, was von dem betreffenden Beteiligten im Einzelnen darzulegen ist. Dagegen kann von einer Überraschungsentscheidung nicht gesprochen werden, wenn das Gericht Tatsachen, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten, in einer Weise würdigt oder aus ihnen Schlussfolgerungen zieht, die nicht den subjektiven Erwartungen eines Prozessbeteiligten entsprechen oder von ihm für unrichtig gehalten werden (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 5. Juni 2014 - 5 B 75.13 - juris Rn. 12 und vom 30. März 2016 - 5 B 11.16 - juris Rn. 20, jeweils m.w.N.). Gemessen daran hat die Beschwerde eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht substantiiert aufgezeigt.

12

aa) Soweit die Beschwerde die Gehörsverletzung damit begründet, die Vorinstanz sei in Bezug auf die gerichtliche Untätigkeit im Ausgangsverfahren nach Eingang des Berufungszulassungsantrags bis Juli 2012 auf den wesentlichen Kern des Sachvortrages der Klägerin nicht eingegangen, fehlt es bereits an einer konkreten Bezeichnung des angeblich übergangenen Vorbringens. Die Beschwerde nimmt insoweit auf die Schriftsätze der Klägerin pauschal Bezug, in denen diese dargelegt habe, dass der Zeitraum zwischen dem 15. Juni 2011 bis zur Erklärung der Hauptsacheerledigung am 12. August 2014 auf einer Nichtbearbeitung des Falles durch das Oberverwaltungsgericht beruhe. Sie legt indessen nicht dar, welcher der schriftsätzlich unterbreiteten Gesichtspunkte vom Oberverwaltungsgericht nicht zur Kenntnis genommen oder erwogen worden wäre.

13

Abgesehen davon greift diese Rüge auch in der Sache nicht durch. Ausweislich des Tatbestandes der angefochtenen Entscheidung hat das Oberverwaltungsgericht das Vorbringen der Klägerin, das Ausgangsgericht habe das Berufungszulassungsverfahren mehr als drei Jahre ohne sachlichen Rechtfertigungsgrund nicht bearbeitet, zur Kenntnis genommen. Dass das Oberverwaltungsgericht diesem Vorbringen bzw. der dem zugrundeliegenden Bewertung der Klägerin nicht gefolgt ist, begründet keinen Gehörsverstoß.

14

bb) An einer ordnungsgemäßen Geltendmachung der Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör fehlt es auch, soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang geltend macht, die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, "dass der Nichtbearbeitungszeitraum vom 15.6.2011 bis zum 10.7.2012 auf einer sachgerechten Dispositionsentscheidung des Berichterstatters im Hinblick auf die noch anhängige Nichtzulassungsbeschwerde beruht", sei für die Klägerin überraschend gewesen, weil der Beklagte derartiges in seiner Klageerwiderung nicht behauptet habe. Aus dem diesbezüglichen Vorbringen der Beschwerde geht zum einen nicht hervor, welchen Vortrag der Klägerin das Oberverwaltungsgericht nicht zur Kenntnis genommen oder erwogen haben soll, sodass unter diesem Gesichtspunkt ein Gehörsverstoß nicht schlüssig dargelegt ist. Zum anderen stellt sich die Wertung des Oberverwaltungsgerichts, das prozessuale Verhalten des Ausgangsgerichts, in dem genannten Zeitraum "eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts über die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin in der Statussache" abzuwarten, sei vertretbar und zur Rechtfertigung einer vorübergehenden Untätigkeit geeignet gewesen, auch nicht als unzulässige Überraschungsentscheidung dar. Ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter musste damit rechnen, dass das Oberverwaltungsgericht diese - wie oben dargelegt - keineswegs fernliegende, sondern eher auf der Hand liegende, jedenfalls durchaus vertretbare Erwägung anstellen würde. Die Beschwerde stellt auch nicht in Abrede, dass der ausstehenden Entscheidung in der Statussache der Klägerin Bedeutung für das Ausgangsverfahren zukommen konnte, sondern würdigt diesen Gesichtspunkt im konkreten Zusammenhang nur anders als das Oberverwaltungsgericht.

15

cc) Soweit die Beschwerde eine Gehörsverletzung daraus herleitet, die Klägerin habe in ihren Schriftsätzen dargelegt, dass der Bearbeitungszeitraum von ca. einem Monat in der ersten Instanz beim Verwaltungsgericht "normal" gewesen sei und den zeitlichen Bearbeitungs- und Beschleunigungsvorstellungen des Gesetzgebers entsprochen habe, während das Oberverwaltungsgericht stattdessen unsubstantiiert und beweislos behauptet habe, eine Verfahrensdauer von bis zu sechs Monaten wäre beim Verwaltungsgericht angemessen gewesen, genügt ihr Vorbringen schon deshalb nicht den gesetzlichen Darlegungsanforderungen, weil die Beschwerde das angeblich übergangene Vorbringen nicht konkret bezeichnet. Abgesehen davon ist dieses Vorbringen auch deshalb nicht geeignet, eine Verletzung des rechtlichen Gehörs darzutun, weil die Beschwerde insoweit einen anderen rechtlichen Ansatz als das Oberverwaltungsgericht zugrunde legt. Nach ihrer Ansicht ist es "prinzipiell rechtlich unzulässig", die etwaige Überlänge in einer Instanz durch die Behandlung der Sache in einer anderen Instanz auszugleichen. Ihre weiteren Ausführungen in diesem Zusammenhang basieren darüber hinaus auf der Annahme, dem Gericht könne ein zeitlicher Gestaltungsspielraum jenseits der den Beteiligten und deren Prozessbevollmächtigten durch die gesetzlichen Schriftsatzfristen und Beschleunigungsregelungen auferlegten zeitlichen Vorgaben nicht zugebilligt werden, sodass bei Einhaltung dieser Vorgaben auch nicht bei einer einmonatigen Bearbeitungszeit eines verwaltungsgerichtlichen Hauptsacheverfahrens auf eine "sehr schnelle" Bearbeitung erkannt werden könne. Demgegenüber ist das Oberverwaltungsgericht unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 11. Juli 2013 - 5 C 23.12 D - BVerwGE 147, 146) davon ausgegangen, dass mit § 198 Abs. 1 GVG schematische zeitliche Vorgaben für die Angemessenheit ausgeschlossen seien und wegen der Rückbindung des Entschädigungsanspruchs an die Verletzung von Grund- und Menschenrechten nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung des Gerichts zur Begründung einer unangemessenen Verfahrensdauer ausreiche. Ferner hat das Oberverwaltungsgericht mit Bezug auf die genannte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts angenommen, dass die Verfahrensdauer in einem Spannungsverhältnis zur richterlichen Unabhängigkeit gemäß Art. 97 Abs. 1 GG und zum rechtsstaatlichen Gebot stehe, eine inhaltlich richtige, an Recht und Gesetz orientierte Entscheidung zu treffen, mit der Folge, dass dem Gericht bei der Verfahrensführung, insbesondere auch bei der Festlegung einer zeitlichen Reihenfolge der von ihm zu bearbeitenden Fälle ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen sei. Die Beschwerde legt nicht dar, dass es nach diesem für die Beurteilung eines Gehörsverstoßes maßgeblichen materiellrechtlichen Ansatz des Oberverwaltungsgerichts auf die von der Klägerin in ihren Schriftsätzen genannten Umstände ankam.

16

dd) Bezüglich der in diesem Zusammenhang behaupteten Verletzung des rechtlichen Gehörs durch eine sogenannte Überraschungsentscheidung kann offengelassen werden, ob diesbezüglich ein Rügeverlust eingetreten ist, weil in Fällen, in denen - wie hier - eine mündliche Verhandlung stattfindet, der Anspruch auf rechtliches Gehör vor allem das Recht der Partei auf Äußerung in dieser Verhandlung begründet (BVerwG, Beschluss vom 17. September 2006 - 1 B 102.06 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 345 Rn. 4 m.w.N.) und die Klägerin dem Oberverwaltungsgericht durch das Fernbleiben ihres ordnungsgemäß geladenen Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung schon keine Gelegenheit gegeben hat, den Fall insbesondere im Hinblick auf die Möglichkeit einer Kompensation und die für angemessen gehaltene Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens mit ihr zu erörtern. Ebenso kann dahinstehen, welche Bedeutung dabei dem Umstand beizumessen ist, dass sich der Prozessbevollmächtigte der Klägerin zur Vermeidung der geltend gemachten Terminkollision nicht um eine Verlegung der mündlichen Verhandlung bemüht, sondern ausdrücklich damit einverstanden erklärt hat, dass gemäß § 102 Abs. 2 VwGO ohne ihn verhandelt und entschieden werde. Denn die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, für das erstinstanzliche Verfahren wäre eine Dauer von bis zu sechs Monaten angemessen gewesen, kann nicht als Überraschungsentscheidung gewertet werden. Der Gesichtspunkt, dass eine etwaige Überlänge in einer Instanz durch die zügige Bearbeitung der Sache in einer anderen Instanz ganz oder teilweise kompensiert werden könne, und der Umstand, dass das Verwaltungsgericht das erstinstanzliche Verfahren ganz erheblich schneller erledigt hätte, als es dies hätte tun müssen, wurden von dem Beklagten mit Klageerwiderung vom 16. April 2015 in das Verfahren eingeführt. Die Klägerin hat sich hierzu in dem Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 21. April 2015 auch verhalten und die Auffassung des Beklagten als abwegig angesehen. Es lag schon auch deshalb nahe, dass sich das Oberverwaltungsgericht diesen beiden Aspekten unter Einbeziehung der insoweit relevanten Gesichtspunkte widmet. Dass es insoweit der Rechtsauffassung der Klägerin nicht gefolgt ist, begründet keine Gehörsverletzung.

