Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 29. Dez. 2016 - 22 CS 16.2162
vorgehend
Tenor
I.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III.
Der Streitwert wird auf 7.500 Euro festgesetzt.
Gründe
§ 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG in Bezug auf ein Baumfalkenvorkommen. Unter Bezugnahme auf Stellungnahmen der höheren Naturschutzbehörde und des Landesamtes für Umwelt (LfU) wurde weiter angenommen, dass durch das Vorhaben der Beigeladenen kein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko in Bezug auf die Art des Rotmilans nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG hervorgerufen wird.
II.
§ 19 BImSchG zu entscheiden (vgl. Nr. 1.6.2 des Anhangs 1 der 4. BImSchV).
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(1) Von den Besitzverboten sind, soweit sich aus einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 5 nichts anderes ergibt, ausgenommen
- 1.
Tiere und Pflanzen der besonders geschützten Arten, die rechtmäßig - a)
in der Gemeinschaft gezüchtet und nicht herrenlos geworden sind, durch künstliche Vermehrung gewonnen oder aus der Natur entnommen worden sind, - b)
aus Drittstaaten in die Gemeinschaft gelangt sind,
- 2.
Tiere und Pflanzen der Arten, die in einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 4 aufgeführt und vor ihrer Aufnahme in die Rechtsverordnung rechtmäßig in der Gemeinschaft erworben worden sind.
(2) Soweit nach Absatz 1 Tiere und Pflanzen der besonders geschützten Arten keinen Besitzverboten unterliegen, sind sie auch von den Vermarktungsverboten ausgenommen. Dies gilt vorbehaltlich einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 5 nicht für aus der Natur entnommene
(3) Von den Vermarktungsverboten sind auch ausgenommen
- 1.
Tiere und Pflanzen der streng geschützten Arten, die vor ihrer Unterschutzstellung als vom Aussterben bedrohte oder streng geschützte Arten rechtmäßig erworben worden sind, - 2.
Tiere europäischer Vogelarten, die vor dem 6. April 1981 rechtmäßig erworben worden oder in Anhang III Teil A der Richtlinie 2009/147/EG aufgeführt sind, - 3.
Tiere und Pflanzen der Arten, die den Richtlinien 92/43/EWG und 2009/147/EG unterliegen und die in einem Mitgliedstaat in Übereinstimmung mit den Richtlinien zu den in § 44 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 genannten Handlungen freigegeben worden sind.
(4) Abweichend von den Besitz- und Vermarktungsverboten ist es vorbehaltlich jagd- und fischereirechtlicher Vorschriften zulässig, tot aufgefundene Tiere und Pflanzen aus der Natur zu entnehmen und an die von der für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörde bestimmte Stelle abzugeben oder, soweit sie nicht zu den streng geschützten Arten gehören, für Zwecke der Forschung oder Lehre oder zur Präparation für diese Zwecke zu verwenden.
(5) Abweichend von den Verboten des § 44 Absatz 1 Nummer 1 sowie den Besitzverboten ist es vorbehaltlich jagdrechtlicher Vorschriften ferner zulässig, verletzte, hilflose oder kranke Tiere aufzunehmen, um sie gesund zu pflegen. Die Tiere sind unverzüglich freizulassen, sobald sie sich selbständig erhalten können. Im Übrigen sind sie an die von der für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörde bestimmte Stelle abzugeben. Handelt es sich um Tiere der streng geschützten Arten, so hat der Besitzer die Aufnahme des Tieres der für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörde zu melden. Diese kann die Herausgabe des aufgenommenen Tieres verlangen.
(6) Die nach Landesrecht zuständigen Behörden können Ausnahmen von den Besitz- und Vermarktungsverboten zulassen, soweit dies für die Verwertung beschlagnahmter oder eingezogener Tiere und Pflanzen erforderlich ist und Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft dem nicht entgegenstehen. Ist für die Beschlagnahme oder Einziehung eine Bundesbehörde zuständig, kann diese Behörde Ausnahmen von den Besitz- und Vermarktungsverboten im Sinne von Satz 1 zulassen.
(7) Die für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörden sowie im Fall des Verbringens aus dem Ausland das Bundesamt für Naturschutz können von den Verboten des § 44 im Einzelfall weitere Ausnahmen zulassen
- 1.
zur Abwendung ernster land-, forst-, fischerei oder wasserwirtschaftlicher oder sonstiger ernster wirtschaftlicher Schäden, - 2.
zum Schutz der natürlich vorkommenden Tier- und Pflanzenwelt, - 3.
für Zwecke der Forschung, Lehre, Bildung oder Wiederansiedlung oder diesen Zwecken dienende Maßnahmen der Aufzucht oder künstlichen Vermehrung, - 4.
im Interesse der Gesundheit des Menschen, der öffentlichen Sicherheit, einschließlich der Verteidigung und des Schutzes der Zivilbevölkerung, oder der maßgeblich günstigen Auswirkungen auf die Umwelt oder - 5.
aus anderen zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art.
(8) Das Bundesamt für Naturschutz kann im Fall des Verbringens aus dem Ausland von den Verboten des § 44 unter den Voraussetzungen des Absatzes 7 Satz 2 und 3 im Einzelfall weitere Ausnahmen zulassen, um unter kontrollierten Bedingungen und in beschränktem Ausmaß eine vernünftige Nutzung von Tieren und Pflanzen bestimmter Arten im Sinne des § 7 Absatz 2 Nummer 13 Buchstabe b sowie für gezüchtete und künstlich vermehrte Tiere oder Pflanzen dieser Arten zu ermöglichen.
(1) Es ist verboten,
- 1.
wild lebenden Tieren der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören, - 2.
wild lebende Tiere der streng geschützten Arten und der europäischen Vogelarten während der Fortpflanzungs-, Aufzucht-, Mauser-, Überwinterungs- und Wanderungszeiten erheblich zu stören; eine erhebliche Störung liegt vor, wenn sich durch die Störung der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art verschlechtert, - 3.
Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der wild lebenden Tiere der besonders geschützten Arten aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören, - 4.
wild lebende Pflanzen der besonders geschützten Arten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, sie oder ihre Standorte zu beschädigen oder zu zerstören
(2) Es ist ferner verboten,
- 1.
Tiere und Pflanzen der besonders geschützten Arten in Besitz oder Gewahrsam zu nehmen, in Besitz oder Gewahrsam zu haben oder zu be- oder verarbeiten (Besitzverbote), - 2.
Tiere und Pflanzen der besonders geschützten Arten im Sinne des § 7 Absatz 2 Nummer 13 Buchstabe b und c - a)
zu verkaufen, zu kaufen, zum Verkauf oder Kauf anzubieten, zum Verkauf vorrätig zu halten oder zu befördern, zu tauschen oder entgeltlich zum Gebrauch oder zur Nutzung zu überlassen, - b)
zu kommerziellen Zwecken zu erwerben, zur Schau zu stellen oder auf andere Weise zu verwenden
(3) Die Besitz- und Vermarktungsverbote gelten auch für Waren im Sinne des Anhangs der Richtlinie 83/129/EWG, die entgegen den Artikeln 1 und 3 dieser Richtlinie nach dem 30. September 1983 in die Gemeinschaft gelangt sind.
(4) Entspricht die land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Bodennutzung und die Verwertung der dabei gewonnenen Erzeugnisse den in § 5 Absatz 2 bis 4 dieses Gesetzes genannten Anforderungen sowie den sich aus § 17 Absatz 2 des Bundes-Bodenschutzgesetzes und dem Recht der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft ergebenden Anforderungen an die gute fachliche Praxis, verstößt sie nicht gegen die Zugriffs-, Besitz- und Vermarktungsverbote. Sind in Anhang IV der Richtlinie 92/43/EWG aufgeführte Arten, europäische Vogelarten oder solche Arten, die in einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 aufgeführt sind, betroffen, gilt dies nur, soweit sich der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art durch die Bewirtschaftung nicht verschlechtert. Soweit dies nicht durch anderweitige Schutzmaßnahmen, insbesondere durch Maßnahmen des Gebietsschutzes, Artenschutzprogramme, vertragliche Vereinbarungen oder gezielte Aufklärung sichergestellt ist, ordnet die zuständige Behörde gegenüber den verursachenden Land-, Forst- oder Fischwirten die erforderlichen Bewirtschaftungsvorgaben an. Befugnisse nach Landesrecht zur Anordnung oder zum Erlass entsprechender Vorgaben durch Allgemeinverfügung oder Rechtsverordnung bleiben unberührt.
(5) Für nach § 15 Absatz 1 unvermeidbare Beeinträchtigungen durch Eingriffe in Natur und Landschaft, die nach § 17 Absatz 1 oder Absatz 3 zugelassen oder von einer Behörde durchgeführt werden, sowie für Vorhaben im Sinne des § 18 Absatz 2 Satz 1 gelten die Zugriffs-, Besitz- und Vermarktungsverbote nach Maßgabe der Sätze 2 bis 5. Sind in Anhang IV Buchstabe a der Richtlinie 92/43/EWG aufgeführte Tierarten, europäische Vogelarten oder solche Arten betroffen, die in einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 aufgeführt sind, liegt ein Verstoß gegen
- 1.
das Tötungs- und Verletzungsverbot nach Absatz 1 Nummer 1 nicht vor, wenn die Beeinträchtigung durch den Eingriff oder das Vorhaben das Tötungs- und Verletzungsrisiko für Exemplare der betroffenen Arten nicht signifikant erhöht und diese Beeinträchtigung bei Anwendung der gebotenen, fachlich anerkannten Schutzmaßnahmen nicht vermieden werden kann, - 2.
das Verbot des Nachstellens und Fangens wild lebender Tiere und der Entnahme, Beschädigung oder Zerstörung ihrer Entwicklungsformen nach Absatz 1 Nummer 1 nicht vor, wenn die Tiere oder ihre Entwicklungsformen im Rahmen einer erforderlichen Maßnahme, die auf den Schutz der Tiere vor Tötung oder Verletzung oder ihrer Entwicklungsformen vor Entnahme, Beschädigung oder Zerstörung und die Erhaltung der ökologischen Funktion der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang gerichtet ist, beeinträchtigt werden und diese Beeinträchtigungen unvermeidbar sind, - 3.
das Verbot nach Absatz 1 Nummer 3 nicht vor, wenn die ökologische Funktion der von dem Eingriff oder Vorhaben betroffenen Fortpflanzungs- und Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang weiterhin erfüllt wird.
(6) Die Zugriffs- und Besitzverbote gelten nicht für Handlungen zur Vorbereitung gesetzlich vorgeschriebener Prüfungen, die von fachkundigen Personen unter größtmöglicher Schonung der untersuchten Exemplare und der übrigen Tier- und Pflanzenwelt im notwendigen Umfang vorgenommen werden. Die Anzahl der verletzten oder getöteten Exemplare von europäischen Vogelarten und Arten der in Anhang IV Buchstabe a der Richtlinie 92/43/EWG aufgeführten Tierarten ist von der fachkundigen Person der für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörde jährlich mitzuteilen.
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.
(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen je zur Hälfte.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Antragsteller können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Gründe
(1) Das Oberverwaltungsgericht entscheidet im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit auf Antrag über die Gültigkeit
- 1.
von Satzungen, die nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs erlassen worden sind, sowie von Rechtsverordnungen auf Grund des § 246 Abs. 2 des Baugesetzbuchs - 2.
von anderen im Rang unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften, sofern das Landesrecht dies bestimmt.
(2) Den Antrag kann jede natürliche oder juristische Person, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden, sowie jede Behörde innerhalb eines Jahres nach Bekanntmachung der Rechtsvorschrift stellen. Er ist gegen die Körperschaft, Anstalt oder Stiftung zu richten, welche die Rechtsvorschrift erlassen hat. Das Oberverwaltungsgericht kann dem Land und anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, deren Zuständigkeit durch die Rechtsvorschrift berührt wird, Gelegenheit zur Äußerung binnen einer zu bestimmenden Frist geben. § 65 Abs. 1 und 4 und § 66 sind entsprechend anzuwenden.
(2a) (weggefallen)
(3) Das Oberverwaltungsgericht prüft die Vereinbarkeit der Rechtsvorschrift mit Landesrecht nicht, soweit gesetzlich vorgesehen ist, daß die Rechtsvorschrift ausschließlich durch das Verfassungsgericht eines Landes nachprüfbar ist.
(4) Ist ein Verfahren zur Überprüfung der Gültigkeit der Rechtsvorschrift bei einem Verfassungsgericht anhängig, so kann das Oberverwaltungsgericht anordnen, daß die Verhandlung bis zur Erledigung des Verfahrens vor dem Verfassungsgericht auszusetzen sei.
(5) Das Oberverwaltungsgericht entscheidet durch Urteil oder, wenn es eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, durch Beschluß. Kommt das Oberverwaltungsgericht zu der Überzeugung, daß die Rechtsvorschrift ungültig ist, so erklärt es sie für unwirksam; in diesem Fall ist die Entscheidung allgemein verbindlich und die Entscheidungsformel vom Antragsgegner ebenso zu veröffentlichen wie die Rechtsvorschrift bekanntzumachen wäre. Für die Wirkung der Entscheidung gilt § 183 entsprechend.
(6) Das Gericht kann auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist.
(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.
(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.
(1) Von den Besitzverboten sind, soweit sich aus einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 5 nichts anderes ergibt, ausgenommen
- 1.
Tiere und Pflanzen der besonders geschützten Arten, die rechtmäßig - a)
in der Gemeinschaft gezüchtet und nicht herrenlos geworden sind, durch künstliche Vermehrung gewonnen oder aus der Natur entnommen worden sind, - b)
aus Drittstaaten in die Gemeinschaft gelangt sind,
- 2.
Tiere und Pflanzen der Arten, die in einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 4 aufgeführt und vor ihrer Aufnahme in die Rechtsverordnung rechtmäßig in der Gemeinschaft erworben worden sind.
(2) Soweit nach Absatz 1 Tiere und Pflanzen der besonders geschützten Arten keinen Besitzverboten unterliegen, sind sie auch von den Vermarktungsverboten ausgenommen. Dies gilt vorbehaltlich einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 5 nicht für aus der Natur entnommene
(3) Von den Vermarktungsverboten sind auch ausgenommen
- 1.
Tiere und Pflanzen der streng geschützten Arten, die vor ihrer Unterschutzstellung als vom Aussterben bedrohte oder streng geschützte Arten rechtmäßig erworben worden sind, - 2.
Tiere europäischer Vogelarten, die vor dem 6. April 1981 rechtmäßig erworben worden oder in Anhang III Teil A der Richtlinie 2009/147/EG aufgeführt sind, - 3.
Tiere und Pflanzen der Arten, die den Richtlinien 92/43/EWG und 2009/147/EG unterliegen und die in einem Mitgliedstaat in Übereinstimmung mit den Richtlinien zu den in § 44 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 genannten Handlungen freigegeben worden sind.
(4) Abweichend von den Besitz- und Vermarktungsverboten ist es vorbehaltlich jagd- und fischereirechtlicher Vorschriften zulässig, tot aufgefundene Tiere und Pflanzen aus der Natur zu entnehmen und an die von der für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörde bestimmte Stelle abzugeben oder, soweit sie nicht zu den streng geschützten Arten gehören, für Zwecke der Forschung oder Lehre oder zur Präparation für diese Zwecke zu verwenden.
(5) Abweichend von den Verboten des § 44 Absatz 1 Nummer 1 sowie den Besitzverboten ist es vorbehaltlich jagdrechtlicher Vorschriften ferner zulässig, verletzte, hilflose oder kranke Tiere aufzunehmen, um sie gesund zu pflegen. Die Tiere sind unverzüglich freizulassen, sobald sie sich selbständig erhalten können. Im Übrigen sind sie an die von der für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörde bestimmte Stelle abzugeben. Handelt es sich um Tiere der streng geschützten Arten, so hat der Besitzer die Aufnahme des Tieres der für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörde zu melden. Diese kann die Herausgabe des aufgenommenen Tieres verlangen.
(6) Die nach Landesrecht zuständigen Behörden können Ausnahmen von den Besitz- und Vermarktungsverboten zulassen, soweit dies für die Verwertung beschlagnahmter oder eingezogener Tiere und Pflanzen erforderlich ist und Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft dem nicht entgegenstehen. Ist für die Beschlagnahme oder Einziehung eine Bundesbehörde zuständig, kann diese Behörde Ausnahmen von den Besitz- und Vermarktungsverboten im Sinne von Satz 1 zulassen.
(7) Die für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörden sowie im Fall des Verbringens aus dem Ausland das Bundesamt für Naturschutz können von den Verboten des § 44 im Einzelfall weitere Ausnahmen zulassen
- 1.
zur Abwendung ernster land-, forst-, fischerei oder wasserwirtschaftlicher oder sonstiger ernster wirtschaftlicher Schäden, - 2.
zum Schutz der natürlich vorkommenden Tier- und Pflanzenwelt, - 3.
für Zwecke der Forschung, Lehre, Bildung oder Wiederansiedlung oder diesen Zwecken dienende Maßnahmen der Aufzucht oder künstlichen Vermehrung, - 4.
im Interesse der Gesundheit des Menschen, der öffentlichen Sicherheit, einschließlich der Verteidigung und des Schutzes der Zivilbevölkerung, oder der maßgeblich günstigen Auswirkungen auf die Umwelt oder - 5.
aus anderen zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art.
(8) Das Bundesamt für Naturschutz kann im Fall des Verbringens aus dem Ausland von den Verboten des § 44 unter den Voraussetzungen des Absatzes 7 Satz 2 und 3 im Einzelfall weitere Ausnahmen zulassen, um unter kontrollierten Bedingungen und in beschränktem Ausmaß eine vernünftige Nutzung von Tieren und Pflanzen bestimmter Arten im Sinne des § 7 Absatz 2 Nummer 13 Buchstabe b sowie für gezüchtete und künstlich vermehrte Tiere oder Pflanzen dieser Arten zu ermöglichen.
(1) Es ist verboten,
- 1.
wild lebenden Tieren der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören, - 2.
wild lebende Tiere der streng geschützten Arten und der europäischen Vogelarten während der Fortpflanzungs-, Aufzucht-, Mauser-, Überwinterungs- und Wanderungszeiten erheblich zu stören; eine erhebliche Störung liegt vor, wenn sich durch die Störung der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art verschlechtert, - 3.
Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der wild lebenden Tiere der besonders geschützten Arten aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören, - 4.
wild lebende Pflanzen der besonders geschützten Arten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, sie oder ihre Standorte zu beschädigen oder zu zerstören
(2) Es ist ferner verboten,
- 1.
Tiere und Pflanzen der besonders geschützten Arten in Besitz oder Gewahrsam zu nehmen, in Besitz oder Gewahrsam zu haben oder zu be- oder verarbeiten (Besitzverbote), - 2.
Tiere und Pflanzen der besonders geschützten Arten im Sinne des § 7 Absatz 2 Nummer 13 Buchstabe b und c - a)
zu verkaufen, zu kaufen, zum Verkauf oder Kauf anzubieten, zum Verkauf vorrätig zu halten oder zu befördern, zu tauschen oder entgeltlich zum Gebrauch oder zur Nutzung zu überlassen, - b)
zu kommerziellen Zwecken zu erwerben, zur Schau zu stellen oder auf andere Weise zu verwenden
(3) Die Besitz- und Vermarktungsverbote gelten auch für Waren im Sinne des Anhangs der Richtlinie 83/129/EWG, die entgegen den Artikeln 1 und 3 dieser Richtlinie nach dem 30. September 1983 in die Gemeinschaft gelangt sind.
(4) Entspricht die land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Bodennutzung und die Verwertung der dabei gewonnenen Erzeugnisse den in § 5 Absatz 2 bis 4 dieses Gesetzes genannten Anforderungen sowie den sich aus § 17 Absatz 2 des Bundes-Bodenschutzgesetzes und dem Recht der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft ergebenden Anforderungen an die gute fachliche Praxis, verstößt sie nicht gegen die Zugriffs-, Besitz- und Vermarktungsverbote. Sind in Anhang IV der Richtlinie 92/43/EWG aufgeführte Arten, europäische Vogelarten oder solche Arten, die in einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 aufgeführt sind, betroffen, gilt dies nur, soweit sich der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art durch die Bewirtschaftung nicht verschlechtert. Soweit dies nicht durch anderweitige Schutzmaßnahmen, insbesondere durch Maßnahmen des Gebietsschutzes, Artenschutzprogramme, vertragliche Vereinbarungen oder gezielte Aufklärung sichergestellt ist, ordnet die zuständige Behörde gegenüber den verursachenden Land-, Forst- oder Fischwirten die erforderlichen Bewirtschaftungsvorgaben an. Befugnisse nach Landesrecht zur Anordnung oder zum Erlass entsprechender Vorgaben durch Allgemeinverfügung oder Rechtsverordnung bleiben unberührt.
(5) Für nach § 15 Absatz 1 unvermeidbare Beeinträchtigungen durch Eingriffe in Natur und Landschaft, die nach § 17 Absatz 1 oder Absatz 3 zugelassen oder von einer Behörde durchgeführt werden, sowie für Vorhaben im Sinne des § 18 Absatz 2 Satz 1 gelten die Zugriffs-, Besitz- und Vermarktungsverbote nach Maßgabe der Sätze 2 bis 5. Sind in Anhang IV Buchstabe a der Richtlinie 92/43/EWG aufgeführte Tierarten, europäische Vogelarten oder solche Arten betroffen, die in einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 aufgeführt sind, liegt ein Verstoß gegen
- 1.
das Tötungs- und Verletzungsverbot nach Absatz 1 Nummer 1 nicht vor, wenn die Beeinträchtigung durch den Eingriff oder das Vorhaben das Tötungs- und Verletzungsrisiko für Exemplare der betroffenen Arten nicht signifikant erhöht und diese Beeinträchtigung bei Anwendung der gebotenen, fachlich anerkannten Schutzmaßnahmen nicht vermieden werden kann, - 2.
das Verbot des Nachstellens und Fangens wild lebender Tiere und der Entnahme, Beschädigung oder Zerstörung ihrer Entwicklungsformen nach Absatz 1 Nummer 1 nicht vor, wenn die Tiere oder ihre Entwicklungsformen im Rahmen einer erforderlichen Maßnahme, die auf den Schutz der Tiere vor Tötung oder Verletzung oder ihrer Entwicklungsformen vor Entnahme, Beschädigung oder Zerstörung und die Erhaltung der ökologischen Funktion der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang gerichtet ist, beeinträchtigt werden und diese Beeinträchtigungen unvermeidbar sind, - 3.
das Verbot nach Absatz 1 Nummer 3 nicht vor, wenn die ökologische Funktion der von dem Eingriff oder Vorhaben betroffenen Fortpflanzungs- und Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang weiterhin erfüllt wird.
(6) Die Zugriffs- und Besitzverbote gelten nicht für Handlungen zur Vorbereitung gesetzlich vorgeschriebener Prüfungen, die von fachkundigen Personen unter größtmöglicher Schonung der untersuchten Exemplare und der übrigen Tier- und Pflanzenwelt im notwendigen Umfang vorgenommen werden. Die Anzahl der verletzten oder getöteten Exemplare von europäischen Vogelarten und Arten der in Anhang IV Buchstabe a der Richtlinie 92/43/EWG aufgeführten Tierarten ist von der fachkundigen Person der für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörde jährlich mitzuteilen.
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen je zur Hälfte.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Antragsteller können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Gründe
(1) Das Oberverwaltungsgericht entscheidet im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit auf Antrag über die Gültigkeit
- 1.
von Satzungen, die nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs erlassen worden sind, sowie von Rechtsverordnungen auf Grund des § 246 Abs. 2 des Baugesetzbuchs - 2.
von anderen im Rang unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften, sofern das Landesrecht dies bestimmt.
(2) Den Antrag kann jede natürliche oder juristische Person, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden, sowie jede Behörde innerhalb eines Jahres nach Bekanntmachung der Rechtsvorschrift stellen. Er ist gegen die Körperschaft, Anstalt oder Stiftung zu richten, welche die Rechtsvorschrift erlassen hat. Das Oberverwaltungsgericht kann dem Land und anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, deren Zuständigkeit durch die Rechtsvorschrift berührt wird, Gelegenheit zur Äußerung binnen einer zu bestimmenden Frist geben. § 65 Abs. 1 und 4 und § 66 sind entsprechend anzuwenden.
(2a) (weggefallen)
(3) Das Oberverwaltungsgericht prüft die Vereinbarkeit der Rechtsvorschrift mit Landesrecht nicht, soweit gesetzlich vorgesehen ist, daß die Rechtsvorschrift ausschließlich durch das Verfassungsgericht eines Landes nachprüfbar ist.
(4) Ist ein Verfahren zur Überprüfung der Gültigkeit der Rechtsvorschrift bei einem Verfassungsgericht anhängig, so kann das Oberverwaltungsgericht anordnen, daß die Verhandlung bis zur Erledigung des Verfahrens vor dem Verfassungsgericht auszusetzen sei.
(5) Das Oberverwaltungsgericht entscheidet durch Urteil oder, wenn es eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, durch Beschluß. Kommt das Oberverwaltungsgericht zu der Überzeugung, daß die Rechtsvorschrift ungültig ist, so erklärt es sie für unwirksam; in diesem Fall ist die Entscheidung allgemein verbindlich und die Entscheidungsformel vom Antragsgegner ebenso zu veröffentlichen wie die Rechtsvorschrift bekanntzumachen wäre. Für die Wirkung der Entscheidung gilt § 183 entsprechend.
(6) Das Gericht kann auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.
(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.
(1) Werden die durch eine Rechtsverordnung nach § 48a Absatz 1 festgelegten Immissionsgrenzwerte einschließlich festgelegter Toleranzmargen überschritten, hat die zuständige Behörde einen Luftreinhalteplan aufzustellen, welcher die erforderlichen Maßnahmen zur dauerhaften Verminderung von Luftverunreinigungen festlegt und den Anforderungen der Rechtsverordnung entspricht. Satz 1 gilt entsprechend, soweit eine Rechtsverordnung nach § 48a Absatz 1 zur Einhaltung von Zielwerten die Aufstellung eines Luftreinhalteplans regelt. Die Maßnahmen eines Luftreinhalteplans müssen geeignet sein, den Zeitraum einer Überschreitung von bereits einzuhaltenden Immissionsgrenzwerten so kurz wie möglich zu halten.
(2) Besteht die Gefahr, dass die durch eine Rechtsverordnung nach § 48a Absatz 1 festgelegten Alarmschwellen überschritten werden, hat die zuständige Behörde einen Plan für kurzfristig zu ergreifende Maßnahmen aufzustellen, soweit die Rechtsverordnung dies vorsieht. Besteht die Gefahr, dass durch eine Rechtsverordnung nach § 48a Absatz 1 festgelegte Immissionsgrenzwerte oder Zielwerte überschritten werden, kann die zuständige Behörde einen Plan für kurzfristig zu ergreifende Maßnahmen aufstellen, soweit die Rechtsverordnung dies vorsieht. Die im Plan festgelegten Maßnahmen müssen geeignet sein, die Gefahr der Überschreitung der Werte zu verringern oder den Zeitraum, während dessen die Werte überschritten werden, zu verkürzen. Ein Plan für kurzfristig zu ergreifende Maßnahmen kann Teil eines Luftreinhalteplans nach Absatz 1 sein.
(3) Liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass die durch eine Rechtsverordnung nach § 48a Absatz 1a festgelegten Immissionswerte nicht eingehalten werden, oder sind in einem Untersuchungsgebiet im Sinne des § 44 Absatz 2 sonstige schädliche Umwelteinwirkungen zu erwarten, kann die zuständige Behörde einen Luftreinhalteplan aufstellen. Bei der Aufstellung dieser Pläne sind die Ziele der Raumordnung zu beachten; die Grundsätze und sonstigen Erfordernisse der Raumordnung sind zu berücksichtigen.
(4) Die Maßnahmen sind entsprechend des Verursacheranteils unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gegen alle Emittenten zu richten, die zum Überschreiten der Immissionswerte oder in einem Untersuchungsgebiet im Sinne des § 44 Absatz 2 zu sonstigen schädlichen Umwelteinwirkungen beitragen. Werden in Plänen nach Absatz 1 oder 2 Maßnahmen im Straßenverkehr erforderlich, sind diese im Einvernehmen mit den zuständigen Straßenbau- und Straßenverkehrsbehörden festzulegen. Werden Immissionswerte hinsichtlich mehrerer Schadstoffe überschritten, ist ein alle Schadstoffe erfassender Plan aufzustellen. Werden Immissionswerte durch Emissionen überschritten, die außerhalb des Plangebiets verursacht werden, hat in den Fällen der Absätze 1 und 2 auch die dort zuständige Behörde einen Plan aufzustellen.
(4a) Verbote des Kraftfahrzeugverkehrs für Kraftfahrzeuge mit Selbstzündungsmotor kommen wegen der Überschreitung des Immissionsgrenzwertes für Stickstoffdioxid in der Regel nur in Gebieten in Betracht, in denen der Wert von 50 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel überschritten worden ist. Folgende Kraftfahrzeuge sind von Verkehrsverboten ausgenommen:
- 1.
Kraftfahrzeuge der Schadstoffklasse Euro 6, - 2.
Kraftfahrzeuge der Schadstoffklassen Euro 4 und Euro 5, sofern diese im praktischen Fahrbetrieb in entsprechender Anwendung des Artikels 2 Nummer 41 in Verbindung mit Anhang IIIa der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 der Kommission vom 18. Juli 2008 zur Durchführung und Änderung der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl. L 199 vom 28.7.2008, S. 1), die zuletzt durch die Verordnung (EU) 2017/1221 (ABl. L 174 vom 7.7.2017, S. 3) geändert worden ist, weniger als 270 Milligramm Stickstoffoxide pro Kilometer ausstoßen, - 3.
Kraftomnibusse mit einer Allgemeinen Betriebserlaubnis für ein Stickstoffoxid-Minderungssystem mit erhöhter Minderungsleistung, sofern die Nachrüstung finanziell aus einem öffentlichen Titel des Bundes gefördert worden ist, oder die die technischen Anforderungen erfüllen, die für diese Förderung erforderlich gewesen wären, - 4.
schwere Kommunalfahrzeuge mit einer Allgemeinen Betriebserlaubnis für ein Stickstoffoxid-Minderungssystem mit erhöhter Minderungsleistung, sofern die Nachrüstung finanziell aus einem öffentlichen Titel des Bundes gefördert worden ist, oder die die technischen Anforderungen erfüllen, die für diese Förderung erforderlich gewesen wären, sowie Fahrzeuge der privaten Entsorgungswirtschaft von mehr als 3,5 Tonnen mit einer Allgemeinen Betriebserlaubnis für ein Stickstoffoxid-Minderungssystem mit erhöhter Minderungsleistung, die die technischen Anforderungen erfüllen, die für diese Förderung erforderlich gewesen wären, - 5.
Handwerker- und Lieferfahrzeuge zwischen 2,8 und 7,5 Tonnen mit einer Allgemeinen Betriebserlaubnis für ein Stickstoffoxid-Minderungssystem mit erhöhter Minderungsleistung, sofern die Nachrüstung finanziell aus einem öffentlichen Titel des Bundes gefördert worden ist, oder die die technischen Anforderungen erfüllen, die für diese Förderung erforderlich gewesen wären, - 6.
Kraftfahrzeuge der Schadstoffklasse Euro VI und - 7.
Kraftfahrzeuge im Sinne von Anhang 3 Nummer 5, 6 und 7 der Verordnung zur Kennzeichnung der Kraftfahrzeuge mit geringem Beitrag zur Schadstoffbelastung vom 10. Oktober 2006 (BGBl. I S. 2218), die zuletzt durch Artikel 85 der Verordnung vom 31. August 2015 (BGBl. I S. 1474) geändert worden ist.
(5) Die nach den Absätzen 1 bis 4 aufzustellenden Pläne müssen den Anforderungen des § 45 Absatz 2 entsprechen. Die Öffentlichkeit ist bei der Aufstellung von Plänen nach den Absätzen 1 und 3 zu beteiligen. Die Pläne müssen für die Öffentlichkeit zugänglich sein.
(5a) Bei der Aufstellung oder Änderung von Luftreinhalteplänen nach Absatz 1 ist die Öffentlichkeit durch die zuständige Behörde zu beteiligen. Die Aufstellung oder Änderung eines Luftreinhalteplanes sowie Informationen über das Beteiligungsverfahren sind in einem amtlichen Veröffentlichungsblatt und auf andere geeignete Weise öffentlich bekannt zu machen. Der Entwurf des neuen oder geänderten Luftreinhalteplanes ist einen Monat zur Einsicht auszulegen; bis zwei Wochen nach Ablauf der Auslegungsfrist kann gegenüber der zuständigen Behörde schriftlich oder elektronisch Stellung genommen werden; der Zeitpunkt des Fristablaufs ist bei der Bekanntmachung nach Satz 2 mitzuteilen. Fristgemäß eingegangene Stellungnahmen werden von der zuständigen Behörde bei der Entscheidung über die Annahme des Plans angemessen berücksichtigt. Der aufgestellte Plan ist von der zuständigen Behörde in einem amtlichen Veröffentlichungsblatt und auf andere geeignete Weise öffentlich bekannt zu machen. In der öffentlichen Bekanntmachung sind das überplante Gebiet und eine Übersicht über die wesentlichen Maßnahmen darzustellen. Eine Ausfertigung des Plans, einschließlich einer Darstellung des Ablaufs des Beteiligungsverfahrens und der Gründe und Erwägungen, auf denen die getroffene Entscheidung beruht, wird zwei Wochen zur Einsicht ausgelegt. Dieser Absatz findet keine Anwendung, wenn es sich bei dem Luftreinhalteplan nach Absatz 1 um einen Plan handelt, für den nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung eine Strategische Umweltprüfung durchzuführen ist.
(5b) Werden nach Absatz 2 Pläne für kurzfristig zu ergreifende Maßnahmen aufgestellt, macht die zuständige Behörde der Öffentlichkeit sowohl die Ergebnisse ihrer Untersuchungen zur Durchführbarkeit und zum Inhalt solcher Pläne als auch Informationen über die Durchführung dieser Pläne zugänglich.
(6) Die Maßnahmen, die Pläne nach den Absätzen 1 bis 4 festlegen, sind durch Anordnungen oder sonstige Entscheidungen der zuständigen Träger öffentlicher Verwaltung nach diesem Gesetz oder nach anderen Rechtsvorschriften durchzusetzen. Sind in den Plänen planungsrechtliche Festlegungen vorgesehen, haben die zuständigen Planungsträger dies bei ihren Planungen zu berücksichtigen.
(7) Die Landesregierungen oder die von ihnen bestimmten Stellen werden ermächtigt, bei der Gefahr, dass Immissionsgrenzwerte überschritten werden, die eine Rechtsverordnung nach § 48a Absatz 1 festlegt, durch Rechtsverordnung vorzuschreiben, dass in näher zu bestimmenden Gebieten bestimmte
- 1.
ortsveränderliche Anlagen nicht betrieben werden dürfen, - 2.
ortsfeste Anlagen nicht errichtet werden dürfen, - 3.
ortsveränderliche oder ortsfeste Anlagen nur zu bestimmten Zeiten betrieben werden dürfen oder erhöhten betriebstechnischen Anforderungen genügen müssen, - 4.
Brennstoffe in Anlagen nicht oder nur beschränkt verwendet werden dürfen,
(1) Es ist verboten,
- 1.
wild lebenden Tieren der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören, - 2.
wild lebende Tiere der streng geschützten Arten und der europäischen Vogelarten während der Fortpflanzungs-, Aufzucht-, Mauser-, Überwinterungs- und Wanderungszeiten erheblich zu stören; eine erhebliche Störung liegt vor, wenn sich durch die Störung der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art verschlechtert, - 3.
Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der wild lebenden Tiere der besonders geschützten Arten aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören, - 4.
wild lebende Pflanzen der besonders geschützten Arten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, sie oder ihre Standorte zu beschädigen oder zu zerstören
(2) Es ist ferner verboten,
- 1.
Tiere und Pflanzen der besonders geschützten Arten in Besitz oder Gewahrsam zu nehmen, in Besitz oder Gewahrsam zu haben oder zu be- oder verarbeiten (Besitzverbote), - 2.
Tiere und Pflanzen der besonders geschützten Arten im Sinne des § 7 Absatz 2 Nummer 13 Buchstabe b und c - a)
zu verkaufen, zu kaufen, zum Verkauf oder Kauf anzubieten, zum Verkauf vorrätig zu halten oder zu befördern, zu tauschen oder entgeltlich zum Gebrauch oder zur Nutzung zu überlassen, - b)
zu kommerziellen Zwecken zu erwerben, zur Schau zu stellen oder auf andere Weise zu verwenden
(3) Die Besitz- und Vermarktungsverbote gelten auch für Waren im Sinne des Anhangs der Richtlinie 83/129/EWG, die entgegen den Artikeln 1 und 3 dieser Richtlinie nach dem 30. September 1983 in die Gemeinschaft gelangt sind.
(4) Entspricht die land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Bodennutzung und die Verwertung der dabei gewonnenen Erzeugnisse den in § 5 Absatz 2 bis 4 dieses Gesetzes genannten Anforderungen sowie den sich aus § 17 Absatz 2 des Bundes-Bodenschutzgesetzes und dem Recht der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft ergebenden Anforderungen an die gute fachliche Praxis, verstößt sie nicht gegen die Zugriffs-, Besitz- und Vermarktungsverbote. Sind in Anhang IV der Richtlinie 92/43/EWG aufgeführte Arten, europäische Vogelarten oder solche Arten, die in einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 aufgeführt sind, betroffen, gilt dies nur, soweit sich der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art durch die Bewirtschaftung nicht verschlechtert. Soweit dies nicht durch anderweitige Schutzmaßnahmen, insbesondere durch Maßnahmen des Gebietsschutzes, Artenschutzprogramme, vertragliche Vereinbarungen oder gezielte Aufklärung sichergestellt ist, ordnet die zuständige Behörde gegenüber den verursachenden Land-, Forst- oder Fischwirten die erforderlichen Bewirtschaftungsvorgaben an. Befugnisse nach Landesrecht zur Anordnung oder zum Erlass entsprechender Vorgaben durch Allgemeinverfügung oder Rechtsverordnung bleiben unberührt.
(5) Für nach § 15 Absatz 1 unvermeidbare Beeinträchtigungen durch Eingriffe in Natur und Landschaft, die nach § 17 Absatz 1 oder Absatz 3 zugelassen oder von einer Behörde durchgeführt werden, sowie für Vorhaben im Sinne des § 18 Absatz 2 Satz 1 gelten die Zugriffs-, Besitz- und Vermarktungsverbote nach Maßgabe der Sätze 2 bis 5. Sind in Anhang IV Buchstabe a der Richtlinie 92/43/EWG aufgeführte Tierarten, europäische Vogelarten oder solche Arten betroffen, die in einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 aufgeführt sind, liegt ein Verstoß gegen
- 1.
das Tötungs- und Verletzungsverbot nach Absatz 1 Nummer 1 nicht vor, wenn die Beeinträchtigung durch den Eingriff oder das Vorhaben das Tötungs- und Verletzungsrisiko für Exemplare der betroffenen Arten nicht signifikant erhöht und diese Beeinträchtigung bei Anwendung der gebotenen, fachlich anerkannten Schutzmaßnahmen nicht vermieden werden kann, - 2.
das Verbot des Nachstellens und Fangens wild lebender Tiere und der Entnahme, Beschädigung oder Zerstörung ihrer Entwicklungsformen nach Absatz 1 Nummer 1 nicht vor, wenn die Tiere oder ihre Entwicklungsformen im Rahmen einer erforderlichen Maßnahme, die auf den Schutz der Tiere vor Tötung oder Verletzung oder ihrer Entwicklungsformen vor Entnahme, Beschädigung oder Zerstörung und die Erhaltung der ökologischen Funktion der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang gerichtet ist, beeinträchtigt werden und diese Beeinträchtigungen unvermeidbar sind, - 3.
das Verbot nach Absatz 1 Nummer 3 nicht vor, wenn die ökologische Funktion der von dem Eingriff oder Vorhaben betroffenen Fortpflanzungs- und Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang weiterhin erfüllt wird.
(6) Die Zugriffs- und Besitzverbote gelten nicht für Handlungen zur Vorbereitung gesetzlich vorgeschriebener Prüfungen, die von fachkundigen Personen unter größtmöglicher Schonung der untersuchten Exemplare und der übrigen Tier- und Pflanzenwelt im notwendigen Umfang vorgenommen werden. Die Anzahl der verletzten oder getöteten Exemplare von europäischen Vogelarten und Arten der in Anhang IV Buchstabe a der Richtlinie 92/43/EWG aufgeführten Tierarten ist von der fachkundigen Person der für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörde jährlich mitzuteilen.
(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.
(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,
- 1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen, - 2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist, - 3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
(1) Legt ein Dritter einen Rechtsbehelf gegen den an einen anderen gerichteten, diesen begünstigenden Verwaltungsakt ein, kann die Behörde
- 1.
auf Antrag des Begünstigten nach § 80 Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 die sofortige Vollziehung anordnen, - 2.
auf Antrag des Dritten nach § 80 Abs. 4 die Vollziehung aussetzen und einstweilige Maßnahmen zur Sicherung der Rechte des Dritten treffen.
(2) Legt ein Betroffener gegen einen an ihn gerichteten belastenden Verwaltungsakt, der einen Dritten begünstigt, einen Rechtsbehelf ein, kann die Behörde auf Antrag des Dritten nach § 80 Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 die sofortige Vollziehung anordnen.
(3) Das Gericht kann auf Antrag Maßnahmen nach den Absätzen 1 und 2 ändern oder aufheben oder solche Maßnahmen treffen. § 80 Abs. 5 bis 8 gilt entsprechend.
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.
(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.
(1) Eine nach § 3 anerkannte inländische oder ausländische Vereinigung kann, ohne eine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen zu müssen, Rechtsbehelfe nach Maßgabe der Verwaltungsgerichtsordnung gegen eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 oder deren Unterlassen einlegen, wenn die Vereinigung
- 1.
geltend macht, dass eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 oder deren Unterlassen Rechtsvorschriften, die für die Entscheidung von Bedeutung sein können, widerspricht, - 2.
geltend macht, in ihrem satzungsgemäßen Aufgabenbereich der Förderung der Ziele des Umweltschutzes durch die Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 oder deren Unterlassen berührt zu sein, und - 3.
im Falle eines Verfahrens nach - a)
§ 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b zur Beteiligung berechtigt war; - b)
§ 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 zur Beteiligung berechtigt war und sie sich hierbei in der Sache gemäß den geltenden Rechtsvorschriften geäußert hat oder ihr entgegen den geltenden Rechtsvorschriften keine Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden ist.
(2) Eine Vereinigung, die nicht nach § 3 anerkannt ist, kann einen Rechtsbehelf nach Absatz 1 nur dann einlegen, wenn
- 1.
sie bei Einlegung des Rechtsbehelfs die Voraussetzungen für eine Anerkennung erfüllt, - 2.
sie einen Antrag auf Anerkennung gestellt hat und - 3.
über eine Anerkennung aus Gründen, die von der Vereinigung nicht zu vertreten sind, noch nicht entschieden ist.
(3) Ist eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 nach den geltenden Rechtsvorschriften weder öffentlich bekannt gemacht noch der Vereinigung bekannt gegeben worden, so müssen Widerspruch oder Klage binnen eines Jahres erhoben werden, nachdem die Vereinigung von der Entscheidung Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen können. Widerspruch oder Klage gegen eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 oder 6 müssen jedoch spätestens binnen zweier Jahre, nachdem der Verwaltungsakt erteilt wurde, erhoben werden. Satz 1 gilt entsprechend, wenn eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 entgegen geltenden Rechtsvorschriften nicht getroffen worden ist und die Vereinigung von diesem Umstand Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen können.
(4) Rechtsbehelfe nach Absatz 1 sind begründet, soweit
- 1.
die Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 und 2 oder deren Unterlassen gegen Rechtsvorschriften verstößt, die für diese Entscheidung von Bedeutung sind, oder - 2.
die Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2a bis 6 oder deren Unterlassen gegen umweltbezogene Rechtsvorschriften verstößt, die für diese Entscheidung von Bedeutung sind,
(1) Dieses Gesetz ist anzuwenden auf Rechtsbehelfe gegen folgende Entscheidungen:
- 1.
Zulassungsentscheidungen im Sinne von § 2 Absatz 6 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung über die Zulässigkeit von Vorhaben, für die nach - a)
dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung, - b)
der Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher Vorhaben oder - c)
landesrechtlichen Vorschriften
- 2.
Genehmigungen für Anlagen, die in Spalte c des Anhangs 1 der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen mit dem Buchstaben G gekennzeichnet sind, gegen Entscheidungen nach § 17 Absatz 1a des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, gegen Erlaubnisse nach § 8 Absatz 1 des Wasserhaushaltsgesetzes für Gewässerbenutzungen, die mit einem Vorhaben im Sinne der Richtlinie 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung) (Neufassung) (ABl. L 334 vom 17.12.2010, S. 17) verbunden sind, sowie gegen Planfeststellungsbeschlüsse für Deponien nach § 35 Absatz 2 des Kreislaufwirtschaftgesetzes; - 2a.
Genehmigungen für Anlagen nach § 23b Absatz 1 Satz 1 oder § 19 Absatz 4 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes oder Zulassungen für Betriebspläne nach § 57d Absatz 1 des Bundesberggesetzes; - 2b.
Entscheidungen über die Zulässigkeit von Vorhaben, die benachbarte Schutzobjekte im Sinne des § 3 Absatz 5d des Bundes-Immissionsschutzgesetzes darstellen und die innerhalb des angemessenen Sicherheitsabstands zu einem Betriebsbereich nach § 3 Absatz 5a des Bundes-Immissionsschutzgesetzes verwirklicht werden sollen und einer Zulassung nach landesrechtlichen Vorschriften bedürfen; - 3.
Entscheidungen nach dem Umweltschadensgesetz; - 4.
Entscheidungen über die Annahme von Plänen und Programmen im Sinne von § 2 Absatz 7 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung und im Sinne der entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften, für die nach - a)
Anlage 5 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder - b)
landesrechtlichen Vorschriften
- 5.
Verwaltungsakte oder öffentlich-rechtliche Verträge, durch die andere als in den Nummern 1 bis 2b genannte Vorhaben unter Anwendung umweltbezogener Rechtsvorschriften des Bundesrechts, des Landesrechts oder unmittelbar geltender Rechtsakte der Europäischen Union zugelassen werden, und - 6.
Verwaltungsakte über Überwachungs- oder Aufsichtsmaßnahmen zur Umsetzung oder Durchführung von Entscheidungen nach den Nummern 1 bis 5, die der Einhaltung umweltbezogener Rechtsvorschriften des Bundesrechts, des Landesrechts oder unmittelbar geltender Rechtsakte der Europäischen Union dienen.
- 1.
§ 44a der Verwaltungsgerichtsordnung, - 2.
§ 17 Absatz 3 Satz 3 bis 5 und § 19 Absatz 2 Satz 5 bis 7 des Standortauswahlgesetzes sowie - 3.
§ 15 Absatz 3 Satz 2 des Netzausbaubeschleunigungsgesetzes Übertragungsnetz, § 17a Absatz 5 Satz 1 des Energiewirtschaftsgesetzes, § 6 Absatz 9 Satz 1 des Windenergie-auf-See-Gesetzes, § 47 Absatz 4 und § 49 Absatz 3 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung und andere entsprechende Rechtsvorschriften.
(2) Dieses Gesetz gilt auch im Bereich der ausschließlichen Wirtschaftszone oder des Festlandsockels im Rahmen der Vorgaben des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1982 (BGBl. 1994 II S. 1799, 1995 II S. 602).
(3) Soweit in Planfeststellungsverfahren, die Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 2 oder 5 unterfallen, Rechtsbehelfe nach diesem Gesetz eröffnet sind, wird § 64 Absatz 1 des Bundesnaturschutzgesetzes nicht angewendet.
(4) Umweltbezogene Rechtsvorschriften im Sinne dieses Gesetzes sind Bestimmungen, die sich zum Schutz von Mensch und Umwelt auf
- 1.
den Zustand von Umweltbestandteilen im Sinne von § 2 Absatz 3 Nummer 1 des Umweltinformationsgesetzes oder - 2.
Faktoren im Sinne von § 2 Absatz 3 Nummer 2 des Umweltinformationsgesetzes
(1) Das Genehmigungsverfahren setzt einen schriftlichen oder elektronischen Antrag voraus. Dem Antrag sind die zur Prüfung nach § 6 erforderlichen Zeichnungen, Erläuterungen und sonstigen Unterlagen beizufügen. Reichen die Unterlagen für die Prüfung nicht aus, so hat sie der Antragsteller auf Verlangen der zuständigen Behörde innerhalb einer angemessenen Frist zu ergänzen. Erfolgt die Antragstellung elektronisch, kann die zuständige Behörde Mehrfertigungen sowie die Übermittlung der dem Antrag beizufügenden Unterlagen auch in schriftlicher Form verlangen.
(1a) Der Antragsteller, der beabsichtigt, eine Anlage nach der Industrieemissions-Richtlinie zu betreiben, in der relevante gefährliche Stoffe verwendet, erzeugt oder freigesetzt werden, hat mit den Unterlagen nach Absatz 1 einen Bericht über den Ausgangszustand vorzulegen, wenn und soweit eine Verschmutzung des Bodens oder des Grundwassers auf dem Anlagengrundstück durch die relevanten gefährlichen Stoffe möglich ist. Die Möglichkeit einer Verschmutzung des Bodens oder des Grundwassers besteht nicht, wenn auf Grund der tatsächlichen Umstände ein Eintrag ausgeschlossen werden kann.
(2) Soweit Unterlagen Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse enthalten, sind die Unterlagen zu kennzeichnen und getrennt vorzulegen. Ihr Inhalt muss, soweit es ohne Preisgabe des Geheimnisses geschehen kann, so ausführlich dargestellt sein, dass es Dritten möglich ist, zu beurteilen, ob und in welchem Umfang sie von den Auswirkungen der Anlage betroffen werden können.
(3) Sind die Unterlagen des Antragstellers vollständig, so hat die zuständige Behörde das Vorhaben in ihrem amtlichen Veröffentlichungsblatt und außerdem entweder im Internet oder in örtlichen Tageszeitungen, die im Bereich des Standortes der Anlage verbreitet sind, öffentlich bekannt zu machen. Der Antrag und die vom Antragsteller vorgelegten Unterlagen, mit Ausnahme der Unterlagen nach Absatz 2 Satz 1, sowie die entscheidungserheblichen Berichte und Empfehlungen, die der Behörde im Zeitpunkt der Bekanntmachung vorliegen, sind nach der Bekanntmachung einen Monat zur Einsicht auszulegen. Weitere Informationen, die für die Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens von Bedeutung sein können und die der zuständigen Behörde erst nach Beginn der Auslegung vorliegen, sind der Öffentlichkeit nach den Bestimmungen über den Zugang zu Umweltinformationen zugänglich zu machen. Bis zwei Wochen nach Ablauf der Auslegungsfrist kann die Öffentlichkeit gegenüber der zuständigen Behörde schriftlich oder elektronisch Einwendungen erheben; bei Anlagen nach der Industrieemissions-Richtlinie gilt eine Frist von einem Monat. Mit Ablauf der Einwendungsfrist sind für das Genehmigungsverfahren alle Einwendungen ausgeschlossen, die nicht auf besonderen privatrechtlichen Titeln beruhen. Einwendungen, die auf besonderen privatrechtlichen Titeln beruhen, sind auf den Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten zu verweisen.
(3a) Nach dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz anerkannte Vereinigungen sollen die zuständige Behörde in einer dem Umweltschutz dienenden Weise unterstützen.
(4) In der Bekanntmachung nach Absatz 3 Satz 1 ist
- 1.
darauf hinzuweisen, wo und wann der Antrag auf Erteilung der Genehmigung und die Unterlagen zur Einsicht ausgelegt sind; - 2.
dazu aufzufordern, etwaige Einwendungen bei einer in der Bekanntmachung zu bezeichnenden Stelle innerhalb der Einwendungsfrist vorzubringen; dabei ist auf die Rechtsfolgen nach Absatz 3 Satz 5 hinzuweisen; - 3.
ein Erörterungstermin zu bestimmen und darauf hinzuweisen, dass er auf Grund einer Ermessensentscheidung der Genehmigungsbehörde nach Absatz 6 durchgeführt wird und dass dann die formgerecht erhobenen Einwendungen auch bei Ausbleiben des Antragstellers oder von Personen, die Einwendungen erhoben haben, erörtert werden; - 4.
darauf hinzuweisen, dass die Zustellung der Entscheidung über die Einwendungen durch öffentliche Bekanntmachung ersetzt werden kann.
(5) Die für die Erteilung der Genehmigung zuständige Behörde (Genehmigungsbehörde) holt die Stellungnahmen der Behörden ein, deren Aufgabenbereich durch das Vorhaben berührt wird. Hat eine zu beteiligende Behörde bei einem Verfahren zur Genehmigung einer Anlage zur Nutzung erneuerbarer Energien innerhalb einer Frist von einem Monat keine Stellungnahme abgegeben, so ist davon auszugehen, dass die beteiligte Behörde sich nicht äußern will. Die zuständige Behörde hat die Entscheidung in diesem Fall auf Antrag auf der Grundlage der geltenden Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Ablaufs der Monatsfrist zu treffen. Soweit für das Vorhaben selbst oder für weitere damit unmittelbar in einem räumlichen oder betrieblichen Zusammenhang stehende Vorhaben, die Auswirkungen auf die Umwelt haben können und die für die Genehmigung Bedeutung haben, eine Zulassung nach anderen Gesetzen vorgeschrieben ist, hat die Genehmigungsbehörde eine vollständige Koordinierung der Zulassungsverfahren sowie der Inhalts- und Nebenbestimmungen sicherzustellen.
(5a) Betrifft das Vorhaben eine Anlage, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie (EU) 2018/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen (Neufassung) (ABl. L 328 vom 21.12.2018, S. 82) fällt, gilt ergänzend Folgendes:
- 1.
Auf Antrag des Trägers des Vorhabens wird das Genehmigungsverfahren sowie alle sonstigen Zulassungsverfahren, die für die Durchführung des Vorhabens nach Bundes- oder Landesrecht erforderlich sind, über eine einheitliche Stelle abgewickelt. - 2.
Die einheitliche Stelle nach Nummer 1 stellt ein Verfahrenshandbuch für Träger von Vorhaben bereit und macht diese Informationen auch im Internet zugänglich. Dabei geht sie gesondert auch auf kleinere Vorhaben und Vorhaben zur Eigenversorgung mit Elektrizität ein, soweit sich das Genehmigungserfordernis nach § 1 Absatz 2 der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen darauf erstreckt. In den im Internet veröffentlichten Informationen weist die einheitliche Stelle auch darauf hin, für welche Vorhaben sie zuständig ist und welche weiteren einheitlichen Stellen im jeweiligen Land für Vorhaben nach Satz 1 zuständig sind. - 3.
Die zuständige und die zu beteiligenden Behörden sollen die zur Prüfung des Antrags zusätzlich erforderlichen Unterlagen in einer einmaligen Mitteilung an den Antragsteller zusammenfassen. Nach Eingang der vollständigen Antragsunterlagen erstellt die Genehmigungsbehörde einen Zeitplan für das weitere Verfahren und teilt diesen Zeitplan in den Fällen der Nummer 1 der einheitlichen Stelle, andernfalls dem Antragsteller mit.
(6) Nach Ablauf der Einwendungsfrist kann die Genehmigungsbehörde die rechtzeitig gegen das Vorhaben erhobenen Einwendungen mit dem Antragsteller und denjenigen, die Einwendungen erhoben haben, erörtern.
(6a) Über den Genehmigungsantrag ist nach Eingang des Antrags und der nach Absatz 1 Satz 2 einzureichenden Unterlagen innerhalb einer Frist von sieben Monaten, in vereinfachten Verfahren innerhalb einer Frist von drei Monaten, zu entscheiden. Die zuständige Behörde kann die Frist um jeweils drei Monate verlängern, wenn dies wegen der Schwierigkeit der Prüfung oder aus Gründen, die dem Antragsteller zuzurechnen sind, erforderlich ist. Die Fristverlängerung soll gegenüber dem Antragsteller begründet werden.
(7) Der Genehmigungsbescheid ist schriftlich zu erlassen, schriftlich zu begründen und dem Antragsteller und den Personen, die Einwendungen erhoben haben, zuzustellen. Er ist, soweit die Zustellung nicht nach Absatz 8 erfolgt, öffentlich bekannt zu machen. Die öffentliche Bekanntmachung erfolgt nach Maßgabe des Absatzes 8.
(8) Die Zustellung des Genehmigungsbescheids an die Personen, die Einwendungen erhoben haben, kann durch öffentliche Bekanntmachung ersetzt werden. Die öffentliche Bekanntmachung wird dadurch bewirkt, dass der verfügende Teil des Bescheides und die Rechtsbehelfsbelehrung in entsprechender Anwendung des Absatzes 3 Satz 1 bekannt gemacht werden; auf Auflagen ist hinzuweisen. In diesem Fall ist eine Ausfertigung des gesamten Bescheides vom Tage nach der Bekanntmachung an zwei Wochen zur Einsicht auszulegen. In der öffentlichen Bekanntmachung ist anzugeben, wo und wann der Bescheid und seine Begründung eingesehen und nach Satz 6 angefordert werden können. Mit dem Ende der Auslegungsfrist gilt der Bescheid auch gegenüber Dritten, die keine Einwendung erhoben haben, als zugestellt; darauf ist in der Bekanntmachung hinzuweisen. Nach der öffentlichen Bekanntmachung können der Bescheid und seine Begründung bis zum Ablauf der Widerspruchsfrist von den Personen, die Einwendungen erhoben haben, schriftlich oder elektronisch angefordert werden.
(8a) Unbeschadet der Absätze 7 und 8 sind bei Anlagen nach der Industrieemissions-Richtlinie folgende Unterlagen im Internet öffentlich bekannt zu machen:
- 1.
der Genehmigungsbescheid mit Ausnahme in Bezug genommener Antragsunterlagen und des Berichts über den Ausgangszustand sowie - 2.
die Bezeichnung des für die betreffende Anlage maßgeblichen BVT-Merkblatts.
(9) Die Absätze 1 bis 8 gelten entsprechend für die Erteilung eines Vorbescheides.
(10) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Genehmigungsverfahren zu regeln; in der Rechtsverordnung kann auch das Verfahren bei Erteilung einer Genehmigung im vereinfachten Verfahren (§ 19) sowie bei der Erteilung eines Vorbescheides (§ 9), einer Teilgenehmigung (§ 8) und einer Zulassung vorzeitigen Beginns (§ 8a) geregelt werden. In der Verordnung ist auch näher zu bestimmen, welchen Anforderungen das Genehmigungsverfahren für Anlagen genügen muss, für die nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist.
(11) Das Bundesministerium der Verteidigung wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Genehmigungsverfahren für Anlagen, die der Landesverteidigung dienen, abweichend von den Absätzen 1 bis 9 zu regeln.
(1) Durch Rechtsverordnung nach § 4 Absatz 1 Satz 3 kann vorgeschrieben werden, dass die Genehmigung von Anlagen bestimmter Art oder bestimmten Umfangs in einem vereinfachten Verfahren erteilt wird, sofern dies nach Art, Ausmaß und Dauer der von diesen Anlagen hervorgerufenen schädlichen Umwelteinwirkungen und sonstigen Gefahren, erheblichen Nachteilen und erheblichen Belästigungen mit dem Schutz der Allgemeinheit und der Nachbarschaft vereinbar ist. Satz 1 gilt für Abfallentsorgungsanlagen entsprechend.
(2) In dem vereinfachten Verfahren sind § 10 Absatz 2, 3, 3a, 4, 6, 7 Satz 2 und 3, Absatz 8 und 9 sowie die §§ 11 und 14 nicht anzuwenden.
(3) Die Genehmigung ist auf Antrag des Trägers des Vorhabens abweichend von den Absätzen 1 und 2 nicht in einem vereinfachten Verfahren zu erteilen.
(4) Die Genehmigung einer Anlage, die Betriebsbereich oder Bestandteil eines Betriebsbereichs ist, kann nicht im vereinfachten Verfahren erteilt werden, wenn durch deren störfallrelevante Errichtung und Betrieb der angemessene Sicherheitsabstand zu benachbarten Schutzobjekten unterschritten wird oder durch deren störfallrelevante Änderung der angemessene Sicherheitsabstand zu benachbarten Schutzobjekten erstmalig unterschritten wird, der bereits unterschrittene Sicherheitsabstand räumlich noch weiter unterschritten wird oder eine erhebliche Gefahrenerhöhung ausgelöst wird. In diesen Fällen ist das Verfahren nach § 10 mit Ausnahme von Absatz 4 Nummer 3 und Absatz 6 anzuwenden. § 10 Absatz 3 Satz 4 ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass nur die Personen Einwendungen erheben können, deren Belange berührt sind oder Vereinigungen, welche die Anforderungen des § 3 Absatz 1 oder des § 2 Absatz 2 des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes erfüllen. Bei störfallrelevanten Änderungen ist § 16 Absatz 3 entsprechend anzuwenden. Die Sätze 1 bis 4 gelten nicht, soweit dem Gebot, den angemessenen Sicherheitsabstand zu wahren, bereits auf Ebene einer raumbedeutsamen Planung oder Maßnahme durch verbindliche Vorgaben Rechnung getragen worden ist.
Tenor
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Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 16. August 2012 wird zurückgewiesen.
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Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
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Der Kläger, eine bundesweit tätige, nach § 3 UmwRG anerkannte Umweltvereinigung, begehrt die Änderung des Luftreinhalteplans für D.
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Für den Ballungsraum des Rhein-Main-Gebietes besteht seit 2005 ein Luftreinhalteplan. Der Teilplan D. wurde im Februar 2011 fortgeschrieben. Im Luftreinhalteplan ist eine Reihe von lokalen Maßnahmen vorgesehen, mit denen die Schadstoffkonzentrationen für Feinstaub und Stickoxide (NOx) im Stadtgebiet von D. bis zum Zieljahr 2015 reduziert werden sollen. Die im Luftreinhalteplan aus dem Jahr 2005 enthaltenen Maßnahmen sollen aufrechterhalten bleiben. Dazu gehören insbesondere Durchfahrtsverbote für Lkw. Der Luftreinhalteplan geht davon aus, dass im Jahr 2015 die Immissionsgrenzwerte für Feinstaub an allen Straßenzügen in D. sicher eingehalten werden können, während dies für Stickstoffdioxid (NO2) nicht gilt. Nach der Prognose sollen allein aufgrund der fortschreitenden Euronormen für den Schadstoffausstoß bei Kraftfahrzeugen die Immissionen für NOx um 22,1 % und der direkte NO2-Ausstoß um knapp 9 % verringert werden. Aufgrund der Maßnahmen der Stadt D. zur Reduzierung des Verkehrsaufkommens wird ein weiterer Rückgang der Luftschadstoffimmissionen bei Stickoxiden um 11,6 % erwartet. Die Prognose kommt zum Ergebnis, dass bis zum Jahr 2015 die Immissionsgrenzwerte für NO2 zumindest an den drei am höchsten belasteten Straßenzügen in D. zwar nicht eingehalten werden, aber doch deutlich reduziert werden können.
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Nachdem der Kläger beim Beklagten mit Schreiben vom 10. Januar 2012 eine Änderung des Luftreinhalteplans beantragt und zur Begründung darauf hingewiesen hatte, dass eine Umweltzone trotz der nicht garantierten Einhaltung des Grenzwerts bis zum Jahr 2015 nicht in Betracht gezogen worden sei, erhob er am 14. Februar 2012 Klage zum Verwaltungsgericht.
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Mit Urteil vom 16. August 2012 hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben und den Beklagten verpflichtet, den für D. geltenden Luftreinhalteplan so zu ändern, dass dieser die erforderlichen Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung des über ein Kalenderjahr gemittelten Immissionsgrenzwerts für NO2 in Höhe von 40 µg/cbm im Stadtgebiet D. enthält. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Das als allgemeine Leistungsklage erhobene Begehren sei als altruistische Verbandsklage zulässig. Dies folge aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 8. März 2011 im Verfahren C-240/09, wonach ein Gericht das nationale Verfahrensrecht so auslegen müsse, dass es einer nach § 3 UmwRG anerkannten Umweltschutzvereinigung ermöglicht werde, eine Entscheidung, die möglicherweise im Widerspruch zum Umweltrecht der Europäischen Union stehe, vor einem Gericht anzufechten. Es sei unbeachtlich, dass diese Klagebefugnis im nationalen Verfahrensrecht (noch) nicht ausdrücklich vorgesehen sei. Die Klage sei auch begründet. Der Beklagte sei nach § 47 Abs. 1 BImSchG und § 27 Abs. 2 der 39. BImSchV verpflichtet, im Rahmen des Luftreinhalteplans für D. alle geeigneten und verhältnismäßigen Maßnahmen zu ergreifen, um den Zeitraum der Überschreitung des einzuhaltenden Grenzwerts für NO2 so kurz wie möglich zu halten. Dem Beklagten stehe hinsichtlich des "Ob" der Aufstellung des Luftreinhalteplans Ermessen nicht zu, sondern nur hinsichtlich des "Wie" der Umsetzung der normativen Vorgaben. Er sei verpflichtet, einen Luftreinhalteplan mit dem Ziel der Einhaltung des Grenzwerts im Rahmen des tatsächlich Möglichen und rechtlich Verhältnismäßigen aufzustellen. Diesen Anforderungen werde der Luftreinhalteplan nicht gerecht, denn auch bei Durchführung aller darin vorgesehenen Maßnahmen würden die Grenzwerte für NO2 nicht eingehalten oder unterschritten. Angesichts der zwingenden, dem Gesundheitsschutz dienenden Grenzwerte müsste dies nur hingenommen werden, wenn alle geeigneten und verhältnismäßigen Maßnahmen zur Verminderung der Stickstoffdioxidkonzentration in D. ausgeschöpft seien. Das sei schon deshalb nicht der Fall, weil eine Umweltzone, die zwischenzeitlich als durchaus gut geeignete Maßnahme anerkannt werde, nicht in den Luftreinhalteplan aufgenommen worden sei. Angesichts des Schutzguts der Grenzwerte für NO2 sei die Einführung einer Umweltzone ungeachtet möglicher finanzieller Belastungen von Bevölkerung und Wirtschaft auch nicht unverhältnismäßig. Ein Rechtsanspruch auf Festsetzung konkreter Maßnahmen bestehe bei der Luftreinhalteplanung zwar nicht. Der planerische Gestaltungsspielraum sei jedoch begrenzt durch die normativen Zielvorgaben; diesen werde nicht genügt, wenn sich aufdrängende Maßnahmen trotz fortdauernder Überschreitung des Grenzwerts nicht in den Plan aufgenommen würden.
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Mit seiner vom Verwaltungsgericht zugelassenen und mit Zustimmung des Klägers eingelegten Sprungrevision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter und trägt zur Begründung vor: Die Klage sei unzulässig. Dem Kläger fehle die Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO, die auch für die allgemeine Leistungsklage erforderlich sei. Aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 8. März 2011, das nicht überzeugen könne und eine andere Fallgestaltung betreffe, ergebe sich nichts anderes (siehe auch Schink, DÖV 2012, 622). Aus Art. 9 Abs. 3 der Aarhus-Konvention (AK) sei eine Verbandsklage, gerichtet auf Einhaltung des europäischen Umweltrechts, nicht abzuleiten. Art. 9 Abs. 3 AK habe, anders als Art. 9 Abs. 2 AK, im Unionsrecht keine unmittelbare Wirkung. Jedenfalls fehle es an der in der EuGH-Entscheidung vorausgesetzten interpretationsfähigen Vorschrift des nationalen Rechts. Auch führe es hier nicht weiter, durchsetzbare individuelle Rechte, die das Unionsrecht gewähre, als subjektive Rechte im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO anzusehen. Denn Art. 9 Abs. 3 AK räume gerade keine vollzugsfähigen Rechte ein. Des Weiteren werde Art. 9 Abs. 3 AK durch die EU-Luftreinhalterichtlinie nicht umgesetzt. Darin sei in Art. 26 Abs. 1 lediglich die Unterrichtung der Öffentlichkeit vorgesehen; Mitwirkungsrechte von Verbänden, die - wenn überhaupt - Ansatzpunkt für eine Verbandsklage sein könnten, würden demgegenüber nicht normiert.
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Der Klageantrag sei unbestimmt, nicht vollstreckungsfähig und deshalb unzulässig.
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Die Klage sei auch nicht begründet. Dem Kläger stehe ein Anspruch auf Änderung des Luftreinhalteplans nicht zu. Der Beklagte sei zwar verpflichtet gewesen, einen Luftreinhalteplan mit dem Ziel aufzustellen, eine Verminderung der Überschreitung des Immissionsgrenzwerts für NO2 schrittweise zu bewirken und den Zeitraum der Nichteinhaltung so kurz wie möglich zu halten. Dieser Verpflichtung sei der Beklagte aber bereits nachgekommen.
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Das Verwaltungsgericht gewähre letztlich einen verkappten Anspruch auf Einführung einer Umweltzone, da weitere Maßnahmen nicht ersichtlich seien. Einzelne Maßnahmen der Luftreinhalteplanung könnten aber wegen des planerischen Gestaltungsspielraums des Beklagten nicht eingeklagt werden. Der Beklagte werde zu einer Luftreinhalteplanung verurteilt, die den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht wahre. Eine Umweltzone sei in D. wegen der Ausgestaltung der Plakettenregelung der 35. BImSchV keine geeignete Maßnahme zur Reduzierung der Grenzwertüberschreitung für Stickoxide; insoweit habe das Verwaltungsgericht den Vortrag des Beklagten nicht beachtet und gegen den Untersuchungsgrundsatz verstoßen. Die Auswertung von Umweltzonen in anderen Städten belege deren Geeignetheit zur NO2-Reduktion nicht. Die Einrichtung einer Umweltzone sei auch nicht erforderlich, weil der Anteil des Lkw-Durchgangsverkehrs aufgrund des bevorstehenden Abschlusses von Straßenbauarbeiten sich deutlich reduzieren werde. Schließlich sei die Einführung einer Umweltzone auch unverhältnismäßig im engeren Sinne.
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Der Beklagte beantragt,
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1. unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 16. August 2012 die Klage abzuweisen,
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2. hilfsweise, das Verfahren auszusetzen und eine Vorabentscheidung des EuGH gemäß Art. 267 AEUV zu folgenden Rechtsfragen einzuholen:
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a) Ist Art. 9 Abs. 3 der Aarhus-Konvention unter Berücksichtigung des Urteils des EuGH vom 8. März 2011 - C-240/09 - so zu interpretieren, dass eine nationale Rechtsvorschrift, die die Zulässigkeit einer Klage davon abhängig macht, dass der Kläger in seinen Rechten verletzt ist, so auszulegen, dass sie es einer Umweltschutzvereinigung, die die Förderung und Einhaltung des Umweltrechts der Europäischen Union zu ihrem Satzungszweck erklärt hat, ermöglicht, eine Entscheidung, die im Widerspruch zum Umweltrecht der Union steht, vor einem Gericht anzufechten?
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b) Gibt Art. 23 Abs. 1 der Luftqualitätsrichtlinie (RL 2008/50/EG vom 21. Mai 2008, ABl EG Nr. L 152 vom 11. Juni 2011, S. 1) Umweltverbänden einen Anspruch auf Einhaltung der Grenzwerte des Anhangs XI B und XIV D dieser Richtlinie für NO2?
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c) Gibt Art. 23 der Luftqualitätsrichtlinie Umweltverbänden einen Rechtsanspruch auf Erlass eines Luftreinhalteplans, der bewirkt, dass die Grenzwerte der Luftqualitätsrichtlinie für NO2 schnellstmöglich eingehalten werden?
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Der Kläger beantragt,
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die Revision zurückzuweisen,
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hilfsweise,
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das Verfahren auszusetzen und die Vorabentscheidung des EuGH zu folgenden Rechtsfragen einzuholen:
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1. Ist Art. 9 Abs. 3 des Aarhus-Übereinkommens unter Berücksichtigung des Urteils des Gerichtshofs vom 8. März 2011 - C-240/09 - so auszulegen,
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dass die Vorschrift einer nationalen Rechtsprechung entgegensteht, die - soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist - die Zulässigkeit einer Klage davon abhängig macht, dass der Kläger geltend macht, durch die Unterlassung des staatlichen Handelns in seinen Rechten verletzt zu sein,
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wenn Gegenstand des Rechtsstreits die Klage einer nach nationalem Recht anerkannten Umweltschutzvereinigung ist, die die Aufstellung eines der Richtlinie 2008/50/EG vom 21. Mai 2008 entsprechenden Luftqualitätsplans begehrt?
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2. Ist Art. 23 der Richtlinie 2008/50/EG vom 21. Mai 2008 so zu interpretieren, dass Umweltschutzvereinigungen einen Rechtsanspruch auf Erlass eines Luftqualitätsplans geltend machen können, der Maßnahmen zum Inhalt hat, mit denen die Grenzwerte der Luftqualitätsrichtlinie für Stickstoffdioxid schnellstmöglich eingehalten werden?
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Er verteidigt das angefochtene Urteil und führt insbesondere vertiefend aus, dass er in unionsrechtskonformer Auslegung der § 42 Abs. 2 VwGO, § 47 Abs. 1 BImSchG i.V.m. Art. 9 Abs. 3 AK klagebefugt sei (siehe auch Klinger, NVwZ 2013, 850; EurUP 2013, 95).
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Der Vertreter des Bundesinteresses betont zur Frage der Ableitung einer Klagebefugnis aus Art. 9 Abs. 3 AK den Freiraum, den die Aarhus-Konvention den Vertragsstaaten einräume. Dieses Verständnis von Art. 9 Abs. 3 AK sei jedoch umstritten. Eine Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs ins deutsche Verwaltungsprozessrecht sei nicht möglich. Die in § 42 Abs. 2 VwGO vorgesehene Öffnung für andere gesetzliche Regelungen sei hier nicht einschlägig. Allerdings könne der Kreis rügefähiger subjektiv-öffentlicher Rechte in Auslegung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs weiter gezogen werden. Der Vertreter des Bundesinteresses regt eine Vorlage zum Europäischen Gerichtshof an. Er verteidigt die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Begründetheit der Klage.
Entscheidungsgründe
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Die nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht und mit Zustimmung des Klägers erhobene Sprungrevision ist zulässig, aber nicht begründet und deshalb zurückzuweisen (§ 144 Abs. 2 VwGO). Das Urteil des Verwaltungsgerichts verletzt zwar insoweit revisibles Recht, als es die Klagebefugnis des Klägers mit unzutreffenden Erwägungen bejaht (1.); die Entscheidung stellt sich insoweit aber aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO; 2.). Im Übrigen steht die Entscheidung mit Bundesrecht in Einklang (3.).
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1. a) Die Überprüfung der Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Klagebefugnis des Klägers ist dem Senat nicht durch § 134 Abs. 4 VwGO verwehrt. Danach kann die Sprungrevision nicht auf Mängel des Verfahrens gestützt werden. Zwar handelt es sich bei § 42 Abs. 2 VwGO um eine Vorschrift des Prozessrechts. Bei der Prüfung der Klagebefugnis geht es jedoch nicht um die von § 134 Abs. 4 VwGO ausgeschlossene Kontrolle des Verfahrens der Vorinstanz. Die Beurteilung der Klagebefugnis verlangt vielmehr eine von § 134 Abs. 4 VwGO nicht erfasste Bewertung materiell-rechtlicher Vorfragen (vgl. Urteile vom 10. Oktober 2002 - BVerwG 6 C 8.01 - BVerwGE 117, 93 <95> = Buchholz 442.066 § 30 TKG Nr. 1 S. 2, vom 12. März 1998 - BVerwG 4 C 3.97 - Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 149 sowie vom 26. April 2006 - BVerwG 6 C 19.05 - juris Rn. 11
§ 113 hwo nr. 6 nicht abgedruckt>; Pietzner, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 134 Rn. 77).
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b) Das Verwaltungsgericht geht davon aus, dass für den im Wege der allgemeinen Leistungsklage geltend gemachten Anspruch auf Ergänzung des Luftreinhalteplans das Erfordernis der Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO entsprechende Anwendung findet. Eigene Rechte mache der Kläger zwar nicht geltend. Vor dem Hintergrund der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 8. März 2011 in der Rechtssache C-240/09, Lesoochranárske zoskupenie VLK ("slowakischer Braunbär" - Slg. 2011, I-1255), die eine rechtsschutzfreundliche Auslegung des nationalen Verfahrensrechts fordere, sei der Kläger gleichwohl klagebefugt, auch wenn diese Klagebefugnis im nationalen Verfahrensrecht (noch) nicht ausdrücklich vorgesehen sei.
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Aus diesen knappen Ausführungen, die ausdrücklich auf den vom Europäischen Gerichtshof erteilten Auslegungsauftrag verweisen, geht mit hinreichender Deutlichkeit hervor, dass das Verwaltungsgericht die Klagebefugnis des Klägers nicht unabhängig vom nationalen Recht unmittelbar aus unionsrechtlichen Vorgaben entnehmen will. Wenn das Verwaltungsgericht Unionsrecht heranzieht, um ungeachtet der verneinten Betroffenheit in eigenen Rechten eine Klagebefugnis im Sinne einer altruistischen Verbandsklage zu bejahen, die sich im nationalen Verfahrensrecht noch nicht finde, bezieht sich das auf die in § 42 Abs. 2 Halbs. 1 VwGO normierte Öffnungsklausel, die unter Beachtung des Unionsrechts ausgefüllt werden soll.
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Diese Rechtsauffassung verletzt revisibles Recht.
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aa) Das Verwaltungsgericht ist allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass der geltend gemachte Anspruch auf Erlass eines Luftreinhalteplans, der seiner Rechtsnatur nach einer Verwaltungsvorschrift ähnlich ist (Beschlüsse vom 29. März 2007 - BVerwG 7 C 9.06 - BVerwGE 128, 278 = Buchholz 451.91 Europ UmweltR Nr. 27 Rn. 27 und vom 11. Juli 2012 - BVerwG 3 B 78.11 - Buchholz 442.151 § 45 StVO Nr. 49 Rn. 10; Jarass, BImSchG, 9. Aufl. 2012, § 47 Rn. 47), im Wege der allgemeinen Leistungsklage zu verfolgen ist. Im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung (zuletzt etwa Urteil vom 15. Juni 2011 - BVerwG 9 C 4.10 - BVerwGE 140, 34 = Buchholz 11 Art. 28 GG Nr. 161) hat das Verwaltungsgericht die in § 42 Abs. 2 VwGO normierte Sachurteilsvoraussetzung der Klagebefugnis entsprechend auch auf die allgemeine Leistungsklage angewendet. An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Denn in § 42 Abs. 2 VwGO kommt ein allgemeines Strukturprinzip des Verwaltungsrechtsschutzes zum Ausdruck. Vor dem Hintergrund von Art. 19 Abs. 4 GG ist er, wenn auch nicht ausschließlich (siehe § 42 Abs. 2 Halbs. 1 VwGO), so doch in erster Linie, auf den Individualrechtsschutz ausgerichtet (vgl. etwa Urteil vom 29. April 1993 - BVerwG 7 A 3.92 - BVerwGE 92, 263 <264> = Buchholz 310 § 42 VwGO Nr. 196 S. 46). Wollte man die allgemeine Leistungsklage - im Gegensatz zur Verpflichtungsklage als einer besonderen Leistungsklage - von dieser Grundentscheidung ausnehmen, käme es zu Wertungswidersprüchen, die in der Sache nicht gerechtfertigt werden könnten. Das im Verfahren aufgeworfene Sachproblem der Zulässigkeit einer Verbandsklage ist demnach ungeachtet der Rechtsnatur des erstrebten behördlichen Handelns und folglich der prozessualen Einordnung des Rechtsschutzbegehrens zu bewältigen.
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bb) Bei der Prüfung, ob dem Kläger die Möglichkeit einer Verbandsklage eröffnet ist, hat das Verwaltungsgericht sich zu Recht an der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs orientiert.
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Im Urteil vom 8. März 2011 hat sich der Europäische Gerichtshof zu den Rechtswirkungen des Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens vom 25. Juni 1998 über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (Aarhus-Übereinkommen
; Gesetz vom 9. Dezember 2006, BGBl II S. 1251) verhalten. Die Aarhus-Konvention ist nicht nur von allen Mitgliedstaaten der EU, sondern auch von der EU selbst ratifiziert worden (Beschluss des Rates vom 17. Februar 2005, ABl EU Nr. L 124 S. 1). Als sogenanntes gemischtes Abkommen ist sie Teil des Unionsrechts und als solcher war sie Gegenstand der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 8. März 2011 im Verfahren Rs. C-240/09.
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Der Europäische Gerichtshof hat zunächst festgestellt, dass die EU und damit der Gerichtshof jedenfalls dann für die Umsetzung und Auslegung von Art. 9 Abs. 3 AK zuständig sind, wenn es um Fragen der Beteiligung und des Rechtsschutzes in Verfahren geht, die inhaltlich die Durchsetzung des EU-Umweltrechts zum Gegenstand haben. Sodann hat er ausgeführt, dass Art. 9 Abs. 3 AK wegen des darin enthaltenen Ausgestaltungsvorbehalts derzeit keine unmittelbare Wirkung zukommt. Die nationalen Gerichte sind aber gleichwohl verpflichtet, ihr nationales Verwaltungsverfahrensrecht und Verwaltungsprozessrecht soweit wie möglich im Einklang sowohl mit den Zielen von Art. 9 Abs. 3 AK als auch mit dem Ziel eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes für die durch das Unionsrecht verliehenen Rechte auszulegen, um es einer Umweltschutzvereinigung zu ermöglichen, eine Entscheidung, die am Ende eines Verwaltungsverfahrens ergangen ist, das möglicherweise in Widerspruch zum Umweltrecht der Union steht, vor einem Gericht anzufechten.
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(1) Die nationalen Gerichte sind gehalten, die Entscheidung als Teil des Unionsrechts bei ihren rechtlichen Erwägungen zu beachten (vgl. Karpenstein, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, AEUV Art. 267 Rn. 104). Die Kritik, der sich die Argumentation des Urteils ausgesetzt sieht, ändert daran nichts. Denn die Grenzen zum "ausbrechenden Rechtsakt", etwa wegen eines vermeintlichen Verstoßes gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 1 EUV, dessen Annahme im Übrigen die Pflicht zur "Remonstration" in Gestalt eines neuerlichen Vorabentscheidungsverfahrens nach sich zöge (BVerfG, Beschluss vom 6. Juli 2010 - 2 BvR 2661/06 - BVerfGE 126, 286 <303 f.>), sind ersichtlich nicht überschritten (vgl. Berkemann, DVBl 2013, 1137 <1143 f.>).