17

c) Die Beschwerde hat mit ihrer Verfahrensrüge auch unter Willkürgesichtspunkten (Art. 3 Abs. 1 GG) keinen Erfolg.

18

Der Anspruch auf willkürfreie Rechtsanwendung betrifft grundsätzlich auch die Auslegung und Anwendung des Verfahrensrechts (BVerfG, Kammerbeschluss vom 26. Oktober 2011 - 2 BvR 1856/10 - NJW-RR 2012, 302 Rn. 21). Willkür liegt vor, wenn eine offensichtlich einschlägige (Verfahrens-)Norm nicht berücksichtigt oder der Inhalt einer (Verfahrens-)Norm in krasser Weise missgedeutet wird. Das ist nur dann der Fall, wenn der Richterspruch unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, er beruhe auf sachfremden Erwägungen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 14. März 2012 - 2 BvR 2405/11 - NJW 2012, 1863 Rn. 20 m.w.N.). Gemessen daran hat die Beschwerde die willkürliche Anwendung einer den Verfahrensablauf betreffenden Vorschrift schon nicht in einer § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dargelegt.

19

Die Beschwerde erachtet zum einen die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, die gerichtliche Untätigkeit nach Eingang des Berufungszulassungsantrags sei bis Juli 2012 vom gerichtlichen Gestaltungsspielraum gedeckt gewesen, als willkürlich, weil sich in der Gerichtsakte kein Beweis befinde, dass der Berichterstatter das Berufungszulassungsverfahren ohne Aussetzungsbeschluss nach § 94 VwGO habe aussetzen wollen, sein Verhalten nach dem 10. Juli 2012 mache vielmehr deutlich, dass ein Fall der Nichtbearbeitung ab dem Beginn des Berufungszulassungsverfahrens vorliege. Zum anderen hält sie die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts für willkürlich, für das erstinstanzliche Verfahren sei eine Dauer von bis zu sechs Monaten angemessen gewesen. Denn auch diese werde durch keine auf den konkreten Fall bezogenen Fakten belegt. In beiden Fällen sieht die Beschwerde die Willkürlichkeit der angefochtenen Entscheidung der Sache nach jeweils als Folge der behaupteten Verletzung der Aufklärungspflicht an, welche sie - wie vorstehend ausgeführt - selbst nicht ordnungsgemäß aufgezeigt hat.

20

Soweit die Beschwerde ihre Ausführungen auch dahin verstanden wissen möchte, dass sie die Sachverhaltswürdigung und materielle Rechtsanwendung durch das Oberverwaltungsgericht als verfahrensfehlerhaft beanstandet, ist ein Verfahrensmangel ebenfalls nicht dargetan. Eine fehlerhafte Sachverhalts- und Beweiswürdigung ist grundsätzlich nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzurechnen. Ein einen Verfahrensfehler begründenden Verstoß gegen die Verpflichtung des Gerichts aus § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO, nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden, kann aber ausnahmsweise insbesondere dann anzunehmen sein, wenn das Urteil auf einer aktenwidrigen, gegen die Denkgesetze verstoßenden oder sonst von objektiver Willkür geprägten Sachverhaltswürdigung beruht (BVerwG, Beschluss vom 16. September 2015 - 4 VR 2.15 - juris Rn. 19 m.w.N.). Dies ist vom Beschwerdeführer darzulegen. Daran fehlt es hier. Die Beschwerde zielt vielmehr auf eine inhaltliche Kritik der tatrichterlichen Sachverhaltswürdigung und Rechtsanwendung durch das Oberverwaltungsgericht und setzt dieser eine eigene Bewertung entgegen, ohne jedoch Anhaltspunkte für eine willkürliche oder gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßende Würdigung der Erkenntnismittel zu benennen.

21

d) Erfolglos rügt die Beschwerde als Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, dass das Oberverwaltungsgericht im Tenor des angefochtenen Urteils nicht die Feststellung ausgesprochen habe, die Verfahrensdauer sei unangemessen gewesen.

22

Es kann offengelassen werden, ob der unterlassene Ausspruch dieser Feststellung neben einer - wie hier zuerkannten - Entschädigung, über den das Entschädigungsgericht von Amts wegen (§ 198 Abs. 4 Satz 2 GVG) zu befinden hat, grundsätzlich mit der Nichtzulassungsbeschwerde als Verfahrensmangel oder nur mit einem fristgebundenen Antrag auf Urteilsergänzung (§ 120 Abs. 1 und 2 VwGO) geltend gemacht werden kann. Eine aus der unterlassenen kumulativen Feststellung hergeleitete etwaige Verfahrensfehlerhaftigkeit wird von der Beschwerde jedenfalls nicht ausreichend bezeichnet. Diese legt nicht substantiiert dar, dass der von ihr eingeforderte Ausspruch nach der für die Frage des Vorliegens eines Verfahrensmangels grundsätzlich und so auch im vorliegenden Kontext maßgeblichen Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts überhaupt veranlasst war. Vielmehr basieren die Ausführungen der Beschwerde auf der Bewertung der Klägerin, es liege eine im Sinne des § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 1 GVG schwerwiegende (vgl. zu diesem Begriff BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2013 - 5 C 23.12 D - BVerwGE 147, 146 Rn. 66) Beeinträchtigung ihres Anspruchs auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit vor, welche in dem angefochtenen Urteil keine Stütze findet.

23

e) Mit ihrem Vorbringen, das Oberverwaltungsgericht habe sich in dem Urteil nicht mit den materiellen Nachteilen der überlangen Prozessdauer befasst, rügt die Beschwerde der Sache nach einen Verstoß gegen § 88 VwGO. Es kann offengelassen werden, ob die Beschwerde den Darlegungsanforderungen genügt, die an die Geltendmachung eines derartigen Verfahrensfehlers zu stellen sind. Denn ein solcher Verstoß liegt jedenfalls nicht vor.

24

Nach § 88 VwGO darf das Gericht über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden. Diese Bestimmung ist Ausdruck des prozessualen Dispositionsgrundsatzes, nach dem es Sache des Klägers ist zu bestimmen, welches Rechtsschutzziel er mit der Anrufung des Gerichts verfolgt. Das Gericht ist verpflichtet, das Rechtsschutzziel des Klägers zu ermitteln und darauf hinzuwirken, dass er die hierfür sachdienlichen Anträge stellt (vgl. § 86 Abs. 3 VwGO). Maßgebend ist der Wille des Klägers, wie er sich aus seinen prozessualen Erklärungen, d.h. dem Klageantrag und der Klagebegründung, und seiner für das Gericht erkennbaren Interessenlage ergibt (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 1. September 2016 - 4 C 4.15 - UPR 2017, 105 Rn. 9; Beschluss vom 21. Dezember 2016 - 8 B 27.15 - juris Rn. 9, jeweils m.w.N.). Nach diesem Maßstab hat das Oberverwaltungsgericht das Rechtsschutzziel der Klägerin nicht verkannt.

25

Die Klage zielte nach dem klaren Wortlaut der Klagebegründung ausschließlich auf Entschädigung des immateriellen Nachteils. Die Klägerin hat zur Begründung der Höhe des Entschädigungsbegehrens auf die Vorschrift des § 198 Abs. 2 GVG Bezug genommen. Nach dessen Satz 3 ist der immaterielle Nachteil in der Regel in Höhe von 1 200 € für jedes Jahr der Verzögerung zu entschädigen, woraus sich bei der von der Klägerin geltend gemachten Verzögerung von drei Jahren die von ihr im Klageantrag bezifferte Forderung von 3 600 € errechnet. Auch mit ihren weiteren Ausführungen vor dem Oberverwaltungsgericht hat die Klägerin nicht aufgezeigt, dass und welche materiellen Nachteile ihr durch die geltend gemachte Verzögerung entstanden wären bzw. entstehen würden. Das von der Klägerin auf die Entschädigung des immateriellen Nachteils beschränkte Rechtsschutzziel hat das Oberverwaltungsgericht seiner inhaltlichen Prüfung zugrunde gelegt.

26

2. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.

27

Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), d.h. näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des Bundesrechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 1. Februar 2011 - 7 B 45.10 - juris Rn. 15 und vom 21. Oktober 2014 - 5 B 30.14 - PersV 2016, 237 Rn. 2). Diese Darlegungsanforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht.

28

Soweit die Beschwerde die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache aus "den zahlreichen [...] dargelegten Verfahrensfehlern des Oberverwaltungsgerichts" herleiten möchte, formuliert sie keine das materielle Recht betreffende Rechtsfrage im vorgenannten Sinne. Das Gleiche gilt, soweit die Beschwerde auf die von ihr "bezüglich der Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer im Urteilstenor und der Berücksichtigung der immateriellen und materiellen Ersatzansprüche des § 198 GVG [...] dargelegten Verfahrensfragen" verweist.

29

Auch die Frage, "ob das Entschädigungsgericht als einzige Tatsacheninstanz in dem Verfahren nach § 198 GVG bestimmte Sachverhaltsannahmen einfach unsubstantiiert und beweislos aus der Luft greifen und vermuten darf, wie das bei den Thesen des OVG vom 'Gestaltungsspielraum des Gerichts aus der maßgeblichen Sicht des Berichterstatters' und '...beim Verwaltungsgericht ist eine Dauer von bis zu sechs Monaten angemessen gewesen' der Fall gewesen ist", ist in dieser Form in einem Revisionsverfahren weder klärungsfähig noch klärungsbedürftig. Dass das Entschädigungsgericht in einem Verfahren nach § 198 GVG nicht "bestimmte Sachverhaltsannahmen einfach unsubstantiiert und beweislos aus der Luft greifen und vermuten darf", liegt nach verfahrensrechtlichen Grundsätzen auf der Hand und bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren. Bei der von der Beschwerde mit dieser Frage verknüpften Beanstandung der konkreten Bemessung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums des Ausgangsgerichts handelt es sich um das Ergebnis der vom Oberverwaltungsgericht vorgenommenen Subsumtion, die einer rechtssatzmäßigen Klärung im Revisionsverfahren nicht zugänglich ist.

30

Soweit die Beschwerde mit ihrer Begründung zum Ausdruck bringen möchte, dass sie den rechtlichen Maßstab des Oberverwaltungsgerichts sowohl hinsichtlich der Bemessung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums als auch hinsichtlich einer Kompensation nicht teilt, beanstandet sie die Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Damit kann eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht erfolgreich begründet werden.

31

3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO abgesehen.

32

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes folgt aus § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 3 GKG.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.

(2) Ein in der mündlichen Verhandlung gestellter Beweisantrag kann nur durch einen Gerichtsbeschluß, der zu begründen ist, abgelehnt werden.

(3) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende tatsächliche Angaben ergänzt, ferner alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.

(4) Die Beteiligten sollen zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung Schriftsätze einreichen. Hierzu kann sie der Vorsitzende unter Fristsetzung auffordern. Die Schriftsätze sind den Beteiligten von Amts wegen zu übermitteln.

(5) Den Schriftsätzen sind die Urkunden oder elektronischen Dokumente, auf die Bezug genommen wird, in Abschrift ganz oder im Auszug beizufügen. Sind die Urkunden dem Gegner bereits bekannt oder sehr umfangreich, so genügt die genaue Bezeichnung mit dem Anerbieten, Einsicht bei Gericht zu gewähren.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Tenor

1. Der Beschluss des Kammergerichts vom 12. Oktober 2012 - 4 VAs 49/12 - verletzt den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten aus Artikel 19 Absatz 4 und Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes.

2. Der Beschluss wird aufgehoben.

3. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Kammergericht zurückverwiesen.

4. Das Land Berlin hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

1

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Eintragung einer spanischen Schnellverurteilung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung in das Bundeszentralregister.

I.

2

1. Der Beschwerdeführer wurde am 16. Dezember 2010 von einem Strafgericht in Sevilla (Spanien) wegen Beamtennötigung in Tateinheit mit tätlichem Angriff auf einen Polizeibeamten zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu sechs Euro sowie zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Nach den Urteilsfeststellungen wurde der Beschwerdeführer anlässlich eines internationalen Fußballspiels am 15. Dezember 2010 bei Zusammenstößen von Dortmunder Fans und der spanischen Polizei mit 14 weiteren Beschuldigten festgenommen und am nächsten Tag mit diesen gemeinsam abgeurteilt. Die Freiheitsstrafe wurde in Deutschland in das Bundeszentralregister eingetragen, worüber der Beschwerdeführer erst nach Beantragung eines Führungszeugnisses am 27. September 2011 informiert wurde. Gegen diese Eintragung machte der Beschwerdeführer am 29. September 2011 Einwendungen (vgl. § 55 Abs. 2 Satz 3 1. Halbsatz BZRG) beim Bundesamt für Justiz geltend, wobei er schwere rechtsstaatliche Mängel des zu seiner Verurteilung führenden spanischen Schnellverfahrens rügte.

3

2. Mit Bescheid vom 27. April 2012 lehnte das Bundesamt für Justiz die Streichung der Eintragung ab, da die Eintragungsvoraussetzungen der § 54 Abs. 1, § 55 Abs. 1 BZRG erfüllt seien. Als Registerbehörde sei das Bundesamt für Justiz grundsätzlich nicht befugt, das Verfahren des spanischen Gerichts zu überprüfen. Zwar müssten elementare rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt bleiben, jedoch sei nicht erkennbar, dass diese bei der spanischen Verurteilung missachtet worden seien.

4

3. Die gegen diesen Bescheid am 7. Mai 2012 erhobene Beschwerde wies das Bundesministerium der Justiz mit Bescheid vom 22. August 2012 zurück. Die gesetzlichen Voraussetzungen der Eintragung lägen vor. Selbst wenn ein Rechtsmittelverzicht wegen Drohung oder Gewaltanwendung unwirksam gewesen wäre, wäre die eingetragene Entscheidung inzwischen unanfechtbar, da der Beschwerdeführer kein Rechtsmittel eingelegt habe. Eine Verletzung wesentlicher Verfahrensrechte sei nicht zu erkennen. Insbesondere sei der Beschwerdeführer auch mit dem beschleunigten Verfahren, gegen das als solches keine Bedenken bestünden, einverstanden gewesen. Schließlich habe die zuständige spanische Ombudsstelle den Vorfall untersucht und kein Fehlverhalten von Polizei oder Justiz festgestellt.

5

4. Gegen diesen Bescheid beantragte der Beschwerdeführer die gerichtliche Entscheidung nach §§ 23 ff. EGGVG. Zur Begründung führte er wie bereits im Verwaltungsverfahren aus, dass die Eintragung in das Bundeszentralregister zu löschen sei, weil seine Verurteilung unter Verstoß gegen den ordre-public-Vorbehalt (§ 53a BZRG) zustande gekommen sei. Er sei von der Polizei körperlich und seelisch äußerst grob behandelt und weder über seine Rechte noch über den Anlass der Festnahme belehrt worden. Eine auf dem Polizeirevier als Dolmetscherin aufgetretene Person habe nur gebrochen Deutsch gesprochen. Sie habe Druck auf die Festgenommenen ausgeübt und erklärt, dass sie im Falle einer Schnellverurteilung mit einer Geldstrafe von bis zu 6.000 Euro zu rechnen hätten, in einem regulären Strafverfahren hingegen mit einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten. Ein Telefonat sei verweigert worden. Die Festgenommenen seien über Nacht in Gewahrsam geblieben. Am nächsten Morgen sei ihnen von der Dolmetscherin ein Verteidiger vorgestellt worden, der kein Deutsch gesprochen habe. Zur Bestätigung der Wahl des Verteidigers hätten sie ein nur in spanischer Sprache verfasstes Schriftstück unterzeichnen müssen, dessen genauer Inhalt jedoch nicht mitgeteilt worden sei. Die Konsultation eines Verteidigers eigener Wahl sei nicht möglich gewesen. Am Nachmittag des 16. Dezember 2010 seien die Festgenommenen zu einem Gerichtsgebäude transportiert worden. Dort sei ein deutscher Dolmetscher erschienen, der die Fans zu einem Geständnis gedrängt und erklärt habe, in diesem Fall werde eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten, ausgesetzt zur Bewährung, sowie zu einer Geldstrafe von 120 Euro erfolgen. Die Beschuldigten müssten lediglich ein vorgefertigtes Geständnis unterzeichnen. Der Dolmetscher habe auch mitgeteilt, dass die Verurteilung in Deutschland keine Konsequenzen habe, insbesondere keine Eintragung in das Führungszeugnis erfolgen werde. Über den Tatvorwurf sei der Beschwerdeführer nicht aufgeklärt worden. Auch ein Anwalt sei in dem Gerichtsgebäude nicht anwesend gewesen. Zur Ablegung des Geständnisses hätte der Beschwerdeführer ein Schriftstück unterschreiben müssen, auf dem lediglich ein spanischer Satz geschrieben gewesen sei, dessen Inhalt weder mitgeteilt noch übersetzt worden sei. Zum Zeitpunkt der Unterschriftsleistung sei neben anderen spanisch sprechenden Personen ein Dolmetscher zugegen gewesen, der jedoch keine Übersetzungstätigkeit geleistet, sondern nur darauf hingewiesen habe, wo das Schriftstück unterzeichnet werden sollte. Es habe keine Möglichkeit bestanden, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Entgegen der Urteilsbegründung habe keine Gerichtsverhandlung stattgefunden, und der Beschwerdeführer habe weder einen Richter noch einen Staatsanwalt gesehen. Möglicherweise habe er unwissentlich einen "Deal" einschließlich Rechtsmittelverzicht unterzeichnet. Eine Belehrung über Rechtsmittel sei nicht erfolgt. Bei Entlassung sei den Verurteilten das Strafurteil in der spanischen Fassung ohne Unterschrift oder Stempel ausgehändigt worden.