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(2) Die vom Europäischen Gerichtshof aufgestellte Auslegungsleitlinie erfasst auch die vorliegende Fallkonstellation. Die Luftreinhalteplanung nach § 47 Abs. 1 BImSchG (i.d.F. des Achten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes vom 31. Juli 2010, BGBl I S. 1059) dient der Umsetzung der Richtlinie 2008/50/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über Luftqualität und saubere Luft für Europa (ABl EU Nr. L 152 S. 1). Entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten kommt es allein darauf an.
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Das zutreffende Verständnis einer im Vorabentscheidungsverfahren ergangenen Entscheidung (Auslegungsurteil) erschließt sich zwar vor dem Hintergrund des Streitgegenstands des Ausgangsverfahrens. Darin ging es um die verfahrensrechtliche Stellung der klagenden Vereinigung. Den Urteilsgründen ist indessen nichts zu entnehmen, was darauf schließen lassen könnte, dass sich die Verpflichtung der nationalen Gerichte, Auslegungsspielräume zugunsten von Klagerechten der Umweltverbände zu nutzen, allein auf Verfahrensrecht bezieht und lediglich bereits eingeräumte Mitwirkungsrechte prozessual verstärkt werden sollen (so auch Berkemann, a.a.O. S. 1145; Schlacke, ZUR 2011, 312 <315>).
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cc) Der Europäische Gerichtshof gibt den Gerichten auf, nach Maßgabe interpretationsfähiger Vorschriften des nationalen Rechts auch Umweltverbänden einen möglichst weiten Zugang zu den Gerichten zu ermöglichen, um so die Durchsetzung des Umweltrechts der Union zu gewährleisten. Zu Unrecht geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass diesem Anliegen über die Vorschrift des § 42 Abs. 2 Halbs. 1 VwGO Rechnung getragen werden kann.
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Diese Regelungsalternative erlaubt Ausnahmen vom Erfordernis der Geltendmachung einer Verletzung in eigenen Rechten. Sie ist jedoch als solche keine im Sinne der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs interpretationsfähige Norm, sondern lediglich eine Vorbehalts- bzw. Öffnungsklausel, die durch eine Entscheidung des zuständigen Normgebers umgesetzt werden muss. § 42 Abs. 2 Halbs. 1 VwGO selbst ist allerdings der Auslegung zugänglich, dass neben Bestimmungen des Bundes- und des Landesrechts auch Vorschriften des Unionsrechts als andere gesetzliche Regelung eigenständige, von materiellen Berechtigungen losgelöste Klagerechte vermitteln können. Erst auf der Grundlage einer solchen normativen Entscheidung stellt sich die Frage nach unionsrechtlich dirigierten Auslegungsspielräumen.
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Eine die Vorbehalts- bzw. Öffnungsklausel ausfüllende Norm, die es vor dem Hintergrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs erweiternd auslegt, benennt das Verwaltungsgericht nicht. Eine einer solchen Auslegung zugängliche Vorschrift ist auch nicht vorhanden.
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Eine besondere Klagebefugnis im Sinne von § 42 Abs. 2 Halbs. 1 VwGO, mit der eine objektive Rechtskontrolle ermöglicht wird, ist im nationalen Recht nur in eng begrenzten Bereichen normiert worden. Die vorhandenen, der Durchsetzung umweltrechtlicher Belange dienenden Bestimmungen sind nicht einschlägig.
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(1) Der Anwendungsbereich der naturschutzrechtlichen Verbandsklage nach § 64 Abs. 1 BNatSchG ist nicht eröffnet. Gleiches gilt für § 1 UmwRG. Die einschränkenden tatbestandlichen Voraussetzungen von Absatz 1, der vermittelt über Art. 10a der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl Nr. L 175 S. 40) i.d.F. der Richtlinie 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten (ABl EU Nr. L 156 S. 17) auch der Umsetzung von Art. 9 Abs. 2 i.V.m. Art. 6 AK dient (vgl. BTDrucks 16/2497 S. 42), sind nicht gegeben.
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(2) Der Anwendungsbereich des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes kann nicht im Wege der Analogie auf Art. 9 Abs. 3 AK erstreckt werden (so auch Schlacke, a.a.O. S. 316; unklar Kahl, JZ 2012, 667 <673>). Denn es fehlt an einer planwidrigen Regelungslücke.
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Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz dient, wie sich bereits aus seiner amtlichen Bezeichnung (Gesetz über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG) sowie der amtlichen Anmerkung zur Umsetzung unionsrechtlicher Vorschriften ergibt, der Umsetzung von Art. 9 Abs. 2 AK. Demgegenüber hat der Gesetzgeber ausweislich der Denkschrift zur Ratifizierung der Aarhus-Konvention hinsichtlich der Verpflichtungen aus Art. 9 Abs. 3 AK keinen Änderungsbedarf im innerstaatlichen Recht gesehen (BTDrucks 16/2497 S. 42, 46). Insoweit hat sich das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz im Zeitpunkt seiner Verabschiedung als seinen Anwendungsbereich abschließend umschreibende Regelung verstanden. Daran hat sich auch mittlerweile nichts geändert. Ungeachtet der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 8. März 2011 hat der Gesetzgeber an der ausdrücklichen Beschränkung des Anwendungsbereichs auch im Gesetz zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer umweltrechtlicher Vorschriften vom 21. Januar 2013 (BGBl I S. 95) festgehalten. Darin werden lediglich die durch die Entscheidung des Gerichtshofs vom 12. Mai 2011 (Rs. C-115/09, Trianel - Slg. 2011, I-3673) geforderten Änderungen mit dem Ziel einer "lückenlosen 1:1-Umsetzung" von Art. 10a UVP-RL sowie von Art. 9 Abs. 2 AK eingefügt (BTDrucks 17/10957 S. 11); eine Ausdehnung auf die von Art. 9 Abs. 3 AK erfassten Sachverhalte wird damit ausgeschlossen.
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Eine planwidrige Regelungslücke kann auch nicht deswegen angenommen werden, weil vieles dafür spricht, dass die vom Gesetzgeber bei der Ratifizierung der Aarhus-Konvention vertretene Rechtsansicht zur fehlenden Notwendigkeit der Anpassung des innerstaatlichen Rechts unzutreffend ist. Sie steht mit dem sich auf internationaler Ebene herausbildenden Verständnis der Vertragspflichten nicht in Einklang.
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Mit dem Compliance Committee haben die Vertragsparteien auf der Grundlage von Art. 15 AK ein Gremium errichtet, das über die Einhaltung des Abkommens wachen soll, ohne jedoch ein förmliches Streitschlichtungsverfahren nach Art. 16 AK zu präjudizieren (siehe zur Arbeitsweise des Compliance Committee The Aarhus Convention: An Implementation Guide, Second Edition, 2013, S. 234 ff.). Durch dessen Spruchpraxis soll das Abkommen für alle Vertragsparteien klare Konturen erhalten. Auch wenn sich das Compliance Committee mit Empfehlungen begnügt, kommt den darin geäußerten Rechtsansichten gleichwohl bedeutendes Gewicht zu; das folgt nicht zuletzt daraus, dass bislang alle Feststellungen des Compliance Committee über die Konventionswidrigkeit der Rechtslage in einem Vertragsstaat in den Zusammenkünften der Vertragparteien (Art. 10 AK) gebilligt worden sind (siehe Implementation Guide, S. 238).
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Nach einer gefestigten Spruchpraxis zu Art. 9 Abs. 3 AK stellt sich die den Vertragsparteien nach dem Wortlaut der Bestimmung zugebilligte Gestaltungsfreiheit geringer dar, als insbesondere von Deutschland angenommen. In einer ganzen Reihe von Empfehlungen hat das Compliance Committee sein Verständnis der sogenannten dritten Säule der Aarhus-Konvention über den Zugang zu Gerichten nach Art. 9 Abs. 3 AK dargelegt (grundlegend ACCC/C/2005/11
vom 16. Juni 2006, Rn. 35 ff.; ACCC/C/2006/18 vom März 2008 Rn. 29 ff.; ACCC/C/2008/32 Part I vom 14. April 2011, Rn. 77 ff.; ACCC/C/2010/48 <Österreich> vom 16. Dezember 2011, Rn. 68 ff.; dazu auch Implementation Guide, S. 197 ff., 207 f.) . Dabei betont es zwar - auch im Anschluss an die während der Zusammenkunft der Vertragsparteien vom 25. bis 27. Mai 2005 angenommene Entscheidung II/2, die in Rn. 14 bis 16 ein ersichtlich rechtsschutzfreundliches Verständnis des Art. 9 Abs. 3 AK anmahnt (ECE/MP.PP/2005/2/Add.3 vom 8. Juni 2005) - zunächst die Ausgestaltungsfreiheit des nationalen Gesetzgebers und die Erforderlichkeit einer Gesamtbetrachtung des normativen Umfelds. Die folgenden Ausführungen lassen aber keinen Zweifel daran, dass nach Auffassung des Compliance Committee den Umweltverbänden grundsätzlich eine Möglichkeit eingeräumt werden muss, die Anwendung des Umweltrechts gerichtlich überprüfen zu lassen. Die Vertragsparteien müssen zwar kein System der Popularklage einführen, so dass jedermann jegliche umweltbezogene Handlung anfechten kann. Die Formulierung "sofern sie etwaige in ihrem innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen" kann aber nach Auffassung des Compliance Committee die Einführung oder Beibehaltung solcher strikter Kriterien nicht rechtfertigen, die im Ergebnis alle oder fast alle Umweltverbände an der Anfechtung von Handlungen hindern, die im Widerspruch zum nationalen Umweltrecht stehen. Die Formulierung deutet nach Ansicht des Compliance Committee vielmehr auf die Selbstbeschränkung der Vertragsparteien, keine zu strengen Kriterien aufzustellen. Für den Zugang zu dem Überprüfungsverfahren soll eine Vermutung sprechen; er darf nicht die Ausnahme sein. Als Kriterien kommen die Betroffenheit oder ein Interesse in Betracht. Ausdrücklich als nicht ausreichend hat es das Compliance Committee im Verfahren gegen Österreich angesehen, dass im Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 2 AK eine Verbandsklage vorgesehen ist (ACCC/C/2010/48 Rn. 71 ff.).
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Wenn danach das "Ob" einer umweltrechtlichen Verbandsklage durch das Abkommen entschieden ist, behalten die Vertragsstaaten gleichwohl einen Ausgestaltungsspielraum hinsichtlich des "Wie". Die hiernach ausstehende Umsetzung einer völkervertragsrechtlichen Verpflichtung durch den nationalen Gesetzgeber steht einer planwidrigen Regelungslücke nicht gleich.
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Eine Auslegung contra legem - im Sinne einer methodisch unzulässigen richterlichen Rechtsfindung - fordert das Unionsrecht nicht (vgl. EuGH, Urteile vom 4. Juli 2006 - Rs. C-212/04, Adeneler - Slg. 2006, I-6057 Rn. 110 und vom 16. Juni 2005 - Rs. C-105/03, Pupino - Slg. 2005, I-5285 Rn. 44, 47). Zu Unrecht beruft sich der Kläger auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 26. November 2008 - VIII ZR 200/05 - (BGHZ 179, 27). Eine Pflicht zur richtlinienkonformen Rechtsfortbildung im Wege teleologischer Reduktion oder Extension einer Vorschrift des nationalen Rechts setzt jedenfalls eine hinreichend bestimmte, nämlich klare, genaue und unbedingte, im Grundsatz unmittelbar anwendbare unionsrechtliche Vorschrift voraus, an der es hier nach Scheitern des Vorschlags der Kommission für eine Richtlinie über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten vom 24. Oktober 2003 - KOM(2003) 624 - endgültig mangels unionsrechtlicher Umsetzung von Art. 9 Abs. 3 AK (noch) fehlt.
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(3) Hieraus ergibt sich zugleich, dass auch im Unionsrecht eine solche auslegungsfähige Norm nicht auszumachen ist. Das folgt bereits zwingend aus der Tatsache, dass Art. 9 Abs. 3 AK nicht unmittelbar anwendbar ist. Eine nicht unmittelbar anwendbare Bestimmung kann aber nicht Anknüpfungspunkt einer Auslegung sein, die diese Norm der Sache nach anwendbar macht. Eine solche Argumentation wäre zirkulär (vgl. Seibert, NVwZ 2013, 1040 <1042 f.>; ein gesetzgeberisches Handeln fordert wohl auch Epiney, EurUP 2012, 88 <89>; a.A. wohl Berkemann, a.a.O. S. 1147 f.).
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2. Der festgestellte Rechtsverstoß ist indessen nicht erheblich. Das Verwaltungsgericht hat die Klagebefugnis des Klägers im Ergebnis zu Recht bejaht. Sie folgt aus § 42 Abs. 2 Halbs. 2 VwGO. Der Kläger kann geltend machen, durch die Ablehnung der Aufstellung eines Luftreinhalteplans, der den Anforderungen des § 47 Abs. 1 BImSchG i.V.m. § 27 der Neununddreißigsten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung über Luftqualitätsstandards und Emissionshöchstmengen - 39. BImSchV) vom 2. August 2010 (BGBl I S. 1065) genügt, in seinen Rechten verletzt zu sein. § 47 Abs. 1 BImSchG räumt nicht nur unmittelbar betroffenen natürlichen Personen, sondern auch nach § 3 UmwRG anerkannten Umweltverbänden das Recht ein, die Aufstellung eines den zwingenden Vorschriften des Luftqualitätsrechts entsprechenden Luftreinhalteplans zu verlangen.
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a) Nach § 47 Abs. 1 BImSchG hat die zuständige Behörde, wenn die durch eine Rechtsverordnung festgelegten Immissionsgrenzwerte einschließlich festgelegter Toleranzmargen überschritten werden, einen Luftreinhalteplan aufzustellen, welcher die erforderlichen Maßnahmen zur dauerhaften Verminderung von Luftverunreinigungen festlegt und den Anforderungen der Rechtsverordnung entspricht. Entsprechendes gilt, soweit eine Rechtsverordnung die Aufstellung eines Luftreinhalteplans zur Einhaltung von Zielwerten regelt. Die Maßnahmen eines Luftreinhalteplans müssen geeignet sein, den Zeitraum einer Überschreitung von bereits einzuhaltenden Immissionsgrenzwerten so kurz wie möglich zu halten.
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Mit dieser Vorschrift verfolgt das Luftqualitätsrecht zwei sich überschneidende Schutzzwecke: Mit der Umsetzung der festgelegten Luftqualitätsziele sollen schädliche Auswirkungen sowohl auf die menschliche Gesundheit als auch auf die Umwelt insgesamt vermieden, verhütet oder verringert werden (Art. 1 Nr. 1 RL 2008/50/EG).
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aa) Aus dem vom Gesetz bezweckten Schutz der menschlichen Gesundheit folgt ein Klagerecht für die von den Immissionsgrenzwertüberschreitungen unmittelbar betroffenen natürlichen Personen. Das ist durch den Europäischen Gerichtshof geklärt. Seine zu den Aktionsplänen nach Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 96/62/EG des Rates vom 27. September 1996 über die Beurteilung und die Kontrolle der Luftqualität (ABl EG Nr. L 296 S. 55) i.d.F. der Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. September 2003 (ABl EU Nr. L 284 S. 1), § 47 Abs. 2 BImSchG a.F. ergangene Rechtsprechung (EuGH, Urteil vom 25. Juli 2008 - Rs. C-237/07, Janecek - Slg. 2008, I-6221 Rn. 42) ist in dieser Hinsicht ohne Weiteres auch auf die Luftreinhaltepläne nach Art. 23 Abs. 1 RL 2008/50/EG, § 47 Abs. 1 BImSchG n.F. zu übertragen (vgl. Hansmann/Röckinghausen, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG § 47 Rn. 29e; Jarass, BImSchG, 9. Aufl. 2012, § 47 Rn. 50 m.w.N.; Köck/Lehmann, ZUR 2013, 67 <72>).
- 42
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Der Kläger kann als juristische Person in seiner Gesundheit nicht betroffen sein; die Verletzung eines aus der Gewährleistung der körperlichen Unversehrtheit folgenden subjektiven Rechts auf Einhaltung der Immissionsgrenzwerte kann er nicht geltend machen. Nach dem hergebrachten Begriffsverständnis des subjektiven Rechts würde Entsprechendes gelten, soweit das Luftqualitätsrecht dem Schutz der Umwelt als solcher und damit einem Allgemeininteresse dient.
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bb) Das Unionsrecht gebietet indessen eine erweiternde Auslegung der aus dem Luftqualitätsrecht folgenden subjektiven Rechtspositionen.
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Der Europäische Gerichtshof geht davon aus, dass unmittelbar betroffenen juristischen Personen in gleicher Weise wie natürlichen Personen ein Klagerecht zusteht (Urteil vom 25. Juli 2008 a.a.O. Rn. 39). Die Kriterien für die Betroffenheit als Anknüpfungspunkt für eine subjektive, klagefähige Rechtsposition hat er nicht näher erläutert. Die Erweiterung der Rechtsschutzmöglichkeiten über die Geltendmachung individueller Rechtspositionen hinaus ist darin indessen angelegt.
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(1) Wird die Betroffenheit durch einen räumlichen Bezug zum Wirkungsbereich der Immissionen bestimmt (so den EuGH verstehend Ziekow, NVwZ 2010, 793 <794>), so folgt aus dieser Rechtsprechung gleichwohl, dass sich die juristische Person - gemessen an der in Rn. 38 des Urteils betonten Schutzrichtung der Vorschrift - ein fremdes Interesse, so etwa als dort ansässiges Unternehmen die Gesundheit seiner Mitarbeiter, zum eigenen Anliegen machen darf.
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Die in dieser Weise vom Unionsrecht zugebilligte Rechtsmacht ist in unionsrechtskonformer Auslegung des § 42 Abs. 2 Halbs. 2 VwGO im Interesse des aus Art. 4 Abs. 3 EUV folgenden Effektivitätsgebots als subjektives Recht anzuerkennen (vgl. etwa Gärditz, VwGO, 2013, § 42 Rn. 69 f. m.w.N.). Sie bestimmt zugleich das Verständnis der zur Umsetzung des Unionsrechts erlassenen mitgliedstaatlichen Vorschriften und hat eine Ausdehnung des Begriffs des subjektiven Rechts zur Folge. Allein ein solches Verständnis trägt der Entwicklung des Unionsrechts Rechnung. Es ist von Anfang an von der Tendenz geprägt gewesen, durch eine großzügige Anerkennung subjektiver Rechte den Bürger auch für die dezentrale Durchsetzung des Unionsrechts zu mobilisieren. Der Bürger hat damit zugleich - bezogen auf das objektive Interesse an einer Sicherung der praktischen Wirksamkeit und der Einheit des Unionsrechts - eine "prokuratorische" Rechtsstellung inne. Diese kann auch in den Vordergrund rücken (siehe hierzu - mit verschiedenen Akzentuierungen - etwa Masing, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, GVwR Bd. 1, 2. Aufl. 2012, § 7 Rn. 91 ff., 98 ff., 112 ff.; Schmidt-Aßmann/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Einleitung Rn. 21a; Schmidt-Aßmann, in: Gedächtnisschrift Brugger, 2013, S. 411 ff.; Hong, JZ 2012, 380 <383 ff.>; Gärditz, EurUP 2010, 210 <219 ff.>).
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(2) Zu den unmittelbar betroffenen juristischen Personen, denen durch § 47 Abs. 1 BImSchG ein Klagerecht eingeräumt ist, gehören auch die nach § 3 UmwRG anerkannten Umweltverbände.
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Eine Auslegung des § 47 Abs. 1 BImSchG dahingehend, dass neben unmittelbar betroffenen natürlichen Personen auch Umweltverbände das Recht haben, die Einhaltung der zwingenden Vorschriften des Luftqualitätsrechts zu verlangen, ist durch Art. 23 RL 2008/50/EG und Art. 9 Abs. 3 AK geboten. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seinem Urteil vom 8. März 2011 in Bezug auf Sachverhalte, die - wie hier die Aufstellung von Luftreinhalteplänen - dem Unionsrecht unterliegen, für Umweltverbände einen weiten Zugang zu Gericht gefordert; er hat dies damit begründet, dass der "Schutz der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte" gewährleistet werden müsse (a.a.O. Rn. 48, 51). Ausgehend hiervon müssen sich die Klagerechte, die der Gerichtshof in seinem Urteil vom 25. Juli 2008 (a.a.O.) auf dem Gebiet der Luftreinhaltung anerkannt hat, auch auf Umweltverbände erstrecken. Eine grundsätzliche Verneinung derartiger Rechte von Umweltverbänden wäre zudem, wie oben dargelegt, unvereinbar mit der Spruchpraxis des Compliance Committee zu Art. 9 Abs. 3 AK.
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Weder das Unionsrecht noch Art. 9 Abs. 3 AK verlangen jedoch, jedem Umweltverband ein Recht auf Einhaltung der zwingenden Vorschriften bei Aufstellung eines Luftreinhalteplans zu gewähren. Umweltverbände können - nicht anders als natürliche Personen - Träger von materiellen subjektiven Rechten nur sein, wenn sie Teil nicht nur der allgemeinen Öffentlichkeit, sondern der "betroffenen Öffentlichkeit" sind. Als "betroffene Öffentlichkeit" definieren Art. 2 Nr. 5 AK und - für die Umweltverträglichkeitsprüfung - inhaltlich entsprechend Art. 3 Nr. 1 RL 2003/35/EG die von umweltbezogenen Entscheidungsverfahren betroffene oder wahrscheinlich betroffene Öffentlichkeit oder die Öffentlichkeit mit einem Interesse daran; im Sinne dieser Begriffsbestimmung haben nichtstaatliche Organisationen, die sich für den Umweltschutz einsetzen und alle nach innerstaatlichem Recht geltenden Voraussetzungen erfüllen, ein Interesse (siehe auch Art. 2 Abs. 3 RL 2003/35/EG). Diese Vereinigungen sollen sich die öffentlichen Belange des Umweltschutzes zum eigenen Anliegen machen können.
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Welche Voraussetzungen ein Umweltverband nach innerstaatlichem Recht erfüllen muss, um berechtigt zu sein, sich die Belange des Umweltschutzes bei Aufstellung eines Luftreinhalteplans zum eigenen Anliegen zu machen, ist nicht ausdrücklich geregelt. § 3 UmwRG regelt lediglich, welche Umweltverbände Rechtsbehelfe nach dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz einlegen können. Dieser Vorschrift ist jedoch die Grundentscheidung zu entnehmen, dass nur die nach dieser Vorschrift anerkannten Umweltverbände berechtigt sein sollen, vor Gericht geltend zu machen, dass dem Umweltschutz dienende Rechtsvorschriften verletzt worden seien. Auch die Mitwirkungsrechte und Rechtsbehelfsbefugnisse nach §§ 63, 64 BNatSchG sind an die Anerkennung nach § 3 UmwRG geknüpft. Ein normativer Anhaltspunkt dafür, dass bei Aufstellung von Luftreinhalteplänen das grundsätzlich auch Umweltverbänden eingeräumte Recht, die Einhaltung der zwingenden Vorschriften des Luftqualitätsrechts zu verlangen, an weitergehende Voraussetzungen geknüpft sein könnte, sind nicht ersichtlich.
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3. Im Übrigen beruht das angegriffene Urteil nicht auf einer Verletzung revisiblen Rechts.
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a) Zu Unrecht rügt der Beklagte eine unzulässige Antragstellung.
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Auch dieser Rüge steht § 134 Abs. 4 VwGO nicht entgegen. Denn die Frage, ob der Antrag angesichts des Rechtsschutzbegehrens hinreichend bestimmt ist, kann nur vor dem Hintergrund des geltend gemachten materiellen Anspruchs beantwortet werden.
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Das Erfordernis eines bestimmten Klageantrags ist in § 82 Abs. 1 Satz 2 VwGO als bloße Sollvorschrift ausgestaltet; ihm muss aber mit der Antragstellung in der mündlichen Verhandlung (§ 103 Abs. 3 VwGO) genügt werden. In einem bestimmten Antrag, der aus sich selbst heraus verständlich sein muss, sind Art und Umfang des begehrten Rechtsschutzes zu benennen. Damit wird der Streitgegenstand festgelegt und der Rahmen der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis abgesteckt sowie dem Beklagten eine präzise Verteidigung erlaubt. Schließlich soll aus einem dem Klageantrag stattgebenden Urteil eine Zwangsvollstreckung zu erwarten sein, die das Vollstreckungsverfahren nicht unter Fortsetzung des Streits mit Sachfragen überfrachtet (vgl. Ortloff/Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 82 Rn. 7 ff.; Foerste, in: Musielak, ZPO, 10. Aufl. 2013, § 253 Rn. 29, jeweils m.w.N.). Welche Anforderungen sich hieraus ergeben, hängt von den Besonderheiten des jeweiligen materiellen Rechts und von den Umständen des Einzelfalles ab.
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Hiernach entspricht die Antragstellung dem Bestimmtheitserfordernis. Die vom Beklagten bemängelte Benennung allein des durch die Ergänzung des Luftreinhalteplans zu erreichenden Ziels spiegelt die planerische Gestaltungsfreiheit wider, die das Gesetz der Behörde einräumt (Beschlüsse vom 29. März 2007 - BVerwG 7 C 9.06 - BVerwGE 128, 278 Rn. 26 f. = Buchholz 451.91 Europ UmweltR Nr. 27 und vom 11. Juli 2012 - BVerwG 3 B 78.11 - Buchholz 442.151 § 45 StVO Nr. 49 Rn. 11). Insoweit unterscheidet sich die Rechtslage nicht von sonstigen Fallkonstellationen, in denen nur ein Erfolg geschuldet wird, während die Wahl der geeigneten Maßnahmen Sache des Schuldners bleibt; auch dann genügt die Angabe dieses Erfolgs (vgl. Foerste, a.a.O. Rn. 32).
- 56
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Der Vollstreckungsfähigkeit des stattgebenden Urteils wird dadurch Rechnung getragen, dass die Entscheidung hinsichtlich der in Betracht zu ziehenden Maßnahmen im Sinne eines Bescheidungsurteils verbindliche Vorgaben machen kann, die im Vollstreckungsverfahren zu beachten sind.
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b) Ohne Rechtsverstoß hat das Verwaltungsgericht als Grundlage seines Entscheidungsausspruchs festgestellt, dass der Beklagte seinen Verpflichtungen aus § 47 Abs. 1 BImSchG, deren Erfüllung der Kläger einfordern kann, mit dem bestehenden Luftreinhalteplan noch nicht nachgekommen ist.
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aa) Der in Anlage 11 Abschnitt B der 39. BImSchV genannte Immissionsgrenzwert für Stickstoffdioxid, der ab dem 1. Januar 2010 einzuhalten ist, wird an mehreren Orten im Stadtgebiet überschritten. Nach § 47 Abs. 1 BImSchG i.V.m. § 27 der 39. BImSchV hat der Beklagte in dieser Situation einen Luftreinhalteplan aufzustellen, welcher die erforderlichen Maßnahmen zur dauerhaften Verminderung der Luftverunreinigungen festlegt. Diese Maßnahmen müssen nach § 47 Abs. 1 Satz 3 BImSchG geeignet sein, den Zeitraum einer Überschreitung von bereits einzuhaltenden Immissionsgrenzwerten so kurz wie möglich zu halten.
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§ 47 Abs. 1 Satz 3 BImSchG normiert in Übereinstimmung mit Art. 23 Abs. 1 UAbs. 2 Satz 1 RL 2008/50/EG eine zeitliche Vorgabe für die Erreichung des in § 47 Abs. 1 Satz 1 und 2 BImSchG festgelegten Ziels der Einhaltung der Grenzwerte. Die Schadstoffbelastung der Luft soll im Interesse eines effektiven Gesundheitsschutzes möglichst schnell auf das ausweislich des Immissionsgrenzwerts als noch zumutbar erachtete Ausmaß zurückgeführt werden. An diesem Minimierungsgebot muss sich die Entscheidung der Behörde ausrichten; es ist zugleich rechtlicher Maßstab für die angesichts der Gestaltungsspielräume der Behörde eingeschränkte gerichtliche Kontrolle. Das Gebot, die Überschreitung der Immissionsgrenzwerte möglichst schnell zu beenden, fordert eine Bewertung der zur Emissionsminderung geeigneten und verhältnismäßigen Maßnahmen gerade im Hinblick auf eine zeitnahe Verwirklichung der Luftqualitätsziele. Daraus kann sich eine Einschränkung des planerischen Ermessens ergeben, wenn allein die Wahl einer bestimmten Maßnahme eine baldige Einhaltung der Grenzwerte erwarten lässt (vgl. Köck/Lehmann, a.a.O. S. 70 f.). Auch insoweit wird aber nicht vorausgesetzt, dass die zu ergreifenden Maßnahmen auf einen Schlag zur Zielerreichung führen; vielmehr kann auch hier - nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitgrundsatzes - ein Vorgehen in mehreren Stufen vorgesehen werden (Köck/Lehmann, a.a.O. S. 71). Dem trägt das Verwaltungsgericht dadurch Rechnung, dass es im Entscheidungsausspruch nicht zu einer sofortigen, sondern ausdrücklich nur zur schnellstmöglichen Zielerreichung verpflichtet.
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bb) Der Beklagte kann sich zur Stützung seiner abweichenden Rechtsauffassung, wonach es schon ausreiche, dass ein Luftreinhalteplan die Einhaltung der Immissionsgrenzwerte jedenfalls schrittweise anstrebe, auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 25. Juli 2008 in der Rechtssache C-237/07, nicht berufen. Denn diese Entscheidung ist zu einer insoweit anderen Rechtslage ergangen. Sie bezieht sich auf Aktionspläne nach Art. 7 Abs. 3 RL 96/62/EG. Abgesehen von der unterschiedlichen Zielsetzung von Luftreinhalteplänen und Aktionsplänen bzw. Plänen für kurzfristig zu ergreifende Maßnahmen ist in der genannten Vorschrift im Unterschied zu Art. 23 Abs. 1 UAbs. 2 RL 2008/50/EG der ausdrückliche Hinweis auf die Eignung der zu ergreifenden Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung des Grenzwerts nicht enthalten; die Maßnahmen sollen nach Art. 7 Abs. 3 RL 96/62/EG lediglich dazu dienen, die Gefahr der Überschreitung zu verringern und die Dauer der Überschreitung zu beschränken. Der Europäische Gerichtshof hat aus dem Aufbau der Richtlinie die Verpflichtung der Mitgliedstaaten entnommen, Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, die Dauer der Überschreitung unter Berücksichtigung aller Umstände auf ein Minimum zu reduzieren (Urteil vom 25. Juli 2008 a.a.O. Rn. 45). Wenn hiernach auch insoweit ein Minimierungsgebot gilt, ist der Entscheidung nicht etwa zu entnehmen, dass die Möglichkeit zur schrittweisen Erreichung der Grenzwerte voraussetzungslos eingeräumt sein soll. Vielmehr muss sich die Maßnahme auch unter Berücksichtigung des zeitlichen Moments rechtfertigen lassen.
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c) Ebenso wenig ist zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht die Einrichtung einer Umweltzone als eine Maßnahme eingeordnet hat, die bei der Aufstellung des Luftreinhalteplans zu berücksichtigen ist.
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Soweit sich der Beklagte gegen die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Geeignetheit der Umweltzone zur Erreichung des Luftqualitätsziels einer Verminderung der NO2-Belastung wendet, richtet er sich letztlich gegen die tatrichterlichen Feststellungen und Annahmen, gegen die nach § 134 Abs. 4 VwGO wirksame Verfahrensrügen nicht erhoben werden können. Mängel der Sachverhalts- und Beweiswürdigung, die als materiell-rechtliche Verstöße gegen den Überzeugungsgrundsatz des § 108 Abs. 1 VwGO einzuordnen wären, hat der Kläger nicht geltend gemacht.
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Schließlich hat das Verwaltungsgericht bei der Prüfung, ob sich die Einrichtung einer Umweltzone als unverhältnismäßig im engeren Sinne darstellen könnte, keine unzutreffenden rechtlichen Maßstäbe angelegt. Es hat zu Recht die betroffenen rechtlich geschützten Interessen gegenübergestellt und abgewogen. Der Bewältigung besonderer Härten trägt die Möglichkeit der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 40 Abs. 1 Satz 2 BImSchG i.V.m. § 1 Abs. 2 der Fünfunddreißigsten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung zur Kennzeichnung der Kraftfahrzeuge mit geringem Beitrag zur Schadstoffbelastung - 35. BImSchV) vom 10. Oktober 2006 (BGBl I S. 2218) Rechnung.
- 64
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
(1) Der Bundespräsident vertritt den Bund völkerrechtlich. Er schließt im Namen des Bundes die Verträge mit auswärtigen Staaten. Er beglaubigt und empfängt die Gesandten.
(2) Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, bedürfen der Zustimmung oder der Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in der Form eines Bundesgesetzes. Für Verwaltungsabkommen gelten die Vorschriften über die Bundesverwaltung entsprechend.
Tenor
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§ 50d Absatz 8 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 15. Dezember 2003 (Steueränderungsgesetz 2003, BGBl I S. 2645) ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
Gründe
- 1
-
Die Vorlage betrifft die Frage, ob § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG gegen das Grundgesetz verstößt, weil er für Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen aus nichtselbständiger Arbeit eine von den Regelungen eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung abweichende Besteuerung erlaubt.
-
A.
-
I.
- 2
-
Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG sind natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG unterliegen der Einkommensteuer (alle) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die der Steuerpflichtige während seiner unbeschränkten Einkommensteuerpflicht erzielt. Entsprechend diesen Regelungen werden alle aus nichtselbständiger Arbeit erzielten Einkünfte natürlicher Personen, die in Deutschland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, unabhängig vom Ort ihrer Erzielung nach deutschem Recht besteuert (sog. Welteinkommensprinzip).
- 3
-
Mit Abkommen vom 16. April 1985 haben die Bundesrepublik Deutschland und die Republik Türkei zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (BGBl II 1989 S. 867, im Folgenden abgekürzt als DBA-Türkei 1985) unter anderem Folgendes vereinbart:
-
Art. 15 DBA-Türkei 1985 (Unselbständige Arbeit)
-
(1) Vorbehaltlich der Artikel 16, 18, 19 und 20 können Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus unselbständiger Arbeit bezieht, nur in diesem Staat besteuert werden, es sei denn, dass die Arbeit im anderen Vertragsstaat ausgeübt wird. Wird die Arbeit dort ausgeübt, so können die dafür bezogenen Vergütungen im anderen Staat besteuert werden.
-
(2) - (3) … .
-
Art. 23 DBA-Türkei 1985 (Vermeidung der Doppelbesteuerung im Ansässigkeitsstaat)
-
(1) Bei in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Personen wird die Doppelbesteuerung wie folgt vermieden:
-
a) Vorbehaltlich des Buchstabens b werden von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer die Einkünfte aus Quellen innerhalb der Republik Türkei sowie die in der Republik Türkei gelegenen Vermögenswerte ausgenommen, die nach den vorstehenden Artikeln in der Republik Türkei besteuert werden können oder nur dort besteuert werden können; die Bundesrepublik Deutschland kann jedoch bei der Festsetzung des Steuersatzes für die nicht so ausgenommenen Einkünfte und Vermögenswerte die Einkünfte und Vermögenswerte berücksichtigen, die nach den vorstehenden Artikeln in der Republik Türkei berücksichtigt werden können. […]
-
b) - d) … .
- 4
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Der Bundestag hat diesem Abkommen mit der Türkei mit Gesetz vom 27. November 1989 zugestimmt (BGBl II S. 866).
- 5
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Nach den Regelungen in Art. 15 Abs. 1, Art. 23 Abs. 1 Buchstabe a Satz 1 DBA-Türkei 1985 sind Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtige Personen in der Türkei erzielen, in Abweichung vom Welteinkommensprinzip der § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1 EStG von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer ausgenommen. Sie dürfen nicht für die Bemessung der Einkommensteuer nach deutschem Recht herangezogen werden. Lediglich bei der Festsetzung des Steuersatzes für andere Einkünfte dürfen sie berücksichtigt werden.
- 6
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§ 50d EStG in der vorliegend maßgeblichen Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 15. Dezember 2003 (Steueränderungsgesetz 2003, BGBl I S. 2645) regelt nach seiner amtlichen Überschrift "Besonderheiten im Fall von Doppelbesteuerungsabkommen". Sein Absatz 8 lautet:
-
Sind Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19) nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen, wird die Freistellung bei der Veranlagung ungeachtet des Abkommens nur gewährt, soweit der Steuerpflichtige nachweist, dass der Staat, dem nach dem Abkommen das Besteuerungsrecht zusteht, auf dieses Besteuerungsrecht verzichtet hat oder dass die in diesem Staat auf die Einkünfte festgesetzten Steuern entrichtet wurden. Wird ein solcher Nachweis erst geführt, nachdem die Einkünfte in eine Veranlagung zur Einkommensteuer einbezogen wurden, ist der Steuerbescheid insoweit zu ändern. § 175 Absatz 1 Satz 2 der Abgabenordnung ist entsprechend anzuwenden.
- 7
-
§ 50d Abs. 8 EStG knüpft damit die in einem Doppelbesteuerungsabkommen vorgesehene Freistellung von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit von der deutschen Steuer an den Nachweis, dass der Vertragsstaat, dem nach dem Abkommen das Besteuerungsrecht zusteht, auf dieses Besteuerungsrecht verzichtet hat oder dass die von ihm festgesetzten Steuern entrichtet wurden. Dies wurde im Gesetzgebungsverfahren folgendermaßen begründet (BRDrucks 630/03, S. 66):
-
"[§ 50d Abs. 8] Satz 1 macht die nach einem Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) gebotene Freistellung von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit von dem Nachweis abhängig, dass der Tätigkeitsstaat auf die Besteuerung dieser Einkünfte verzichtet hat oder dass die in diesem Staat festgesetzte Steuer entrichtet wurde. Damit soll verhindert werden, dass die Einkünfte nicht besteuert werden, weil der Steuerpflichtige die Einkünfte im Tätigkeitsstaat pflichtwidrig nicht erklärt und dieser Staat deshalb häufig seinen Steueranspruch nicht mehr durchsetzen kann, wenn er von dem Sachverhalt erfährt, z.B. weil dann keine Vollstreckungsmöglichkeiten gegen den Steuerpflichtigen mehr bestehen. Der Gesetzgeber ist nicht daran gehindert, die Steuerbefreiung aufgrund DBA von einem solchen Nachweis abhängig zu machen. Vgl. hierzu die Ausführungen des BFH im Urteil vom 20. März 2002, I R 38/00, BStBl. II S. 819. Sind die Einkünfte der deutschen Besteuerung unterworfen worden, so ist nach Satz 2 der Steuerbescheid zu ändern, sobald der Steuerpflichtige den in Satz 1 geforderten Nachweis erbringt. Dadurch wird sichergestellt, dass das Besteuerungsrecht des Tätigkeitsstaats geschützt ist und die Gefahr einer sonst eintretenden Doppelbesteuerung vermieden wird. Nach Satz 3 ist § 175 Abs. 1 Satz 2 AO entsprechend anzuwenden. Danach beginnt die Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Nachweis nach Satz 1 geführt wird. Der Steuerpflichtige hat damit ausreichend Zeit, die dem Abkommen entsprechende steuerliche Behandlung herbeizuführen."
- 8
-
§ 50d Abs. 8 EStG war für den Veranlagungszeitraum 2004 erstmals anzuwenden.
- 9
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Das DBA-Türkei 1985 wurde von der Bundesrepublik Deutschland mit Wirkung zum 31. Dezember 2010 gekündigt. Am 1. August 2012 ist das Abkommen vom 19. September 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen (BGBl II 2012 S. 527), dem der Bundestag mit Gesetz vom 24. Mai 2012 (BGBl II S. 526) zugestimmt hat, in Kraft getreten.
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II.
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1. Im Ausgangsverfahren wenden sich die Kläger, gemeinsam veranlagte Eheleute, gegen den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2004, in dem der Ehemann teils in Deutschland, teils in der Türkei Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielte. Die Kläger beantragten, die in der Türkei erzielten Einkünfte entsprechend den Regelungen des DBA-Türkei 1985 steuerfrei zu belassen. Da sie jedoch nicht entsprechend § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG nachgewiesen hatten, dass die in der Türkei erzielten Einkommensbestandteile dort versteuert worden waren oder die Türkei auf die Besteuerung verzichtet hatte, behandelte das Finanzamt den gesamten Bruttoarbeitslohn als steuerpflichtig. Die Klage zum Finanzgericht blieb erfolglos.
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2. Mit Beschluss vom 10. Januar 2012 hat der Bundesfinanzhof das daraufhin von den Klägern eingeleitete Revisionsverfahren ausgesetzt, um die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber einzuholen, ob § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
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Zur Begründung der Vorlage trägt der Bundesfinanzhof vor, dass die Revision im Fall der Verfassungsmäßigkeit von § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG zurückzuweisen wäre. Nach seiner Auffassung verstößt die Vorschrift jedoch gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 und Art. 25 GG sowie Art. 3 Abs. 1 GG. Mit Abschluss des Doppelbesteuerungsabkommens habe sich Deutschland seines Besteuerungsrechts für in der Türkei erzielte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit begeben. § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG, der das Besteuerungsrecht an Deutschland zurückfallen lasse, verstoße daher gegen bindendes Völkervertragsrecht und laufe der in Art. 25 GG enthaltenen Wertentscheidung des Grundgesetzes für den Vorrang der allgemeinen Regeln des Völkerrechts zuwider, ohne dass dafür ein tragfähiger Rechtfertigungsgrund vorliege. Die Kläger des Ausgangsverfahrens würden dadurch in ihrem Grundrecht auf Einhaltung der verfassungsmäßigen Ordnung verletzt (a). Zudem widerspreche die Regelung dem Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG (b).
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a) § 50d Abs. 8 EStG weiche von der im DBA-Türkei 1985 völkerrechtlich vereinbarten Verteilung des Besteuerungsrechts zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei ab, da sich beide Staaten hinsichtlich der Besteuerung von Arbeitseinkünften völkerrechtlich auf das Quellenprinzip und die Freistellungsmethode geeinigt hätten und diese Vereinbarung vorbehaltlos in nationales Recht überführt worden sei. Das Abkommen enthalte zudem weder eine Rückfallklausel (subject-to-tax-Klausel) noch einen Nachweisvorbehalt für die Besteuerung im anderen Vertragsstaat. In diesem Zusammenhang könne auch dahinstehen, ob bilaterale Abkommen - wie der Bundesfinanzhof in früheren Entscheidungen angenommen habe - unter einem allgemeinen Umgehungsvorbehalt stünden, der durch nationales Recht konkretisiert werden könne. Denn bei § 50d Abs. 8 EStG handele es sich jedenfalls nicht um einen der Ausfüllung eines solchen Umgehungsvorbehalts dienenden Tatbestand zur Abwehr von Abkommensmissbräuchen, also von Maßnahmen, die darauf abzielten, sich in gestaltungsmissbräuchlicher Weise in die Inanspruchnahme von Vorteilen eines bilateralen Abkommens einzukaufen.
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Der vorlegende Senat wolle der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs und der überwiegenden Auffassung im Schrifttum, die im unilateralen "Bruch" des völkervertraglich Vereinbarten - dem so genannten Treaty Overriding - keinen verfassungsrelevanten Vorgang sähen, im Einklang mit Teilen der Literatur sowie der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr folgen. Das Bundesverfassungsgericht habe im Görgülü- (BVerfGE 111, 307) und im Alteigentümer-Beschluss (BVerfGE 112, 1) sowie in seinem Urteil zur Sicherungsverwahrung (BVerfGE 128, 326) die aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Verpflichtung aller staatlichen Organe zur Beachtung der Europäischen Menschenrechtskonvention bestätigt, die kraft Zustimmung gemäß Art. 59 Abs. 2 GG ebenso wie Doppelbesteuerungsabkommen in den Rang eines Bundesgesetzes überführt worden sei. Es habe sich im Görgülü-Beschluss dahingehend geäußert, dass der Gesetzgeber von Verfassungs wegen gehalten sei, Völkervertragsrecht zu beachten, wenn nicht ausnahmsweise die Voraussetzungen vorlägen, von denen das Bundesverfassungsgericht die Zulässigkeit einer Abweichung abhängig mache. Darauf aufbauend ergebe sich aus dem Alteigentümer-Beschluss die Verpflichtung aller Staatsorgane, die die Bundesrepublik Deutschland bindenden Völkerrechtsnormen zu befolgen und Verletzungen nach Möglichkeit zu unterlassen. Im Umkehrschluss bedeute dies, dass der Gesetzgeber von Verfassungs wegen - durch das Rechtsstaatsgebot in Art. 20 Abs. 3 GG - in die Pflicht genommen werde, Völkervertragsrecht zu beachten. Die prinzipielle Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes sei vorrangig und wirke für den Gesetzgeber als materiell-rechtliche Sperre, die ihm die Verfügungsmacht über den Rechtsbestand in dem Maße nehme, das der völkerrechtliche Vertrag vorgebe. Zwar habe das Bundesverfassungsgericht diese Frage in der Entscheidung zum Reichskonkordat (vgl. BVerfGE 6, 309 <363>) noch anders beantwortet. Aus dem Alteigentümer-Beschluss ergebe sich jedoch, dass Abweichungen von völkervertraglichen Vereinbarungen einer besonderen Rechtfertigung bedürften, deren Voraussetzungen eng seien. Rechtfertigungsgrund sei die Beachtung der Menschenwürde und der Grundrechte. Das Bundesverfassungsgericht habe damit methodisch den Weg zu einer Prüfung der Erforderlichkeit einer Abkommensüberschreibung (Treaty Override) gewiesen. Für den Ausgleich der hier widerstreitenden Prinzipien von Rechtsstaat und Demokratie komme es entscheidend darauf an, ob dem Gesetzgeber gegenüber dem Vertragsbruch ein milderes Mittel zur Verfügung stehe.
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Im vorliegenden Fall sei eine Rechtfertigung für den Verstoß gegen das Völkerrecht nicht zu erkennen. Zwar orientiere sich § 50d Abs. 8 EStG am Leistungsfähigkeitsprinzip, verhindere eine sogenannte Keinmalbesteuerung und stelle eine gleichheitsgerechte Besteuerung (wieder) her, indem es dem Steuerpflichtigen den Vorteil, dass seine im Ausland erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit dort unbesteuert blieben, wieder nehme und ihn im Ergebnis mit anderen Steuerpflichtigen gleichbehandele, die entsprechende Einkünfte im Inland erzielten. Dem Gesetzgeber sei es jedoch nicht in erster Linie um die Verhinderung einer sogenannten Keinmalbesteuerung gegangen, sondern - ausweislich der Gesetzesbegründung - um die Förderung der Steuerehrlichkeit. Da die so erhobenen Steuern aber nicht an den anderen Staat weitergeleitet würden, sei § 50d Abs. 8 EStG wohl von fiskalischen Überlegungen geleitet. Diese seien ebenso wenig wie mangelnde Steuerehrlichkeit ein rechtfertigender Grund für die Durchbrechung der Freistellungsmethode. Unabhängig davon sei die Möglichkeit der Keinmalbesteuerung für die Freistellungsmethode kennzeichnend, so dass es systemfremd wäre, daraus einen Rechtfertigungsgrund für den einseitig angeordneten Besteuerungsrückfall abzuleiten. Eine Rechtfertigung der Abkommensüberschreibung (Treaty Override) ergebe sich auch nicht daraus, dass Deutschland gezwungen gewesen sei, mittels § 50d Abs. 8 EStG schnell auf einen besonderen Missstand oder einen besonders kurzfristig zutage tretenden Steuerausfall bei im Ausland erzielten Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu reagieren. Selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, hätte mit der Kündigung des Abkommens - wie mit Wirkung zum 1. Januar 2011 geschehen - ein milderes Mittel zur Verfügung gestanden.
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b) § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG verstoße auch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, weil er den Steuerpflichtigen mit im Ausland erzielten Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, der den Nachweis gemäß § 50d Abs. 8 EStG erbringe, anders behandle als den Steuerpflichtigen, dem dieser Nachweis nicht gelinge. Ein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot liege auch darin, dass das Nachweiserfordernis allein Steuerpflichtige mit Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit treffe, nicht dagegen solche mit anderen Einkünften.
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3. Zu dem Vorlagebeschluss haben namens der Bundesregierung das Bundesministerium der Finanzen sowie alle Senate des Bundesverwaltungsgerichts Stellung genommen.
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Das Bundesministerium der Finanzen hält die Vorlage für unbegründet. Die nachträgliche Abweichung von einer durch Vertragsgesetz innerstaatlich in Geltung gesetzten völkerrechtlichen Vereinbarung sei nicht verfassungswidrig. Nach dem sich klar im Wortlaut des Grundgesetzes widerspiegelnden Modell sei zwischen allgemeinen Regeln des Völkerrechts (Art. 25 GG) und völkervertragsrechtlichen Bindungen (Art. 59 Abs. 2 GG) zu unterscheiden. Daraus ergebe sich für Völkervertragsrecht eindeutig der Rang einfachen Rechts, weshalb der demokratisch legitimierte Gesetzgeber durch leges posteriores wirksam von völkervertraglichen Vorgaben abweichen könne. Die abstrakte Berufung auf den Gedanken der Völkerrechtsfreundlichkeit sei nicht geeignet, Rechtsfolgen zu begründen, die Art. 25 und Art. 59 Abs. 2 GG widersprächen. Unabhängig davon verstoße § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG auch in den Fällen, in denen ein Doppelbesteuerungsabkommen keinesubject-to-tax-Klausel enthalte, schon deshalb nicht gegen Völkervertragsrecht, weil er lediglich einen allgemeinen, ungeschriebenen Missbrauchsvorbehalt, unter dem alle Doppelbesteuerungsabkommen stünden, konkretisiere. § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG sei auch mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Der geforderte Nachweis diene der Missbrauchsverhinderung und sei insofern sachlich geboten. Die Beschränkung auf Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit sei dadurch gerechtfertigt, dass der Gesetzgeber gerade hier besonderen Handlungsbedarf erkannt habe, weil nichtselbständige Tätigkeiten, beispielsweise von Piloten, Berufskraftfahrern oder Seeleuten, für die Steuerbehörden erheblich schwerer zu erfassen seien als selbständige oder unternehmerische Tätigkeiten.
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Die Senate des Bundesverwaltungsgerichts teilen überwiegend die Ansicht, dass das Grundgesetz keine Vorrangregelung für völkerrechtliche Verträge enthalte, diese innerstaatlich den Rang eines einfachen Bundesgesetzes hätten und der Gesetzgeber daher von ihnen abweichen dürfe. Weder die Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes noch das Rechtsstaatsgebot nivellierten die differenzierten Regelungen über die innerstaatliche Wirksamkeit völkerrechtlicher Bestimmungen gemäß Art. 25 und Art. 59 Abs. 2 GG.
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III.
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Der Senat hat dem Bundesfinanzhof Gelegenheit gegeben, den Vorlagebeschluss zu ergänzen. Dem ist der Bundesfinanzhof mit Beschluss vom 10. Juni 2015 nachgekommen.
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B.
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Die Vorlage ist zulässig.
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I.
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Nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 GG hat ein Gericht das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen, wenn es ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig hält. Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG muss das vorlegende Gericht darlegen, inwiefern seine Entscheidung von der Gültigkeit der Rechtsvorschrift abhängt und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm die Vorschrift unvereinbar ist. Die Begründung, die das Bundesverfassungsgericht entlasten soll (vgl. BVerfGE 37, 328 <333 f.>; 65, 265 <277>), muss daher mit hinreichender Deutlichkeit erkennen lassen, dass und weshalb das vorlegende Gericht im Falle der Gültigkeit der für verfassungswidrig gehaltenen Rechtsvorschrift zu einem anderen Ergebnis käme als im Falle ihrer Ungültigkeit (vgl. BVerfGE 7, 171 <173 f.>; 79, 240 <243>; 105, 61 <67>; 121, 108 <117>; 133, 1 <11>; 135, 1 <10 f., Rn. 28>; 136, 127 <142, Rn. 44>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 19. November 2014 - 2 BvL 2/13 -, LKV 2015, S. 23 <23>). Das vorlegende Gericht muss dabei den Sachverhalt darstellen (vgl. BVerfGE 22, 175 <177>), sich mit der einfachrechtlichen Rechtslage auseinandersetzen, seine insoweit einschlägige Rechtsprechung darlegen und die in der Literatur und Rechtsprechung entwickelten Rechtsauffassungen berücksichtigen, die für die Auslegung der vorgelegten Rechtsvorschrift von Bedeutung sind (vgl. BVerfGE 136, 127 <142, Rn. 45; 145 ff., Rn. 53 ff.>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 19. November 2014 - 2 BvL 2/13 -, LKV 2015, S. 23 <23>). § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG verpflichtet das vorlegende Gericht jedoch nicht, auf jede denkbare Rechtsauffassung einzugehen. Für die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage ist grundsätzlich die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts maßgebend, sofern diese nicht offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerfGE 2, 181 <190 f., 193>; 88, 187 <194>; 105, 61 <67>; 129, 186 <203>; 133, 1 <11, Rn. 35>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 19. November 2014 - 2 BvL 2/13 -, LKV 2015, S. 23 <24>).
- 23
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Was die verfassungsrechtliche Beurteilung der zur Prüfung gestellten Norm angeht, muss das vorlegende Gericht von ihrer Verfassungswidrigkeit überzeugt sein und die für seine Überzeugung maßgeblichen Erwägungen nachvollziehbar darlegen (vgl. BVerfGE 78, 165 <171 f.>; 86, 71 <77 f.>; 88, 70 <74>; 88, 198 <201>; 93, 121 <132>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 19. November 2014 - 2 BvL 2/13 -, LKV 2015, S. 23 <23>). Der Vorlagebeschluss muss hierzu den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab angeben und sich mit der Rechtslage, insbesondere der maßgeblichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, auseinandersetzen (vgl. BVerfGE 136, 127 <142, Rn. 45; 145 ff., Rn. 53 ff.>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 19. November 2014 - 2 BvL 2/13 -, LKV 2015, S. 23 <24>).
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II.
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Die Vorlage genügt diesen Anforderungen.
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Der Bundesfinanzhof legt seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG und die dafür maßgeblichen Erwägungen nachvollziehbar dar und setzt sich jedenfalls im Hinblick auf die aus der angenommenen Völkerrechtswidrigkeit abgeleitete Verfassungswidrigkeit von § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG hinreichend mit der verfassungsrechtlichen Rechtslage auseinander (1.). Ob auch die Ausführungen zur Gleichheitswidrigkeit von § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG den Anforderungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG genügen, kann deshalb dahinstehen (2.).
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1.a) Aus der Begründung der Vorlage ergibt sich, dass der Bundesfinanzhof von der Verfassungswidrigkeit des § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG unter anderem wegen seines Widerspruchs zu den Regelungen des DBA-Türkei 1985 überzeugt ist. In diesem Zusammenhang geht er - wie geboten (vgl. BVerfGE 136, 127 <145 ff., Rn. 53 ff.>) - auch auf die beiden in seiner eigenen bisherigen Rechtsprechung vertretenen Ansätze zur Verfassungsmäßigkeit von abkommensüberschreibenden Gesetzen ein. Er erläutert ausführlich, aus welchen Gründen nach seiner jetzigen Überzeugung die von ihm bislang angenommene Befugnis des nationalen Gesetzgebers, ein Zustimmungsgesetz zu einem völkerrechtlichen Vertrag durch ein hiervon abweichendes Gesetz ändern oder aufheben zu können (vgl. BFHE 175, 351 <352>; 178, 59 <61 f.>; 198, 514 <521>; BFH, Beschluss vom 28. November 2001 - I B 169/00 -, juris, Rn. 10 f.), nicht besteht. Auch setzt er sich damit auseinander, dass er in früheren Entscheidungen einen ungeschriebenen allgemeinen Umgehungsvorbehalt in Doppelbesteuerungsabkommen anerkannt hat, so dass sich bei einer einen derartigen Vorbehalt konkretisierenden Regelung die Frage ihrer Völkerrechts- und damit auch ihrer dadurch bedingten Verfassungswidrigkeit nicht stellt (vgl. BFHE 198, 514 <518>; 210, 117 <121 f.>; 220, 244 <246>; 220, 392 <395>). Er bringt dabei nachvollziehbar zum Ausdruck, dass und weshalb die Wertungen dieser (bisherigen) Rechtsprechung zu völkerrechtlichen Umgehungsvorbehalten § 50d Abs. 8 EStG nicht beträfen und auch nicht auf diese Regelung übertragen werden könnten. Zudem legt er schlüssig dar, weshalb die vorgelegte Norm nach seiner Auffassung als Abkommensüberschreibung (Treaty Override) anzusehen ist.
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b) Auch die Erläuterung der für seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit von § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG maßgeblichen Erwägungen genügt den Anforderungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG. Der Bundesfinanzhof benennt insoweit den seiner Ansicht nach maßgeblichen verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab - Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 und Art. 25 GG sowie Art. 3 Abs. 1 GG - und legt seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG jedenfalls unter dem Aspekt der Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 und Art. 25 GG nachvollziehbar dar.
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aa) Unter dem Blickwinkel der Völkerrechtswidrigkeit bezieht sich der Bundesfinanzhof zur Begründung der Verfassungswidrigkeit von § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG auf jüngere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 111, 307; 112, 1; 128, 326) zum Verhältnis von Völker- und Verfassungsrecht. Unter Einbeziehung vor allem steuerrechtlicher Fachliteratur erläutert er, dass und in welchem Umfang der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes und das Rechtsstaatsprinzip die Befugnisse des Gesetzgebers seiner Auffassung nach beschränken.
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Die Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird in Auseinandersetzung mit dessen Rechtsprechung begründet (vgl. BVerfGE 80, 182 <186>; BVerfGK 4, 184 <196>). Auch soweit der Bundesfinanzhof den in Bezug genommenen jüngeren Senatsentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts entnimmt, dass völkerrechtswidrige Gesetze regelmäßig nichtig sind, genügt die Vorlage - entgegen insoweit geäußerten Zweifeln (vgl. Frau/Trinks, DÖV 2013, S. 228 <230>; Krumm, AöR 138 [2013], S. 363 <381 ff.>) - den Anforderungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG. Art. 100 Abs. 1 GG in Verbindung mit § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG verlangt vom vorlegenden Gericht lediglich die Darlegung, aus welchen Erwägungen es eine Norm für verfassungswidrig "hält", und stellt insofern ausschließlich auf dessen Rechtsansicht ab; ob diese zutrifft oder nicht, entscheidet das Bundesverfassungsgericht in der Sachprüfung oder - bei offensichtlich unzutreffender Rechtsauffassung - im vereinfachten Verfahren nach § 24 BVerfGG (vgl. Müller-Terpitz, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 80 Rn. 244
). Die vom Bundesfinanzhof unter Bezugnahme auf die jüngere Senatsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vertretene Auffassung, dass abkommensüberschreibende Gesetze regelmäßig verfassungswidrig sind, ist jedenfalls nicht offensichtlich unzutreffend. Sie entspricht einer in der Literatur vertretenen (vgl. Gosch, IStR 2008, S. 413 <418 ff.>; Kempf/Bandl, DB 2007, S. 1377 <1381>; Rauschning, in: Bonner Kommentar, GG, Bd. 9, Art. 59 Rn. 137 ff. ; Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 ff.; Stein, IStR 2006, S. 505 <508 f.>; Vogel, JZ 1997, S. 161 ff.; ders., in: Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl. 2008, Einl. Rn. 193 ff., 205; Weigell, IStR 2009, S. 636 <637 ff.>) Ansicht.
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bb) Dass sich der Bundesfinanzhof bei der Darlegung der Verfassungswidrigkeit von Abkommensüberschreibungen nicht mit einer Kammerentscheidung vom 22. Dezember 2006 (BVerfGK 10, 116) auseinandergesetzt hat, in der die 1. Kammer des Zweiten Senats unter Bezugnahme auf eine Passage des Alteigentümer-Beschlusses (BVerfGE 112, 1 <25>) ausgeführt hat, dass eine verfassungsunmittelbare Pflicht der staatlichen Organe zur Berücksichtigung des Völkerrechts nicht unbesehen für jede beliebige Bestimmung des Völkerrechts anzunehmen sei, sondern nur, soweit dies dem in den Art. 23 bis Art. 26 GG sowie in den Art. 1 Abs. 2, Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG niedergelegten Konzept des Grundgesetzes entspreche (vgl. BVerfGK 10, 116 <124>), steht der Zulässigkeit der Vorlage nicht entgegen. § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG verlangt zwar eine Darstellung der aus Sicht des vorlegenden Gerichts für die Verfassungswidrigkeit der Norm sprechenden Erwägungen und in diesem Zusammenhang auch eine Auseinandersetzung mit der die Vorlagefrage betreffenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Ein Gebot, auch sämtliche Kammerentscheidungen auszuwerten, ist damit jedoch nicht verbunden. In der Sache hat die 1. Kammer zudem lediglich die Alteigentümer-Entscheidung wiedergegeben, die der Bundesfinanzhof in seine Argumentation einbezogen hat.
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2. Da die Darlegungen zur Verfassungswidrigkeit von § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG mit Blick auf den Gesichtspunkt der möglichen Völkerrechtswidrigkeit den Anforderungen von § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG genügen, kann dahinstehen, ob der Bundesfinanzhof auch die von ihm angenommene Gleichheitswidrigkeit von § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG ausreichend begründet hat. Ist eine Richtervorlage zumindest unter einem Gesichtspunkt zulässig, hat das Bundesverfassungsgericht die vorgelegte Norm unter allen in Betracht kommenden verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen (vgl. BVerfGE 26, 44 <58>; 90, 145 <168>; 120, 125 <144>; 126, 77 <98>; 133, 1 <12, Rn. 41>), unabhängig davon, ob sie im Vorlagebeschluss angesprochen worden sind oder nicht (vgl. BVerfGE 90, 145 <168>).
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C.
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Die Vorlage ist unbegründet. § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 15. Dezember 2003 (Steueränderungsgesetz 2003, BGBl I S. 2645) ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Er ist weder aufgrund seines (möglichen) Widerspruchs zu völkerrechtlichen Verträgen (I.) noch wegen eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG (II.) verfassungswidrig.
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I.
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1. In der Ordnung des Grundgesetzes haben völkerrechtliche Verträge in der Regel den Rang einfacher Bundesgesetze. Sie können daher durch spätere, ihnen widersprechende Bundesgesetze verdrängt werden (a-c). Etwas anderes ergibt sich weder aus dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes (d) noch aus dem Rechtsstaatsprinzip (e).
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a) Rang und Einordnung eines völkerrechtlichen Vertrags innerhalb der deutschen Rechtsordnung werden durch das Grundgesetz bestimmt, das das Verhältnis von internationalem und nationalem Recht an verschiedenen Stellen regelt. So bekennt es sich in Art. 1 Abs. 2 GG zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt. Diese unveräußerlichen Rechte liegen ihm voraus und sind selbst der Disposition des Verfassungsgebers entzogen (vgl. BVerfGE 111, 307 <329>; 112, 1 <27>; 128, 326 <369>). In Art. 23 Abs. 1, Art. 24 Abs. 1 und Abs. 1a GG ermöglicht das Grundgesetz dem Gesetzgeber, Hoheitsrechte auf die Europäische Union, andere zwischenstaatliche und grenznachbarschaftliche Einrichtungen zu übertragen und dem von diesen Organisationen gesetzten Recht einen Anwendungsvorrang vor dem innerstaatlichen Recht einzuräumen (vgl. BVerfGE 37, 271 <280>; 73, 339 <374 f.>), in Art. 24 Abs. 2 GG, sich einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit anzuschließen und in eine entsprechende Beschränkung der Hoheitsrechte einzuwilligen (vgl. BVerfGE 90, 286 <345 ff.>). In Art. 25 GG bestimmt es, dass die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts sind und den Gesetzen vorgehen (vgl. BVerfGE 23, 288 <300>; 31, 145 <177>; 112, 1 <21 f.>). Gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG schließlich bedürfen völkerrechtliche Verträge, die die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, der Zustimmung oder der Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in der Form eines Bundesgesetzes.
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Aus der Existenz dieser Öffnungsklauseln ergibt sich, dass das Grundgesetz nicht nur über die Wirksamkeit, sondern auch über den Rang von internationalem Recht innerhalb der nationalen Rechtsordnung entscheidet. In ihrem Geltungsbereich bestimmt die Verfassung insofern auch über Wirksamkeit und Anwendbarkeit von Völkerrecht sowie über die Auflösung von Kollisionen. Sie kann dabei grundsätzlich auch dem staatlichen Recht Vorrang einräumen.
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Hängen Wirksamkeit und Anwendbarkeit von Völkerrecht innerhalb der deutschen Rechtsordnung von den Vorgaben des Grundgesetzes ab, so können sie durch die Verfassung auch begrenzt werden, mit der Folge, dass es zu einem Auseinanderfallen von innerstaatlich wirksamem Recht und völkerrechtlichen Verpflichtungen kommen kann.
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b) Während die allgemeinen Regeln des Völkerrechts kraft unmittelbar in der Verfassung erteilten Vollzugsbefehls innerstaatlich wirksam sind und im Rang über dem Gesetz stehen (Art. 25 GG) (aa), bedürfen völkerrechtliche Verträge, die die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, für ihre innerstaatliche Wirksamkeit gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG eines Zustimmungsgesetzes und haben grundsätzlich nur den Rang eines einfachen (Bundes-)Gesetzes (bb).
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aa) Art. 25 Satz 1 GG verschafft den allgemeinen Regeln des Völkerrechts innerstaatliche Wirksamkeit (1). Sie haben gemäß Art. 25 Satz 2 GG innerhalb der nationalen Rechtsordnung einen Rang über den (einfachen) Gesetzen, aber unterhalb der Verfassung (2). Völkerrechtliche Verträge nehmen in der Regel nicht an dem in Art. 25 Satz 2 GG bestimmten Vorrang vor den (einfachen) Gesetzen teil (3).
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(1) Art. 25 Satz 1 GG bestimmt, dass die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts sind. Er verschafft den allgemeinen Regeln des Völkerrechts unmittelbar, das heißt, ohne dass ein sonstiger (einfachrechtlicher) Rechtsakt hinzukommen müsste, Wirksamkeit innerhalb der deutschen Rechtsordnung (vgl. BVerfGE 6, 309 <363>).
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(2) Nach Art. 25 Satz 2 GG gehen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts den Gesetzen vor. Er räumt diesen Regeln damit Vorrang vor den Gesetzen ein. Ein Gesetz, das mit einer allgemeinen Regel des Völkerrechts kollidiert, verstößt daher gegen die verfassungsmäßige Ordnung im Sinne des Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 6, 309 <363>; 23, 288 <300>; 31, 145 <177>; 112, 1 <21 f.>).
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Gleichzeitig ist Art. 25 GG jedoch dahingehend zu verstehen, dass er - dem Wortlaut von Satz 2 entsprechend - den allgemeinen Regeln des Völkerrechts einen Rang oberhalb der (einfachen) Gesetze, aber unterhalb der Verfassung einräumt (Zwischenrang) (vgl. BVerfGE 6, 309 <363>; 37, 271 <279>; 111, 307 <318>; 112, 1 <24, 26>; Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 25 Rn. 42
; Hillgruber, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, 13. Aufl. 2014, Art. 25 Rn. 11; Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 25 Rn. 55). Dies korrespondiert mit Art. 100 Abs. 2 GG, der dem Bundesverfassungsgericht die Prüfung zuweist, ob eine Regel des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts ist, nicht jedoch die Prüfung, ob das Grundgesetz mit dem (vorrangigen) Völkerrecht vereinbar ist.
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(3) Zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts gehören das Völkergewohnheitsrecht und die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Völkerrechts (vgl. BVerfGE 15, 25 <32 f., 34 f.>; 23, 288 <317>; 31, 145 <177>; 94, 315 <328>; 95, 96 <129>; 96, 68 <86>; 117, 141 <149>; 118, 124 <134>), das heißt diejenigen Normen des Völkerrechts, die unabhängig von vertraglicher Zustimmung für alle oder doch die meisten Staaten gelten (vgl. Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 25 Rn. 1
; vgl. auch BVerfGE 15, 25 <34>; 16, 27 <33>; 118, 124 <164 ff.>). Bestimmungen in völkerrechtlichen Verträgen nehmen daher grundsätzlich nicht an dem in Art. 25 Satz 2 GG vorgesehenen Vorrang teil (vgl. BVerfGE 6, 309 <363>; 31, 145 <178>; 117, 141 <149>; 118, 124 <134 f.>). Anders als andere Rechtsordnungen - etwa die französische (vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, 2. Aufl. 1989, S. 113 f.; Kunig, in: Graf Vitzthum/Proelß, Völkerrecht, 6. Aufl. 2013, 2. Abschnitt, Rn. 51; Oellers-Frahm, in: Festschrift für Helmut Steinberger, 2002, S. 865 <868 f.>) oder die luxemburgische (vgl. Vogel, in: ders./Lehner, DBA, 5. Aufl. 2008, Einl. Rn. 204) - sieht das Grundgesetz einen generellen Vorrang völkerrechtlicher Verträge vor dem einfachen Gesetzesrecht nicht vor.
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bb) Nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG erlangen völkerrechtliche Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, erst durch das dort vorgesehene Zustimmungsgesetz innerstaatliche Wirksamkeit (1). Sie haben den Rang einfacher Bundesgesetze (2). Etwas anderes ergibt sich weder aus dem Grundsatz pacta sunt servanda (3) noch - auch nicht für völkerrechtliche Verträge über die Besteuerung - aus § 2 Abs. 1 AO (4).
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(1) Der Zustimmungsvorbehalt gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG hat unterschiedliche Funktionen. Er dient - neben der Aufteilung der Entscheidungsbefugnisse im Bereich des auswärtigen Handelns (vgl. BVerfGE 90, 286 <357>; 104, 151 <194>; 118, 244 <258>) - der Ermöglichung einer rechtzeitigen und damit effektiven Kontrolle der Exekutive durch die Legislative vor Eintritt der völkerrechtlichen Verbindlichkeit eines Vertrags (vgl. BVerfGE 90, 286 <357>; 118, 244 <258>; 131, 152 <195 f.>). Zudem sichert er den Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, da aus Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG hervorgeht, dass die in einem völkerrechtlichen Vertrag enthaltenen Regelungen nur unter der Voraussetzung Rechte und Pflichten für den Einzelnen begründen, abändern oder aufheben können, dass ihnen der Gesetzgeber zugestimmt hat (vgl. Kempen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 59 Abs. 2 Rn. 65 ff.; Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 59 Rn. 26). Im Interesse der Funktionsfähigkeit völkerrechtlicher Beziehungen soll der Zustimmungsvorbehalt darüber hinaus verhindern, dass (wichtige) Verträge mit auswärtigen Staaten geschlossen werden, die später - mangels notwendiger Billigung durch den Gesetzgeber - nicht erfüllt werden können (Zweck der Vollzugssicherung) (vgl. BVerfGE 1, 372 <389 f.>; 118, 244 <258>). Damit dient der Zustimmungsvorbehalt zugleich der Wahrung der Entscheidungsfreiheit der Legislative, denn er verhindert, dass das Parlament durch völkerrechtliche Verpflichtungen, die innerstaatlich ein gesetzgeberisches Tätigwerden verlangen, präjudiziert wird (vgl. Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 59 Rn. 33; Streinz, in: Sachs, GG, 7. Aufl. 2014, Art. 59 Rn. 21).
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(2) Aus Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG folgt zudem, dass völkerrechtlichen Verträgen, soweit sie nicht in den Anwendungsbereich einer anderen, spezielleren Öffnungsklausel - insbesondere Art. 23 bis Art. 25 GG - fallen, innerstaatlich der Rang eines einfachen (Bundes-)Gesetzes zukommt und sie insofern keinen Übergesetzes- oder gar Verfassungsrang besitzen (vgl. BVerfGE 111, 307 <318>).
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Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG bestimmt nicht nur die Methodik, durch die völkervertragliche Regelungen in der nationalen Rechtsordnung wirksam werden, sondern auch den Rang, der dem für anwendbar erklärten Völkervertragsrecht innerhalb der nationalen Rechtsordnung zukommt. Das (einfache) Gesetz kann - ohne eine dahingehende grundgesetzliche Ermächtigung - dem völkervertraglich Vereinbarten keinen höheren Rang verleihen. Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht stets betont, dass der Rechtsanwendungsbefehl im Sinne von Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG einem völkerrechtlichen Vertrag innerhalb der Normenhierarchie keinen Rang über den Gesetzen einräumt (vgl. BVerfGE 19, 342 <347>; 22, 254 <265>; 25, 327 <331>; 35, 311 <320>; 74, 358 <370>; 111, 307 <317>; 128, 326 <367>).
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(3) Aus dem Grundsatz pacta sunt servanda, der seinerseits eine allgemeine Regel des Völkerrechts ist (vgl. Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 25 Rn. 9
; Kempen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 59 Abs. 2 Rn. 92), ergibt sich nichts anderes. Der Grundsatz beschreibt zwar eine besondere (völkerrechtliche) Pflichtenstellung des Staates gegenüber dem jeweiligen Vertragspartner, sagt jedoch nichts über die innerstaatliche Geltung und den Rang völkerrechtlicher Verträge (vgl. Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 25 Rn. 9 ). Er bewirkt insbesondere nicht, dass alle Bestimmungen völkerrechtlicher Verträge zu allgemeinen Regeln des Völkerrechts im Sinne von Art. 25 GG werden (vgl. BVerfGE 31, 145 <178>; vgl. auch BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 22. August 1983 - 2 BvR 1193/83 -, NVwZ 1984, S. 165 <165>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. Oktober 2000 - 1 BvR 1643/95 -, VIZ 2001, S. 114 <114>).
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(4) An diesem Ergebnis vermag § 2 Abs. 1 AO - auch für völkerrechtliche Verträge über die Besteuerung - nichts zu ändern (vgl. Lehner, IStR 2012, S. 389 <400>). Nach dieser Vorschrift gehen zwar Verträge mit anderen Staaten im Sinne des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG über die Besteuerung, soweit sie unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden sind, den Steuergesetzen vor. Da es sich bei § 2 AO um eine einfachgesetzliche Regelung handelt, kann er den von ihm geregelten völkerrechtlichen Verträgen keinen höheren Rang in der Normenhierarchie vermitteln (vgl. Mitschke, DStR 2011, S. 2221 <2226>). Allenfalls könnte er die Subsidiarität der nationalen Steuergesetze gegenüber Doppelbesteuerungsabkommen und anderen völkerrechtlichen Verträgen im Steuerrecht anordnen.
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c) Haben völkerrechtliche Verträge den Rang (einfacher) Bundesgesetze, können sie entsprechend dem lex-posterior-Grundsatz durch spätere, ihnen widersprechende Bundesgesetze verdrängt werden (aa). Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG schließt dies nicht aus (bb). Auch aus der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich nicht, dass eine solche Verdrängung an besondere Voraussetzungen gebunden wäre (cc). Das Völkerrecht steht der innerstaatlichen Wirksamkeit völkerrechtswidriger Rechtsakte nicht entgegen (dd).
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aa) Für ranggleiches innerstaatliches Recht gilt im Fall der Kollision der Grundsatz lex posterior derogat legi priori, es sei denn, die ältere Regelung ist spezieller als die jüngere oder die Geltung des lex-posterior-Grundsatzes wird abbedungen. Sind die Regelungen eines völkerrechtlichen Vertrags in der innerstaatlichen Rechtsordnung wirksam und kommt ihnen dabei der Rang eines (einfachen) Bundesgesetzes zu, so können auch sie durch ein späteres, gegenläufiges Bundesgesetz im Umfang des Widerspruchs außer Kraft gesetzt werden (vgl. Kunig, in: Graf Vitzthum/Proelß, Völkerrecht, 6. Aufl. 2013, 2. Abschnitt, Rn. 118 f.; a.A. Becker, NVwZ 2005, S. 289 <291>).
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bb) Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG schränkt die Geltung deslex-posterior-Grundsatzes für völkerrechtliche Verträge nicht ein. Da der Gesetzgeber einem völkerrechtlichen Vertrag regelmäßig nur insgesamt zustimmen oder nicht zustimmen kann (vgl. BVerfGE 90, 286 <358>), wird zwar mitunter angenommen, dass Zustimmungsgesetz und völkerrechtlicher Vertrag derart untrennbar miteinander verbunden seien, dass das Zustimmungsgesetz - abgesehen von seiner Aufhebung im Ganzen - durch Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG gegen inhaltliche Abänderungen geschützt sei (vgl. Wohlschlegel, FR 1993, S. 48 <49>) oder sich der Gesetzgeber von einem völkerrechtlichen Vertrag nur in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht lösen könne (vgl. Vöneky, in: Isensee/Kirchhof, HStR XI, 3. Aufl. 2013, § 236 Rn. 33).
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Diese Auffassung ist jedoch abzulehnen.
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Sie widerspricht insbesondere dem Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG) und dem Grundsatz der parlamentarischen Diskontinuität. Demokratie ist Herrschaft auf Zeit (vgl. Dreier, in: ders., GG, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 20
Rn. 79). Dies impliziert, dass spätere Gesetzgeber - entsprechend dem durch die Wahl zum Ausdruck gebrachten Willen des Volkes - innerhalb der vom Grundgesetz vorgegebenen Grenzen Rechtsetzungsakte früherer Gesetzgeber revidieren können müssen (vgl. Gurlit, Verwaltungsvertrag und Gesetz, 2000, S. 174; Rust, Die Hinzurechnungsbesteuerung, 2007, S. 108; Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 <847>). Damit wäre es nicht zu vereinbaren, wenn ein Parlament die Gesetzgeber späterer Legislaturperioden binden und in ihren Möglichkeiten beschränken könnte, gesetzgeberische Entscheidungen der Vergangenheit aufzuheben oder zu korrigieren, weil dadurch politische Auffassungen auf Dauer festgeschrieben würden (vgl. Hofmann, DVBl. 2013, S. 215 <219>; Ismer/Baur, IStR 2014, S. 421 <424>; Nettesheim, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 59 Rn. 184 ; Rust, Die Hinzurechnungsbesteuerung, 2007, S. 108; Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 <847>). Das Zustimmungsgesetz gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG soll einem innerstaatlich anwendbaren völkerrechtlichen Vertrag zudem ein hinreichendes demokratisches Legitimationsniveau vermitteln (vgl. Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 59 Rn. 21), nicht dieses absenken. Es soll die Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers schützen (vgl. Kempen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 59 Abs. 2 Rn. 37; Musil, Deutsches Treaty Overriding und seine Vereinbarkeit mit Europäischem Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 65; Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 59 Rn. 33; Streinz, in: Sachs, GG, 7. Aufl. 2014, Art. 59 Rn. 21). Dem widerspräche es, aus Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG eine "Änderungssperre" für die Zukunft ableiten zu wollen (vgl. Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung im Internationalen Steuerrecht, 2009, S. 261).
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Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber im Unterschied zu Exekutive und Judikative gemäß Art. 20 Abs. 3 GG nur an die verfassungsmäßige Ordnung, nicht jedoch an einfachrechtliche Regelungen gebunden ist. Diese soll er - innerhalb der verfassungsrechtlichen Bindungen - durchaus ändern und neu gestalten können. Für ihn sollen daher gerade keine einfachgesetzlichen Bindungen bestehen (vgl. Gurlit, Verwaltungsvertrag und Gesetz, 2000, S. 173). Würde der Gesetzgeber seine Normsetzungsbefugnis in dem Umfang verlieren, in dem er in der Form eines Bundesgesetzes völkerrechtliche Vereinbarungen gebilligt hat, führte dies im Ergebnis zu einer Art. 20 Abs. 3 GG widersprechenden Bindung (vgl. Hofmann, DVBl 2013, S. 215 <219>).
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Auch ist der Gesetzgeber nicht für die Kündigung völkerrechtlicher Verträge zuständig. Bestünde tatsächlich eine entsprechende Selbstbindung nach der Ratifikation eines völkerrechtlichen Vertrags, würde er dauerhaft auf seine Gesetzgebungsbefugnis verzichten (vgl. BVerfGE 68, 1 <83, 85 f.>). Wenn aber das Demokratieprinzip eine dauerhafte Bindung des Gesetzgebers an Rechtsetzungsakte früherer Gesetzgeber verbietet und ihm gleichzeitig die Befugnis fehlt, völkerrechtliche Verträge, mit deren Inhalt er nicht mehr einverstanden ist, zu beenden, muss er zumindest in der Lage sein, innerhalb seines Kompetenzbereichs vom völkerrechtlich Vereinbarten abweichende Gesetze zu erlassen.
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Schließlich hat das Zustimmungsgesetz zu einem völkerrechtlichen Vertrag für die Beteiligten am Rechtsverkehr ebenso wenig wie ein sonstiges innerstaatliches Gesetz eine Garantiefunktion dahingehend, dass kein abweichendes Gesetz erlassen wird (vgl. Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht, 1967, S. 212 ff.; Becker, NVwZ 2005, S. 289 <289>).
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cc) Auch aus der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich nicht, dass völkervertragliche Regelungen nicht durch spätere, ihnen widersprechende (Bundes-)Gesetze verdrängt werden können.
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So hat der Zweite Senat in seiner Entscheidung zur C-Waffen-Stationierung ausgeführt, dass der Verfassung schwerlich unterlegt werden könne, dass sie es der Bundesrepublik Deutschland verwehre, sich völkerrechtswidrig zu verhalten (vgl. BVerfGE 77, 170 <233 f.>; vgl. auch BVerfGE 68, 1 <107>). In der Entscheidung zur Unschuldsvermutung hat er zwar festgestellt, dass Gesetze im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands auszulegen und anzuwenden seien, selbst wenn sie zeitlich später wirksam geworden seien als ein völkerrechtlicher Vertrag, da nicht anzunehmen sei, dass der Gesetzgeber, sofern er dies nicht klar bekundet habe, von völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland abweichen oder die Verletzung solcher Pflichten ermöglichen wolle (vgl. BVerfGE 74, 358 <370>). Daher sei davon auszugehen, dass sich der Gesetzgeber grundsätzlich nicht in Widerspruch zu völkerrechtlichen Pflichten Deutschlands setzen will (vgl. BVerfGE 74, 358 <370>; v. Arnauld, Völkerrecht, 2012, Rn. 515; Payandeh, JöR 57 [2009], S. 465 <488>); er ist dazu jedoch in der Lage (vgl. BVerfGE 6, 309 <362 f.>).