6

5. Mit Beschluss vom 12. Oktober 2012 hat das Kammergericht den Antrag des Beschwerdeführers auf gerichtliche Entscheidung nach §§ 23 ff. EGGVG als unbegründet verworfen. Die Löschung der Eintragung sei zu Recht abgelehnt worden. Eine inhaltliche Überprüfung des Urteils finde im Registerverfahren grundsätzlich nicht statt. Bei Strafgerichten in der Europäischen Union könne allgemein davon ausgegangen werden, dass das jeweilige Verfahrensrecht rechtsstaatlichen Anforderungen genüge. Es seien auch keine Verstöße gegen wesentliche Grundsätze der deutschen Rechtsordnung oder der Grundrechtecharta ersichtlich. Der ordre public sei erst verletzt, wenn das Verfahren rechtsstaatlichen Mindestanforderungen nicht genüge und der Verstoß ohne jede weitere Nachprüfung offensichtlich erkennbar sei. Die von dem Beschwerdeführer vorgebrachte Kritik an dem spanischen Schnellverfahren sei unbeachtlich, da sie sich nicht auf den konkreten Fall beziehe. Das beschleunigte Verfahren nach §§ 417 ff. StPO und Verständigungen nach § 257c StPO seien im Inland einer vergleichbaren Kritik ausgesetzt und enthielten ebenso wenig einen regelhaften Verstoß gegen elementare Verfahrensgrundsätze wie das spanische Strafverfahren. Dem Beschwerdeführer sei in Spanien hinreichend rechtliches Gehör gewährt worden. Sein entsprechender Einwand beziehe sich nur auf das Ermittlungsverfahren. In der Hauptverhandlung seien ihm ein Dolmetscher und ein Verteidiger zur Seite gestellt worden. Der Vorwurf, die Verteidigung sei nicht effektiv oder angemessen gewesen, sei zu wenig konkret. Etwaiges anwaltliches Unvermögen verstieße jedenfalls nicht gegen elementare Verfahrensgrundsätze. Auch soweit sich die Vorwürfe im Übrigen auf den Polizeigewahrsam bezögen, verhülfen sie dem Antrag nicht zum Erfolg. Widersprüchlich sei der Vortrag insofern, als der Beschwerdeführer einerseits von dem deutschen Dolmetscher dazu gedrängt worden sein solle, einen "Deal" zu unterschreiben, er andererseits aber vorgebe, nicht zu wissen, was er tatsächlich unterschrieben habe. Soweit er geltend mache, er habe vor der Unterzeichnung nicht mit einem Anwalt sprechen können, fehle der wesentliche Hinweis, ob er anwaltlichen Beistand gefordert habe. Zudem sei der Vortrag auch insoweit widersprüchlich, als der Beschwerdeführer an anderer Stelle angegeben habe, dass auf der Polizeistation ein Verteidiger anwesend gewesen sei. Es sei auch nicht erkennbar, warum der Beschwerdeführer in der Verhandlung den "Deal" nicht widerrufen habe, da er nicht behaupte, dass der Druck der Polizeibehörden während der Verhandlung aufrechterhalten worden sei oder fortgewirkt habe, sondern selbst vortrage, dass er unmittelbar nach der Unterschriftsleistung aus der Haft entlassen worden sei. Im Übrigen habe der Beschwerdeführer weder die Personen bezeichnet, die ihn unter Druck gesetzt hätten, noch Art und Ausmaß des behaupteten Zwangs beschrieben. Der Beschwerdeführer habe schließlich die Möglichkeit gehabt, Rechtsmittel gegen seine Verurteilung einzulegen.

II.

7

1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 25, Art. 12 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG.

8

a) Art. 19 Abs. 4 GG sei verletzt, weil es das Kammergericht unterlassen habe, die Eintragung dahingehend zu überprüfen, ob die Verurteilung mit allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts vereinbar sei. Zwar gestatte es Art. 19 Abs. 4 GG, dem Betroffenen gewisse Mitwirkungslasten aufzuerlegen, etwa die, alles Zumutbare zu unternehmen, um Verfahrensmängel vor dem zuständigen ausländischen Gericht im Rechtsmittelwege zu beseitigen, jedoch sei dem Beschwerdeführer die Einlegung eines Rechtsmittels gegen die Verurteilung nicht zumutbar gewesen.

9

b) Ferner sei sein Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 25 GG verletzt, da einem gegen ihn ergangenen ausländischen Strafurteil, das unter Verstoß gegen völkerrechtliche Mindeststandards zustande gekommen sei, durch die Eintragung in das Bundeszentralregister innerstaatlich Wirksamkeit verschafft worden sei.

10

c) Schließlich sei durch die Eintragung besagter Verurteilung ungerechtfertigt in seine Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG und sein allgemeines Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, insbesondere in seiner Ausprägung als Reisefreiheit, eingegriffen worden.

11

2. Dem Bundesverfassungsgericht lagen die Akten des Ausgangsverfahrens vor. Die Bundesregierung und das Land Berlin hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

III.

12

Die Verfassungsbeschwerde ist zur Entscheidung anzunehmen, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Der Verfassungsbeschwerde ist durch die Kammer stattzugeben, da die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen vom Bundesverfassungsgericht bereits entschieden sind und die zulässige Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet ist (§ 93b Satz 1 in Verbindung mit § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Der angegriffene Beschluss des Kammergerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten aus Art. 19 Abs. 4 GG (1.) und Art. 3 Abs. 1 GG (2.).

13

1. Der Beschwerdeführer ist durch die Entscheidung des Kammergerichts in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzt, weil das Kammergericht den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt und das Vorbringen des Beschwerdeführers, das in das Bundeszentralregister eingetragene ausländische Strafurteil sei unter Verstoß gegen verfahrensrechtliche Mindeststandards zustande gekommen, nicht ausreichend geprüft hat.

14

a) An einer dahingehenden Prüfung war das Kammergericht nicht aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts gehindert.

15

Zwar sieht der Rahmenbeschluss 2009/315/JI des Rates vom 26. Februar 2009 über die Durchführung und den Inhalt des Austauschs von Informationen aus dem Strafregister zwischen den Mitgliedstaaten (ABl EU Nr. L 93 vom 7. April 2009, S. 23; im Folgenden: Rahmenbeschluss 2009/315/JI), dessen Frist zur Umsetzung am 27. April 2012 abgelaufen ist (vgl. Art. 13 Abs. 1 Rahmenbeschluss 2009/315/JI) und der eine Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung des nationalen Rechts begründet (vgl. EuGH, Urteil vom 16. Juni 2005, Pupino, C-105/03, Slg. 2005, I-5285, Rn. 33 ff.), in seinem Art. 5 Abs. 1 ohne Einschränkung vor, dass die Zentralbehörde des jeweiligen Mitgliedstaats alle ihr übermittelten Informationen über im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates ergangene und in das dortige Strafregister eingetragene Verurteilungen eigener Staatsangehöriger für die Zwecke der Weiterleitung nach Art. 7 des Rahmenbeschlusses 2009/315/JI speichert. Gemäß Art. 7 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2009/315/JI übermittelt die Zentralbehörde im Falle eines entsprechenden Ersuchens eines anderen Mitgliedstaats Informationen aus dem Strafregister, insbesondere Informationen über in anderen Mitgliedstaaten ergangene Verurteilungen eigener Staatsangehöriger, auch wenn diese vor dem 27. April 2012 übermittelt und im Strafregister eingetragen wurden (vgl. Buchstabe c).

16

Eine unionsrechtliche Determinierung besteht jedoch nicht im Hinblick auf die innerstaatliche Verwendung der gespeicherten Daten, da der Rahmenbeschluss insoweit keine Regelung trifft. Die Vorschriften des Rahmenbeschlusses bezwecken keine Harmonisierung der nationalen Strafregistersysteme der Mitgliedstaaten; insbesondere verpflichten sie die Mitgliedstaaten nicht, ihr internes Strafregistersystem im Hinblick auf die Verwendung der Informationen für innerstaatliche Zwecke zu ändern (Erwägungsgrund 16 des Rahmenbeschlusses 2009/315/JI). Die Mitgliedstaaten können daher eigenverantwortlich regeln, ob und wie sie die von anderen Mitgliedstaaten übermittelten Informationen für innerstaatliche Zwecke nutzen (vgl. BTDrucks 17/5224, S. 11). Somit muss die in Art. 5 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2009/315/JI geregelte Speicherung nicht zwingend im Bundeszentralregister erfolgen (vgl. auch § 56b Abs. 1 Satz 1 BZRG).

17

Soweit der Rahmenbeschluss 2009/315/JI eine Speicherung zum Zweck der Beantwortung von Ersuchen anderer Mitgliedstaaten nach Art. 7 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses vorschreibt, haben die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Unionsrechts die Grundsätze aus Art. 6 EUV und insbesondere die Charta der Grundrechte der Europäischen Union zu beachten (vgl. Art. 51 Abs. 1 GRCh, siehe auch Erwägungsgrund 18 des Rahmenbeschlusses). Dementsprechend sieht § 53a Satz 2 BZRG vor, dass die Eintragung der Verurteilung eines Mitgliedstaats der Europäischen Union unzulässig ist, wenn die Verurteilung im Widerspruch zu der Charta der Grundrechte der Europäischen Union steht. Im Übrigen findet der Anwendungsvorrang des Unionsrechts seine Grenze in den durch Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG für integrationsfest erklärten Grund-sätzen der Verfassung (vgl. BVerfGE 140, 317 <336 ff. Rn. 40 ff.>). Zwar ist einem Mitgliedstaat der Europäischen Union im Hinblick auf die Einhaltung der Grund-sätze der Rechtsstaatlichkeit und des Menschenrechtsschutzes grundsätzlich besonderes Vertrauen entgegenzubringen. Dieses Vertrauen wird jedoch erschüttert, wenn der Betroffene hinreichende Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen grundrechtliche Mindeststandards darlegt (vgl. BVerfGE 140, 317 <349 ff. Rn. 67 ff.>). Mit derartigen Darlegungen haben sich die Fachgerichte - sowohl mit Blick auf die grundrechtlichen Gewährleistungen des Unionsrechts als auch hinsichtlich der unabdingbaren Vorgaben des Grundgesetzes - auseinanderzusetzen. Auch hierauf erstreckt sich die Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG.

18

b) Art. 19 Abs. 4 GG verleiht dem Einzelnen, der behauptet, durch einen Akt öffentlicher Gewalt verletzt zu sein, einen Anspruch auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle, das heißt auf eine umfassende Prüfung des Verfahrensgegenstandes (vgl. BVerfGE 101, 106 <122 f.>; 103, 142 <156>; 129, 1 <20>). Die fachgerichtliche Überprüfung grundrechtseingreifender Maßnahmen kann die Beachtung des geltenden Rechts und den effektiven Schutz der berührten Interessen nur gewährleisten, wenn sie auf zureichender Aufklärung des jeweiligen Sachverhalts beruht (vgl. BVerfGE 101, 275 <294 f.>; BVerfGK 9, 390 <395>; 9, 460 <463>; 13, 472 <476>; 13, 487 <493>; 17, 429 <430 f.>; 19, 157 <164>; 20, 107 <112>). Um dem Gebot effektiven Rechtsschutzes zu genügen, darf das Fachgericht auf die Ausschöpfung aller Erkenntnismöglichkeiten daher nur verzichten, wenn Beweismittel unzulässig, schlechterdings untauglich, unerreichbar oder für die Entscheidung unerheblich sind. Dagegen darf es von einer Beweisaufnahme nicht schon dann absehen, wenn die Aufklärung besonders arbeits- oder zeitaufwendig erscheint (Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 224 ). Art. 19 Abs. 4 GG ist verletzt, wenn ein Gericht die prozessrechtlichen Möglichkeiten zur Sachverhaltsfeststellung so eng auslegt, dass ihm eine sachliche Prüfung der ihm vorgelegten Fragen nicht möglich ist und das vom Gesetzgeber verfolgte Verfahrensziel deshalb nicht erreicht werden kann (vgl. BVerfGE 101, 275 <294 f.> m.w.N.).

19

Zweck des Verfahrens nach §§ 23 ff. EGGVG ist die Abwehr rechtswidriger Eingriffe der öffentlichen Gewalt in jedenfalls von Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Interessen der Antragsteller. Auslegung und Anwendung der §§ 23 ff. EGGVG durch die Oberlandesgerichte haben dem Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 5. April 2012 - 2 BvR 211/12 -, NStZ-RR 2013, S. 187 <187>) und eine wirksame gerichtliche Kontrolle sicherzustellen (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 3. Juni 2014 - 2 BvR 517/13 -, juris, Rn. 12). Soweit ein Gericht daher im Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG dazu aufgerufen ist, die Eintragungsentscheidung auf ihre Vereinbarkeit mit den einschlägigen grundrechtlichen Mindeststandards hin zu überprüfen, darf es seinen Prüfungsauftrag nicht dadurch verengen, dass es die Feststellungen des Urteils, dessen Verurteilung in das Bundeszentralregister eingetragen wurde, auch dann ohne Weiteres übernimmt, wenn der Vortrag des Antragstellers konkret Anlass zur Prüfung gegeben hätte (vgl. BVerfGE 101, 275 <295> - zum Rehabilitierungsverfahren).

20

Auf eine Verletzung seiner Verfahrensrechte durch den erkennenden Staat kann sich der Betroffene allerdings nicht berufen, wenn er nicht alles ihm nach den Umständen des jeweiligen Falles Zumutbare unternommen hat, um die behaupteten Verfahrensmängel vor dem zuständigen Gericht des erkennenden Staates, gegebenenfalls im Rechtsmittelweg, zu beseitigen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 21. Mai 1987 - 2 BvR 1170/83 -, NJW 1988, S. 1462 <1464>; siehe auch BTDrucks 17/5224, S. 21).

21

c) Der angegriffene Beschluss des Kammergerichts wird diesen Anforderungen nicht gerecht.

22

aa) Ein Verstoß gegen das Gebot zureichender Sachverhaltsermittlung und damit eine Verletzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 19 Abs. 4 GG liegt zunächst darin, dass das Kammergericht die vom Beschwerdeführer beantragte Beweiserhebung mit Blick auf das zu der Verurteilung führende Verfahren unterlassen hat. Es stellt in seinem Beschluss fest, dass dem Beschwerdeführer in einer Hauptverhandlung "sowohl ein Dolmetscher für die deutsche Sprache, als auch ein Verteidiger zur Seite gestellt , mit deren Hilfe er dem Verfahren folgen und sich äußern konnte." Soweit der Beschwerdeführer vortrage, er sei nicht verteidigt gewesen, in dem Verfahren seien kein Richter und kein Staatsanwalt zugegen gewesen und er habe auch keine Klageschrift erhalten, stehe dies im Widerspruch zur Beschlussformel und zum Inhalt des zu den Akten gereichten Urteils. Das spanische Urteil führt als Verteidigung der Angeklagten drei namentlich genannte Verteidiger an, wobei ein Dolmetscher nicht erwähnt wird. Es lässt jedoch nicht erkennen, ob die Angeklagten und damit auch der Beschwerdeführer tatsächlich zu den Tatvorwürfen gehört wurden, sondern teilt lediglich mit, dass der Beschwerdeführer sich "mit den Taten, worauf sie beruhen, mit den Strafen und ggf. mit der zivilrechtlichen Haftung ausdrücklich einverstanden" erklärt habe. Ferner benennt das Urteil den die Hauptverhandlung führenden Richter und gibt wieder, dass die (nicht weiter individualisierte) Staatsanwaltschaft anwesend gewesen sei. Das Kammergericht führt weiter aus, dass der Beschwerdeführer keine Fälschung des Inhalts der öffentlichen (Urteils-)Urkunde behaupte, von dessen Richtigkeit das Kammergericht grundsätzlich auszugehen habe. Der Beschwerdeführer hat in seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 23 ff. EGGVG demgegenüber jedoch ausdrücklich (durch Unterstreichung) betont, dass er im Gerichtsgebäude mit keinem Anwalt gesprochen habe, da dort kein Verteidiger vor Ort gewesen sei. Auch sei weder ein Richter noch ein Staatsanwalt anwesend gewesen. Der Beschwerdeführer hat für diese Behauptung Beweis angeboten, nämlich damalige Mitangeklagte als Zeugen sowie die Beiziehung der Verfahrensakten des spanischen Gerichts. Zwar hat der Beschwerdeführer nicht ausdrücklich eine Fälschung des Urteils behauptet; jedoch ergibt sich aus seinem Vortrag, dass das Urteil seiner Ansicht nach das damalige Geschehen nicht wiedergibt. Er hat in folgerichtiger, widerspruchsfreier, konkreter und detailreicher Schilderung dargelegt, inwiefern das Urteil von den tatsächlichen Gegebenheiten abweicht, und dafür auch Beweis angeboten. Vor diesem Hintergrund wäre eine Beweiserhebung veranlasst gewesen, weil die zu beweisenden Tatsachen für die Entscheidung von Bedeutung gewesen wären und die angegebenen Beweismittel geeignet und überdies auch erreichbar waren. Auch wenn das Kammergericht grundsätzlich von der Richtigkeit des spanischen Strafurteils ausgehen konnte, hätte es der substantiierte Vortrag erfordert, die angebotenen Beweise zu erheben. Aus der beschriebenen Erschütterung der Vermutungswirkung durch den Vortrag des Beschwerdeführers und seine Beweisangebote hätte das Kammergericht Konsequenzen ziehen und eine weitere Sachverhaltsaufklärung vornehmen müssen. Der pauschale Hinweis auf die Vermutung der Richtigkeit des spanischen Urteils genügt den aufgezeigten Anforderungen an eine zureichende Sachverhaltsaufklärung hingegen nicht.