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Entgegen einer teilweise vertretenen Auffassung (vgl. v. Arnauld, Völkerrecht, 2012, Rn. 518; Gosch, IStR 2008, S. 413 <419>; Jarass, in: ders./Pieroth, GG, 13. Aufl. 2014, Art. 25 Rn. 4a; Kempf/Bandl, DB 2007, S. 1377 <1381>; Rauschning, in: Bonner Kommentar, GG, Bd. 9, Art. 59 Rn. 109 ff.
; Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 <848>; Stein, IStR 2006, S. 505 <508 f.>; Vogel, in: ders./Lehner, DBA, 5. Aufl. 2008, Einl. Rn. 205; ders., IStR 2005, S. 29 <30>; Weigell, IStR 2009, S. 636 <639 f.>) hat das Bundesverfassungsgericht auch im Görgülü-Beschluss (BVerfGE 111, 307) nicht entschieden, dass der Gesetzgeber nur zur Wahrung tragender Verfassungsgrundsätze von völkerrechtlichen Vereinbarungen abweichen dürfe. Zwar hat der Senat dort festgehalten, dass es dem Ziel der Völkerrechtsfreundlichkeit nicht widerspreche, wenn der Gesetzgeber Völkervertragsrecht ausnahmsweise nicht beachte, sofern nur auf diese Weise ein Verstoß gegen tragende Grundsätze der Verfassung abzuwenden sei (vgl. BVerfGE 111, 307 <319>). Er hat zudem festgestellt, dass das Zustimmungsgesetz eine Pflicht der zuständigen Stellen zur Berücksichtigung der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Entscheidungen des Gerichtshofs für Menschenrechte begründe und dass diese die entsprechenden Texte und Judikate zur Kenntnis nehmen und in ihren Willensbildungsprozess einfließen lassen müssten (vgl. BVerfGE 111, 307 <324>). Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass die Unvereinbarkeit eines Gesetzes mit einem völkerrechtlichen Vertrag regelmäßig zu dessen Verfassungswidrigkeit führt. Der Görgülü-Beschluss verhält sich zu den Folgen eines Verstoßes des Gesetzgebers gegen Völker(vertrags)recht nicht, sondern betrifft ausschließlich die Rechtsfolgen einer unzureichenden Beachtung von Völkerrecht durch die Fachgerichte (vgl. Hahn, BB 2012, S. 1955 <1958>; Heger, jurisPR-SteuerR 25/2012 Anm. 4 unter C.; Krumm, AöR 138 [2013], S. 363 <381 f.>; Schwenke, FR 2012, S. 443 <447>).
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dd) Das Völkerrecht verbietet die innerstaatliche Wirksamkeit völkerrechtswidriger Rechtsakte grundsätzlich nicht (1); unbeachtlich ist ein Verstoß gegen Völkerrecht gleichwohl nicht (2).
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(1) Das Völkerrecht schließt die innerstaatliche Wirksamkeit völkerrechtswidriger Rechtsakte nicht aus. Allgemeine Regeln des Völkerrechts zur innerstaatlichen Erfüllung von Vertragspflichten existieren nicht (vgl. BVerfGE 73, 339 <375>; vgl. auch BVerfGE 111, 307 <322>; 123, 267 <398>; 126, 286 <302>; 134, 366 <384, Rn. 26>; Doehring, Völkerrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 704; Musil, Deutsches Treaty Overriding und seine Vereinbarkeit mit Europäischem Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 64; Vogel, JZ 1997, S. 161 <165>). Das Völkerrecht überlässt es vielmehr den Staaten, in welcher Weise sie ihrer Pflicht zur Beachtung völkerrechtlicher Regelungen genügen (so in Bezug auf die EMRK jedenfalls BVerfGE 111, 307 <316> m.w.N.; 128, 326 <370>). Zwar fordert es von den Staaten die Erfüllung der zwischen ihnen geschlossenen Verträge nach Treu und Glauben (Art. 26 WVRK). Es schließt allerdings nur aus, dass ein Staat unter Berufung auf innerstaatliches Recht die Verletzung einer völkerrechtlichen Pflicht auf völkerrechtlicher Ebene rechtfertigen kann (Art. 27 Satz 1 WVRK).
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Insoweit überlässt es das Völkerrecht den Staaten, die innerstaatlichen Rechtsfolgen einer Kollision zwischen einem völkerrechtlichen Vertrag und einem Gesetz nach den entsprechenden Rang- und Kollisionsregeln des nationalen Rechts zu regeln und dem nationalen Recht den Vorrang einzuräumen (vgl. Kunig, in: Graf Vitzthum/Proelß, Völkerrecht, 6. Aufl. 2013, 2. Abschnitt, Rn. 30; Nettesheim, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 59 Rn. 183
). Innerstaatliche Regelungen betreffen andere Rechtsverhältnisse als die völkerrechtlichen Vorschriften, zu denen sie im Widerspruch stehen.
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(2) Auch wenn das Völkerrecht die innerstaatliche Wirksamkeit völkerrechtswidriger Rechtsakte nicht ausschließt, ist der damit verbundene Verstoß nicht unbeachtlich. Verletzt ein Staat seine Pflichten aus einem völkerrechtlichen Vertrag, haben der oder die Vertragspartner verschiedene Möglichkeiten, auf den Vertragsbruch zu reagieren. Bei weniger gravierenden Vertragsverletzungen kommen regelmäßig nur ein Recht zur ordentlichen Kündigung (Art. 56 WVRK), ein Anspruch auf Herstellung des vertragsmäßigen Zustands oder - subsidiär - eine Schadensersatzforderung in Betracht (vgl. Art. 34 ff. der ILC, Draft Articles on State Responsibility for Internationally Wrongful Acts [2001] vom 26. Juli 2001
; Doehring, Völkerrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 370 mit Fn. 82, Rn. 371 ff. mit Fn. 86). Bei erheblichen Verletzungen (material breach) kann der andere Teil berechtigt sein, den Vertrag unabhängig von der Vereinbarung eines Kündigungsrechts zu beenden oder ihn zu suspendieren (Art. 60 Abs. 1 WVRK; vgl. Doehring, Völkerrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 371). Eine erhebliche Verletzung liegt gemäß Art. 60 Abs. 3 WVRK bei Verletzung einer für die Erreichung des Vertragsziels oder -zwecks wesentlichen Bestimmung vor (vgl. Art. 2b i.V.m. Art. 12 der ILC Draft Articles on State Responsibility for Internationally Wrongful Acts [2001] vom 26. Juli 2001 ).
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d) Die Verfassungswidrigkeit völkerrechtswidriger Gesetze lässt sich auch nicht unter Rückgriff auf den ungeschriebenen Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes begründen (a.A. Vogel, JZ 1997, S. 161 <165 ff.>; Becker, NVwZ 2005, S. 289 <291>; Richter, in: Giegerich
, Der "offene Verfassungsstaat" des Grundgesetzes nach 60 Jahren, 2010, S. 159 <177 f.>; Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 <846>; Stein, IStR 2006, S. 505 <508 f.>). Der Grundsatz hat zwar Verfassungsrang (aa), beinhaltet jedoch keine verfassungsrechtliche Pflicht zur uneingeschränkten Befolgung aller völkerrechtlichen Normen. Er dient vielmehr vor allem als Auslegungshilfe (bb). Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit kann insbesondere die differenzierten Regelungen des Grundgesetzes über den Rang der unterschiedlichen Quellen des Völkerrechts nicht verdrängen und ihre Systematik nicht unterlaufen (cc).
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aa) Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit hat Verfassungsrang. Er ergibt sich aus einer Zusammenschau der verfassungsrechtlichen Vorschriften, die das Verhältnis Deutschlands zur internationalen Staatengemeinschaft zum Gegenstand haben (vgl. Herdegen, Völkerrecht, 13. Aufl. 2014, § 22 Rn. 9 f.; Payandeh, JöR 57 [2009], S. 465 <470 ff.>). Das Grundgesetz hat die deutsche öffentliche Gewalt auf die internationale Zusammenarbeit (Art. 24 GG) und die europäische Integration (Art. 23 GG) festgelegt. Es hat das Völkerrecht jedenfalls in seinen allgemeinen Regeln besonders hervorgehoben (Art. 25 GG), das Völkervertragsrecht durch Art. 59 Abs. 2 GG in das System der Gewaltenteilung eingeordnet, die Einfügung Deutschlands in Systeme gegenseitiger kollektiver Sicherheit zugelassen (Art. 24 Abs. 2 GG), den Auftrag zur friedlichen Beilegung zwischenstaatlicher Streitigkeiten im Wege der Schiedsgerichtsbarkeit erteilt (Art. 24 Abs. 3 GG) und den Angriffskrieg für verfassungswidrig erklärt (Art. 26 GG) (vgl. BVerfGE 111, 307 <318>). Mit diesen Regelungen zielt es, auch ausweislich der Präambel, darauf, die Bundesrepublik Deutschland als friedliches und gleichberechtigtes Glied in die Völkerrechtsordnung der Staatengemeinschaft einzufügen (vgl. BVerfGE 63, 343 <370>; 111, 307 <318>). Die Bestimmungen enthalten eine Verfassungsentscheidung für eine auf die Achtung und Stärkung des Völkerrechts aufbauende zwischenstaatliche Zusammenarbeit (vgl. BVerfGE 111, 307 <317 f.>; 112, 1 <25>; Mosler, in: Isensee/Kirchhof, HStR VII, 1992, § 175 Rn. 1 ff.; Payandeh, JöR 57 [2009], S. 465 <481>) und verpflichten daher die gesamte öffentliche Gewalt dazu, einem Auseinanderfallen von völkerrechtlicher und innerstaatlicher Rechtslage entgegenzuwirken und im Außenverhältnis eine mit einer Verletzung des Völkerrechts verbundene Haftung Deutschlands zu vermeiden (vgl. BVerfGE 58, 1 <34>; 59, 63 <89>; 109, 13 <23 f.>; 109, 38 <49 f.>; 111, 307 <316, 318, 328>; 112, 1 <25>; 128, 326 <368 f.>).
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Der daraus abgeleitete Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes wird in der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - vor allem im Verhältnis zu Menschenrechtspakten und dabei insbesondere im Verhältnis zur Europäischen Menschenrechtskonvention - hervorgehoben (vgl. BVerfGE 92, 26 <48>; 111, 307 <317 ff.>; 112, 1 <26>; 113, 273 <296>; 123, 267 <344, 347>; 128, 326 <365, 366, 369>; BVerfGK 9, 174 <186, 190, 191, 192>; 17, 390 <397 f.>), ist aber auch schon in der älteren Rechtsprechung des Gerichts nachweisbar (vgl. BVerfGE 6, 309 <362>; 18, 112 <121>; 31, 58 <75>; 41, 88 <120 f.>). Während zunächst vor allem die Grenzen der Völkerrechtsfreundlichkeit thematisiert wurden (vgl. BVerfGE 6, 309 <362 f.>; 18, 112 <121>; 31, 58 <75 f.>; 41, 88 <120 f.>), betont die Rechtsprechung heute, dass das Grundgesetz die Staatsorgane in den Dienst der Durchsetzung des Völkerrechts stellt und dadurch das Risiko der Nichtbefolgung internationalen Rechts mindert (vgl. BVerfGE 109, 38 <50>; 111, 307 <328>; 112, 1 <25>).
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bb) Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes beinhaltet jedoch keine verfassungsrechtliche Pflicht zur uneingeschränkten Befolgung aller völkerrechtlichen Verträge (1-2). Er dient vor allem als Auslegungshilfe für die Grundrechte und die rechtsstaatlichen Grundsätze der Verfassung sowie das einfache Recht (3).
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(1) Das Grundgesetz erstrebt die Einfügung Deutschlands in die Rechtsgemeinschaft friedlicher und freiheitlicher Staaten, verzichtet aber nicht auf die in dem letzten Wort der deutschen Verfassung liegende Souveränität.
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(2) Aus der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes folgt keine verfassungsrechtliche Pflicht zur uneingeschränkten Befolgung jeder Bestimmung des Völkerrechts. Eine solche widerspräche, wie der Zweite Senat im Alteigentümer-Beschluss erläutert hat, dem in den Art. 23 bis Art. 26 GG, in den Art. 1 Abs. 2, Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG und in Art. 59 Abs. 2 GG niedergelegten Konzept des Grundgesetzes und damit den differenzierten Regelungen über den innerstaatlichen Rang völkerrechtlicher Normen (vgl. BVerfGE 112, 1 <25>), aus denen der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit abgeleitet wird und die daher auch bei der näheren Bestimmung seines Inhalts zu beachten sind. Das Grundgesetz hat nicht die uneingeschränkte Unterwerfung der deutschen Rechtsordnung unter die Völkerrechtsordnung und den unbedingten Vorrang von Völkerrecht auch vor dem Verfassungsrecht angeordnet, sondern will die Öffnung der innerstaatlichen Rechtsordnung für das Völkerrecht und die internationale Zusammenarbeit (nur) in den Formen einer kontrollierten Bindung (vgl. BVerfGE 112, 1 <25>), das heißt so, wie sie in den differenzierten Regelungen des Grundgesetzes über das Verhältnis zwischen den beiden Rechtsordnungen vorgesehen ist. Diese beinhalten für die Regelungen völkerrechtlicher Verträge jedoch gerade keine Pflicht zur uneingeschränkten Befolgung.
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(3) Die sich aus der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes ergebende Pflicht, das Völkerrecht zur respektieren, besitzt vielmehr drei Dimensionen: Erstens sind die deutschen Staatsorgane verpflichtet, die die Bundesrepublik Deutschland bindenden Völkerrechtsnormen zu befolgen und Verletzungen nach Möglichkeit zu unterlassen. Zweitens hat der Gesetzgeber für die deutsche Rechtsordnung zu gewährleisten, dass durch eigene Staatsorgane begangene Völkerrechtsverstöße korrigiert werden können. Drittens können die deutschen Staatsorgane - unter hier nicht näher zu bestimmenden Voraussetzungen - auch verpflichtet sein, das Völkerrecht im eigenen Verantwortungsbereich zur Geltung zu bringen, wenn andere Staaten es verletzen (vgl. BVerfGE 112, 1 <26>).
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(4) Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit dient nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ferner als Auslegungshilfe für die Grundrechte und die rechtsstaatlichen Grundsätze der Verfassung sowie das einfache Recht (vgl. zur Europäischen Menschenrechtskonvention und zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als Auslegungshilfe BVerfGE 74, 358 <370>; 83, 119 <128>; 111, 307 <315 f., 317, 324, 325, 329>; 120, 180 <200 f.>; 128, 326 <365, 367 f.>; BVerfGK 3, 4 <8>; 9, 174 <190>; 10, 66 <77>; 10, 234 <239>; 11, 153 <159 ff.>; 20, 234 <247>). Er gebietet, die nationalen Gesetze nach Möglichkeit so auszulegen, dass ein Konflikt mit völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland nicht entsteht (vgl. BVerfGE 74, 358 <370>; 83, 119 <128>; 111, 307 <317 f.>; 120, 180 <200 f.>; 128, 326 <367 f.>; BVerfGK 9, 174 <190>). In der Kammerrechtsprechung ist dies dahingehend konkretisiert worden, dass im Rahmen geltender methodischer Grundsätze von mehreren möglichen Auslegungen eines Gesetzes grundsätzlich eine völkerrechtsfreundliche zu wählen ist (vgl. BVerfGK 10, 116 <123>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 8. Dezember 2014 - 2 BvR 450/11 -, NVwZ 2015, S. 361 <364>; so auch Proelß, in: Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Bd. 1, 2009, S. 553 <556 ff.>).
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Das aus dem Grundgesetz abgeleitete Gebot der völkerrechtsfreundlichen Auslegung gilt jedoch nicht absolut und ungeachtet der methodischen Grenzen der Gesetzesauslegung. Es verlangt keine schematische Parallelisierung der innerstaatlichen Rechtsordnung mit dem Völkerrecht, sondern eine möglichst vollständige Übernahme der materiellen Wertungen - soweit dies methodisch vertretbar und mit den Vorgaben des Grundgesetzes vereinbar ist (vgl. BVerfGE 111, 307 <323, 329>; 128, 326 <366, 371 f.>; BVerfGK 20, 234 <247>; bezogen auf die EMRK vgl. Thym, JZ 2015, S. 53 <54>). Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit entfaltet Wirkung nur im Rahmen des demokratischen und rechtsstaatlichen Systems des Grundgesetzes (vgl. BVerfGE 111, 307 <318, 323, 329>; 128, 326 <366, 371 f.>) und lässt etwa den Grundsatz der demokratischen Selbstbestimmung unangetastet (vgl. BVerfGE 123, 267 <344>). Zwar ist grundsätzlich nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber, sofern er dies nicht klar bekundet hat, von völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland abweichen oder die Verletzung solcher Verpflichtungen ermöglichen will (vgl. BVerfGE 74, 358 <370>; BVerfGK 10, 116 <123>). Eine Auslegung entgegen eindeutig entgegenstehendem Gesetzes- oder Verfassungsrecht ist jedoch methodisch nicht vertretbar (vgl. BVerfGE 111, 307 <329>; vgl. auch Ismer/Baur, IStR 2014, S. 421 <425 f.>).
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cc) Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG kann daher nicht völkerrechtsfreundlich dahingehend ausgelegt werden, dass sich der Gesetzgeber nur in Ausnahmefällen, in denen allein auf diese Weise ein Verstoß gegen tragende Grundsätze der Verfassung abzuwenden ist, über völkervertragliche Bindungen hinwegsetzen dürfte. Eine Auslegung von Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG, wonach völkerrechtlichen Verträgen zumindest im Regelfall ein Rang über den (einfachen) Gesetzen zukäme, ist methodisch nicht vertretbar. Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit kann die Regelungen des Grundgesetzes über den Rang der unterschiedlichen Quellen des Völkerrechts nicht verdrängen (1) und die damit verbundene Systematik nicht unterlaufen (2).
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(1) Das Grundgesetz hat sich in Art. 59 Abs. 2 GG dafür entschieden, völkerrechtliche Verträge innerstaatlich (nur) mit dem Rang eines (einfachen) Bundesgesetzes auszustatten (vgl. BVerfGE 19, 342 <347>; 22, 254 <265>; 25, 327 <331>; 35, 311 <320>; 74, 358 <370>; 111, 307 <317 f.>; 128, 326 <367>; BVerfGK 10, 116 <124>). Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit - der seinerseits keine allgemeine Regel des Völkerrechts im Sinne von Art. 25 GG ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. Oktober 2000 - 1 BvR 1643/95 -, juris, Rn. 11) und unter anderem aus Art. 59 Abs. 2 GG abgeleitet wird - vermag an dieser Einordnung und an der daran anknüpfenden Geltung des lex-posterior-Grundsatzes nichts zu ändern. In diesem Sinne hat der Senat bereits in seiner Entscheidung zum Reichskonkordat festgestellt, dass das Grundgesetz in seiner Völkerrechtsfreundlichkeit nicht so weit gehe, die Einhaltung bestehender völkerrechtlicher Verträge durch eine Bindung des Gesetzgebers an das ihnen entsprechende Recht zu sichern (vgl. BVerfGE 6, 309 <362 f.>). Der aus ihm abgeleitete ungeschriebene Verfassungsgrundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit kann das Grundgesetz konkretisieren oder ergänzen. Er kann das geschriebene Verfassungsrecht jedoch nicht entgegen der in Art. 79 Abs. 1 und Abs. 2 GG vorgesehenen Zuständigkeit und Methodik ändern oder außer Kraft setzen (vgl. Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 20 Abs. 3 Rn. 251).
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(2) Die hier in Rede stehende Auslegung von Art. 59 Abs. 2 GG, die sich auf den Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit beruft, führte im Ergebnis dazu, dass die Unterschiede in der Bindungswirkung der verschiedenen Quellen des Völkerrechts, die durch ihren jeweiligen grundgesetzlich bestimmten Rang bedingt sind, eingeebnet würden und damit die grundgesetzliche Systematik hinsichtlich des Rangs von Völkerrecht unterlaufen würde (vgl. Frau/Trinks, DÖV 2013, S. 228 <231 f.>; Gosch, IStR 2008, S. 413 <419>; Heger, jurisPR-SteuerR 25/2012 Anm. 4 unter C.I.). Dies wird, nimmt man Doppelbesteuerungsabkommen in den Blick, sehr deutlich: Da Doppelbesteuerungsabkommen regelmäßig nicht gegen tragende Grundsätze der Verfassung verstoßen (vgl. Fehrenbacher/Traut, in: Festschrift für Kay Hailbronner, 2013, S. 569 <580>; Kempf/Bandl, DB 2007, S. 1377 <1381>; Stein, IStR 2006, S. 505 <508 f.>; Vogel, IStR 2005, S. 29 <30>), hätten sie de facto - wie die allgemeinen Regeln des Völkerrechts - regelmäßig einen Rang über den Gesetzen. Eine solche Gleichsetzung widerspräche jedoch der in Art. 25 und Art. 59 Abs. 2 GG getroffenen Unterscheidung. Darüber kann sich die Auslegung von Art. 59 Abs. 2 GG nicht hinwegsetzen.
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Die Forderung nach einer völkerrechtskonformen Auslegung von Art. 59 Abs. 2 GG verkennt zudem, dass das Grundgesetz nicht nur zwischen Völkervertragsrecht und allgemeinen Regeln des Völkerrechts unterscheidet, sondern auch zwischen zwingenden, der Disposition des Verfassungsgebers entzogenen Regelungen, insbesondere den unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten (Art. 1 Abs. 2 GG), und sonstigem Völkerrecht (vgl. BVerfGE 111, 307 <329>; 112, 1 <27 f.>; 128, 326 <369>). Daher können die vom Bundesfinanzhof und Teilen des Schrifttums zur Begründung einer grundsätzlichen Bindung des Gesetzgebers an Völkervertragsrecht herangezogenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die sich durchgängig auf grund- und menschenrechtliche Fragestellungen (vgl. BVerfGE 111, 307 <308 ff.>; 112, 1 <13 ff.>; 128, 326 <359 ff.>) beziehen, nicht ohne Weiteres auf die vorliegende Konstellation übertragen werden (zur fehlenden Übertragbarkeit der Entscheidungen aufgrund des unterschiedlichen normativen Gesamtgefüges vgl. Hahn, BB 2012, S. 1955 <1958>; Heger, jurisPR-SteuerR 25/2012 Anm. 4 unter C.; Krumm, AöR 138 [2013], S. 363 <381 f.>; Musil, IStR 2014, S. 192 <194>; Schwenke, FR 2012, S. 443 <447>).
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e) Entgegen einer vor allem in der steuerrechtlichen Literatur vertretenen und vom Bundesfinanzhof nun aufgegriffenen Ansicht (z.B. Frotscher, IStR 2009, S. 593 <599>; Gosch, IStR 2008, S. 413 <419>; Kempf/Bandl, DB 2007, 1377 <1381>; Rust, Die Hinzurechnungsbesteuerung, 2007, S. 105 ff.; Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 <847>; Stein, IStR 2006, S. 505 <509>; Vogel, JZ 1997, S. 161 <165>), ist die einseitige Abkommensüberschreibung (Treaty Override) schließlich nicht wegen eines Verstoßes gegen das Rechtsstaatsprinzip verfassungswidrig.Die Auslegung des grundgesetzlichen Rechtsstaatsgebots muss den Anforderungen einer systematischen Interpretation des Verfassungstextes genügen. Eine (vermeintlich) rechtsstaatliche Auslegung findet jedenfalls an ausdrücklichen Vorgaben des Grundgesetzes und am Demokratieprinzip ihre Grenze (aa). Daher kann aus dem Rechtsstaatsprinzip ein insbesondere den Art. 25 Satz 2, Art. 59 Abs. 2 GG widersprechender (begrenzter) Vorrang des Völkervertragsrechts vor dem (einfachen) Gesetz oder eine Einschränkung des lex-posterior-Grundsatzes nicht abgeleitet werden (bb).
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aa) Das Verfassungsrecht besteht nicht nur aus den einzelnen Sätzen der geschriebenen Verfassung, sondern darüber hinaus aus gewissen sie verbindenden, innerlich zusammenhaltenden allgemeinen Grundsätzen und Leitideen, die der Verfassungsgeber, weil sie das vorverfassungsmäßige Gesamtbild geprägt haben, von dem er ausgegangen ist, nicht in einem besonderen Rechtssatz konkretisiert hat (vgl. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 80 ff., 84 f.; Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, 1997, S. 399 ff.). Zu diesen Grundsätzen gehört das Rechtsstaatsprinzip, das sich aus einer Zusammenschau der Bestimmungen des Art. 20 Abs. 3 GG über die Bindung der einzelnen Gewalten und der Art. 1 Abs. 3, Art. 19 Abs. 4, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG sowie aus der Gesamtkonzeption des Grundgesetzes ergibt (vgl. BVerfGE 2, 380 <403>). Seine vornehmliche Verankerung findet das Rechtsstaatsprinzip allerdings in den in Art. 20 Abs. 3 GG ausgesprochenen Bindungen der Staatsgewalt (vgl. BVerfGE 35, 41 <47>; 39, 128 <143>; 48, 210 <221>; 51, 356 <362>; 56, 110 <128>; 58, 81 <97>; 101, 397 <404>; 108, 186 <234>; 133, 143 <157 f., Rn. 40>; 134, 33 <89, Rn. 129>; stRspr).
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Das Rechtsstaatsprinzip enthält keine bis in alle Einzelheiten gehenden, eindeutig bestimmten Ge- oder Verbote, sondern ist entsprechend den jeweiligen sachlichen Gegebenheiten zu konkretisieren (vgl. BVerfGE 7, 89 <92 f.>; 65, 283 <290>; 111, 54 <82>). Angesichts dieser Weite und Unbestimmtheit des Rechtsstaatsprinzips ist bei der Ableitung konkreter Bindungen mit Behutsamkeit vorzugehen (vgl. BVerfGE 90, 60 <86>; vgl. auch BVerfGE 57, 250 <276>; 65, 283 <290>; 111, 54 <82>). Eine (vermeintlich) rechtsstaatliche Auslegung des Grundgesetzes findet jedenfalls an anderen Vorgaben des Grundgesetzes ihre Grenze. Sie darf der geschriebenen Verfassung nicht widersprechen (vgl. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 85, 87). Das Rechtsstaatsprinzip ist daher auch kein Einfallstor für eine den differenzierten Regelungen des Grundgesetzes zur Bindungswirkung völkerrechtlicher Regelungen widersprechende schematische "Vollstreckung" von Völkerrecht (vgl. bezogen auf die Durchführung von Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte BVerfGE 111, 307
).
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bb) Wollte man die Verfassungswidrigkeit einer Abkommensüberschreibung (Treaty Override) aus ihrer Rechtsstaatswidrigkeit abzuleiten versuchen, liefe dies darauf hinaus, dem Völkervertragsrecht entgegen dem insbesondere Art. 25 Satz 2, Art. 59 Abs. 2 GG zu entnehmenden Konzept des Grundgesetzes zumindest einen begrenzten Vorrang vor dem (einfachen) Gesetz einzuräumen. Ein verfassungsrechtliches Verbot der Abkommensüberschreibung (Treaty Override) würde bedeuten, dass nicht nur das Abkommen selbst, das mitunter erst nach Ablauf mehrerer Jahre (vgl. Art. 30 Abs. 2 Satz 1 DBA-Türkei 1985) und nach der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes gemäß Art. 59 Abs. 1 GG nicht vom Gesetzgeber (vgl. oben Rn. 55) gekündigt werden kann, sondern auch seine Auslegung durch die Fachgerichte korrigierenden Eingriffen des Gesetzgebers entzogen wäre (vgl. BVerfGE 135, 1 <15, Rn. 45>; Ismer/Baur, IStR 2014, S. 421 <424>). Das widerspräche nicht nur der in Art. 25 und Art. 59 Abs. 2 GG zum Ausdruck kommenden Entscheidung gegen eine Unterwerfung der Verfassung unter das Völkerrecht und für den einfachgesetzlichen Rang des Völkervertragsrechts, sondern auch dem Demokratieprinzip.
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Aus dem Urteil des Zweiten Senats zur Verpackungsteuer ergibt sich nichts anderes. Dort ging es um sich widersprechende Regeln des Steuergesetzgebers (Land) und des Sachgesetzgebers (Bund), also um den - vom Senat allerdings nicht erwähnten - Vorrang des Bundesrechts nach Art. 31 GG und die Kohärenz der (einheitlichen) nationalen Rechtsordnung. Auf sie bezieht sich der dort entwickelte Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung (vgl. BVerfGE 98, 106 <118 f.>), der verhindern soll, dass der Bürger einander widersprechenden Normbefehlen unterschiedlicher Gesetzgeber ausgesetzt wird. Demgegenüber geht es bei der Abkommensüberschreibung (Treaty Override) um die Kollision zweier gleichrangiger Normen desselben Gesetzgebers. Derartige Kollisionen sind - wie der Senat in dem Verpackungsteuerbeschluss ausgeführt hat - grundsätzlich "nach dem Rang, der Zeitenfolge und der Spezialität der Regelungen" aufzulösen (BVerfGE 98, 106 <119>).
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2. Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG eine Abkommensüberschreibung (Treaty Override) darstellt. Das Grundgesetz verbietet eine Überschreibung der dort genannten völkervertraglichen Vereinbarungen durch abweichende nationale Regelungen im Regelfall nicht (a). Das verstößt weder gegen die Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes (b) noch gegen das Rechtsstaatsprinzip (c). Auch sonstige Erwägungen stehen ihr nicht entgegen (d).
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a) Das DBA-Türkei 1985 ist ein völkerrechtlicher Vertrag. Da er nicht allgemeine Regeln des Völkerrechts klarstellend wiederholt und die allgemeine Regel des Völkerrechts pacta sunt servanda die einzelnen Normen eines Doppelbesteuerungsabkommens nicht in allgemeine Regeln des Völkerrechts verwandelt, scheidet Art. 25 GG als Maßstab für die verfassungsrechtliche Überprüfung der hier in Rede stehenden Abkommensüberschreibung (Treaty Override) schon tatbestandlich aus.
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Maßstab für die verfassungsrechtliche Prüfung einer Überschreibung des DBA-Türkei 1985 ist allein Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG. Demnach bedürfen Doppelbesteuerungsabkommen wie andere völkerrechtliche Verträge, die sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, für ihre innerstaatliche Wirksamkeit eines ihnen den Anwendungsbefehl innerhalb der innerstaatlichen Rechtsordnung erteilenden Bundesgesetzes. Durch diesen erhalten sie innerstaatlich den Rang eines (einfachen) Bundesgesetzes.
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Da der Gesetzgeber gemäß Art. 20 Abs. 3 Halbsatz 1 GG und in Übereinstimmung mit dem Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG nur an die verfassungsmäßige Ordnung, nicht aber an einfache Gesetze gebunden ist, kann er das Zustimmungsgesetz zu dem DBA-Türkei 1985 ungeachtet der fortbestehenden völkerrechtlichen Verbindlichkeit durch den Erlass von Gesetzen, die dem im Doppelbesteuerungsabkommen Vereinbarten inhaltlich widersprechen, aufheben oder ändern.
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b) Nichts anderes ergibt sich - wie dargelegt - aus dem Verfassungsgrundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit. Dieser ist ein die Verfassungs- und Gesetzesauslegung leitender Grundsatz, verleiht jedoch auch Doppelbesteuerungsabkommen wie dem DBA-Türkei 1985 keinen Rang über dem einfachen Gesetzesrecht und insofern auch keine die Befugnisse des Gesetzgebers beschränkende Bindung.
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c) Auch aus dem Rechtsstaatsprinzip, insbesondere der Einheit der Rechtsordnung, könnte nicht die Verfassungswidrigkeit einer etwaigen Abkommensüberschreibung (Treaty Override) durch § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG abgeleitet werden.
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Eine Abkommensüberschreibung (Treaty Override) führt zu keiner größeren Rechtsunsicherheit, als sie mit den Grundsätzen der lex posterior und der lex specialis allgemein verbunden ist. Im vorliegendem Fall kommt hinzu, dass der Gesetzgeber in § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG seinen Willen zur Abkommensüberschreibung (Treaty Override) eindeutig zum Ausdruck gebracht hat ("ungeachtet des Abkommens"), so dass weder mit Blick auf den Rang noch auf die Zeitfolge noch auf die Spezialität der Regelung Zweifel am Vorrang des § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG vor inhaltlich abweichenden völkerrechtlichen Vereinbarungen in Doppelbesteuerungsabkommen bestehen. Mit § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 15. Dezember 2003 wollte der (Bundes-)Gesetzgeber vielmehr offensichtlich eine gegenüber Zustimmungsgesetzen zu Doppelbesteuerungsabkommen vorrangige Regelung treffen (vgl. Krumm, AöR 138 [2013], S. 363 <390>).
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d) Selbst wenn man davon ausginge, dass es für die Zulässigkeit einer Abkommensüberschreibung (Treaty Override) entscheidend auf die Möglichkeit des Gesetzgebers ankommt, sich im Einklang mit dem Völkerrecht von einem (teilweise) nicht mehr gewollten Vertrag zu lösen, führte dies nicht zur Unzulässigkeit einer Überschreibung. Denn der Gesetzgeber ist unabhängig davon, ob eine Kündigung völkerrechtlich zulässig ist, nach den Regelungen des Grundgesetzes zur Kündigung eines völkerrechtlichen Abkommens nicht befugt (Art. 59 Abs. 1 GG) (vgl. BVerfGE 68, 1 <82>). Die Kündigung eines Doppelbesteuerungsabkommens zum Zweck der Neuverhandlung und vertraglichen Durchsetzung eigener Absichten ist insoweit, verglichen mit einer Abkommensüberschreibung (Treaty Override) und entgegen der Auffassung des Bundesfinanzhofs, kein milderes, aber ebenso geeignetes Mittel, um dem Demokratieprinzip gerecht zu werden, und deshalb auch nicht vorzugswürdig (vgl. Ismer/Baur, IStR 2014, S. 421 <424>).
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Hinzu kommt, dass die Kündigung eines völkerrechtlichen Vertrags auch aus Sicht des Vertragspartners nicht unbedingt ein milderes Mittel ist, sich vom völkerrechtlich Vereinbarten zu lösen, weil das Abkommen infolge der Kündigung regelmäßig insgesamt wegfällt (vgl. Art. 44 WVRK). Dies nähme ihm die völkerrechtlich vorgesehene Möglichkeit, den Inhalt oder zumindest die Auslegung eines Abkommens durch die Praxis seiner Anwendung in Übereinstimmung mit der anderen Vertragspartei in ganz bestimmten Punkten (konkludent) zu ändern (vgl. Art. 31 Abs. 3 Buchstabe b, Art. 39 WVRK).
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Schließlich kann die Kündigung des Doppelbesteuerungsabkommens auch aus Sicht des Steuerpflichtigen nicht als milderes Mittel angesehen werden (vgl. Mitschke, DStR 2011, S. 2221 <2225>). Denn ohne Doppelbesteuerungsabkommen ist er - vorbehaltlich der Anrechnung entsprechend § 34c EStG - der Gefahr einer Doppelbesteuerung ausgesetzt.
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II.
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§ 50d Abs. 8 Satz 1 EStG ist auch mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.
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1. a) Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BVerfGE 98, 365 <385>; 116, 164 <180>; 122, 210 <230>; 130, 240 <252>). Er verbietet ungleiche Belastungen ebenso wie ungleiche Begünstigungen (vgl. BVerfGE 79, 1 <17>; 121, 108 <119>; 121, 317 <370>; 122, 210 <230>; 126, 400 <416>; 130, 240 <252 f.>; 135, 126 <143, Rn. 51>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, NJW 2015, S. 303 <306>; stRspr). Verboten ist daher ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem eine Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen Personenkreis aber vorenthalten wird (vgl. BVerfGE 116, 164 <180>; 121, 108 <119>; 121, 317 <370>; 126, 400 <416>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, NJW 2015, S. 303 <306>). Differenzierungen sind damit nicht ausgeschlossen, bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind (vgl. BVerfGE 124, 199 <220>; 129, 49 <68>; 130, 240 <253>; 132, 179 <188, Rn. 30>; 133, 59 <86, Rn. 72>; 135, 126 <143, Rn. 52>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, NJW 2015, S. 303 <306>). Zwar ist es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselben Rechtsfolgen knüpft und die er so als rechtlich gleich qualifiziert. Diese Auswahl muss er jedoch sachgerecht treffen (vgl. BVerfGE 75, 108 <157>; 107, 218 <244>; 115, 381 <389>). Dabei gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (vgl. BVerfGE 75, 108 <157>; 93, 319 <348 f.>; 107, 27 <46>; 126, 400 <416>; 129, 49 <69>; 132, 179 <188, Rn. 30>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, NJW 2015, S. 303 <306>). Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz unterschiedliche Anforderungen an den die Ungleichbehandlung tragenden Sachgrund, die von auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können (vgl. BVerfGE 88, 5 <12>; 88, 87 <96>; 105, 73 <110>; 110, 274 <291>; 112, 164 <174>; 116, 164 <180>; 117, 1 <30>; 120, 1 <29>; 122, 1 <23>; 122, 210 <230>; 123, 111 <119>; 126, 400 <416>; 127, 224 <244>; 129, 49 <68>; 130, 52 <66>; 130, 240 <254>; 131, 239 <255 f.>; 135, 126 <143 f., Rn. 52>; stRspr).
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Das Willkürverbot ist verletzt, wenn die (un)gleiche Behandlung zweier Sachverhalte mit Gesetzlichkeiten, die in der Natur der Sache selbst liegen, und mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht mehr vereinbar ist, also bezogen auf den jeweils in Rede stehenden Sachbereich und seine Eigenart ein vernünftiger, einleuchtender Grund für die gesetzliche Regelung fehlt (vgl. BVerfGE 76, 256 <329>; 84, 239 <268>; 85, 176 <187>; 90, 145 <196>; 101, 275 <291>; 115, 381 <389>). Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich aus den neben Art. 3 GG betroffenen Freiheitsrechten (vgl. BVerfGE 88, 87 <96>; 111, 176 <184>; 122, 210 <230>; 129, 49 <69>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, NJW 2015, S. 303 <306>) und aus der Ungleichbehandlung von Personengruppen ergeben (vgl. BVerfGE 101, 54 <101>; 103, 310 <319>; 110, 274 <291>; 131, 239 <256>; 133, 377 <407 f., Rn. 75>). Zudem verschärfen sich die Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG, je weniger die Merkmale, an die die gesetzliche Differenzierung anknüpft, für den Einzelnen verfügbar sind (vgl. BVerfGE 88, 87 <96>; 129, 49 <69>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, NJW 2015, S. 303 <306>) oder je mehr sie sich denen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern (vgl. BVerfGE 88, 87 <96>; 124, 199 <220>; 129, 49 <69>; 130, 240 <254>; 132, 179 <188 f., Rn. 31>).
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b) Gleichheitsrechtlicher Ausgangspunkt im Steuerrecht ist der Grundsatz der Lastengleichheit (vgl. BVerfGE 84, 239 <268 ff.>; 122, 210 <231>; vgl. auch BVerfGE 117, 1 <30>; 121, 108 <119 f.>; 127, 1 <28>; 132, 179 <189, Rn. 32>). Die Steuerpflichtigen müssen entsprechend diesem Grundsatz durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleichmäßig belastet werden (vgl. BVerfGE 117, 1 <30>; 121, 108 <120>; 126, 400 <417>). Die grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte tatbestandlich zu bestimmen, an die er dieselben Rechtsfolgen knüpft und so als rechtlich gleich qualifiziert (vgl. BVerfGE 75, 108 <157>; 105, 73 <125 f.>; vgl. auch BVerfGE 117, 1 <30>; 121, 108 <119 f.>; 127, 1 <28>; 132, 179 <189, Rn. 32>), wird, insbesondere für den Bereich des Einkommensteuerrechts (vgl. BVerfGE 82, 60 <86>; 105, 73 <125 f.>; vgl. auch BVerfGE 117, 1 <30>; 121, 108 <119 f.>; 127, 1 <28>; 132, 179 <189, Rn. 32>), daher vor allem durch zwei eng miteinander verbundene Leitlinien begrenzt: durch das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit (vgl. BVerfGE 105, 73 <125>; 107, 27 <46 f.>; 116, 164 <180>; 117, 1 <30>; 122, 210 <231>).
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Danach muss im Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit darauf abgezielt werden, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern (horizontale Steuergerechtigkeit), während (in vertikaler Richtung) die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Steuerbelastung niedriger Einkommen dem Gerechtigkeitsgebot genügen muss (vgl. BVerfGE 82, 60 <89>; 99, 246 <260>; 107, 27 <46 f.>; 116, 164 <180>; 122, 210 <231>; vgl. auch BVerfGE 117, 1 <30>; 121, 108 <119 f.>; 127, 1 <28>; 132, 179 <189, Rn. 32>). Bei der Ausgestaltung des steuerlichen Ausgangstatbestands muss zudem die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umgesetzt werden (vgl. BVerfGE 84, 239 <271>; 93, 121 <136>; 99, 88 <95>; 99, 280 <290>; 101, 132 <138>; 101, 151 <155>; 105, 73 <125 f.>; 122, 210 <231>; vgl. auch BVerfGE 117, 1 <30>; 121, 108 <119 f.>; 127, 1 <28>; 132, 179 <189, Rn. 32>). Demgemäß müssen sich Abweichungen von der mit der Wahl des Steuergegenstandes getroffenen Belastungsentscheidung ihrerseits am Gleichheitssatz messen lassen (Gebot der folgerichtigen Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands; vgl. BVerfGE 117, 1 <30 f.>; 120, 1 <29>; 121, 108 <120>; 126, 400 <417>; 137, 350 <366, Rn. 41>) und bedürfen folglich eines besonderen sachlichen Grundes, der die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen vermag (vgl. BVerfGE 99, 88 <95>; 99, 280 <290>; 105, 73 <125 f.>; 107, 27 <47>; 116, 164 <180 f.>; 117, 1 <31>; 120, 1 <29>; 121, 108 <119 f.>; 122, 210 <231>; 126, 400 <417>; 127, 1 <28>; 132, 179 <189, Rn. 32>; 137, 350 <366, Rn. 41>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, NJW 2015, S. 303 <306>). Der rein fiskalische Zweck staatlicher Einnahmenerhöhung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht als besonderer sachlicher Grund für Ausnahmen von einer folgerichtigen Umsetzung und Konkretisierung steuergesetzlicher Belastungsentscheidungen anzuerkennen (vgl. BVerfGE 116, 164 <182>; 105, 17 <45>; 122, 210 <233>).
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2.§ 50d Abs. 8 EStG enthält zwar eine Ungleichbehandlung (a). Diese weist jedoch nur eine geringe Eingriffsintensität auf (b) und ist durch vernünftige, einleuchtende Gründe gerechtfertigt (c).
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a) Bei der Prüfung der Frage, ob mit § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG eine Ungleichbehandlung verbunden ist, ist davon auszugehen, dass die gesetzgeberische Unterscheidung zwischen beschränkter (§ 1 Abs. 4, § 49 EStG) und unbeschränkter (§ 1 Abs. 1 bis Abs. 3, § 2 EStG) Steuerpflicht als sachgerecht und die damit verbundene unterschiedliche Behandlung der entsprechenden Personengruppen im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG regelmäßig als gerechtfertigt anzusehen ist (vgl. BVerfGE 43, 1 <10>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Februar 2010 - 2 BvR 1178/07 -, NJW 2010, S. 2419 <2420>). Daher bildet die Gruppe der unbeschränkt Steuerpflichtigen ebenso wie die Gruppe der beschränkt Steuerpflichtigen grundsätzlich die maßgebliche Obergruppe, innerhalb derer Ungleichbehandlungen einer Rechtfertigung bedürfen. Innerhalb der Gruppe der unbeschränkt Steuerpflichtigen hat der Gesetzgeber mit der Berücksichtigung einer Doppelbesteuerung bei ausländischen Einkünften, die auf unterschiedlichen Wegen (Anrechnung, Freistellung, Abzug) erfolgen kann (vgl. § 34c EStG), eine eigenständige Untergruppe geschaffen. Differenzierungen innerhalb dieser Untergruppe müssen ihrerseits nach Maßgabe des Gebots der horizontalen und vertikalen Steuergerechtigkeit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG genügen.
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§ 50d Abs. 8 Satz 1 EStG, der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die nach den Regelungen in Doppelbesteuerungsabkommen von der Besteuerung in Deutschland freigestellt sind, für den Fall (doch) der Besteuerung in Deutschland unterwirft, dass der geforderte Nachweis nicht erbracht wird, behandelt unbeschränkt Steuerpflichtige im Hinblick auf die in Doppelbesteuerungsabkommen vorgesehene Freistellung von Einkünften von der deutschen Steuer ungleich. So werden Einkünfte unbeschränkt Steuerpflichtiger aus nichtselbständiger Arbeit, die nach den Regelungen eines Doppelbesteuerungsabkommens von der deutschen Steuer befreit sind, im Fall der Nichterbringung des von § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG geforderten Nachweises genauso behandelt wie Einkünfte unbeschränkt Steuerpflichtiger, die nicht aufgrund von Doppelbesteuerungsabkommen von der deutschen Steuer befreit sind, so dass die mit der Freistellung von der deutschen Steuer verbundene Begünstigung aufgehoben wird, während sie für diejenigen, die den Nachweis erbringen, bestehen bleibt. Darüber hinaus verlangt § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG nur für Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit als zusätzliche Voraussetzung für die in einem Doppelbesteuerungsabkommen vorgesehene Freistellung von der deutschen Steuer einen Nachweis über einen Besteuerungsverzicht des Vertragsstaates beziehungsweise über die Entrichtung der von diesem Staat festgesetzten Steuer. Bei anderen Einkunftsarten, die ebenso wie Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit nach den Regelungen von Doppelbesteuerungsabkommen von der deutschen Steuer freigestellt sein können, so zum Beispiel Unternehmensgewinne (Art. 7 Abs. 1 DBA-Türkei 1985) oder Einkünfte aus selbständiger Arbeit (Art. 14 Abs. 1 DBA-Türkei 1985), wird dagegen kein derartiger Nachweis verlangt.
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b) Die Vereinbarkeit der mit § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG verbundenen Ungleichbehandlung mit Art. 3 Abs. 1 GG setzt einen hinreichend tragfähigen Differenzierungsgrund voraus. Dafür genügt hier ein vernünftiger, einleuchtender Grund im Sinne des Willkürverbots. Anhaltspunkte dafür, dass im vorliegenden Fall eine intensivere gerichtliche Kontrolle stattfinden müsste, sind nicht erkennbar. Insbesondere ist der mit der Nachweisobliegenheit verbundene Eingriff in andere Grundrechte so gering, dass die in der Rechtsprechung anerkannten Fälle einer intensivierten verfassungsgerichtlichen Kontrolle von mit Freiheitseingriffen einhergehenden Ungleichbehandlungen (vgl. BVerfGE 37, 342 <353 f.>; 62, 256 <274 f.>; 79, 212 <218 f.>; 88, 87 <96 ff.>; 98, 365 <385>; 99, 341 <355 f.>; 111, 160 <169 ff.>; 112, 50 <67 ff.>; 116, 243 <259 ff.>) hier nicht Platz greifen.
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c) Die mit § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG verbundene Ungleichbehandlung unbeschränkt Steuerpflichtiger im Hinblick auf die in Doppelbesteuerungsabkommen vorgesehene Freistellung ist durch sachliche Gründe gerechtfertigt.
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Dafür, dass § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG nur für die Freistellung von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, nicht jedoch für die Freistellung von sonstigen, nach den Regelungen in Doppelbesteuerungsabkommen von der deutschen Steuer freigestellten Einkünften eine Nachweisobliegenheit vorsieht, gibt es - ebenso wie für die Nachweisobliegenheit als solche - einen hinreichenden sachlichen Grund. Der Gesetzgeber wollte damit - wie aus der Stellungnahme der Bundesregierung im vorliegenden Verfahren hervorgeht und der Gesetzesbegründung zu entnehmen ist - der im Vergleich zu sonstigen Einkunftsarten erhöhten Gefahr des Missbrauchs der in einem Doppelbesteuerungsabkommen vorgesehenen Freistellung von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit von der deutschen Steuer entgegenwirken.
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Dass die missbräuchliche Ausnutzung von Freistellungsregelungen in Doppelbesteuerungsabkommen bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit aufgrund ihrer im Vergleich zu unternehmerischer Tätigkeit verringerten Wahrnehmbarkeit besonders einfach ist und daher insoweit besonderer Bedarf für eine Gegensteuerung besteht, ist nachvollziehbar. Dies gilt umso mehr als Auslöser für den Erlass von § 50d Abs. 8 EStG die Tätigkeit von Piloten, Seeleuten und Berufskraftfahrern war, bei denen in der Regel nicht erkennbar ist, in welchem Land sie ihre Einkünfte erzielen, und die zudem oftmals zwischen mehreren Ländern unterwegs und behördlich daher nur schwer zu erfassen sind.
Abw. Meinung
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Die Entscheidung der Senatsmehrheit kann ich weder in der Argumentation noch im Ergebnis mittragen. Denn sie lässt dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen freie Hand, sich nach dem lex-posterior-Grundsatz mit einem späteren Gesetz bewusst und gewollt über Bestimmungen in völkerrechtlichen Verträgen (bei denen es sich nicht um Menschenrechtsverträge handelt) hinwegzusetzen.
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I.
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1. Die Senatsmehrheit stützt ihre Auffassung in erster Linie auf das Demokratieprinzip und den Grundsatz der Diskontinuität. Da Demokratie Herrschaft auf Zeit sei, müssten spätere Gesetzgeber innerhalb der vom Grundgesetz vorgegebenen Grenzen Rechtsetzungsakte früherer Gesetzgeber revidieren können. Das Zustimmungsgesetz gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG solle die Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers schützen; dem widerspräche es, aus dieser Norm eine "Änderungssperre" für die Zukunft ableiten zu wollen. Etwas anderes lasse sich weder unter Rückgriff auf den ungeschriebenen Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit noch auf das Rechtsstaatsprinzip begründen. Diese beiden Verfassungsprinzipien könnten nicht dazu herangezogen werden, um die differenzierten Regelungen des Grundgesetzes zur Bindungswirkung völkerrechtlicher Normen zu unterlaufen. Damit bestätigt die Senatsmehrheit im Wesentlichen die Auffassung, die der Zweite Senat bereits in seinem Urteil zum Reichskonkordat aus dem Jahr 1957 (BVerfGE 6, 309 <362 f.>) vertreten hat.
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2. a) Diese Rechtsauffassung halte ich - in einer globalisierten Welt, in der die Staaten durch eine Vielzahl völkerrechtlicher Verträge in einem weiten Spektrum von Regelungsbereichen miteinander verflochten sind - für nicht (mehr) überzeugend. Um den Entwicklungen dieser umfangreichen internationalen Zusammenarbeit auf der Grundlage bi- und multilateraler völkerrechtlicher Verträge und dem in der modernen Völkerrechtsordnung geltenden Grundsatz der "rule of law" (vgl. Kadelbach/Kleinlein, AVR 44 [2006], S. 235 <243 f.>; Wittinger, JöR 57 [2009], S. 427 <444 ff.>; Kotzur, in: Festschrift für Eckart Klein, 2013, S. 797 <797 f., 804 ff.>) Rechnung zu tragen, muss vielmehr zwischen dem Demokratieprinzip einerseits und dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit andererseits ein angemessener Ausgleich hergestellt werden.
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In Anlehnung an die von Robert Alexy verwandte Begrifflichkeit (Alexy, Theorie der Grundrechte, 1986, S. 75 ff.) geht es bei der Abkommensüberschreibung (Treaty Override) nur vordergründig um einen Konflikt zweier Regeln, die einfachen Gesetzesrang haben. Dieser Konflikt wird von der Senatsmehrheit nach der lex-posterior-Regel zugunsten des späteren völkerrechtswidrigen Gesetzes aufgelöst. Jedoch wird der Konflikt einer völkerrechtsdeterminierten lex prior mit einer den völkerrechtlichen Vertrag überschreibenden lex posterior auf der Ebene des Verfassungsrechts nicht durch eine abschließende Regel aufgelöst. Allein der Verweis auf den Rang, der Zustimmungsgesetzen nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG zukommen soll und aus dem ohne Weiteres die uneingeschränkte Anwendung der lex-posterior-Regel abgeleitet wird (kritisch zur Anwendung der lex-posterior-Regel Becker, Kooperative und konsensuale Strukturen in der Normsetzung, 2005, S. 220 ff.; ders., NVwZ 2005, S. 289 <290 f.>; Giegerich, in: Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG, Bd. I, 2. Aufl. 2013, Kap. 2 Rn. 65), vermag nicht zu überzeugen. Ein solcher Lösungsansatz lässt die hinter der Rangfrage stehende Kollision zwischen Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip außer Acht (zum Rekurs auf die Unterscheidung von Regeln und Prinzipien auch im Hinblick auf objektiv-rechtliche Rechtsgüter vgl. Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, 2008, S. 100 f. m.w.N.; Knop, Völker- und Europarechtsfreundlichkeit als Verfassungsgrundsätze, 2013, S. 91 f.).
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b) Hinter den miteinander kollidierenden Gesetzesbestimmungen stehen die genannten Verfassungsprinzipien, die in ein Spannungsverhältnis zueinander geraten. Das Rechtsstaatsprinzip ist - ebenso wie das Demokratieprinzip - ein grundlegendes Strukturprinzip und als solches Teil der verfassungsmäßigen Ordnung, an die auch der Gesetzgeber gemäß Art. 20 Abs. 3 GG gebunden ist. Der Rechtsstaatsbegriff gehört - wie es Ernst-Wolfgang Böckenförde so treffend ausgedrückt hat - "zu jenen vom Wortsinn her vagen und nicht ausdeutbaren Schleusenbegriffen, die sich 'objektiv', aus sich heraus, niemals abschließend definieren lassen, vielmehr offen sind für das Einströmen sich wandelnder staats- und verfassungstheoretischer Vorstellungen und damit auch für verschiedenartige Konkretisierungen, …" (Böckenförde, in: Festschrift für Adolf Arndt, 1969, S. 53 <53>). Der Inhalt des Rechtsstaatsprinzips bedarf mithin der Konkretisierung in Bezug auf den jeweils zu entscheidenden Sachverhalt (vgl. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 259 ff.), wobei es für neuere Entwicklungen offen ist. Damit kann, ja muss das Rechtsstaatsprinzip bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung des Treaty Override in dem offenen Verfassungsstaat des Grundgesetzes (Vogel, Die Verfassungsentscheidung des Grundgesetzes für eine internationale Zusammenarbeit, 1964, S. 33, 35 f.; ders., JZ 1997, S. 161 <162 f.>; Hobe, Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz, 1998, S. 137 ff., 380 ff.; Schorkopf, Grundgesetz und Überstaatlichkeit, 2007, S. 134 ff., 220 ff.; Sommermann, in: v. Bogdandy/Cruz Villalón/Huber: Handbuch Ius Publicum Europaeum, Bd. II, 2008, § 14) unter Beachtung des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit konkretisiert werden (Becker, Kooperative und konsensuale Strukturen in der Normsetzung, 2005, S. 222; ders., NVwZ 2005, S. 289 <291>; Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 <847>; die völkerrechtskonforme Auslegung des Rechtsstaatsprinzips ebenfalls bejahend Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 20 Abs. 3 Rn. 254; Giegerich, in: Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG, Bd. I, 2. Aufl. 2013, Kap. 2 Rn. 62 f.; Hofmann, DVBl 2013, S. 215 <219>). Aus dem letztgenannten Grundsatz hat der Zweite Senat in der Alteigentümer-Entscheidung aus dem Jahr 2004 die Pflicht hergeleitet, das Völkerrecht zu respektieren. Diese habe drei Elemente: Erstens seien die deutschen Staatsorgane verpflichtet, die die Bundesrepublik Deutschland bindenden Völkerrechtsnormen zu befolgen und Verletzungen nach Möglichkeit zu unterlassen. Zweitens habe der Gesetzgeber für die deutsche Rechtsordnung zu gewährleisten, dass durch eigene Staatsorgane begangene Völkerrechtsverstöße korrigiert werden könnten. Und drittens könnten die deutschen Staatsorgane verpflichtet sein, das Völkerrecht im eigenen Verantwortungsbereich zur Geltung zu bringen, wenn andere Staaten es verletzten (vgl. BVerfGE 112, 1 <26>).
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c) Legt man das Rechtsstaatsprinzip, dessen Kernbestandteil die Rechtstreue beziehungsweise die Einhaltung rechtlicher Bindungen ist (zur Bindung aller staatlichen Gewalt an die Verfassung: Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 20 Abs. 3 Rn. 248 ff.; Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 Abs. 3 Rn. 17 ff. [Dezember 2007]), im Lichte dieser Aussagen aus, so ergibt sich auch für den Gesetzgeber grundsätzlich die Verpflichtung, die von ihm durch das Zustimmungsgesetz legitimierte Bindung an völkerrechtliche Verträge zu respektieren und sich von diesen nicht bewusst - und damit treuwidrig - einseitig zu lösen. Klaus Vogel hat denn auch in seiner Münchener Abschiedsvorlesung 1996 plastisch von einem "Wortbruch" gesprochen, zu dem der Gesetzgeber nicht legitimiert sei (vgl. Vogel, JZ 1997, S. 161 <167>; ähnlich Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 <847>, wo es heißt: "Der Wortbruch ist keine Verhaltensoption des Verfassungsstaats; …"). Streitet mithin das völkerrechtsfreundlich ausgelegte Rechtsstaatsprinzip für eine vollständige Bindung auch späterer Gesetzgeber an den völkerrechtlichen Vertrag in der Form des Zustimmungsgesetzes, so ist allerdings zu berücksichtigen, dass dadurch deren durch das Demokratieprinzip gewährleistete Entscheidungsfreiheit vollständig eingeschränkt würde. Die Berufung auf das Rechtsstaatsprinzip führte nämlich dazu, dass dem Zustimmungsgesetz faktisch die Wirkung einer "Änderungssperre" für spätere Gesetzgeber zukäme. Das Rechtsstaatsprinzip, das für eine vollständige Bindung, und das Demokratieprinzip, das für eine völlige Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers spricht, werden zu gegenläufigen Sollensgeboten. Diese zwischen den beiden Prinzipien bestehende Konfliktlage muss zu einem möglichst schonenden Ausgleich gebracht werden, bei dem das Ziel kein "Alles oder nichts", sondern ein "Sowohl als auch" ist (vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1986, S. 75 ff.).
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3. Die Entscheidung der Senatsmehrheit gibt dem Demokratieprinzip - unter Hintanstellung des Rechtsstaatsprinzips in seiner Auslegung nach dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit - uneingeschränkt den Vorzug. Im Ergebnis ist der spätere Gesetzgeber frei, bewusst von den Bestimmungen eines völkerrechtlichen Vertrags - ungeachtet des damit verbundenen Völkerrechtsbruchs - abzuweichen. Besonderer Voraussetzungen oder einer Rechtfertigung bedarf es hierfür nicht. Demgegenüber verlangt der hier vertretene Ansatz die Auflösung des Spannungsverhältnisses zwischen Rechtsstaats- und Demokratieprinzip in einer Weise, die beiden Prinzipien möglichst weitreichende Wirkung belässt.
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a) Als Kriterien, die bei der Abwägung heranzuziehen sind, kommen insbesondere die folgenden in Betracht: das mit dem späteren Gesetzverfolgte Regelungsziel und dessen Bedeutung für das Gemeinwohl, die Auswirkungen auf die Rechtsstellung der durch die völkerrechtliche Regelung begünstigten Individuen, die Dringlichkeit der abweichenden Regelung, die Möglichkeit des Rückgriffs auf zumutbare völkerrechtsgemäße Mittel zur Beendigung der völkerrechtlichen Bindung, wie etwa Abgabe einer interpretativen Erklärung, Kündigung oder Modifizierung des Vertrags, und die bei einem Völkerrechtsbruch im Raume stehenden Rechtsfolgen.
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b) Überwiegt das Gewicht der Kriterien, die für eine einseitige Abkehr von dem konkret in Rede stehenden völkerrechtlichen Vertrag sprechen, nicht das Gewicht derjenigen Gesichtspunkte, die gegen eine Abkommensüberschreibung streiten, so muss dem im Lichte der Völkerrechtsfreundlichkeit ausgelegten Rechtsstaatsprinzip der Vorrang vor dem Demokratieprinzip zukommen. Eine solche Abwägung muss in jedem Einzelfall getroffen werden, um Rechtsstaats- und Demokratieprinzip zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen (vgl. Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 <847 ff.>; Richter, Völkerrechtsfreundlichkeit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - Die unfreundliche Erlaubnis zum Bruch völkerrechtlicher Verträge, in: Giegerich, Der "offene Verfassungsstaat" des Grundgesetzes nach 60 Jahren, 2010, S. 159 <177 f.>; im Ergebnis wohl auch Knop, Völker- und Europarechtsfreundlichkeit als Verfassungsgrundsätze, 2013, S. 242 f.; weitgehender Becker, Kooperative und konsensuale Strukturen in der Normsetzung, 2005, S. 222; ders., NVwZ 2005, S. 289 <290 f.>).
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c) Diesem Lösungsansatz kann nicht entgegengehalten werden, dass er eine verfassungsrechtliche Pflicht zur uneingeschränkten Befolgung aller Normen des Völkerrechts begründe (aa) oder die differenzierten Regelungen des Grundgesetzes über den Rang der unterschiedlichen Quellen des Völkerrechts verdränge oder ihre Systematik unterlaufe (bb).
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aa) Die vorgeschlagene Lösung führt weder zu einer uneingeschränkten Unterwerfung der deutschen Rechtsordnung unter die Völkerrechtsordnung noch zu einem unbedingten Vorrang des Völkerrechts auch vor dem Verfassungsrecht. Vielmehr bleibt es bei einer kontrollierten Bindung, und sie lässt Raum dafür, "die letzte Verantwortung für die Achtung der Würde des Menschen und die Beachtung der Grundrechte durch die deutsche öffentliche Gewalt [nicht] aus der Hand zu geben" (BVerfGE 112, 1<25 f.> unter Verweis auf BVerfGE 111, 307 <328 f.>). Der (spätere) Gesetzgeber wird allerdings verpflichtet, vor einer bewussten Abweichung von einem völkerrechtlichen Vertrag sorgfältig die einzelnen oben aufgeführten Aspekte gegeneinander abzuwägen und insbesondere zu prüfen, ob eine völkerrechtsgemäße Lösung von der völkerrechtlichen Bindung innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens möglich ist. Ist dies der Fall, so muss zunächst der Versuch unternommen werden, im Einklang mit dem Völkerrecht zu handeln. Richtig ist zwar, dass das Parlament selbst einen völkerrechtlichen Vertrag nicht kündigen oder suspendieren kann. Es hat jedoch die Möglichkeit, seinen politischen Willen kundzutun und die Regierung zu entsprechenden Schritten im Außenverhältnis aufzufordern. Erst wenn diese sich weigert oder keine entsprechenden Aktivitäten entfaltet oder wenn im konkreten Fall keine Möglichkeit besteht, sich in angemessener Zeit mit völkerrechtsgemäßen Mitteln von dem Vertrag zu lösen, kann der Gesetzgeber einseitig von dem Vertragsinhalt abweichen. Das Bundesverfassungsgericht überprüft Abwägungsvorgang und -ergebnis, wobei dem Gesetzgeber - wie sonst auch - ein Einschätzungsspielraum zugebilligt wird (vgl. BVerfGE 7, 377 <403>; 50, 290 <332 ff.>; 77, 170 <171>; 102, 197 <218>; 110, 177 <194>; 129, 124 <182 f.>; stRspr).
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bb) Die in Art. 25 und Art. 59 Abs. 2 GG zum Ausdruck kommende Systematik wird nicht unterlaufen, weil die vorgeschlagene Lösung nicht zu einer generellen"Sperrwirkung" führt. Der Gesetzgeber behält die aus dem Demokratieprinzip folgende Kompetenz, völkerrechtliche Verträge zu überschreiben; aus dem im Lichte der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes ausgelegten Rechtsstaatsprinzipergeben sich allerdings Einschränkungen in Bezug auf ihre Ausübung. Durch diese Einschränkungen wird sichergestellt, dass, wie es der Zweite Senat im Alteigentümer-Beschluss formuliert hat, die deutschen Staatsorgane - und dazu gehört auch der Gesetzgeber - die die Bundesrepublik Deutschland bindenden Völkerrechtsnormen befolgen und Verletzungen nach Möglichkeit unterlassen (vgl. BVerfGE 112, 1 <26>). Nur so kommt dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit, dessen wichtigste Funktion es ist, möglichst einen Gleichlauf zwischen den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland und ihrer innerstaatlichen Rechtsordnung herzustellen oder aufrechtzuerhalten und damit Konflikte zu vermeiden (vgl. zur Funktion des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit als Konfliktvermeidungsregel Payandeh, JöR 57 [2009] S. 465 <481>; Knop, Völker- und Europarechtsfreundlichkeit als Verfassungsgrundsätze, 2013, S. 201 ff. <238>), im Verhältnis zum Demokratieprinzip hinreichende Beachtung zu.
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II.
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Nach diesen Maßstäben wäre § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG 2002 in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 15. Dezember 2003 (Steueränderungsgesetz 2003, BGBl I S. 2645) nicht mit dem Grundgesetz vereinbar.
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1. Das vorlegende Gericht hat ausführlich dargelegt, dass die in § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG n.F. enthaltene Regelung von den Bestimmungen des Abkommens vom 16. April 1985 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (BGBl II 1989 S. 867 [im Folgenden: DBA-Türkei 1985]) abweicht. Insbesondere verstößt sie dadurch, dass die Freistellung der Auslandseinkünfte eines Arbeitnehmers von dem Nachweis der tatsächlichen Entrichtung der Steuer an den anderen Vertragsstaat oder dessen Besteuerungsverzicht abhängig gemacht wird, gegen die in Art. 23 Abs. 1 Buchstabe a Satz 1 in Verbindung mit Art. 15 Abs. 1 DBA-Türkei 1985 vereinbarte Freistellungsmethode auf der Grundlage der so genannten virtuellen Doppelbesteuerung im Ausland(hier in der Türkei). Diese Rechtsauffassung ist sorgfältig begründet und gut vertretbar, so dass sie der verfassungsrechtlichen Prüfung zugrunde gelegt werden kann.
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Die von dem Inhalt des DBA-Türkei 1985 abweichende Regelung ist überdies nicht durch einen dem Abkommen innewohnenden ungeschriebenen Missbrauchsvorbehalt gedeckt. Das Bestehen derartiger Vorbehalte ist generell umstritten (vgl. nur die Darstellung bei Frau/Trinks, DÖV 2013, S. 228 <229 f.>). Gegen einen solchen Vorbehalt im konkreten Fall spricht insbesondere, dass die Bundesrepublik Deutschland - anders als in dem Protokoll zum DBA-Türkei 1985 - in dem Protokoll zum Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen vom 19. September 2011 (BGBl II 2012 S. 527 [im Folgenden: DBA-Türkei 2011]) ausdrücklich eine Vereinbarung zur Anwendbarkeit innerstaatlicher Missbrauchsvorschriften getroffen hat (vgl. Ziffer 10 des Protokolls zum DBA-Türkei 2011, BTDrucks 17/8841 S. 29, und die Erläuterung in der Denkschrift, S. 34). Ein derartiges Vorgehen wäre beim Vorliegen eines allgemeinen ungeschriebenen Vorbehalts entbehrlich gewesen.
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Es ist mithin von einer völkerrechtswidrigen Abkommensüberschreibung auszugehen.
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2. Bei der Abwägung der für und gegen diese mit dem DBA Türkei 1985 nicht vereinbare Gesetzesbestimmung sind die oben genannten Kriterien (siehe unter Punkt I.3.a) heranzuziehen.
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a) Laut Gesetzesbegründung verfolgt der Gesetzgeber mit der Regelung in § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG n.F. das Ziel, zu verhindern, "dass die Einkünfte nicht besteuert werden, weil der Steuerpflichtige die Einkünfte im Tätigkeitsstaat pflichtwidrig nicht erklärt und dieser Staat deshalb häufig seinen Steueranspruch nicht mehr durchsetzen kann, wenn er von dem Sachverhalt erfährt, …" (BTDrucks 15/1562 S. 39 f.). Damit geht es dem Gesetzgeber bei der Nachweispflicht, wie auch der Bundesfinanzhof festgestellt hat, in erster Linie um die Herstellung von "Steuerehrlichkeit". Jedenfalls in den Fällen, in denen der andere Vertragsstaat nicht vollständig auf sein Besteuerungsrecht verzichtet hat, soll zudem die so genannte Keinmalbesteuerung verhindert werden. Hierbei handelt es sich um legitime Ziele von erheblicher Bedeutung für das Gemeinwohl, weil verhindert werden soll, dass Steuerpflichtige, die ihre Einkünfte im Tätigkeitsstaat nicht erklären, im Vergleich zu "steuerehrlichen" Steuerpflichtigen von ihrem pflichtwidrigen Verhalten profitieren. An dieser Bewertung ändert sich auch nichts, wenn man - wie das vorlegende Gericht - davon ausgeht, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 50d Abs. 8 EStG n.F. eher von fiskalischen Überlegungen geleitet gewesen sein dürfte (BFH, Beschluss vom 10. Januar 2012 - I R 66/09 -, juris, Rn. 27).
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b) Die Auswirkungen auf die Rechtsstellung der durch die völkerrechtliche Regelung begünstigten Personen können, je nach den konkreten Umständen, sehr unterschiedlich ausfallen. Zu bedenken ist dabei allerdings, dass die im DBA-Türkei 1985 ohne Rückfallklausel vereinbarte Freistellungsmethode auf der Grundlage der virtuellen Doppelbesteuerung in erster Linie im Interesse der beiden Vertragsstaaten liegt, die nicht auf die Regelungslage und Besteuerungspraxis des jeweils anderen Staates oder deren Kenntnis angewiesen sein sollen (BFH, Beschluss vom 10. Januar 2012 - I R 66/09 -, juris, Rn. 28). Demgegenüber liegt es nicht in der Absicht der Vertragsstaaten, dem von der Freistellung betroffenen Steuerpflichtigen eine Rechtsposition zu verschaffen, die es ihm ermöglicht, in keinem der beiden Staaten Steuern zu entrichten, auch wenn sich die völkerrechtliche Vereinbarung so auswirken kann. Damit stellt sich die mit einer "Keinmalbesteuerung" der im anderen Vertragsstaat erzielten Einkünfte verbundene finanzielle Begünstigung des Steuerpflichtigen eher als begünstigender Rechtsreflex dar, der bei der Abwägung nicht erheblich ins Gewicht fällt.
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c) Nach dem DBA-Türkei 1985 standen mit dem Völkerrecht vereinbare Mittel zur Verfügung, um sich von dem Vertrag zu lösen. Gemäß Art. 30 Abs. 2 Satz 1 DBA Türkei 1985 kann jeder Vertragsstaat vom 1. Januar des dritten Jahres an, welches auf das Jahr der Ratifikation des Abkommens folgt, jeweils während der ersten sechs Monate eines Kalenderjahres das Abkommen kündigen. Es besteht also nach Ablauf von rund drei Jahren nach Inkrafttreten des Vertrags ein Kündigungsrecht, das jeweils in den ersten sechs Monaten des Jahres, in dem gekündigt werden soll, ausgeübt werden muss. Besonderer Gründe für die Kündigung bedarf es nicht.Damit hätte die Bundesrepublik Deutschland das DBA-Türkei 1985 bereits im Jahr 2003, als das Steueränderungsgesetz beraten wurde, oder im ersten Halbjahr 2004 kündigen und ein neues, verbessertes Abkommen aushandeln können. Dass dieser Weg grundsätzlich gangbar war, zeigt sich, wie auch das vorlegende Gericht hervorhebt, daran, dass das Abkommen von deutscher Seite am 27. Juli 2009 mit Wirkung zum 31. Dezember 2010 gekündigt worden ist. Das daraufhin neu verhandelte Doppelbesteuerungsabkommen vom 19. September 2011, welches das DBA-Türkei 1985 mit Wirkung vom 1. Januar 2011 ersetzt, sieht nach wie vor die Freistellungsmethode vor (vgl. Art. 22 Abs. 2Buchstabe a), enthält aber insbesondere in Art. 22 Abs. 2 Buchstabe e eine so genannte Umschwenk- oder Rückfallklausel, die es der Bundesrepublik Deutschland ermöglicht, von der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode zu wechseln. Zweck dieser Klausel ist es, dass es zu keinem deutschen Steuerverzicht kommt, wenn Einkünfte in keinem der beiden Vertragsstaaten besteuert werden (BTDrucks 17/8841 S. 33). Zudem ist, wie bereits erwähnt, im Protokoll zum DBA-Türkei 2011 ausdrücklich eine Klausel zur Anwendbarkeit innerstaatlicher Missbrauchsvorschriften vereinbart worden.
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d) Für eine besondere Dringlichkeit der Regelung in § 50d Abs. 8 EStG n.F., etwa zur Abwehr erheblicher Nachteile für den deutschen Fiskus, ist nichts ersichtlich. Die zeitliche Verzögerung, die mit der Ergreifung völkerrechtsgemäßer Handlungsoptionen zur Beendigung der völkerrechtlichen Bindung an das DBA-Türkei 1985 verbunden gewesen wäre, fällt daher nicht ins Gewicht.
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e) Schließlich müssen die möglichen Rechtsfolgen eines Völkerrechtsbruchs in die Abwägung einfließen. Bei einem erheblichen Vertragsbruch (material breach) kann der damit konfrontierte andere Staat nicht nur seinerseits den Vertrag kündigen oder suspendieren (vgl. Art. 60, 65 ff. des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge, BGBl II 1985 S. 927). Vielmehr kann er in jedem Fall - unabhängig von der Schwere der Rechtsverletzung - die Beendigung des völkerrechtswidrigen Verhaltens und - im Wege der Naturalrestitution - die Wiederherstellung eines vertragsgemäßen Zustands einfordern (vgl. Art. 30, 34 und 35 der ILC Draft Articles on State Responsibility for Internationally Wrongful Acts [2001] vom 26. Juli 2001
[im Folgenden: ILC-Entwurf]). Daraus ergibt sich zuvörderst die völkerrechtliche Verpflichtung Deutschlands, seine innerstaatliche Rechtslage mit dem Inhalt des betroffenen Vertrags (wieder) in Einklang zu bringen. Erst wenn dies tatsächlich unmöglich ist, kann der verletzte Staat - subsidiär - Schadensersatz in Geld verlangen (vgl. Art. 36 Abs. 1 des ILC-Entwurfs).
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Selbst wenn der verletzte Staat, wie in diesem Fall, keine konkreten Schritte zur Durchsetzung seines Anspruchs auf Wiedergutmachung einleitet, steht bei jedem bewusst herbeigeführten Vertragsbruch die Verlässlichkeit Deutschlands als Partner im internationalen Rechtsverkehr auf dem Spiel. Genauso wie Deutschland von seinen Vertragspartnern auf europäischer und internationaler Ebene Vertrags- beziehungsweise Rechtstreue erwartet, muss es bereit sein, seinerseits seine vertraglichen Pflichten einzuhalten und die vertragliche Bindung nicht einseitig durch ein späteres entgegenstehendes Gesetz "abzuschütteln".
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f) Wägt man die genannten Kriterien gegeneinander ab, so überwiegen die Gesichtspunkte, die gegen die Abkommensüberschreibung sprechen. Der Gesetzgeber verfolgt mit dem Erlass der Regelung in § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG n.F. zwar einen legitimen, für das Gemeinwohl auch erheblichen Zweck, indem er die Steuerpflichtigen durch die Nachweispflicht zu mehr "Steuerehrlichkeit" anhalten will. Zudem sind die Auswirkungen auf die Rechtsstellung der von der Anwendung des Abkommens begünstigten Steuerpflichtigen von geringem Gewicht. Für die Neuregelung bestand allerdings keine besondere Dringlichkeit, die es erfordert hätte, das abweichende Gesetz ohne vorherige Aufforderung der Bundesregierung, auf völkerrechtsgemäße Mittelzurückzugreifen, zu erlassen. Nach dem DBA-Türkei 1985 bestand auch die Möglichkeit, das Abkommen ohne weitere Begründung zeitnah zu kündigen. Hätte man eine Kündigung wegen der weitreichenden Folgewirkungen vermeiden wollen, so hätte die Bundesregierung - auf Aufforderung durch den Bundestag oder von sich aus - zumindest versuchen können, sich mit der Türkei auf eine nachträgliche Auslegung der einschlägigen Vertragsbestimmungen zu verständigen, der zufolge die Anwendung der Freistellungsmethode von einer Nachweispflicht abhängig gemacht werden darf. Schließlich schlägt der mit der Abkommensüberschreibung zum Ausdruck gebrachte Wille des Gesetzgebers, sich trotz Vorhandenseins völkerrechtsgemäßer Mittel einseitig vom DBA-Türkei 1985 zu lösen und damit bewusst und ohne Not über die völkerrechtliche Bindung hinwegzusetzen, wegen der damit verbundenen Signalwirkung negativ zu Buche.
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III.
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In der Folge wäre § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG 2002 in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 15. Dezember 2003 (Steueränderungsgesetz 2003, BGBl I S. 2645) verfassungswidrig und nichtig (§ 82 Abs. 1 i.V.m. § 78 BVerfGG).
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IV.
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Nach meiner Auffassung wäre es an der Zeit gewesen, den "Mentalitätenwandel", den Klaus Vogel für das Grundgesetz in Bezug auf die Öffnung des deutschen Staates für die internationale Zusammenarbeit und die Einbindung Deutschlands in die internationale Gemeinschaft im Vergleich zu früheren deutschen Verfassungen festgestellt hat (vgl. Vogel, JZ 1997, S. 161 <163>), auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu völkerrechtswidrigen späteren Gesetzen zu vollziehen. Zu meinem Bedauern hat sich die Senatsmehrheit hierzu nicht entschließen können.
Tenor
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Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 16. August 2012 wird zurückgewiesen.
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Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
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Der Kläger, eine bundesweit tätige, nach § 3 UmwRG anerkannte Umweltvereinigung, begehrt die Änderung des Luftreinhalteplans für D.
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Für den Ballungsraum des Rhein-Main-Gebietes besteht seit 2005 ein Luftreinhalteplan. Der Teilplan D. wurde im Februar 2011 fortgeschrieben. Im Luftreinhalteplan ist eine Reihe von lokalen Maßnahmen vorgesehen, mit denen die Schadstoffkonzentrationen für Feinstaub und Stickoxide (NOx) im Stadtgebiet von D. bis zum Zieljahr 2015 reduziert werden sollen. Die im Luftreinhalteplan aus dem Jahr 2005 enthaltenen Maßnahmen sollen aufrechterhalten bleiben. Dazu gehören insbesondere Durchfahrtsverbote für Lkw. Der Luftreinhalteplan geht davon aus, dass im Jahr 2015 die Immissionsgrenzwerte für Feinstaub an allen Straßenzügen in D. sicher eingehalten werden können, während dies für Stickstoffdioxid (NO2) nicht gilt. Nach der Prognose sollen allein aufgrund der fortschreitenden Euronormen für den Schadstoffausstoß bei Kraftfahrzeugen die Immissionen für NOx um 22,1 % und der direkte NO2-Ausstoß um knapp 9 % verringert werden. Aufgrund der Maßnahmen der Stadt D. zur Reduzierung des Verkehrsaufkommens wird ein weiterer Rückgang der Luftschadstoffimmissionen bei Stickoxiden um 11,6 % erwartet. Die Prognose kommt zum Ergebnis, dass bis zum Jahr 2015 die Immissionsgrenzwerte für NO2 zumindest an den drei am höchsten belasteten Straßenzügen in D. zwar nicht eingehalten werden, aber doch deutlich reduziert werden können.
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Nachdem der Kläger beim Beklagten mit Schreiben vom 10. Januar 2012 eine Änderung des Luftreinhalteplans beantragt und zur Begründung darauf hingewiesen hatte, dass eine Umweltzone trotz der nicht garantierten Einhaltung des Grenzwerts bis zum Jahr 2015 nicht in Betracht gezogen worden sei, erhob er am 14. Februar 2012 Klage zum Verwaltungsgericht.
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Mit Urteil vom 16. August 2012 hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben und den Beklagten verpflichtet, den für D. geltenden Luftreinhalteplan so zu ändern, dass dieser die erforderlichen Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung des über ein Kalenderjahr gemittelten Immissionsgrenzwerts für NO2 in Höhe von 40 µg/cbm im Stadtgebiet D. enthält. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Das als allgemeine Leistungsklage erhobene Begehren sei als altruistische Verbandsklage zulässig. Dies folge aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 8. März 2011 im Verfahren C-240/09, wonach ein Gericht das nationale Verfahrensrecht so auslegen müsse, dass es einer nach § 3 UmwRG anerkannten Umweltschutzvereinigung ermöglicht werde, eine Entscheidung, die möglicherweise im Widerspruch zum Umweltrecht der Europäischen Union stehe, vor einem Gericht anzufechten. Es sei unbeachtlich, dass diese Klagebefugnis im nationalen Verfahrensrecht (noch) nicht ausdrücklich vorgesehen sei. Die Klage sei auch begründet. Der Beklagte sei nach § 47 Abs. 1 BImSchG und § 27 Abs. 2 der 39. BImSchV verpflichtet, im Rahmen des Luftreinhalteplans für D. alle geeigneten und verhältnismäßigen Maßnahmen zu ergreifen, um den Zeitraum der Überschreitung des einzuhaltenden Grenzwerts für NO2 so kurz wie möglich zu halten. Dem Beklagten stehe hinsichtlich des "Ob" der Aufstellung des Luftreinhalteplans Ermessen nicht zu, sondern nur hinsichtlich des "Wie" der Umsetzung der normativen Vorgaben. Er sei verpflichtet, einen Luftreinhalteplan mit dem Ziel der Einhaltung des Grenzwerts im Rahmen des tatsächlich Möglichen und rechtlich Verhältnismäßigen aufzustellen. Diesen Anforderungen werde der Luftreinhalteplan nicht gerecht, denn auch bei Durchführung aller darin vorgesehenen Maßnahmen würden die Grenzwerte für NO2 nicht eingehalten oder unterschritten. Angesichts der zwingenden, dem Gesundheitsschutz dienenden Grenzwerte müsste dies nur hingenommen werden, wenn alle geeigneten und verhältnismäßigen Maßnahmen zur Verminderung der Stickstoffdioxidkonzentration in D. ausgeschöpft seien. Das sei schon deshalb nicht der Fall, weil eine Umweltzone, die zwischenzeitlich als durchaus gut geeignete Maßnahme anerkannt werde, nicht in den Luftreinhalteplan aufgenommen worden sei. Angesichts des Schutzguts der Grenzwerte für NO2 sei die Einführung einer Umweltzone ungeachtet möglicher finanzieller Belastungen von Bevölkerung und Wirtschaft auch nicht unverhältnismäßig. Ein Rechtsanspruch auf Festsetzung konkreter Maßnahmen bestehe bei der Luftreinhalteplanung zwar nicht. Der planerische Gestaltungsspielraum sei jedoch begrenzt durch die normativen Zielvorgaben; diesen werde nicht genügt, wenn sich aufdrängende Maßnahmen trotz fortdauernder Überschreitung des Grenzwerts nicht in den Plan aufgenommen würden.
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Mit seiner vom Verwaltungsgericht zugelassenen und mit Zustimmung des Klägers eingelegten Sprungrevision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter und trägt zur Begründung vor: Die Klage sei unzulässig. Dem Kläger fehle die Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO, die auch für die allgemeine Leistungsklage erforderlich sei. Aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 8. März 2011, das nicht überzeugen könne und eine andere Fallgestaltung betreffe, ergebe sich nichts anderes (siehe auch Schink, DÖV 2012, 622). Aus Art. 9 Abs. 3 der Aarhus-Konvention (AK) sei eine Verbandsklage, gerichtet auf Einhaltung des europäischen Umweltrechts, nicht abzuleiten. Art. 9 Abs. 3 AK habe, anders als Art. 9 Abs. 2 AK, im Unionsrecht keine unmittelbare Wirkung. Jedenfalls fehle es an der in der EuGH-Entscheidung vorausgesetzten interpretationsfähigen Vorschrift des nationalen Rechts. Auch führe es hier nicht weiter, durchsetzbare individuelle Rechte, die das Unionsrecht gewähre, als subjektive Rechte im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO anzusehen. Denn Art. 9 Abs. 3 AK räume gerade keine vollzugsfähigen Rechte ein. Des Weiteren werde Art. 9 Abs. 3 AK durch die EU-Luftreinhalterichtlinie nicht umgesetzt. Darin sei in Art. 26 Abs. 1 lediglich die Unterrichtung der Öffentlichkeit vorgesehen; Mitwirkungsrechte von Verbänden, die - wenn überhaupt - Ansatzpunkt für eine Verbandsklage sein könnten, würden demgegenüber nicht normiert.
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Der Klageantrag sei unbestimmt, nicht vollstreckungsfähig und deshalb unzulässig.
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Die Klage sei auch nicht begründet. Dem Kläger stehe ein Anspruch auf Änderung des Luftreinhalteplans nicht zu. Der Beklagte sei zwar verpflichtet gewesen, einen Luftreinhalteplan mit dem Ziel aufzustellen, eine Verminderung der Überschreitung des Immissionsgrenzwerts für NO2 schrittweise zu bewirken und den Zeitraum der Nichteinhaltung so kurz wie möglich zu halten. Dieser Verpflichtung sei der Beklagte aber bereits nachgekommen.
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Das Verwaltungsgericht gewähre letztlich einen verkappten Anspruch auf Einführung einer Umweltzone, da weitere Maßnahmen nicht ersichtlich seien. Einzelne Maßnahmen der Luftreinhalteplanung könnten aber wegen des planerischen Gestaltungsspielraums des Beklagten nicht eingeklagt werden. Der Beklagte werde zu einer Luftreinhalteplanung verurteilt, die den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht wahre. Eine Umweltzone sei in D. wegen der Ausgestaltung der Plakettenregelung der 35. BImSchV keine geeignete Maßnahme zur Reduzierung der Grenzwertüberschreitung für Stickoxide; insoweit habe das Verwaltungsgericht den Vortrag des Beklagten nicht beachtet und gegen den Untersuchungsgrundsatz verstoßen. Die Auswertung von Umweltzonen in anderen Städten belege deren Geeignetheit zur NO2-Reduktion nicht. Die Einrichtung einer Umweltzone sei auch nicht erforderlich, weil der Anteil des Lkw-Durchgangsverkehrs aufgrund des bevorstehenden Abschlusses von Straßenbauarbeiten sich deutlich reduzieren werde. Schließlich sei die Einführung einer Umweltzone auch unverhältnismäßig im engeren Sinne.
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Der Beklagte beantragt,
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1. unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 16. August 2012 die Klage abzuweisen,
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2. hilfsweise, das Verfahren auszusetzen und eine Vorabentscheidung des EuGH gemäß Art. 267 AEUV zu folgenden Rechtsfragen einzuholen:
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a) Ist Art. 9 Abs. 3 der Aarhus-Konvention unter Berücksichtigung des Urteils des EuGH vom 8. März 2011 - C-240/09 - so zu interpretieren, dass eine nationale Rechtsvorschrift, die die Zulässigkeit einer Klage davon abhängig macht, dass der Kläger in seinen Rechten verletzt ist, so auszulegen, dass sie es einer Umweltschutzvereinigung, die die Förderung und Einhaltung des Umweltrechts der Europäischen Union zu ihrem Satzungszweck erklärt hat, ermöglicht, eine Entscheidung, die im Widerspruch zum Umweltrecht der Union steht, vor einem Gericht anzufechten?
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b) Gibt Art. 23 Abs. 1 der Luftqualitätsrichtlinie (RL 2008/50/EG vom 21. Mai 2008, ABl EG Nr. L 152 vom 11. Juni 2011, S. 1) Umweltverbänden einen Anspruch auf Einhaltung der Grenzwerte des Anhangs XI B und XIV D dieser Richtlinie für NO2?
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c) Gibt Art. 23 der Luftqualitätsrichtlinie Umweltverbänden einen Rechtsanspruch auf Erlass eines Luftreinhalteplans, der bewirkt, dass die Grenzwerte der Luftqualitätsrichtlinie für NO2 schnellstmöglich eingehalten werden?
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Der Kläger beantragt,
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die Revision zurückzuweisen,
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hilfsweise,
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das Verfahren auszusetzen und die Vorabentscheidung des EuGH zu folgenden Rechtsfragen einzuholen:
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1. Ist Art. 9 Abs. 3 des Aarhus-Übereinkommens unter Berücksichtigung des Urteils des Gerichtshofs vom 8. März 2011 - C-240/09 - so auszulegen,
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dass die Vorschrift einer nationalen Rechtsprechung entgegensteht, die - soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist - die Zulässigkeit einer Klage davon abhängig macht, dass der Kläger geltend macht, durch die Unterlassung des staatlichen Handelns in seinen Rechten verletzt zu sein,
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wenn Gegenstand des Rechtsstreits die Klage einer nach nationalem Recht anerkannten Umweltschutzvereinigung ist, die die Aufstellung eines der Richtlinie 2008/50/EG vom 21. Mai 2008 entsprechenden Luftqualitätsplans begehrt?
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2. Ist Art. 23 der Richtlinie 2008/50/EG vom 21. Mai 2008 so zu interpretieren, dass Umweltschutzvereinigungen einen Rechtsanspruch auf Erlass eines Luftqualitätsplans geltend machen können, der Maßnahmen zum Inhalt hat, mit denen die Grenzwerte der Luftqualitätsrichtlinie für Stickstoffdioxid schnellstmöglich eingehalten werden?
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Er verteidigt das angefochtene Urteil und führt insbesondere vertiefend aus, dass er in unionsrechtskonformer Auslegung der § 42 Abs. 2 VwGO, § 47 Abs. 1 BImSchG i.V.m. Art. 9 Abs. 3 AK klagebefugt sei (siehe auch Klinger, NVwZ 2013, 850; EurUP 2013, 95).
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Der Vertreter des Bundesinteresses betont zur Frage der Ableitung einer Klagebefugnis aus Art. 9 Abs. 3 AK den Freiraum, den die Aarhus-Konvention den Vertragsstaaten einräume. Dieses Verständnis von Art. 9 Abs. 3 AK sei jedoch umstritten. Eine Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs ins deutsche Verwaltungsprozessrecht sei nicht möglich. Die in § 42 Abs. 2 VwGO vorgesehene Öffnung für andere gesetzliche Regelungen sei hier nicht einschlägig. Allerdings könne der Kreis rügefähiger subjektiv-öffentlicher Rechte in Auslegung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs weiter gezogen werden. Der Vertreter des Bundesinteresses regt eine Vorlage zum Europäischen Gerichtshof an. Er verteidigt die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Begründetheit der Klage.
Entscheidungsgründe
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Die nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht und mit Zustimmung des Klägers erhobene Sprungrevision ist zulässig, aber nicht begründet und deshalb zurückzuweisen (§ 144 Abs. 2 VwGO). Das Urteil des Verwaltungsgerichts verletzt zwar insoweit revisibles Recht, als es die Klagebefugnis des Klägers mit unzutreffenden Erwägungen bejaht (1.); die Entscheidung stellt sich insoweit aber aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO; 2.). Im Übrigen steht die Entscheidung mit Bundesrecht in Einklang (3.).
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1. a) Die Überprüfung der Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Klagebefugnis des Klägers ist dem Senat nicht durch § 134 Abs. 4 VwGO verwehrt. Danach kann die Sprungrevision nicht auf Mängel des Verfahrens gestützt werden. Zwar handelt es sich bei § 42 Abs. 2 VwGO um eine Vorschrift des Prozessrechts. Bei der Prüfung der Klagebefugnis geht es jedoch nicht um die von § 134 Abs. 4 VwGO ausgeschlossene Kontrolle des Verfahrens der Vorinstanz. Die Beurteilung der Klagebefugnis verlangt vielmehr eine von § 134 Abs. 4 VwGO nicht erfasste Bewertung materiell-rechtlicher Vorfragen (vgl. Urteile vom 10. Oktober 2002 - BVerwG 6 C 8.01 - BVerwGE 117, 93 <95> = Buchholz 442.066 § 30 TKG Nr. 1 S. 2, vom 12. März 1998 - BVerwG 4 C 3.97 - Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 149 sowie vom 26. April 2006 - BVerwG 6 C 19.05 - juris Rn. 11
§ 113 hwo nr. 6 nicht abgedruckt>; Pietzner, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 134 Rn. 77).
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b) Das Verwaltungsgericht geht davon aus, dass für den im Wege der allgemeinen Leistungsklage geltend gemachten Anspruch auf Ergänzung des Luftreinhalteplans das Erfordernis der Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO entsprechende Anwendung findet. Eigene Rechte mache der Kläger zwar nicht geltend. Vor dem Hintergrund der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 8. März 2011 in der Rechtssache C-240/09, Lesoochranárske zoskupenie VLK ("slowakischer Braunbär" - Slg. 2011, I-1255), die eine rechtsschutzfreundliche Auslegung des nationalen Verfahrensrechts fordere, sei der Kläger gleichwohl klagebefugt, auch wenn diese Klagebefugnis im nationalen Verfahrensrecht (noch) nicht ausdrücklich vorgesehen sei.
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Aus diesen knappen Ausführungen, die ausdrücklich auf den vom Europäischen Gerichtshof erteilten Auslegungsauftrag verweisen, geht mit hinreichender Deutlichkeit hervor, dass das Verwaltungsgericht die Klagebefugnis des Klägers nicht unabhängig vom nationalen Recht unmittelbar aus unionsrechtlichen Vorgaben entnehmen will. Wenn das Verwaltungsgericht Unionsrecht heranzieht, um ungeachtet der verneinten Betroffenheit in eigenen Rechten eine Klagebefugnis im Sinne einer altruistischen Verbandsklage zu bejahen, die sich im nationalen Verfahrensrecht noch nicht finde, bezieht sich das auf die in § 42 Abs. 2 Halbs. 1 VwGO normierte Öffnungsklausel, die unter Beachtung des Unionsrechts ausgefüllt werden soll.
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Diese Rechtsauffassung verletzt revisibles Recht.
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aa) Das Verwaltungsgericht ist allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass der geltend gemachte Anspruch auf Erlass eines Luftreinhalteplans, der seiner Rechtsnatur nach einer Verwaltungsvorschrift ähnlich ist (Beschlüsse vom 29. März 2007 - BVerwG 7 C 9.06 - BVerwGE 128, 278 = Buchholz 451.91 Europ UmweltR Nr. 27 Rn. 27 und vom 11. Juli 2012 - BVerwG 3 B 78.11 - Buchholz 442.151 § 45 StVO Nr. 49 Rn. 10; Jarass, BImSchG, 9. Aufl. 2012, § 47 Rn. 47), im Wege der allgemeinen Leistungsklage zu verfolgen ist. Im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung (zuletzt etwa Urteil vom 15. Juni 2011 - BVerwG 9 C 4.10 - BVerwGE 140, 34 = Buchholz 11 Art. 28 GG Nr. 161) hat das Verwaltungsgericht die in § 42 Abs. 2 VwGO normierte Sachurteilsvoraussetzung der Klagebefugnis entsprechend auch auf die allgemeine Leistungsklage angewendet. An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Denn in § 42 Abs. 2 VwGO kommt ein allgemeines Strukturprinzip des Verwaltungsrechtsschutzes zum Ausdruck. Vor dem Hintergrund von Art. 19 Abs. 4 GG ist er, wenn auch nicht ausschließlich (siehe § 42 Abs. 2 Halbs. 1 VwGO), so doch in erster Linie, auf den Individualrechtsschutz ausgerichtet (vgl. etwa Urteil vom 29. April 1993 - BVerwG 7 A 3.92 - BVerwGE 92, 263 <264> = Buchholz 310 § 42 VwGO Nr. 196 S. 46). Wollte man die allgemeine Leistungsklage - im Gegensatz zur Verpflichtungsklage als einer besonderen Leistungsklage - von dieser Grundentscheidung ausnehmen, käme es zu Wertungswidersprüchen, die in der Sache nicht gerechtfertigt werden könnten. Das im Verfahren aufgeworfene Sachproblem der Zulässigkeit einer Verbandsklage ist demnach ungeachtet der Rechtsnatur des erstrebten behördlichen Handelns und folglich der prozessualen Einordnung des Rechtsschutzbegehrens zu bewältigen.
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bb) Bei der Prüfung, ob dem Kläger die Möglichkeit einer Verbandsklage eröffnet ist, hat das Verwaltungsgericht sich zu Recht an der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs orientiert.
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Im Urteil vom 8. März 2011 hat sich der Europäische Gerichtshof zu den Rechtswirkungen des Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens vom 25. Juni 1998 über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (Aarhus-Übereinkommen
; Gesetz vom 9. Dezember 2006, BGBl II S. 1251) verhalten. Die Aarhus-Konvention ist nicht nur von allen Mitgliedstaaten der EU, sondern auch von der EU selbst ratifiziert worden (Beschluss des Rates vom 17. Februar 2005, ABl EU Nr. L 124 S. 1). Als sogenanntes gemischtes Abkommen ist sie Teil des Unionsrechts und als solcher war sie Gegenstand der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 8. März 2011 im Verfahren Rs. C-240/09.
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Der Europäische Gerichtshof hat zunächst festgestellt, dass die EU und damit der Gerichtshof jedenfalls dann für die Umsetzung und Auslegung von Art. 9 Abs. 3 AK zuständig sind, wenn es um Fragen der Beteiligung und des Rechtsschutzes in Verfahren geht, die inhaltlich die Durchsetzung des EU-Umweltrechts zum Gegenstand haben. Sodann hat er ausgeführt, dass Art. 9 Abs. 3 AK wegen des darin enthaltenen Ausgestaltungsvorbehalts derzeit keine unmittelbare Wirkung zukommt. Die nationalen Gerichte sind aber gleichwohl verpflichtet, ihr nationales Verwaltungsverfahrensrecht und Verwaltungsprozessrecht soweit wie möglich im Einklang sowohl mit den Zielen von Art. 9 Abs. 3 AK als auch mit dem Ziel eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes für die durch das Unionsrecht verliehenen Rechte auszulegen, um es einer Umweltschutzvereinigung zu ermöglichen, eine Entscheidung, die am Ende eines Verwaltungsverfahrens ergangen ist, das möglicherweise in Widerspruch zum Umweltrecht der Union steht, vor einem Gericht anzufechten.
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(1) Die nationalen Gerichte sind gehalten, die Entscheidung als Teil des Unionsrechts bei ihren rechtlichen Erwägungen zu beachten (vgl. Karpenstein, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, AEUV Art. 267 Rn. 104). Die Kritik, der sich die Argumentation des Urteils ausgesetzt sieht, ändert daran nichts. Denn die Grenzen zum "ausbrechenden Rechtsakt", etwa wegen eines vermeintlichen Verstoßes gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 1 EUV, dessen Annahme im Übrigen die Pflicht zur "Remonstration" in Gestalt eines neuerlichen Vorabentscheidungsverfahrens nach sich zöge (BVerfG, Beschluss vom 6. Juli 2010 - 2 BvR 2661/06 - BVerfGE 126, 286 <303 f.>), sind ersichtlich nicht überschritten (vgl. Berkemann, DVBl 2013, 1137 <1143 f.>).
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(2) Die vom Europäischen Gerichtshof aufgestellte Auslegungsleitlinie erfasst auch die vorliegende Fallkonstellation. Die Luftreinhalteplanung nach § 47 Abs. 1 BImSchG (i.d.F. des Achten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes vom 31. Juli 2010, BGBl I S. 1059) dient der Umsetzung der Richtlinie 2008/50/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über Luftqualität und saubere Luft für Europa (ABl EU Nr. L 152 S. 1). Entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten kommt es allein darauf an.
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Das zutreffende Verständnis einer im Vorabentscheidungsverfahren ergangenen Entscheidung (Auslegungsurteil) erschließt sich zwar vor dem Hintergrund des Streitgegenstands des Ausgangsverfahrens. Darin ging es um die verfahrensrechtliche Stellung der klagenden Vereinigung. Den Urteilsgründen ist indessen nichts zu entnehmen, was darauf schließen lassen könnte, dass sich die Verpflichtung der nationalen Gerichte, Auslegungsspielräume zugunsten von Klagerechten der Umweltverbände zu nutzen, allein auf Verfahrensrecht bezieht und lediglich bereits eingeräumte Mitwirkungsrechte prozessual verstärkt werden sollen (so auch Berkemann, a.a.O. S. 1145; Schlacke, ZUR 2011, 312 <315>).
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cc) Der Europäische Gerichtshof gibt den Gerichten auf, nach Maßgabe interpretationsfähiger Vorschriften des nationalen Rechts auch Umweltverbänden einen möglichst weiten Zugang zu den Gerichten zu ermöglichen, um so die Durchsetzung des Umweltrechts der Union zu gewährleisten. Zu Unrecht geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass diesem Anliegen über die Vorschrift des § 42 Abs. 2 Halbs. 1 VwGO Rechnung getragen werden kann.
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Diese Regelungsalternative erlaubt Ausnahmen vom Erfordernis der Geltendmachung einer Verletzung in eigenen Rechten. Sie ist jedoch als solche keine im Sinne der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs interpretationsfähige Norm, sondern lediglich eine Vorbehalts- bzw. Öffnungsklausel, die durch eine Entscheidung des zuständigen Normgebers umgesetzt werden muss. § 42 Abs. 2 Halbs. 1 VwGO selbst ist allerdings der Auslegung zugänglich, dass neben Bestimmungen des Bundes- und des Landesrechts auch Vorschriften des Unionsrechts als andere gesetzliche Regelung eigenständige, von materiellen Berechtigungen losgelöste Klagerechte vermitteln können. Erst auf der Grundlage einer solchen normativen Entscheidung stellt sich die Frage nach unionsrechtlich dirigierten Auslegungsspielräumen.
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Eine die Vorbehalts- bzw. Öffnungsklausel ausfüllende Norm, die es vor dem Hintergrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs erweiternd auslegt, benennt das Verwaltungsgericht nicht. Eine einer solchen Auslegung zugängliche Vorschrift ist auch nicht vorhanden.
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Eine besondere Klagebefugnis im Sinne von § 42 Abs. 2 Halbs. 1 VwGO, mit der eine objektive Rechtskontrolle ermöglicht wird, ist im nationalen Recht nur in eng begrenzten Bereichen normiert worden. Die vorhandenen, der Durchsetzung umweltrechtlicher Belange dienenden Bestimmungen sind nicht einschlägig.
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(1) Der Anwendungsbereich der naturschutzrechtlichen Verbandsklage nach § 64 Abs. 1 BNatSchG ist nicht eröffnet. Gleiches gilt für § 1 UmwRG. Die einschränkenden tatbestandlichen Voraussetzungen von Absatz 1, der vermittelt über Art. 10a der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl Nr. L 175 S. 40) i.d.F. der Richtlinie 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten (ABl EU Nr. L 156 S. 17) auch der Umsetzung von Art. 9 Abs. 2 i.V.m. Art. 6 AK dient (vgl. BTDrucks 16/2497 S. 42), sind nicht gegeben.
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(2) Der Anwendungsbereich des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes kann nicht im Wege der Analogie auf Art. 9 Abs. 3 AK erstreckt werden (so auch Schlacke, a.a.O. S. 316; unklar Kahl, JZ 2012, 667 <673>). Denn es fehlt an einer planwidrigen Regelungslücke.
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Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz dient, wie sich bereits aus seiner amtlichen Bezeichnung (Gesetz über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG) sowie der amtlichen Anmerkung zur Umsetzung unionsrechtlicher Vorschriften ergibt, der Umsetzung von Art. 9 Abs. 2 AK. Demgegenüber hat der Gesetzgeber ausweislich der Denkschrift zur Ratifizierung der Aarhus-Konvention hinsichtlich der Verpflichtungen aus Art. 9 Abs. 3 AK keinen Änderungsbedarf im innerstaatlichen Recht gesehen (BTDrucks 16/2497 S. 42, 46). Insoweit hat sich das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz im Zeitpunkt seiner Verabschiedung als seinen Anwendungsbereich abschließend umschreibende Regelung verstanden. Daran hat sich auch mittlerweile nichts geändert. Ungeachtet der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 8. März 2011 hat der Gesetzgeber an der ausdrücklichen Beschränkung des Anwendungsbereichs auch im Gesetz zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer umweltrechtlicher Vorschriften vom 21. Januar 2013 (BGBl I S. 95) festgehalten. Darin werden lediglich die durch die Entscheidung des Gerichtshofs vom 12. Mai 2011 (Rs. C-115/09, Trianel - Slg. 2011, I-3673) geforderten Änderungen mit dem Ziel einer "lückenlosen 1:1-Umsetzung" von Art. 10a UVP-RL sowie von Art. 9 Abs. 2 AK eingefügt (BTDrucks 17/10957 S. 11); eine Ausdehnung auf die von Art. 9 Abs. 3 AK erfassten Sachverhalte wird damit ausgeschlossen.
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Eine planwidrige Regelungslücke kann auch nicht deswegen angenommen werden, weil vieles dafür spricht, dass die vom Gesetzgeber bei der Ratifizierung der Aarhus-Konvention vertretene Rechtsansicht zur fehlenden Notwendigkeit der Anpassung des innerstaatlichen Rechts unzutreffend ist. Sie steht mit dem sich auf internationaler Ebene herausbildenden Verständnis der Vertragspflichten nicht in Einklang.
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Mit dem Compliance Committee haben die Vertragsparteien auf der Grundlage von Art. 15 AK ein Gremium errichtet, das über die Einhaltung des Abkommens wachen soll, ohne jedoch ein förmliches Streitschlichtungsverfahren nach Art. 16 AK zu präjudizieren (siehe zur Arbeitsweise des Compliance Committee The Aarhus Convention: An Implementation Guide, Second Edition, 2013, S. 234 ff.). Durch dessen Spruchpraxis soll das Abkommen für alle Vertragsparteien klare Konturen erhalten. Auch wenn sich das Compliance Committee mit Empfehlungen begnügt, kommt den darin geäußerten Rechtsansichten gleichwohl bedeutendes Gewicht zu; das folgt nicht zuletzt daraus, dass bislang alle Feststellungen des Compliance Committee über die Konventionswidrigkeit der Rechtslage in einem Vertragsstaat in den Zusammenkünften der Vertragparteien (Art. 10 AK) gebilligt worden sind (siehe Implementation Guide, S. 238).
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Nach einer gefestigten Spruchpraxis zu Art. 9 Abs. 3 AK stellt sich die den Vertragsparteien nach dem Wortlaut der Bestimmung zugebilligte Gestaltungsfreiheit geringer dar, als insbesondere von Deutschland angenommen. In einer ganzen Reihe von Empfehlungen hat das Compliance Committee sein Verständnis der sogenannten dritten Säule der Aarhus-Konvention über den Zugang zu Gerichten nach Art. 9 Abs. 3 AK dargelegt (grundlegend ACCC/C/2005/11
vom 16. Juni 2006, Rn. 35 ff.; ACCC/C/2006/18 vom März 2008 Rn. 29 ff.; ACCC/C/2008/32 Part I vom 14. April 2011, Rn. 77 ff.; ACCC/C/2010/48 <Österreich> vom 16. Dezember 2011, Rn. 68 ff.; dazu auch Implementation Guide, S. 197 ff., 207 f.) . Dabei betont es zwar - auch im Anschluss an die während der Zusammenkunft der Vertragsparteien vom 25. bis 27. Mai 2005 angenommene Entscheidung II/2, die in Rn. 14 bis 16 ein ersichtlich rechtsschutzfreundliches Verständnis des Art. 9 Abs. 3 AK anmahnt (ECE/MP.PP/2005/2/Add.3 vom 8. Juni 2005) - zunächst die Ausgestaltungsfreiheit des nationalen Gesetzgebers und die Erforderlichkeit einer Gesamtbetrachtung des normativen Umfelds. Die folgenden Ausführungen lassen aber keinen Zweifel daran, dass nach Auffassung des Compliance Committee den Umweltverbänden grundsätzlich eine Möglichkeit eingeräumt werden muss, die Anwendung des Umweltrechts gerichtlich überprüfen zu lassen. Die Vertragsparteien müssen zwar kein System der Popularklage einführen, so dass jedermann jegliche umweltbezogene Handlung anfechten kann. Die Formulierung "sofern sie etwaige in ihrem innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen" kann aber nach Auffassung des Compliance Committee die Einführung oder Beibehaltung solcher strikter Kriterien nicht rechtfertigen, die im Ergebnis alle oder fast alle Umweltverbände an der Anfechtung von Handlungen hindern, die im Widerspruch zum nationalen Umweltrecht stehen. Die Formulierung deutet nach Ansicht des Compliance Committee vielmehr auf die Selbstbeschränkung der Vertragsparteien, keine zu strengen Kriterien aufzustellen. Für den Zugang zu dem Überprüfungsverfahren soll eine Vermutung sprechen; er darf nicht die Ausnahme sein. Als Kriterien kommen die Betroffenheit oder ein Interesse in Betracht. Ausdrücklich als nicht ausreichend hat es das Compliance Committee im Verfahren gegen Österreich angesehen, dass im Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 2 AK eine Verbandsklage vorgesehen ist (ACCC/C/2010/48 Rn. 71 ff.).
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Wenn danach das "Ob" einer umweltrechtlichen Verbandsklage durch das Abkommen entschieden ist, behalten die Vertragsstaaten gleichwohl einen Ausgestaltungsspielraum hinsichtlich des "Wie". Die hiernach ausstehende Umsetzung einer völkervertragsrechtlichen Verpflichtung durch den nationalen Gesetzgeber steht einer planwidrigen Regelungslücke nicht gleich.
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Eine Auslegung contra legem - im Sinne einer methodisch unzulässigen richterlichen Rechtsfindung - fordert das Unionsrecht nicht (vgl. EuGH, Urteile vom 4. Juli 2006 - Rs. C-212/04, Adeneler - Slg. 2006, I-6057 Rn. 110 und vom 16. Juni 2005 - Rs. C-105/03, Pupino - Slg. 2005, I-5285 Rn. 44, 47). Zu Unrecht beruft sich der Kläger auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 26. November 2008 - VIII ZR 200/05 - (BGHZ 179, 27). Eine Pflicht zur richtlinienkonformen Rechtsfortbildung im Wege teleologischer Reduktion oder Extension einer Vorschrift des nationalen Rechts setzt jedenfalls eine hinreichend bestimmte, nämlich klare, genaue und unbedingte, im Grundsatz unmittelbar anwendbare unionsrechtliche Vorschrift voraus, an der es hier nach Scheitern des Vorschlags der Kommission für eine Richtlinie über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten vom 24. Oktober 2003 - KOM(2003) 624 - endgültig mangels unionsrechtlicher Umsetzung von Art. 9 Abs. 3 AK (noch) fehlt.
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(3) Hieraus ergibt sich zugleich, dass auch im Unionsrecht eine solche auslegungsfähige Norm nicht auszumachen ist. Das folgt bereits zwingend aus der Tatsache, dass Art. 9 Abs. 3 AK nicht unmittelbar anwendbar ist. Eine nicht unmittelbar anwendbare Bestimmung kann aber nicht Anknüpfungspunkt einer Auslegung sein, die diese Norm der Sache nach anwendbar macht. Eine solche Argumentation wäre zirkulär (vgl. Seibert, NVwZ 2013, 1040 <1042 f.>; ein gesetzgeberisches Handeln fordert wohl auch Epiney, EurUP 2012, 88 <89>; a.A. wohl Berkemann, a.a.O. S. 1147 f.).
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2. Der festgestellte Rechtsverstoß ist indessen nicht erheblich. Das Verwaltungsgericht hat die Klagebefugnis des Klägers im Ergebnis zu Recht bejaht. Sie folgt aus § 42 Abs. 2 Halbs. 2 VwGO. Der Kläger kann geltend machen, durch die Ablehnung der Aufstellung eines Luftreinhalteplans, der den Anforderungen des § 47 Abs. 1 BImSchG i.V.m. § 27 der Neununddreißigsten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung über Luftqualitätsstandards und Emissionshöchstmengen - 39. BImSchV) vom 2. August 2010 (BGBl I S. 1065) genügt, in seinen Rechten verletzt zu sein. § 47 Abs. 1 BImSchG räumt nicht nur unmittelbar betroffenen natürlichen Personen, sondern auch nach § 3 UmwRG anerkannten Umweltverbänden das Recht ein, die Aufstellung eines den zwingenden Vorschriften des Luftqualitätsrechts entsprechenden Luftreinhalteplans zu verlangen.
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a) Nach § 47 Abs. 1 BImSchG hat die zuständige Behörde, wenn die durch eine Rechtsverordnung festgelegten Immissionsgrenzwerte einschließlich festgelegter Toleranzmargen überschritten werden, einen Luftreinhalteplan aufzustellen, welcher die erforderlichen Maßnahmen zur dauerhaften Verminderung von Luftverunreinigungen festlegt und den Anforderungen der Rechtsverordnung entspricht. Entsprechendes gilt, soweit eine Rechtsverordnung die Aufstellung eines Luftreinhalteplans zur Einhaltung von Zielwerten regelt. Die Maßnahmen eines Luftreinhalteplans müssen geeignet sein, den Zeitraum einer Überschreitung von bereits einzuhaltenden Immissionsgrenzwerten so kurz wie möglich zu halten.
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Mit dieser Vorschrift verfolgt das Luftqualitätsrecht zwei sich überschneidende Schutzzwecke: Mit der Umsetzung der festgelegten Luftqualitätsziele sollen schädliche Auswirkungen sowohl auf die menschliche Gesundheit als auch auf die Umwelt insgesamt vermieden, verhütet oder verringert werden (Art. 1 Nr. 1 RL 2008/50/EG).
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aa) Aus dem vom Gesetz bezweckten Schutz der menschlichen Gesundheit folgt ein Klagerecht für die von den Immissionsgrenzwertüberschreitungen unmittelbar betroffenen natürlichen Personen. Das ist durch den Europäischen Gerichtshof geklärt. Seine zu den Aktionsplänen nach Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 96/62/EG des Rates vom 27. September 1996 über die Beurteilung und die Kontrolle der Luftqualität (ABl EG Nr. L 296 S. 55) i.d.F. der Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. September 2003 (ABl EU Nr. L 284 S. 1), § 47 Abs. 2 BImSchG a.F. ergangene Rechtsprechung (EuGH, Urteil vom 25. Juli 2008 - Rs. C-237/07, Janecek - Slg. 2008, I-6221 Rn. 42) ist in dieser Hinsicht ohne Weiteres auch auf die Luftreinhaltepläne nach Art. 23 Abs. 1 RL 2008/50/EG, § 47 Abs. 1 BImSchG n.F. zu übertragen (vgl. Hansmann/Röckinghausen, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG § 47 Rn. 29e; Jarass, BImSchG, 9. Aufl. 2012, § 47 Rn. 50 m.w.N.; Köck/Lehmann, ZUR 2013, 67 <72>).
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Der Kläger kann als juristische Person in seiner Gesundheit nicht betroffen sein; die Verletzung eines aus der Gewährleistung der körperlichen Unversehrtheit folgenden subjektiven Rechts auf Einhaltung der Immissionsgrenzwerte kann er nicht geltend machen. Nach dem hergebrachten Begriffsverständnis des subjektiven Rechts würde Entsprechendes gelten, soweit das Luftqualitätsrecht dem Schutz der Umwelt als solcher und damit einem Allgemeininteresse dient.
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bb) Das Unionsrecht gebietet indessen eine erweiternde Auslegung der aus dem Luftqualitätsrecht folgenden subjektiven Rechtspositionen.
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Der Europäische Gerichtshof geht davon aus, dass unmittelbar betroffenen juristischen Personen in gleicher Weise wie natürlichen Personen ein Klagerecht zusteht (Urteil vom 25. Juli 2008 a.a.O. Rn. 39). Die Kriterien für die Betroffenheit als Anknüpfungspunkt für eine subjektive, klagefähige Rechtsposition hat er nicht näher erläutert. Die Erweiterung der Rechtsschutzmöglichkeiten über die Geltendmachung individueller Rechtspositionen hinaus ist darin indessen angelegt.
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(1) Wird die Betroffenheit durch einen räumlichen Bezug zum Wirkungsbereich der Immissionen bestimmt (so den EuGH verstehend Ziekow, NVwZ 2010, 793 <794>), so folgt aus dieser Rechtsprechung gleichwohl, dass sich die juristische Person - gemessen an der in Rn. 38 des Urteils betonten Schutzrichtung der Vorschrift - ein fremdes Interesse, so etwa als dort ansässiges Unternehmen die Gesundheit seiner Mitarbeiter, zum eigenen Anliegen machen darf.
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Die in dieser Weise vom Unionsrecht zugebilligte Rechtsmacht ist in unionsrechtskonformer Auslegung des § 42 Abs. 2 Halbs. 2 VwGO im Interesse des aus Art. 4 Abs. 3 EUV folgenden Effektivitätsgebots als subjektives Recht anzuerkennen (vgl. etwa Gärditz, VwGO, 2013, § 42 Rn. 69 f. m.w.N.). Sie bestimmt zugleich das Verständnis der zur Umsetzung des Unionsrechts erlassenen mitgliedstaatlichen Vorschriften und hat eine Ausdehnung des Begriffs des subjektiven Rechts zur Folge. Allein ein solches Verständnis trägt der Entwicklung des Unionsrechts Rechnung. Es ist von Anfang an von der Tendenz geprägt gewesen, durch eine großzügige Anerkennung subjektiver Rechte den Bürger auch für die dezentrale Durchsetzung des Unionsrechts zu mobilisieren. Der Bürger hat damit zugleich - bezogen auf das objektive Interesse an einer Sicherung der praktischen Wirksamkeit und der Einheit des Unionsrechts - eine "prokuratorische" Rechtsstellung inne. Diese kann auch in den Vordergrund rücken (siehe hierzu - mit verschiedenen Akzentuierungen - etwa Masing, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, GVwR Bd. 1, 2. Aufl. 2012, § 7 Rn. 91 ff., 98 ff., 112 ff.; Schmidt-Aßmann/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Einleitung Rn. 21a; Schmidt-Aßmann, in: Gedächtnisschrift Brugger, 2013, S. 411 ff.; Hong, JZ 2012, 380 <383 ff.>; Gärditz, EurUP 2010, 210 <219 ff.>).
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(2) Zu den unmittelbar betroffenen juristischen Personen, denen durch § 47 Abs. 1 BImSchG ein Klagerecht eingeräumt ist, gehören auch die nach § 3 UmwRG anerkannten Umweltverbände.
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Eine Auslegung des § 47 Abs. 1 BImSchG dahingehend, dass neben unmittelbar betroffenen natürlichen Personen auch Umweltverbände das Recht haben, die Einhaltung der zwingenden Vorschriften des Luftqualitätsrechts zu verlangen, ist durch Art. 23 RL 2008/50/EG und Art. 9 Abs. 3 AK geboten. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seinem Urteil vom 8. März 2011 in Bezug auf Sachverhalte, die - wie hier die Aufstellung von Luftreinhalteplänen - dem Unionsrecht unterliegen, für Umweltverbände einen weiten Zugang zu Gericht gefordert; er hat dies damit begründet, dass der "Schutz der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte" gewährleistet werden müsse (a.a.O. Rn. 48, 51). Ausgehend hiervon müssen sich die Klagerechte, die der Gerichtshof in seinem Urteil vom 25. Juli 2008 (a.a.O.) auf dem Gebiet der Luftreinhaltung anerkannt hat, auch auf Umweltverbände erstrecken. Eine grundsätzliche Verneinung derartiger Rechte von Umweltverbänden wäre zudem, wie oben dargelegt, unvereinbar mit der Spruchpraxis des Compliance Committee zu Art. 9 Abs. 3 AK.
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Weder das Unionsrecht noch Art. 9 Abs. 3 AK verlangen jedoch, jedem Umweltverband ein Recht auf Einhaltung der zwingenden Vorschriften bei Aufstellung eines Luftreinhalteplans zu gewähren. Umweltverbände können - nicht anders als natürliche Personen - Träger von materiellen subjektiven Rechten nur sein, wenn sie Teil nicht nur der allgemeinen Öffentlichkeit, sondern der "betroffenen Öffentlichkeit" sind. Als "betroffene Öffentlichkeit" definieren Art. 2 Nr. 5 AK und - für die Umweltverträglichkeitsprüfung - inhaltlich entsprechend Art. 3 Nr. 1 RL 2003/35/EG die von umweltbezogenen Entscheidungsverfahren betroffene oder wahrscheinlich betroffene Öffentlichkeit oder die Öffentlichkeit mit einem Interesse daran; im Sinne dieser Begriffsbestimmung haben nichtstaatliche Organisationen, die sich für den Umweltschutz einsetzen und alle nach innerstaatlichem Recht geltenden Voraussetzungen erfüllen, ein Interesse (siehe auch Art. 2 Abs. 3 RL 2003/35/EG). Diese Vereinigungen sollen sich die öffentlichen Belange des Umweltschutzes zum eigenen Anliegen machen können.
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Welche Voraussetzungen ein Umweltverband nach innerstaatlichem Recht erfüllen muss, um berechtigt zu sein, sich die Belange des Umweltschutzes bei Aufstellung eines Luftreinhalteplans zum eigenen Anliegen zu machen, ist nicht ausdrücklich geregelt. § 3 UmwRG regelt lediglich, welche Umweltverbände Rechtsbehelfe nach dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz einlegen können. Dieser Vorschrift ist jedoch die Grundentscheidung zu entnehmen, dass nur die nach dieser Vorschrift anerkannten Umweltverbände berechtigt sein sollen, vor Gericht geltend zu machen, dass dem Umweltschutz dienende Rechtsvorschriften verletzt worden seien. Auch die Mitwirkungsrechte und Rechtsbehelfsbefugnisse nach §§ 63, 64 BNatSchG sind an die Anerkennung nach § 3 UmwRG geknüpft. Ein normativer Anhaltspunkt dafür, dass bei Aufstellung von Luftreinhalteplänen das grundsätzlich auch Umweltverbänden eingeräumte Recht, die Einhaltung der zwingenden Vorschriften des Luftqualitätsrechts zu verlangen, an weitergehende Voraussetzungen geknüpft sein könnte, sind nicht ersichtlich.
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3. Im Übrigen beruht das angegriffene Urteil nicht auf einer Verletzung revisiblen Rechts.
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a) Zu Unrecht rügt der Beklagte eine unzulässige Antragstellung.
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Auch dieser Rüge steht § 134 Abs. 4 VwGO nicht entgegen. Denn die Frage, ob der Antrag angesichts des Rechtsschutzbegehrens hinreichend bestimmt ist, kann nur vor dem Hintergrund des geltend gemachten materiellen Anspruchs beantwortet werden.
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Das Erfordernis eines bestimmten Klageantrags ist in § 82 Abs. 1 Satz 2 VwGO als bloße Sollvorschrift ausgestaltet; ihm muss aber mit der Antragstellung in der mündlichen Verhandlung (§ 103 Abs. 3 VwGO) genügt werden. In einem bestimmten Antrag, der aus sich selbst heraus verständlich sein muss, sind Art und Umfang des begehrten Rechtsschutzes zu benennen. Damit wird der Streitgegenstand festgelegt und der Rahmen der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis abgesteckt sowie dem Beklagten eine präzise Verteidigung erlaubt. Schließlich soll aus einem dem Klageantrag stattgebenden Urteil eine Zwangsvollstreckung zu erwarten sein, die das Vollstreckungsverfahren nicht unter Fortsetzung des Streits mit Sachfragen überfrachtet (vgl. Ortloff/Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 82 Rn. 7 ff.; Foerste, in: Musielak, ZPO, 10. Aufl. 2013, § 253 Rn. 29, jeweils m.w.N.). Welche Anforderungen sich hieraus ergeben, hängt von den Besonderheiten des jeweiligen materiellen Rechts und von den Umständen des Einzelfalles ab.
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Hiernach entspricht die Antragstellung dem Bestimmtheitserfordernis. Die vom Beklagten bemängelte Benennung allein des durch die Ergänzung des Luftreinhalteplans zu erreichenden Ziels spiegelt die planerische Gestaltungsfreiheit wider, die das Gesetz der Behörde einräumt (Beschlüsse vom 29. März 2007 - BVerwG 7 C 9.06 - BVerwGE 128, 278 Rn. 26 f. = Buchholz 451.91 Europ UmweltR Nr. 27 und vom 11. Juli 2012 - BVerwG 3 B 78.11 - Buchholz 442.151 § 45 StVO Nr. 49 Rn. 11). Insoweit unterscheidet sich die Rechtslage nicht von sonstigen Fallkonstellationen, in denen nur ein Erfolg geschuldet wird, während die Wahl der geeigneten Maßnahmen Sache des Schuldners bleibt; auch dann genügt die Angabe dieses Erfolgs (vgl. Foerste, a.a.O. Rn. 32).
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Der Vollstreckungsfähigkeit des stattgebenden Urteils wird dadurch Rechnung getragen, dass die Entscheidung hinsichtlich der in Betracht zu ziehenden Maßnahmen im Sinne eines Bescheidungsurteils verbindliche Vorgaben machen kann, die im Vollstreckungsverfahren zu beachten sind.
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b) Ohne Rechtsverstoß hat das Verwaltungsgericht als Grundlage seines Entscheidungsausspruchs festgestellt, dass der Beklagte seinen Verpflichtungen aus § 47 Abs. 1 BImSchG, deren Erfüllung der Kläger einfordern kann, mit dem bestehenden Luftreinhalteplan noch nicht nachgekommen ist.
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aa) Der in Anlage 11 Abschnitt B der 39. BImSchV genannte Immissionsgrenzwert für Stickstoffdioxid, der ab dem 1. Januar 2010 einzuhalten ist, wird an mehreren Orten im Stadtgebiet überschritten. Nach § 47 Abs. 1 BImSchG i.V.m. § 27 der 39. BImSchV hat der Beklagte in dieser Situation einen Luftreinhalteplan aufzustellen, welcher die erforderlichen Maßnahmen zur dauerhaften Verminderung der Luftverunreinigungen festlegt. Diese Maßnahmen müssen nach § 47 Abs. 1 Satz 3 BImSchG geeignet sein, den Zeitraum einer Überschreitung von bereits einzuhaltenden Immissionsgrenzwerten so kurz wie möglich zu halten.
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§ 47 Abs. 1 Satz 3 BImSchG normiert in Übereinstimmung mit Art. 23 Abs. 1 UAbs. 2 Satz 1 RL 2008/50/EG eine zeitliche Vorgabe für die Erreichung des in § 47 Abs. 1 Satz 1 und 2 BImSchG festgelegten Ziels der Einhaltung der Grenzwerte. Die Schadstoffbelastung der Luft soll im Interesse eines effektiven Gesundheitsschutzes möglichst schnell auf das ausweislich des Immissionsgrenzwerts als noch zumutbar erachtete Ausmaß zurückgeführt werden. An diesem Minimierungsgebot muss sich die Entscheidung der Behörde ausrichten; es ist zugleich rechtlicher Maßstab für die angesichts der Gestaltungsspielräume der Behörde eingeschränkte gerichtliche Kontrolle. Das Gebot, die Überschreitung der Immissionsgrenzwerte möglichst schnell zu beenden, fordert eine Bewertung der zur Emissionsminderung geeigneten und verhältnismäßigen Maßnahmen gerade im Hinblick auf eine zeitnahe Verwirklichung der Luftqualitätsziele. Daraus kann sich eine Einschränkung des planerischen Ermessens ergeben, wenn allein die Wahl einer bestimmten Maßnahme eine baldige Einhaltung der Grenzwerte erwarten lässt (vgl. Köck/Lehmann, a.a.O. S. 70 f.). Auch insoweit wird aber nicht vorausgesetzt, dass die zu ergreifenden Maßnahmen auf einen Schlag zur Zielerreichung führen; vielmehr kann auch hier - nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitgrundsatzes - ein Vorgehen in mehreren Stufen vorgesehen werden (Köck/Lehmann, a.a.O. S. 71). Dem trägt das Verwaltungsgericht dadurch Rechnung, dass es im Entscheidungsausspruch nicht zu einer sofortigen, sondern ausdrücklich nur zur schnellstmöglichen Zielerreichung verpflichtet.
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bb) Der Beklagte kann sich zur Stützung seiner abweichenden Rechtsauffassung, wonach es schon ausreiche, dass ein Luftreinhalteplan die Einhaltung der Immissionsgrenzwerte jedenfalls schrittweise anstrebe, auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 25. Juli 2008 in der Rechtssache C-237/07, nicht berufen. Denn diese Entscheidung ist zu einer insoweit anderen Rechtslage ergangen. Sie bezieht sich auf Aktionspläne nach Art. 7 Abs. 3 RL 96/62/EG. Abgesehen von der unterschiedlichen Zielsetzung von Luftreinhalteplänen und Aktionsplänen bzw. Plänen für kurzfristig zu ergreifende Maßnahmen ist in der genannten Vorschrift im Unterschied zu Art. 23 Abs. 1 UAbs. 2 RL 2008/50/EG der ausdrückliche Hinweis auf die Eignung der zu ergreifenden Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung des Grenzwerts nicht enthalten; die Maßnahmen sollen nach Art. 7 Abs. 3 RL 96/62/EG lediglich dazu dienen, die Gefahr der Überschreitung zu verringern und die Dauer der Überschreitung zu beschränken. Der Europäische Gerichtshof hat aus dem Aufbau der Richtlinie die Verpflichtung der Mitgliedstaaten entnommen, Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, die Dauer der Überschreitung unter Berücksichtigung aller Umstände auf ein Minimum zu reduzieren (Urteil vom 25. Juli 2008 a.a.O. Rn. 45). Wenn hiernach auch insoweit ein Minimierungsgebot gilt, ist der Entscheidung nicht etwa zu entnehmen, dass die Möglichkeit zur schrittweisen Erreichung der Grenzwerte voraussetzungslos eingeräumt sein soll. Vielmehr muss sich die Maßnahme auch unter Berücksichtigung des zeitlichen Moments rechtfertigen lassen.
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c) Ebenso wenig ist zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht die Einrichtung einer Umweltzone als eine Maßnahme eingeordnet hat, die bei der Aufstellung des Luftreinhalteplans zu berücksichtigen ist.
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Soweit sich der Beklagte gegen die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Geeignetheit der Umweltzone zur Erreichung des Luftqualitätsziels einer Verminderung der NO2-Belastung wendet, richtet er sich letztlich gegen die tatrichterlichen Feststellungen und Annahmen, gegen die nach § 134 Abs. 4 VwGO wirksame Verfahrensrügen nicht erhoben werden können. Mängel der Sachverhalts- und Beweiswürdigung, die als materiell-rechtliche Verstöße gegen den Überzeugungsgrundsatz des § 108 Abs. 1 VwGO einzuordnen wären, hat der Kläger nicht geltend gemacht.
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Schließlich hat das Verwaltungsgericht bei der Prüfung, ob sich die Einrichtung einer Umweltzone als unverhältnismäßig im engeren Sinne darstellen könnte, keine unzutreffenden rechtlichen Maßstäbe angelegt. Es hat zu Recht die betroffenen rechtlich geschützten Interessen gegenübergestellt und abgewogen. Der Bewältigung besonderer Härten trägt die Möglichkeit der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 40 Abs. 1 Satz 2 BImSchG i.V.m. § 1 Abs. 2 der Fünfunddreißigsten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung zur Kennzeichnung der Kraftfahrzeuge mit geringem Beitrag zur Schadstoffbelastung - 35. BImSchV) vom 10. Oktober 2006 (BGBl I S. 2218) Rechnung.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Tenor
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§ 50d Absatz 8 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 15. Dezember 2003 (Steueränderungsgesetz 2003, BGBl I S. 2645) ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
Gründe
- 1
-
Die Vorlage betrifft die Frage, ob § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG gegen das Grundgesetz verstößt, weil er für Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen aus nichtselbständiger Arbeit eine von den Regelungen eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung abweichende Besteuerung erlaubt.
-
A.
-
I.
- 2
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Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG sind natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG unterliegen der Einkommensteuer (alle) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die der Steuerpflichtige während seiner unbeschränkten Einkommensteuerpflicht erzielt. Entsprechend diesen Regelungen werden alle aus nichtselbständiger Arbeit erzielten Einkünfte natürlicher Personen, die in Deutschland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, unabhängig vom Ort ihrer Erzielung nach deutschem Recht besteuert (sog. Welteinkommensprinzip).
- 3
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Mit Abkommen vom 16. April 1985 haben die Bundesrepublik Deutschland und die Republik Türkei zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (BGBl II 1989 S. 867, im Folgenden abgekürzt als DBA-Türkei 1985) unter anderem Folgendes vereinbart:
-
Art. 15 DBA-Türkei 1985 (Unselbständige Arbeit)
-
(1) Vorbehaltlich der Artikel 16, 18, 19 und 20 können Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus unselbständiger Arbeit bezieht, nur in diesem Staat besteuert werden, es sei denn, dass die Arbeit im anderen Vertragsstaat ausgeübt wird. Wird die Arbeit dort ausgeübt, so können die dafür bezogenen Vergütungen im anderen Staat besteuert werden.
-
(2) - (3) … .
-
Art. 23 DBA-Türkei 1985 (Vermeidung der Doppelbesteuerung im Ansässigkeitsstaat)
-
(1) Bei in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Personen wird die Doppelbesteuerung wie folgt vermieden:
-
a) Vorbehaltlich des Buchstabens b werden von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer die Einkünfte aus Quellen innerhalb der Republik Türkei sowie die in der Republik Türkei gelegenen Vermögenswerte ausgenommen, die nach den vorstehenden Artikeln in der Republik Türkei besteuert werden können oder nur dort besteuert werden können; die Bundesrepublik Deutschland kann jedoch bei der Festsetzung des Steuersatzes für die nicht so ausgenommenen Einkünfte und Vermögenswerte die Einkünfte und Vermögenswerte berücksichtigen, die nach den vorstehenden Artikeln in der Republik Türkei berücksichtigt werden können. […]
-
b) - d) … .
- 4
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Der Bundestag hat diesem Abkommen mit der Türkei mit Gesetz vom 27. November 1989 zugestimmt (BGBl II S. 866).
- 5
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Nach den Regelungen in Art. 15 Abs. 1, Art. 23 Abs. 1 Buchstabe a Satz 1 DBA-Türkei 1985 sind Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtige Personen in der Türkei erzielen, in Abweichung vom Welteinkommensprinzip der § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1 EStG von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer ausgenommen. Sie dürfen nicht für die Bemessung der Einkommensteuer nach deutschem Recht herangezogen werden. Lediglich bei der Festsetzung des Steuersatzes für andere Einkünfte dürfen sie berücksichtigt werden.
- 6
-
§ 50d EStG in der vorliegend maßgeblichen Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 15. Dezember 2003 (Steueränderungsgesetz 2003, BGBl I S. 2645) regelt nach seiner amtlichen Überschrift "Besonderheiten im Fall von Doppelbesteuerungsabkommen". Sein Absatz 8 lautet:
-
Sind Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19) nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen, wird die Freistellung bei der Veranlagung ungeachtet des Abkommens nur gewährt, soweit der Steuerpflichtige nachweist, dass der Staat, dem nach dem Abkommen das Besteuerungsrecht zusteht, auf dieses Besteuerungsrecht verzichtet hat oder dass die in diesem Staat auf die Einkünfte festgesetzten Steuern entrichtet wurden. Wird ein solcher Nachweis erst geführt, nachdem die Einkünfte in eine Veranlagung zur Einkommensteuer einbezogen wurden, ist der Steuerbescheid insoweit zu ändern. § 175 Absatz 1 Satz 2 der Abgabenordnung ist entsprechend anzuwenden.
- 7
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§ 50d Abs. 8 EStG knüpft damit die in einem Doppelbesteuerungsabkommen vorgesehene Freistellung von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit von der deutschen Steuer an den Nachweis, dass der Vertragsstaat, dem nach dem Abkommen das Besteuerungsrecht zusteht, auf dieses Besteuerungsrecht verzichtet hat oder dass die von ihm festgesetzten Steuern entrichtet wurden. Dies wurde im Gesetzgebungsverfahren folgendermaßen begründet (BRDrucks 630/03, S. 66):
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"[§ 50d Abs. 8] Satz 1 macht die nach einem Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) gebotene Freistellung von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit von dem Nachweis abhängig, dass der Tätigkeitsstaat auf die Besteuerung dieser Einkünfte verzichtet hat oder dass die in diesem Staat festgesetzte Steuer entrichtet wurde. Damit soll verhindert werden, dass die Einkünfte nicht besteuert werden, weil der Steuerpflichtige die Einkünfte im Tätigkeitsstaat pflichtwidrig nicht erklärt und dieser Staat deshalb häufig seinen Steueranspruch nicht mehr durchsetzen kann, wenn er von dem Sachverhalt erfährt, z.B. weil dann keine Vollstreckungsmöglichkeiten gegen den Steuerpflichtigen mehr bestehen. Der Gesetzgeber ist nicht daran gehindert, die Steuerbefreiung aufgrund DBA von einem solchen Nachweis abhängig zu machen. Vgl. hierzu die Ausführungen des BFH im Urteil vom 20. März 2002, I R 38/00, BStBl. II S. 819. Sind die Einkünfte der deutschen Besteuerung unterworfen worden, so ist nach Satz 2 der Steuerbescheid zu ändern, sobald der Steuerpflichtige den in Satz 1 geforderten Nachweis erbringt. Dadurch wird sichergestellt, dass das Besteuerungsrecht des Tätigkeitsstaats geschützt ist und die Gefahr einer sonst eintretenden Doppelbesteuerung vermieden wird. Nach Satz 3 ist § 175 Abs. 1 Satz 2 AO entsprechend anzuwenden. Danach beginnt die Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Nachweis nach Satz 1 geführt wird. Der Steuerpflichtige hat damit ausreichend Zeit, die dem Abkommen entsprechende steuerliche Behandlung herbeizuführen."
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§ 50d Abs. 8 EStG war für den Veranlagungszeitraum 2004 erstmals anzuwenden.
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Das DBA-Türkei 1985 wurde von der Bundesrepublik Deutschland mit Wirkung zum 31. Dezember 2010 gekündigt. Am 1. August 2012 ist das Abkommen vom 19. September 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen (BGBl II 2012 S. 527), dem der Bundestag mit Gesetz vom 24. Mai 2012 (BGBl II S. 526) zugestimmt hat, in Kraft getreten.
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II.
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1. Im Ausgangsverfahren wenden sich die Kläger, gemeinsam veranlagte Eheleute, gegen den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2004, in dem der Ehemann teils in Deutschland, teils in der Türkei Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielte. Die Kläger beantragten, die in der Türkei erzielten Einkünfte entsprechend den Regelungen des DBA-Türkei 1985 steuerfrei zu belassen. Da sie jedoch nicht entsprechend § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG nachgewiesen hatten, dass die in der Türkei erzielten Einkommensbestandteile dort versteuert worden waren oder die Türkei auf die Besteuerung verzichtet hatte, behandelte das Finanzamt den gesamten Bruttoarbeitslohn als steuerpflichtig. Die Klage zum Finanzgericht blieb erfolglos.
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2. Mit Beschluss vom 10. Januar 2012 hat der Bundesfinanzhof das daraufhin von den Klägern eingeleitete Revisionsverfahren ausgesetzt, um die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber einzuholen, ob § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
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Zur Begründung der Vorlage trägt der Bundesfinanzhof vor, dass die Revision im Fall der Verfassungsmäßigkeit von § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG zurückzuweisen wäre. Nach seiner Auffassung verstößt die Vorschrift jedoch gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 und Art. 25 GG sowie Art. 3 Abs. 1 GG. Mit Abschluss des Doppelbesteuerungsabkommens habe sich Deutschland seines Besteuerungsrechts für in der Türkei erzielte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit begeben. § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG, der das Besteuerungsrecht an Deutschland zurückfallen lasse, verstoße daher gegen bindendes Völkervertragsrecht und laufe der in Art. 25 GG enthaltenen Wertentscheidung des Grundgesetzes für den Vorrang der allgemeinen Regeln des Völkerrechts zuwider, ohne dass dafür ein tragfähiger Rechtfertigungsgrund vorliege. Die Kläger des Ausgangsverfahrens würden dadurch in ihrem Grundrecht auf Einhaltung der verfassungsmäßigen Ordnung verletzt (a). Zudem widerspreche die Regelung dem Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG (b).
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a) § 50d Abs. 8 EStG weiche von der im DBA-Türkei 1985 völkerrechtlich vereinbarten Verteilung des Besteuerungsrechts zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei ab, da sich beide Staaten hinsichtlich der Besteuerung von Arbeitseinkünften völkerrechtlich auf das Quellenprinzip und die Freistellungsmethode geeinigt hätten und diese Vereinbarung vorbehaltlos in nationales Recht überführt worden sei. Das Abkommen enthalte zudem weder eine Rückfallklausel (subject-to-tax-Klausel) noch einen Nachweisvorbehalt für die Besteuerung im anderen Vertragsstaat. In diesem Zusammenhang könne auch dahinstehen, ob bilaterale Abkommen - wie der Bundesfinanzhof in früheren Entscheidungen angenommen habe - unter einem allgemeinen Umgehungsvorbehalt stünden, der durch nationales Recht konkretisiert werden könne. Denn bei § 50d Abs. 8 EStG handele es sich jedenfalls nicht um einen der Ausfüllung eines solchen Umgehungsvorbehalts dienenden Tatbestand zur Abwehr von Abkommensmissbräuchen, also von Maßnahmen, die darauf abzielten, sich in gestaltungsmissbräuchlicher Weise in die Inanspruchnahme von Vorteilen eines bilateralen Abkommens einzukaufen.
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Der vorlegende Senat wolle der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs und der überwiegenden Auffassung im Schrifttum, die im unilateralen "Bruch" des völkervertraglich Vereinbarten - dem so genannten Treaty Overriding - keinen verfassungsrelevanten Vorgang sähen, im Einklang mit Teilen der Literatur sowie der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr folgen. Das Bundesverfassungsgericht habe im Görgülü- (BVerfGE 111, 307) und im Alteigentümer-Beschluss (BVerfGE 112, 1) sowie in seinem Urteil zur Sicherungsverwahrung (BVerfGE 128, 326) die aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Verpflichtung aller staatlichen Organe zur Beachtung der Europäischen Menschenrechtskonvention bestätigt, die kraft Zustimmung gemäß Art. 59 Abs. 2 GG ebenso wie Doppelbesteuerungsabkommen in den Rang eines Bundesgesetzes überführt worden sei. Es habe sich im Görgülü-Beschluss dahingehend geäußert, dass der Gesetzgeber von Verfassungs wegen gehalten sei, Völkervertragsrecht zu beachten, wenn nicht ausnahmsweise die Voraussetzungen vorlägen, von denen das Bundesverfassungsgericht die Zulässigkeit einer Abweichung abhängig mache. Darauf aufbauend ergebe sich aus dem Alteigentümer-Beschluss die Verpflichtung aller Staatsorgane, die die Bundesrepublik Deutschland bindenden Völkerrechtsnormen zu befolgen und Verletzungen nach Möglichkeit zu unterlassen. Im Umkehrschluss bedeute dies, dass der Gesetzgeber von Verfassungs wegen - durch das Rechtsstaatsgebot in Art. 20 Abs. 3 GG - in die Pflicht genommen werde, Völkervertragsrecht zu beachten. Die prinzipielle Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes sei vorrangig und wirke für den Gesetzgeber als materiell-rechtliche Sperre, die ihm die Verfügungsmacht über den Rechtsbestand in dem Maße nehme, das der völkerrechtliche Vertrag vorgebe. Zwar habe das Bundesverfassungsgericht diese Frage in der Entscheidung zum Reichskonkordat (vgl. BVerfGE 6, 309 <363>) noch anders beantwortet. Aus dem Alteigentümer-Beschluss ergebe sich jedoch, dass Abweichungen von völkervertraglichen Vereinbarungen einer besonderen Rechtfertigung bedürften, deren Voraussetzungen eng seien. Rechtfertigungsgrund sei die Beachtung der Menschenwürde und der Grundrechte. Das Bundesverfassungsgericht habe damit methodisch den Weg zu einer Prüfung der Erforderlichkeit einer Abkommensüberschreibung (Treaty Override) gewiesen. Für den Ausgleich der hier widerstreitenden Prinzipien von Rechtsstaat und Demokratie komme es entscheidend darauf an, ob dem Gesetzgeber gegenüber dem Vertragsbruch ein milderes Mittel zur Verfügung stehe.
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Im vorliegenden Fall sei eine Rechtfertigung für den Verstoß gegen das Völkerrecht nicht zu erkennen. Zwar orientiere sich § 50d Abs. 8 EStG am Leistungsfähigkeitsprinzip, verhindere eine sogenannte Keinmalbesteuerung und stelle eine gleichheitsgerechte Besteuerung (wieder) her, indem es dem Steuerpflichtigen den Vorteil, dass seine im Ausland erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit dort unbesteuert blieben, wieder nehme und ihn im Ergebnis mit anderen Steuerpflichtigen gleichbehandele, die entsprechende Einkünfte im Inland erzielten. Dem Gesetzgeber sei es jedoch nicht in erster Linie um die Verhinderung einer sogenannten Keinmalbesteuerung gegangen, sondern - ausweislich der Gesetzesbegründung - um die Förderung der Steuerehrlichkeit. Da die so erhobenen Steuern aber nicht an den anderen Staat weitergeleitet würden, sei § 50d Abs. 8 EStG wohl von fiskalischen Überlegungen geleitet. Diese seien ebenso wenig wie mangelnde Steuerehrlichkeit ein rechtfertigender Grund für die Durchbrechung der Freistellungsmethode. Unabhängig davon sei die Möglichkeit der Keinmalbesteuerung für die Freistellungsmethode kennzeichnend, so dass es systemfremd wäre, daraus einen Rechtfertigungsgrund für den einseitig angeordneten Besteuerungsrückfall abzuleiten. Eine Rechtfertigung der Abkommensüberschreibung (Treaty Override) ergebe sich auch nicht daraus, dass Deutschland gezwungen gewesen sei, mittels § 50d Abs. 8 EStG schnell auf einen besonderen Missstand oder einen besonders kurzfristig zutage tretenden Steuerausfall bei im Ausland erzielten Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu reagieren. Selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, hätte mit der Kündigung des Abkommens - wie mit Wirkung zum 1. Januar 2011 geschehen - ein milderes Mittel zur Verfügung gestanden.
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b) § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG verstoße auch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, weil er den Steuerpflichtigen mit im Ausland erzielten Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, der den Nachweis gemäß § 50d Abs. 8 EStG erbringe, anders behandle als den Steuerpflichtigen, dem dieser Nachweis nicht gelinge. Ein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot liege auch darin, dass das Nachweiserfordernis allein Steuerpflichtige mit Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit treffe, nicht dagegen solche mit anderen Einkünften.
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3. Zu dem Vorlagebeschluss haben namens der Bundesregierung das Bundesministerium der Finanzen sowie alle Senate des Bundesverwaltungsgerichts Stellung genommen.
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Das Bundesministerium der Finanzen hält die Vorlage für unbegründet. Die nachträgliche Abweichung von einer durch Vertragsgesetz innerstaatlich in Geltung gesetzten völkerrechtlichen Vereinbarung sei nicht verfassungswidrig. Nach dem sich klar im Wortlaut des Grundgesetzes widerspiegelnden Modell sei zwischen allgemeinen Regeln des Völkerrechts (Art. 25 GG) und völkervertragsrechtlichen Bindungen (Art. 59 Abs. 2 GG) zu unterscheiden. Daraus ergebe sich für Völkervertragsrecht eindeutig der Rang einfachen Rechts, weshalb der demokratisch legitimierte Gesetzgeber durch leges posteriores wirksam von völkervertraglichen Vorgaben abweichen könne. Die abstrakte Berufung auf den Gedanken der Völkerrechtsfreundlichkeit sei nicht geeignet, Rechtsfolgen zu begründen, die Art. 25 und Art. 59 Abs. 2 GG widersprächen. Unabhängig davon verstoße § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG auch in den Fällen, in denen ein Doppelbesteuerungsabkommen keinesubject-to-tax-Klausel enthalte, schon deshalb nicht gegen Völkervertragsrecht, weil er lediglich einen allgemeinen, ungeschriebenen Missbrauchsvorbehalt, unter dem alle Doppelbesteuerungsabkommen stünden, konkretisiere. § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG sei auch mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Der geforderte Nachweis diene der Missbrauchsverhinderung und sei insofern sachlich geboten. Die Beschränkung auf Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit sei dadurch gerechtfertigt, dass der Gesetzgeber gerade hier besonderen Handlungsbedarf erkannt habe, weil nichtselbständige Tätigkeiten, beispielsweise von Piloten, Berufskraftfahrern oder Seeleuten, für die Steuerbehörden erheblich schwerer zu erfassen seien als selbständige oder unternehmerische Tätigkeiten.
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Die Senate des Bundesverwaltungsgerichts teilen überwiegend die Ansicht, dass das Grundgesetz keine Vorrangregelung für völkerrechtliche Verträge enthalte, diese innerstaatlich den Rang eines einfachen Bundesgesetzes hätten und der Gesetzgeber daher von ihnen abweichen dürfe. Weder die Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes noch das Rechtsstaatsgebot nivellierten die differenzierten Regelungen über die innerstaatliche Wirksamkeit völkerrechtlicher Bestimmungen gemäß Art. 25 und Art. 59 Abs. 2 GG.
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III.
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Der Senat hat dem Bundesfinanzhof Gelegenheit gegeben, den Vorlagebeschluss zu ergänzen. Dem ist der Bundesfinanzhof mit Beschluss vom 10. Juni 2015 nachgekommen.
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B.
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Die Vorlage ist zulässig.
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I.
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Nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 GG hat ein Gericht das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen, wenn es ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig hält. Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG muss das vorlegende Gericht darlegen, inwiefern seine Entscheidung von der Gültigkeit der Rechtsvorschrift abhängt und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm die Vorschrift unvereinbar ist. Die Begründung, die das Bundesverfassungsgericht entlasten soll (vgl. BVerfGE 37, 328 <333 f.>; 65, 265 <277>), muss daher mit hinreichender Deutlichkeit erkennen lassen, dass und weshalb das vorlegende Gericht im Falle der Gültigkeit der für verfassungswidrig gehaltenen Rechtsvorschrift zu einem anderen Ergebnis käme als im Falle ihrer Ungültigkeit (vgl. BVerfGE 7, 171 <173 f.>; 79, 240 <243>; 105, 61 <67>; 121, 108 <117>; 133, 1 <11>; 135, 1 <10 f., Rn. 28>; 136, 127 <142, Rn. 44>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 19. November 2014 - 2 BvL 2/13 -, LKV 2015, S. 23 <23>). Das vorlegende Gericht muss dabei den Sachverhalt darstellen (vgl. BVerfGE 22, 175 <177>), sich mit der einfachrechtlichen Rechtslage auseinandersetzen, seine insoweit einschlägige Rechtsprechung darlegen und die in der Literatur und Rechtsprechung entwickelten Rechtsauffassungen berücksichtigen, die für die Auslegung der vorgelegten Rechtsvorschrift von Bedeutung sind (vgl. BVerfGE 136, 127 <142, Rn. 45; 145 ff., Rn. 53 ff.>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 19. November 2014 - 2 BvL 2/13 -, LKV 2015, S. 23 <23>). § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG verpflichtet das vorlegende Gericht jedoch nicht, auf jede denkbare Rechtsauffassung einzugehen. Für die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage ist grundsätzlich die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts maßgebend, sofern diese nicht offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerfGE 2, 181 <190 f., 193>; 88, 187 <194>; 105, 61 <67>; 129, 186 <203>; 133, 1 <11, Rn. 35>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 19. November 2014 - 2 BvL 2/13 -, LKV 2015, S. 23 <24>).
- 23
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Was die verfassungsrechtliche Beurteilung der zur Prüfung gestellten Norm angeht, muss das vorlegende Gericht von ihrer Verfassungswidrigkeit überzeugt sein und die für seine Überzeugung maßgeblichen Erwägungen nachvollziehbar darlegen (vgl. BVerfGE 78, 165 <171 f.>; 86, 71 <77 f.>; 88, 70 <74>; 88, 198 <201>; 93, 121 <132>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 19. November 2014 - 2 BvL 2/13 -, LKV 2015, S. 23 <23>). Der Vorlagebeschluss muss hierzu den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab angeben und sich mit der Rechtslage, insbesondere der maßgeblichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, auseinandersetzen (vgl. BVerfGE 136, 127 <142, Rn. 45; 145 ff., Rn. 53 ff.>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 19. November 2014 - 2 BvL 2/13 -, LKV 2015, S. 23 <24>).
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II.
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Die Vorlage genügt diesen Anforderungen.
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Der Bundesfinanzhof legt seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG und die dafür maßgeblichen Erwägungen nachvollziehbar dar und setzt sich jedenfalls im Hinblick auf die aus der angenommenen Völkerrechtswidrigkeit abgeleitete Verfassungswidrigkeit von § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG hinreichend mit der verfassungsrechtlichen Rechtslage auseinander (1.). Ob auch die Ausführungen zur Gleichheitswidrigkeit von § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG den Anforderungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG genügen, kann deshalb dahinstehen (2.).
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1.a) Aus der Begründung der Vorlage ergibt sich, dass der Bundesfinanzhof von der Verfassungswidrigkeit des § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG unter anderem wegen seines Widerspruchs zu den Regelungen des DBA-Türkei 1985 überzeugt ist. In diesem Zusammenhang geht er - wie geboten (vgl. BVerfGE 136, 127 <145 ff., Rn. 53 ff.>) - auch auf die beiden in seiner eigenen bisherigen Rechtsprechung vertretenen Ansätze zur Verfassungsmäßigkeit von abkommensüberschreibenden Gesetzen ein. Er erläutert ausführlich, aus welchen Gründen nach seiner jetzigen Überzeugung die von ihm bislang angenommene Befugnis des nationalen Gesetzgebers, ein Zustimmungsgesetz zu einem völkerrechtlichen Vertrag durch ein hiervon abweichendes Gesetz ändern oder aufheben zu können (vgl. BFHE 175, 351 <352>; 178, 59 <61 f.>; 198, 514 <521>; BFH, Beschluss vom 28. November 2001 - I B 169/00 -, juris, Rn. 10 f.), nicht besteht. Auch setzt er sich damit auseinander, dass er in früheren Entscheidungen einen ungeschriebenen allgemeinen Umgehungsvorbehalt in Doppelbesteuerungsabkommen anerkannt hat, so dass sich bei einer einen derartigen Vorbehalt konkretisierenden Regelung die Frage ihrer Völkerrechts- und damit auch ihrer dadurch bedingten Verfassungswidrigkeit nicht stellt (vgl. BFHE 198, 514 <518>; 210, 117 <121 f.>; 220, 244 <246>; 220, 392 <395>). Er bringt dabei nachvollziehbar zum Ausdruck, dass und weshalb die Wertungen dieser (bisherigen) Rechtsprechung zu völkerrechtlichen Umgehungsvorbehalten § 50d Abs. 8 EStG nicht beträfen und auch nicht auf diese Regelung übertragen werden könnten. Zudem legt er schlüssig dar, weshalb die vorgelegte Norm nach seiner Auffassung als Abkommensüberschreibung (Treaty Override) anzusehen ist.
- 27
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b) Auch die Erläuterung der für seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit von § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG maßgeblichen Erwägungen genügt den Anforderungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG. Der Bundesfinanzhof benennt insoweit den seiner Ansicht nach maßgeblichen verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab - Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 und Art. 25 GG sowie Art. 3 Abs. 1 GG - und legt seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG jedenfalls unter dem Aspekt der Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 und Art. 25 GG nachvollziehbar dar.
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aa) Unter dem Blickwinkel der Völkerrechtswidrigkeit bezieht sich der Bundesfinanzhof zur Begründung der Verfassungswidrigkeit von § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG auf jüngere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 111, 307; 112, 1; 128, 326) zum Verhältnis von Völker- und Verfassungsrecht. Unter Einbeziehung vor allem steuerrechtlicher Fachliteratur erläutert er, dass und in welchem Umfang der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes und das Rechtsstaatsprinzip die Befugnisse des Gesetzgebers seiner Auffassung nach beschränken.
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Die Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird in Auseinandersetzung mit dessen Rechtsprechung begründet (vgl. BVerfGE 80, 182 <186>; BVerfGK 4, 184 <196>). Auch soweit der Bundesfinanzhof den in Bezug genommenen jüngeren Senatsentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts entnimmt, dass völkerrechtswidrige Gesetze regelmäßig nichtig sind, genügt die Vorlage - entgegen insoweit geäußerten Zweifeln (vgl. Frau/Trinks, DÖV 2013, S. 228 <230>; Krumm, AöR 138 [2013], S. 363 <381 ff.>) - den Anforderungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG. Art. 100 Abs. 1 GG in Verbindung mit § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG verlangt vom vorlegenden Gericht lediglich die Darlegung, aus welchen Erwägungen es eine Norm für verfassungswidrig "hält", und stellt insofern ausschließlich auf dessen Rechtsansicht ab; ob diese zutrifft oder nicht, entscheidet das Bundesverfassungsgericht in der Sachprüfung oder - bei offensichtlich unzutreffender Rechtsauffassung - im vereinfachten Verfahren nach § 24 BVerfGG (vgl. Müller-Terpitz, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 80 Rn. 244
). Die vom Bundesfinanzhof unter Bezugnahme auf die jüngere Senatsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vertretene Auffassung, dass abkommensüberschreibende Gesetze regelmäßig verfassungswidrig sind, ist jedenfalls nicht offensichtlich unzutreffend. Sie entspricht einer in der Literatur vertretenen (vgl. Gosch, IStR 2008, S. 413 <418 ff.>; Kempf/Bandl, DB 2007, S. 1377 <1381>; Rauschning, in: Bonner Kommentar, GG, Bd. 9, Art. 59 Rn. 137 ff. ; Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 ff.; Stein, IStR 2006, S. 505 <508 f.>; Vogel, JZ 1997, S. 161 ff.; ders., in: Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl. 2008, Einl. Rn. 193 ff., 205; Weigell, IStR 2009, S. 636 <637 ff.>) Ansicht.
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bb) Dass sich der Bundesfinanzhof bei der Darlegung der Verfassungswidrigkeit von Abkommensüberschreibungen nicht mit einer Kammerentscheidung vom 22. Dezember 2006 (BVerfGK 10, 116) auseinandergesetzt hat, in der die 1. Kammer des Zweiten Senats unter Bezugnahme auf eine Passage des Alteigentümer-Beschlusses (BVerfGE 112, 1 <25>) ausgeführt hat, dass eine verfassungsunmittelbare Pflicht der staatlichen Organe zur Berücksichtigung des Völkerrechts nicht unbesehen für jede beliebige Bestimmung des Völkerrechts anzunehmen sei, sondern nur, soweit dies dem in den Art. 23 bis Art. 26 GG sowie in den Art. 1 Abs. 2, Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG niedergelegten Konzept des Grundgesetzes entspreche (vgl. BVerfGK 10, 116 <124>), steht der Zulässigkeit der Vorlage nicht entgegen. § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG verlangt zwar eine Darstellung der aus Sicht des vorlegenden Gerichts für die Verfassungswidrigkeit der Norm sprechenden Erwägungen und in diesem Zusammenhang auch eine Auseinandersetzung mit der die Vorlagefrage betreffenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Ein Gebot, auch sämtliche Kammerentscheidungen auszuwerten, ist damit jedoch nicht verbunden. In der Sache hat die 1. Kammer zudem lediglich die Alteigentümer-Entscheidung wiedergegeben, die der Bundesfinanzhof in seine Argumentation einbezogen hat.
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2. Da die Darlegungen zur Verfassungswidrigkeit von § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG mit Blick auf den Gesichtspunkt der möglichen Völkerrechtswidrigkeit den Anforderungen von § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG genügen, kann dahinstehen, ob der Bundesfinanzhof auch die von ihm angenommene Gleichheitswidrigkeit von § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG ausreichend begründet hat. Ist eine Richtervorlage zumindest unter einem Gesichtspunkt zulässig, hat das Bundesverfassungsgericht die vorgelegte Norm unter allen in Betracht kommenden verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen (vgl. BVerfGE 26, 44 <58>; 90, 145 <168>; 120, 125 <144>; 126, 77 <98>; 133, 1 <12, Rn. 41>), unabhängig davon, ob sie im Vorlagebeschluss angesprochen worden sind oder nicht (vgl. BVerfGE 90, 145 <168>).
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C.
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Die Vorlage ist unbegründet. § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 15. Dezember 2003 (Steueränderungsgesetz 2003, BGBl I S. 2645) ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Er ist weder aufgrund seines (möglichen) Widerspruchs zu völkerrechtlichen Verträgen (I.) noch wegen eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG (II.) verfassungswidrig.
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I.
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1. In der Ordnung des Grundgesetzes haben völkerrechtliche Verträge in der Regel den Rang einfacher Bundesgesetze. Sie können daher durch spätere, ihnen widersprechende Bundesgesetze verdrängt werden (a-c). Etwas anderes ergibt sich weder aus dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes (d) noch aus dem Rechtsstaatsprinzip (e).
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a) Rang und Einordnung eines völkerrechtlichen Vertrags innerhalb der deutschen Rechtsordnung werden durch das Grundgesetz bestimmt, das das Verhältnis von internationalem und nationalem Recht an verschiedenen Stellen regelt. So bekennt es sich in Art. 1 Abs. 2 GG zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt. Diese unveräußerlichen Rechte liegen ihm voraus und sind selbst der Disposition des Verfassungsgebers entzogen (vgl. BVerfGE 111, 307 <329>; 112, 1 <27>; 128, 326 <369>). In Art. 23 Abs. 1, Art. 24 Abs. 1 und Abs. 1a GG ermöglicht das Grundgesetz dem Gesetzgeber, Hoheitsrechte auf die Europäische Union, andere zwischenstaatliche und grenznachbarschaftliche Einrichtungen zu übertragen und dem von diesen Organisationen gesetzten Recht einen Anwendungsvorrang vor dem innerstaatlichen Recht einzuräumen (vgl. BVerfGE 37, 271 <280>; 73, 339 <374 f.>), in Art. 24 Abs. 2 GG, sich einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit anzuschließen und in eine entsprechende Beschränkung der Hoheitsrechte einzuwilligen (vgl. BVerfGE 90, 286 <345 ff.>). In Art. 25 GG bestimmt es, dass die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts sind und den Gesetzen vorgehen (vgl. BVerfGE 23, 288 <300>; 31, 145 <177>; 112, 1 <21 f.>). Gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG schließlich bedürfen völkerrechtliche Verträge, die die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, der Zustimmung oder der Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in der Form eines Bundesgesetzes.
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Aus der Existenz dieser Öffnungsklauseln ergibt sich, dass das Grundgesetz nicht nur über die Wirksamkeit, sondern auch über den Rang von internationalem Recht innerhalb der nationalen Rechtsordnung entscheidet. In ihrem Geltungsbereich bestimmt die Verfassung insofern auch über Wirksamkeit und Anwendbarkeit von Völkerrecht sowie über die Auflösung von Kollisionen. Sie kann dabei grundsätzlich auch dem staatlichen Recht Vorrang einräumen.
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Hängen Wirksamkeit und Anwendbarkeit von Völkerrecht innerhalb der deutschen Rechtsordnung von den Vorgaben des Grundgesetzes ab, so können sie durch die Verfassung auch begrenzt werden, mit der Folge, dass es zu einem Auseinanderfallen von innerstaatlich wirksamem Recht und völkerrechtlichen Verpflichtungen kommen kann.
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b) Während die allgemeinen Regeln des Völkerrechts kraft unmittelbar in der Verfassung erteilten Vollzugsbefehls innerstaatlich wirksam sind und im Rang über dem Gesetz stehen (Art. 25 GG) (aa), bedürfen völkerrechtliche Verträge, die die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, für ihre innerstaatliche Wirksamkeit gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG eines Zustimmungsgesetzes und haben grundsätzlich nur den Rang eines einfachen (Bundes-)Gesetzes (bb).
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aa) Art. 25 Satz 1 GG verschafft den allgemeinen Regeln des Völkerrechts innerstaatliche Wirksamkeit (1). Sie haben gemäß Art. 25 Satz 2 GG innerhalb der nationalen Rechtsordnung einen Rang über den (einfachen) Gesetzen, aber unterhalb der Verfassung (2). Völkerrechtliche Verträge nehmen in der Regel nicht an dem in Art. 25 Satz 2 GG bestimmten Vorrang vor den (einfachen) Gesetzen teil (3).
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(1) Art. 25 Satz 1 GG bestimmt, dass die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts sind. Er verschafft den allgemeinen Regeln des Völkerrechts unmittelbar, das heißt, ohne dass ein sonstiger (einfachrechtlicher) Rechtsakt hinzukommen müsste, Wirksamkeit innerhalb der deutschen Rechtsordnung (vgl. BVerfGE 6, 309 <363>).
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(2) Nach Art. 25 Satz 2 GG gehen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts den Gesetzen vor. Er räumt diesen Regeln damit Vorrang vor den Gesetzen ein. Ein Gesetz, das mit einer allgemeinen Regel des Völkerrechts kollidiert, verstößt daher gegen die verfassungsmäßige Ordnung im Sinne des Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 6, 309 <363>; 23, 288 <300>; 31, 145 <177>; 112, 1 <21 f.>).