23

bb) Das Kammergericht hat den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG auch dadurch verletzt, dass es der vom Beschwerdeführer durch einen von ihm angeführten deutschsprachigen Aufsatz untermauerten Kritik an der rechtlichen Ausgestaltung und praktischen Handhabung des spanischen Schnellverfahrens nicht nachgegangen ist und eine Aufklärung über die formal-rechtliche Konzeption sowie die tatsächliche Handhabung des Schnellverfahrens unterlassen hat. Der Beschwerdeführer hat bereits in seinem Schriftsatz vom 7. Mai 2012 die auch in Spanien bestehende Kritik an dieser Art von Schnellverfahren unter Angabe eines diese Kritik ausführenden deutschsprachigen Aufsatzes einer spanischen Professorin wiedergegeben, die folgende Einwände gegen das Verfahren erhebt: Ein faires Verfahren sei nicht gewährleistet, weil in der Kürze der Zeit kaum die Möglichkeit bestehe, sorgfältig zu ermitteln und auch entlastende Umstände beizutragen. Weiterhin sei durch den auf die Angeklagten ausgeübten Druck die Selbstbelastungs- sowie die Aussagefreiheit des Angeklagten gefährdet. In diesem Zusammenhang sei auch zu berücksichtigen, dass sich unter spanischen Staatsanwälten "der Brauch verbreitet , eine höhere als die sonst angemessene Strafe zu beantragen, um dadurch dem Angeklagten einen wichtigen Anreiz zu verschaffen, die Conformidad zu erklären" (Gonzáles Navarro, ZStW 123 <2011>, S. 163 <176>). Schließlich sei die Unbefangenheit beziehungsweise Neutralität des Richters durch die Zuständigkeit des Untersuchungsrichters im beschleunigten (Straf-)Verfahren beeinträchtigt (Gonzáles Navarro, ZStW 123 <2011>, S. 163 <170>). Diese Einwände waren dem Kammergericht bei seiner Entscheidung vor Augen geführt und durch die Angabe des deutschsprachigen Aufsatzes auch nachvollziehbar gemacht worden.

24

Das Kammergericht hat die Einwände des Beschwerdeführers, das spanische Schnellverfahren verstoße bereits in seiner rechtlichen Konzeption und allgemeinen praktischen Handhabung gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens, mit dem pauschalen Hinweis zurückgewiesen, dass in Deutschland eine ähnliche Kritik am beschleunigten Verfahren (§§ 417 ff. StPO) und an Verfahrensabsprachen (§ 257c StPO) geübt werde, diese aber "ebenso wenig wie der spanische Strafprozess einen regelhaften Verstoß gegen elementare Verfahrensgrundsätze" enthielten. Angesichts dieser Begründung hat sich das Kammergericht mit der Rechtslage nicht einmal ansatzweise auseinandergesetzt. Die zutreffende Einschätzung, dass die deutschen Regelungen über das beschleunigte Verfahren und die Verständigung den völkerrechtlichen Mindeststandard nicht unterschreiten, sagt nichts über die Beurteilung des spanischen Schnellverfahrens aus, das mit dem deutschen erkennbar nicht identisch ist.

25

cc) Entgegen der Auffassung des Kammergerichts hat der Beschwerdeführer alles nach den Umständen des konkreten Falles Zumutbare unternommen, um die (vermeintlichen) Verfahrensmängel zu beseitigen. Der Beschwerdeführer musste nicht ausdrücklich vortragen, warum er nicht zu Protokoll der "Hauptverhandlung" oder unverzüglich im Anschluss an die Sitzung Rechtsmittel eingelegt und die von ihm angeführten Verfahrensfehler vorgebracht hat. Zunächst ist bereits unklar, ob überhaupt die rechtliche Möglichkeit einer Rechtsmitteleinlegung bestand und, wenn ja, ob es darüber hinaus im spanischen Recht zulässig ist, Rechtsmittel zu Protokoll der Hauptverhandlung einzulegen. Selbst wenn diese Möglichkeit bestanden hätte, wäre dem Beschwerdeführer die Einlegung eines Rechtsmittels nicht zumutbar gewesen. Dies ergibt sich bereits daraus, dass dem Urteil keine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt war und auch sonst keine Belehrung erfolgt sein soll. Ohne eine Rechtsbehelfsbelehrung ist es aber insbesondere dem juristischen Laien in der Regel nicht möglich, sich Kenntnis über die Rechtsbehelfsmöglichkeiten zu verschaffen, so dass dem Betroffenen die aufgezeigte Mitwirkungspflicht nicht in zumutbarer Weise auferlegt werden kann. Zudem wurde dem Beschwerdeführer das Urteil lediglich in einer spanischen Fassung ausgehändigt und vor Ort nicht übersetzt, das heißt, selbst wenn es eine Rechtsbehelfsbelehrung gegeben hätte, wäre es dem Beschwerdeführer, der keine spanischen Sprachkenntnisse besitzt, nicht zumutbar gewesen, Rechtsmittel einzulegen. Schließlich ergibt sich die Unzumutbarkeit einer Rechtsmitteleinlegung vor Ort auch daraus, dass dem Beschwerdeführer im Anschluss an eine Rechtsmitteleinlegung - so sie denn möglich gewesen sein sollte - mit gewisser Wahrscheinlichkeit die erneute Festnahme gedroht hätte, da das Geständnis (sowie ein möglicherweise vom Beschwerdeführer unwissentlich erklärter Rechtsmittelverzicht) die maßgebliche Bedingung für die Freilassung war. Die (Un-)Zumutbarkeit der Rechtsmitteleinlegung ist auch mit Blick auf die Zeit nach der Rückkehr des Beschwerdeführers aus Spanien nicht anders zu beurteilen. Zwar bestand die vom Beschwerdeführer angenommene bedrohliche Lage zu diesem Zeitpunkt nicht mehr; jedoch ist auch insoweit maßgeblich, dass ihm in Spanien keine Rechtsbehelfsbelehrung erteilt und eine solche auch später nicht übermittelt worden war. Im Übrigen hat der Beschwerdeführer nach eigenem Vortrag einen Antrag an die spanische Ombudsstelle in Madrid gestellt (der negativ beschieden wurde), Akteneinsicht begehrt (worauf keine Antwort durch die spanischen Behörden erfolgte) und mehrere vergebliche Versuche unternommen, spanische Anwälte für eine Anfechtung des Urteils zu finden. Diesbezüglich hat er auch Beweis angeboten, der vom Kammergericht jedoch nicht erhoben wurde.

26

2. Das Kammergericht hat zudem den Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausformung als Willkürverbot verletzt.

27

a) Ein Verstoß gegen das Willkürverbot liegt bei gerichtlichen Entscheidungen nicht schon dann vor, wenn die Rechtsanwendung Fehler enthält, sondern erst und nur dann, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 4, 1 <7>; 74, 102 <127>; 83, 82 <84>; 87, 273 <278 f.>). Dieser Maßstab gilt auch für die verfassungsrechtliche Überprüfung der von den Fachgerichten vorgenommenen Beweiswürdigung und der von ihnen getroffenen tatsächlichen Feststellungen (vgl. BVerfGE 4, 294 <297>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 21. August 1996 - 2 BvR 1304/96 -, NJW 1997, S. 999 <1000>).