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Gleichzeitig ist Art. 25 GG jedoch dahingehend zu verstehen, dass er - dem Wortlaut von Satz 2 entsprechend - den allgemeinen Regeln des Völkerrechts einen Rang oberhalb der (einfachen) Gesetze, aber unterhalb der Verfassung einräumt (Zwischenrang) (vgl. BVerfGE 6, 309 <363>; 37, 271 <279>; 111, 307 <318>; 112, 1 <24, 26>; Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 25 Rn. 42
; Hillgruber, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, 13. Aufl. 2014, Art. 25 Rn. 11; Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 25 Rn. 55). Dies korrespondiert mit Art. 100 Abs. 2 GG, der dem Bundesverfassungsgericht die Prüfung zuweist, ob eine Regel des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts ist, nicht jedoch die Prüfung, ob das Grundgesetz mit dem (vorrangigen) Völkerrecht vereinbar ist.
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(3) Zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts gehören das Völkergewohnheitsrecht und die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Völkerrechts (vgl. BVerfGE 15, 25 <32 f., 34 f.>; 23, 288 <317>; 31, 145 <177>; 94, 315 <328>; 95, 96 <129>; 96, 68 <86>; 117, 141 <149>; 118, 124 <134>), das heißt diejenigen Normen des Völkerrechts, die unabhängig von vertraglicher Zustimmung für alle oder doch die meisten Staaten gelten (vgl. Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 25 Rn. 1
; vgl. auch BVerfGE 15, 25 <34>; 16, 27 <33>; 118, 124 <164 ff.>). Bestimmungen in völkerrechtlichen Verträgen nehmen daher grundsätzlich nicht an dem in Art. 25 Satz 2 GG vorgesehenen Vorrang teil (vgl. BVerfGE 6, 309 <363>; 31, 145 <178>; 117, 141 <149>; 118, 124 <134 f.>). Anders als andere Rechtsordnungen - etwa die französische (vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, 2. Aufl. 1989, S. 113 f.; Kunig, in: Graf Vitzthum/Proelß, Völkerrecht, 6. Aufl. 2013, 2. Abschnitt, Rn. 51; Oellers-Frahm, in: Festschrift für Helmut Steinberger, 2002, S. 865 <868 f.>) oder die luxemburgische (vgl. Vogel, in: ders./Lehner, DBA, 5. Aufl. 2008, Einl. Rn. 204) - sieht das Grundgesetz einen generellen Vorrang völkerrechtlicher Verträge vor dem einfachen Gesetzesrecht nicht vor.
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bb) Nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG erlangen völkerrechtliche Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, erst durch das dort vorgesehene Zustimmungsgesetz innerstaatliche Wirksamkeit (1). Sie haben den Rang einfacher Bundesgesetze (2). Etwas anderes ergibt sich weder aus dem Grundsatz pacta sunt servanda (3) noch - auch nicht für völkerrechtliche Verträge über die Besteuerung - aus § 2 Abs. 1 AO (4).
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(1) Der Zustimmungsvorbehalt gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG hat unterschiedliche Funktionen. Er dient - neben der Aufteilung der Entscheidungsbefugnisse im Bereich des auswärtigen Handelns (vgl. BVerfGE 90, 286 <357>; 104, 151 <194>; 118, 244 <258>) - der Ermöglichung einer rechtzeitigen und damit effektiven Kontrolle der Exekutive durch die Legislative vor Eintritt der völkerrechtlichen Verbindlichkeit eines Vertrags (vgl. BVerfGE 90, 286 <357>; 118, 244 <258>; 131, 152 <195 f.>). Zudem sichert er den Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, da aus Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG hervorgeht, dass die in einem völkerrechtlichen Vertrag enthaltenen Regelungen nur unter der Voraussetzung Rechte und Pflichten für den Einzelnen begründen, abändern oder aufheben können, dass ihnen der Gesetzgeber zugestimmt hat (vgl. Kempen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 59 Abs. 2 Rn. 65 ff.; Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 59 Rn. 26). Im Interesse der Funktionsfähigkeit völkerrechtlicher Beziehungen soll der Zustimmungsvorbehalt darüber hinaus verhindern, dass (wichtige) Verträge mit auswärtigen Staaten geschlossen werden, die später - mangels notwendiger Billigung durch den Gesetzgeber - nicht erfüllt werden können (Zweck der Vollzugssicherung) (vgl. BVerfGE 1, 372 <389 f.>; 118, 244 <258>). Damit dient der Zustimmungsvorbehalt zugleich der Wahrung der Entscheidungsfreiheit der Legislative, denn er verhindert, dass das Parlament durch völkerrechtliche Verpflichtungen, die innerstaatlich ein gesetzgeberisches Tätigwerden verlangen, präjudiziert wird (vgl. Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 59 Rn. 33; Streinz, in: Sachs, GG, 7. Aufl. 2014, Art. 59 Rn. 21).
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(2) Aus Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG folgt zudem, dass völkerrechtlichen Verträgen, soweit sie nicht in den Anwendungsbereich einer anderen, spezielleren Öffnungsklausel - insbesondere Art. 23 bis Art. 25 GG - fallen, innerstaatlich der Rang eines einfachen (Bundes-)Gesetzes zukommt und sie insofern keinen Übergesetzes- oder gar Verfassungsrang besitzen (vgl. BVerfGE 111, 307 <318>).
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Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG bestimmt nicht nur die Methodik, durch die völkervertragliche Regelungen in der nationalen Rechtsordnung wirksam werden, sondern auch den Rang, der dem für anwendbar erklärten Völkervertragsrecht innerhalb der nationalen Rechtsordnung zukommt. Das (einfache) Gesetz kann - ohne eine dahingehende grundgesetzliche Ermächtigung - dem völkervertraglich Vereinbarten keinen höheren Rang verleihen. Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht stets betont, dass der Rechtsanwendungsbefehl im Sinne von Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG einem völkerrechtlichen Vertrag innerhalb der Normenhierarchie keinen Rang über den Gesetzen einräumt (vgl. BVerfGE 19, 342 <347>; 22, 254 <265>; 25, 327 <331>; 35, 311 <320>; 74, 358 <370>; 111, 307 <317>; 128, 326 <367>).
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(3) Aus dem Grundsatz pacta sunt servanda, der seinerseits eine allgemeine Regel des Völkerrechts ist (vgl. Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 25 Rn. 9
; Kempen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 59 Abs. 2 Rn. 92), ergibt sich nichts anderes. Der Grundsatz beschreibt zwar eine besondere (völkerrechtliche) Pflichtenstellung des Staates gegenüber dem jeweiligen Vertragspartner, sagt jedoch nichts über die innerstaatliche Geltung und den Rang völkerrechtlicher Verträge (vgl. Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 25 Rn. 9 ). Er bewirkt insbesondere nicht, dass alle Bestimmungen völkerrechtlicher Verträge zu allgemeinen Regeln des Völkerrechts im Sinne von Art. 25 GG werden (vgl. BVerfGE 31, 145 <178>; vgl. auch BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 22. August 1983 - 2 BvR 1193/83 -, NVwZ 1984, S. 165 <165>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. Oktober 2000 - 1 BvR 1643/95 -, VIZ 2001, S. 114 <114>).
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(4) An diesem Ergebnis vermag § 2 Abs. 1 AO - auch für völkerrechtliche Verträge über die Besteuerung - nichts zu ändern (vgl. Lehner, IStR 2012, S. 389 <400>). Nach dieser Vorschrift gehen zwar Verträge mit anderen Staaten im Sinne des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG über die Besteuerung, soweit sie unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden sind, den Steuergesetzen vor. Da es sich bei § 2 AO um eine einfachgesetzliche Regelung handelt, kann er den von ihm geregelten völkerrechtlichen Verträgen keinen höheren Rang in der Normenhierarchie vermitteln (vgl. Mitschke, DStR 2011, S. 2221 <2226>). Allenfalls könnte er die Subsidiarität der nationalen Steuergesetze gegenüber Doppelbesteuerungsabkommen und anderen völkerrechtlichen Verträgen im Steuerrecht anordnen.
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c) Haben völkerrechtliche Verträge den Rang (einfacher) Bundesgesetze, können sie entsprechend dem lex-posterior-Grundsatz durch spätere, ihnen widersprechende Bundesgesetze verdrängt werden (aa). Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG schließt dies nicht aus (bb). Auch aus der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich nicht, dass eine solche Verdrängung an besondere Voraussetzungen gebunden wäre (cc). Das Völkerrecht steht der innerstaatlichen Wirksamkeit völkerrechtswidriger Rechtsakte nicht entgegen (dd).
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aa) Für ranggleiches innerstaatliches Recht gilt im Fall der Kollision der Grundsatz lex posterior derogat legi priori, es sei denn, die ältere Regelung ist spezieller als die jüngere oder die Geltung des lex-posterior-Grundsatzes wird abbedungen. Sind die Regelungen eines völkerrechtlichen Vertrags in der innerstaatlichen Rechtsordnung wirksam und kommt ihnen dabei der Rang eines (einfachen) Bundesgesetzes zu, so können auch sie durch ein späteres, gegenläufiges Bundesgesetz im Umfang des Widerspruchs außer Kraft gesetzt werden (vgl. Kunig, in: Graf Vitzthum/Proelß, Völkerrecht, 6. Aufl. 2013, 2. Abschnitt, Rn. 118 f.; a.A. Becker, NVwZ 2005, S. 289 <291>).
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bb) Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG schränkt die Geltung deslex-posterior-Grundsatzes für völkerrechtliche Verträge nicht ein. Da der Gesetzgeber einem völkerrechtlichen Vertrag regelmäßig nur insgesamt zustimmen oder nicht zustimmen kann (vgl. BVerfGE 90, 286 <358>), wird zwar mitunter angenommen, dass Zustimmungsgesetz und völkerrechtlicher Vertrag derart untrennbar miteinander verbunden seien, dass das Zustimmungsgesetz - abgesehen von seiner Aufhebung im Ganzen - durch Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG gegen inhaltliche Abänderungen geschützt sei (vgl. Wohlschlegel, FR 1993, S. 48 <49>) oder sich der Gesetzgeber von einem völkerrechtlichen Vertrag nur in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht lösen könne (vgl. Vöneky, in: Isensee/Kirchhof, HStR XI, 3. Aufl. 2013, § 236 Rn. 33).
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Diese Auffassung ist jedoch abzulehnen.
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Sie widerspricht insbesondere dem Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG) und dem Grundsatz der parlamentarischen Diskontinuität. Demokratie ist Herrschaft auf Zeit (vgl. Dreier, in: ders., GG, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 20
Rn. 79). Dies impliziert, dass spätere Gesetzgeber - entsprechend dem durch die Wahl zum Ausdruck gebrachten Willen des Volkes - innerhalb der vom Grundgesetz vorgegebenen Grenzen Rechtsetzungsakte früherer Gesetzgeber revidieren können müssen (vgl. Gurlit, Verwaltungsvertrag und Gesetz, 2000, S. 174; Rust, Die Hinzurechnungsbesteuerung, 2007, S. 108; Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 <847>). Damit wäre es nicht zu vereinbaren, wenn ein Parlament die Gesetzgeber späterer Legislaturperioden binden und in ihren Möglichkeiten beschränken könnte, gesetzgeberische Entscheidungen der Vergangenheit aufzuheben oder zu korrigieren, weil dadurch politische Auffassungen auf Dauer festgeschrieben würden (vgl. Hofmann, DVBl. 2013, S. 215 <219>; Ismer/Baur, IStR 2014, S. 421 <424>; Nettesheim, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 59 Rn. 184 ; Rust, Die Hinzurechnungsbesteuerung, 2007, S. 108; Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 <847>). Das Zustimmungsgesetz gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG soll einem innerstaatlich anwendbaren völkerrechtlichen Vertrag zudem ein hinreichendes demokratisches Legitimationsniveau vermitteln (vgl. Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 59 Rn. 21), nicht dieses absenken. Es soll die Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers schützen (vgl. Kempen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 59 Abs. 2 Rn. 37; Musil, Deutsches Treaty Overriding und seine Vereinbarkeit mit Europäischem Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 65; Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 59 Rn. 33; Streinz, in: Sachs, GG, 7. Aufl. 2014, Art. 59 Rn. 21). Dem widerspräche es, aus Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG eine "Änderungssperre" für die Zukunft ableiten zu wollen (vgl. Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung im Internationalen Steuerrecht, 2009, S. 261).
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Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber im Unterschied zu Exekutive und Judikative gemäß Art. 20 Abs. 3 GG nur an die verfassungsmäßige Ordnung, nicht jedoch an einfachrechtliche Regelungen gebunden ist. Diese soll er - innerhalb der verfassungsrechtlichen Bindungen - durchaus ändern und neu gestalten können. Für ihn sollen daher gerade keine einfachgesetzlichen Bindungen bestehen (vgl. Gurlit, Verwaltungsvertrag und Gesetz, 2000, S. 173). Würde der Gesetzgeber seine Normsetzungsbefugnis in dem Umfang verlieren, in dem er in der Form eines Bundesgesetzes völkerrechtliche Vereinbarungen gebilligt hat, führte dies im Ergebnis zu einer Art. 20 Abs. 3 GG widersprechenden Bindung (vgl. Hofmann, DVBl 2013, S. 215 <219>).
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Auch ist der Gesetzgeber nicht für die Kündigung völkerrechtlicher Verträge zuständig. Bestünde tatsächlich eine entsprechende Selbstbindung nach der Ratifikation eines völkerrechtlichen Vertrags, würde er dauerhaft auf seine Gesetzgebungsbefugnis verzichten (vgl. BVerfGE 68, 1 <83, 85 f.>). Wenn aber das Demokratieprinzip eine dauerhafte Bindung des Gesetzgebers an Rechtsetzungsakte früherer Gesetzgeber verbietet und ihm gleichzeitig die Befugnis fehlt, völkerrechtliche Verträge, mit deren Inhalt er nicht mehr einverstanden ist, zu beenden, muss er zumindest in der Lage sein, innerhalb seines Kompetenzbereichs vom völkerrechtlich Vereinbarten abweichende Gesetze zu erlassen.
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Schließlich hat das Zustimmungsgesetz zu einem völkerrechtlichen Vertrag für die Beteiligten am Rechtsverkehr ebenso wenig wie ein sonstiges innerstaatliches Gesetz eine Garantiefunktion dahingehend, dass kein abweichendes Gesetz erlassen wird (vgl. Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht, 1967, S. 212 ff.; Becker, NVwZ 2005, S. 289 <289>).
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cc) Auch aus der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich nicht, dass völkervertragliche Regelungen nicht durch spätere, ihnen widersprechende (Bundes-)Gesetze verdrängt werden können.
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So hat der Zweite Senat in seiner Entscheidung zur C-Waffen-Stationierung ausgeführt, dass der Verfassung schwerlich unterlegt werden könne, dass sie es der Bundesrepublik Deutschland verwehre, sich völkerrechtswidrig zu verhalten (vgl. BVerfGE 77, 170 <233 f.>; vgl. auch BVerfGE 68, 1 <107>). In der Entscheidung zur Unschuldsvermutung hat er zwar festgestellt, dass Gesetze im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands auszulegen und anzuwenden seien, selbst wenn sie zeitlich später wirksam geworden seien als ein völkerrechtlicher Vertrag, da nicht anzunehmen sei, dass der Gesetzgeber, sofern er dies nicht klar bekundet habe, von völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland abweichen oder die Verletzung solcher Pflichten ermöglichen wolle (vgl. BVerfGE 74, 358 <370>). Daher sei davon auszugehen, dass sich der Gesetzgeber grundsätzlich nicht in Widerspruch zu völkerrechtlichen Pflichten Deutschlands setzen will (vgl. BVerfGE 74, 358 <370>; v. Arnauld, Völkerrecht, 2012, Rn. 515; Payandeh, JöR 57 [2009], S. 465 <488>); er ist dazu jedoch in der Lage (vgl. BVerfGE 6, 309 <362 f.>).
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Entgegen einer teilweise vertretenen Auffassung (vgl. v. Arnauld, Völkerrecht, 2012, Rn. 518; Gosch, IStR 2008, S. 413 <419>; Jarass, in: ders./Pieroth, GG, 13. Aufl. 2014, Art. 25 Rn. 4a; Kempf/Bandl, DB 2007, S. 1377 <1381>; Rauschning, in: Bonner Kommentar, GG, Bd. 9, Art. 59 Rn. 109 ff.
; Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 <848>; Stein, IStR 2006, S. 505 <508 f.>; Vogel, in: ders./Lehner, DBA, 5. Aufl. 2008, Einl. Rn. 205; ders., IStR 2005, S. 29 <30>; Weigell, IStR 2009, S. 636 <639 f.>) hat das Bundesverfassungsgericht auch im Görgülü-Beschluss (BVerfGE 111, 307) nicht entschieden, dass der Gesetzgeber nur zur Wahrung tragender Verfassungsgrundsätze von völkerrechtlichen Vereinbarungen abweichen dürfe. Zwar hat der Senat dort festgehalten, dass es dem Ziel der Völkerrechtsfreundlichkeit nicht widerspreche, wenn der Gesetzgeber Völkervertragsrecht ausnahmsweise nicht beachte, sofern nur auf diese Weise ein Verstoß gegen tragende Grundsätze der Verfassung abzuwenden sei (vgl. BVerfGE 111, 307 <319>). Er hat zudem festgestellt, dass das Zustimmungsgesetz eine Pflicht der zuständigen Stellen zur Berücksichtigung der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Entscheidungen des Gerichtshofs für Menschenrechte begründe und dass diese die entsprechenden Texte und Judikate zur Kenntnis nehmen und in ihren Willensbildungsprozess einfließen lassen müssten (vgl. BVerfGE 111, 307 <324>). Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass die Unvereinbarkeit eines Gesetzes mit einem völkerrechtlichen Vertrag regelmäßig zu dessen Verfassungswidrigkeit führt. Der Görgülü-Beschluss verhält sich zu den Folgen eines Verstoßes des Gesetzgebers gegen Völker(vertrags)recht nicht, sondern betrifft ausschließlich die Rechtsfolgen einer unzureichenden Beachtung von Völkerrecht durch die Fachgerichte (vgl. Hahn, BB 2012, S. 1955 <1958>; Heger, jurisPR-SteuerR 25/2012 Anm. 4 unter C.; Krumm, AöR 138 [2013], S. 363 <381 f.>; Schwenke, FR 2012, S. 443 <447>).
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dd) Das Völkerrecht verbietet die innerstaatliche Wirksamkeit völkerrechtswidriger Rechtsakte grundsätzlich nicht (1); unbeachtlich ist ein Verstoß gegen Völkerrecht gleichwohl nicht (2).
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(1) Das Völkerrecht schließt die innerstaatliche Wirksamkeit völkerrechtswidriger Rechtsakte nicht aus. Allgemeine Regeln des Völkerrechts zur innerstaatlichen Erfüllung von Vertragspflichten existieren nicht (vgl. BVerfGE 73, 339 <375>; vgl. auch BVerfGE 111, 307 <322>; 123, 267 <398>; 126, 286 <302>; 134, 366 <384, Rn. 26>; Doehring, Völkerrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 704; Musil, Deutsches Treaty Overriding und seine Vereinbarkeit mit Europäischem Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 64; Vogel, JZ 1997, S. 161 <165>). Das Völkerrecht überlässt es vielmehr den Staaten, in welcher Weise sie ihrer Pflicht zur Beachtung völkerrechtlicher Regelungen genügen (so in Bezug auf die EMRK jedenfalls BVerfGE 111, 307 <316> m.w.N.; 128, 326 <370>). Zwar fordert es von den Staaten die Erfüllung der zwischen ihnen geschlossenen Verträge nach Treu und Glauben (Art. 26 WVRK). Es schließt allerdings nur aus, dass ein Staat unter Berufung auf innerstaatliches Recht die Verletzung einer völkerrechtlichen Pflicht auf völkerrechtlicher Ebene rechtfertigen kann (Art. 27 Satz 1 WVRK).
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Insoweit überlässt es das Völkerrecht den Staaten, die innerstaatlichen Rechtsfolgen einer Kollision zwischen einem völkerrechtlichen Vertrag und einem Gesetz nach den entsprechenden Rang- und Kollisionsregeln des nationalen Rechts zu regeln und dem nationalen Recht den Vorrang einzuräumen (vgl. Kunig, in: Graf Vitzthum/Proelß, Völkerrecht, 6. Aufl. 2013, 2. Abschnitt, Rn. 30; Nettesheim, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 59 Rn. 183
). Innerstaatliche Regelungen betreffen andere Rechtsverhältnisse als die völkerrechtlichen Vorschriften, zu denen sie im Widerspruch stehen.
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(2) Auch wenn das Völkerrecht die innerstaatliche Wirksamkeit völkerrechtswidriger Rechtsakte nicht ausschließt, ist der damit verbundene Verstoß nicht unbeachtlich. Verletzt ein Staat seine Pflichten aus einem völkerrechtlichen Vertrag, haben der oder die Vertragspartner verschiedene Möglichkeiten, auf den Vertragsbruch zu reagieren. Bei weniger gravierenden Vertragsverletzungen kommen regelmäßig nur ein Recht zur ordentlichen Kündigung (Art. 56 WVRK), ein Anspruch auf Herstellung des vertragsmäßigen Zustands oder - subsidiär - eine Schadensersatzforderung in Betracht (vgl. Art. 34 ff. der ILC, Draft Articles on State Responsibility for Internationally Wrongful Acts [2001] vom 26. Juli 2001
; Doehring, Völkerrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 370 mit Fn. 82, Rn. 371 ff. mit Fn. 86). Bei erheblichen Verletzungen (material breach) kann der andere Teil berechtigt sein, den Vertrag unabhängig von der Vereinbarung eines Kündigungsrechts zu beenden oder ihn zu suspendieren (Art. 60 Abs. 1 WVRK; vgl. Doehring, Völkerrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 371). Eine erhebliche Verletzung liegt gemäß Art. 60 Abs. 3 WVRK bei Verletzung einer für die Erreichung des Vertragsziels oder -zwecks wesentlichen Bestimmung vor (vgl. Art. 2b i.V.m. Art. 12 der ILC Draft Articles on State Responsibility for Internationally Wrongful Acts [2001] vom 26. Juli 2001 ).
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d) Die Verfassungswidrigkeit völkerrechtswidriger Gesetze lässt sich auch nicht unter Rückgriff auf den ungeschriebenen Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes begründen (a.A. Vogel, JZ 1997, S. 161 <165 ff.>; Becker, NVwZ 2005, S. 289 <291>; Richter, in: Giegerich
, Der "offene Verfassungsstaat" des Grundgesetzes nach 60 Jahren, 2010, S. 159 <177 f.>; Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 <846>; Stein, IStR 2006, S. 505 <508 f.>). Der Grundsatz hat zwar Verfassungsrang (aa), beinhaltet jedoch keine verfassungsrechtliche Pflicht zur uneingeschränkten Befolgung aller völkerrechtlichen Normen. Er dient vielmehr vor allem als Auslegungshilfe (bb). Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit kann insbesondere die differenzierten Regelungen des Grundgesetzes über den Rang der unterschiedlichen Quellen des Völkerrechts nicht verdrängen und ihre Systematik nicht unterlaufen (cc).
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aa) Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit hat Verfassungsrang. Er ergibt sich aus einer Zusammenschau der verfassungsrechtlichen Vorschriften, die das Verhältnis Deutschlands zur internationalen Staatengemeinschaft zum Gegenstand haben (vgl. Herdegen, Völkerrecht, 13. Aufl. 2014, § 22 Rn. 9 f.; Payandeh, JöR 57 [2009], S. 465 <470 ff.>). Das Grundgesetz hat die deutsche öffentliche Gewalt auf die internationale Zusammenarbeit (Art. 24 GG) und die europäische Integration (Art. 23 GG) festgelegt. Es hat das Völkerrecht jedenfalls in seinen allgemeinen Regeln besonders hervorgehoben (Art. 25 GG), das Völkervertragsrecht durch Art. 59 Abs. 2 GG in das System der Gewaltenteilung eingeordnet, die Einfügung Deutschlands in Systeme gegenseitiger kollektiver Sicherheit zugelassen (Art. 24 Abs. 2 GG), den Auftrag zur friedlichen Beilegung zwischenstaatlicher Streitigkeiten im Wege der Schiedsgerichtsbarkeit erteilt (Art. 24 Abs. 3 GG) und den Angriffskrieg für verfassungswidrig erklärt (Art. 26 GG) (vgl. BVerfGE 111, 307 <318>). Mit diesen Regelungen zielt es, auch ausweislich der Präambel, darauf, die Bundesrepublik Deutschland als friedliches und gleichberechtigtes Glied in die Völkerrechtsordnung der Staatengemeinschaft einzufügen (vgl. BVerfGE 63, 343 <370>; 111, 307 <318>). Die Bestimmungen enthalten eine Verfassungsentscheidung für eine auf die Achtung und Stärkung des Völkerrechts aufbauende zwischenstaatliche Zusammenarbeit (vgl. BVerfGE 111, 307 <317 f.>; 112, 1 <25>; Mosler, in: Isensee/Kirchhof, HStR VII, 1992, § 175 Rn. 1 ff.; Payandeh, JöR 57 [2009], S. 465 <481>) und verpflichten daher die gesamte öffentliche Gewalt dazu, einem Auseinanderfallen von völkerrechtlicher und innerstaatlicher Rechtslage entgegenzuwirken und im Außenverhältnis eine mit einer Verletzung des Völkerrechts verbundene Haftung Deutschlands zu vermeiden (vgl. BVerfGE 58, 1 <34>; 59, 63 <89>; 109, 13 <23 f.>; 109, 38 <49 f.>; 111, 307 <316, 318, 328>; 112, 1 <25>; 128, 326 <368 f.>).
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Der daraus abgeleitete Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes wird in der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - vor allem im Verhältnis zu Menschenrechtspakten und dabei insbesondere im Verhältnis zur Europäischen Menschenrechtskonvention - hervorgehoben (vgl. BVerfGE 92, 26 <48>; 111, 307 <317 ff.>; 112, 1 <26>; 113, 273 <296>; 123, 267 <344, 347>; 128, 326 <365, 366, 369>; BVerfGK 9, 174 <186, 190, 191, 192>; 17, 390 <397 f.>), ist aber auch schon in der älteren Rechtsprechung des Gerichts nachweisbar (vgl. BVerfGE 6, 309 <362>; 18, 112 <121>; 31, 58 <75>; 41, 88 <120 f.>). Während zunächst vor allem die Grenzen der Völkerrechtsfreundlichkeit thematisiert wurden (vgl. BVerfGE 6, 309 <362 f.>; 18, 112 <121>; 31, 58 <75 f.>; 41, 88 <120 f.>), betont die Rechtsprechung heute, dass das Grundgesetz die Staatsorgane in den Dienst der Durchsetzung des Völkerrechts stellt und dadurch das Risiko der Nichtbefolgung internationalen Rechts mindert (vgl. BVerfGE 109, 38 <50>; 111, 307 <328>; 112, 1 <25>).
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bb) Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes beinhaltet jedoch keine verfassungsrechtliche Pflicht zur uneingeschränkten Befolgung aller völkerrechtlichen Verträge (1-2). Er dient vor allem als Auslegungshilfe für die Grundrechte und die rechtsstaatlichen Grundsätze der Verfassung sowie das einfache Recht (3).
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(1) Das Grundgesetz erstrebt die Einfügung Deutschlands in die Rechtsgemeinschaft friedlicher und freiheitlicher Staaten, verzichtet aber nicht auf die in dem letzten Wort der deutschen Verfassung liegende Souveränität.
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(2) Aus der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes folgt keine verfassungsrechtliche Pflicht zur uneingeschränkten Befolgung jeder Bestimmung des Völkerrechts. Eine solche widerspräche, wie der Zweite Senat im Alteigentümer-Beschluss erläutert hat, dem in den Art. 23 bis Art. 26 GG, in den Art. 1 Abs. 2, Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG und in Art. 59 Abs. 2 GG niedergelegten Konzept des Grundgesetzes und damit den differenzierten Regelungen über den innerstaatlichen Rang völkerrechtlicher Normen (vgl. BVerfGE 112, 1 <25>), aus denen der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit abgeleitet wird und die daher auch bei der näheren Bestimmung seines Inhalts zu beachten sind. Das Grundgesetz hat nicht die uneingeschränkte Unterwerfung der deutschen Rechtsordnung unter die Völkerrechtsordnung und den unbedingten Vorrang von Völkerrecht auch vor dem Verfassungsrecht angeordnet, sondern will die Öffnung der innerstaatlichen Rechtsordnung für das Völkerrecht und die internationale Zusammenarbeit (nur) in den Formen einer kontrollierten Bindung (vgl. BVerfGE 112, 1 <25>), das heißt so, wie sie in den differenzierten Regelungen des Grundgesetzes über das Verhältnis zwischen den beiden Rechtsordnungen vorgesehen ist. Diese beinhalten für die Regelungen völkerrechtlicher Verträge jedoch gerade keine Pflicht zur uneingeschränkten Befolgung.
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(3) Die sich aus der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes ergebende Pflicht, das Völkerrecht zur respektieren, besitzt vielmehr drei Dimensionen: Erstens sind die deutschen Staatsorgane verpflichtet, die die Bundesrepublik Deutschland bindenden Völkerrechtsnormen zu befolgen und Verletzungen nach Möglichkeit zu unterlassen. Zweitens hat der Gesetzgeber für die deutsche Rechtsordnung zu gewährleisten, dass durch eigene Staatsorgane begangene Völkerrechtsverstöße korrigiert werden können. Drittens können die deutschen Staatsorgane - unter hier nicht näher zu bestimmenden Voraussetzungen - auch verpflichtet sein, das Völkerrecht im eigenen Verantwortungsbereich zur Geltung zu bringen, wenn andere Staaten es verletzen (vgl. BVerfGE 112, 1 <26>).
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(4) Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit dient nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ferner als Auslegungshilfe für die Grundrechte und die rechtsstaatlichen Grundsätze der Verfassung sowie das einfache Recht (vgl. zur Europäischen Menschenrechtskonvention und zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als Auslegungshilfe BVerfGE 74, 358 <370>; 83, 119 <128>; 111, 307 <315 f., 317, 324, 325, 329>; 120, 180 <200 f.>; 128, 326 <365, 367 f.>; BVerfGK 3, 4 <8>; 9, 174 <190>; 10, 66 <77>; 10, 234 <239>; 11, 153 <159 ff.>; 20, 234 <247>). Er gebietet, die nationalen Gesetze nach Möglichkeit so auszulegen, dass ein Konflikt mit völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland nicht entsteht (vgl. BVerfGE 74, 358 <370>; 83, 119 <128>; 111, 307 <317 f.>; 120, 180 <200 f.>; 128, 326 <367 f.>; BVerfGK 9, 174 <190>). In der Kammerrechtsprechung ist dies dahingehend konkretisiert worden, dass im Rahmen geltender methodischer Grundsätze von mehreren möglichen Auslegungen eines Gesetzes grundsätzlich eine völkerrechtsfreundliche zu wählen ist (vgl. BVerfGK 10, 116 <123>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 8. Dezember 2014 - 2 BvR 450/11 -, NVwZ 2015, S. 361 <364>; so auch Proelß, in: Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Bd. 1, 2009, S. 553 <556 ff.>).
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Das aus dem Grundgesetz abgeleitete Gebot der völkerrechtsfreundlichen Auslegung gilt jedoch nicht absolut und ungeachtet der methodischen Grenzen der Gesetzesauslegung. Es verlangt keine schematische Parallelisierung der innerstaatlichen Rechtsordnung mit dem Völkerrecht, sondern eine möglichst vollständige Übernahme der materiellen Wertungen - soweit dies methodisch vertretbar und mit den Vorgaben des Grundgesetzes vereinbar ist (vgl. BVerfGE 111, 307 <323, 329>; 128, 326 <366, 371 f.>; BVerfGK 20, 234 <247>; bezogen auf die EMRK vgl. Thym, JZ 2015, S. 53 <54>). Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit entfaltet Wirkung nur im Rahmen des demokratischen und rechtsstaatlichen Systems des Grundgesetzes (vgl. BVerfGE 111, 307 <318, 323, 329>; 128, 326 <366, 371 f.>) und lässt etwa den Grundsatz der demokratischen Selbstbestimmung unangetastet (vgl. BVerfGE 123, 267 <344>). Zwar ist grundsätzlich nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber, sofern er dies nicht klar bekundet hat, von völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland abweichen oder die Verletzung solcher Verpflichtungen ermöglichen will (vgl. BVerfGE 74, 358 <370>; BVerfGK 10, 116 <123>). Eine Auslegung entgegen eindeutig entgegenstehendem Gesetzes- oder Verfassungsrecht ist jedoch methodisch nicht vertretbar (vgl. BVerfGE 111, 307 <329>; vgl. auch Ismer/Baur, IStR 2014, S. 421 <425 f.>).
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cc) Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG kann daher nicht völkerrechtsfreundlich dahingehend ausgelegt werden, dass sich der Gesetzgeber nur in Ausnahmefällen, in denen allein auf diese Weise ein Verstoß gegen tragende Grundsätze der Verfassung abzuwenden ist, über völkervertragliche Bindungen hinwegsetzen dürfte. Eine Auslegung von Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG, wonach völkerrechtlichen Verträgen zumindest im Regelfall ein Rang über den (einfachen) Gesetzen zukäme, ist methodisch nicht vertretbar. Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit kann die Regelungen des Grundgesetzes über den Rang der unterschiedlichen Quellen des Völkerrechts nicht verdrängen (1) und die damit verbundene Systematik nicht unterlaufen (2).
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(1) Das Grundgesetz hat sich in Art. 59 Abs. 2 GG dafür entschieden, völkerrechtliche Verträge innerstaatlich (nur) mit dem Rang eines (einfachen) Bundesgesetzes auszustatten (vgl. BVerfGE 19, 342 <347>; 22, 254 <265>; 25, 327 <331>; 35, 311 <320>; 74, 358 <370>; 111, 307 <317 f.>; 128, 326 <367>; BVerfGK 10, 116 <124>). Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit - der seinerseits keine allgemeine Regel des Völkerrechts im Sinne von Art. 25 GG ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. Oktober 2000 - 1 BvR 1643/95 -, juris, Rn. 11) und unter anderem aus Art. 59 Abs. 2 GG abgeleitet wird - vermag an dieser Einordnung und an der daran anknüpfenden Geltung des lex-posterior-Grundsatzes nichts zu ändern. In diesem Sinne hat der Senat bereits in seiner Entscheidung zum Reichskonkordat festgestellt, dass das Grundgesetz in seiner Völkerrechtsfreundlichkeit nicht so weit gehe, die Einhaltung bestehender völkerrechtlicher Verträge durch eine Bindung des Gesetzgebers an das ihnen entsprechende Recht zu sichern (vgl. BVerfGE 6, 309 <362 f.>). Der aus ihm abgeleitete ungeschriebene Verfassungsgrundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit kann das Grundgesetz konkretisieren oder ergänzen. Er kann das geschriebene Verfassungsrecht jedoch nicht entgegen der in Art. 79 Abs. 1 und Abs. 2 GG vorgesehenen Zuständigkeit und Methodik ändern oder außer Kraft setzen (vgl. Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 20 Abs. 3 Rn. 251).
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(2) Die hier in Rede stehende Auslegung von Art. 59 Abs. 2 GG, die sich auf den Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit beruft, führte im Ergebnis dazu, dass die Unterschiede in der Bindungswirkung der verschiedenen Quellen des Völkerrechts, die durch ihren jeweiligen grundgesetzlich bestimmten Rang bedingt sind, eingeebnet würden und damit die grundgesetzliche Systematik hinsichtlich des Rangs von Völkerrecht unterlaufen würde (vgl. Frau/Trinks, DÖV 2013, S. 228 <231 f.>; Gosch, IStR 2008, S. 413 <419>; Heger, jurisPR-SteuerR 25/2012 Anm. 4 unter C.I.). Dies wird, nimmt man Doppelbesteuerungsabkommen in den Blick, sehr deutlich: Da Doppelbesteuerungsabkommen regelmäßig nicht gegen tragende Grundsätze der Verfassung verstoßen (vgl. Fehrenbacher/Traut, in: Festschrift für Kay Hailbronner, 2013, S. 569 <580>; Kempf/Bandl, DB 2007, S. 1377 <1381>; Stein, IStR 2006, S. 505 <508 f.>; Vogel, IStR 2005, S. 29 <30>), hätten sie de facto - wie die allgemeinen Regeln des Völkerrechts - regelmäßig einen Rang über den Gesetzen. Eine solche Gleichsetzung widerspräche jedoch der in Art. 25 und Art. 59 Abs. 2 GG getroffenen Unterscheidung. Darüber kann sich die Auslegung von Art. 59 Abs. 2 GG nicht hinwegsetzen.
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Die Forderung nach einer völkerrechtskonformen Auslegung von Art. 59 Abs. 2 GG verkennt zudem, dass das Grundgesetz nicht nur zwischen Völkervertragsrecht und allgemeinen Regeln des Völkerrechts unterscheidet, sondern auch zwischen zwingenden, der Disposition des Verfassungsgebers entzogenen Regelungen, insbesondere den unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten (Art. 1 Abs. 2 GG), und sonstigem Völkerrecht (vgl. BVerfGE 111, 307 <329>; 112, 1 <27 f.>; 128, 326 <369>). Daher können die vom Bundesfinanzhof und Teilen des Schrifttums zur Begründung einer grundsätzlichen Bindung des Gesetzgebers an Völkervertragsrecht herangezogenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die sich durchgängig auf grund- und menschenrechtliche Fragestellungen (vgl. BVerfGE 111, 307 <308 ff.>; 112, 1 <13 ff.>; 128, 326 <359 ff.>) beziehen, nicht ohne Weiteres auf die vorliegende Konstellation übertragen werden (zur fehlenden Übertragbarkeit der Entscheidungen aufgrund des unterschiedlichen normativen Gesamtgefüges vgl. Hahn, BB 2012, S. 1955 <1958>; Heger, jurisPR-SteuerR 25/2012 Anm. 4 unter C.; Krumm, AöR 138 [2013], S. 363 <381 f.>; Musil, IStR 2014, S. 192 <194>; Schwenke, FR 2012, S. 443 <447>).
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e) Entgegen einer vor allem in der steuerrechtlichen Literatur vertretenen und vom Bundesfinanzhof nun aufgegriffenen Ansicht (z.B. Frotscher, IStR 2009, S. 593 <599>; Gosch, IStR 2008, S. 413 <419>; Kempf/Bandl, DB 2007, 1377 <1381>; Rust, Die Hinzurechnungsbesteuerung, 2007, S. 105 ff.; Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 <847>; Stein, IStR 2006, S. 505 <509>; Vogel, JZ 1997, S. 161 <165>), ist die einseitige Abkommensüberschreibung (Treaty Override) schließlich nicht wegen eines Verstoßes gegen das Rechtsstaatsprinzip verfassungswidrig.Die Auslegung des grundgesetzlichen Rechtsstaatsgebots muss den Anforderungen einer systematischen Interpretation des Verfassungstextes genügen. Eine (vermeintlich) rechtsstaatliche Auslegung findet jedenfalls an ausdrücklichen Vorgaben des Grundgesetzes und am Demokratieprinzip ihre Grenze (aa). Daher kann aus dem Rechtsstaatsprinzip ein insbesondere den Art. 25 Satz 2, Art. 59 Abs. 2 GG widersprechender (begrenzter) Vorrang des Völkervertragsrechts vor dem (einfachen) Gesetz oder eine Einschränkung des lex-posterior-Grundsatzes nicht abgeleitet werden (bb).
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aa) Das Verfassungsrecht besteht nicht nur aus den einzelnen Sätzen der geschriebenen Verfassung, sondern darüber hinaus aus gewissen sie verbindenden, innerlich zusammenhaltenden allgemeinen Grundsätzen und Leitideen, die der Verfassungsgeber, weil sie das vorverfassungsmäßige Gesamtbild geprägt haben, von dem er ausgegangen ist, nicht in einem besonderen Rechtssatz konkretisiert hat (vgl. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 80 ff., 84 f.; Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, 1997, S. 399 ff.). Zu diesen Grundsätzen gehört das Rechtsstaatsprinzip, das sich aus einer Zusammenschau der Bestimmungen des Art. 20 Abs. 3 GG über die Bindung der einzelnen Gewalten und der Art. 1 Abs. 3, Art. 19 Abs. 4, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG sowie aus der Gesamtkonzeption des Grundgesetzes ergibt (vgl. BVerfGE 2, 380 <403>). Seine vornehmliche Verankerung findet das Rechtsstaatsprinzip allerdings in den in Art. 20 Abs. 3 GG ausgesprochenen Bindungen der Staatsgewalt (vgl. BVerfGE 35, 41 <47>; 39, 128 <143>; 48, 210 <221>; 51, 356 <362>; 56, 110 <128>; 58, 81 <97>; 101, 397 <404>; 108, 186 <234>; 133, 143 <157 f., Rn. 40>; 134, 33 <89, Rn. 129>; stRspr).
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Das Rechtsstaatsprinzip enthält keine bis in alle Einzelheiten gehenden, eindeutig bestimmten Ge- oder Verbote, sondern ist entsprechend den jeweiligen sachlichen Gegebenheiten zu konkretisieren (vgl. BVerfGE 7, 89 <92 f.>; 65, 283 <290>; 111, 54 <82>). Angesichts dieser Weite und Unbestimmtheit des Rechtsstaatsprinzips ist bei der Ableitung konkreter Bindungen mit Behutsamkeit vorzugehen (vgl. BVerfGE 90, 60 <86>; vgl. auch BVerfGE 57, 250 <276>; 65, 283 <290>; 111, 54 <82>). Eine (vermeintlich) rechtsstaatliche Auslegung des Grundgesetzes findet jedenfalls an anderen Vorgaben des Grundgesetzes ihre Grenze. Sie darf der geschriebenen Verfassung nicht widersprechen (vgl. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 85, 87). Das Rechtsstaatsprinzip ist daher auch kein Einfallstor für eine den differenzierten Regelungen des Grundgesetzes zur Bindungswirkung völkerrechtlicher Regelungen widersprechende schematische "Vollstreckung" von Völkerrecht (vgl. bezogen auf die Durchführung von Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte BVerfGE 111, 307
).
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bb) Wollte man die Verfassungswidrigkeit einer Abkommensüberschreibung (Treaty Override) aus ihrer Rechtsstaatswidrigkeit abzuleiten versuchen, liefe dies darauf hinaus, dem Völkervertragsrecht entgegen dem insbesondere Art. 25 Satz 2, Art. 59 Abs. 2 GG zu entnehmenden Konzept des Grundgesetzes zumindest einen begrenzten Vorrang vor dem (einfachen) Gesetz einzuräumen. Ein verfassungsrechtliches Verbot der Abkommensüberschreibung (Treaty Override) würde bedeuten, dass nicht nur das Abkommen selbst, das mitunter erst nach Ablauf mehrerer Jahre (vgl. Art. 30 Abs. 2 Satz 1 DBA-Türkei 1985) und nach der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes gemäß Art. 59 Abs. 1 GG nicht vom Gesetzgeber (vgl. oben Rn. 55) gekündigt werden kann, sondern auch seine Auslegung durch die Fachgerichte korrigierenden Eingriffen des Gesetzgebers entzogen wäre (vgl. BVerfGE 135, 1 <15, Rn. 45>; Ismer/Baur, IStR 2014, S. 421 <424>). Das widerspräche nicht nur der in Art. 25 und Art. 59 Abs. 2 GG zum Ausdruck kommenden Entscheidung gegen eine Unterwerfung der Verfassung unter das Völkerrecht und für den einfachgesetzlichen Rang des Völkervertragsrechts, sondern auch dem Demokratieprinzip.
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Aus dem Urteil des Zweiten Senats zur Verpackungsteuer ergibt sich nichts anderes. Dort ging es um sich widersprechende Regeln des Steuergesetzgebers (Land) und des Sachgesetzgebers (Bund), also um den - vom Senat allerdings nicht erwähnten - Vorrang des Bundesrechts nach Art. 31 GG und die Kohärenz der (einheitlichen) nationalen Rechtsordnung. Auf sie bezieht sich der dort entwickelte Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung (vgl. BVerfGE 98, 106 <118 f.>), der verhindern soll, dass der Bürger einander widersprechenden Normbefehlen unterschiedlicher Gesetzgeber ausgesetzt wird. Demgegenüber geht es bei der Abkommensüberschreibung (Treaty Override) um die Kollision zweier gleichrangiger Normen desselben Gesetzgebers. Derartige Kollisionen sind - wie der Senat in dem Verpackungsteuerbeschluss ausgeführt hat - grundsätzlich "nach dem Rang, der Zeitenfolge und der Spezialität der Regelungen" aufzulösen (BVerfGE 98, 106 <119>).
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2. Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG eine Abkommensüberschreibung (Treaty Override) darstellt. Das Grundgesetz verbietet eine Überschreibung der dort genannten völkervertraglichen Vereinbarungen durch abweichende nationale Regelungen im Regelfall nicht (a). Das verstößt weder gegen die Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes (b) noch gegen das Rechtsstaatsprinzip (c). Auch sonstige Erwägungen stehen ihr nicht entgegen (d).
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a) Das DBA-Türkei 1985 ist ein völkerrechtlicher Vertrag. Da er nicht allgemeine Regeln des Völkerrechts klarstellend wiederholt und die allgemeine Regel des Völkerrechts pacta sunt servanda die einzelnen Normen eines Doppelbesteuerungsabkommens nicht in allgemeine Regeln des Völkerrechts verwandelt, scheidet Art. 25 GG als Maßstab für die verfassungsrechtliche Überprüfung der hier in Rede stehenden Abkommensüberschreibung (Treaty Override) schon tatbestandlich aus.
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Maßstab für die verfassungsrechtliche Prüfung einer Überschreibung des DBA-Türkei 1985 ist allein Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG. Demnach bedürfen Doppelbesteuerungsabkommen wie andere völkerrechtliche Verträge, die sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, für ihre innerstaatliche Wirksamkeit eines ihnen den Anwendungsbefehl innerhalb der innerstaatlichen Rechtsordnung erteilenden Bundesgesetzes. Durch diesen erhalten sie innerstaatlich den Rang eines (einfachen) Bundesgesetzes.
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Da der Gesetzgeber gemäß Art. 20 Abs. 3 Halbsatz 1 GG und in Übereinstimmung mit dem Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG nur an die verfassungsmäßige Ordnung, nicht aber an einfache Gesetze gebunden ist, kann er das Zustimmungsgesetz zu dem DBA-Türkei 1985 ungeachtet der fortbestehenden völkerrechtlichen Verbindlichkeit durch den Erlass von Gesetzen, die dem im Doppelbesteuerungsabkommen Vereinbarten inhaltlich widersprechen, aufheben oder ändern.
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b) Nichts anderes ergibt sich - wie dargelegt - aus dem Verfassungsgrundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit. Dieser ist ein die Verfassungs- und Gesetzesauslegung leitender Grundsatz, verleiht jedoch auch Doppelbesteuerungsabkommen wie dem DBA-Türkei 1985 keinen Rang über dem einfachen Gesetzesrecht und insofern auch keine die Befugnisse des Gesetzgebers beschränkende Bindung.
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c) Auch aus dem Rechtsstaatsprinzip, insbesondere der Einheit der Rechtsordnung, könnte nicht die Verfassungswidrigkeit einer etwaigen Abkommensüberschreibung (Treaty Override) durch § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG abgeleitet werden.
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Eine Abkommensüberschreibung (Treaty Override) führt zu keiner größeren Rechtsunsicherheit, als sie mit den Grundsätzen der lex posterior und der lex specialis allgemein verbunden ist. Im vorliegendem Fall kommt hinzu, dass der Gesetzgeber in § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG seinen Willen zur Abkommensüberschreibung (Treaty Override) eindeutig zum Ausdruck gebracht hat ("ungeachtet des Abkommens"), so dass weder mit Blick auf den Rang noch auf die Zeitfolge noch auf die Spezialität der Regelung Zweifel am Vorrang des § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG vor inhaltlich abweichenden völkerrechtlichen Vereinbarungen in Doppelbesteuerungsabkommen bestehen. Mit § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 15. Dezember 2003 wollte der (Bundes-)Gesetzgeber vielmehr offensichtlich eine gegenüber Zustimmungsgesetzen zu Doppelbesteuerungsabkommen vorrangige Regelung treffen (vgl. Krumm, AöR 138 [2013], S. 363 <390>).
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d) Selbst wenn man davon ausginge, dass es für die Zulässigkeit einer Abkommensüberschreibung (Treaty Override) entscheidend auf die Möglichkeit des Gesetzgebers ankommt, sich im Einklang mit dem Völkerrecht von einem (teilweise) nicht mehr gewollten Vertrag zu lösen, führte dies nicht zur Unzulässigkeit einer Überschreibung. Denn der Gesetzgeber ist unabhängig davon, ob eine Kündigung völkerrechtlich zulässig ist, nach den Regelungen des Grundgesetzes zur Kündigung eines völkerrechtlichen Abkommens nicht befugt (Art. 59 Abs. 1 GG) (vgl. BVerfGE 68, 1 <82>). Die Kündigung eines Doppelbesteuerungsabkommens zum Zweck der Neuverhandlung und vertraglichen Durchsetzung eigener Absichten ist insoweit, verglichen mit einer Abkommensüberschreibung (Treaty Override) und entgegen der Auffassung des Bundesfinanzhofs, kein milderes, aber ebenso geeignetes Mittel, um dem Demokratieprinzip gerecht zu werden, und deshalb auch nicht vorzugswürdig (vgl. Ismer/Baur, IStR 2014, S. 421 <424>).
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Hinzu kommt, dass die Kündigung eines völkerrechtlichen Vertrags auch aus Sicht des Vertragspartners nicht unbedingt ein milderes Mittel ist, sich vom völkerrechtlich Vereinbarten zu lösen, weil das Abkommen infolge der Kündigung regelmäßig insgesamt wegfällt (vgl. Art. 44 WVRK). Dies nähme ihm die völkerrechtlich vorgesehene Möglichkeit, den Inhalt oder zumindest die Auslegung eines Abkommens durch die Praxis seiner Anwendung in Übereinstimmung mit der anderen Vertragspartei in ganz bestimmten Punkten (konkludent) zu ändern (vgl. Art. 31 Abs. 3 Buchstabe b, Art. 39 WVRK).
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Schließlich kann die Kündigung des Doppelbesteuerungsabkommens auch aus Sicht des Steuerpflichtigen nicht als milderes Mittel angesehen werden (vgl. Mitschke, DStR 2011, S. 2221 <2225>). Denn ohne Doppelbesteuerungsabkommen ist er - vorbehaltlich der Anrechnung entsprechend § 34c EStG - der Gefahr einer Doppelbesteuerung ausgesetzt.
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II.
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§ 50d Abs. 8 Satz 1 EStG ist auch mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.
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1. a) Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BVerfGE 98, 365 <385>; 116, 164 <180>; 122, 210 <230>; 130, 240 <252>). Er verbietet ungleiche Belastungen ebenso wie ungleiche Begünstigungen (vgl. BVerfGE 79, 1 <17>; 121, 108 <119>; 121, 317 <370>; 122, 210 <230>; 126, 400 <416>; 130, 240 <252 f.>; 135, 126 <143, Rn. 51>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, NJW 2015, S. 303 <306>; stRspr). Verboten ist daher ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem eine Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen Personenkreis aber vorenthalten wird (vgl. BVerfGE 116, 164 <180>; 121, 108 <119>; 121, 317 <370>; 126, 400 <416>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, NJW 2015, S. 303 <306>). Differenzierungen sind damit nicht ausgeschlossen, bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind (vgl. BVerfGE 124, 199 <220>; 129, 49 <68>; 130, 240 <253>; 132, 179 <188, Rn. 30>; 133, 59 <86, Rn. 72>; 135, 126 <143, Rn. 52>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, NJW 2015, S. 303 <306>). Zwar ist es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselben Rechtsfolgen knüpft und die er so als rechtlich gleich qualifiziert. Diese Auswahl muss er jedoch sachgerecht treffen (vgl. BVerfGE 75, 108 <157>; 107, 218 <244>; 115, 381 <389>). Dabei gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (vgl. BVerfGE 75, 108 <157>; 93, 319 <348 f.>; 107, 27 <46>; 126, 400 <416>; 129, 49 <69>; 132, 179 <188, Rn. 30>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, NJW 2015, S. 303 <306>). Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz unterschiedliche Anforderungen an den die Ungleichbehandlung tragenden Sachgrund, die von auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können (vgl. BVerfGE 88, 5 <12>; 88, 87 <96>; 105, 73 <110>; 110, 274 <291>; 112, 164 <174>; 116, 164 <180>; 117, 1 <30>; 120, 1 <29>; 122, 1 <23>; 122, 210 <230>; 123, 111 <119>; 126, 400 <416>; 127, 224 <244>; 129, 49 <68>; 130, 52 <66>; 130, 240 <254>; 131, 239 <255 f.>; 135, 126 <143 f., Rn. 52>; stRspr).
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Das Willkürverbot ist verletzt, wenn die (un)gleiche Behandlung zweier Sachverhalte mit Gesetzlichkeiten, die in der Natur der Sache selbst liegen, und mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht mehr vereinbar ist, also bezogen auf den jeweils in Rede stehenden Sachbereich und seine Eigenart ein vernünftiger, einleuchtender Grund für die gesetzliche Regelung fehlt (vgl. BVerfGE 76, 256 <329>; 84, 239 <268>; 85, 176 <187>; 90, 145 <196>; 101, 275 <291>; 115, 381 <389>). Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich aus den neben Art. 3 GG betroffenen Freiheitsrechten (vgl. BVerfGE 88, 87 <96>; 111, 176 <184>; 122, 210 <230>; 129, 49 <69>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, NJW 2015, S. 303 <306>) und aus der Ungleichbehandlung von Personengruppen ergeben (vgl. BVerfGE 101, 54 <101>; 103, 310 <319>; 110, 274 <291>; 131, 239 <256>; 133, 377 <407 f., Rn. 75>). Zudem verschärfen sich die Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG, je weniger die Merkmale, an die die gesetzliche Differenzierung anknüpft, für den Einzelnen verfügbar sind (vgl. BVerfGE 88, 87 <96>; 129, 49 <69>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, NJW 2015, S. 303 <306>) oder je mehr sie sich denen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern (vgl. BVerfGE 88, 87 <96>; 124, 199 <220>; 129, 49 <69>; 130, 240 <254>; 132, 179 <188 f., Rn. 31>).
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b) Gleichheitsrechtlicher Ausgangspunkt im Steuerrecht ist der Grundsatz der Lastengleichheit (vgl. BVerfGE 84, 239 <268 ff.>; 122, 210 <231>; vgl. auch BVerfGE 117, 1 <30>; 121, 108 <119 f.>; 127, 1 <28>; 132, 179 <189, Rn. 32>). Die Steuerpflichtigen müssen entsprechend diesem Grundsatz durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleichmäßig belastet werden (vgl. BVerfGE 117, 1 <30>; 121, 108 <120>; 126, 400 <417>). Die grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte tatbestandlich zu bestimmen, an die er dieselben Rechtsfolgen knüpft und so als rechtlich gleich qualifiziert (vgl. BVerfGE 75, 108 <157>; 105, 73 <125 f.>; vgl. auch BVerfGE 117, 1 <30>; 121, 108 <119 f.>; 127, 1 <28>; 132, 179 <189, Rn. 32>), wird, insbesondere für den Bereich des Einkommensteuerrechts (vgl. BVerfGE 82, 60 <86>; 105, 73 <125 f.>; vgl. auch BVerfGE 117, 1 <30>; 121, 108 <119 f.>; 127, 1 <28>; 132, 179 <189, Rn. 32>), daher vor allem durch zwei eng miteinander verbundene Leitlinien begrenzt: durch das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit (vgl. BVerfGE 105, 73 <125>; 107, 27 <46 f.>; 116, 164 <180>; 117, 1 <30>; 122, 210 <231>).
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Danach muss im Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit darauf abgezielt werden, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern (horizontale Steuergerechtigkeit), während (in vertikaler Richtung) die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Steuerbelastung niedriger Einkommen dem Gerechtigkeitsgebot genügen muss (vgl. BVerfGE 82, 60 <89>; 99, 246 <260>; 107, 27 <46 f.>; 116, 164 <180>; 122, 210 <231>; vgl. auch BVerfGE 117, 1 <30>; 121, 108 <119 f.>; 127, 1 <28>; 132, 179 <189, Rn. 32>). Bei der Ausgestaltung des steuerlichen Ausgangstatbestands muss zudem die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umgesetzt werden (vgl. BVerfGE 84, 239 <271>; 93, 121 <136>; 99, 88 <95>; 99, 280 <290>; 101, 132 <138>; 101, 151 <155>; 105, 73 <125 f.>; 122, 210 <231>; vgl. auch BVerfGE 117, 1 <30>; 121, 108 <119 f.>; 127, 1 <28>; 132, 179 <189, Rn. 32>). Demgemäß müssen sich Abweichungen von der mit der Wahl des Steuergegenstandes getroffenen Belastungsentscheidung ihrerseits am Gleichheitssatz messen lassen (Gebot der folgerichtigen Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands; vgl. BVerfGE 117, 1 <30 f.>; 120, 1 <29>; 121, 108 <120>; 126, 400 <417>; 137, 350 <366, Rn. 41>) und bedürfen folglich eines besonderen sachlichen Grundes, der die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen vermag (vgl. BVerfGE 99, 88 <95>; 99, 280 <290>; 105, 73 <125 f.>; 107, 27 <47>; 116, 164 <180 f.>; 117, 1 <31>; 120, 1 <29>; 121, 108 <119 f.>; 122, 210 <231>; 126, 400 <417>; 127, 1 <28>; 132, 179 <189, Rn. 32>; 137, 350 <366, Rn. 41>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, NJW 2015, S. 303 <306>). Der rein fiskalische Zweck staatlicher Einnahmenerhöhung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht als besonderer sachlicher Grund für Ausnahmen von einer folgerichtigen Umsetzung und Konkretisierung steuergesetzlicher Belastungsentscheidungen anzuerkennen (vgl. BVerfGE 116, 164 <182>; 105, 17 <45>; 122, 210 <233>).
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2.§ 50d Abs. 8 EStG enthält zwar eine Ungleichbehandlung (a). Diese weist jedoch nur eine geringe Eingriffsintensität auf (b) und ist durch vernünftige, einleuchtende Gründe gerechtfertigt (c).
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a) Bei der Prüfung der Frage, ob mit § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG eine Ungleichbehandlung verbunden ist, ist davon auszugehen, dass die gesetzgeberische Unterscheidung zwischen beschränkter (§ 1 Abs. 4, § 49 EStG) und unbeschränkter (§ 1 Abs. 1 bis Abs. 3, § 2 EStG) Steuerpflicht als sachgerecht und die damit verbundene unterschiedliche Behandlung der entsprechenden Personengruppen im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG regelmäßig als gerechtfertigt anzusehen ist (vgl. BVerfGE 43, 1 <10>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Februar 2010 - 2 BvR 1178/07 -, NJW 2010, S. 2419 <2420>). Daher bildet die Gruppe der unbeschränkt Steuerpflichtigen ebenso wie die Gruppe der beschränkt Steuerpflichtigen grundsätzlich die maßgebliche Obergruppe, innerhalb derer Ungleichbehandlungen einer Rechtfertigung bedürfen. Innerhalb der Gruppe der unbeschränkt Steuerpflichtigen hat der Gesetzgeber mit der Berücksichtigung einer Doppelbesteuerung bei ausländischen Einkünften, die auf unterschiedlichen Wegen (Anrechnung, Freistellung, Abzug) erfolgen kann (vgl. § 34c EStG), eine eigenständige Untergruppe geschaffen. Differenzierungen innerhalb dieser Untergruppe müssen ihrerseits nach Maßgabe des Gebots der horizontalen und vertikalen Steuergerechtigkeit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG genügen.
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§ 50d Abs. 8 Satz 1 EStG, der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die nach den Regelungen in Doppelbesteuerungsabkommen von der Besteuerung in Deutschland freigestellt sind, für den Fall (doch) der Besteuerung in Deutschland unterwirft, dass der geforderte Nachweis nicht erbracht wird, behandelt unbeschränkt Steuerpflichtige im Hinblick auf die in Doppelbesteuerungsabkommen vorgesehene Freistellung von Einkünften von der deutschen Steuer ungleich. So werden Einkünfte unbeschränkt Steuerpflichtiger aus nichtselbständiger Arbeit, die nach den Regelungen eines Doppelbesteuerungsabkommens von der deutschen Steuer befreit sind, im Fall der Nichterbringung des von § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG geforderten Nachweises genauso behandelt wie Einkünfte unbeschränkt Steuerpflichtiger, die nicht aufgrund von Doppelbesteuerungsabkommen von der deutschen Steuer befreit sind, so dass die mit der Freistellung von der deutschen Steuer verbundene Begünstigung aufgehoben wird, während sie für diejenigen, die den Nachweis erbringen, bestehen bleibt. Darüber hinaus verlangt § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG nur für Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit als zusätzliche Voraussetzung für die in einem Doppelbesteuerungsabkommen vorgesehene Freistellung von der deutschen Steuer einen Nachweis über einen Besteuerungsverzicht des Vertragsstaates beziehungsweise über die Entrichtung der von diesem Staat festgesetzten Steuer. Bei anderen Einkunftsarten, die ebenso wie Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit nach den Regelungen von Doppelbesteuerungsabkommen von der deutschen Steuer freigestellt sein können, so zum Beispiel Unternehmensgewinne (Art. 7 Abs. 1 DBA-Türkei 1985) oder Einkünfte aus selbständiger Arbeit (Art. 14 Abs. 1 DBA-Türkei 1985), wird dagegen kein derartiger Nachweis verlangt.
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b) Die Vereinbarkeit der mit § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG verbundenen Ungleichbehandlung mit Art. 3 Abs. 1 GG setzt einen hinreichend tragfähigen Differenzierungsgrund voraus. Dafür genügt hier ein vernünftiger, einleuchtender Grund im Sinne des Willkürverbots. Anhaltspunkte dafür, dass im vorliegenden Fall eine intensivere gerichtliche Kontrolle stattfinden müsste, sind nicht erkennbar. Insbesondere ist der mit der Nachweisobliegenheit verbundene Eingriff in andere Grundrechte so gering, dass die in der Rechtsprechung anerkannten Fälle einer intensivierten verfassungsgerichtlichen Kontrolle von mit Freiheitseingriffen einhergehenden Ungleichbehandlungen (vgl. BVerfGE 37, 342 <353 f.>; 62, 256 <274 f.>; 79, 212 <218 f.>; 88, 87 <96 ff.>; 98, 365 <385>; 99, 341 <355 f.>; 111, 160 <169 ff.>; 112, 50 <67 ff.>; 116, 243 <259 ff.>) hier nicht Platz greifen.
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c) Die mit § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG verbundene Ungleichbehandlung unbeschränkt Steuerpflichtiger im Hinblick auf die in Doppelbesteuerungsabkommen vorgesehene Freistellung ist durch sachliche Gründe gerechtfertigt.
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Dafür, dass § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG nur für die Freistellung von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, nicht jedoch für die Freistellung von sonstigen, nach den Regelungen in Doppelbesteuerungsabkommen von der deutschen Steuer freigestellten Einkünften eine Nachweisobliegenheit vorsieht, gibt es - ebenso wie für die Nachweisobliegenheit als solche - einen hinreichenden sachlichen Grund. Der Gesetzgeber wollte damit - wie aus der Stellungnahme der Bundesregierung im vorliegenden Verfahren hervorgeht und der Gesetzesbegründung zu entnehmen ist - der im Vergleich zu sonstigen Einkunftsarten erhöhten Gefahr des Missbrauchs der in einem Doppelbesteuerungsabkommen vorgesehenen Freistellung von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit von der deutschen Steuer entgegenwirken.
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Dass die missbräuchliche Ausnutzung von Freistellungsregelungen in Doppelbesteuerungsabkommen bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit aufgrund ihrer im Vergleich zu unternehmerischer Tätigkeit verringerten Wahrnehmbarkeit besonders einfach ist und daher insoweit besonderer Bedarf für eine Gegensteuerung besteht, ist nachvollziehbar. Dies gilt umso mehr als Auslöser für den Erlass von § 50d Abs. 8 EStG die Tätigkeit von Piloten, Seeleuten und Berufskraftfahrern war, bei denen in der Regel nicht erkennbar ist, in welchem Land sie ihre Einkünfte erzielen, und die zudem oftmals zwischen mehreren Ländern unterwegs und behördlich daher nur schwer zu erfassen sind.
Abw. Meinung
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Die Entscheidung der Senatsmehrheit kann ich weder in der Argumentation noch im Ergebnis mittragen. Denn sie lässt dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen freie Hand, sich nach dem lex-posterior-Grundsatz mit einem späteren Gesetz bewusst und gewollt über Bestimmungen in völkerrechtlichen Verträgen (bei denen es sich nicht um Menschenrechtsverträge handelt) hinwegzusetzen.
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I.
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1. Die Senatsmehrheit stützt ihre Auffassung in erster Linie auf das Demokratieprinzip und den Grundsatz der Diskontinuität. Da Demokratie Herrschaft auf Zeit sei, müssten spätere Gesetzgeber innerhalb der vom Grundgesetz vorgegebenen Grenzen Rechtsetzungsakte früherer Gesetzgeber revidieren können. Das Zustimmungsgesetz gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG solle die Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers schützen; dem widerspräche es, aus dieser Norm eine "Änderungssperre" für die Zukunft ableiten zu wollen. Etwas anderes lasse sich weder unter Rückgriff auf den ungeschriebenen Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit noch auf das Rechtsstaatsprinzip begründen. Diese beiden Verfassungsprinzipien könnten nicht dazu herangezogen werden, um die differenzierten Regelungen des Grundgesetzes zur Bindungswirkung völkerrechtlicher Normen zu unterlaufen. Damit bestätigt die Senatsmehrheit im Wesentlichen die Auffassung, die der Zweite Senat bereits in seinem Urteil zum Reichskonkordat aus dem Jahr 1957 (BVerfGE 6, 309 <362 f.>) vertreten hat.
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2. a) Diese Rechtsauffassung halte ich - in einer globalisierten Welt, in der die Staaten durch eine Vielzahl völkerrechtlicher Verträge in einem weiten Spektrum von Regelungsbereichen miteinander verflochten sind - für nicht (mehr) überzeugend. Um den Entwicklungen dieser umfangreichen internationalen Zusammenarbeit auf der Grundlage bi- und multilateraler völkerrechtlicher Verträge und dem in der modernen Völkerrechtsordnung geltenden Grundsatz der "rule of law" (vgl. Kadelbach/Kleinlein, AVR 44 [2006], S. 235 <243 f.>; Wittinger, JöR 57 [2009], S. 427 <444 ff.>; Kotzur, in: Festschrift für Eckart Klein, 2013, S. 797 <797 f., 804 ff.>) Rechnung zu tragen, muss vielmehr zwischen dem Demokratieprinzip einerseits und dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit andererseits ein angemessener Ausgleich hergestellt werden.
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In Anlehnung an die von Robert Alexy verwandte Begrifflichkeit (Alexy, Theorie der Grundrechte, 1986, S. 75 ff.) geht es bei der Abkommensüberschreibung (Treaty Override) nur vordergründig um einen Konflikt zweier Regeln, die einfachen Gesetzesrang haben. Dieser Konflikt wird von der Senatsmehrheit nach der lex-posterior-Regel zugunsten des späteren völkerrechtswidrigen Gesetzes aufgelöst. Jedoch wird der Konflikt einer völkerrechtsdeterminierten lex prior mit einer den völkerrechtlichen Vertrag überschreibenden lex posterior auf der Ebene des Verfassungsrechts nicht durch eine abschließende Regel aufgelöst. Allein der Verweis auf den Rang, der Zustimmungsgesetzen nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG zukommen soll und aus dem ohne Weiteres die uneingeschränkte Anwendung der lex-posterior-Regel abgeleitet wird (kritisch zur Anwendung der lex-posterior-Regel Becker, Kooperative und konsensuale Strukturen in der Normsetzung, 2005, S. 220 ff.; ders., NVwZ 2005, S. 289 <290 f.>; Giegerich, in: Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG, Bd. I, 2. Aufl. 2013, Kap. 2 Rn. 65), vermag nicht zu überzeugen. Ein solcher Lösungsansatz lässt die hinter der Rangfrage stehende Kollision zwischen Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip außer Acht (zum Rekurs auf die Unterscheidung von Regeln und Prinzipien auch im Hinblick auf objektiv-rechtliche Rechtsgüter vgl. Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, 2008, S. 100 f. m.w.N.; Knop, Völker- und Europarechtsfreundlichkeit als Verfassungsgrundsätze, 2013, S. 91 f.).
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b) Hinter den miteinander kollidierenden Gesetzesbestimmungen stehen die genannten Verfassungsprinzipien, die in ein Spannungsverhältnis zueinander geraten. Das Rechtsstaatsprinzip ist - ebenso wie das Demokratieprinzip - ein grundlegendes Strukturprinzip und als solches Teil der verfassungsmäßigen Ordnung, an die auch der Gesetzgeber gemäß Art. 20 Abs. 3 GG gebunden ist. Der Rechtsstaatsbegriff gehört - wie es Ernst-Wolfgang Böckenförde so treffend ausgedrückt hat - "zu jenen vom Wortsinn her vagen und nicht ausdeutbaren Schleusenbegriffen, die sich 'objektiv', aus sich heraus, niemals abschließend definieren lassen, vielmehr offen sind für das Einströmen sich wandelnder staats- und verfassungstheoretischer Vorstellungen und damit auch für verschiedenartige Konkretisierungen, …" (Böckenförde, in: Festschrift für Adolf Arndt, 1969, S. 53 <53>). Der Inhalt des Rechtsstaatsprinzips bedarf mithin der Konkretisierung in Bezug auf den jeweils zu entscheidenden Sachverhalt (vgl. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 259 ff.), wobei es für neuere Entwicklungen offen ist. Damit kann, ja muss das Rechtsstaatsprinzip bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung des Treaty Override in dem offenen Verfassungsstaat des Grundgesetzes (Vogel, Die Verfassungsentscheidung des Grundgesetzes für eine internationale Zusammenarbeit, 1964, S. 33, 35 f.; ders., JZ 1997, S. 161 <162 f.>; Hobe, Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz, 1998, S. 137 ff., 380 ff.; Schorkopf, Grundgesetz und Überstaatlichkeit, 2007, S. 134 ff., 220 ff.; Sommermann, in: v. Bogdandy/Cruz Villalón/Huber: Handbuch Ius Publicum Europaeum, Bd. II, 2008, § 14) unter Beachtung des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit konkretisiert werden (Becker, Kooperative und konsensuale Strukturen in der Normsetzung, 2005, S. 222; ders., NVwZ 2005, S. 289 <291>; Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 <847>; die völkerrechtskonforme Auslegung des Rechtsstaatsprinzips ebenfalls bejahend Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 20 Abs. 3 Rn. 254; Giegerich, in: Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG, Bd. I, 2. Aufl. 2013, Kap. 2 Rn. 62 f.; Hofmann, DVBl 2013, S. 215 <219>). Aus dem letztgenannten Grundsatz hat der Zweite Senat in der Alteigentümer-Entscheidung aus dem Jahr 2004 die Pflicht hergeleitet, das Völkerrecht zu respektieren. Diese habe drei Elemente: Erstens seien die deutschen Staatsorgane verpflichtet, die die Bundesrepublik Deutschland bindenden Völkerrechtsnormen zu befolgen und Verletzungen nach Möglichkeit zu unterlassen. Zweitens habe der Gesetzgeber für die deutsche Rechtsordnung zu gewährleisten, dass durch eigene Staatsorgane begangene Völkerrechtsverstöße korrigiert werden könnten. Und drittens könnten die deutschen Staatsorgane verpflichtet sein, das Völkerrecht im eigenen Verantwortungsbereich zur Geltung zu bringen, wenn andere Staaten es verletzten (vgl. BVerfGE 112, 1 <26>).
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c) Legt man das Rechtsstaatsprinzip, dessen Kernbestandteil die Rechtstreue beziehungsweise die Einhaltung rechtlicher Bindungen ist (zur Bindung aller staatlichen Gewalt an die Verfassung: Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 20 Abs. 3 Rn. 248 ff.; Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 Abs. 3 Rn. 17 ff. [Dezember 2007]), im Lichte dieser Aussagen aus, so ergibt sich auch für den Gesetzgeber grundsätzlich die Verpflichtung, die von ihm durch das Zustimmungsgesetz legitimierte Bindung an völkerrechtliche Verträge zu respektieren und sich von diesen nicht bewusst - und damit treuwidrig - einseitig zu lösen. Klaus Vogel hat denn auch in seiner Münchener Abschiedsvorlesung 1996 plastisch von einem "Wortbruch" gesprochen, zu dem der Gesetzgeber nicht legitimiert sei (vgl. Vogel, JZ 1997, S. 161 <167>; ähnlich Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 <847>, wo es heißt: "Der Wortbruch ist keine Verhaltensoption des Verfassungsstaats; …"). Streitet mithin das völkerrechtsfreundlich ausgelegte Rechtsstaatsprinzip für eine vollständige Bindung auch späterer Gesetzgeber an den völkerrechtlichen Vertrag in der Form des Zustimmungsgesetzes, so ist allerdings zu berücksichtigen, dass dadurch deren durch das Demokratieprinzip gewährleistete Entscheidungsfreiheit vollständig eingeschränkt würde. Die Berufung auf das Rechtsstaatsprinzip führte nämlich dazu, dass dem Zustimmungsgesetz faktisch die Wirkung einer "Änderungssperre" für spätere Gesetzgeber zukäme. Das Rechtsstaatsprinzip, das für eine vollständige Bindung, und das Demokratieprinzip, das für eine völlige Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers spricht, werden zu gegenläufigen Sollensgeboten. Diese zwischen den beiden Prinzipien bestehende Konfliktlage muss zu einem möglichst schonenden Ausgleich gebracht werden, bei dem das Ziel kein "Alles oder nichts", sondern ein "Sowohl als auch" ist (vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1986, S. 75 ff.).
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3. Die Entscheidung der Senatsmehrheit gibt dem Demokratieprinzip - unter Hintanstellung des Rechtsstaatsprinzips in seiner Auslegung nach dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit - uneingeschränkt den Vorzug. Im Ergebnis ist der spätere Gesetzgeber frei, bewusst von den Bestimmungen eines völkerrechtlichen Vertrags - ungeachtet des damit verbundenen Völkerrechtsbruchs - abzuweichen. Besonderer Voraussetzungen oder einer Rechtfertigung bedarf es hierfür nicht. Demgegenüber verlangt der hier vertretene Ansatz die Auflösung des Spannungsverhältnisses zwischen Rechtsstaats- und Demokratieprinzip in einer Weise, die beiden Prinzipien möglichst weitreichende Wirkung belässt.
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a) Als Kriterien, die bei der Abwägung heranzuziehen sind, kommen insbesondere die folgenden in Betracht: das mit dem späteren Gesetzverfolgte Regelungsziel und dessen Bedeutung für das Gemeinwohl, die Auswirkungen auf die Rechtsstellung der durch die völkerrechtliche Regelung begünstigten Individuen, die Dringlichkeit der abweichenden Regelung, die Möglichkeit des Rückgriffs auf zumutbare völkerrechtsgemäße Mittel zur Beendigung der völkerrechtlichen Bindung, wie etwa Abgabe einer interpretativen Erklärung, Kündigung oder Modifizierung des Vertrags, und die bei einem Völkerrechtsbruch im Raume stehenden Rechtsfolgen.
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b) Überwiegt das Gewicht der Kriterien, die für eine einseitige Abkehr von dem konkret in Rede stehenden völkerrechtlichen Vertrag sprechen, nicht das Gewicht derjenigen Gesichtspunkte, die gegen eine Abkommensüberschreibung streiten, so muss dem im Lichte der Völkerrechtsfreundlichkeit ausgelegten Rechtsstaatsprinzip der Vorrang vor dem Demokratieprinzip zukommen. Eine solche Abwägung muss in jedem Einzelfall getroffen werden, um Rechtsstaats- und Demokratieprinzip zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen (vgl. Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 <847 ff.>; Richter, Völkerrechtsfreundlichkeit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - Die unfreundliche Erlaubnis zum Bruch völkerrechtlicher Verträge, in: Giegerich, Der "offene Verfassungsstaat" des Grundgesetzes nach 60 Jahren, 2010, S. 159 <177 f.>; im Ergebnis wohl auch Knop, Völker- und Europarechtsfreundlichkeit als Verfassungsgrundsätze, 2013, S. 242 f.; weitgehender Becker, Kooperative und konsensuale Strukturen in der Normsetzung, 2005, S. 222; ders., NVwZ 2005, S. 289 <290 f.>).
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c) Diesem Lösungsansatz kann nicht entgegengehalten werden, dass er eine verfassungsrechtliche Pflicht zur uneingeschränkten Befolgung aller Normen des Völkerrechts begründe (aa) oder die differenzierten Regelungen des Grundgesetzes über den Rang der unterschiedlichen Quellen des Völkerrechts verdränge oder ihre Systematik unterlaufe (bb).
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aa) Die vorgeschlagene Lösung führt weder zu einer uneingeschränkten Unterwerfung der deutschen Rechtsordnung unter die Völkerrechtsordnung noch zu einem unbedingten Vorrang des Völkerrechts auch vor dem Verfassungsrecht. Vielmehr bleibt es bei einer kontrollierten Bindung, und sie lässt Raum dafür, "die letzte Verantwortung für die Achtung der Würde des Menschen und die Beachtung der Grundrechte durch die deutsche öffentliche Gewalt [nicht] aus der Hand zu geben" (BVerfGE 112, 1<25 f.> unter Verweis auf BVerfGE 111, 307 <328 f.>). Der (spätere) Gesetzgeber wird allerdings verpflichtet, vor einer bewussten Abweichung von einem völkerrechtlichen Vertrag sorgfältig die einzelnen oben aufgeführten Aspekte gegeneinander abzuwägen und insbesondere zu prüfen, ob eine völkerrechtsgemäße Lösung von der völkerrechtlichen Bindung innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens möglich ist. Ist dies der Fall, so muss zunächst der Versuch unternommen werden, im Einklang mit dem Völkerrecht zu handeln. Richtig ist zwar, dass das Parlament selbst einen völkerrechtlichen Vertrag nicht kündigen oder suspendieren kann. Es hat jedoch die Möglichkeit, seinen politischen Willen kundzutun und die Regierung zu entsprechenden Schritten im Außenverhältnis aufzufordern. Erst wenn diese sich weigert oder keine entsprechenden Aktivitäten entfaltet oder wenn im konkreten Fall keine Möglichkeit besteht, sich in angemessener Zeit mit völkerrechtsgemäßen Mitteln von dem Vertrag zu lösen, kann der Gesetzgeber einseitig von dem Vertragsinhalt abweichen. Das Bundesverfassungsgericht überprüft Abwägungsvorgang und -ergebnis, wobei dem Gesetzgeber - wie sonst auch - ein Einschätzungsspielraum zugebilligt wird (vgl. BVerfGE 7, 377 <403>; 50, 290 <332 ff.>; 77, 170 <171>; 102, 197 <218>; 110, 177 <194>; 129, 124 <182 f.>; stRspr).
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bb) Die in Art. 25 und Art. 59 Abs. 2 GG zum Ausdruck kommende Systematik wird nicht unterlaufen, weil die vorgeschlagene Lösung nicht zu einer generellen"Sperrwirkung" führt. Der Gesetzgeber behält die aus dem Demokratieprinzip folgende Kompetenz, völkerrechtliche Verträge zu überschreiben; aus dem im Lichte der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes ausgelegten Rechtsstaatsprinzipergeben sich allerdings Einschränkungen in Bezug auf ihre Ausübung. Durch diese Einschränkungen wird sichergestellt, dass, wie es der Zweite Senat im Alteigentümer-Beschluss formuliert hat, die deutschen Staatsorgane - und dazu gehört auch der Gesetzgeber - die die Bundesrepublik Deutschland bindenden Völkerrechtsnormen befolgen und Verletzungen nach Möglichkeit unterlassen (vgl. BVerfGE 112, 1 <26>). Nur so kommt dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit, dessen wichtigste Funktion es ist, möglichst einen Gleichlauf zwischen den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland und ihrer innerstaatlichen Rechtsordnung herzustellen oder aufrechtzuerhalten und damit Konflikte zu vermeiden (vgl. zur Funktion des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit als Konfliktvermeidungsregel Payandeh, JöR 57 [2009] S. 465 <481>; Knop, Völker- und Europarechtsfreundlichkeit als Verfassungsgrundsätze, 2013, S. 201 ff. <238>), im Verhältnis zum Demokratieprinzip hinreichende Beachtung zu.
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II.
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Nach diesen Maßstäben wäre § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG 2002 in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 15. Dezember 2003 (Steueränderungsgesetz 2003, BGBl I S. 2645) nicht mit dem Grundgesetz vereinbar.
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1. Das vorlegende Gericht hat ausführlich dargelegt, dass die in § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG n.F. enthaltene Regelung von den Bestimmungen des Abkommens vom 16. April 1985 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (BGBl II 1989 S. 867 [im Folgenden: DBA-Türkei 1985]) abweicht. Insbesondere verstößt sie dadurch, dass die Freistellung der Auslandseinkünfte eines Arbeitnehmers von dem Nachweis der tatsächlichen Entrichtung der Steuer an den anderen Vertragsstaat oder dessen Besteuerungsverzicht abhängig gemacht wird, gegen die in Art. 23 Abs. 1 Buchstabe a Satz 1 in Verbindung mit Art. 15 Abs. 1 DBA-Türkei 1985 vereinbarte Freistellungsmethode auf der Grundlage der so genannten virtuellen Doppelbesteuerung im Ausland(hier in der Türkei). Diese Rechtsauffassung ist sorgfältig begründet und gut vertretbar, so dass sie der verfassungsrechtlichen Prüfung zugrunde gelegt werden kann.
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Die von dem Inhalt des DBA-Türkei 1985 abweichende Regelung ist überdies nicht durch einen dem Abkommen innewohnenden ungeschriebenen Missbrauchsvorbehalt gedeckt. Das Bestehen derartiger Vorbehalte ist generell umstritten (vgl. nur die Darstellung bei Frau/Trinks, DÖV 2013, S. 228 <229 f.>). Gegen einen solchen Vorbehalt im konkreten Fall spricht insbesondere, dass die Bundesrepublik Deutschland - anders als in dem Protokoll zum DBA-Türkei 1985 - in dem Protokoll zum Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen vom 19. September 2011 (BGBl II 2012 S. 527 [im Folgenden: DBA-Türkei 2011]) ausdrücklich eine Vereinbarung zur Anwendbarkeit innerstaatlicher Missbrauchsvorschriften getroffen hat (vgl. Ziffer 10 des Protokolls zum DBA-Türkei 2011, BTDrucks 17/8841 S. 29, und die Erläuterung in der Denkschrift, S. 34). Ein derartiges Vorgehen wäre beim Vorliegen eines allgemeinen ungeschriebenen Vorbehalts entbehrlich gewesen.
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Es ist mithin von einer völkerrechtswidrigen Abkommensüberschreibung auszugehen.
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2. Bei der Abwägung der für und gegen diese mit dem DBA Türkei 1985 nicht vereinbare Gesetzesbestimmung sind die oben genannten Kriterien (siehe unter Punkt I.3.a) heranzuziehen.
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a) Laut Gesetzesbegründung verfolgt der Gesetzgeber mit der Regelung in § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG n.F. das Ziel, zu verhindern, "dass die Einkünfte nicht besteuert werden, weil der Steuerpflichtige die Einkünfte im Tätigkeitsstaat pflichtwidrig nicht erklärt und dieser Staat deshalb häufig seinen Steueranspruch nicht mehr durchsetzen kann, wenn er von dem Sachverhalt erfährt, …" (BTDrucks 15/1562 S. 39 f.). Damit geht es dem Gesetzgeber bei der Nachweispflicht, wie auch der Bundesfinanzhof festgestellt hat, in erster Linie um die Herstellung von "Steuerehrlichkeit". Jedenfalls in den Fällen, in denen der andere Vertragsstaat nicht vollständig auf sein Besteuerungsrecht verzichtet hat, soll zudem die so genannte Keinmalbesteuerung verhindert werden. Hierbei handelt es sich um legitime Ziele von erheblicher Bedeutung für das Gemeinwohl, weil verhindert werden soll, dass Steuerpflichtige, die ihre Einkünfte im Tätigkeitsstaat nicht erklären, im Vergleich zu "steuerehrlichen" Steuerpflichtigen von ihrem pflichtwidrigen Verhalten profitieren. An dieser Bewertung ändert sich auch nichts, wenn man - wie das vorlegende Gericht - davon ausgeht, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 50d Abs. 8 EStG n.F. eher von fiskalischen Überlegungen geleitet gewesen sein dürfte (BFH, Beschluss vom 10. Januar 2012 - I R 66/09 -, juris, Rn. 27).
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b) Die Auswirkungen auf die Rechtsstellung der durch die völkerrechtliche Regelung begünstigten Personen können, je nach den konkreten Umständen, sehr unterschiedlich ausfallen. Zu bedenken ist dabei allerdings, dass die im DBA-Türkei 1985 ohne Rückfallklausel vereinbarte Freistellungsmethode auf der Grundlage der virtuellen Doppelbesteuerung in erster Linie im Interesse der beiden Vertragsstaaten liegt, die nicht auf die Regelungslage und Besteuerungspraxis des jeweils anderen Staates oder deren Kenntnis angewiesen sein sollen (BFH, Beschluss vom 10. Januar 2012 - I R 66/09 -, juris, Rn. 28). Demgegenüber liegt es nicht in der Absicht der Vertragsstaaten, dem von der Freistellung betroffenen Steuerpflichtigen eine Rechtsposition zu verschaffen, die es ihm ermöglicht, in keinem der beiden Staaten Steuern zu entrichten, auch wenn sich die völkerrechtliche Vereinbarung so auswirken kann. Damit stellt sich die mit einer "Keinmalbesteuerung" der im anderen Vertragsstaat erzielten Einkünfte verbundene finanzielle Begünstigung des Steuerpflichtigen eher als begünstigender Rechtsreflex dar, der bei der Abwägung nicht erheblich ins Gewicht fällt.
- 20
-
c) Nach dem DBA-Türkei 1985 standen mit dem Völkerrecht vereinbare Mittel zur Verfügung, um sich von dem Vertrag zu lösen. Gemäß Art. 30 Abs. 2 Satz 1 DBA Türkei 1985 kann jeder Vertragsstaat vom 1. Januar des dritten Jahres an, welches auf das Jahr der Ratifikation des Abkommens folgt, jeweils während der ersten sechs Monate eines Kalenderjahres das Abkommen kündigen. Es besteht also nach Ablauf von rund drei Jahren nach Inkrafttreten des Vertrags ein Kündigungsrecht, das jeweils in den ersten sechs Monaten des Jahres, in dem gekündigt werden soll, ausgeübt werden muss. Besonderer Gründe für die Kündigung bedarf es nicht.Damit hätte die Bundesrepublik Deutschland das DBA-Türkei 1985 bereits im Jahr 2003, als das Steueränderungsgesetz beraten wurde, oder im ersten Halbjahr 2004 kündigen und ein neues, verbessertes Abkommen aushandeln können. Dass dieser Weg grundsätzlich gangbar war, zeigt sich, wie auch das vorlegende Gericht hervorhebt, daran, dass das Abkommen von deutscher Seite am 27. Juli 2009 mit Wirkung zum 31. Dezember 2010 gekündigt worden ist. Das daraufhin neu verhandelte Doppelbesteuerungsabkommen vom 19. September 2011, welches das DBA-Türkei 1985 mit Wirkung vom 1. Januar 2011 ersetzt, sieht nach wie vor die Freistellungsmethode vor (vgl. Art. 22 Abs. 2Buchstabe a), enthält aber insbesondere in Art. 22 Abs. 2 Buchstabe e eine so genannte Umschwenk- oder Rückfallklausel, die es der Bundesrepublik Deutschland ermöglicht, von der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode zu wechseln. Zweck dieser Klausel ist es, dass es zu keinem deutschen Steuerverzicht kommt, wenn Einkünfte in keinem der beiden Vertragsstaaten besteuert werden (BTDrucks 17/8841 S. 33). Zudem ist, wie bereits erwähnt, im Protokoll zum DBA-Türkei 2011 ausdrücklich eine Klausel zur Anwendbarkeit innerstaatlicher Missbrauchsvorschriften vereinbart worden.
- 21
-
d) Für eine besondere Dringlichkeit der Regelung in § 50d Abs. 8 EStG n.F., etwa zur Abwehr erheblicher Nachteile für den deutschen Fiskus, ist nichts ersichtlich. Die zeitliche Verzögerung, die mit der Ergreifung völkerrechtsgemäßer Handlungsoptionen zur Beendigung der völkerrechtlichen Bindung an das DBA-Türkei 1985 verbunden gewesen wäre, fällt daher nicht ins Gewicht.
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-
e) Schließlich müssen die möglichen Rechtsfolgen eines Völkerrechtsbruchs in die Abwägung einfließen. Bei einem erheblichen Vertragsbruch (material breach) kann der damit konfrontierte andere Staat nicht nur seinerseits den Vertrag kündigen oder suspendieren (vgl. Art. 60, 65 ff. des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge, BGBl II 1985 S. 927). Vielmehr kann er in jedem Fall - unabhängig von der Schwere der Rechtsverletzung - die Beendigung des völkerrechtswidrigen Verhaltens und - im Wege der Naturalrestitution - die Wiederherstellung eines vertragsgemäßen Zustands einfordern (vgl. Art. 30, 34 und 35 der ILC Draft Articles on State Responsibility for Internationally Wrongful Acts [2001] vom 26. Juli 2001
[im Folgenden: ILC-Entwurf]). Daraus ergibt sich zuvörderst die völkerrechtliche Verpflichtung Deutschlands, seine innerstaatliche Rechtslage mit dem Inhalt des betroffenen Vertrags (wieder) in Einklang zu bringen. Erst wenn dies tatsächlich unmöglich ist, kann der verletzte Staat - subsidiär - Schadensersatz in Geld verlangen (vgl. Art. 36 Abs. 1 des ILC-Entwurfs).
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Selbst wenn der verletzte Staat, wie in diesem Fall, keine konkreten Schritte zur Durchsetzung seines Anspruchs auf Wiedergutmachung einleitet, steht bei jedem bewusst herbeigeführten Vertragsbruch die Verlässlichkeit Deutschlands als Partner im internationalen Rechtsverkehr auf dem Spiel. Genauso wie Deutschland von seinen Vertragspartnern auf europäischer und internationaler Ebene Vertrags- beziehungsweise Rechtstreue erwartet, muss es bereit sein, seinerseits seine vertraglichen Pflichten einzuhalten und die vertragliche Bindung nicht einseitig durch ein späteres entgegenstehendes Gesetz "abzuschütteln".
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f) Wägt man die genannten Kriterien gegeneinander ab, so überwiegen die Gesichtspunkte, die gegen die Abkommensüberschreibung sprechen. Der Gesetzgeber verfolgt mit dem Erlass der Regelung in § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG n.F. zwar einen legitimen, für das Gemeinwohl auch erheblichen Zweck, indem er die Steuerpflichtigen durch die Nachweispflicht zu mehr "Steuerehrlichkeit" anhalten will. Zudem sind die Auswirkungen auf die Rechtsstellung der von der Anwendung des Abkommens begünstigten Steuerpflichtigen von geringem Gewicht. Für die Neuregelung bestand allerdings keine besondere Dringlichkeit, die es erfordert hätte, das abweichende Gesetz ohne vorherige Aufforderung der Bundesregierung, auf völkerrechtsgemäße Mittelzurückzugreifen, zu erlassen. Nach dem DBA-Türkei 1985 bestand auch die Möglichkeit, das Abkommen ohne weitere Begründung zeitnah zu kündigen. Hätte man eine Kündigung wegen der weitreichenden Folgewirkungen vermeiden wollen, so hätte die Bundesregierung - auf Aufforderung durch den Bundestag oder von sich aus - zumindest versuchen können, sich mit der Türkei auf eine nachträgliche Auslegung der einschlägigen Vertragsbestimmungen zu verständigen, der zufolge die Anwendung der Freistellungsmethode von einer Nachweispflicht abhängig gemacht werden darf. Schließlich schlägt der mit der Abkommensüberschreibung zum Ausdruck gebrachte Wille des Gesetzgebers, sich trotz Vorhandenseins völkerrechtsgemäßer Mittel einseitig vom DBA-Türkei 1985 zu lösen und damit bewusst und ohne Not über die völkerrechtliche Bindung hinwegzusetzen, wegen der damit verbundenen Signalwirkung negativ zu Buche.
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III.
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In der Folge wäre § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG 2002 in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 15. Dezember 2003 (Steueränderungsgesetz 2003, BGBl I S. 2645) verfassungswidrig und nichtig (§ 82 Abs. 1 i.V.m. § 78 BVerfGG).
-
IV.
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Nach meiner Auffassung wäre es an der Zeit gewesen, den "Mentalitätenwandel", den Klaus Vogel für das Grundgesetz in Bezug auf die Öffnung des deutschen Staates für die internationale Zusammenarbeit und die Einbindung Deutschlands in die internationale Gemeinschaft im Vergleich zu früheren deutschen Verfassungen festgestellt hat (vgl. Vogel, JZ 1997, S. 161 <163>), auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu völkerrechtswidrigen späteren Gesetzen zu vollziehen. Zu meinem Bedauern hat sich die Senatsmehrheit hierzu nicht entschließen können.
(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.
(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.
(1) Es ist verboten,
- 1.
wild lebenden Tieren der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören, - 2.
wild lebende Tiere der streng geschützten Arten und der europäischen Vogelarten während der Fortpflanzungs-, Aufzucht-, Mauser-, Überwinterungs- und Wanderungszeiten erheblich zu stören; eine erhebliche Störung liegt vor, wenn sich durch die Störung der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art verschlechtert, - 3.
Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der wild lebenden Tiere der besonders geschützten Arten aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören, - 4.
wild lebende Pflanzen der besonders geschützten Arten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, sie oder ihre Standorte zu beschädigen oder zu zerstören
(2) Es ist ferner verboten,
- 1.
Tiere und Pflanzen der besonders geschützten Arten in Besitz oder Gewahrsam zu nehmen, in Besitz oder Gewahrsam zu haben oder zu be- oder verarbeiten (Besitzverbote), - 2.
Tiere und Pflanzen der besonders geschützten Arten im Sinne des § 7 Absatz 2 Nummer 13 Buchstabe b und c - a)
zu verkaufen, zu kaufen, zum Verkauf oder Kauf anzubieten, zum Verkauf vorrätig zu halten oder zu befördern, zu tauschen oder entgeltlich zum Gebrauch oder zur Nutzung zu überlassen, - b)
zu kommerziellen Zwecken zu erwerben, zur Schau zu stellen oder auf andere Weise zu verwenden
(3) Die Besitz- und Vermarktungsverbote gelten auch für Waren im Sinne des Anhangs der Richtlinie 83/129/EWG, die entgegen den Artikeln 1 und 3 dieser Richtlinie nach dem 30. September 1983 in die Gemeinschaft gelangt sind.
(4) Entspricht die land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Bodennutzung und die Verwertung der dabei gewonnenen Erzeugnisse den in § 5 Absatz 2 bis 4 dieses Gesetzes genannten Anforderungen sowie den sich aus § 17 Absatz 2 des Bundes-Bodenschutzgesetzes und dem Recht der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft ergebenden Anforderungen an die gute fachliche Praxis, verstößt sie nicht gegen die Zugriffs-, Besitz- und Vermarktungsverbote. Sind in Anhang IV der Richtlinie 92/43/EWG aufgeführte Arten, europäische Vogelarten oder solche Arten, die in einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 aufgeführt sind, betroffen, gilt dies nur, soweit sich der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art durch die Bewirtschaftung nicht verschlechtert. Soweit dies nicht durch anderweitige Schutzmaßnahmen, insbesondere durch Maßnahmen des Gebietsschutzes, Artenschutzprogramme, vertragliche Vereinbarungen oder gezielte Aufklärung sichergestellt ist, ordnet die zuständige Behörde gegenüber den verursachenden Land-, Forst- oder Fischwirten die erforderlichen Bewirtschaftungsvorgaben an. Befugnisse nach Landesrecht zur Anordnung oder zum Erlass entsprechender Vorgaben durch Allgemeinverfügung oder Rechtsverordnung bleiben unberührt.
(5) Für nach § 15 Absatz 1 unvermeidbare Beeinträchtigungen durch Eingriffe in Natur und Landschaft, die nach § 17 Absatz 1 oder Absatz 3 zugelassen oder von einer Behörde durchgeführt werden, sowie für Vorhaben im Sinne des § 18 Absatz 2 Satz 1 gelten die Zugriffs-, Besitz- und Vermarktungsverbote nach Maßgabe der Sätze 2 bis 5. Sind in Anhang IV Buchstabe a der Richtlinie 92/43/EWG aufgeführte Tierarten, europäische Vogelarten oder solche Arten betroffen, die in einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 aufgeführt sind, liegt ein Verstoß gegen
- 1.
das Tötungs- und Verletzungsverbot nach Absatz 1 Nummer 1 nicht vor, wenn die Beeinträchtigung durch den Eingriff oder das Vorhaben das Tötungs- und Verletzungsrisiko für Exemplare der betroffenen Arten nicht signifikant erhöht und diese Beeinträchtigung bei Anwendung der gebotenen, fachlich anerkannten Schutzmaßnahmen nicht vermieden werden kann, - 2.
das Verbot des Nachstellens und Fangens wild lebender Tiere und der Entnahme, Beschädigung oder Zerstörung ihrer Entwicklungsformen nach Absatz 1 Nummer 1 nicht vor, wenn die Tiere oder ihre Entwicklungsformen im Rahmen einer erforderlichen Maßnahme, die auf den Schutz der Tiere vor Tötung oder Verletzung oder ihrer Entwicklungsformen vor Entnahme, Beschädigung oder Zerstörung und die Erhaltung der ökologischen Funktion der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang gerichtet ist, beeinträchtigt werden und diese Beeinträchtigungen unvermeidbar sind, - 3.
das Verbot nach Absatz 1 Nummer 3 nicht vor, wenn die ökologische Funktion der von dem Eingriff oder Vorhaben betroffenen Fortpflanzungs- und Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang weiterhin erfüllt wird.
(6) Die Zugriffs- und Besitzverbote gelten nicht für Handlungen zur Vorbereitung gesetzlich vorgeschriebener Prüfungen, die von fachkundigen Personen unter größtmöglicher Schonung der untersuchten Exemplare und der übrigen Tier- und Pflanzenwelt im notwendigen Umfang vorgenommen werden. Die Anzahl der verletzten oder getöteten Exemplare von europäischen Vogelarten und Arten der in Anhang IV Buchstabe a der Richtlinie 92/43/EWG aufgeführten Tierarten ist von der fachkundigen Person der für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörde jährlich mitzuteilen.
(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.
(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.
(1) Werden die durch eine Rechtsverordnung nach § 48a Absatz 1 festgelegten Immissionsgrenzwerte einschließlich festgelegter Toleranzmargen überschritten, hat die zuständige Behörde einen Luftreinhalteplan aufzustellen, welcher die erforderlichen Maßnahmen zur dauerhaften Verminderung von Luftverunreinigungen festlegt und den Anforderungen der Rechtsverordnung entspricht. Satz 1 gilt entsprechend, soweit eine Rechtsverordnung nach § 48a Absatz 1 zur Einhaltung von Zielwerten die Aufstellung eines Luftreinhalteplans regelt. Die Maßnahmen eines Luftreinhalteplans müssen geeignet sein, den Zeitraum einer Überschreitung von bereits einzuhaltenden Immissionsgrenzwerten so kurz wie möglich zu halten.
(2) Besteht die Gefahr, dass die durch eine Rechtsverordnung nach § 48a Absatz 1 festgelegten Alarmschwellen überschritten werden, hat die zuständige Behörde einen Plan für kurzfristig zu ergreifende Maßnahmen aufzustellen, soweit die Rechtsverordnung dies vorsieht. Besteht die Gefahr, dass durch eine Rechtsverordnung nach § 48a Absatz 1 festgelegte Immissionsgrenzwerte oder Zielwerte überschritten werden, kann die zuständige Behörde einen Plan für kurzfristig zu ergreifende Maßnahmen aufstellen, soweit die Rechtsverordnung dies vorsieht. Die im Plan festgelegten Maßnahmen müssen geeignet sein, die Gefahr der Überschreitung der Werte zu verringern oder den Zeitraum, während dessen die Werte überschritten werden, zu verkürzen. Ein Plan für kurzfristig zu ergreifende Maßnahmen kann Teil eines Luftreinhalteplans nach Absatz 1 sein.
(3) Liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass die durch eine Rechtsverordnung nach § 48a Absatz 1a festgelegten Immissionswerte nicht eingehalten werden, oder sind in einem Untersuchungsgebiet im Sinne des § 44 Absatz 2 sonstige schädliche Umwelteinwirkungen zu erwarten, kann die zuständige Behörde einen Luftreinhalteplan aufstellen. Bei der Aufstellung dieser Pläne sind die Ziele der Raumordnung zu beachten; die Grundsätze und sonstigen Erfordernisse der Raumordnung sind zu berücksichtigen.
(4) Die Maßnahmen sind entsprechend des Verursacheranteils unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gegen alle Emittenten zu richten, die zum Überschreiten der Immissionswerte oder in einem Untersuchungsgebiet im Sinne des § 44 Absatz 2 zu sonstigen schädlichen Umwelteinwirkungen beitragen. Werden in Plänen nach Absatz 1 oder 2 Maßnahmen im Straßenverkehr erforderlich, sind diese im Einvernehmen mit den zuständigen Straßenbau- und Straßenverkehrsbehörden festzulegen. Werden Immissionswerte hinsichtlich mehrerer Schadstoffe überschritten, ist ein alle Schadstoffe erfassender Plan aufzustellen. Werden Immissionswerte durch Emissionen überschritten, die außerhalb des Plangebiets verursacht werden, hat in den Fällen der Absätze 1 und 2 auch die dort zuständige Behörde einen Plan aufzustellen.
(4a) Verbote des Kraftfahrzeugverkehrs für Kraftfahrzeuge mit Selbstzündungsmotor kommen wegen der Überschreitung des Immissionsgrenzwertes für Stickstoffdioxid in der Regel nur in Gebieten in Betracht, in denen der Wert von 50 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel überschritten worden ist. Folgende Kraftfahrzeuge sind von Verkehrsverboten ausgenommen:
- 1.
Kraftfahrzeuge der Schadstoffklasse Euro 6, - 2.
Kraftfahrzeuge der Schadstoffklassen Euro 4 und Euro 5, sofern diese im praktischen Fahrbetrieb in entsprechender Anwendung des Artikels 2 Nummer 41 in Verbindung mit Anhang IIIa der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 der Kommission vom 18. Juli 2008 zur Durchführung und Änderung der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl. L 199 vom 28.7.2008, S. 1), die zuletzt durch die Verordnung (EU) 2017/1221 (ABl. L 174 vom 7.7.2017, S. 3) geändert worden ist, weniger als 270 Milligramm Stickstoffoxide pro Kilometer ausstoßen, - 3.
Kraftomnibusse mit einer Allgemeinen Betriebserlaubnis für ein Stickstoffoxid-Minderungssystem mit erhöhter Minderungsleistung, sofern die Nachrüstung finanziell aus einem öffentlichen Titel des Bundes gefördert worden ist, oder die die technischen Anforderungen erfüllen, die für diese Förderung erforderlich gewesen wären, - 4.
schwere Kommunalfahrzeuge mit einer Allgemeinen Betriebserlaubnis für ein Stickstoffoxid-Minderungssystem mit erhöhter Minderungsleistung, sofern die Nachrüstung finanziell aus einem öffentlichen Titel des Bundes gefördert worden ist, oder die die technischen Anforderungen erfüllen, die für diese Förderung erforderlich gewesen wären, sowie Fahrzeuge der privaten Entsorgungswirtschaft von mehr als 3,5 Tonnen mit einer Allgemeinen Betriebserlaubnis für ein Stickstoffoxid-Minderungssystem mit erhöhter Minderungsleistung, die die technischen Anforderungen erfüllen, die für diese Förderung erforderlich gewesen wären, - 5.
Handwerker- und Lieferfahrzeuge zwischen 2,8 und 7,5 Tonnen mit einer Allgemeinen Betriebserlaubnis für ein Stickstoffoxid-Minderungssystem mit erhöhter Minderungsleistung, sofern die Nachrüstung finanziell aus einem öffentlichen Titel des Bundes gefördert worden ist, oder die die technischen Anforderungen erfüllen, die für diese Förderung erforderlich gewesen wären, - 6.
Kraftfahrzeuge der Schadstoffklasse Euro VI und - 7.
Kraftfahrzeuge im Sinne von Anhang 3 Nummer 5, 6 und 7 der Verordnung zur Kennzeichnung der Kraftfahrzeuge mit geringem Beitrag zur Schadstoffbelastung vom 10. Oktober 2006 (BGBl. I S. 2218), die zuletzt durch Artikel 85 der Verordnung vom 31. August 2015 (BGBl. I S. 1474) geändert worden ist.
(5) Die nach den Absätzen 1 bis 4 aufzustellenden Pläne müssen den Anforderungen des § 45 Absatz 2 entsprechen. Die Öffentlichkeit ist bei der Aufstellung von Plänen nach den Absätzen 1 und 3 zu beteiligen. Die Pläne müssen für die Öffentlichkeit zugänglich sein.
(5a) Bei der Aufstellung oder Änderung von Luftreinhalteplänen nach Absatz 1 ist die Öffentlichkeit durch die zuständige Behörde zu beteiligen. Die Aufstellung oder Änderung eines Luftreinhalteplanes sowie Informationen über das Beteiligungsverfahren sind in einem amtlichen Veröffentlichungsblatt und auf andere geeignete Weise öffentlich bekannt zu machen. Der Entwurf des neuen oder geänderten Luftreinhalteplanes ist einen Monat zur Einsicht auszulegen; bis zwei Wochen nach Ablauf der Auslegungsfrist kann gegenüber der zuständigen Behörde schriftlich oder elektronisch Stellung genommen werden; der Zeitpunkt des Fristablaufs ist bei der Bekanntmachung nach Satz 2 mitzuteilen. Fristgemäß eingegangene Stellungnahmen werden von der zuständigen Behörde bei der Entscheidung über die Annahme des Plans angemessen berücksichtigt. Der aufgestellte Plan ist von der zuständigen Behörde in einem amtlichen Veröffentlichungsblatt und auf andere geeignete Weise öffentlich bekannt zu machen. In der öffentlichen Bekanntmachung sind das überplante Gebiet und eine Übersicht über die wesentlichen Maßnahmen darzustellen. Eine Ausfertigung des Plans, einschließlich einer Darstellung des Ablaufs des Beteiligungsverfahrens und der Gründe und Erwägungen, auf denen die getroffene Entscheidung beruht, wird zwei Wochen zur Einsicht ausgelegt. Dieser Absatz findet keine Anwendung, wenn es sich bei dem Luftreinhalteplan nach Absatz 1 um einen Plan handelt, für den nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung eine Strategische Umweltprüfung durchzuführen ist.
(5b) Werden nach Absatz 2 Pläne für kurzfristig zu ergreifende Maßnahmen aufgestellt, macht die zuständige Behörde der Öffentlichkeit sowohl die Ergebnisse ihrer Untersuchungen zur Durchführbarkeit und zum Inhalt solcher Pläne als auch Informationen über die Durchführung dieser Pläne zugänglich.
(6) Die Maßnahmen, die Pläne nach den Absätzen 1 bis 4 festlegen, sind durch Anordnungen oder sonstige Entscheidungen der zuständigen Träger öffentlicher Verwaltung nach diesem Gesetz oder nach anderen Rechtsvorschriften durchzusetzen. Sind in den Plänen planungsrechtliche Festlegungen vorgesehen, haben die zuständigen Planungsträger dies bei ihren Planungen zu berücksichtigen.
(7) Die Landesregierungen oder die von ihnen bestimmten Stellen werden ermächtigt, bei der Gefahr, dass Immissionsgrenzwerte überschritten werden, die eine Rechtsverordnung nach § 48a Absatz 1 festlegt, durch Rechtsverordnung vorzuschreiben, dass in näher zu bestimmenden Gebieten bestimmte
- 1.
ortsveränderliche Anlagen nicht betrieben werden dürfen, - 2.
ortsfeste Anlagen nicht errichtet werden dürfen, - 3.
ortsveränderliche oder ortsfeste Anlagen nur zu bestimmten Zeiten betrieben werden dürfen oder erhöhten betriebstechnischen Anforderungen genügen müssen, - 4.
Brennstoffe in Anlagen nicht oder nur beschränkt verwendet werden dürfen,
(1) Auf Antrag wird einer inländischen oder ausländischen Vereinigung die Anerkennung zur Einlegung von Rechtbehelfen nach diesem Gesetz erteilt. Die Anerkennung ist zu erteilen, wenn die Vereinigung
- 1.
nach ihrer Satzung ideell und nicht nur vorübergehend vorwiegend die Ziele des Umweltschutzes fördert, - 2.
im Zeitpunkt der Anerkennung mindestens drei Jahre besteht und in diesem Zeitraum im Sinne der Nummer 1 tätig gewesen ist, - 3.
die Gewähr für eine sachgerechte Aufgabenerfüllung, insbesondere für eine sachgerechte Beteiligung an behördlichen Entscheidungsverfahren, bietet; dabei sind Art und Umfang ihrer bisherigen Tätigkeit, der Mitgliederkreis sowie die Leistungsfähigkeit der Vereinigung zu berücksichtigen, - 4.
gemeinnützige Zwecke im Sinne von § 52 der Abgabenordnung verfolgt und - 5.
jeder Person den Eintritt als Mitglied ermöglicht, die die Ziele der Vereinigung unterstützt; Mitglieder sind Personen, die mit dem Eintritt volles Stimmrecht in der Mitgliederversammlung der Vereinigung erhalten; bei Vereinigungen, deren Mitgliederkreis zu mindestens drei Vierteln aus juristischen Personen besteht, kann von der Voraussetzung nach Halbsatz 1 abgesehen werden, sofern die Mehrzahl dieser juristischen Personen diese Voraussetzung erfüllt.
(2) Für eine ausländische Vereinigung sowie für eine Vereinigung mit einem Tätigkeitsbereich, der über das Gebiet eines Landes hinausgeht, wird die Anerkennung durch das Umweltbundesamt ausgesprochen. Bei der Anerkennung einer Vereinigung nach Satz 1, die im Schwerpunkt die Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege fördert, ergeht diese Anerkennung im Einvernehmen mit dem Bundesamt für Naturschutz. Für die Anerkennung werden keine Gebühren und Auslagen erhoben.
(3) Für eine inländische Vereinigung mit einem Tätigkeitsbereich, der nicht über das Gebiet eines Landes hinausgeht, wird die Anerkennung durch die zuständige Behörde des Landes ausgesprochen.
(1) Es ist verboten,
- 1.
wild lebenden Tieren der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören, - 2.
wild lebende Tiere der streng geschützten Arten und der europäischen Vogelarten während der Fortpflanzungs-, Aufzucht-, Mauser-, Überwinterungs- und Wanderungszeiten erheblich zu stören; eine erhebliche Störung liegt vor, wenn sich durch die Störung der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art verschlechtert, - 3.
Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der wild lebenden Tiere der besonders geschützten Arten aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören, - 4.
wild lebende Pflanzen der besonders geschützten Arten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, sie oder ihre Standorte zu beschädigen oder zu zerstören
(2) Es ist ferner verboten,
- 1.
Tiere und Pflanzen der besonders geschützten Arten in Besitz oder Gewahrsam zu nehmen, in Besitz oder Gewahrsam zu haben oder zu be- oder verarbeiten (Besitzverbote), - 2.
Tiere und Pflanzen der besonders geschützten Arten im Sinne des § 7 Absatz 2 Nummer 13 Buchstabe b und c - a)
zu verkaufen, zu kaufen, zum Verkauf oder Kauf anzubieten, zum Verkauf vorrätig zu halten oder zu befördern, zu tauschen oder entgeltlich zum Gebrauch oder zur Nutzung zu überlassen, - b)
zu kommerziellen Zwecken zu erwerben, zur Schau zu stellen oder auf andere Weise zu verwenden
(3) Die Besitz- und Vermarktungsverbote gelten auch für Waren im Sinne des Anhangs der Richtlinie 83/129/EWG, die entgegen den Artikeln 1 und 3 dieser Richtlinie nach dem 30. September 1983 in die Gemeinschaft gelangt sind.
(4) Entspricht die land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Bodennutzung und die Verwertung der dabei gewonnenen Erzeugnisse den in § 5 Absatz 2 bis 4 dieses Gesetzes genannten Anforderungen sowie den sich aus § 17 Absatz 2 des Bundes-Bodenschutzgesetzes und dem Recht der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft ergebenden Anforderungen an die gute fachliche Praxis, verstößt sie nicht gegen die Zugriffs-, Besitz- und Vermarktungsverbote. Sind in Anhang IV der Richtlinie 92/43/EWG aufgeführte Arten, europäische Vogelarten oder solche Arten, die in einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 aufgeführt sind, betroffen, gilt dies nur, soweit sich der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art durch die Bewirtschaftung nicht verschlechtert. Soweit dies nicht durch anderweitige Schutzmaßnahmen, insbesondere durch Maßnahmen des Gebietsschutzes, Artenschutzprogramme, vertragliche Vereinbarungen oder gezielte Aufklärung sichergestellt ist, ordnet die zuständige Behörde gegenüber den verursachenden Land-, Forst- oder Fischwirten die erforderlichen Bewirtschaftungsvorgaben an. Befugnisse nach Landesrecht zur Anordnung oder zum Erlass entsprechender Vorgaben durch Allgemeinverfügung oder Rechtsverordnung bleiben unberührt.
(5) Für nach § 15 Absatz 1 unvermeidbare Beeinträchtigungen durch Eingriffe in Natur und Landschaft, die nach § 17 Absatz 1 oder Absatz 3 zugelassen oder von einer Behörde durchgeführt werden, sowie für Vorhaben im Sinne des § 18 Absatz 2 Satz 1 gelten die Zugriffs-, Besitz- und Vermarktungsverbote nach Maßgabe der Sätze 2 bis 5. Sind in Anhang IV Buchstabe a der Richtlinie 92/43/EWG aufgeführte Tierarten, europäische Vogelarten oder solche Arten betroffen, die in einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 aufgeführt sind, liegt ein Verstoß gegen
- 1.
das Tötungs- und Verletzungsverbot nach Absatz 1 Nummer 1 nicht vor, wenn die Beeinträchtigung durch den Eingriff oder das Vorhaben das Tötungs- und Verletzungsrisiko für Exemplare der betroffenen Arten nicht signifikant erhöht und diese Beeinträchtigung bei Anwendung der gebotenen, fachlich anerkannten Schutzmaßnahmen nicht vermieden werden kann, - 2.
das Verbot des Nachstellens und Fangens wild lebender Tiere und der Entnahme, Beschädigung oder Zerstörung ihrer Entwicklungsformen nach Absatz 1 Nummer 1 nicht vor, wenn die Tiere oder ihre Entwicklungsformen im Rahmen einer erforderlichen Maßnahme, die auf den Schutz der Tiere vor Tötung oder Verletzung oder ihrer Entwicklungsformen vor Entnahme, Beschädigung oder Zerstörung und die Erhaltung der ökologischen Funktion der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang gerichtet ist, beeinträchtigt werden und diese Beeinträchtigungen unvermeidbar sind, - 3.
das Verbot nach Absatz 1 Nummer 3 nicht vor, wenn die ökologische Funktion der von dem Eingriff oder Vorhaben betroffenen Fortpflanzungs- und Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang weiterhin erfüllt wird.
(6) Die Zugriffs- und Besitzverbote gelten nicht für Handlungen zur Vorbereitung gesetzlich vorgeschriebener Prüfungen, die von fachkundigen Personen unter größtmöglicher Schonung der untersuchten Exemplare und der übrigen Tier- und Pflanzenwelt im notwendigen Umfang vorgenommen werden. Die Anzahl der verletzten oder getöteten Exemplare von europäischen Vogelarten und Arten der in Anhang IV Buchstabe a der Richtlinie 92/43/EWG aufgeführten Tierarten ist von der fachkundigen Person der für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörde jährlich mitzuteilen.
Tenor
I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 15.000 Euro festgesetzt.
Gründe
Tenor
I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III.
Der Streitwert des Antragsverfahrens wird auf 15.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
II.
(1) Das Oberverwaltungsgericht entscheidet im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit auf Antrag über die Gültigkeit
- 1.
von Satzungen, die nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs erlassen worden sind, sowie von Rechtsverordnungen auf Grund des § 246 Abs. 2 des Baugesetzbuchs - 2.
von anderen im Rang unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften, sofern das Landesrecht dies bestimmt.
(2) Den Antrag kann jede natürliche oder juristische Person, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden, sowie jede Behörde innerhalb eines Jahres nach Bekanntmachung der Rechtsvorschrift stellen. Er ist gegen die Körperschaft, Anstalt oder Stiftung zu richten, welche die Rechtsvorschrift erlassen hat. Das Oberverwaltungsgericht kann dem Land und anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, deren Zuständigkeit durch die Rechtsvorschrift berührt wird, Gelegenheit zur Äußerung binnen einer zu bestimmenden Frist geben. § 65 Abs. 1 und 4 und § 66 sind entsprechend anzuwenden.
(2a) (weggefallen)
(3) Das Oberverwaltungsgericht prüft die Vereinbarkeit der Rechtsvorschrift mit Landesrecht nicht, soweit gesetzlich vorgesehen ist, daß die Rechtsvorschrift ausschließlich durch das Verfassungsgericht eines Landes nachprüfbar ist.
(4) Ist ein Verfahren zur Überprüfung der Gültigkeit der Rechtsvorschrift bei einem Verfassungsgericht anhängig, so kann das Oberverwaltungsgericht anordnen, daß die Verhandlung bis zur Erledigung des Verfahrens vor dem Verfassungsgericht auszusetzen sei.
(5) Das Oberverwaltungsgericht entscheidet durch Urteil oder, wenn es eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, durch Beschluß. Kommt das Oberverwaltungsgericht zu der Überzeugung, daß die Rechtsvorschrift ungültig ist, so erklärt es sie für unwirksam; in diesem Fall ist die Entscheidung allgemein verbindlich und die Entscheidungsformel vom Antragsgegner ebenso zu veröffentlichen wie die Rechtsvorschrift bekanntzumachen wäre. Für die Wirkung der Entscheidung gilt § 183 entsprechend.
(6) Das Gericht kann auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist.
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen je zur Hälfte.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Antragsteller können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Gründe
(1) Werden die durch eine Rechtsverordnung nach § 48a Absatz 1 festgelegten Immissionsgrenzwerte einschließlich festgelegter Toleranzmargen überschritten, hat die zuständige Behörde einen Luftreinhalteplan aufzustellen, welcher die erforderlichen Maßnahmen zur dauerhaften Verminderung von Luftverunreinigungen festlegt und den Anforderungen der Rechtsverordnung entspricht. Satz 1 gilt entsprechend, soweit eine Rechtsverordnung nach § 48a Absatz 1 zur Einhaltung von Zielwerten die Aufstellung eines Luftreinhalteplans regelt. Die Maßnahmen eines Luftreinhalteplans müssen geeignet sein, den Zeitraum einer Überschreitung von bereits einzuhaltenden Immissionsgrenzwerten so kurz wie möglich zu halten.
(2) Besteht die Gefahr, dass die durch eine Rechtsverordnung nach § 48a Absatz 1 festgelegten Alarmschwellen überschritten werden, hat die zuständige Behörde einen Plan für kurzfristig zu ergreifende Maßnahmen aufzustellen, soweit die Rechtsverordnung dies vorsieht. Besteht die Gefahr, dass durch eine Rechtsverordnung nach § 48a Absatz 1 festgelegte Immissionsgrenzwerte oder Zielwerte überschritten werden, kann die zuständige Behörde einen Plan für kurzfristig zu ergreifende Maßnahmen aufstellen, soweit die Rechtsverordnung dies vorsieht. Die im Plan festgelegten Maßnahmen müssen geeignet sein, die Gefahr der Überschreitung der Werte zu verringern oder den Zeitraum, während dessen die Werte überschritten werden, zu verkürzen. Ein Plan für kurzfristig zu ergreifende Maßnahmen kann Teil eines Luftreinhalteplans nach Absatz 1 sein.
(3) Liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass die durch eine Rechtsverordnung nach § 48a Absatz 1a festgelegten Immissionswerte nicht eingehalten werden, oder sind in einem Untersuchungsgebiet im Sinne des § 44 Absatz 2 sonstige schädliche Umwelteinwirkungen zu erwarten, kann die zuständige Behörde einen Luftreinhalteplan aufstellen. Bei der Aufstellung dieser Pläne sind die Ziele der Raumordnung zu beachten; die Grundsätze und sonstigen Erfordernisse der Raumordnung sind zu berücksichtigen.
(4) Die Maßnahmen sind entsprechend des Verursacheranteils unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gegen alle Emittenten zu richten, die zum Überschreiten der Immissionswerte oder in einem Untersuchungsgebiet im Sinne des § 44 Absatz 2 zu sonstigen schädlichen Umwelteinwirkungen beitragen. Werden in Plänen nach Absatz 1 oder 2 Maßnahmen im Straßenverkehr erforderlich, sind diese im Einvernehmen mit den zuständigen Straßenbau- und Straßenverkehrsbehörden festzulegen. Werden Immissionswerte hinsichtlich mehrerer Schadstoffe überschritten, ist ein alle Schadstoffe erfassender Plan aufzustellen. Werden Immissionswerte durch Emissionen überschritten, die außerhalb des Plangebiets verursacht werden, hat in den Fällen der Absätze 1 und 2 auch die dort zuständige Behörde einen Plan aufzustellen.
(4a) Verbote des Kraftfahrzeugverkehrs für Kraftfahrzeuge mit Selbstzündungsmotor kommen wegen der Überschreitung des Immissionsgrenzwertes für Stickstoffdioxid in der Regel nur in Gebieten in Betracht, in denen der Wert von 50 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel überschritten worden ist. Folgende Kraftfahrzeuge sind von Verkehrsverboten ausgenommen:
- 1.
Kraftfahrzeuge der Schadstoffklasse Euro 6, - 2.
Kraftfahrzeuge der Schadstoffklassen Euro 4 und Euro 5, sofern diese im praktischen Fahrbetrieb in entsprechender Anwendung des Artikels 2 Nummer 41 in Verbindung mit Anhang IIIa der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 der Kommission vom 18. Juli 2008 zur Durchführung und Änderung der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl. L 199 vom 28.7.2008, S. 1), die zuletzt durch die Verordnung (EU) 2017/1221 (ABl. L 174 vom 7.7.2017, S. 3) geändert worden ist, weniger als 270 Milligramm Stickstoffoxide pro Kilometer ausstoßen, - 3.
Kraftomnibusse mit einer Allgemeinen Betriebserlaubnis für ein Stickstoffoxid-Minderungssystem mit erhöhter Minderungsleistung, sofern die Nachrüstung finanziell aus einem öffentlichen Titel des Bundes gefördert worden ist, oder die die technischen Anforderungen erfüllen, die für diese Förderung erforderlich gewesen wären, - 4.
schwere Kommunalfahrzeuge mit einer Allgemeinen Betriebserlaubnis für ein Stickstoffoxid-Minderungssystem mit erhöhter Minderungsleistung, sofern die Nachrüstung finanziell aus einem öffentlichen Titel des Bundes gefördert worden ist, oder die die technischen Anforderungen erfüllen, die für diese Förderung erforderlich gewesen wären, sowie Fahrzeuge der privaten Entsorgungswirtschaft von mehr als 3,5 Tonnen mit einer Allgemeinen Betriebserlaubnis für ein Stickstoffoxid-Minderungssystem mit erhöhter Minderungsleistung, die die technischen Anforderungen erfüllen, die für diese Förderung erforderlich gewesen wären, - 5.
Handwerker- und Lieferfahrzeuge zwischen 2,8 und 7,5 Tonnen mit einer Allgemeinen Betriebserlaubnis für ein Stickstoffoxid-Minderungssystem mit erhöhter Minderungsleistung, sofern die Nachrüstung finanziell aus einem öffentlichen Titel des Bundes gefördert worden ist, oder die die technischen Anforderungen erfüllen, die für diese Förderung erforderlich gewesen wären, - 6.
Kraftfahrzeuge der Schadstoffklasse Euro VI und - 7.
Kraftfahrzeuge im Sinne von Anhang 3 Nummer 5, 6 und 7 der Verordnung zur Kennzeichnung der Kraftfahrzeuge mit geringem Beitrag zur Schadstoffbelastung vom 10. Oktober 2006 (BGBl. I S. 2218), die zuletzt durch Artikel 85 der Verordnung vom 31. August 2015 (BGBl. I S. 1474) geändert worden ist.
(5) Die nach den Absätzen 1 bis 4 aufzustellenden Pläne müssen den Anforderungen des § 45 Absatz 2 entsprechen. Die Öffentlichkeit ist bei der Aufstellung von Plänen nach den Absätzen 1 und 3 zu beteiligen. Die Pläne müssen für die Öffentlichkeit zugänglich sein.
(5a) Bei der Aufstellung oder Änderung von Luftreinhalteplänen nach Absatz 1 ist die Öffentlichkeit durch die zuständige Behörde zu beteiligen. Die Aufstellung oder Änderung eines Luftreinhalteplanes sowie Informationen über das Beteiligungsverfahren sind in einem amtlichen Veröffentlichungsblatt und auf andere geeignete Weise öffentlich bekannt zu machen. Der Entwurf des neuen oder geänderten Luftreinhalteplanes ist einen Monat zur Einsicht auszulegen; bis zwei Wochen nach Ablauf der Auslegungsfrist kann gegenüber der zuständigen Behörde schriftlich oder elektronisch Stellung genommen werden; der Zeitpunkt des Fristablaufs ist bei der Bekanntmachung nach Satz 2 mitzuteilen. Fristgemäß eingegangene Stellungnahmen werden von der zuständigen Behörde bei der Entscheidung über die Annahme des Plans angemessen berücksichtigt. Der aufgestellte Plan ist von der zuständigen Behörde in einem amtlichen Veröffentlichungsblatt und auf andere geeignete Weise öffentlich bekannt zu machen. In der öffentlichen Bekanntmachung sind das überplante Gebiet und eine Übersicht über die wesentlichen Maßnahmen darzustellen. Eine Ausfertigung des Plans, einschließlich einer Darstellung des Ablaufs des Beteiligungsverfahrens und der Gründe und Erwägungen, auf denen die getroffene Entscheidung beruht, wird zwei Wochen zur Einsicht ausgelegt. Dieser Absatz findet keine Anwendung, wenn es sich bei dem Luftreinhalteplan nach Absatz 1 um einen Plan handelt, für den nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung eine Strategische Umweltprüfung durchzuführen ist.
(5b) Werden nach Absatz 2 Pläne für kurzfristig zu ergreifende Maßnahmen aufgestellt, macht die zuständige Behörde der Öffentlichkeit sowohl die Ergebnisse ihrer Untersuchungen zur Durchführbarkeit und zum Inhalt solcher Pläne als auch Informationen über die Durchführung dieser Pläne zugänglich.
(6) Die Maßnahmen, die Pläne nach den Absätzen 1 bis 4 festlegen, sind durch Anordnungen oder sonstige Entscheidungen der zuständigen Träger öffentlicher Verwaltung nach diesem Gesetz oder nach anderen Rechtsvorschriften durchzusetzen. Sind in den Plänen planungsrechtliche Festlegungen vorgesehen, haben die zuständigen Planungsträger dies bei ihren Planungen zu berücksichtigen.
(7) Die Landesregierungen oder die von ihnen bestimmten Stellen werden ermächtigt, bei der Gefahr, dass Immissionsgrenzwerte überschritten werden, die eine Rechtsverordnung nach § 48a Absatz 1 festlegt, durch Rechtsverordnung vorzuschreiben, dass in näher zu bestimmenden Gebieten bestimmte
- 1.
ortsveränderliche Anlagen nicht betrieben werden dürfen, - 2.
ortsfeste Anlagen nicht errichtet werden dürfen, - 3.
ortsveränderliche oder ortsfeste Anlagen nur zu bestimmten Zeiten betrieben werden dürfen oder erhöhten betriebstechnischen Anforderungen genügen müssen, - 4.
Brennstoffe in Anlagen nicht oder nur beschränkt verwendet werden dürfen,
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen je zur Hälfte.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Antragsteller können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Gründe
(1) Das Oberverwaltungsgericht entscheidet im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit auf Antrag über die Gültigkeit
- 1.
von Satzungen, die nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs erlassen worden sind, sowie von Rechtsverordnungen auf Grund des § 246 Abs. 2 des Baugesetzbuchs - 2.
von anderen im Rang unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften, sofern das Landesrecht dies bestimmt.
(2) Den Antrag kann jede natürliche oder juristische Person, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden, sowie jede Behörde innerhalb eines Jahres nach Bekanntmachung der Rechtsvorschrift stellen. Er ist gegen die Körperschaft, Anstalt oder Stiftung zu richten, welche die Rechtsvorschrift erlassen hat. Das Oberverwaltungsgericht kann dem Land und anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, deren Zuständigkeit durch die Rechtsvorschrift berührt wird, Gelegenheit zur Äußerung binnen einer zu bestimmenden Frist geben. § 65 Abs. 1 und 4 und § 66 sind entsprechend anzuwenden.
(2a) (weggefallen)
(3) Das Oberverwaltungsgericht prüft die Vereinbarkeit der Rechtsvorschrift mit Landesrecht nicht, soweit gesetzlich vorgesehen ist, daß die Rechtsvorschrift ausschließlich durch das Verfassungsgericht eines Landes nachprüfbar ist.
(4) Ist ein Verfahren zur Überprüfung der Gültigkeit der Rechtsvorschrift bei einem Verfassungsgericht anhängig, so kann das Oberverwaltungsgericht anordnen, daß die Verhandlung bis zur Erledigung des Verfahrens vor dem Verfassungsgericht auszusetzen sei.
(5) Das Oberverwaltungsgericht entscheidet durch Urteil oder, wenn es eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, durch Beschluß. Kommt das Oberverwaltungsgericht zu der Überzeugung, daß die Rechtsvorschrift ungültig ist, so erklärt es sie für unwirksam; in diesem Fall ist die Entscheidung allgemein verbindlich und die Entscheidungsformel vom Antragsgegner ebenso zu veröffentlichen wie die Rechtsvorschrift bekanntzumachen wäre. Für die Wirkung der Entscheidung gilt § 183 entsprechend.
(6) Das Gericht kann auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist.
(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.
(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.
Tenor
-
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 16. August 2012 wird zurückgewiesen.
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Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
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Der Kläger, eine bundesweit tätige, nach § 3 UmwRG anerkannte Umweltvereinigung, begehrt die Änderung des Luftreinhalteplans für D.
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Für den Ballungsraum des Rhein-Main-Gebietes besteht seit 2005 ein Luftreinhalteplan. Der Teilplan D. wurde im Februar 2011 fortgeschrieben. Im Luftreinhalteplan ist eine Reihe von lokalen Maßnahmen vorgesehen, mit denen die Schadstoffkonzentrationen für Feinstaub und Stickoxide (NOx) im Stadtgebiet von D. bis zum Zieljahr 2015 reduziert werden sollen. Die im Luftreinhalteplan aus dem Jahr 2005 enthaltenen Maßnahmen sollen aufrechterhalten bleiben. Dazu gehören insbesondere Durchfahrtsverbote für Lkw. Der Luftreinhalteplan geht davon aus, dass im Jahr 2015 die Immissionsgrenzwerte für Feinstaub an allen Straßenzügen in D. sicher eingehalten werden können, während dies für Stickstoffdioxid (NO2) nicht gilt. Nach der Prognose sollen allein aufgrund der fortschreitenden Euronormen für den Schadstoffausstoß bei Kraftfahrzeugen die Immissionen für NOx um 22,1 % und der direkte NO2-Ausstoß um knapp 9 % verringert werden. Aufgrund der Maßnahmen der Stadt D. zur Reduzierung des Verkehrsaufkommens wird ein weiterer Rückgang der Luftschadstoffimmissionen bei Stickoxiden um 11,6 % erwartet. Die Prognose kommt zum Ergebnis, dass bis zum Jahr 2015 die Immissionsgrenzwerte für NO2 zumindest an den drei am höchsten belasteten Straßenzügen in D. zwar nicht eingehalten werden, aber doch deutlich reduziert werden können.
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Nachdem der Kläger beim Beklagten mit Schreiben vom 10. Januar 2012 eine Änderung des Luftreinhalteplans beantragt und zur Begründung darauf hingewiesen hatte, dass eine Umweltzone trotz der nicht garantierten Einhaltung des Grenzwerts bis zum Jahr 2015 nicht in Betracht gezogen worden sei, erhob er am 14. Februar 2012 Klage zum Verwaltungsgericht.
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Mit Urteil vom 16. August 2012 hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben und den Beklagten verpflichtet, den für D. geltenden Luftreinhalteplan so zu ändern, dass dieser die erforderlichen Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung des über ein Kalenderjahr gemittelten Immissionsgrenzwerts für NO2 in Höhe von 40 µg/cbm im Stadtgebiet D. enthält. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Das als allgemeine Leistungsklage erhobene Begehren sei als altruistische Verbandsklage zulässig. Dies folge aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 8. März 2011 im Verfahren C-240/09, wonach ein Gericht das nationale Verfahrensrecht so auslegen müsse, dass es einer nach § 3 UmwRG anerkannten Umweltschutzvereinigung ermöglicht werde, eine Entscheidung, die möglicherweise im Widerspruch zum Umweltrecht der Europäischen Union stehe, vor einem Gericht anzufechten. Es sei unbeachtlich, dass diese Klagebefugnis im nationalen Verfahrensrecht (noch) nicht ausdrücklich vorgesehen sei. Die Klage sei auch begründet. Der Beklagte sei nach § 47 Abs. 1 BImSchG und § 27 Abs. 2 der 39. BImSchV verpflichtet, im Rahmen des Luftreinhalteplans für D. alle geeigneten und verhältnismäßigen Maßnahmen zu ergreifen, um den Zeitraum der Überschreitung des einzuhaltenden Grenzwerts für NO2 so kurz wie möglich zu halten. Dem Beklagten stehe hinsichtlich des "Ob" der Aufstellung des Luftreinhalteplans Ermessen nicht zu, sondern nur hinsichtlich des "Wie" der Umsetzung der normativen Vorgaben. Er sei verpflichtet, einen Luftreinhalteplan mit dem Ziel der Einhaltung des Grenzwerts im Rahmen des tatsächlich Möglichen und rechtlich Verhältnismäßigen aufzustellen. Diesen Anforderungen werde der Luftreinhalteplan nicht gerecht, denn auch bei Durchführung aller darin vorgesehenen Maßnahmen würden die Grenzwerte für NO2 nicht eingehalten oder unterschritten. Angesichts der zwingenden, dem Gesundheitsschutz dienenden Grenzwerte müsste dies nur hingenommen werden, wenn alle geeigneten und verhältnismäßigen Maßnahmen zur Verminderung der Stickstoffdioxidkonzentration in D. ausgeschöpft seien. Das sei schon deshalb nicht der Fall, weil eine Umweltzone, die zwischenzeitlich als durchaus gut geeignete Maßnahme anerkannt werde, nicht in den Luftreinhalteplan aufgenommen worden sei. Angesichts des Schutzguts der Grenzwerte für NO2 sei die Einführung einer Umweltzone ungeachtet möglicher finanzieller Belastungen von Bevölkerung und Wirtschaft auch nicht unverhältnismäßig. Ein Rechtsanspruch auf Festsetzung konkreter Maßnahmen bestehe bei der Luftreinhalteplanung zwar nicht. Der planerische Gestaltungsspielraum sei jedoch begrenzt durch die normativen Zielvorgaben; diesen werde nicht genügt, wenn sich aufdrängende Maßnahmen trotz fortdauernder Überschreitung des Grenzwerts nicht in den Plan aufgenommen würden.
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Mit seiner vom Verwaltungsgericht zugelassenen und mit Zustimmung des Klägers eingelegten Sprungrevision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter und trägt zur Begründung vor: Die Klage sei unzulässig. Dem Kläger fehle die Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO, die auch für die allgemeine Leistungsklage erforderlich sei. Aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 8. März 2011, das nicht überzeugen könne und eine andere Fallgestaltung betreffe, ergebe sich nichts anderes (siehe auch Schink, DÖV 2012, 622). Aus Art. 9 Abs. 3 der Aarhus-Konvention (AK) sei eine Verbandsklage, gerichtet auf Einhaltung des europäischen Umweltrechts, nicht abzuleiten. Art. 9 Abs. 3 AK habe, anders als Art. 9 Abs. 2 AK, im Unionsrecht keine unmittelbare Wirkung. Jedenfalls fehle es an der in der EuGH-Entscheidung vorausgesetzten interpretationsfähigen Vorschrift des nationalen Rechts. Auch führe es hier nicht weiter, durchsetzbare individuelle Rechte, die das Unionsrecht gewähre, als subjektive Rechte im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO anzusehen. Denn Art. 9 Abs. 3 AK räume gerade keine vollzugsfähigen Rechte ein. Des Weiteren werde Art. 9 Abs. 3 AK durch die EU-Luftreinhalterichtlinie nicht umgesetzt. Darin sei in Art. 26 Abs. 1 lediglich die Unterrichtung der Öffentlichkeit vorgesehen; Mitwirkungsrechte von Verbänden, die - wenn überhaupt - Ansatzpunkt für eine Verbandsklage sein könnten, würden demgegenüber nicht normiert.
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Der Klageantrag sei unbestimmt, nicht vollstreckungsfähig und deshalb unzulässig.
- 7
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Die Klage sei auch nicht begründet. Dem Kläger stehe ein Anspruch auf Änderung des Luftreinhalteplans nicht zu. Der Beklagte sei zwar verpflichtet gewesen, einen Luftreinhalteplan mit dem Ziel aufzustellen, eine Verminderung der Überschreitung des Immissionsgrenzwerts für NO2 schrittweise zu bewirken und den Zeitraum der Nichteinhaltung so kurz wie möglich zu halten. Dieser Verpflichtung sei der Beklagte aber bereits nachgekommen.
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Das Verwaltungsgericht gewähre letztlich einen verkappten Anspruch auf Einführung einer Umweltzone, da weitere Maßnahmen nicht ersichtlich seien. Einzelne Maßnahmen der Luftreinhalteplanung könnten aber wegen des planerischen Gestaltungsspielraums des Beklagten nicht eingeklagt werden. Der Beklagte werde zu einer Luftreinhalteplanung verurteilt, die den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht wahre. Eine Umweltzone sei in D. wegen der Ausgestaltung der Plakettenregelung der 35. BImSchV keine geeignete Maßnahme zur Reduzierung der Grenzwertüberschreitung für Stickoxide; insoweit habe das Verwaltungsgericht den Vortrag des Beklagten nicht beachtet und gegen den Untersuchungsgrundsatz verstoßen. Die Auswertung von Umweltzonen in anderen Städten belege deren Geeignetheit zur NO2-Reduktion nicht. Die Einrichtung einer Umweltzone sei auch nicht erforderlich, weil der Anteil des Lkw-Durchgangsverkehrs aufgrund des bevorstehenden Abschlusses von Straßenbauarbeiten sich deutlich reduzieren werde. Schließlich sei die Einführung einer Umweltzone auch unverhältnismäßig im engeren Sinne.
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Der Beklagte beantragt,
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1. unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 16. August 2012 die Klage abzuweisen,
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2. hilfsweise, das Verfahren auszusetzen und eine Vorabentscheidung des EuGH gemäß Art. 267 AEUV zu folgenden Rechtsfragen einzuholen:
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a) Ist Art. 9 Abs. 3 der Aarhus-Konvention unter Berücksichtigung des Urteils des EuGH vom 8. März 2011 - C-240/09 - so zu interpretieren, dass eine nationale Rechtsvorschrift, die die Zulässigkeit einer Klage davon abhängig macht, dass der Kläger in seinen Rechten verletzt ist, so auszulegen, dass sie es einer Umweltschutzvereinigung, die die Förderung und Einhaltung des Umweltrechts der Europäischen Union zu ihrem Satzungszweck erklärt hat, ermöglicht, eine Entscheidung, die im Widerspruch zum Umweltrecht der Union steht, vor einem Gericht anzufechten?
-
b) Gibt Art. 23 Abs. 1 der Luftqualitätsrichtlinie (RL 2008/50/EG vom 21. Mai 2008, ABl EG Nr. L 152 vom 11. Juni 2011, S. 1) Umweltverbänden einen Anspruch auf Einhaltung der Grenzwerte des Anhangs XI B und XIV D dieser Richtlinie für NO2?
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c) Gibt Art. 23 der Luftqualitätsrichtlinie Umweltverbänden einen Rechtsanspruch auf Erlass eines Luftreinhalteplans, der bewirkt, dass die Grenzwerte der Luftqualitätsrichtlinie für NO2 schnellstmöglich eingehalten werden?
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Der Kläger beantragt,
-
die Revision zurückzuweisen,
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hilfsweise,
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das Verfahren auszusetzen und die Vorabentscheidung des EuGH zu folgenden Rechtsfragen einzuholen:
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1. Ist Art. 9 Abs. 3 des Aarhus-Übereinkommens unter Berücksichtigung des Urteils des Gerichtshofs vom 8. März 2011 - C-240/09 - so auszulegen,
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dass die Vorschrift einer nationalen Rechtsprechung entgegensteht, die - soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist - die Zulässigkeit einer Klage davon abhängig macht, dass der Kläger geltend macht, durch die Unterlassung des staatlichen Handelns in seinen Rechten verletzt zu sein,
-
wenn Gegenstand des Rechtsstreits die Klage einer nach nationalem Recht anerkannten Umweltschutzvereinigung ist, die die Aufstellung eines der Richtlinie 2008/50/EG vom 21. Mai 2008 entsprechenden Luftqualitätsplans begehrt?
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2. Ist Art. 23 der Richtlinie 2008/50/EG vom 21. Mai 2008 so zu interpretieren, dass Umweltschutzvereinigungen einen Rechtsanspruch auf Erlass eines Luftqualitätsplans geltend machen können, der Maßnahmen zum Inhalt hat, mit denen die Grenzwerte der Luftqualitätsrichtlinie für Stickstoffdioxid schnellstmöglich eingehalten werden?
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Er verteidigt das angefochtene Urteil und führt insbesondere vertiefend aus, dass er in unionsrechtskonformer Auslegung der § 42 Abs. 2 VwGO, § 47 Abs. 1 BImSchG i.V.m. Art. 9 Abs. 3 AK klagebefugt sei (siehe auch Klinger, NVwZ 2013, 850; EurUP 2013, 95).
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Der Vertreter des Bundesinteresses betont zur Frage der Ableitung einer Klagebefugnis aus Art. 9 Abs. 3 AK den Freiraum, den die Aarhus-Konvention den Vertragsstaaten einräume. Dieses Verständnis von Art. 9 Abs. 3 AK sei jedoch umstritten. Eine Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs ins deutsche Verwaltungsprozessrecht sei nicht möglich. Die in § 42 Abs. 2 VwGO vorgesehene Öffnung für andere gesetzliche Regelungen sei hier nicht einschlägig. Allerdings könne der Kreis rügefähiger subjektiv-öffentlicher Rechte in Auslegung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs weiter gezogen werden. Der Vertreter des Bundesinteresses regt eine Vorlage zum Europäischen Gerichtshof an. Er verteidigt die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Begründetheit der Klage.
Entscheidungsgründe
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Die nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht und mit Zustimmung des Klägers erhobene Sprungrevision ist zulässig, aber nicht begründet und deshalb zurückzuweisen (§ 144 Abs. 2 VwGO). Das Urteil des Verwaltungsgerichts verletzt zwar insoweit revisibles Recht, als es die Klagebefugnis des Klägers mit unzutreffenden Erwägungen bejaht (1.); die Entscheidung stellt sich insoweit aber aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO; 2.). Im Übrigen steht die Entscheidung mit Bundesrecht in Einklang (3.).
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1. a) Die Überprüfung der Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Klagebefugnis des Klägers ist dem Senat nicht durch § 134 Abs. 4 VwGO verwehrt. Danach kann die Sprungrevision nicht auf Mängel des Verfahrens gestützt werden. Zwar handelt es sich bei § 42 Abs. 2 VwGO um eine Vorschrift des Prozessrechts. Bei der Prüfung der Klagebefugnis geht es jedoch nicht um die von § 134 Abs. 4 VwGO ausgeschlossene Kontrolle des Verfahrens der Vorinstanz. Die Beurteilung der Klagebefugnis verlangt vielmehr eine von § 134 Abs. 4 VwGO nicht erfasste Bewertung materiell-rechtlicher Vorfragen (vgl. Urteile vom 10. Oktober 2002 - BVerwG 6 C 8.01 - BVerwGE 117, 93 <95> = Buchholz 442.066 § 30 TKG Nr. 1 S. 2, vom 12. März 1998 - BVerwG 4 C 3.97 - Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 149 sowie vom 26. April 2006 - BVerwG 6 C 19.05 - juris Rn. 11
§ 113 hwo nr. 6 nicht abgedruckt>; Pietzner, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 134 Rn. 77).
- 15
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b) Das Verwaltungsgericht geht davon aus, dass für den im Wege der allgemeinen Leistungsklage geltend gemachten Anspruch auf Ergänzung des Luftreinhalteplans das Erfordernis der Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO entsprechende Anwendung findet. Eigene Rechte mache der Kläger zwar nicht geltend. Vor dem Hintergrund der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 8. März 2011 in der Rechtssache C-240/09, Lesoochranárske zoskupenie VLK ("slowakischer Braunbär" - Slg. 2011, I-1255), die eine rechtsschutzfreundliche Auslegung des nationalen Verfahrensrechts fordere, sei der Kläger gleichwohl klagebefugt, auch wenn diese Klagebefugnis im nationalen Verfahrensrecht (noch) nicht ausdrücklich vorgesehen sei.
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Aus diesen knappen Ausführungen, die ausdrücklich auf den vom Europäischen Gerichtshof erteilten Auslegungsauftrag verweisen, geht mit hinreichender Deutlichkeit hervor, dass das Verwaltungsgericht die Klagebefugnis des Klägers nicht unabhängig vom nationalen Recht unmittelbar aus unionsrechtlichen Vorgaben entnehmen will. Wenn das Verwaltungsgericht Unionsrecht heranzieht, um ungeachtet der verneinten Betroffenheit in eigenen Rechten eine Klagebefugnis im Sinne einer altruistischen Verbandsklage zu bejahen, die sich im nationalen Verfahrensrecht noch nicht finde, bezieht sich das auf die in § 42 Abs. 2 Halbs. 1 VwGO normierte Öffnungsklausel, die unter Beachtung des Unionsrechts ausgefüllt werden soll.
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Diese Rechtsauffassung verletzt revisibles Recht.
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aa) Das Verwaltungsgericht ist allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass der geltend gemachte Anspruch auf Erlass eines Luftreinhalteplans, der seiner Rechtsnatur nach einer Verwaltungsvorschrift ähnlich ist (Beschlüsse vom 29. März 2007 - BVerwG 7 C 9.06 - BVerwGE 128, 278 = Buchholz 451.91 Europ UmweltR Nr. 27 Rn. 27 und vom 11. Juli 2012 - BVerwG 3 B 78.11 - Buchholz 442.151 § 45 StVO Nr. 49 Rn. 10; Jarass, BImSchG, 9. Aufl. 2012, § 47 Rn. 47), im Wege der allgemeinen Leistungsklage zu verfolgen ist. Im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung (zuletzt etwa Urteil vom 15. Juni 2011 - BVerwG 9 C 4.10 - BVerwGE 140, 34 = Buchholz 11 Art. 28 GG Nr. 161) hat das Verwaltungsgericht die in § 42 Abs. 2 VwGO normierte Sachurteilsvoraussetzung der Klagebefugnis entsprechend auch auf die allgemeine Leistungsklage angewendet. An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Denn in § 42 Abs. 2 VwGO kommt ein allgemeines Strukturprinzip des Verwaltungsrechtsschutzes zum Ausdruck. Vor dem Hintergrund von Art. 19 Abs. 4 GG ist er, wenn auch nicht ausschließlich (siehe § 42 Abs. 2 Halbs. 1 VwGO), so doch in erster Linie, auf den Individualrechtsschutz ausgerichtet (vgl. etwa Urteil vom 29. April 1993 - BVerwG 7 A 3.92 - BVerwGE 92, 263 <264> = Buchholz 310 § 42 VwGO Nr. 196 S. 46). Wollte man die allgemeine Leistungsklage - im Gegensatz zur Verpflichtungsklage als einer besonderen Leistungsklage - von dieser Grundentscheidung ausnehmen, käme es zu Wertungswidersprüchen, die in der Sache nicht gerechtfertigt werden könnten. Das im Verfahren aufgeworfene Sachproblem der Zulässigkeit einer Verbandsklage ist demnach ungeachtet der Rechtsnatur des erstrebten behördlichen Handelns und folglich der prozessualen Einordnung des Rechtsschutzbegehrens zu bewältigen.
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bb) Bei der Prüfung, ob dem Kläger die Möglichkeit einer Verbandsklage eröffnet ist, hat das Verwaltungsgericht sich zu Recht an der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs orientiert.
- 20
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Im Urteil vom 8. März 2011 hat sich der Europäische Gerichtshof zu den Rechtswirkungen des Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens vom 25. Juni 1998 über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (Aarhus-Übereinkommen
; Gesetz vom 9. Dezember 2006, BGBl II S. 1251) verhalten. Die Aarhus-Konvention ist nicht nur von allen Mitgliedstaaten der EU, sondern auch von der EU selbst ratifiziert worden (Beschluss des Rates vom 17. Februar 2005, ABl EU Nr. L 124 S. 1). Als sogenanntes gemischtes Abkommen ist sie Teil des Unionsrechts und als solcher war sie Gegenstand der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 8. März 2011 im Verfahren Rs. C-240/09.
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Der Europäische Gerichtshof hat zunächst festgestellt, dass die EU und damit der Gerichtshof jedenfalls dann für die Umsetzung und Auslegung von Art. 9 Abs. 3 AK zuständig sind, wenn es um Fragen der Beteiligung und des Rechtsschutzes in Verfahren geht, die inhaltlich die Durchsetzung des EU-Umweltrechts zum Gegenstand haben. Sodann hat er ausgeführt, dass Art. 9 Abs. 3 AK wegen des darin enthaltenen Ausgestaltungsvorbehalts derzeit keine unmittelbare Wirkung zukommt. Die nationalen Gerichte sind aber gleichwohl verpflichtet, ihr nationales Verwaltungsverfahrensrecht und Verwaltungsprozessrecht soweit wie möglich im Einklang sowohl mit den Zielen von Art. 9 Abs. 3 AK als auch mit dem Ziel eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes für die durch das Unionsrecht verliehenen Rechte auszulegen, um es einer Umweltschutzvereinigung zu ermöglichen, eine Entscheidung, die am Ende eines Verwaltungsverfahrens ergangen ist, das möglicherweise in Widerspruch zum Umweltrecht der Union steht, vor einem Gericht anzufechten.
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(1) Die nationalen Gerichte sind gehalten, die Entscheidung als Teil des Unionsrechts bei ihren rechtlichen Erwägungen zu beachten (vgl. Karpenstein, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, AEUV Art. 267 Rn. 104). Die Kritik, der sich die Argumentation des Urteils ausgesetzt sieht, ändert daran nichts. Denn die Grenzen zum "ausbrechenden Rechtsakt", etwa wegen eines vermeintlichen Verstoßes gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 1 EUV, dessen Annahme im Übrigen die Pflicht zur "Remonstration" in Gestalt eines neuerlichen Vorabentscheidungsverfahrens nach sich zöge (BVerfG, Beschluss vom 6. Juli 2010 - 2 BvR 2661/06 - BVerfGE 126, 286 <303 f.>), sind ersichtlich nicht überschritten (vgl. Berkemann, DVBl 2013, 1137 <1143 f.>).
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(2) Die vom Europäischen Gerichtshof aufgestellte Auslegungsleitlinie erfasst auch die vorliegende Fallkonstellation. Die Luftreinhalteplanung nach § 47 Abs. 1 BImSchG (i.d.F. des Achten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes vom 31. Juli 2010, BGBl I S. 1059) dient der Umsetzung der Richtlinie 2008/50/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über Luftqualität und saubere Luft für Europa (ABl EU Nr. L 152 S. 1). Entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten kommt es allein darauf an.
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Das zutreffende Verständnis einer im Vorabentscheidungsverfahren ergangenen Entscheidung (Auslegungsurteil) erschließt sich zwar vor dem Hintergrund des Streitgegenstands des Ausgangsverfahrens. Darin ging es um die verfahrensrechtliche Stellung der klagenden Vereinigung. Den Urteilsgründen ist indessen nichts zu entnehmen, was darauf schließen lassen könnte, dass sich die Verpflichtung der nationalen Gerichte, Auslegungsspielräume zugunsten von Klagerechten der Umweltverbände zu nutzen, allein auf Verfahrensrecht bezieht und lediglich bereits eingeräumte Mitwirkungsrechte prozessual verstärkt werden sollen (so auch Berkemann, a.a.O. S. 1145; Schlacke, ZUR 2011, 312 <315>).
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cc) Der Europäische Gerichtshof gibt den Gerichten auf, nach Maßgabe interpretationsfähiger Vorschriften des nationalen Rechts auch Umweltverbänden einen möglichst weiten Zugang zu den Gerichten zu ermöglichen, um so die Durchsetzung des Umweltrechts der Union zu gewährleisten. Zu Unrecht geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass diesem Anliegen über die Vorschrift des § 42 Abs. 2 Halbs. 1 VwGO Rechnung getragen werden kann.
- 26
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Diese Regelungsalternative erlaubt Ausnahmen vom Erfordernis der Geltendmachung einer Verletzung in eigenen Rechten. Sie ist jedoch als solche keine im Sinne der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs interpretationsfähige Norm, sondern lediglich eine Vorbehalts- bzw. Öffnungsklausel, die durch eine Entscheidung des zuständigen Normgebers umgesetzt werden muss. § 42 Abs. 2 Halbs. 1 VwGO selbst ist allerdings der Auslegung zugänglich, dass neben Bestimmungen des Bundes- und des Landesrechts auch Vorschriften des Unionsrechts als andere gesetzliche Regelung eigenständige, von materiellen Berechtigungen losgelöste Klagerechte vermitteln können. Erst auf der Grundlage einer solchen normativen Entscheidung stellt sich die Frage nach unionsrechtlich dirigierten Auslegungsspielräumen.
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Eine die Vorbehalts- bzw. Öffnungsklausel ausfüllende Norm, die es vor dem Hintergrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs erweiternd auslegt, benennt das Verwaltungsgericht nicht. Eine einer solchen Auslegung zugängliche Vorschrift ist auch nicht vorhanden.
- 28
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Eine besondere Klagebefugnis im Sinne von § 42 Abs. 2 Halbs. 1 VwGO, mit der eine objektive Rechtskontrolle ermöglicht wird, ist im nationalen Recht nur in eng begrenzten Bereichen normiert worden. Die vorhandenen, der Durchsetzung umweltrechtlicher Belange dienenden Bestimmungen sind nicht einschlägig.
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(1) Der Anwendungsbereich der naturschutzrechtlichen Verbandsklage nach § 64 Abs. 1 BNatSchG ist nicht eröffnet. Gleiches gilt für § 1 UmwRG. Die einschränkenden tatbestandlichen Voraussetzungen von Absatz 1, der vermittelt über Art. 10a der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl Nr. L 175 S. 40) i.d.F. der Richtlinie 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten (ABl EU Nr. L 156 S. 17) auch der Umsetzung von Art. 9 Abs. 2 i.V.m. Art. 6 AK dient (vgl. BTDrucks 16/2497 S. 42), sind nicht gegeben.
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(2) Der Anwendungsbereich des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes kann nicht im Wege der Analogie auf Art. 9 Abs. 3 AK erstreckt werden (so auch Schlacke, a.a.O. S. 316; unklar Kahl, JZ 2012, 667 <673>). Denn es fehlt an einer planwidrigen Regelungslücke.
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Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz dient, wie sich bereits aus seiner amtlichen Bezeichnung (Gesetz über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG) sowie der amtlichen Anmerkung zur Umsetzung unionsrechtlicher Vorschriften ergibt, der Umsetzung von Art. 9 Abs. 2 AK. Demgegenüber hat der Gesetzgeber ausweislich der Denkschrift zur Ratifizierung der Aarhus-Konvention hinsichtlich der Verpflichtungen aus Art. 9 Abs. 3 AK keinen Änderungsbedarf im innerstaatlichen Recht gesehen (BTDrucks 16/2497 S. 42, 46). Insoweit hat sich das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz im Zeitpunkt seiner Verabschiedung als seinen Anwendungsbereich abschließend umschreibende Regelung verstanden. Daran hat sich auch mittlerweile nichts geändert. Ungeachtet der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 8. März 2011 hat der Gesetzgeber an der ausdrücklichen Beschränkung des Anwendungsbereichs auch im Gesetz zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer umweltrechtlicher Vorschriften vom 21. Januar 2013 (BGBl I S. 95) festgehalten. Darin werden lediglich die durch die Entscheidung des Gerichtshofs vom 12. Mai 2011 (Rs. C-115/09, Trianel - Slg. 2011, I-3673) geforderten Änderungen mit dem Ziel einer "lückenlosen 1:1-Umsetzung" von Art. 10a UVP-RL sowie von Art. 9 Abs. 2 AK eingefügt (BTDrucks 17/10957 S. 11); eine Ausdehnung auf die von Art. 9 Abs. 3 AK erfassten Sachverhalte wird damit ausgeschlossen.
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Eine planwidrige Regelungslücke kann auch nicht deswegen angenommen werden, weil vieles dafür spricht, dass die vom Gesetzgeber bei der Ratifizierung der Aarhus-Konvention vertretene Rechtsansicht zur fehlenden Notwendigkeit der Anpassung des innerstaatlichen Rechts unzutreffend ist. Sie steht mit dem sich auf internationaler Ebene herausbildenden Verständnis der Vertragspflichten nicht in Einklang.
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Mit dem Compliance Committee haben die Vertragsparteien auf der Grundlage von Art. 15 AK ein Gremium errichtet, das über die Einhaltung des Abkommens wachen soll, ohne jedoch ein förmliches Streitschlichtungsverfahren nach Art. 16 AK zu präjudizieren (siehe zur Arbeitsweise des Compliance Committee The Aarhus Convention: An Implementation Guide, Second Edition, 2013, S. 234 ff.). Durch dessen Spruchpraxis soll das Abkommen für alle Vertragsparteien klare Konturen erhalten. Auch wenn sich das Compliance Committee mit Empfehlungen begnügt, kommt den darin geäußerten Rechtsansichten gleichwohl bedeutendes Gewicht zu; das folgt nicht zuletzt daraus, dass bislang alle Feststellungen des Compliance Committee über die Konventionswidrigkeit der Rechtslage in einem Vertragsstaat in den Zusammenkünften der Vertragparteien (Art. 10 AK) gebilligt worden sind (siehe Implementation Guide, S. 238).
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Nach einer gefestigten Spruchpraxis zu Art. 9 Abs. 3 AK stellt sich die den Vertragsparteien nach dem Wortlaut der Bestimmung zugebilligte Gestaltungsfreiheit geringer dar, als insbesondere von Deutschland angenommen. In einer ganzen Reihe von Empfehlungen hat das Compliance Committee sein Verständnis der sogenannten dritten Säule der Aarhus-Konvention über den Zugang zu Gerichten nach Art. 9 Abs. 3 AK dargelegt (grundlegend ACCC/C/2005/11
vom 16. Juni 2006, Rn. 35 ff.; ACCC/C/2006/18 vom März 2008 Rn. 29 ff.; ACCC/C/2008/32 Part I vom 14. April 2011, Rn. 77 ff.; ACCC/C/2010/48 <Österreich> vom 16. Dezember 2011, Rn. 68 ff.; dazu auch Implementation Guide, S. 197 ff., 207 f.) . Dabei betont es zwar - auch im Anschluss an die während der Zusammenkunft der Vertragsparteien vom 25. bis 27. Mai 2005 angenommene Entscheidung II/2, die in Rn. 14 bis 16 ein ersichtlich rechtsschutzfreundliches Verständnis des Art. 9 Abs. 3 AK anmahnt (ECE/MP.PP/2005/2/Add.3 vom 8. Juni 2005) - zunächst die Ausgestaltungsfreiheit des nationalen Gesetzgebers und die Erforderlichkeit einer Gesamtbetrachtung des normativen Umfelds. Die folgenden Ausführungen lassen aber keinen Zweifel daran, dass nach Auffassung des Compliance Committee den Umweltverbänden grundsätzlich eine Möglichkeit eingeräumt werden muss, die Anwendung des Umweltrechts gerichtlich überprüfen zu lassen. Die Vertragsparteien müssen zwar kein System der Popularklage einführen, so dass jedermann jegliche umweltbezogene Handlung anfechten kann. Die Formulierung "sofern sie etwaige in ihrem innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen" kann aber nach Auffassung des Compliance Committee die Einführung oder Beibehaltung solcher strikter Kriterien nicht rechtfertigen, die im Ergebnis alle oder fast alle Umweltverbände an der Anfechtung von Handlungen hindern, die im Widerspruch zum nationalen Umweltrecht stehen. Die Formulierung deutet nach Ansicht des Compliance Committee vielmehr auf die Selbstbeschränkung der Vertragsparteien, keine zu strengen Kriterien aufzustellen. Für den Zugang zu dem Überprüfungsverfahren soll eine Vermutung sprechen; er darf nicht die Ausnahme sein. Als Kriterien kommen die Betroffenheit oder ein Interesse in Betracht. Ausdrücklich als nicht ausreichend hat es das Compliance Committee im Verfahren gegen Österreich angesehen, dass im Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 2 AK eine Verbandsklage vorgesehen ist (ACCC/C/2010/48 Rn. 71 ff.).
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Wenn danach das "Ob" einer umweltrechtlichen Verbandsklage durch das Abkommen entschieden ist, behalten die Vertragsstaaten gleichwohl einen Ausgestaltungsspielraum hinsichtlich des "Wie". Die hiernach ausstehende Umsetzung einer völkervertragsrechtlichen Verpflichtung durch den nationalen Gesetzgeber steht einer planwidrigen Regelungslücke nicht gleich.
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Eine Auslegung contra legem - im Sinne einer methodisch unzulässigen richterlichen Rechtsfindung - fordert das Unionsrecht nicht (vgl. EuGH, Urteile vom 4. Juli 2006 - Rs. C-212/04, Adeneler - Slg. 2006, I-6057 Rn. 110 und vom 16. Juni 2005 - Rs. C-105/03, Pupino - Slg. 2005, I-5285 Rn. 44, 47). Zu Unrecht beruft sich der Kläger auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 26. November 2008 - VIII ZR 200/05 - (BGHZ 179, 27). Eine Pflicht zur richtlinienkonformen Rechtsfortbildung im Wege teleologischer Reduktion oder Extension einer Vorschrift des nationalen Rechts setzt jedenfalls eine hinreichend bestimmte, nämlich klare, genaue und unbedingte, im Grundsatz unmittelbar anwendbare unionsrechtliche Vorschrift voraus, an der es hier nach Scheitern des Vorschlags der Kommission für eine Richtlinie über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten vom 24. Oktober 2003 - KOM(2003) 624 - endgültig mangels unionsrechtlicher Umsetzung von Art. 9 Abs. 3 AK (noch) fehlt.
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(3) Hieraus ergibt sich zugleich, dass auch im Unionsrecht eine solche auslegungsfähige Norm nicht auszumachen ist. Das folgt bereits zwingend aus der Tatsache, dass Art. 9 Abs. 3 AK nicht unmittelbar anwendbar ist. Eine nicht unmittelbar anwendbare Bestimmung kann aber nicht Anknüpfungspunkt einer Auslegung sein, die diese Norm der Sache nach anwendbar macht. Eine solche Argumentation wäre zirkulär (vgl. Seibert, NVwZ 2013, 1040 <1042 f.>; ein gesetzgeberisches Handeln fordert wohl auch Epiney, EurUP 2012, 88 <89>; a.A. wohl Berkemann, a.a.O. S. 1147 f.).