28

b) Die Entscheidung verstößt gegen das Willkürverbot, da die Würdigung des Vortrags des Beschwerdeführers nicht nachvollziehbar ist.

29

aa) Die Auffassung des Kammergerichts, der Beschwerdeführer habe seinen Einwand, er sei zu den Tatvorwürfen nicht gehört worden, ausschließlich auf das Ermittlungsverfahren bezogen beziehungsweise habe unzureichendes oder fehlendes rechtliches Gehör in der spanischen Hauptverhandlung nicht vorgetragen, ist angesichts des gegenteiligen Vortrags des Beschwerdeführers nicht verständlich. Der Beschwerdeführer hat in seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 23 ff. EGGVG unter der Überschrift "Kein rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG)" ausdrücklich und durch Unterstreichung gesondert hervorgehoben, dass ihm "zu keinem Zeitpunkt das Recht eingeräumt, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen." Sein Vortrag bezieht sich sogar ausdrücklich auf die Begebenheiten im Gerichtsgebäude, das heißt auf die vermeintliche Hauptverhandlung. Auch in den vorherigen Schriftsätzen an das Bundesamt für und das Bundesministerium der Justiz ist nicht davon die Rede, er sei nur im Ermittlungsverfahren nicht zu den Vorwürfen gehört worden. Diese Würdigung des Vortrags des Beschwerdeführers verstößt aufgrund ihrer offensichtlichen Fehlerhaftigkeit gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

30

bb) Der Beschluss des Kammergerichts verstößt ferner gegen Art. 3 Abs. 1 GG, soweit in der Begründung ausgeführt wird, dass der Vortrag des Beschwerdeführers hinsichtlich seiner fehlenden Kenntnis vom Inhalt des von ihm unterschriebenen Geständnisses widersprüchlich sei, weil er einerseits vortrage, ein Dolmetscher habe ihm Inhalt und Auswirkungen der ihm angeratenen Verständigung erklärt, woraufhin er "den vorgefertigten 'Deal'" unterschrieben habe, er andererseits jedoch ausgeführt habe, den Inhalt des unterzeichneten Textes nicht gekannt zu haben. Diese Würdigung ist nicht mehr nachvollziehbar, da der vom Kammergericht angenommene Widerspruch im Vortrag des Beschwerdeführers offenkundig nicht besteht. Der Beschwerdeführer hat zwar vorgetragen, dass die Angeklagten in einer Vorführzelle im Gerichtsgebäude mit einem Dolmetscher gesprochen hätten, der ihnen einen "Deal" vorgeschlagen habe, wonach gegen sie nach der Unterzeichnung eines Geständnisses eine Freiheitsstrafe zur Bewährung mit einer Bewährungszeit von zwei Jahren sowie eine Geldstrafe in Höhe von 120 Euro verhängt würden. In der Folge musste es für den Beschwerdeführer daher naheliegend erscheinen, dass nach einer Unterschrift die skizzierte Strafe verhängt würde. Er hat jedoch nicht vorgetragen, dass ihm auch die Bedeutung des Satzes in dem von ihm zu unterzeichnenden Schriftstück erläutert worden sei. Was der Beschwerdeführer mit der Unterschrift gestehen würde, war ihm nach seiner Auskunft nicht bekannt, weil der Satz nicht ins Deutsche übersetzt worden sei. Insbesondere soll der Beschwerdeführer nach dem Inhalt des spanischen Urteils mit seiner Unterschrift auch einen Rechtsmittelverzicht erklärt haben. Über einen solchen Verzicht war er jedoch nach eigenem Vortrag zuvor von Seiten des Dolmetschers nicht aufgeklärt worden. Der Vortrag des Beschwerdeführers, er habe keine Kenntnis von diesem Verzicht gehabt, erscheint daher keineswegs widersprüchlich.

31

cc) Überdies verstößt die Annahme des Kammergerichts, wonach sich die Antragsbegründung nicht dazu verhalte, weshalb der Beschwerdeführer das in der Vorführzelle unter "Druck" abgegebene Geständnis später - in der Hauptverhandlung - nicht widerrufen habe, gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

32

(1) Konkret stellt sich bereits die Feststellung des Kammergerichts als willkürlich dar, wonach der Beschwerdeführer die Person(en), die ihn unter Druck gesetzt hätten, ebenso wenig bezeichnet habe wie Art und Ausmaß des nur unbestimmt umschriebenen Zwangs. Insbesondere ist es vor dem Hintergrund des gegenteiligen Vortrags des Beschwerdeführers nicht mehr nachvollziehbar, wie das Kammergericht zu der Feststellung gelangt, der Beschwerdeführer habe nicht behauptet, dass die körperliche Gewalt sein Verhalten in der vermeintlichen Hauptverhandlung beeinflusst habe. Art und Ausmaß des ausgeübten Drucks wurden durch den Beschwerdeführer entgegen den Ausführungen des Kammergerichts tatsächlich ausreichend umschrieben. Der Beschwerdeführer hat vorgetragen, dass der Dolmetscher gesagt habe, "entweder ihr gesteht oder ihr bekommt ein richtiges Verfahren" mit der Folge einer lang anhaltenden Inhaftierung. Zudem hat der Beschwerdeführer ausgeführt, dass er eineinhalb bis zwei Stunden "in Eiseskälte" an einer Stadionwand zubringen musste, wobei jede (Kopf-)Bewegung mit Schlägen und Tritten quittiert worden sei. Auf dem Polizeirevier seien die Fans von einem Polizeibeamten mit einem Keilriemen in der Hand empfangen worden und weiteren Schlägen und Tritten sowie "nationalsozialistischen Äußerungen" ausgesetzt gewesen. Weiter hat der Beschwerdeführer vorgetragen, dass er die Nacht unter unmenschlichen Haftbedingungen zugebracht habe. Außerdem habe er von Fällen von Fans anderer Bundesligavereine und ausländischer Clubs gewusst, in denen die Betroffenen teilweise 46 Tage in Untersuchungshaft in einem spanischen Hochsicherheitstrakt verbracht hätten. Er sei wie die anderen "verängstigten, sich hilflos fühlenden und mittlerweile verzweifelten Fans <…> nach der fast eintägigen unmenschlichen Haftsituation auf das 'Angebot' eingegangen um frei zu kommen." Schließlich hat der Beschwerdeführer - wie das Kammergericht später auch ausführt - mit dem Dolmetscher in dem Gerichtsgebäude die Person benannt, von der der Druck ausging, das Geständnis zu unterschreiben. Dass es sich bei dem Dolmetscher nicht um einen Angehörigen der Strafverfolgungsbehörden oder des Gerichts handelt, ist demgegenüber nicht von maßgeblicher Bedeutung, da der Dolmetscher durch das Gericht in das Verfahren eingeschaltet wurde.

33

(2) Ferner stellt sich auch die Würdigung des Vortrags des Beschwerdeführers durch das Kammergericht als willkürlich dar, wonach der Beschwerdeführer "nach eigenem, insoweit mit den Urteilsgründen übereinstimmendem Vorbringen unmittelbar nach der Unterschriftsleistung aus der Haft entlassen worden , so dass der Druck, aus der Haft entlassen zu werden, jedenfalls keine Bedingung für das Verhalten des Antragsstellers in der Hauptverhandlung und seine Entscheidung, sich während des Termins damit einverstanden zu erklären, dass ein Urteil gemäß der Klageschrift gesprochen wird, gewesen sein kann." Eine zeitliche Divergenz zwischen dem Ablegen des Geständnisses und der Hauptverhandlung bestand nach dem Vortrag des Beschwerdeführers nämlich gerade nicht. Nach der Unterschriftsleistung schloss sich nach den Ausführungen des Beschwerdeführers keine Hauptverhandlung mehr an. In der Folge musste sich der Vortrag des Beschwerdeführers nicht dazu verhalten, warum er das Geständnis in der vermeintlichen Hauptverhandlung nicht widerrufen hat.

34

dd) Schließlich verstößt auch die Feststellung des Kammergerichts, der Vortrag des Beschwerdeführers, er habe vor der Unterzeichnung des Geständnisses nicht mit einem Verteidiger sprechen können, widerspreche seiner Darlegung an anderer Stelle, wonach ein Verteidiger "auf der Polizeistation" anwesend gewesen sei, gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Der vom Kammergericht aufgezeigte Widerspruch besteht offensichtlich nicht. Der Beschwerdeführer hat ausgeführt, dass er in dem Gerichtsgebäude nicht mit einem Verteidiger habe sprechen können, da der auf dem Polizeirevier präsente Verteidiger - entgegen dem Urteilsinhalt - im Gerichtsgebäude nicht anwesend gewesen sei. Zum Zeitpunkt der Erläuterung des Inhalts der Verständigung durch den Dolmetscher war somit nach seinem Vortrag kein Verteidiger zugegen.