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2. Der festgestellte Rechtsverstoß ist indessen nicht erheblich. Das Verwaltungsgericht hat die Klagebefugnis des Klägers im Ergebnis zu Recht bejaht. Sie folgt aus § 42 Abs. 2 Halbs. 2 VwGO. Der Kläger kann geltend machen, durch die Ablehnung der Aufstellung eines Luftreinhalteplans, der den Anforderungen des § 47 Abs. 1 BImSchG i.V.m. § 27 der Neununddreißigsten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung über Luftqualitätsstandards und Emissionshöchstmengen - 39. BImSchV) vom 2. August 2010 (BGBl I S. 1065) genügt, in seinen Rechten verletzt zu sein. § 47 Abs. 1 BImSchG räumt nicht nur unmittelbar betroffenen natürlichen Personen, sondern auch nach § 3 UmwRG anerkannten Umweltverbänden das Recht ein, die Aufstellung eines den zwingenden Vorschriften des Luftqualitätsrechts entsprechenden Luftreinhalteplans zu verlangen.
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a) Nach § 47 Abs. 1 BImSchG hat die zuständige Behörde, wenn die durch eine Rechtsverordnung festgelegten Immissionsgrenzwerte einschließlich festgelegter Toleranzmargen überschritten werden, einen Luftreinhalteplan aufzustellen, welcher die erforderlichen Maßnahmen zur dauerhaften Verminderung von Luftverunreinigungen festlegt und den Anforderungen der Rechtsverordnung entspricht. Entsprechendes gilt, soweit eine Rechtsverordnung die Aufstellung eines Luftreinhalteplans zur Einhaltung von Zielwerten regelt. Die Maßnahmen eines Luftreinhalteplans müssen geeignet sein, den Zeitraum einer Überschreitung von bereits einzuhaltenden Immissionsgrenzwerten so kurz wie möglich zu halten.
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Mit dieser Vorschrift verfolgt das Luftqualitätsrecht zwei sich überschneidende Schutzzwecke: Mit der Umsetzung der festgelegten Luftqualitätsziele sollen schädliche Auswirkungen sowohl auf die menschliche Gesundheit als auch auf die Umwelt insgesamt vermieden, verhütet oder verringert werden (Art. 1 Nr. 1 RL 2008/50/EG).
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aa) Aus dem vom Gesetz bezweckten Schutz der menschlichen Gesundheit folgt ein Klagerecht für die von den Immissionsgrenzwertüberschreitungen unmittelbar betroffenen natürlichen Personen. Das ist durch den Europäischen Gerichtshof geklärt. Seine zu den Aktionsplänen nach Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 96/62/EG des Rates vom 27. September 1996 über die Beurteilung und die Kontrolle der Luftqualität (ABl EG Nr. L 296 S. 55) i.d.F. der Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. September 2003 (ABl EU Nr. L 284 S. 1), § 47 Abs. 2 BImSchG a.F. ergangene Rechtsprechung (EuGH, Urteil vom 25. Juli 2008 - Rs. C-237/07, Janecek - Slg. 2008, I-6221 Rn. 42) ist in dieser Hinsicht ohne Weiteres auch auf die Luftreinhaltepläne nach Art. 23 Abs. 1 RL 2008/50/EG, § 47 Abs. 1 BImSchG n.F. zu übertragen (vgl. Hansmann/Röckinghausen, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG § 47 Rn. 29e; Jarass, BImSchG, 9. Aufl. 2012, § 47 Rn. 50 m.w.N.; Köck/Lehmann, ZUR 2013, 67 <72>).
- 42
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Der Kläger kann als juristische Person in seiner Gesundheit nicht betroffen sein; die Verletzung eines aus der Gewährleistung der körperlichen Unversehrtheit folgenden subjektiven Rechts auf Einhaltung der Immissionsgrenzwerte kann er nicht geltend machen. Nach dem hergebrachten Begriffsverständnis des subjektiven Rechts würde Entsprechendes gelten, soweit das Luftqualitätsrecht dem Schutz der Umwelt als solcher und damit einem Allgemeininteresse dient.
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bb) Das Unionsrecht gebietet indessen eine erweiternde Auslegung der aus dem Luftqualitätsrecht folgenden subjektiven Rechtspositionen.
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Der Europäische Gerichtshof geht davon aus, dass unmittelbar betroffenen juristischen Personen in gleicher Weise wie natürlichen Personen ein Klagerecht zusteht (Urteil vom 25. Juli 2008 a.a.O. Rn. 39). Die Kriterien für die Betroffenheit als Anknüpfungspunkt für eine subjektive, klagefähige Rechtsposition hat er nicht näher erläutert. Die Erweiterung der Rechtsschutzmöglichkeiten über die Geltendmachung individueller Rechtspositionen hinaus ist darin indessen angelegt.
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(1) Wird die Betroffenheit durch einen räumlichen Bezug zum Wirkungsbereich der Immissionen bestimmt (so den EuGH verstehend Ziekow, NVwZ 2010, 793 <794>), so folgt aus dieser Rechtsprechung gleichwohl, dass sich die juristische Person - gemessen an der in Rn. 38 des Urteils betonten Schutzrichtung der Vorschrift - ein fremdes Interesse, so etwa als dort ansässiges Unternehmen die Gesundheit seiner Mitarbeiter, zum eigenen Anliegen machen darf.
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Die in dieser Weise vom Unionsrecht zugebilligte Rechtsmacht ist in unionsrechtskonformer Auslegung des § 42 Abs. 2 Halbs. 2 VwGO im Interesse des aus Art. 4 Abs. 3 EUV folgenden Effektivitätsgebots als subjektives Recht anzuerkennen (vgl. etwa Gärditz, VwGO, 2013, § 42 Rn. 69 f. m.w.N.). Sie bestimmt zugleich das Verständnis der zur Umsetzung des Unionsrechts erlassenen mitgliedstaatlichen Vorschriften und hat eine Ausdehnung des Begriffs des subjektiven Rechts zur Folge. Allein ein solches Verständnis trägt der Entwicklung des Unionsrechts Rechnung. Es ist von Anfang an von der Tendenz geprägt gewesen, durch eine großzügige Anerkennung subjektiver Rechte den Bürger auch für die dezentrale Durchsetzung des Unionsrechts zu mobilisieren. Der Bürger hat damit zugleich - bezogen auf das objektive Interesse an einer Sicherung der praktischen Wirksamkeit und der Einheit des Unionsrechts - eine "prokuratorische" Rechtsstellung inne. Diese kann auch in den Vordergrund rücken (siehe hierzu - mit verschiedenen Akzentuierungen - etwa Masing, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, GVwR Bd. 1, 2. Aufl. 2012, § 7 Rn. 91 ff., 98 ff., 112 ff.; Schmidt-Aßmann/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Einleitung Rn. 21a; Schmidt-Aßmann, in: Gedächtnisschrift Brugger, 2013, S. 411 ff.; Hong, JZ 2012, 380 <383 ff.>; Gärditz, EurUP 2010, 210 <219 ff.>).
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(2) Zu den unmittelbar betroffenen juristischen Personen, denen durch § 47 Abs. 1 BImSchG ein Klagerecht eingeräumt ist, gehören auch die nach § 3 UmwRG anerkannten Umweltverbände.
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Eine Auslegung des § 47 Abs. 1 BImSchG dahingehend, dass neben unmittelbar betroffenen natürlichen Personen auch Umweltverbände das Recht haben, die Einhaltung der zwingenden Vorschriften des Luftqualitätsrechts zu verlangen, ist durch Art. 23 RL 2008/50/EG und Art. 9 Abs. 3 AK geboten. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seinem Urteil vom 8. März 2011 in Bezug auf Sachverhalte, die - wie hier die Aufstellung von Luftreinhalteplänen - dem Unionsrecht unterliegen, für Umweltverbände einen weiten Zugang zu Gericht gefordert; er hat dies damit begründet, dass der "Schutz der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte" gewährleistet werden müsse (a.a.O. Rn. 48, 51). Ausgehend hiervon müssen sich die Klagerechte, die der Gerichtshof in seinem Urteil vom 25. Juli 2008 (a.a.O.) auf dem Gebiet der Luftreinhaltung anerkannt hat, auch auf Umweltverbände erstrecken. Eine grundsätzliche Verneinung derartiger Rechte von Umweltverbänden wäre zudem, wie oben dargelegt, unvereinbar mit der Spruchpraxis des Compliance Committee zu Art. 9 Abs. 3 AK.
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Weder das Unionsrecht noch Art. 9 Abs. 3 AK verlangen jedoch, jedem Umweltverband ein Recht auf Einhaltung der zwingenden Vorschriften bei Aufstellung eines Luftreinhalteplans zu gewähren. Umweltverbände können - nicht anders als natürliche Personen - Träger von materiellen subjektiven Rechten nur sein, wenn sie Teil nicht nur der allgemeinen Öffentlichkeit, sondern der "betroffenen Öffentlichkeit" sind. Als "betroffene Öffentlichkeit" definieren Art. 2 Nr. 5 AK und - für die Umweltverträglichkeitsprüfung - inhaltlich entsprechend Art. 3 Nr. 1 RL 2003/35/EG die von umweltbezogenen Entscheidungsverfahren betroffene oder wahrscheinlich betroffene Öffentlichkeit oder die Öffentlichkeit mit einem Interesse daran; im Sinne dieser Begriffsbestimmung haben nichtstaatliche Organisationen, die sich für den Umweltschutz einsetzen und alle nach innerstaatlichem Recht geltenden Voraussetzungen erfüllen, ein Interesse (siehe auch Art. 2 Abs. 3 RL 2003/35/EG). Diese Vereinigungen sollen sich die öffentlichen Belange des Umweltschutzes zum eigenen Anliegen machen können.
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Welche Voraussetzungen ein Umweltverband nach innerstaatlichem Recht erfüllen muss, um berechtigt zu sein, sich die Belange des Umweltschutzes bei Aufstellung eines Luftreinhalteplans zum eigenen Anliegen zu machen, ist nicht ausdrücklich geregelt. § 3 UmwRG regelt lediglich, welche Umweltverbände Rechtsbehelfe nach dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz einlegen können. Dieser Vorschrift ist jedoch die Grundentscheidung zu entnehmen, dass nur die nach dieser Vorschrift anerkannten Umweltverbände berechtigt sein sollen, vor Gericht geltend zu machen, dass dem Umweltschutz dienende Rechtsvorschriften verletzt worden seien. Auch die Mitwirkungsrechte und Rechtsbehelfsbefugnisse nach §§ 63, 64 BNatSchG sind an die Anerkennung nach § 3 UmwRG geknüpft. Ein normativer Anhaltspunkt dafür, dass bei Aufstellung von Luftreinhalteplänen das grundsätzlich auch Umweltverbänden eingeräumte Recht, die Einhaltung der zwingenden Vorschriften des Luftqualitätsrechts zu verlangen, an weitergehende Voraussetzungen geknüpft sein könnte, sind nicht ersichtlich.
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3. Im Übrigen beruht das angegriffene Urteil nicht auf einer Verletzung revisiblen Rechts.
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a) Zu Unrecht rügt der Beklagte eine unzulässige Antragstellung.
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Auch dieser Rüge steht § 134 Abs. 4 VwGO nicht entgegen. Denn die Frage, ob der Antrag angesichts des Rechtsschutzbegehrens hinreichend bestimmt ist, kann nur vor dem Hintergrund des geltend gemachten materiellen Anspruchs beantwortet werden.
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Das Erfordernis eines bestimmten Klageantrags ist in § 82 Abs. 1 Satz 2 VwGO als bloße Sollvorschrift ausgestaltet; ihm muss aber mit der Antragstellung in der mündlichen Verhandlung (§ 103 Abs. 3 VwGO) genügt werden. In einem bestimmten Antrag, der aus sich selbst heraus verständlich sein muss, sind Art und Umfang des begehrten Rechtsschutzes zu benennen. Damit wird der Streitgegenstand festgelegt und der Rahmen der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis abgesteckt sowie dem Beklagten eine präzise Verteidigung erlaubt. Schließlich soll aus einem dem Klageantrag stattgebenden Urteil eine Zwangsvollstreckung zu erwarten sein, die das Vollstreckungsverfahren nicht unter Fortsetzung des Streits mit Sachfragen überfrachtet (vgl. Ortloff/Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 82 Rn. 7 ff.; Foerste, in: Musielak, ZPO, 10. Aufl. 2013, § 253 Rn. 29, jeweils m.w.N.). Welche Anforderungen sich hieraus ergeben, hängt von den Besonderheiten des jeweiligen materiellen Rechts und von den Umständen des Einzelfalles ab.
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Hiernach entspricht die Antragstellung dem Bestimmtheitserfordernis. Die vom Beklagten bemängelte Benennung allein des durch die Ergänzung des Luftreinhalteplans zu erreichenden Ziels spiegelt die planerische Gestaltungsfreiheit wider, die das Gesetz der Behörde einräumt (Beschlüsse vom 29. März 2007 - BVerwG 7 C 9.06 - BVerwGE 128, 278 Rn. 26 f. = Buchholz 451.91 Europ UmweltR Nr. 27 und vom 11. Juli 2012 - BVerwG 3 B 78.11 - Buchholz 442.151 § 45 StVO Nr. 49 Rn. 11). Insoweit unterscheidet sich die Rechtslage nicht von sonstigen Fallkonstellationen, in denen nur ein Erfolg geschuldet wird, während die Wahl der geeigneten Maßnahmen Sache des Schuldners bleibt; auch dann genügt die Angabe dieses Erfolgs (vgl. Foerste, a.a.O. Rn. 32).
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Der Vollstreckungsfähigkeit des stattgebenden Urteils wird dadurch Rechnung getragen, dass die Entscheidung hinsichtlich der in Betracht zu ziehenden Maßnahmen im Sinne eines Bescheidungsurteils verbindliche Vorgaben machen kann, die im Vollstreckungsverfahren zu beachten sind.
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b) Ohne Rechtsverstoß hat das Verwaltungsgericht als Grundlage seines Entscheidungsausspruchs festgestellt, dass der Beklagte seinen Verpflichtungen aus § 47 Abs. 1 BImSchG, deren Erfüllung der Kläger einfordern kann, mit dem bestehenden Luftreinhalteplan noch nicht nachgekommen ist.
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aa) Der in Anlage 11 Abschnitt B der 39. BImSchV genannte Immissionsgrenzwert für Stickstoffdioxid, der ab dem 1. Januar 2010 einzuhalten ist, wird an mehreren Orten im Stadtgebiet überschritten. Nach § 47 Abs. 1 BImSchG i.V.m. § 27 der 39. BImSchV hat der Beklagte in dieser Situation einen Luftreinhalteplan aufzustellen, welcher die erforderlichen Maßnahmen zur dauerhaften Verminderung der Luftverunreinigungen festlegt. Diese Maßnahmen müssen nach § 47 Abs. 1 Satz 3 BImSchG geeignet sein, den Zeitraum einer Überschreitung von bereits einzuhaltenden Immissionsgrenzwerten so kurz wie möglich zu halten.
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§ 47 Abs. 1 Satz 3 BImSchG normiert in Übereinstimmung mit Art. 23 Abs. 1 UAbs. 2 Satz 1 RL 2008/50/EG eine zeitliche Vorgabe für die Erreichung des in § 47 Abs. 1 Satz 1 und 2 BImSchG festgelegten Ziels der Einhaltung der Grenzwerte. Die Schadstoffbelastung der Luft soll im Interesse eines effektiven Gesundheitsschutzes möglichst schnell auf das ausweislich des Immissionsgrenzwerts als noch zumutbar erachtete Ausmaß zurückgeführt werden. An diesem Minimierungsgebot muss sich die Entscheidung der Behörde ausrichten; es ist zugleich rechtlicher Maßstab für die angesichts der Gestaltungsspielräume der Behörde eingeschränkte gerichtliche Kontrolle. Das Gebot, die Überschreitung der Immissionsgrenzwerte möglichst schnell zu beenden, fordert eine Bewertung der zur Emissionsminderung geeigneten und verhältnismäßigen Maßnahmen gerade im Hinblick auf eine zeitnahe Verwirklichung der Luftqualitätsziele. Daraus kann sich eine Einschränkung des planerischen Ermessens ergeben, wenn allein die Wahl einer bestimmten Maßnahme eine baldige Einhaltung der Grenzwerte erwarten lässt (vgl. Köck/Lehmann, a.a.O. S. 70 f.). Auch insoweit wird aber nicht vorausgesetzt, dass die zu ergreifenden Maßnahmen auf einen Schlag zur Zielerreichung führen; vielmehr kann auch hier - nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitgrundsatzes - ein Vorgehen in mehreren Stufen vorgesehen werden (Köck/Lehmann, a.a.O. S. 71). Dem trägt das Verwaltungsgericht dadurch Rechnung, dass es im Entscheidungsausspruch nicht zu einer sofortigen, sondern ausdrücklich nur zur schnellstmöglichen Zielerreichung verpflichtet.
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bb) Der Beklagte kann sich zur Stützung seiner abweichenden Rechtsauffassung, wonach es schon ausreiche, dass ein Luftreinhalteplan die Einhaltung der Immissionsgrenzwerte jedenfalls schrittweise anstrebe, auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 25. Juli 2008 in der Rechtssache C-237/07, nicht berufen. Denn diese Entscheidung ist zu einer insoweit anderen Rechtslage ergangen. Sie bezieht sich auf Aktionspläne nach Art. 7 Abs. 3 RL 96/62/EG. Abgesehen von der unterschiedlichen Zielsetzung von Luftreinhalteplänen und Aktionsplänen bzw. Plänen für kurzfristig zu ergreifende Maßnahmen ist in der genannten Vorschrift im Unterschied zu Art. 23 Abs. 1 UAbs. 2 RL 2008/50/EG der ausdrückliche Hinweis auf die Eignung der zu ergreifenden Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung des Grenzwerts nicht enthalten; die Maßnahmen sollen nach Art. 7 Abs. 3 RL 96/62/EG lediglich dazu dienen, die Gefahr der Überschreitung zu verringern und die Dauer der Überschreitung zu beschränken. Der Europäische Gerichtshof hat aus dem Aufbau der Richtlinie die Verpflichtung der Mitgliedstaaten entnommen, Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, die Dauer der Überschreitung unter Berücksichtigung aller Umstände auf ein Minimum zu reduzieren (Urteil vom 25. Juli 2008 a.a.O. Rn. 45). Wenn hiernach auch insoweit ein Minimierungsgebot gilt, ist der Entscheidung nicht etwa zu entnehmen, dass die Möglichkeit zur schrittweisen Erreichung der Grenzwerte voraussetzungslos eingeräumt sein soll. Vielmehr muss sich die Maßnahme auch unter Berücksichtigung des zeitlichen Moments rechtfertigen lassen.
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c) Ebenso wenig ist zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht die Einrichtung einer Umweltzone als eine Maßnahme eingeordnet hat, die bei der Aufstellung des Luftreinhalteplans zu berücksichtigen ist.
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Soweit sich der Beklagte gegen die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Geeignetheit der Umweltzone zur Erreichung des Luftqualitätsziels einer Verminderung der NO2-Belastung wendet, richtet er sich letztlich gegen die tatrichterlichen Feststellungen und Annahmen, gegen die nach § 134 Abs. 4 VwGO wirksame Verfahrensrügen nicht erhoben werden können. Mängel der Sachverhalts- und Beweiswürdigung, die als materiell-rechtliche Verstöße gegen den Überzeugungsgrundsatz des § 108 Abs. 1 VwGO einzuordnen wären, hat der Kläger nicht geltend gemacht.
- 63
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Schließlich hat das Verwaltungsgericht bei der Prüfung, ob sich die Einrichtung einer Umweltzone als unverhältnismäßig im engeren Sinne darstellen könnte, keine unzutreffenden rechtlichen Maßstäbe angelegt. Es hat zu Recht die betroffenen rechtlich geschützten Interessen gegenübergestellt und abgewogen. Der Bewältigung besonderer Härten trägt die Möglichkeit der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 40 Abs. 1 Satz 2 BImSchG i.V.m. § 1 Abs. 2 der Fünfunddreißigsten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung zur Kennzeichnung der Kraftfahrzeuge mit geringem Beitrag zur Schadstoffbelastung - 35. BImSchV) vom 10. Oktober 2006 (BGBl I S. 2218) Rechnung.
- 64
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Tatbestand
- 1
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Die Kläger wenden sich gegen das Abflugverfahren SUKIP 1 B für den Flughafen Berlin Brandenburg (sog. Müggelsee-Route), festgesetzt mit der 247. Durchführungsverordnung zur Luftverkehrs-Ordnung vom 10. Februar 2012 (BAnz. S. 1086) zuletzt geändert durch die 3. Änderungsverordnung vom 23. Oktober 2013 (BAnz. AT 25.10.2013 V1).
- 2
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Das Flugverfahren SUKIP 1 B weicht von der dem Planfeststellungsverfahren zugrunde gelegten Grobplanung ab. Es führt von der Nordbahn des Flughafens Berlin Brandenburg nach Osten (Betriebsrichtung 07). Die Maschinen fliegen nach einem Überflug im Süden von Bohnsdorf eine Linkskurve und sodann zwischen dem Bezirk Treptow-Köpenick bzw. Friedrichshagen und Müggelheim bzw. Rahnsdorf über den Großen Müggelsee hinweg und nach einem Überflug über innerstädtische Bereiche von Berlin weiter in Richtung des Punktes SUKIP (ehemals ZIESA). Flugzeuge, die einen bestimmten Steiggradienten nicht erreichen, nutzen ein anderes Flugverfahren.
- 3
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Der Kläger zu 1 ist ein in Berlin tätiger Umweltverein, die Kläger zu 2 bis 9 sind Eigentümer oder Miteigentümer selbst genutzter Hausgrundstücke oder Eigentumswohnungen am oder in der Nähe des Großen Müggelsees.
- 4
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Ihre gegen die Rechtsverordnung erhobene Feststellungsklage hat das Oberverwaltungsgericht als zulässig, aber unbegründet abgewiesen (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14. Juni 2013 - OVG 11 A 10.13 - LKV 2013, 513 = NuR 2014, 284).
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Die als Feststellungsklagen statthaften Klagen seien zulässig. Die Klagebefugnis des Klägers zu 1 folge aus § 2 Abs. 1 Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG). Es sei nicht nach jeder Betrachtungsweise ausgeschlossen, dass die Festlegung des Flugverfahrens einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) bedürfe und damit eine Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UmwRG sei. Der Kläger zu 1 könne auch das Unterlassen einer FFH-Verträglichkeitsprüfung und die fehlerhafte Behandlung wasserrechtlicher Fragen rügen. Die Kläger zu 2 bis 9 seien klagebefugt, da nicht von vornherein ausgeschlossen sei, dass sie in ihrem Recht auf willkürfreie Abwägung ihrer Belange aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG verletzt seien. Dies gelte sowohl für den Schutz vor unzumutbaren Belästigungen durch Fluglärm als auch für den Schutz von Lärmschutzinteressen unterhalb dieser Schwelle.
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Die Klage sei jedoch unbegründet. Einer UVP habe es weder nach nationalem Recht noch nach Unionsrecht bedurft. Dies gelte auch, wenn im Planfeststellungsverfahren keine Untersuchung der Umweltauswirkungen einer bestimmten, von der ursprünglichen Grobplanung abweichend festgesetzten Flugroute erfolgt sein sollte.
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Die Flugroute verstoße nicht gegen die Ziele des bestandskräftigen Planfeststellungsbeschlusses für den Flughafen Berlin Brandenburg und verlasse auch dessen Planungsgrundlage nicht. Vielmehr löse der Planfeststellungsbeschluss mit der vorgenommenen UVP für den Bau des Flugplatzes und dessen (flug-)betriebsbedingte Wirkungen auch die Konflikte durch die Nutzung des streitgegenständlichen Flugverfahrens.
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Das Planungsziel, dicht besiedelte innerstädtische Bereiche zu entlasten, werde nicht vereitelt. Ein solcher Fall läge nur vor, wenn stark belegte Abflugverfahren über dicht besiedeltes Stadtgebiet entlang der An- und Abfluggrundlinien geführt würden. Die angegriffene Route führe über den unbewohnten Müggelsee und die - im Verhältnis zur Bevölkerungsdichte in der Umgebung der Flughäfen Tegel und Tempelhof weniger dicht besiedelten - angrenzenden Gebiete. Auch ein explizit festgelegtes Überflugverbot bestehe nicht.
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Die Planfeststellungsbehörde habe einen Überflug der Region um den Müggelsee auch nicht faktisch ausgeschlossen. Die untersuchten Umweltfolgen beschränkten sich erkennbar nicht auf die Auswirkungen einer konkreten Flugroutenführung, sondern seien in großem Umfang schutzgutbezogen durchgeführt worden. Die Müggelsee-Route führe zwar zu einer räumlichen Verschiebung der Belastung. Mit Blick auf die Schutzgüter des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) ließen diese Abweichungen aber keine Umweltauswirkungen erwarten, die im Planfeststellungsverfahren nicht geprüft worden wären. Ebenso wenig träten relevante Beeinträchtigungen der Schutzgüter des europäischen FFH- und Vogelschutzrechts auf, so dass die Festlegung der Müggelsee-Route die Zulassung des Vorhabens an dem vorgegebenen Standort mit der festgelegten Bahnkonfiguration nicht nachträglich als unabgewogen erscheinen lasse. Es sei vielmehr mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen, dass die Planfeststellungsbehörde zu einem abweichenden Ergebnis gekommen wäre, wenn sie anstelle der Grobplanung das angegriffene Flugverfahren zugrunde gelegt hätte. Denn die Ergebnisse der UVP im Rahmen der Planfeststellung seien auch für die Umweltfolgen der Müggelsee-Route aussagekräftig. Dies führt das Oberverwaltungsgericht für den Untersuchungsraum, die Schutzgüter Luft, Wasser, Tiere und Pflanzen, FFH-Gebiete und Mensch weiter aus.
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Die Abwägungsentscheidung sei nicht zu beanstanden. Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung (BAF) sei von einer ausreichenden Datengrundlage ausgegangen. Es habe erkannt, dass den Berechnungen des Umweltbundesamtes (UBA) und der Deutschen Flugsicherung GmbH (DFS) unterschiedliche Methoden zugrunde liegen. Es gelange aber zu dem Ergebnis, dass die Untersuchungen - bei geringen Abweichungen untereinander - in fast sämtlichen Fällen sowohl zu einer im Wesentlichen gleichen Rangfolge als auch zu einer Identifizierung jeweils derselben Verfahrensalternative als Vorzugsvariante kommen. Es habe sich daher auf beide Vorarbeiten beziehen dürfen.
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Grundlage der Abwägungsentscheidung habe das prognostizierte Verkehrsaufkommen 2012 (140 024 Flugbewegungen) bzw. 2015 (252 000 Flugbewegungen) sein dürfen. Mit Blick auf die für die Festlegung von Flugverfahren im Vordergrund stehende Lärmbewirtschaftung und die flexiblen Änderungsmöglichkeiten von Flugverfahren liege es nahe, nicht auf die technische Maximalkapazität abzustellen, die in den ersten Jahren nach Inbetriebnahme des Flughafens in keinem Fall ausgeschöpft werden werde.
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Die Abwägungsentscheidung sei auch im Einzelnen nicht zu beanstanden. Die Festsetzung der Müggelsee-Route sei durchweg mit vertretbaren Argumenten begründet. Die prognostizierte Lärmbelastung der Kläger zu 2 bis 9 liege auch nach ihrem Vortrag unterhalb der Zumutbarkeitsschwelle. Für die Kläger zu 2 und 3 wäre der Grenzwert für die Nacht-Schutzzone zwar geringfügig überschritten, dies rechtfertige es jedoch nicht, insgesamt das strengere Abwägungsprogramm auszulösen.
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Die Rüge einer fehlerhaften Abwägungsreihenfolge bleibe erfolglos. Der Ablauf des Festsetzungsverfahrens sei grundsätzlich vom Gestaltungsspielraum des Verordnungsgebers gedeckt. Auf die Reihenfolge der angestellten Erwägungen komme es nicht entscheidend an. Ausweislich des Abwägungsvermerks führe ein Verzicht auf die Müggelsee-Route zu vermeidbarem unzumutbaren Fluglärm. Denn die 55 dB(A)-Kontur schließe mit der Festsetzung der Müggelsee-Route am Tag einen deutlich geringeren Teil von Müggelheim ein. Ein ähnlicher, wenn auch geringerer Effekt gelte in der Nacht. Laut den Berechnungen nach NIROS (Noise Impact Reduction and Optimization System) sei die Müggelsee-Route im Dauerschallpegelbereich 50-55 dB(A) vorteilhaft. Diese Entlastung rechtfertige die höheren Betroffenenzahlen in den Pegelbereichen 40-45 dB(A) und 45-50 dB(A).
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Dass die gewählte Variante gegenüber zwei anderen Alternativen (NIROS Gütewerte: 8,67 und 13,86) den schlechtesten NIROS-Gütewert (22,73) habe, führe nicht auf einen Abwägungsfehler. Denn die Beklagte habe nachvollziehbar dargelegt, dass der Gütewert zwar der Ausgangspunkt der Alternativenbetrachtung sei, im Rahmen der Gesamtabwägung aber nicht den Ausschlag geben müsse. Die Abwägung der Betroffenheiten in den einzelnen Pegelbändern sei trotz der erheblichen Zunahmen im unteren Pegelbereich noch vom Gestaltungsspielraum des BAF gedeckt. Gegen den Gewichtungsvorrang des Lärmschutzes für Siedlungsgebiete vor dem Lärmschutz für Erholungsgebiete und ruhige Gebiete sei nichts zu erinnern.
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Die Beklagte habe ihre Augen nicht vor sich eindeutig aufdrängenden Alternativverfahren verschlossen. Sicherheitsbedenken gegen eine Routenführung auf den "Gosener Wiesen" hätten die Kläger nicht entkräftet. Eine Berufung auf Vertrauensschutz scheide schon deshalb aus, weil die Festlegung divergierender Abflugrouten im Planfeststellungsverfahren zu keinem Zeitpunkt ausgeschlossen gewesen sei.
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Mit ihrer vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihren Antrag weiter. Die Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil.
Entscheidungsgründe
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Die Revision bleibt erfolglos. Das angegriffene Urteil ist im Ergebnis richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO).
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A. Das Oberverwaltungsgericht hat die Klage des Klägers zu 1 im Ergebnis zutreffend abgewiesen (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die Klage bleibt als Rechtsbehelf nach § 2 Abs. 1 UmwRG, als Verbandsklage nach § 64 Abs. 1 BNatSchG und als allgemeine Feststellungsklage (§ 43 Abs. 1 VwGO) erfolglos.
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I. Für den Rechtsbehelf nach § 2 Abs. 1 UmwRG fehlt ein tauglicher Gegenstand.
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1. § 2 Abs. 1 UmwRG eröffnet Rechtsbehelfe nach Maßgabe der Verwaltungsgerichtsordnung gegen Entscheidungen nach § 1 Abs. 1 Satz 1 UmwRG oder deren Unterlassen. In Betracht kommen hier nur Entscheidungen nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a UmwRG, also Entscheidungen im Sinne von § 2 Abs. 3 UVPG über die Zulässigkeit von Vorhaben, für die nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung eine Pflicht zur Durchführung einer UVP bestehen kann. Das Vorliegen einer Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 UmwRG ist Sachurteilsvoraussetzung für den Rechtsbehelf nach § 2 Abs. 1 UmwRG. Allein die Möglichkeit eines tauglichen Gegenstandes genügt entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts nicht (BVerwG, Urteile vom 19. Dezember 2013 - 4 C 14.12 - BVerwGE 149, 17 Rn. 6 ff., vom 26. Juni 2014 - 4 C 3.13 - LKV 2014, 460 Rn. 32 [zur Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen] und vom 12. November 2014 - 4 C 34.13 - juris Rn. 10).
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2. a) Das Oberverwaltungsgericht hat im Rahmen der Prüfung der Begründetheit zutreffend die Notwendigkeit einer UVP als auch einer Vorprüfung verneint. Die Festlegung eines Flugverfahrens bedarf weder nach § 3b Abs. 1 Satz 1 UVPG noch nach § 3e Abs. 1 Nr. 2 UVPG einer UVP. Dies gilt auch, wenn im Planfeststellungsverfahren Umweltauswirkungen eines bestimmten Flugverfahrens nicht in den Blick genommen worden sein sollten, weil die Planfeststellungsbehörde mit einer Festsetzung eines bestimmten Flugverfahrens nicht gerechnet hat. Dies hat der Senat in seinem Urteil vom 19. Dezember 2013 - 4 C 14.12 - (BVerwGE 149, 17 Rn. 11 ff.) im Einzelnen dargelegt und begründet. Hierauf nimmt er Bezug.
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Die Einwände, welche die Revision gegen die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts zu § 75 Abs. 2 Satz 2 bis 4 VwVfG und zum Verhältnis des Planfeststellungsbeschlusses zur Festlegung der Flugverfahren erhebt, können dabei auf sich beruhen. Sie betreffen nicht die Anwendung der hier maßgeblichen Vorschriften. Die von den Klägern erhobene Gehörsrüge, das Oberverwaltungsgericht setze sich mit dem Argument einer unzureichenden Beteiligung der Öffentlichkeit nicht auseinander, muss erfolglos bleiben. Das Oberverwaltungsgericht hat dieses Vorbringen im Tatbestand erwähnt. Dass es ihm nicht gefolgt ist, verhilft der Gehörsrüge nicht zum Erfolg.
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Die Kläger selbst räumen im Übrigen ein, dass die Urteile des Senats vom 31. Juli 2012 (insbesondere 4 A 7001.11 u.a. - BVerwGE 144, 44 Rn. 42 ff.) geeignet sind, die von ihnen angenommenen UVP-rechtlichen Defizite durch die Trennung von Planfeststellungsbeschlüssen und Flugverfahrensfestlegungen jedenfalls abzumildern. Sie missverstehen diese Rechtsprechung aber, wenn sie ihr Bedeutung nur für künftige Planfeststellungsbeschlüsse beimessen. Die Urteile betreffen den auch hier in Rede stehenden Planfeststellungsbeschluss für den Flughafen Berlin Brandenburg. Den Vorwurf, seine Rechtsauffassung beschränke Rechtsschutzmöglichkeiten in unzumutbarer Weise, hat der Senat bereits in anderem Zusammenhang zurückgewiesen (BVerwG, Urteil vom 31. Juli 2012 - 4 A 5000.10 u.a. - BVerwGE 144, 1 Rn. 53).
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b) Die nationale Rechtslage steht mit Unionsrecht im Einklang. Maßgebend ist der Projektbegriff nach Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. L 175 S. 40), neu kodifiziert durch die Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. L 26 S. 1 - UVP-RL). Nach Anhang I Ziff. 7 Buchst. a UVP-RL ist der Bau eines Flugplatzes mit einer Start- und Landebahngrundlänge von 2 100 m oder mehr ein Projekt im Sinn des Art. 4 Abs. 1 UVP-RL. Dem entspricht eine Tätigkeit nur, wenn sie mit Arbeiten und Eingriffen zur Anlegung oder Änderung des materiellen Zustands des Flughafens einhergeht (EuGH, Urteil vom 17. März 2011 - C-275/09 [ECLI:EU:C:2011:154] - Rn. 24 und 30). Diese Frage hat der Europäische Gerichtshof bereits beantwortet, so dass es einer Vorlage nicht bedarf (EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - C-283/81 - [ECLI:EU:C:1982:335], Cilfit - Rn. 21).
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Etwas Anderes folgt aus den Gründen des Senatsurteils vom 19. Dezember 2013 - 4 C 14.12 - (BVerwGE 149, 17 Rn. 22) nicht daraus, dass die UVP-RL nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs einen ausgedehnten Anwendungsbereich sowie einen sehr weitreichenden Zweck hat (EuGH, Urteile vom 24. Oktober 1996 - C-72/95 [ECLI:EU:C:1996:404] - Rn. 31, vom 16. September 1999 - C-435/97 [ECLI:EU:C:1999:418] - Rn. 40 und vom 28. Februar 2008 - C-2/07 [ECLI:EU:C:2008:133] - Rn. 32). Dies gilt auch unter Berücksichtigung des von der Revision angeführten Grundsatzes des effet utile. Er ist nicht geeignet, den Anwendungsbereich der UVP-RL auf von dieser nicht erfasste Sachverhalte zu erweitern. Dass eine förmliche Beteiligung der Öffentlichkeit insoweit nicht geboten ist, folgt aus der Beschränkung der UVP-RL auf bestimmte Projekte. Schließlich spricht auch der von der Revision angeführte integrative Ansatz der UVP-RL nicht für die Notwendigkeit einer UVP. Denn die UVP dient der gesamthaften Vorbereitung einer bestimmten Verwaltungsentscheidung, hier der Planfeststellung für einen Verkehrsflughafen. Sollte diese Prüfung mängelbehaftet gewesen sein, wäre es mit dem Charakter der UVP nicht vereinbar, etwaige Mängel zu einem späteren Zeitpunkt anlässlich einer anderen Verwaltungsentscheidung einer Behörde eines anderen Rechtsträgers zu heilen (BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 2013 - 4 C 14.12 - BVerwGE 149, 17 Rn. 18). Aus dem von der Revision angeführten Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 7. November 2013 - C-72/12 [ECLI:EU:C:2013:712], Altrip - folgt nichts Anderes, weil es sich zum sachlichen Anwendungsbereich der UVP-RL nicht äußert.
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c) Es bedarf auch keiner Vorlage an den Europäischen Gerichtshof zur Klärung der Frage, ob unter den Bedingungen des vorliegenden Falles ein mehrstufiges Genehmigungsverfahren vorliegt, das eine UVP für die konkrete Flugverfahrensfestlegung erforderlich macht. Es ist Sache des nationalen Gerichts festzustellen, ob eine Entscheidung als Bestandteil eines mehrstufigen Genehmigungsverfahrens angesehen werden kann, das letztlich Tätigkeiten zum Ziel hat, die ein Projekt im Sinne der UVP-RL darstellen (EuGH, Urteil vom 17. März 2011 - C-275/09 - Rn. 34). Dies ist im Verhältnis von Planfeststellungsbeschluss und der Festlegung des Flugverfahrens nicht der Fall, weil An- und Abflugverfahren nicht Teil der Zulassungsentscheidung sind, sondern Verkehrsregeln zur sicheren Abwicklung des Flugverkehrs von und zu einem Flughafen (BVerwG, Urteile vom 19. Dezember 2013 - 4 C 14.12 - BVerwGE 147, 17 Rn. 22 und vom 12. November 2014 - 4 C 34.13 - juris Rn. 16).
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Im Übrigen ist der unionsrechtliche Begriff der Genehmigung geklärt. Es ist die Entscheidung der zuständigen Behörden, aufgrund derer der Projektträger das Recht zur Durchführung seines Projektes erhält (EuGH, Urteil vom 4. Mai 2006 - C-290/03 [ECLI:EU:C:2006:286] - Rn. 44). Dies ist für den Bau eines Flughafens der Planfeststellungsbeschluss. Der Europäische Gerichtshof hat zum Fall eines mehrstufigen Genehmigungsverfahrens, in dem zunächst eine Grundsatzentscheidung ergeht und dann eine Durchführungsentscheidung getroffen wird, die nicht über die in der Grundsatzentscheidung festgelegten Vorgaben hinausgehen darf, entschieden, dass die Auswirkungen, die ein Projekt möglicherweise auf die Umwelt hat, im Verfahren des Erlasses der Grundsatzentscheidung zu ermitteln und zu prüfen sind. Nur wenn diese Auswirkungen erst im Verfahren des Erlasses der Durchführungsentscheidung ermittelt werden können, muss die Prüfung im Rahmen dieses Verfahrens vorgenommen werden (EuGH, Urteil vom 4. Mai 2006 - C-508/03 [ECLI:EU:C:2006:287] - Rn. 104). Es liegt auf der Linie dieser Rechtsprechung, wenn der Senat die UVP in vollem Umfang dem Bereich der Planfeststellung zuweist.
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3. Welche verfahrensrechtlichen und inhaltlichen Anforderungen das Unionsrecht an eine UVP stellt, bedarf danach keiner Klärung, so dass es auch insoweit keiner Vorlage an den Europäischen Gerichtshof bedarf.
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II. Die Klage des Klägers zu 1 bleibt auch als Verbandsklage nach § 64 Abs. 1 BNatSchG erfolglos. Sie ist zulässig, aber unbegründet.
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1. Gegenstand einer Verbandsklage nach § 64 Abs. 1 BNatSchG ist die Erteilung von Befreiungen von Geboten und Verboten zum Schutz von Natura 2000-Gebieten nach § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG. Eine solche Entscheidung ist auch die Abweichungsentscheidung nach § 34 Abs. 3 bis 5 BNatSchG (BVerwG, Urteil vom 10. April 2013 - 4 C 3.12 - BVerwGE 146, 176 Rn. 22), die bei der Festlegung eines Flugverfahrens erforderlich werden kann, weil die Festlegung ein Projekt im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG ist. Ein anerkannter Umweltverein ist zur Einlegung von Rechtsbehelfen nicht nur berechtigt, wenn die Behörde eine Abweichungsentscheidung getroffen hat, sondern auch, wenn er geltend macht, die Behörde habe eine solche Entscheidung rechtsfehlerhaft unterlassen (BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 2013 - 4 C 14.12 - BVerwGE 149, 17 Rn. 26, 28).
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Für die Zulässigkeit der Klage genügt es, wenn nicht von vornherein und nach jeder Sichtweise ausgeschlossen ist, dass es einer Abweichungsentscheidung bedarf. Dem Naturschutzverband obliegt es, Anhaltspunkte aufzuzeigen, dass die Nutzung des Flugverfahrens einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Projekten oder Plänen geeignet ist, ein Gebiet im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG erheblich zu beeinträchtigen. Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen des Klägers zu 1, der eine FFH-Verträglichkeitsprüfung für das FFH-Gebiet Müggelsee-Müggelspree und das darin eingeschlossene Vogelschutzgebiet sowie die FFH-Gebiete Wasserwerk Friedrichshagen, Wilhelmshagen-Woltersdorfer Dünenzug und Teufelsseemoor Köpenick gefordert hat.
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2. Die Begründetheit der Verbandsklage nach § 64 Abs. 1 BNatSchG setzt voraus, dass eine Entscheidung nach § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG vorliegt oder eine solche Entscheidung rechtswidrig unterlassen worden ist. Daran fehlt es.
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a) Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG sind Projekte vor ihrer Zulassung oder Durchführung auf ihre Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen eines Natura 2000-Gebiets zu überprüfen, wenn sie einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Projekten oder Plänen geeignet sind, das Gebiet erheblich zu beeinträchtigen, und nicht unmittelbar der Verwaltung des Gebiets dienen. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist im Rahmen einer Vorprüfung festzustellen. Vorprüfung und Verträglichkeitsprüfung sind naturschutzrechtlich obligatorische Verfahrensschritte (BVerwG, Urteil vom 10. April 2013 - 4 C 3.12 - BVerwGE 146, 176 Rn. 10). Eine Gefahr, welche eine Verträglichkeitsprüfung erforderlich macht, liegt vor, wenn anhand objektiver Umstände nicht ausgeschlossen werden kann, dass der betreffende Plan oder das betreffende Projekt das fragliche Gebiet erheblich beeinträchtigt (EuGH, Urteil vom 7. September 2004 - C-127/02 [ECLI:EU:C:2004:482] - Rn. 44). Die FFH-Vorprüfung beschränkt sich auf die Frage, ob nach Lage der Dinge ernsthaft die Besorgnis nachteiliger Auswirkungen besteht (BVerwG, Beschluss vom 13. August 2010 - 4 BN 6.10 - NuR 2010, 797 Rn. 4). § 34 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG verlangt keine formalisierte Durchführung der Vorprüfung, sondern regelt die Voraussetzungen, unter denen eine Verträglichkeitsprüfung geboten ist. Fehlen diese Voraussetzungen, weil eine Beeinträchtigung der Erhaltungsziele des Gebiets ohne vertiefte Prüfung ausgeschlossen werden kann, so ist der Verzicht auf eine Verträglichkeitsprüfung nicht rechtsfehlerhaft (BVerwG, Urteil vom 14. Juli 2011 - 9 A 12.10 - Buchholz 406.400 § 61 BNatSchG 2002 Nr. 13 Rn. 89 [insoweit in BVerwGE 140, 149 nicht abgedruckt]). Die Notwendigkeit einer Verträglichkeitsprüfung kann auch im gerichtlichen Verfahren festgestellt werden (BVerwG, Urteile vom 10. April 2013 - 4 C 3.12 - BVerwGE 146, 176 Rn. 31 und vom 19. Dezember 2013 - 4 C 14.12 - BVerwGE 149, 17 Rn. 29). Allerdings zwingt allein die Annahme im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung, dass die Notwendigkeit einer Abweichungsentscheidung nicht von vornherein und nach jeder Sichtweise ausgeschlossen ist, nicht zu der Folgerung, es bedürfe einer Verträglichkeitsprüfung. Der Maßstab der Zulässigkeitsprüfung ist großzügiger, da die Anforderungen an den klägerischen Sachvortrag insoweit nicht überspannt werden dürfen (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Juni 2000 - 11 C 13.99 - Buchholz 442.42 § 27a Luftverkehrsordnung Nr. 1 S. 6 [insoweit in BVerwGE 111, 276 nicht abgedruckt]).
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b) Nach den tatrichterlichen Feststellungen steht für das Schutzgut Tiere und Pflanzen im Hinblick auf die Wirkfaktoren Überflüge und Fluglärm der Schutz der Avifauna und ihrer Lebensräume im Vordergrund. Hauptkriterium zur Sicherstellung des gebotenen Schutzes sei nach dem Planfeststellungsbeschluss eine Mindest-Überflughöhe über Vogellebensräume von 600 m. Im Hinblick auf die Schutz- und Erhaltungsziele der Schutzgebiete des europäischen Netzes Natura 2000 könnten erhebliche neue oder veränderte Beeinträchtigungen ausgeschlossen werden. Die hier maßgeblichen Gebiete seien überwiegend im Planfeststellungsverfahren betrachtet worden (PFB S. 845 15.2.2.1). Soweit die FFH-Gebiete Müggelsee-Müggelspree, Wasserwerk Friedrichshagen, Wilhelmshagen-Woltersdorfer Dünenzug und Teufelsseemoor Köpenick erst mit Festsetzung der Müggelsee-Route teilweise innerhalb der 47 dB(A)-Kontur lägen, seien - insbesondere auch angesichts der erreichten Flughöhen - keine relevanten zusätzlichen Belastungen zu erwarten. Zu den Einzelheiten verweist das Oberverwaltungsgericht auf den Bericht der Bundesregierung zu den betriebsbedingten Auswirkungen des Verkehrsflughafens Berlin Brandenburg durch Fluglärm und Überflüge in Bezug auf die Umweltverträglichkeitsprüfung und die Prüfungen nach FFH- und Vogelschutzrichtlinie aus Mai 2013, die es für zutreffend hält.
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Der Senat ist an diese tatsächlichen Feststellungen nach § 137 Abs. 2 VwGO gebunden, weil in Bezug auf sie keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen vorgebracht sind.
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aa) Die Kläger meinen, das Oberverwaltungsgericht habe ihre methodische Kritik an der Stellungnahme der Bundesregierung nicht erwogen und so das rechtliche Gehör verletzt. Die vorgenommene räumliche Verschiebung der Auswirkungsbetrachtungen sei unzureichend gewesen, weil die UVP notwendig schutzgutbezogen erfolgen müsse. Dies legt keinen Gehörsverstoß dar. Das Oberverwaltungsgericht hat die räumliche Verschiebung der Belastung der Umgebung festgestellt, nach seinen Feststellungen sind jedoch im Hinblick auf die Schutzgüter des Rechts der UVP-Prüfung durch die Abweichungen keine Umweltauswirkungen zu erwarten, die im Planfeststellungsverfahren nicht geprüft worden wären. Es ist damit nicht bei einer räumlichen Verschiebung stehengeblieben, sondern anhand von Schutzgütern vorgegangen. Dass es deren Beeinträchtigung anders beurteilt als die Kläger, ist keine Frage rechtlichen Gehörs.
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bb) Einer gesonderten Auseinandersetzung mit der Gefährdung durch Vogelschlag bedurfte es in diesem Zusammenhang nicht. Die Kläger selbst haben innerhalb der Revisionsbegründungsfrist nicht dargelegt, dass sie aus dem Risiko des Vogelschlags auf eine Gefährdung der Erhaltungsziele eines FFH-Gebiets oder artenschutzrechtlich relevante Tatbestände geschlossen haben, sie rügen vielmehr die Nichtberücksichtigung ihres Vortrags zu "flugsicherheitsrelevanten Vogelarten".
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cc) Die Kläger werfen dem Oberverwaltungsgericht mit mehreren Gehörsrügen vor, der Beeinträchtigung der genannten FFH-Gebiete nicht ausreichend nachgegangen zu sein.
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(1) Sie beanstanden im Gewand einer Gehörsrüge eine fehlerhafte Sachaufklärung und werfen dem Oberverwaltungsgericht vor, möglichen Beeinträchtigungen der Vogelwelt wegen besonderer akustischer Bedingungen, avifaunistischer Besonderheiten (Populationsdichte und Bedeutung des Gebiets als Vogellebensraum) und Beeinträchtigungen von Fledermäusen nicht nachgegangen zu sein. Diese Rügen bleiben als Aufklärungsrügen erfolglos. Zur Erhebung einer Aufklärungsrüge muss dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung hingewirkt worden ist, oder dass sich dem Gericht - von seinem materiell-rechtlichen Standpunkt aus - die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133
VwGO Nr. 26 S. 14 f.). Die Kläger haben indes in der mündlichen Verhandlung insoweit keinen Beweisantrag gestellt und auch nicht dargelegt, warum sich dem Oberverwaltungsgericht angesichts der vorliegenden Stellungnahme der Bundesregierung eine weitere Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen. Von diesen Anforderungen an eine Aufklärungsrüge sind die Kläger nicht deshalb frei, weil sie diese als Gehörsrüge bezeichnen.
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(2) Die Rügen sind hiervon unabhängig auch als Gehörsrügen unbegründet.
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(a) Die Kläger vermissen eine Behandlung ihres Vortrags zu den akustischen Bedingungen einer offenen Wasserfläche. Dies führt nicht auf einen Gehörsverstoß.
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Das Gebot rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Art. 103 Abs. 1 GG ist allerdings erst verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Beteiligtenvorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Ein Gericht ist nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen (BVerwG, Urteil vom 20. November 1995 - 4 C 10.95 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 267 S. 22). Deshalb müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Geht das Gericht auf den wesentlichen Teil eines Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von wesentlicher Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <145 f.>; BVerwG, Urteil vom 20. November 1995 - 4 C 10.95 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 267 S. 23). Wird die Gehörsrüge darauf gestützt, dass das Tatsachengericht relevantes Vorbringen übergangen habe, bedarf es der Darlegung, welches Vorbringen das Gericht nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezogen hat und unter welchem denkbaren Gesichtspunkt das nicht zur Kenntnis genommene oder nicht erwogene Vorbringen für die Entscheidung hätte von Bedeutung sein können (BVerwG, Beschluss vom 16. August 1979 - 7 B 174.78 - Buchholz 451.55 Subventionsrecht Nr. 58 S. 97 f.).
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Das Oberverwaltungsgericht verweist auf den Planfeststellungsbeschluss (PFB S. 1121 4.3.3.3), wonach keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Avifauna durch den Fluglärm selbst zu erwarten sind. Bestimmend für das Verhalten der Vögel seien die gleichzeitig stattfindenden Überflüge. Hauptkriterium zur Sicherstellung des gebotenen Schutzes sei die hier eingehaltene Mindest-Überflughöhe über Vogellebensräumen von 600 m. Hiervon ausgehend kam es auf die akustischen Bedingungen einer großen Wasserfläche nicht an.
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(b) Die Kläger vermissen eine Auseinandersetzung mit der Populationsdichte der Avifauna. Der Bericht der Bundesregierung äußere sich nicht zu bestimmten Vogelarten, für die eine Störungsarmut weiter Bereiche des Müggelsees von Bedeutung sei. Dies führt nicht auf einen Gehörsverstoß. Das Oberverwaltungsgericht sieht als maßgeblich für den Schutz der Avifauna die erreichten Flughöhen an. Es stützt sich hierbei auf die Erläuterungen der Bundesregierung in ihrem Bericht aus Mai 2013, der eine Überflughöhe von 600 m zum Schutz der Avifauna für ausreichend hält. Die Kläger haben mit ihrer Gehörsrüge innerhalb der Frist des § 139 Abs. 3 Satz 1 und 3 VwGO weder aufgezeigt, dass sie diesen Wert in Zweifel gezogen hätten, noch geltend gemacht, dass sie unter Auseinandersetzung mit diesem Wert dargelegt hätten, dieser Wert könne auf die Verhältnisse am Müggelsee oder dort vorkommende Vogelarten keine Anwendung finden; der Hinweis auf "Senkungen der Reaktionsschwellen" infolge großer Artenvielfalt genügt insoweit nicht.
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(c) Die Rüge der Kläger, das Oberverwaltungsgericht habe ihren Vortrag zur Gefährdung von Fledermäusen nicht zur Kenntnis genommen oder nicht erwogen, führt gleichfalls nicht auf einen Gehörsverstoß. Das Oberverwaltungsgericht hat zu weiteren Einzelheiten auf den Bericht der Bundesregierung verwiesen und sich dessen Überlegungen angeschlossen. Die dortigen Ausführungen gehen für Fledermäuse von bau- und anlagebedingten Gefährdungen aus und nehmen betriebsbedingte Gefährdungen durch Kollisionen am Boden oder in niedriger Höhe für bestimmte Fledermausarten an. Erkenntnisse über Störungen durch Überflüge in großer Höhe seien nicht belegt. Zusätzliche oder neue Beeinträchtigungen der geschützten Arten seien folglich ausgeschlossen. Das Oberverwaltungsgericht hat damit die Gefährdung von Fledermäusen zur Kenntnis genommen. Dass es sie abweichend von den Klägern und in Übereinstimmung mit der Bundesregierung bewertet, hat mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör nichts zu tun.
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(d) Auch soweit die Kläger eine Beeinträchtigung der Bechsteinfledermaus befürchten, bedurfte es keiner gesonderten Behandlung durch das Oberverwaltungsgericht. Die Kläger legen mit ihrer Gehörsrüge nicht dar, dass sie erstinstanzlich in Auseinandersetzung mit dem Bericht der Bundesregierung substantiiert geltend gemacht hätten, dass für die Bechsteinfledermaus dort nicht betrachtete Gefährdungen gegeben wären. Allein der Hinweis der Kläger auf eine fehlende Identifizierung legt keine Gefährdung dieser Fledermausart dar.
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c) Die Kläger sehen unionsrechtlichen Klärungsbedarf, ob Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl. L 206 S. 7), zuletzt geändert durch Richtlinie 2013/17/EU des Rates vom 13. Mai 2013 zur Anpassung bestimmter Richtlinien im Bereich Umwelt aufgrund des Beitritts der Republik Kroatien (ABl. L 158 S. 193 - FFH-RL), dahingehend auszulegen ist, dass die Vorschrift einer Übertragung der Prognose, ob das Überfliegen eines Schutzgebiets im Sinne des Art. 3 Abs. 1 FFH-RL erhebliche Auswirkungen auf Erhaltungsziele dieses Gebiets hat, auf ein anderes (neues) Schutzgebiet entgegensteht, wenn die Prognose durch eine andere Behörde getroffen wurde, die Ermittlungen hinsichtlich des neuen Schutzgebiets und seiner Erhaltungsziele in der nun übertragenen Prognose unter der Annahme erfolgten, diese liege außerhalb der Vorhabenauswirkungen, die nun entscheidende Behörde keine eigenen Ermittlungen angestellt hat, um die Übertragbarkeit der ursprünglichen Prognose zu prüfen, und die ursprüngliche Prognose zum Zeitpunkt der Übertragung mindestens sieben Jahre alt ist.
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Diese Frage stellt sich vorliegend nur unter der Bedingung, dass im Hinblick auf die Schutz- und Erhaltungsziele des europäischen Netzes Natura 2000 erhebliche neue oder veränderte Beeinträchtigungen ausgeschlossen werden können. Insoweit ist in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs geklärt, dass anhand objektiver Umstände zu klären ist, ob eine Verträglichkeitsprüfung durchgeführt werden muss (EuGH, Urteil vom 7. September 2004 - C-127/02 - Rn. 44). Es kommt danach nicht auf das Verfahren, sondern auf die Tragfähigkeit der Ergebnisse an.
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d) Da das festgelegte Flugverfahren nicht geeignet ist, ein Gebiet im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG erheblich zu beeinträchtigen, bedurfte es keiner Entscheidung im Sinne von § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG. Es fehlt damit an einer tauglichen Entscheidung oder deren Unterlassung, die Voraussetzung für die Begründetheit des Rechtsbehelfs nach § 64 Abs. 1 BNatSchG ist. Auf die Frage, ob der Kläger zu 1 aus Gründen des Unionsrechts berechtigt sein könnte, im Rahmen eines Rechtsbehelfs nach § 64 Abs. 1 BNatSchG über den Wortlaut der Nr. 1 hinaus auch Verstöße gegen Vorschriften des Umweltrechts zu rügen, kommt es nicht an.
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III. Die Klage des Klägers zu 1 bleibt schließlich auch als Feststellungsklage erfolglos.
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1. Für die Feststellungsklage bedarf es einer Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 Alt. 2 VwGO (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 28. Juni 2000 - 11 C 13.99 - BVerwGE 111, 276 <279>, vom 10. Juli 2001 - 1 C 35.00 - BVerwGE 114, 356 <360> und vom 26. November 2003 - 9 C 6.02 - BVerwGE 119, 245 <249>). Der Kläger zu 1 hat geltend gemacht, dass der Erlass der angegriffenen Rechtsverordnung ohne seine vorherige Beteiligung an einer Abweichungsentscheidung nach § 34 Abs. 3 bis 5 BNatSchG und damit an einer Befreiung im Sinne von § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG eigene Beteiligungsrechte verletze. Dies ist jedenfalls nicht von vornherein und nach jeder Sichtweise ausgeschlossen.
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2. Die Feststellungsklage ist unbegründet. Die angegriffene Rechtsverordnung verletzt keine Rechte des Klägers zu 1.
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a) Der Kläger war an der Vorprüfung zur Feststellung der Voraussetzungen für eine Verträglichkeitsprüfung nicht zu beteiligen. In der nicht formalisierten Vorprüfung besteht kein solches Beteiligungsrecht. Auch Unionsrecht fordert dies nicht. Es erwähnt die Öffentlichkeit vielmehr erst im Rahmen der Abweichungsentscheidung (vgl. Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL).
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b) Eine Rechtsverletzung im Sinne von § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO folgt nicht daraus, dass der Kläger zu 1 an einer von ihm für notwendig gehaltenen Befreiung von einem artenschutzrechtlichen Verbotstatbestand nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BNatSchG für die Bechsteinfledermaus nicht beteiligt worden ist. Der vom Kläger zu 1 angeführte § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG gewährt ein Beteiligungsrecht vor der Erteilung von Befreiungen von Geboten und Verboten zum Schutz von Gebieten im Sinne des § 32 Abs. 2 BNatSchG, Natura 2000-Gebieten, Naturschutzgebieten, Nationalparken, Nationalen Naturmonumenten und Biosphärenreservaten. Es geht demnach um die Befreiungen von Ge- und Verboten in Schutzgebietsregelungen (Kerkmann, in: Gärditz, VwGO, 2013, § 63 BNatSchG Rn. 39). Der Wortlaut nimmt Bezug auf einzelne im 4. Kapitel des Bundesnaturschutzgesetzes geschützte Gebiete. Die Gesetzessystematik schließt es aus, auch Befreiungen von artenschutzrechtlichen Vorschriften nach dem 5. Kapitel des Bundesnaturschutzgesetzes umfasst zu sehen (VGH München, Beschluss vom 24. Mai 2011 - 8 ZB 10.1007 - juris Rn. 30; VGH München, Urteil vom 17. März 2008 - 14 BV 05.3079 - BayVBl. 2008, 499 Rn. 22).
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c) Der Kläger zu 1 kann auch nicht geltend machen, die Rechtsverordnung verstoße gegen Vorschriften zum Schutz ruhiger Gebiete. Denn auch ein etwaiger Verstoß gegen diese Vorschriften verletzte den Kläger zu 1 nicht in subjektiven Rechten, wie es für die Begründetheit der erhobenen Feststellungsklage notwendig wäre (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. November 2014 - 4 C 34.13 - juris Rn. 22 ff.).
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aa) Der Sechste Teil des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, zu dem § 47d BImSchG gehört, gilt nach § 47a Satz 1 BImSchG für den Umgebungslärm, dem Menschen ausgesetzt sind. Als juristische Person wird der Kläger zu 1 nicht vom Anwendungsbereich der §§ 47a ff. BImSchG erfasst. Aus der Regelung der Lärmminderungsplanung in den §§ 47a ff. BImSchG folgen Pflichten der zuständigen Behörden zur Erarbeitung von Lärmkarten und zur Aufstellung von Lärmaktionsplänen, jedoch keine Schutzansprüche einzelner Immissionsbetroffener (BVerwG, Urteile vom 14. April 2010 - 9 A 43.08 - Buchholz 406.25 § 41 BImSchG Nr. 56 Rn. 46 und vom 10. Oktober 2012 - 9 A 20.11 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 229 Rn. 30).
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bb) Unionsrecht gebietet nichts Abweichendes. Der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat in einer Entscheidung zum Luftqualitätsrecht der Union (Richtlinie 2008/50/EG) und der Bundesrepublik Deutschland (§§ 44 ff. BImSchG) die Auffassung vertreten, dass ein Klagerecht einer natürlichen Person zur Durchsetzung des Umweltrechts der Union auch Umweltvereinigungen zusteht, die nach § 3 UmwRG anerkannt sind (BVerwG, Urteil vom 5. September 2013 - 7 C 21.12 - BVerwGE 147, 312 Rn. 38 ff.). Vorliegend fehlt es jedoch an einem Klagerecht einer natürlichen Person.
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Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs können sich Einzelne auf unbedingte und hinreichend genaue Bestimmungen einer Richtlinie berufen und haben die zuständigen nationalen Behörden und Gerichte die Bestimmungen des nationalen Rechts so weit wie möglich so auszulegen, dass sie mit dem Ziel der entsprechenden Richtlinie im Einklang stehen (EuGH, Urteil vom 25. Juli 2008 - C-237/07 [ECLI:EU:C:2008:447] - Rn. 36). Eine solche unbedingte und hinreichend genaue Bestimmung ist Art. 8 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b Satz 2 der Richtlinie 2002/49/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Juni 2002 über die Bewertung und Bekämpfung von Umgebungslärm (ABl. L 189 S. 12 - Umgebungslärm-RL) nicht. Die Vorschrift ordnet an, dass Ziel der Aktionspläne, die u.a. für Ballungsräume mit mehr als 250 000 Einwohnern aufzustellen sind, es auch sein soll, ruhige Gebiete gegen eine Zunahme des Lärms zu schützen. Die zuständigen Behörden sind weder verpflichtet, in ihren Plänen ruhige Gebiete darzustellen, noch ist es zwingend, den Schutz der Gebiete zum Ziel zu erklären. Die Umgebungslärm-RL gibt auch keine Lärmwerte vor, anhand derer ruhige Gebiete zu identifizieren sind. Vielmehr definiert sie als ruhiges Gebiet in einem Ballungsraum ein von der zuständigen Behörde festgelegtes Gebiet, in dem beispielsweise der Lden-Index oder ein anderer geeigneter Lärmindex für sämtliche Schallquellen einen bestimmten, von dem Mitgliedstaat festgelegten Wert nicht übersteigt (Art. 3 Buchst. l Umgebungslärm-RL). Schließlich stellt die Richtlinie die in den Plänen zu nennenden Maßnahmen in das Ermessen der zuständigen Behörden (Art. 8 Abs. 1 Satz 3 Umgebungslärm-RL).
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Es kommt auch nicht darauf an, ob Gemeinden, die in ihren Lärmaktionsplänen ruhige Gebiete dargestellt haben, möglicherweise in eigenen Rechten verletzt sein könnten (die Klagebefugnis nicht erörternd: BVerwG, Urteil vom 26. Juni 2014 - 4 C 2.13 -; die Klagebefugnis bezweifelnd: Berkemann, NuR 2012, 517 <529 f.>). Die Subjektivierung des Unionsrechts als Anknüpfungspunkt für ein Klagerecht von Umweltverbänden ist auf diejenigen Personen beschränkt, denen das Unionsrecht Rechte einräumt (Schlacke, NVwZ 2014, 11 <13>; Bunge, ZUR 2014, 3 <9>; Gärditz, EurUP 2014, 39 <42>). Die Umgebungslärm-RL nennt aber schon nicht die Gemeinden als diejenigen staatlichen Organe, die zur Aufstellung von Lärmaktionsplänen berufen sind und aus ihren Festsetzungen Rechte herleiten könnten, und beschränkt sich zudem darauf, den nach nationalem Recht zuständigen Behörden Kompetenzen zuzuweisen und Handlungspflichten zu formulieren.
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cc) Etwas Anderes folgt nicht aus Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (Aarhus-Übereinkommen - AK -; Gesetz vom 9. Dezember 2006 - BGBl. 2006 II S. 1251). Nach dieser Vorschrift stellt jede Vertragspartei sicher, dass Mitglieder der Öffentlichkeit, sofern sie etwaige in ihrem innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen, Zugang zu verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahren haben, um die von Privatpersonen und Behörden vorgenommenen Handlungen und begangenen Unterlassungen anzufechten, die gegen umweltbezogene Bestimmungen ihres innerstaatlichen Rechts verstoßen.
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In der Rechtsprechung ist geklärt, dass der Vorschrift keine unmittelbare Wirkung zukommt. Die nationalen Gerichte sind aber verpflichtet, ihr nationales Verwaltungsverfahrensrecht und Verwaltungsprozessrecht soweit wie möglich im Einklang sowohl mit den Zielen von Art. 9 Abs. 3 AK als auch mit dem Ziel eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes für die durch das Unionsrecht verliehenen Rechte auszulegen, um es einer Umweltschutzvereinigung zu ermöglichen, eine Entscheidung, die am Ende eines Verwaltungsverfahrens ergangen ist, das möglicherweise in Widerspruch zum Umweltrecht der Union steht, vor einem Gericht anzufechten (EuGH, Urteil vom 8. März 2011 - C-240/09 [ECLI:EU:C:2011:125] - Rn. 51 f.). Eine Auslegung contra legem - im Sinne einer methodisch unzulässigen richterlichen Rechtsfindung - fordert das Unionsrecht nicht (BVerwG, Urteil vom 5. September 2013 - 7 C 21.12 - BVerwGE 147, 312 Rn. 21, 36 m.w.N.).
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In § 42 Abs. 2 VwGO kommt ein allgemeines Strukturprinzip des Verwaltungsrechtsschutzes zum Ausdruck. Vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 GG ist dieser Rechtsschutz, wenn auch nicht ausschließlich, so doch in erster Linie auf den Individualrechtsschutz ausgerichtet (BVerwG, Urteile vom 29. April 1993- 7 A 3.92 - BVerwGE 92, 263 <264> und vom 5. September 2013 - 7 C 21.12 - BVerwGE 147, 312 Rn. 18). Diese Grundentscheidung gilt in gleicher Weise für die Feststellungsklage, auch dann, wenn sie sich gegen eine Rechtsverordnung des Bundes richtet und die Hürde der Antragsbefugnis wegen der Möglichkeit einer Rechtsverletzung bereits genommen ist. Auch in einem solchen Fall ist die Feststellungsklage nur begründet, wenn die fragliche Rechtsverordnung gerade den jeweiligen Kläger in eigenen Rechten verletzt (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Juni 2000 - 11 C 13.99 - BVerwGE 111, 276 <283> und Beschluss vom 5. Oktober 2009 - 4 B 8.09 - juris Rn. 6). Wäre in einem solchen Fall die Klage eines Umweltschutzvereins unabhängig vom Vorliegen subjektiver Rechte bei einem Verstoß gegen europäisches Umweltrecht begründet, liefe dies in der Sache auf eine - nach ihrem Prüfungsumfang beschränkte - objektive Normenkontrolle gegen eine Rechtsverordnung des Bundes hinaus, welche der Gesetzgeber nicht eröffnet hat (vgl. § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO). Zu einer solchen Rechtsfortbildung ist die Rechtsprechung aus Gründen der Gewaltenteilung nicht befugt und auch aus unionsrechtlichen Gründen nicht gezwungen.
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Einer Vorlage bedarf es nicht, weil die maßgeblichen Fragen zu Art. 9 Abs. 3 AK in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bereits durch dessen Urteil vom 8. März 2011 - C-240/09 - geklärt sind (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 12. November 2014 - 4 C 34.13 - juris Rn. 26). Da der Kläger zu 1 nicht berechtigt ist, die fehlerhafte Behandlung von in Lärmaktionsplänen dargestellten ruhigen Gebieten durch eine Flugverfahrensfestlegung zu rügen, kommt es nicht auf die für klärungsbedürftig gehaltenen Fragen an, welche Anforderungen das Unionsrecht insoweit an die Festlegung eines Flugverfahrens stellen könnte.
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B. Das Oberverwaltungsgericht hat die Klagen der Kläger zu 2 bis 9 ebenfalls im Ergebnis zutreffend abgewiesen (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die Festlegung des Flugverfahrens SUKIP 1 B verletzt die Kläger zu 2 bis 9 nicht in ihren Rechten.
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Die Festlegung eines Flugverfahrens erfolgt nach § 32 Abs. 4 Nr. 8, Abs. 4c LuftVG, § 27a Abs. 2 Satz 1 LuftVO durch eine Rechtsverordnung des Bundes. Da eine Normenkontrolle nach § 47 Abs. 1 VwGO nicht eröffnet ist, ist als Rechtsbehelf der Kläger zu 2 bis 9 nur die Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO statthaft. Diese Klageart dient dem Individualrechtsschutz, auch wenn sie sich auf ein Rechtsverhältnis bezieht, das durch eine Rechtsverordnung begründet wird. Daher setzt der Klageerfolg eine Verletzung eigener Rechte des jeweiligen Klägers voraus (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Juni 2000 - 11 C 13.99 - BVerwGE 111, 276 <283> und Beschluss vom 5. Oktober 2009 - 4 B 8.09 - juris Rn. 6). Dies ist zutreffend Gegenstand des Klage- und Revisionsantrags der Kläger zu 2 bis 9.
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I. Formelle Mängel der Rechtsverordnung sind nicht ersichtlich. Es bedurfte weder einer UVP noch einer darauf bezogenen Vorprüfung. Weitere formelle Bedenken machen auch die Kläger nicht geltend.
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II. Die Festlegung des Flugverfahrens SUKIP 1 B verstößt nicht gegen Bindungen aus dem Planfeststellungsbeschluss für den Flughafen Berlin Brandenburg.
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1. Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Oberverwaltungsgericht erkannt, dass der Planfeststellungsbeschluss und die Festsetzung des streitgegenständlichen Flugverfahrens nicht beziehungslos nebeneinander stehen.
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a) Bei einem inländischen Flughafen hat das BAF bei seiner Abwägung die von der zuständigen Landesluftfahrtbehörde in der Planfeststellung und der luftverkehrsrechtlichen Genehmigung des Flughafens getroffenen Entscheidungen zu beachten. Deren Ausnutzung darf es nicht vereiteln. Es darf keine Regelungen treffen, die im Widerspruch zu bereits getroffenen Entscheidungen über den Betrieb des Flughafens stehen, und ist insbesondere darauf beschränkt, den entstehenden Lärm gleichsam zu "bewirtschaften" (BVerwG, Beschluss vom 4. Mai 2005 - 4 C 6.04 - BVerwGE 123, 322 <330 f.>). Lässt sich die Zulassung eines Flughafens nach dem Abwägungskonzept der Planfeststellungsbehörde nur rechtfertigen, wenn bestimmte Gebiete von erheblichen Beeinträchtigungen durch Fluglärm verschont bleiben, kann die Planfeststellungsbehörde klarstellen, dass der Schutz dieser Gebiete zu den tragenden Erwägungen des Planfeststellungsbeschlusses gehört, zu denen sich das BAF bei der nachfolgenden Festlegung eines Flugverfahrens nicht in Widerspruch setzen darf (BVerwG, Urteil vom 31. Juli 2012 - 4 A 5000.10 u.a. - BVerwGE 144, 1 Rn. 51). Ist der Schutz bestimmter Gebiete bereits Voraussetzung für die zielförmige Festlegung des Flughafenstandorts in der Landesplanung, kann auch der Träger der Landesplanung die ihm zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, um den Schutz dieser Gebiete in den nachfolgenden Verfahren zu sichern (BVerwG, Urteile vom 4. April 2012 - 4 C 8.09 u.a. - BVerwGE 142, 234 Rn. 301 ff. und vom 31. Juli 2012 - 4 A 5000.10 u.a. - BVerwGE 144, 1 Rn. 51). Auch wenn Flugverfahren nicht selbst Regelungsgegenstand der Landesplanung oder der Planfeststellung sind (BVerwG, Urteil vom 13. Oktober 2011 - 4 A 4001.10 - BVerwGE 141, 1 Rn. 147), kann die Planfeststellungsbehörde mit bindender Wirkung für die spätere Festlegung von Flugverfahren feststellen, dass nach ihrem planerischen Konzept Grundlage für die Zulassung des Flughafens an dem gewählten Standort und mit der festgelegten Bahnkonfiguration ist, dass bestimmte, besonders schutzwürdige Gebiete von Verlärmung verschont bleiben (BVerwG, Urteil vom 26. Juni 2014 - 4 C 3.13 - LKV 2014, 460 Rn. 10). Ob der Planfeststellungsbeschluss ein Flugverfahren zulässt (so die Formulierung in BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 2013 - 4 C 14.12 - BVerwGE 149, 17 Rn. 16 f., 19), ist nach diesen Maßgaben zu prüfen.
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b) Das Oberverwaltungsgericht hat angenommen, die Festlegung eines Flugverfahrens sei bereits rechtswidrig, wenn es abweichend von der Grobplanung über ein Gebiet festgesetzt werde, das erkennbar nicht von der planerischen Festsetzung getragen sei und auf das sich die UVP in der Planfeststellung deshalb nicht erstreckt habe. Für ein solches Flugverfahren fehle die notwendige planerische Konfliktbewältigung.
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Diese Annahme dürfte mit Bundesrecht so nicht vereinbar sein. Allerdings hat der Planfeststellungsbeschluss die Aufgabe, die von dem Planvorhaben in seiner räumlichen Umgebung aufgeworfenen Probleme zu bewältigen (BVerwG, Urteile vom 13. Oktober 2011 - 4 A 4001.10 - BVerwGE 141, 1 Rn. 151 und vom 31. Juli 2012 - 4 A 5000.10 u.a. - BVerwGE 144, 1 Rn. 50). Er darf aber auf Vorgaben für die Festsetzung von Flugverfahren verzichten, wenn nach seiner Auffassung die in der räumlichen Umgebung des Flughafens aufgeworfenen Probleme bei allen in Betracht kommenden Flugverfahren bewältigt sind. Hat die Planfeststellungsbehörde Auswirkungen auf ein bestimmtes Gebiet nicht betrachtet, so kann dieser Umstand allenfalls ein Indiz sein, dass sie Flugverfahren dort nicht zulassen wollte. Er führt aber für sich genommen nicht dazu, dass der Planfeststellungsbeschluss der Festsetzung eines Flugverfahrens über dieses Gebiet entgegensteht. Denn es ist ohne Weiteres denkbar, dass eine Betrachtung unterblieben ist, weil die Planfeststellungsbehörde die Betroffenheiten durch die von ihr betrachteten Flugverfahren für vergleichbar mit den Betroffenheiten durch den Überflug über ein nicht näher betrachtetes Gebiet gehalten hat (BVerwG, Urteil vom 31. Juli 2012 - 4 A 5000.10 u.a. - BVerwGE 144, 1 Rn. 50). Dies bedarf keiner Vertiefung, weil der Maßstab des Oberverwaltungsgerichts den Klägern zu 2 bis 9 nicht zum Nachteil gereichen kann.
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c) Die Revision wendet sich gegen die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, die Vorschriften über das Planfeststellungsverfahren hielten auch für den Fall der Unanfechtbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses das erforderliche Instrumentarium für eine etwaige Planergänzung oder ein ergänzendes Planfeststellungsverfahren selbst bereit (§ 75 Abs. 2 Satz 2 bis 4 VwVfG), obwohl Veränderungen der Betroffenheiten, die sich ergeben, wenn das BAF Flugverfahren festlegt, die von der für das Planfeststellungsverfahren erstellten Grobplanung abweichen, keine nicht voraussehbaren Wirkungen im Sinne des § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG sind (BVerwG, Urteil vom 31. Juli 2012 - 4 A 5000.10 u.a. - BVerwGE 144, 1 Rn. 52). Dies mag auf sich beruhen. Das Oberverwaltungsgericht hat § 75 Abs. 2 Satz 2 bis 4 VwVfG nicht gemäß § 173 Satz 1 VwGO, § 546 ZPO angewendet, sondern zur Begründung seiner Rechtsauffassung zu anderen Normen angeführt. Damit fehlt es an einer Rechtsverletzung im Sinne von § 137 Abs. 1 VwGO.
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2. Der Planfeststellungsbeschluss für den Flughafen Berlin Brandenburg verbietet nicht explizit einen Überflug über den Großen Müggelsee. Nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts verstößt die Festsetzung des streitgegenständlichen Flugverfahrens auch nicht gegen die im Planfeststellungsbeschluss ausdrücklich erklärten Planungsziele. Dies ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.
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a) Die Auslegung eines Verwaltungsakts unterliegt als Tatsachenwürdigung nur eingeschränkter revisionsgerichtlicher Kontrolle. Zu prüfen ist, ob das Tatsachengericht den Regelungsgehalt des Verwaltungsakts nach den zu §§ 133, 157 BGB entwickelten Regeln ermittelt hat. In diesem Fall ist der tatrichterlich ermittelte Erklärungsinhalt als Tatsachenfeststellung nach § 137 Abs. 2 VwGO bindend. Dem Revisionsgericht ist eine eigene Auslegung des Verwaltungsakts nur möglich, wenn das Tatsachengericht in seiner Entscheidung nichts Näheres ausführt und insbesondere sein Auslegungsergebnis nicht begründet hat. Liegt dagegen - wie hier - eine solche Begründung vor, bedarf es einer den Anforderungen des § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO genügenden Verfahrensrüge, um das Auslegungsergebnis anzugreifen (BVerwG, Urteile vom 4. Dezember 2001 - 4 C 2.00 - BVerwGE 115, 274 <279 f.> und vom 5. November 2009 - 4 C 3.09 - BVerwGE 135, 209 Rn. 18); die bloße Darlegung einer abweichenden, von einem Beteiligten für richtig gehaltenen Auslegung eines Verwaltungsakts genügt dagegen nicht. Revisionsgerichtlicher Prüfung unterliegt ferner, ob sich das Tatsachengericht durch eine fehlerhafte Vorstellung des Bundesrechts den Blick für die zutreffende Auslegung verstellt hat (Neumann, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 137 Rn. 166).
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b) Das Oberverwaltungsgericht hat eine Vereitelung des Planungsziels des Planfeststellungsbeschlusses nur für den Fall angenommen, dass stark belegte Abflugverfahren über dicht besiedeltes Stadtgebiet entlang der An- und Abfluggrundlinien geführt werden.
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Die Kläger beanstanden zu Unrecht als Gehörsverstoß, das Oberverwaltungsgericht habe ihren Vortrag nicht erwogen, dass das so formulierte Planungsziel auch für zumutbaren, aber abwägungserheblichen Fluglärm gelte. Das Oberverwaltungsgericht hat sich mit diesem Einwand befasst, ist ihm aber nicht gefolgt. Es hat festgestellt, dass ein völliges Freihalten von Fluglärm sämtlicher zu Berlin gehörender Ortslagen aufgrund der den Flughafen umgebenden Siedlungsstruktur nicht möglich und auch im Planfeststellungsbeschluss weder als Ziel formuliert noch sonst Bestandteil der Planrechtfertigung sei. Es hat damit der Auffassung der Kläger widersprochen, wonach ein "metropolen-abgewandtes" Konzept des Planfeststellungsbeschlusses das angegriffene Flugverfahren ausschließe. Entsprechend formuliert das Oberverwaltungsgericht als Planungsziel nicht das vollständige Freihalten des Luftraums über innerstädtische Lagen, sondern das Vermeiden von Überflügen in niedriger Höhe über dicht besiedeltes Gebiet. Im Übrigen und hiervon unabhängig könnten die Kläger einen Verstoß gegen Festlegungen zu Gunsten innerstädtischer Lagen nicht rügen, weil ihre Grundstücke sich dort nicht befinden (s.u.).
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Ob die Formulierung "entlang der An- und Abfluggrundlinien" aktenwidrig ist, kann dahinstehen, da es auf sie nicht ankommt.
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c) Eine Vereitelung des festgestellten Planungsziels hat das Oberverwaltungsgericht verneint, weil die Routenführung über den unbewohnten Müggelsee und die - im Verhältnis zu den Bevölkerungskonzentrationen in der Umgebung der Flughäfen Tegel und Tempelhof - weniger dicht besiedelten angrenzenden Gebiete führe. Dies ist als Tatsachenwürdigung revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Die hiergegen erhobenen Verfahrensrügen bleiben ohne Erfolg.
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aa) Der Vorwurf der Kläger ist unbegründet, das Oberverwaltungsgericht habe Tatsachen handgreiflich fehlerhaft gewürdigt, weil es die Gebiete um den Müggelsee als weniger dicht besiedelt als die Umgebung der Flughäfen Tegel und Tempelhof angesehen habe. Tatsachenwürdigungen hat das Revisionsgericht nur daraufhin zu prüfen, ob das Tatsachengericht allgemein verbindliche Beweiswürdigungsgrundsätze, also gesetzliche Beweisregeln, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Oktober 1991 - 1 C 24.90 - BVerwGE 89, 110 <117>; Neumann, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 137 Rn. 182). Einen solchen Fehler zeigen die Kläger nicht auf. Sie beziehen die Einwohnerdichte auf einen kleineren räumlichen Umgriff als das Oberverwaltungsgericht, welches die an den Müggelsee angrenzenden Gebiete insgesamt in den Blick nimmt.
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bb) Die Kläger beanstanden, dass das Oberverwaltungsgericht im Tatbestand seines Urteils keine Feststellungen dazu getroffen hat, wie häufig das festgelegte Flugverfahren beflogen werden wird.