35

3. Da der angegriffene Beschluss schon wegen Verstößen gegen Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 GG keinen Bestand hat, braucht nicht entschieden zu werden, ob der Beschluss weitere Grundrechte verletzt.

36

4. Der Beschluss des Kammergerichts ist hiernach gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben. Die Sache ist an das Kammergericht zurückzuverweisen.

37

5. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Die Antragsbegründung legt die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht in ausreichender Weise (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG) dar. Der Zulassungsgrund des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG setzt voraus, dass eine konkrete, bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert wird, die für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, deren Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und der eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 124a Rn. 72). Bei einer auf tatsächliche Verhältnisse gestützten Grundsatzrüge muss der Rechtsmittelführer Erkenntnisquellen zum Beleg dafür angeben, dass die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts unzutreffend oder zumindest zweifelhaft sind (vgl. OVG NW, B. v. 12.12.2016 - 4 A 2939/15.A - juris m. w. N.).

Zur Begründung seines Antrags lässt der Kläger ausführen, es sei von grundsätzlicher Bedeutung, ob einem ukrainischen Staatsbürger im wehrpflichtigen Alter eine Rückkehr im Hinblick auf den Bürgerkrieg in der Ostukraine zuzumuten sei. Er habe wegen der kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ostukraine Schwierigkeiten gehabt und dort seine Existenz verloren. Er habe nicht gekämpft und gelte deshalb als Verräter. Bei einer Rückkehr in seine Heimat Lugansk fürchte er erhebliche Schwierigkeiten, weil es dort keine Gesetze gebe. Er müsse davon ausgehen, rekrutiert zu werden. Auf beiden Seiten der Konfliktparteien würden Freunde und Verwandte gegeneinander kämpfen. Das Recht auf Verweigerung sei stark beschränkt. Es sei immer davon die Rede, dass die Regierung plane, alle wehrpflichtigen Männer zwischen dem 18. und 45. Lebensjahr einzuziehen.

Damit genügt die Antragsbegründung nicht den Darlegungsanforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG. Nach ständiger Rechtsprechung stellen die zwangsweise Heranziehung zum Wehrdienst und die damit zusammenhängenden Sanktionen weder schlechthin eine politische Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG dar noch ist eine Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung stets als unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung nach § 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG anzusehen. Dahin schlagen derartige Maßnahmen nur dann um, wenn sie zielgerichtet gegenüber bestimmten Personen eingesetzt werden, die dadurch gerade wegen ihrer Religion, ihrer politischen Überzeugung oder eines sonstigen asylerheblichen persönlichen Merkmals getroffen werden sollen (BVerwG, B. v. 10.9.1999 - 9 B 7.99 - juris Rn. 3). Beruft sich der Betreffende auf eine Gewissensentscheidung, kann eine unverhältnismäßige Bestrafung wegen einer Wehrdienstentziehung regelmäßig nur angenommen werden, wenn der Betreffende durch die fehlende Möglichkeit der Verweigerung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen und die daraus folgende Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung in seinem Recht aus Art. 9 EMRK verletzt wird. Dabei kommt es insbesondere auch darauf an, ob der Betreffende eine echte und aufrichtige Gewissensentscheidung gegen den Wehr- oder Kriegsdienst glaubhaft machen kann (vgl. BayVGH, B. v. 15.2.2016 - 11 ZB 16.30012 - juris Rn. 13 m. w. N.).

Das Verwaltungsgericht hat einen hinreichend glaubhaft gemachten Gewissenskonflikt und damit die Asylerheblichkeit einer etwaigen Einberufung oder Bestrafung des Klägers wegen Wehrdienstentziehung abgelehnt, weil seine Ausführungen keine rational mitteilbare und nachvollziehbare ausführliche Darlegung der Ernsthaftigkeit, Tiefe und Unabdingbarkeit einer Gewissensentscheidung gegen den Dienst mit der Waffe an sich erkennen ließen.

Dem ist der Kläger auch in der Antragsbegründung nicht näher entgegengetreten. In der Anhörung beim Bundesamt am 23. März 2016 hatte er auf Frage angegeben, er habe im Jahr 1990 in Moskau Wehrdienst geleistet. Aus der Ukraine ausgereist und nach Deutschland gekommen sei er, weil er hier Bekannte habe und die Sprache kenne. Auf Frage nach Schwierigkeiten wegen des Kriegs gab er an, sein Name habe auf einer Liste gestanden. Er sei nicht zur ukrainischen Armee oder zur Armee, die es im Gebiet Luhansk gebe, einberufen worden. Er habe ja schon gedient. In der mündlichen Verhandlung beim Verwaltungsgericht am 7. November 2016 erklärte der Kläger, er sei nach Deutschland gekommen, weil er keine Menschen töten wolle. Beide Seiten würden Menschen zum Wehrdienst einberufen. Er sei zwar von 1990 bis 1992 Soldat bei der Sowjetarmee gewesen, sei allerdings zwischenzeitlich älter und reifer geworden. Wenn sein Land von außen angegriffen würde, würde er allerdings sehr wohl zur Waffe greifen.

Seinen Darlegungen im Zulassungsverfahren lässt sich nicht entnehmen, dass der Kläger den Dienst mit der Waffe aufgrund einer ernsthaften, tiefen und unabdingbaren Gewissensentscheidung ablehnen würde. Vielmehr wiederholt er lediglich kursorisch, es handele sich um einen Bürgerkrieg, in dem auf beiden Seiten Freunde und Verwandte gegeneinander kämpfen würden. Abgesehen davon benennt er nach wie vor keinerlei greifbare Anhaltspunkte dafür, dass er trotz seiner ungehinderten Ausreise im Alter von knapp 45 Jahren überhaupt noch ernsthaft befürchten müsste, als Reservist einberufen zu werden, dass er jemals versucht hätte, sich dem unter Berufung auf eine Gewissensentscheidung zu widersetzen und dass ihm auch keine inländische Fluchtalternative zur Verfügung stünde. Er hat auch weder vorgetragen noch ist ersichtlich, dass sich das Ausgangsgericht bei der Verneinung eines hinreichend glaubhaft gemachten Gewissenskonflikts in verfahrensfehlerhafter Weise über die von § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO geforderte richterliche Überzeugungsgewissheit hinweggesetzt hätte, die auch bei der Prüfung der inneren Tatsache zugrunde zu legen ist, ob der Kläger die Ablehnung eines Dienstes mit der Waffe aufgrund einer Gewissensentscheidung für sich selbst als verpflichtend empfindet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.

Mit der unanfechtbaren (§ 80 AsylG) Ablehnung des Zulassungsantrags ist das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

(1) Das Urteil des Verwaltungsgerichts, durch das die Klage in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet abgewiesen wird, ist unanfechtbar. Das gilt auch, wenn nur das Klagebegehren gegen die Entscheidung über den Asylantrag als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet, das Klagebegehren im Übrigen hingegen als unzulässig oder unbegründet abgewiesen worden ist.

(2) In den übrigen Fällen steht den Beteiligten die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zu, wenn sie von dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(3) Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.

(4) Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss, der keiner Begründung bedarf. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) § 134 der Verwaltungsgerichtsordnung findet keine Anwendung, wenn das Urteil des Verwaltungsgerichts nach Absatz 1 unanfechtbar ist.

(7) Ein Rechtsbehelf nach § 84 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung ist innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Gerichtsbescheids zu erheben.

(8) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 132 Absatz 1 und § 137 Absatz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung auch zu, wenn das Oberverwaltungsgericht

1.
in der Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat von deren Beurteilung durch ein anderes Oberverwaltungsgericht oder durch das Bundesverwaltungsgericht abweicht und
2.
die Revision deswegen zugelassen hat.
Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann auf diesen Zulassungsgrund nicht gestützt werden. Die Revision ist beschränkt auf die Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat. In dem hierfür erforderlichen Umfang ist das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 137 Absatz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden. Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigt für die Beurteilung der allgemeinen Lage diejenigen herkunfts- oder zielstaatsbezogenen Erkenntnisse, die von den in Satz 1 Nummer 1 genannten Gerichten verwertet worden sind, die ihm zum Zeitpunkt seiner mündlichen Verhandlung oder Entscheidung (§ 77 Absatz 1) von den Beteiligten vorgelegt oder die von ihm beigezogen oder erhoben worden sind. Die Anschlussrevision ist ausgeschlossen.

(8a) Das Bundesministerium des Innern und für Heimat evaluiert im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Justiz die Revision nach Absatz 8 drei Jahre nach Inkrafttreten.

Entscheidungen in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz können vorbehaltlich des § 133 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht mit der Beschwerde angefochten werden.