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Mit einer Kritik an dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 17. Dezember 2013 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 20. Dezember 2013 über ihren Antrag auf Tatbestandsberichtigung nach § 119 Abs. 1 VwGO können sie schon deshalb nicht durchdringen, weil dieser Beschluss unanfechtbar und daher der revisionsgerichtlichen Prüfung entzogen ist (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 557 Abs. 2 ZPO; vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Dezember 2010 - 4 B 49.10 - juris Rn. 6; Rennert, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 119 Rn. 6). Auch § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO als Selektionsverbot ist nicht verletzt. Dass das Oberverwaltungsgericht insoweit keine Feststellungen trifft, lässt nicht den Schluss zu, es habe seine Überzeugung entgegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht auf der Grundlage des vollständigen Prozessstoffes gebildet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. Mai 2013 - 8 B 70.12 - ZOV 2013, 131 Rn. 9). Denn ausgehend von dem von ihm festgestellten Ziel der Planfeststellung kam es auf die Häufigkeit der Nutzung nicht an.
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3. Nach der Auslegung des Oberverwaltungsgerichts steht der Planfeststellungsbeschluss auch nicht "faktisch" oder konkludent dem festgesetzten Flugverfahren über den Müggelsee entgegen, um in dieser Region ansässige Grundstückseigentümer zu schützen.
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a) Ein eingeschränktes Planungskonzept, das die Müggelseeregion ausspart, hat das Oberverwaltungsgericht verneint. Es hat sich von der Frage leiten lassen, ob Umweltauswirkungen zu erwarten sind, die im Planfeststellungsbeschluss nicht geprüft worden sind (UA S. 22). Es hat dem Planfeststellungsbeschluss damit in der Sache die Aussage entnommen, dass er einer Belastung der Müggelseeregion durch Überflüge nicht entgegensteht, diese vielmehr ebenso billigt wie den Überflug über andere Gebiete. Dies gilt insbesondere für den Schutz der Wohnbevölkerung. Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts ist der Schutz der Wohnbevölkerung und der Erholungssuchenden vor Fluglärm auch bei einer räumlichen Verschiebung der Belastungen durch das allgemein geltende Schutzkonzept der Planfeststellungsbehörde auf gleich bleibendem Niveau sichergestellt (UA S. 27).
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b) Diese Auslegung bindet den Senat nach § 137 Abs. 2 VwGO. Die innerhalb der Revisionsbegründungsfrist erhobenen Verfahrensrügen bleiben erfolglos.
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aa) Die von der Revision beanstandete Formulierung "Einwirkungsbereich des Vorhabens" für den nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts (UA S. 22) die Umweltfolgen untersucht worden seien, ist nicht aktenwidrig. Sie ist nicht denknotwendig im Sinne eines rechtsförmlich festgesetzten Bereichs zu verstehen, sondern kann - wie hier - auch einen Bereich bezeichnen, auf den der Betrieb des Flughafens tatsächlich einwirkt.
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bb) Die Aussage des Oberverwaltungsgerichts ist nicht aktenwidrig, die im Einwirkungsbereich des Vorhabens untersuchten Umweltfolgen beschränkten sich erkennbar nicht auf die Auswirkungen von konkreten Flugrouten, sondern seien in großem Umfang schutzgutbezogen durchgeführt worden. Dass Umweltauswirkungen bestimmter Flugverfahren anhand der Grobplanung im Planfeststellungsverfahren ermittelt werden, schließt weder eine Orientierung der UVP an Schutzgütern aus, noch zwingt dieser Umstand zu der Annahme, die Erkenntnisse seien auf eine konkrete Flugroutenführung beschränkt.
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cc) Die Kläger rügen als Gehörsverstoß, das Oberverwaltungsgericht habe sich nicht mit ihrem Vortrag zu einem eingeschränkten Planungskonzept für den Flughafen Berlin Brandenburg auf der Ebene der Raumordnung auseinandergesetzt. Dies legt keinen Gehörsverstoß dar. Die Ausführungen aus dem Schriftsatz vom 22. Mai 2013 werfen dem BAF eine Missachtung der Zielvorgaben des Landesentwicklungsplans Flughafenstandortentwicklung (LEP FS) vom 28. Oktober 2003 (GVBl. [BE] S. 521) in der Fassung der Änderung vom 30. Mai 2006 (GVBl. [BE] S. 509) vor, weil diese in der Abwägung nicht mit hohem Gewicht berücksichtigt worden seien und das streitgegenständliche Flugverfahren die Steuerungswirkung dieses Plans vereitele. Die angeführte Stelle entnimmt den Vorgaben des LEP FS aber keine Indizien für die Auslegung und Reichweite des Planfeststellungsbeschlusses, zu denen sich das Oberverwaltungsgericht in dem hier maßgeblichen Zusammenhang hätte verhalten müssen.
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dd) Ein Verstoß gegen das Selektionsverbot des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist nicht ersichtlich. Das Oberverwaltungsgericht hat erkannt, dass sich die UVP der Planfeststellung nicht auf die hier in Rede stehenden Flugrouten erstreckt hat. Dass es daraus nicht den Schluss gezogen hat, die Planfeststellungsbehörde habe Beeinträchtigungen der Müggelseeregion ausschließen wollen, ist eine tatrichterliche Würdigung. Dass die Kläger diese nicht teilen, verstößt nicht gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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ee) Es ist auch nicht denkgesetzlich ausgeschlossen, dass die Planfeststellungsbehörde kein Planungskonzept für den Flughafen unter Aussparung der Müggelseeregion verfolgt habe, ohne die Vorhabenauswirkungen dieses Flugverfahrens untersucht und eingeschätzt zu haben. Ein Verstoß gegen Denkgesetze liegt nur vor, wenn das Gericht eine Schlussfolgerung zieht, die aus Gründen der Logik schlechterdings nicht gezogen werden kann und deshalb willkürlich ist (stRspr; vgl. BVerwG, Urteile vom 20. März 2012 - 5 C 1.11 - BVerwGE 142, 132 Rn. 32 und vom 20. Juni 2013 - 8 C 10.12 - BVerwGE 147, 47 Rn. 15). Ein solcher Fall liegt nicht vor, da Regelungswille einer Behörde und gewählter Untersuchungsraum nicht denknotwendig übereinstimmen müssen.
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c) Sollte das Oberverwaltungsgericht gemeint haben, seine Prüfung auf die Frage erstrecken zu müssen, ob der Planfeststellungsbeschluss eine Vergleichbarkeit der Auswirkungen der Grobplanung mit der Müggelsee-Route zutreffend angenommen habe, wäre eine solche Prüfung nicht veranlasst. Dies ist indes unschädlich, weil sich die zu weit reichende Prüfung nicht zu Lasten der Kläger zu 2 bis 9 auswirken konnte.
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aa) Hat der Planfeststellungsbeschluss bestimmte Umweltauswirkungen nicht in den Blick genommen, so obliegt es den Betroffenen, diesen insoweit binnen der hierfür laufenden Fristen mit der Begründung anzugreifen, dessen Maßnahmen reichten nicht aus, um die Ausgewogenheit der Standortentscheidung für den Fall von der Grobplanung abweichender Flugverfahren sicherzustellen. Mit Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses kann eine solche Korrektur nicht mehr gefordert werden (BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 2013 - 4 C 14.12 - BVerwGE 149, 17 Rn. 17).
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bb) Das Oberverwaltungsgericht hat zudem Schutzgüter des UVPG in den Blick genommen, deren Verletzung die Kläger zu 2 bis 9 nicht rügen können.
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Für die Begründetheit ihrer Feststellungsklage kommt es darauf an, ob ein - unterstellter - Ausschluss des Überfluges durch den Planfeststellungsbeschluss zu ihren Gunsten drittschützend ist. Schließt ein Planfeststellungsbeschluss die Festsetzung eines bestimmten Flugverfahrens ausdrücklich oder konkludent allein im öffentlichen Interesse aus, werden Rechte von Grundstückseigentümern auch dann nicht verletzt, wenn das BAF diese Vorgabe missachtet. Denn insoweit können die von einem Flugverfahren betroffenen Grundstückseigentümer in gerichtlichen Verfahren gegen die Festlegung eines Flugverfahrens nicht besser stehen als die von einem Planfeststellungsbeschluss nur mittelbar Betroffenen, die darauf beschränkt sind, eine Verletzung in eigenen Rechten geltend zu machen (BVerwG, Beschluss vom 19. Mai 2005 - 4 VR 2000.05 - Buchholz 442.40 § 8 LuftVG Nr. 22 S. 42 m.w.N.). Es bedarf daher nur der Prüfung solcher Bindungen aus dem Planfeststellungsbeschluss, die drittschützende Wirkung zugunsten der jeweiligen Kläger entfalten (vgl. VGH Kassel, Urteil vom 3. September 2013 - 9 C 323/12.T - juris Rn. 122 [nicht rechtskräftig]).
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Ob die Belange der Schutzgüter Luft, Wasserqualität, Trinkwasser, Boden oder des Vogelschlages im Planfeststellungsbeschluss der Festsetzung eines Überfluges über die Müggelseeregion entgegenstehen, bedurfte daher keiner Prüfung. Denn es fehlt jeder Anhaltspunkt, dass diese Belange hätten Anlass geben können, zum Schutz der Kläger einen Überflug der Müggelseeregion auszuschließen. Auch die Kläger haben weder schriftsätzlich noch auf Hinweis in der mündlichen Verhandlung solche Anhaltspunkte angeführt, sondern ihren Vortrag in der mündlichen Verhandlung auf die Beeinträchtigung durch Lärm beschränkt.
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Auf die Verfahrensrügen der Revision in diesem Zusammenhang kommt es daher nicht an (§ 144 Abs. 4 VwGO). Dies gilt auch für die gerügten Gehörsverstöße. Denn § 144 Abs. 4 VwGO kann auch herangezogen werden, wenn eine angeblich unter Verstoß gegen das rechtliche Gehör getroffene Feststellung zu einer einzelnen Tatsache nach der materiell-rechtlichen Beurteilung des Revisionsgerichts unter keinem denkbaren Gesichtspunkt erheblich ist (BVerwG, Urteile vom 10. November 1999 - 6 C 30.98 - BVerwGE 110, 40 <48 f.> und vom 27. Januar 2011 - 7 C 3.10 - NVwZ 2011, 696 Rn. 12).
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d) Das Oberverwaltungsgericht hat es ferner für ausgeschlossen gehalten, dass die Planfeststellungsbehörde zu einem abweichenden Ergebnis gekommen wäre, wenn sie anstelle der Grobplanung das angegriffene Flugverfahren zugrunde gelegt hätte. Diese Feststellung führt nicht weiter, weil für die Frage nach den Bindungen aus einem Planfeststellungsbeschluss eine solche hypothetische Überlegung unergiebig ist. Die insoweit erhobenen Einwendungen der Revision können auf sich beruhen.
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III. Im Ergebnis zutreffend hat das Oberverwaltungsgericht auch eine Verletzung des Abwägungsgebots zu Lasten der Kläger zu 2 bis 9 verneint.
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1. Da es an einer fachgesetzlichen Normierung fehlt, unterliegt die Festlegung von Flugverfahren dem rechtsstaatlichen Abwägungsgebot (BVerwG, Urteil vom 28. Juni 2000 - 11 C 13.99 - BVerwGE 111, 276 <281>). In welchem Umfang die Abwägungspflicht besteht, richtet sich nach den gesetzlichen Vorgaben und im Übrigen nach dem rechtsstaatlich für jede Abwägung unabdingbar Gebotenen (BVerwG, Urteile vom 24. Juni 2004 - 4 C 11.03 - BVerwGE 121, 152 <157 f.> und vom 26. Juni 2014 - 4 C 3.13 - LKV 2014, 460 Rn. 8). Bei der richterlichen Kontrolle dieser untergesetzlichen Normen kommt es dabei im Grundsatz auf das Ergebnis des Rechtsetzungsverfahrens an, also auf die Vorschrift in ihrer regelnden Wirkung, nicht aber auf die Motive desjenigen, der an ihrem Erlass mitwirkt. Der Weg zu einer verwaltungsgerichtlichen Überprüfung des Abwägungsvorgangs ist bei untergesetzlichen Normen nur eröffnet, wenn und soweit der Normgeber einer besonders ausgestalteten Bindung an gesetzlich formulierte Abwägungsdirektiven unterliegt (BVerwG, Urteil vom 26. Juni 2014 - 4 C 3.13 - LKV 2014, 460 Rn. 25 m.w.N.).
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a) Nach § 29b Abs. 2 LuftVG haben die Luftfahrtbehörden und damit auch das BAF auf den Schutz vor unzumutbarem Fluglärm hinzuwirken. Die Vorschrift normiert eine Regelverpflichtung, die Ausnahmen nur zulässt, wenn sich hierfür zwingende Gründe ins Feld führen lassen. Muss die Entscheidung für eine bestimmte Flugroute dagegen nicht mit unzumutbaren Lärmbelastungen erkauft werden, so genügt es, wenn sie sich mit vertretbaren Argumenten untermauern lässt. Das BAF braucht nicht den Nachweis zu erbringen, auch unter dem Blickwinkel des Lärmschutzes die angemessenste oder gar bestmögliche Lösung gefunden zu haben. Einen Rechtsverstoß begeht es nur dann, wenn es die Augen vor Alternativen verschließt, die sich unter Lärmschutzgesichtspunkten als eindeutig vorzugswürdig aufdrängen, ohne zur Wahrung der für den Flugverkehr unabdingbaren Sicherheitserfordernisse weniger geeignet zu sein (ausführlich BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2004 - 4 C 11.03 - BVerwGE 121, 152 <162, 164>; krit. Wöckel, Festlegung von Flugverfahren, 2013, S. 241 f.). § 29b Abs. 2 LuftVG ist für die Abwägungsentscheidung unergiebig, wenn alle in Betracht kommenden Flugverfahren unzumutbaren Lärm mit sich bringen. Denn die Norm ist auf die Situation zugeschnitten, in der neben Flugverfahren mit Lärmwirkungen oberhalb der Zumutbarkeitsschwelle auch Flugverfahren zur Verfügung stehen, mit denen sich unzumutbare Lärmbelastungen vermeiden lassen (BVerwG, Urteil vom 12. November 2014 - 4 C 37.13 - juris Rn. 29; ebenso OVG Bautzen, Urteil vom 27. Juni 2012 - 1 C 13/08 - juris Rn. 49; VGH Kassel, Urteil vom 27. Mai 2014 - 9 C 2269/12.T - juris Rn. 75; OVG Münster, Urteil vom 13. November 2008 - 20 D 124/06.AK - juris Rn. 46).
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b) Unzumutbar sind alle Lärmwirkungen, die durch das Qualifikationsmerkmal der Erheblichkeit die Schädlichkeitsgrenze überschreiten (BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2004 - 4 C 11.03 - BVerwGE 121, 152 <161>). Da die einfachgesetzliche Grenzlinie der Unzumutbarkeit bei der Festlegung von Flugverfahren nicht anders zu ziehen ist als im luftrechtlichen Planungsrecht, gelten die nach § 8 Abs. 1 Satz 3 LuftVG in der Planfeststellung für Flughäfen zu beachtenden Werte des § 2 Abs. 2 Fluglärmschutzgesetz (FluglärmG) auch hier (BVerwG, Urteil vom 12. November 2014 - 4 C 37.13 - juris Rn. 26; ebenso Wöckel, Festlegung von Flugverfahren, 2013, S. 175). Das Oberverwaltungsgericht hat damit zutreffend für die Zumutbarkeitsgrenze einen Dauerschallpegel am Tag von 55 dB(A) angenommen, indem es die Einschätzung der Beklagten gebilligt hat, wonach der Bereich des vermeidbaren unzumutbaren Fluglärms nach den Berechnungen des UBA zur 55 dB(A)-Kontur am Tag zu bestimmen ist. Die Formulierung auf Seite 33 f. des Urteilsabdrucks lässt entgegen der Auffassung der Revision nicht den Schluss zu, das Oberverwaltungsgericht sehe bereits Fluglärm oberhalb eines äquivalenten Dauerschallpegels von 50 dB(A) am Tage als unzumutbar an, auch wenn der Bezug des Satzes missverständlich ist. Die Gehörsrüge der Kläger, das Oberverwaltungsgericht habe ihren Vortrag zur Einschätzung der Beklagten hinsichtlich des Pegelbereichs 50 bis 55 dB(A) als zumutbar nicht erwogen, geht damit ebenso ins Leere wie die Ausführungen der Revision zu § 114 Satz 1 VwGO.
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Die Kläger haben sich in der mündlichen Verhandlung auf den Standpunkt gestellt, die Grenze der Zumutbarkeit liege bei einem energieäquivalenten Dauerschallpegel von 60 dB(A) entsprechend der Festsetzung des Planfeststellungsbeschlusses zum Umgriff des Tagschutzgebiets (A II Ziffer 5.1.2 Nr. 2 des PFB). Ihre Forderung soll offenbar die Belastung der Betroffenen kleinreden, die auf alternativen Routen am Tag mit einem Dauerschallpegel von mindestens 55 dB(A) belastet würden. Es mag dahinstehen, ob die Kläger mit diesem Argument einen Fehler bei der Abwägung ihrer eigenen Belange aufzeigen könnten, zumal ihre Belastung ausgehend von der von ihnen angenommenen erhöhten Zumutbarkeitsschwelle zu gewichten wäre (BVerwG, Urteil vom 4. April 2012 - 4 C 8.09 u.a. - BVerwGE 142, 234 Rn. 190) und entsprechend geringer erschiene. Denn für die Anwendung des § 29b Abs. 2 LuftVG ist die Zumutbarkeitsgrenze § 2 Abs. 2 FluglärmG maßgeblich, nicht die Festsetzung des Planfeststellungsbeschlusses.
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2. Gemessen hieran werden die Grundstücke der Kläger zu 2 bis 9 mit Fluglärm belastet, der unterhalb der Zumutbarkeitsschwelle des § 29b Abs. 2 LuftVG liegt.
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a) Die von den Klägern erwartete Lärmbelastung beträgt für die Klägerin zu 2 und den Kläger zu 3 mindestens 51 dB(A) tags und mindestens 47 dB(A) nachts sowie für die Kläger zu 4 bis 9 mindestens 47 bis 50 dB(A) tags und mindestens 40 bis 47 dB(A) nachts. Selbst diese Belastung bleibt hinter den Grenzwerten des Fluglärmschutzes von § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 FluglärmG von LAeqTag 55 dB(A) und LAeqNacht von 50 dB(A) zurück und ist damit zumutbar. Schon von daher geht die Rüge, das Oberverwaltungsgericht sei von unzumutbarem Lärm ausgegangen, habe diese Annahme aber seiner rechtlichen Würdigung nicht zugrunde gelegt und damit § 108 Abs. 1 VwGO verletzt, ins Leere.
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Die Feststellung auf Seite 32 des Urteilsabdrucks, wonach für die Klägerin zu 2 und den Kläger zu 3 der Grenzwert für die Nacht-Schutzzone geringfügig überschritten werde, kann allerdings dahin verstanden werden, diese seien nachts Fluglärm mit einem energieäquivalenten Dauerschallpegel von mehr als 50 dB(A) ausgesetzt. Eine solche Feststellung wäre aktenwidrig und damit nicht nach § 137 Abs. 2 VwGO bindend. Die Klägerin zu 2 und der Kläger zu 3 haben in ihrem Schriftsatz vom 22. Mai 2013 den bei ihnen zu erwartenden Schallpegel Lden mit (gerundet) 51 dB(A) angegeben. Dieser Pegel gibt nicht den nach § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Buchst. b FluglärmG maßgeblichen äquivalenten Dauerschallpegel während der Beurteilungszeit T nachts (22 bis 6 Uhr) an, sondern einen Pegel für den Gesamttag, in den die Lärmbelastung über den gesamten Tag, gewichtet nach Tag- (day), Abend- (evening) und Nachtstunden (night) eingeht (vgl. Anhang I Nr. 1 der Umgebungslärm-RL). Ausweislich der Lärmfachlichen Bewertung der Flugrouten für den Verkehrsflughafen Berlin Brandenburg des UBA, 2012, S. 46, verlaufen die Lärmkonturen des LAeqNacht für die DFS-Vorzugsvariante (Müggelseeüberflug) (Nacht) ausgehend von der Landebahn in nordwestlicher Richtung, noch die Grenze von 40 dB(A) bleibt südlich des Großen Müggelsees. Die Grundstücke der Klägerin zu 2 und des Klägers zu 3 liegen deutlich außerhalb dieser Kontur.
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Hiervon unabhängig führte auch eine Belastung der Kläger mit unzumutbarem Lärm im Sinne von § 29b Abs. 2 LuftVG nicht zu einem abweichenden Maßstab bei der Abwägungskontrolle. Denn alle in Betracht kommenden Routen sind mit unzumutbaren Lärmbelastungen verbunden (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. November 2014 - 4 C 37.13 - juris Rn. 29).
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b) Die Kläger machen geltend, das dem BAF aufgegebene Abwägungsprogramm könne nicht von der Betroffenheit der Kläger abhängen, es bedürfe bei unzumutbarem Fluglärm vielmehr stets eines zwingenden Grundes im Sinne des Senatsurteils vom 24. Juni 2004 - 4 C 11.03 - (BVerwGE 121, 152 <162>). Dies bedarf keiner Vertiefung. Für die Begründetheit der Feststellungsklage kommt es auf die abwägungserheblichen Belange der jeweiligen Kläger an. Werden diese mit zumutbarem Fluglärm belastet, muss die Entscheidung insoweit abwägungsfehlerfrei sein. Welche Abwägungspflichten dem BAF im Übrigen aufgegeben sind, spielt für den Erfolg der Klagen keine Rolle. Nichts anderes meint das Oberverwaltungsgericht auf Seite 32 seines Urteils. Der dort verwendete Begriff Prüfungsmaßstab bezieht sich auf die Begründetheit der Klage.
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3. Das Oberverwaltungsgericht hat ohne Verstoß gegen Bundesrecht die der Abwägung zugrunde gelegte Datengrundlage und den gewählten Prognosehorizont gebilligt.
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a) Das Oberverwaltungsgericht hat festgestellt, dass den Berechnungen des UBA und der DFS unterschiedliche Berechnungsmethoden zugrunde liegen. Das BAF habe diese Unterschiede erkannt und sei zu dem Ergebnis gelangt, dass die Untersuchungen - bei geringen Abweichungen untereinander - in fast sämtlichen Fällen sowohl zu einer im Wesentlichen gleichen Rangfolge als auch zu einer Identifizierung jeweils derselben Verfahrensalternative als Vorzugsvariante kommen. Es habe auf dieser Grundlage das Abwägungsmaterial eigenständig gewertet.
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Die gegen diese Feststellungen erhobenen Verfahrensrügen bleiben erfolglos. Die Revision wirft dem Oberverwaltungsgericht einen Verstoß gegen das Selektionsverbot des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO vor. Dies führt aber weder auf einen Verfahrensfehler noch einen revisionsrechtlich beachtlichen Verstoß bei der Tatsachenwürdigung. Dass das Oberverwaltungsgericht den Sachverhalt insoweit weniger detailliert darstellt als die Kläger dies wünschen, lässt nicht den Schluss zu, es habe gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verstoßen. Es beachtet vielmehr die Anforderungen des § 117 Abs. 3 VwGO, der eine gedrängte Darstellung des Tatbestandes verlangt und zur Darstellung von Einzelheiten einen Verweis auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen zulässt. Nichts anderes gilt, soweit die Kläger in der von ihnen beanstandeten Darstellung einen Gehörsverstoß erblicken.
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Im Übrigen geht die Kritik der Kläger an dieser Aussage ins Leere, weil die Berechnungen nach NIROS und die vom UBA angestellten Berechnungen übereinstimmend die Müggelsee-Route nur an Platzziffer 3 hinter den anderen Alternativen ZIESA 24 und ZIESA 23 sehen. Dies ist Gegenstand der vom Oberverwaltungsgericht in Bezug genommenen Ausführungen auf Seite 39 des Abwägungsvermerks des BAF vom 26. Januar 2012. Für das Oberverwaltungsgericht stand damit schon für die Berechnungen nach NIROS die Frage im Raum, ob die ungünstige nummerische Bewertung der Festlegung der streitgegenständlichen Route entgegenstand. Diese Frage stellte sich im Hinblick auf die Berechnungen des UBA nicht anders.
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Die Kläger sehen ihr rechtliches Gehör ferner verletzt, weil sich das Gericht mit ihrem Vortrag zu den Unterschieden in der Datengrundlage des vom UBA gewählten Verfahrens und der Berechnung der DFS nach NIROS nicht auseinandergesetzt habe. Das Gericht hätte bei einer Würdigung ihres Vortrags erkannt, dass die Bezugnahme auf beide Lärmberechnungen nicht geeignet gewesen sei, die Festsetzung der Müggelsee-Route zu tragen. Dies zeigt keinen Gehörsverstoß. Das Oberverwaltungsgericht hat sich mit diesen Fragen befasst und festgestellt, dass die unterschiedlichen Berechnungsmethoden einen unmittelbaren Vergleich der Betroffenenzahlen ausschließen (UA S. 30). Dass es aus diesem Befund nicht die von den Klägern für notwendig gehaltene Folgerung gezogen hat, hat mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör nichts zu tun.
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b) Den gewählten Prognosehorizont hat das Oberverwaltungsgericht ohne Verstoß gegen Bundesrecht gebilligt.
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aa) Gesetzliche Vorgaben für die Wahl des Prognosehorizontes fehlen. Daher lässt sich ein gewählter Prognosehorizont nur beanstanden, wenn er Ausdruck unsachlicher Erwägungen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Juni 2010 - 9 A 20.08 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 208 Rn. 74). Hierfür ist nichts ersichtlich. Angesichts der bei der Festlegung von Flugverfahren im Vordergrund stehenden Bewirtschaftung des jeweils konkret anfallenden Lärms und flexibler Änderungsmöglichkeiten ist die Wahl eines überschaubaren Prognosehorizontes nicht zu beanstanden. Das fehlende Erfordernis baulicher Maßnahmen rechtfertigt es auch, einen kürzeren zeitlichen Horizont als bei der Verkehrsprognose für die Planfeststellung zu wählen (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. März 2006 - 4 A 1075.04 - BVerwGE 125, 116 Rn. 354). Dass das hier streitgegenständliche Flugverfahren bauliche Maßnahmen am Boden erforderlich machen könnte, wie die Kläger behaupten, hat das Oberverwaltungsgericht nicht festgestellt.
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bb) Die im Hinblick auf den Prognosehorizont erhobenen Verfahrensrügen bleiben erfolglos. Der Vorwurf, das Oberverwaltungsgericht habe den klägerischen Vortrag zum Prognosehorizont nicht oder nur unvollkommen zur Kenntnis genommen, ist angesichts der Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts nicht nachvollziehbar. Die Bezeichnung von 360 000 Flugbewegungen als "technische Maximalkapazität" ist - wie die Kläger zutreffend geltend machen - fehlerhaft, bleibt aber auf die Erwägungen des Oberverwaltungsgerichts ohne Einfluss. Es hat gebilligt, dass das BAF seine Prognose nicht auf die "im Jahr 2023 zu erwartenden Dinge" - also 360 000 Flugbewegungen - habe stützen müssen. Die fehlerhafte Bezeichnung ist unschädlich.
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Ausgehend von der für die Beurteilung eines Verfahrensfehlers maßgeblichen Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Januar 1998 - 11 C 11.96 - BVerwGE 106, 115 <119> und Beschluss vom 16. Januar 2014 - 4 B 32.13 - ZfBR 2014, 375 Rn. 20) zum maßgeblichen Prognosezeitpunkt kam es auf die von den Klägern unter Beweis gestellte Behauptung ihrer Belastung "bei Zugrundelegung der Verkehrsmengen und des Flugzeugmix aus dem Szenario 20XX" nicht an. Dies trägt die Ablehnung wegen fehlender Entscheidungserheblichkeit. Hiervon unabhängig war die unter Beweis gestellte Tatsache auch nach Maßgabe der weiteren materiell-rechtlichen Überlegungen des Tatsachengerichts zum Abwägungsprogramm nicht erheblich, ohne dass es auf die Richtigkeit dieser Überlegungen ankommt.
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cc) Das BAF ist allerdings verpflichtet, die weitere Entwicklung zu beobachten. Ein Anstieg der Flugbewegungszahlen kann auch für das Verhältnis verschiedener Alternativrouten von Bedeutung sein, wenn etwa die Zahl der unzumutbar Betroffenen auf einer von mehreren alternativen Routen stärker steigt als in anderen Gebieten, weil sich die Verhältnisse am Boden, insbesondere die Besiedlungsdichte, unterscheiden. Das BAF muss daher die Auswirkungen seiner Regelung beobachten und bei entsprechendem Anlass seine Abwägungsentscheidung überprüfen (vgl. für den parlamentarischen Gesetzgeber BVerfG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 2 BvL 4/10 - BVerfGE 130, 263 <312>; Beschluss vom 14. Oktober 2008 - 1 BvF 4/05 - BVerfGE 122, 1 <35>; für den Verordnungsgeber BVerwG, Urteil vom 23. März 2011 - 6 CN 3.10 - BVerwGE 139, 210 Rn. 40). Diese Beobachtungspflicht trifft das BAF als Normgeber von Amts wegen und unabhängig von Anregungen aus der Fluglärmkommission.
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Die von den Klägern befürchtete Rechtsschutzlücke besteht nicht. Bei der Feststellungsklage kann der Kläger den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung selbst bestimmen (Kothe, in: Redeker/von Oertzen, VwGO, 16. Aufl. 2014, § 108 Rn. 26). Dies gilt auch, wenn das Rechtsverhältnis auf einer Rechtsverordnung beruht. Übersteigt die Zahl der Flugbewegungen die Prognose, so kann die Festlegung eines Flugverfahrens zu diesem Zeitpunkt Rechte eines Betroffenen auch dann verletzen, wenn die ursprüngliche Abwägungsentscheidung seine Rechte nicht verletzt hat.
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4. Das Oberverwaltungsgericht hat ohne Verstoß gegen Bundesrecht die Auswahl des festgesetzten Flugverfahrens durch die Beklagte gebilligt.
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a) Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts konnten die Kläger Sicherheitsbedenken der Beklagten gegen eine Routenführung über die Gosener Wiesen nicht entkräften. Die Abwägungsentscheidung sei auch nicht die Folge einer fehlerhaften "Abwägungsreihenfolge", weil der Abwägungsprozess das entwickelte Flugroutenkonzept abschließend in den Blick nehme.
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Die gegen die Ausführungen zur Abwägungsreihenfolge erhobene Rüge fehlerhafter Tatsachenwürdigung lässt einen revisionsrechtlich beachtlichen Fehler bei der Tatsachenwürdigung nicht erkennen. Die Ausführungen zeigen auch keine Aktenwidrigkeit der zugrundeliegenden Feststellung auf. Aus der angeführten Passage aus dem Abwägungsvermerk der DFS folgt lediglich, dass bestimmte Kombinationen von Flugverfahren in der Abwägung nicht berücksichtigt worden sind.
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Auch die Verfahrensrügen mit Blick auf die erhobenen Sicherheitsbedenken bleiben erfolglos. Das Oberverwaltungsgericht hat sich mit dem Vorschlag der Kläger zu einer Alternativroute befasst und auf die dagegen bestehenden Sicherheitsbedenken der Beklagten verwiesen. Diese ergeben sich aus dem wiedergegebenen Beklagtenvorbringen (UA S. 10). Damit scheidet eine Gehörsverletzung aus. Dass die Kläger eine ausführlichere Auseinandersetzung für notwendig halten, zeigt keinen Verstoß gegen das rechtliche Gehör auf. Hinsichtlich der Rüge der Aktenwidrigkeit fehlt es an einer Darlegung, aus welchem Aktenbestandteil sich die sicherheitsrechtliche Unbedenklichkeit der Führung über die Gosener Wiesen ergeben soll, zumal die Beklagte zu ähnlichen Varianten bereits Sicherheitsbedenken geäußert hat (Streitakte Bl. 287 ff.) und geltend macht, solche Bedenken in der mündlichen Verhandlung auch zu Varianten dieser Routenführung erhoben zu haben.
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Die Kläger vermissen die Auseinandersetzung des Oberverwaltungsgerichts mit Ausführungen zu einer Route über die Gosener Wiesen II. Dies legt keinen Gehörsverstoß dar. Es ist nicht ersichtlich, dass das Oberverwaltungsgericht mit seinen Ausführungen zu einer "Routenführung 'Gosener Wiesen'" nur eine einzelne Routenführung gemeint haben könnte.
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b) Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts führt ein Verzicht auf die Müggelsee-Route zu vermeidbarem unzumutbaren Fluglärm, weil nach der Berechnung des UBA die 55 dB(A)-Kontur mit der Festsetzung der Müggelsee-Route am Tag einen deutlich geringeren Teil von Müggelheim einschließt. Ein ähnlicher, wenn auch geringerer Effekt gelte in der Nacht. Nach den NIROS-Berechnungen ist die Müggelsee-Route im Dauerschallpegelbereich 50-55 dB(A) von Vorteil. Es sei vom Gestaltungsspielraum des BAF gedeckt, sich aus diesen Gründen für die Route über den Müggelsee zu entscheiden.
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aa) Die erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch. Die im Zusammenhang mit der Entlastung von Müggelheim erhobene Verfahrensrüge ist nicht schlüssig. Die Kläger tragen selbst vor, dass durch die Müggelsee-Route 1 710 Personen weniger von einem Lärm oberhalb von 55 dB(A) betroffen seien. Dass sie diesen Umstand wegen einer nur geringfügigen Senkung unter 55 dB(A) für 1 179 Personen anders bewerten als das Oberverwaltungsgericht, hat mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör nichts zu tun.
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Die Kläger vermissen eine Auseinandersetzung des Oberverwaltungsgerichts mit von ihnen geltend gemachten Unsicherheiten in der Datengrundlage, die sie dem Bericht des UBA entnehmen. Auch dies führt nicht auf einen Gehörsverstoß. Die Kläger haben zwar Unsicherheiten geltend gemacht, es fehlt aber Vortrag dazu, dass diese Unsicherheiten sich auf die Variantenauswahl auswirken, diese Unsicherheiten also gerade zu Lasten der von den Klägern bekämpften Route gehen. Dies wäre für einen substantiierten Angriff erforderlich gewesen.
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Schließlich rügen die Kläger eine fehlende Befassung mit Bedenken, welche die Beklagte selbst gegen einen Variantenvergleich auf der Grundlage der Berechnungen des UBA anführt. Nach Einschätzung der Beklagten sind diese zum Variantenvergleich allenfalls bedingt geeignet. Denn sie betrachten An- und Abflugverfahren und ermöglichen damit keinen - isolierten - Vergleich von Abflugverfahren, weil diese durch Anflugverfahren überlagert werden können. Eine Auseinandersetzung mit dieser Kritik bedurfte es an dieser Stelle nicht. Denn die Annahme einer Entlastung des östlichen Teils von Müggelheim hinsichtlich der gesamten Lärmbelastung vergleicht nicht verschiedene Routen, sondern den Zustand mit und ohne Nutzung eines bestimmten Flugverfahrens.
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bb) Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts ist auch nicht deswegen bundesrechtswidrig, weil die gewählte Variante gegenüber zwei Alternativen einen höheren NIROS-Gütewert aufweist.
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Insoweit zeigen die Kläger keine Rechtsverletzung zu ihren Lasten auf. Sie sind darauf beschränkt, eine fehlerhafte Abwägung ihrer eigenen Belange zu rügen. Diese Abwägungskontrolle kann hinsichtlich fremder Belange lediglich insoweit eine gewisse Ausdehnung erfahren, dass gleichgerichtete Interessen, wie die Lärmschutzbelange benachbarter Anlieger, die nur einheitlich mit den entsprechenden Belangen eines Klägers gewichtet werden können, in die Prüfung einzubeziehen sind (BVerwG, Beschluss vom 16. Januar 2007 - 9 B 14.06 - Buchholz 407.4 § 1 FStrG Nr. 11 Rn. 18). Dies sind solche Anlieger, deren Grundstücke wie diejenigen der Kläger am oder in der Nähe des Großen Müggelsees liegen. Wie dieses Gebiet im Einzelnen abzugrenzen wäre, bedarf keiner Entscheidung. Jedenfalls die Belastung des innerstädtischen Bereichs von Berlin können die Kläger nicht rügen. Dieser wird erst nach einer Linkskurve bei Hoppegarten und einer weiteren Linkskurve bei Marzahn nach Richtung Charlottenburg-Wilmersdorf (DFS, Abwägung für Paket I, 2011, S. 3 - 27 ff.) überflogen. Die Kläger selbst sehen ihre Grundstücke nicht in diesem innerstädtischen Bereich, wenn sie gegen das festgesetzte Flugverfahren Belange der Naherholung auf und um den Müggelsee ins Feld führen und einen Verlust von Naherholungsgebieten für die Bewohner Berlins fürchten.
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Der NIROS-Wert ist ein Gesamtwert für die auf der gesamten Strecke entstehende Fluglärmbelastung und der nummerische Ausdruck der Belastung aller von einem Flugverfahren Betroffenen. Die Kläger sind nicht berufen, deren Interessen geltend zu machen. Der hohe NIROS-Wert der Route folgt, wie die Kläger selbst geltend machen, aus dem Umstand, dass das Berliner Stadtgebiet ca. 1 000 m niedriger überquert würde als bei anderen Flugrouten. Die Berufung auf den NIROS-Wert scheidet daher hier aus, weil er die Beschränkung der gerichtlichen Abwägungskontrolle auf die Belange der Kläger unterliefe. Daher kann auch die Kritik der Kläger an der Formulierung des Oberverwaltungsgerichts auf Seite 34 des Urteilsabdrucks erster Absatz a.E. ebenso auf sich beruhen wie das von den Klägern vermisste Eingehen auf vorgelegtes Kartenmaterial.
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c) Das Oberverwaltungsgericht hat den generell angenommenen Gewichtungsvorrang des Lärmschutzes für Siedlungsgebiete vor dem Lärmschutz für Erholungsgebiete gebilligt. Diese Wertung beruht auf einem sachlich einleuchtenden Grund; gegen sie ist bundesrechtlich nichts zu erinnern.
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Die insoweit erhobene Gehörsrüge verfehlt die Darlegungsanforderungen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Bedeutung der Müggelseeregion für die Naherholung ersichtlich zur Kenntnis genommen. Dass es dennoch einen Gewichtungsvorrang des Lärmschutzes für Siedlungsgebiete vor dem Lärmschutz für Erholungsgebiete angenommen hat, hat mit rechtlichem Gehör nichts zu tun. Einer detaillierteren Betrachtung der Müggelseeregion bedurfte es nicht, weil die Festsetzung eines Flugverfahrens eine parzellengenaue Betrachtung nicht verlangt, sondern bei der Ermittlung und Bewertung des Tatsachenmaterials Pauschalierungen zwingend sind (BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2004 - 4 C 11.03 - BVerwGE 121, 152 <167>). Ob dem angenommenen Vorrang des Schutzes von Erholungs- vor Siedlungsgebieten entgegensteht, dass die Müggelsee-Route über dem Stadtgebiet von Berlin auch zu einer Belastung von Siedlungsgebieten führt, kann dahinstehen. Denn eine unzureichende Berücksichtigung der Belastung des innerstädtischen Bereichs von Berlin könnten die Kläger nicht geltend machen.
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d) Ob das Oberverwaltungsgericht den Lärmschutz für ruhige Gebiete zutreffend behandelt hat, bedarf keiner Entscheidung. Auch eine fehlerhafte Behandlung würde die Kläger nicht in ihren Rechten verletzen, weil weder die §§ 47a ff. BImSchG noch die Umgebungslärm-RL ihnen Rechte gewährt (BVerwG, Urteile vom 14. April 2010 - 9 A 43.08 - Buchholz 406.25 § 41 BImSchG Nr. 56 Rn. 46, vom 10. Oktober 2012 - 9 A 20.11 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 229 Rn. 30 und vom 12. November 2014 - 4 C 34.13 - juris Rn. 22 ff.). Auf die in diesem Zusammenhang erhobene Gehörsrüge kommt es nicht an (§ 144 Abs. 4 VwGO); sie wäre auch unbegründet, weil sich das Oberverwaltungsgericht mit dem klägerischen Vorbringen befasst hat.
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5. Das Oberverwaltungsgericht hat ohne Verstoß gegen Bundesrecht angenommen, dass die Festlegung des streitgegenständlichen Flugverfahrens den im Rechtsstaatsprinzip verankerten Vertrauensschutzgedanken nicht verletzt.
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a) Der Senat hat in seinem Urteil vom 31. Juli 2012 die Frage offengelassen, ob und gegebenenfalls in welcher Weise die Erwartung von Anwohnern, die Festlegung werde von der dem Planfeststellungsbeschluss zugrunde liegenden Grobplanung nicht wesentlich abweichen, in die Abwägung des BAF einzustellen ist. Ein solcher Belang ist in der Abwägung jedenfalls nicht unüberwindbar. Denn die Entstehung anderer als der prognostizierten Betroffenheiten kann im Verfahren zur Festlegung der Flugrouten nicht ausgeschlossen werden (BVerwG, Urteil vom 31. Juli 2012 - 4 A 5000.10 u.a. - BVerwGE 144, 1 Rn. 48 a.E.). Die angegriffene Rechtsverordnung ist daher nach dem für die Abwägungskontrolle maßgeblichen Abwägungsergebnis (BVerwG, Urteil vom 26. Juni 2014 - 4 C 3.13 - LKV 2014, 460 Rn. 25 m.w.N.) nicht zu beanstanden. Die Einwände der Revision greifen nicht durch.
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aa) Der Planfeststellungsbeschluss für den Flughafen Berlin Brandenburg begründet keinen weitergehenden Vertrauensschutz. Er schließt weder einen Überflug der Müggelseeregion aus, noch formuliert er ein völliges Freihalten von Fluglärm sämtlicher zu Berlin gehörender Ortslagen als Ziel oder Bestandteil der Planrechtfertigung. Die Festlegung divergierender, also abweichender Abflugrouten war im Planfeststellungsverfahren zu keinem Zeitpunkt ausgeschlossen worden. Dieses Auslegungsergebnis würde in sein Gegenteil verkehrt, wenn aus dem Planfeststellungsbeschluss und der ihm zugrunde gelegten Grobplanung ein nicht überwindbarer Vertrauensschutz zu Gunsten der Kläger hergeleitet würde.
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Etwas Anderes folgt nicht aus dem Umgriff der UVP in der Planfeststellung. Die Ermittlung der Lärmbetroffenheiten und anderer Auswirkungen des Flugbetriebs war systemimmanent mit der Unsicherheit behaftet, dass die Flugrouten für die An- und Abflüge nicht feststehen (BVerwG, Urteil vom 31. Juli 2012 - 4 A 5000.10 u.a. - BVerwGE 144, 1 Rn. 47). Die Ausführungen der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache C-420/11 [ECLI:EU:C:2012:701], Leth (Rn. 49 ff.) zu einer Warnfunktion der UVP, auf die sich die Kläger berufen, hat der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 14. März 2013 - C-420/11 [ECLI:EU:C:2013:166] - nicht aufgegriffen und angenommen, dass die Merkmale der UVP darauf hindeuteten, dass selbst das vollständige Unterlassen einer UVP als solches grundsätzlich nicht die Ursache für die Wertminderung einer Liegenschaft sei (Rn. 46). Es wäre mit der nur begrenzten Pflicht des BAF zur Sachverhaltsaufklärung (BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2004 - 4 C 11.03 - BVerwGE 121, 152 <167>) nicht vereinbar, in die Gewichtung des Vertrauensschutzes Entschädigungsansprüche einzustellen, die nach der angeführten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs allenfalls in Einzelfällen nicht von vornherein ausgeschlossen sein mögen.
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bb) Die Gehörsrügen bleiben erfolglos. Mit dem Schicksal der einzelnen Kläger brauchte sich das Oberverwaltungsgericht nicht zu befassen, weil nach seiner (zutreffenden) Rechtsauffassung bei der Sachverhaltsermittlung in Bezug auf Lärmbetroffenheiten ausreichend ist, wenn sich das BAF auf aussagekräftiges Kartenmaterial sowie Unterlagen über die Einwohnerzahl stützt.
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Die Kläger vermissen die Feststellung, dass das festgesetzte Flugverfahren von der Regelung der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) über die Notwendigkeit von um 15° abknickende Flugverfahren bei unabhängigem Parallelbetrieb nicht gefordert werde. Dies führt auf keinen Verfahrensfehler. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 17. Dezember 2013 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 20. Dezember 2013 ist der revisionsgerichtlichen Kontrolle entzogen (§ 119 Abs. 2 Satz 1 VwGO, § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 557 Abs. 2 ZPO). Es liegt aber auch kein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO vor, weil es nach der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts auf das Maß der Abweichung nicht ankam.
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Das Oberverwaltungsgericht hat auch zur Kenntnis genommen, dass die Kläger schutzwürdiges Vertrauen nicht allein aus dem Planfeststellungsbeschluss herleiten. Nach seiner Rechtsauffassung war indes notwendige Voraussetzung für die Gewährung von Vertrauensschutz, dass die Festlegung divergierender Abflugrouten im Planfeststellungsverfahren zu irgendeinem Zeitpunkt ausgeschlossen worden wäre. Daran fehlte es, auf den weiteren Vortrag der Kläger kam es nicht an.
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cc) Materiell-rechtlich folgt kein weitergehender Vertrauensschutz daraus, dass die Abweichung von der im Planfeststellungsverfahren angenommenen Grobplanung nicht auf dem Erfordernis beruht, um 15° abknickende Flugverfahren bei unabhängigen Parallelbahnbetrieb festzulegen. Weder den Aussagen des Senats in seinem Urteil vom 13. Oktober 2011 - 4 A 4001.10 - zu den Anforderungen an die Prognose der Lärmbetroffenheiten im Planfeststellungsverfahren (BVerwGE 141, 1 Rn. 161) noch den Aussagen zum Umfang der UVP im Urteil vom 31. Juli 2012 - 4 A 7001.11 u.a. - (BVerwGE 144, 44 Rn. 43) noch dem Urteil des Senats vom 31. Juli 2012 - 4 A 6001.11 u.a. - (juris Rn. 55) zu den Anforderungen an die Landesplanung kann entnommen werden, dass die vom Senat angenommene systemimmanente Unsicherheit für die Festlegung von Flugverfahren auf ein Abknicken um 15° beschränkt ist. Der Senat hat vielmehr bereits in seinem Urteil vom 13. Oktober 2011 - 4 A 4001.10 - anerkannt, dass Gründe des Lärmschutzes auch zu stärker abknickenden Flugverfahren führen können (BVerwGE 141, 1 Rn. 161).
- 141
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Hiervon unabhängig übersehen die Kläger, dass Gegenstand des ICAO-Dokuments 4444 und damit des 15°-Erfordernisses die Abflugrouten unmittelbar nach dem Abheben sind (BVerwG, Urteil vom 13. Oktober 2011 - 4 A 4001.10 - BVerwGE 141, 1 Rn. 155). In diesem Abschnitt sieht die angegriffene Rechtsverordnung eine Führung der Flugzeuge auf Startbahnkurs an. Für die Routenführung im weiteren Verlauf des Flugverfahrens ist das Erfordernis unergiebig.
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dd) Die Kläger rügen schließlich ohne Erfolg, das festgelegte Flugverfahren verletze ihr Vertrauen in ein in sich geschlossenes, mehrere Ebenen umfassendes Planungssystem, das sie raumordnerischen Vorgaben, der Lärmminderungsplanung, der kommunalen Bauleitplanung und der zum Flughafen Berlin Brandenburg ergangenen Rechtsprechung entnehmen wollen.
- 143
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Der Grundsatz des Vertrauensschutzes besagt, dass sich Bürgerinnen und Bürger auf die Fortwirkung bestimmter Regelungen in gewissem Umfange verlassen können. Er gewährleistet unter bestimmten Umständen Rechtssicherheit auch dann, wenn keine Regelungen bestehen, die Anlass zu spezifischem Vertrauen geben (BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - BVerfGE 133, 143 Rn. 41). Es ist keine bundesrechtliche Norm ersichtlich, nach der die von den Klägern genannten Umstände einzeln oder in ihrer Gesamtheit einer Festlegung des streitgegenständlichen Flugverfahrens entgegenstehen oder für deren Abwägung eine Gewichtungsvorgabe machen. Auf einen von einer Norm unabhängigen Vertrauensschutz können sich die Kläger nicht berufen. Informationen des Flughafenbetreibers oder Medienberichte begründen ebenso wenig einen Vertrauenstatbestand wie Überlegungen der DFS im Verlauf der Flugroutenplanung. Zwischen der Festlegung von Flugverfahren und Bodennutzungsregelungen durch Bauleitpläne nach § 1 Abs. 3 BauGB besteht kein Konkurrenzverhältnis (BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2004 - 4 C 11.03 - Buchholz 442.42 § 27a Luftverkehrsordnung Nr. 3 S. 38 [insoweit in BVerwGE 121, 152 nicht abgedruckt]), so dass sich gestützt auf solche Bauleitpläne kein Vertrauen bilden kann, ein bestimmtes Flugverfahren werde nicht festgesetzt. Lärmaktionspläne begründen zu Gunsten der Kläger zu 2 bis 9 - wie dargelegt -keine subjektiven Rechte. Diese gesetzgeberische Wertung darf durch Herleitung eines hierauf gestützten Vertrauensschutzes nicht unterlaufen werden.
- 144
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Einen Vertrauensschutz können die Kläger auch nicht aus dem Landesentwicklungsplan Flughafenstandortentwicklung (LEP FS) ableiten. Da das Oberverwaltungsgericht diese landesrechtliche Norm nicht selbst ausgelegt und angewandt hat, ist der Senat hierzu befugt (BVerwG, Urteil vom 3. Juni 2014 - 4 CN 6.12 - NVwZ 2014, 1377 Rn. 25 [zur Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen]). Der LEP FS legt als beachtenspflichtige Ziele Bauhöhenbeschränkungen (Z 3) und Siedlungsbeschränkungen (Z 5) fest, die an geradeaus verlaufenden Flugverfahren ausgerichtet sind. Der LEP FS zeichnet damit lediglich die Grobplanung nach, von der die Planfeststellungsbehörde zuvor ausgegangen war. Er war daher weder geeignet, einen eigenständigen Vertrauenstatbestand zu begründen, noch einen - möglicherweise - im Planfeststellungsbeschluss begründeten Vertrauenstatbestand zu verstärken.
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b) Etwas anderes ergibt sich auch nicht, wenn eine Berücksichtigung von Überlegungen des Vertrauensschutzes im Abwägungsvorgang zu fordern wäre. Denn nach den tatrichterlichen Feststellungen hat sich das BAF in seinem Abwägungsvermerk mehrfach mit dem Votum der Fluglärmkommission auseinandergesetzt, in dem Vertrauensschutzgesichtspunkte Gegenstand der Erörterung gewesen sind, und damit Vertrauensschutzgesichtspunkte in seine Abwägung eingestellt.
- 146
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Die dagegen erhobene Rüge der Aktenwidrigkeit ist nicht schlüssig vorgetragen. Die seitens der Kläger angeführte Rechtsansicht der Beklagten (Streitakte Bl. 284) schließt nicht aus, dass Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes in die Abwägung eingegangen sind. Ein Widerspruch zwischen den tatsächlichen Annahmen des Oberverwaltungsgerichts und dem insoweit unumstrittenen Akteninhalt folgt auch nicht aus der fehlenden Erwähnung des Votums der Fluglärmkommission im Abwägungsvermerk des BAF auf Seite 58 ff.
- 147
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO.
Tatbestand
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Die Beteiligten streiten um Mitwirkungsrechte des Klägers vor der Durchführung von Tiefflugübungen der Bundeswehr über dem Gebiet der Colbitz-Letzlinger Heide.
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Der Kläger - ein vom Land Sachsen-Anhalt anerkannter Naturschutzverband - begehrt die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Verträglichkeit der Tiefflüge mit den Erhaltungszielen des Vogelschutzgebiets zu überprüfen und ihm im Rahmen dieser Prüfung, hilfsweise vor einer gegebenenfalls erforderlichen Abweichungsentscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme und zur Einsicht in die einschlägigen Sachverständigengutachten zu geben.
- 3
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Die Bundeswehr nutzte den Luftraum über der Colbitz-Letzlinger Heide bis April 2008 für militärische Übungsflüge. Das Gebiet beherbergt nach Ansicht des Klägers während der Brutzeit (in den Monaten März bis Juli) zahlreiche Vogelarten, deren Bruterfolg durch die Tiefflüge gefährdet werde.
- 4
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Der Antrag des Klägers auf gerichtlichen Eilrechtsschutz hatte Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht untersagte der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung, die Übungsflüge in Höhen unter 600 m fortzusetzen, bis der Kläger Gelegenheit erhalten hat, seine Mitwirkungsrechte wahrzunehmen.
- 5
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In der Hauptsache blieb die Klage in erster und zweiter Instanz zunächst erfolglos. Der Kläger habe - so das Oberverwaltungsgericht in seinem auf die mündliche Verhandlung vom 12. Mai 2011 ergangenen Urteil (2 L 30/10) - keinen Anspruch, vor der Entscheidung der Beklagten über die Durchführung der geplanten Tiefflüge beteiligt zu werden. Die Beklagte bedürfe für diese Maßnahmen keiner "Befreiung" von den Verboten des § 34 BNatSchG bzw. des Art. 4 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. April 1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (ABl. L 103 S. 1), neu kodifiziert durch die Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über die Erhaltung wildlebender Vogelarten (ABl. L 20 S. 7 - V-RL -). Zwar sei die Colbitz-Letzlinger Heide ein gelistetes FFH-Gebiet. Ob Übungsflüge unterhalb 600 m zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Gebiets führen könnten, lasse sich nicht abschließend beurteilen. Dies sei aber auch nicht erforderlich, weil eine Mitwirkung des Klägers auch für den Fall einer erheblichen Beeinträchtigung wegen § 30 Abs. 1 LuftVG ausgeschlossen sei. Die Bundeswehr habe die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Naturschutzes in eigener Zuständigkeit zu prüfen. Ein wie auch immer geartetes Verfahren, an dem Verbände beteiligt werden könnten, finde nicht statt.
- 6
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Der Senat hat das Berufungsurteil mit Urteil vom 10. April 2013 - 4 C 3.12 - (BVerwGE 146, 176) aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen. Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, der Kläger habe unabhängig davon, ob die geplanten Tiefflugübungen zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Gebiets führen können, keinen Anspruch darauf, vor der Entscheidung der Beklagten über die Durchführung der Tiefflugübungen beteiligt zu werden, verstoße gegen Bundesrecht. Die nach § 34 BNatSchG durchzuführenden Verfahrensschritte seien auch im Rahmen der luftverkehrsrechtlichen Befugnis der Bundeswehr, gemäß § 30 Abs. 1 LuftVG von den im Luftverkehr einzuhaltenden Mindestflughöhen abzuweichen, geboten. Vor einer gegebenenfalls erforderlichen habitatschutzrechtlichen Abweichungsentscheidung nach § 34 Abs. 3 BNatSchG sei anerkannten Naturschutzvereinigungen gemäß § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG Gelegenheit zur Stellungnahme und zur Einsicht in die einschlägigen Sachverständigengutachten zu geben. Der Umstand, dass das luftverkehrsrechtliche Trägerverfahren ein lediglich behördenintern wirkendes Entscheidungsverfahren sei, das ohne Inanspruchnahme einer besonderen Form erfolgen könne, stehe einer Mitwirkung nicht entgegen.
- 7
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Mit seinem auf die mündliche Verhandlung vom 26. September 2013 ergangenen Urteil hat das Oberverwaltungsgericht - entsprechend dem Hilfsantrag des Klägers - festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, vor Durchführung militärischer Tiefflüge (unter der Flughöhe von 600 m) über dem Vogelschutzgebiet Colbitz-Letzlinger Heide, soweit diese ein Projekt im Sinne des § 34 Abs. 1 BNatSchG darstellen, eine förmliche Verträglichkeitsprüfung durchzuführen, und dass dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben ist, soweit diese Prüfung ergebe, dass die Tiefflüge zu erheblichen Beeinträchtigungen des Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen können. Im Übrigen, d.h. soweit der Kläger - im Hauptantrag - die Feststellung begehrt, dass ihm Mitwirkungsrechte bereits im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung zustehen, hat es die Berufung zurückgewiesen. Vorprüfung und Verträglichkeitsprüfung seien zwei gesonderte, naturschutzrechtlich obligatorische Verfahrensschritte. Gegenüber diesen beiden Verfahrensschritten sei die Abweichungsentscheidung im Sinne des § 34 Abs. 3 BNatSchG ein dritter Verfahrensschritt, der nach der Systematik des § 34 Abs. 1 bis 3 BNatSchG erst dann eröffnet sei, wenn die Verträglichkeitsprüfung zu einem negativen Ergebnis, d.h. zur Feststellung der Unzulässigkeit im Sinne des § 34 Abs. 2 BNatSchG geführt habe. Die Formulierung "vor der Befreiung" in § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG sei so zu verstehen, dass die Beteiligung erst dann beansprucht werden könne, wenn die Behörde das Projekt im Wege einer Abweichungsentscheidung zulassen wolle. Sie mache deutlich, dass das Stellungnahme- und Einsichtsrecht nicht bereits in der Verträglichkeitsprüfung selbst zum Tragen komme. Gegen diese Auslegung könne nicht mit Erfolg eingewandt werden, dass die Voraussetzungen des § 34 Abs. 3 BNatSchG mit denen des § 34 Abs. 1 und 2 BNatSchG in einem "untrennbaren Zusammenhang" stünden. Zwar möge es zutreffen, dass zum Teil ähnliche Fragen zu beantworten seien; identisch seien die Fragen aber nicht. Entgegen der Auffassung des Klägers lasse sich ein Beteiligungsrecht im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung auch nicht unmittelbar aus Art. 6 Abs. 3 oder 4 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl. L 206 S. 7 - FFH-RL -) ableiten. Auch nach Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (sog. Aarhus-Konvention, BGBl. II 2006, 1252 - AK -) sei eine Beteiligung im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung nicht geboten; effektiver Rechtsschutz sei nicht erst dann gewährt, wenn der Kläger über jedes Projekt, das einer Verträglichkeitsprüfung bedürfe, informiert werde.
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Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hat der Senat die Revision zugelassen. Der Kläger hat von dem zugelassenen Rechtsmittel Gebrauch gemacht.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Revision ist nicht begründet. Das Berufungsurteil steht, soweit es mit der Revision noch angegriffen wird, mit Bundesrecht im Einklang (§ 137 Abs. 1 VwGO).
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Das Oberverwaltungsgericht hat festgestellt, dem Kläger stehe ein Mitwirkungsrecht nach § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG nicht bereits im Rahmen der durchzuführenden Verträglichkeitsprüfung nach § 34 Abs. 1 BNatSchG, sondern erst dann zu, wenn diese Prüfung ergebe, dass die Tiefflüge zu erheblichen Beeinträchtigungen des Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen können und deshalb im Wege einer Abweichungsentscheidung zugelassen werden sollen. Hiergegen wendet sich die Revision ohne Erfolg. Tatsächliche Feststellungen dazu, ob es sich bei dem Vogelschutzgebiet über der Colbitz-Letzlinger Heide um ein ausgewiesenes Vogelschutzgebiet handelt, das dem Rechtsregime des § 34 BNatSchG unterliegt, oder ob vielmehr von einem faktischen Vogelschutzgebiet auszugehen ist (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 8. Januar 2014 - 9 A 4.13 - BVerwGE 149, 31
; zu dem insoweit einschlägigen Rechtsregime des Art. 4 Abs. 4 Satz 1 V-RL vgl. BVerwG, Urteil vom 10. April 2013 - 4 C 3.12 - BVerwGE 146, 176 Rn. 12), hat das Oberverwaltungsgericht nicht getroffen. Es hat aber zum Ausdruck gebracht, dass seine rechtlichen Überlegungen nur gelten sollen, "soweit" die Tiefflüge "ein Projekt im Sinne des § 34 Abs. 1 BNatSchG darstellen". Zu Recht ist das Oberverwaltungsgericht davon ausgegangen, dass der Kläger nach § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG erst auf der Stufe einer gegebenenfalls erforderlichen habitatschutzrechtlichen Abweichungsentscheidung gemäß § 34 Abs. 3 bis 5 BNatSchG zur Mitwirkung berechtigt ist (1.). Die vom Kläger begehrte Mitwirkung auf der Stufe der Verträglichkeitsprüfung nach § 34 Abs. 1 BNatSchG ist auch unionsrechtlich weder gewährleistet noch geboten (2.).
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1. § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG räumt dem Kläger Mitwirkungsrechte ein, wenn die geplanten Tiefflüge im Wege einer habitatschutzrechtlichen Abweichungsentscheidung nach § 34 Abs. 3 bis 5 BNatSchG zugelassen oder durchgeführt werden sollen, weil die gemäß § 34 Abs. 1 BNatSchG gebotene Prüfung der Verträglichkeit des Projekts mit den Erhaltungszielen eines Natura 2000-Gebiets (im Folgenden: Verträglichkeitsprüfung) ergeben hat, dass die Tiefflüge zu erheblichen Beeinträchtigungen des Vogelschutzgebiets führen können und deshalb nach § 34 Abs. 2 BNatSchG ohne Abweichungsentscheidung unzulässig sind.
- 12
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Gemäß § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG ist einer nach § 3 UmwRG von einem Land anerkannten, landesweit tätigen Naturschutzvereinigung Gelegenheit zur Stellungnahme und zur Einsicht in die einschlägigen Sachverständigengutachten zu geben unter anderem "vor der Erteilung von Befreiungen von Geboten und Verboten zum Schutz von... Natura 2000-Gebieten ..., auch wenn diese durch eine andere Entscheidung eingeschlossen oder ersetzt werden". In seinem Urteil vom 10. April 2013 - 4 C 3.12 - (BVerwGE 146, 176 Rn. 22) hatte sich der Senat bereits dahingehend festgelegt, dass die in § 34 Abs. 2 BNatSchG für den Fall einer erheblichen Beeinträchtigung eines Gebiets angeordnete Unzulässigkeit des Projekts ein "Verbot" im Sinne des § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG ist, und dass eine Abweichungsentscheidung nach § 34 Abs. 3 bis 5 BNatSchG, mit der die Unzulässigkeit nach § 34 Abs. 2 BNatSchG überwunden werden kann, unter den Begriff der "Befreiung" fällt.
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Das Urteil vom 10. April 2013 - 4 C 3.12 - (BVerwGE 146, 176) enthält ferner die Aussage, dass anerkannten Naturschutzvereinigungen gemäß § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG "vor einer gegebenenfalls erforderlichen habitatschutzrechtlichen Abweichungsentscheidung" Gelegenheit zur Stellungnahme und zur Einsicht in die einschlägigen Sachverständigengutachten zu geben ist. Der Kläger meint, der Senat habe das Mitwirkungsrecht nicht davon abhängig machen wollen, dass das Projekt nur unter Inanspruchnahme der Abweichungsvoraussetzungen gemäß § 34 Abs. 3 und 4 BNatSchG zugelassen oder durchgeführt werden soll. Diese Interpretation geht fehl. Bezogen auf das in § 34 BNatSchG geregelte System habitatschutzrechtlicher Prüf- und Verfahrensschritte (a) kommt im Wortlaut des § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG zum Ausdruck, dass anerkannten Naturschutzvereinigungen erst dann Gelegenheit zur Stellungnahme und zur Einsicht in die einschlägigen Sachverständigengutachten zu geben ist, wenn ein Projekt im Wege einer Abweichungsentscheidung nach § 34 Abs. 3 bis 5 BNatSchG zugelassen oder durchgeführt - im Sprachgebrauch des § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG also: eine Befreiung von einem "Verbot... zum Schutz von ... Natura 2000-Gebieten" erteilt - werden soll (b). Sinn und Zweck des § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG stehen dem nicht entgegen (c).
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a) Das System habitatschutzrechtlicher Prüf- und Verfahrensschritte, das der Bundesgesetzgeber in § 34 BNatSchG in Umsetzung der FFH-Richtlinie geregelt hat, hat der Senat in seinem Urteil vom 10. April 2013 - 4 C 3.12 - (BVerwGE 146, 176 Rn. 10; vgl. auch Urteile vom 19. Dezember 2013 - 4 C 14.12 - BVerwGE 149, 17 Rn. 27 ff. und vom 18. Dezember 2014 - 4 C 35.13 - NVwZ 2015, 656 Rn. 33) zusammenfassend beschrieben:
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Nach § 34 Abs. 1 BNatSchG sind Projekte vor ihrer Zulassung oder Durchführung auf ihre Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen eines Natura 2000-Gebiets zu überprüfen, wenn sie einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Projekten oder Plänen geeignet sind, das Gebiet erheblich zu beeinträchtigen, und nicht unmittelbar der Verwaltung des Gebiets dienen. Ob die Voraussetzungen einer Pflicht zur Prüfung der Verträglichkeit vorliegen, ist im Rahmen einer Vorprüfung festzustellen. Vorprüfung und Verträglichkeitsprüfung sind habitatschutzrechtlich obligatorische Verfahrensschritte. Ergibt die - nach dem Ergebnis der Vorprüfung erforderliche - Prüfung der Verträglichkeit, dass das Projekt zu erheblichen Beeinträchtigungen des Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen kann, ist es nach § 34 Abs. 2 BNatSchG unzulässig. Abweichend hiervon darf ein Projekt gemäß § 34 Abs. 3 bis 5 BNatSchG nur unter strikter Wahrung der dort beschriebenen, eng auszulegenden Voraussetzungen zugelassen werden. Die Zulassung im Rahmen dieses "Abweichungsregimes" setzt ihrerseits voraus, dass zuvor eine den Anforderungen des § 34 Abs. 1 BNatSchG genügende Verträglichkeitsprüfung durchgeführt wurde, da diese Informationen vermittelt, derer es bedarf, um das Vorliegen der Ausnahmevoraussetzungen festzustellen. Etwaige Mängel der Verträglichkeitsprüfung schlagen auf die Abweichungsentscheidung durch.
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b) Zu Recht hat das Oberverwaltungsgericht angenommen, dass die Formulierung "vor der (Erteilung von) Befreiung(en)" in § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG im Zusammenhang mit § 34 BNatSchG dahin zu verstehen ist, dass eine Naturschutzvereinigung ihre Beteiligung erst dann beanspruchen kann, wenn die zuständige Behörde auf der Grundlage einer Verträglichkeitsprüfung zu dem Ergebnis gelangt ist, dass sie das Projekt nach § 34 Abs. 2 BNatSchG wegen der festgestellten Möglichkeit erheblicher Beeinträchtigungen für unzulässig hält und es deshalb im Wege einer Abweichungsentscheidung nach § 34 Abs. 3 BNatSchG zulassen will.
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Der Einwand des Klägers, aus dem Gesetzeswortlaut ergebe sich (lediglich), dass die Mitwirkung in einem zeitlichen Stadium vor der Entscheidung über die Abweichung zu erfolgen habe, das Gesetz sich aber weder zum Zeitpunkt noch zum Verfahrensstadium der Mitwirkung äußere, greift zu kurz. Dass die Mitwirkung anerkannter Naturschutzvereinigungen der Abweichungsentscheidung zeitlich vorgelagert sein muss, weil eine nachträgliche Mitwirkung ihren Sinn verfehlen würde, liegt auf der Hand und hätte einer Hervorhebung im Gesetzeswortlaut nicht bedurft. Mit der Formulierung "vor der Erteilung von Befreiungen" wollte der Gesetzgeber deshalb nicht lediglich die Zeiträume vor und nach der Entscheidung über die Abweichung voneinander abgrenzen, sondern die sachliche Bezogenheit des Mitwirkungsrechts auf den Verfahrensschritt der Abweichungsentscheidung zum Ausdruck bringen. Hätte der Gesetzgeber das Mitwirkungsrecht anerkannter Naturschutzvereinigungen bereits auf die Verträglichkeitsprüfung beziehen wollen, hätte es nahegelegen, dies im Wortlaut der Vorschrift zum Ausdruck zu bringen.
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Dass anerkannte Naturschutzvereinigungen ihre Mitwirkung nicht bereits im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung beanspruchen können, ergibt sich auch daraus, dass § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG tatbestandlich an Befreiungen von "Verboten zum Schutz von... Natura 2000-Gebieten" anknüpft. Die Unzulässigkeit eines Projekts nach § 34 Abs. 2 BNatSchG ist - wie dargelegt - ein "Verbot" in diesem Sinne. Die Rechtsfolge der Unzulässigkeit tritt nach § 34 Abs. 2 BNatSchG ein, wenn die Prüfung der Verträglichkeit "ergibt", dass das Projekt zu erheblichen Beeinträchtigungen des Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen kann. Das Ergebnis der Verträglichkeitsprüfung steht aber erst fest, wenn diese Prüfung abgeschlossen ist. Folglich sind auch anerkannte Naturschutzvereinigungen erst dann zur Mitwirkung nach § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG berechtigt, wenn die zuständige Behörde das Projekt auf der Grundlage der Verträglichkeitsprüfung nach § 34 Abs. 2 BNatSchG für unzulässig hält und es deshalb im Wege einer Abweichungsentscheidung nach § 34 Abs. 3 BNatSchG zulassen will. Die gegenteilige Auffassung des Klägers hätte zur Folge, dass sich das Mitwirkungsrecht auch auf solche Projekte erstreckte, für die sich im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung herausstellt, dass sie nicht zu erheblichen Beeinträchtigungen des Gebiets führen können und deshalb auch ohne Abweichungsentscheidung zulässig sind. Dem steht der klare Wortlaut des § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG entgegen.
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Gegen die Auffassung des Klägers spricht schließlich auch, dass § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG das Mitwirkungsrecht auf die "Erteilung" von Befreiungen bezieht. Es muss also eine behördliche Entscheidung in Rede stehen, wie sie bei der Abweichung nach § 34 Abs. 3 bis 5 BNatSchG getroffen wird, auch wenn das fachrechtliche Zulassungsverfahren als Trägerverfahren nicht notwendigerweise ein Verwaltungsverfahren im Sinne des § 9 VwVfG, mithin eine nach außen wirkende Tätigkeit der Behörde sein muss (BVerwG, Urteil vom 10. April 2013 - 4 C 3.12 - BVerwGE 146, 176 Rn. 23). Damit steht im Einklang, dass auch die in § 64 BNatSchG geregelten Rechtsbehelfe von Naturschutzvereinigungen ausdrücklich nur gegen "Entscheidungen" nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 und Abs. 2 Nr. 5 bis 7 BNatSchG statthaft sind. Tatbestandlicher Anknüpfungspunkt der durch Klagemöglichkeiten gesicherten Mitwirkungsrechte anerkannter Naturschutzvereinigungen sind also Entscheidungen. Die Verträglichkeitsprüfung indes ist kein behördliches Entscheidungsverfahren, sondern ein naturschutzfachliches Überprüfungsverfahren (BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 - BVerwGE 128, 1 Rn. 61 f.). Auch hinsichtlich der Rechtsfolge, dass ein Projekt, das nach dem Ergebnis der Verträglichkeitsprüfung zu erheblichen Beeinträchtigungen des Gebiets führen kann, nach § 34 Abs. 2 BNatSchG unzulässig ist, bedarf es keiner behördlichen Entscheidung; denn diese Rechtsfolge ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz. Erst wenn die Behörde diese Rechtsfolge überwinden und das Projekt trotz festgestellter oder wegen verbleibender Zweifel jedenfalls nicht auszuschließender (siehe dazu BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 a.a.O. Rn. 62) erheblicher Beeinträchtigungen im Wege des Abweichungsregimes nach § 34 Abs. 3 bis 5 BNatSchG zulassen oder durchführen will, bedarf es einer behördlichen Entscheidung, die nach § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG nicht ergehen soll, ohne dass anerkannte Naturschutzvereinigungen Einsicht in die einschlägigen Sachverständigengutachten nehmen konnten und Gelegenheit erhalten haben, zu den Abweichungsvoraussetzungen Stellung zu nehmen.
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c) Der Zweck des Mitwirkungsrechts wird bei diesem nach Systematik und Wortlaut klaren Auslegungsergebnis nicht verfehlt.
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aa) Soweit der Kläger rügt, das Auslegungsergebnis des Oberverwaltungsgerichts habe zur Folge, dass Naturschutzvereinigungen erst dann beteiligt würden, wenn die Behörde bereits entschieden habe, dass die erforderliche Befreiung erteilt werden soll, beruht diese Rüge auf einer Fehlinterpretation des Berufungsurteils.
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Der Kläger meint, nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts solle die Mitwirkung anerkannter Naturschutzvereinigungen vor der Entscheidung über die Erteilung einer Befreiung erfolgen. Nach der Auslegung des Oberverwaltungsgerichts sei diese Entscheidung im Zeitpunkt der Beteiligung aber von der zuständigen Behörde bereits getroffen worden. Denn danach solle ein Mitwirkungsrecht nur bestehen, wenn die Behörde das Projekt unter den Voraussetzungen des § 34 Abs. 3 BNatSchG zulassen oder durchführen wolle. Mit anderen Worten: Die Entscheidung, das Projekt unter Erteilung einer Befreiung zuzulassen oder durchzuführen, müsse bereits gefallen sein, damit das Mitwirkungsrecht der Vereinigung aktiviert werde. Zwar schließe eine solche Abfolge nicht aus, dass die Behörde ihre Entscheidung vor dem Hintergrund der Stellungnahme der Vereinigung nochmals überdenke. Sie wäre dann aber gehalten, ihre bereits getroffene Entscheidung, das Projekt zuzulassen oder durchführen zu wollen, zu revidieren. Die Vereinigungen hätten damit kein Mitwirkungsrecht vor der Erteilung der Befreiung, sondern müssten im Rahmen ihrer Mitwirkung eine Änderung der bereits vorab von der Behörde getroffenen Entscheidung zu erreichen suchen. Damit hätte das Mitwirkungsrecht der Naturschutzvereinigungen im Habitatschutzrecht eine Sonderstellung gegenüber allen anderen Fallgruppen der Mitwirkungen, die der Vorbereitung behördlicher Entscheidungen dienten.
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Die Bedenken des Klägers greifen nicht durch. Die Gründe des angefochtenen Urteils enthalten keinen Hinweis darauf, dass das Oberverwaltungsgericht der Meinung gewesen sein könnte, die Entscheidung, das Projekt unter Erteilung einer Befreiung zuzulassen oder durchzuführen, müsse bereits gefallen sein, damit das Mitwirkungsrecht der Vereinigung aktiviert werde. Auch die Formulierung, eine Naturschutzvereinigung könne ihre Beteiligung erst dann beanspruchen, wenn die zuständige Behörde als Ergebnis der von ihr durchzuführenden Verträglichkeitsprüfung zu dem Ergebnis gelangt sei, dass sie das Projekt im Sinne des § 34 Abs. 2 BNatSchG für unzulässig halte und es deshalb im Wege einer Abweichungsentscheidung nach § 34 Abs. 3 BNatSchG zulassen bzw. durchführen "will", deutet nicht in diese Richtung. Denn der Willensentschluss, ein Abweichungsverfahren nach § 34 Abs. 3 bis 5 BNatSchG einzuleiten, um die dort beschriebenen Abweichungsvoraussetzungen unter Mitwirkung anerkannter Naturschutzvereinigungen zu prüfen und das Projekt im Falle eines positiven Ergebnisses dieser Prüfung im Wege einer Abweichungsentscheidung zuzulassen, ist mit der am Ende dieses Verfahrens "gegebenenfalls" stehenden Abweichungsentscheidung nicht identisch.
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bb) Es trifft auch nicht zu, dass der Zweck des § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG verfehlt wird, wenn anerkannte Naturschutzvereinigungen erst bei der Prüfung der Abweichungsvoraussetzungen nach § 34 Abs. 3 bis 5 BNatSchG zur Mitwirkung aufgerufen sind.
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Den Zweck der Mitwirkung anerkannter Naturschutzvereinigungen nach § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG hat der Kläger zutreffend beschrieben. Naturschutzvereinigungen bringen ihren naturschutzfachlichen Sachverstand quasi als Verwaltungshelfer in die Vorbereitung behördlicher Entscheidungen ein. Ihre Mitwirkung ist eine die Behörde bei ihrer Entscheidung unterstützende, auf die Einbringung naturschutzfachlichen Sachverstandes zielende "Sachverstandspartizipation" (BVerwG, Urteil vom 10. April 2013 - 4 C 3.12 - BVerwGE 146, 176 Rn. 24), die Vollzugsdefiziten im Bereich des Naturschutzes und der Landschaftspflege entgegenwirken soll (BVerwG, Urteil vom 12. November 1997 - 11 A 49.96 - BVerwGE 105, 348 <350>).
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Dem Kläger ist auch darin zuzustimmen, dass die Verträglichkeitsprüfung eine originär naturschutzfachliche Prüfung ist. Nach § 34 Abs. 1 BNatSchG werden Projekte auf ihre Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen des Natura 2000-Gebiets überprüft. In der Verträglichkeitsprüfung wird untersucht, ob ein Projekt zu erheblichen Beeinträchtigungen des Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen kann. Die Erhaltungsziele und der Schutzzweck eines Gebiets sind am Natur- und Artenschutzrecht ausgerichtet. Unter dem Gesichtspunkt der Sachverstandspartizipation mag es deshalb nicht unsinnig erscheinen, die Mitwirkung anerkannter Naturschutzvereinigungen bereits auf dieser Verfahrensstufe vorzusehen und deren naturschutzfachlichen Sachverstand bereits im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung zu nutzen.
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Richtig ist ferner, dass die für eine Abweichungsentscheidung erforderlichen Prüfschritte in einem engen sachlichen Zusammenhang mit der Verträglichkeitsprüfung stehen. Das hat der Senat in seinem Urteil vom 10. April 2013 - 4 C 3.12 - (BVerwGE 146, 176 Rn. 10 und 20) bestätigt mit der Aussage, die Zulassung eines Projekts im Rahmen des "Abweichungsregimes" setze ihrerseits voraus, dass zuvor eine den Anforderungen des § 34 Abs. 1 BNatSchG genügende Verträglichkeitsprüfung durchgeführt wurde, weil diese die Informationen vermittele, derer es bedarf, um das Vorliegen der Ausnahmevoraussetzungen festzustellen. Das entspricht auch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 16. Februar 2012 -C-182/10 [ECLI:EU:C:2012:82], Solvay - ABl. EU 2012, Nr. C 98, 5-6 Rn. 74 f.), der die Kenntnis der Verträglichkeit als eine unerlässliche Voraussetzung für die Anwendung des Art. 6 Abs. 4 der FFH-RL bezeichnet hat, weil anderenfalls keine der Anwendungsvoraussetzungen dieser Ausnahmeregelung geprüft werden könne.
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Der Zweck der Sachverstandspartizipation wird gleichwohl nicht verfehlt, wenn anerkannte Naturschutzvereinigungen ihren naturschutzfachlichen Sachverstand erst im Rahmen eines gegebenenfalls durchzuführenden Abweichungsverfahrens einbringen können. Auch im Rahmen des Abweichungsverfahrens sind naturschutzfachliche Einschätzungen maßgeblich, und zwar in allen Prüfschritten (siehe hierzu und zum Folgenden noch einmal EuGH, Urteil vom 16. Februar 2012 - C-182/10 - ABl. EU 2012, Nr. C 98, 5-6). Sowohl die Prüfung, ob die Zulassung oder Durchführung des Projekts im Sinne des § 34 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 BNatSchG aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses notwendig ist, als auch die Alternativenprüfung nach § 34 Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG erfordern eine naturschutzfachliche Bewertung und Abwägung der projektbedingten Beeinträchtigungen des Gebiets. Darüber hinaus sind die möglichen Beeinträchtigungen genau zu bestimmen, um die nach § 34 Abs. 5 BNatSchG gegebenenfalls erforderlichen Kohärenzsicherungsmaßnahmen vorsehen zu können. Es kann deshalb keine Rede davon sein, dass die im Abweichungsverfahren zu prüfenden Voraussetzungen - wie der Kläger meint - überwiegend nicht oder nur am Rande naturschutzfachlicher Art sind.
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Zu all diesen naturschutzfachlichen Fragen können Naturschutzvereinigungen nach § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG durch die Abgabe von Stellungnahmen ihren Sachverstand einbringen. Zur Vorbereitung ihrer Stellungnahmen können sie Einsicht in die einschlägigen Sachverständigengutachten nehmen. Das eröffnet ihnen auch die Möglichkeit, sich über die Verträglichkeitsprüfung und die ihr zugrunde liegenden Gutachten und Unterlagen zu informieren. Soweit die darin enthaltenen naturschutzfachlichen Bewertungen für das Vorliegen der Ausnahmevoraussetzungen nach § 34 Abs. 3 bis 5 BNatSchG von Bedeutung sind, können sie diese auch ihrer naturschutzfachlichen Kritik unterziehen, etwa indem sie aus ihrer Sicht fehlende Aspekte ergänzen oder den Bewertungen der Verträglichkeitsprüfung ihre eigenen, hiervon abweichenden Bewertungen gegenüberstellen. Stützt die Behörde ihre Abweichungsentscheidung gleichwohl auf die im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung vorgenommenen Bewertungen, können die mitwirkenden Naturschutzvereinigungen, auch ohne in eigenen Rechten verletzt zu sein, Rechtsbehelfe nach § 64 Abs. 1 BNatSchG einlegen und geltend machen, dass die getroffene Entscheidung wegen unzureichender oder unzutreffender naturschutzfachlicher Annahmen den Vorschriften des Naturschutzrechts widerspricht und deshalb aufzuheben ist.
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Die auf den Wortlaut gestützte Auslegung bedarf deshalb nach Sinn und Zweck des § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG keiner Korrektur. Im Wortlaut der Vorschrift bringt der Gesetzgeber klar und unmissverständlich zum Ausdruck, worum es ihm geht: Wenn eine projektbedingte erhebliche Beeinträchtigung eines FFH- oder Vogelschutzgebiets bereits feststeht oder im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung jedenfalls nicht ausgeschlossen werden konnte, sieht er den naturschutzfachlichen Sachverstand der Naturschutzvereinigungen in besonderer Weise gefordert. Deshalb soll eine behördliche Abweichungsentscheidung, mit der die Behörde das Projekt trotz seiner erheblich beeinträchtigenden Wirkung zulassen und das gesetzliche Verbot nach § 34 Abs. 2 BNatSchG überwinden kann, nicht ergehen, ohne dass anerkannte Naturschutzvereinigungen Gelegenheit erhalten haben, ihren naturschutzfachlichen Sachverstand einzubringen und auf diese Weise Vollzugsdefiziten in diesem für die Erhaltungsziele des Gebiets besonders sensiblen Verfahrensschritt entgegenzuwirken. Effektive Sachverstandspartizipation ist in diesem Verfahrensstadium möglich. Sie kommt auch nicht zu spät, denn bindende Vorentscheidungen für das Abweichungsverfahren werden in der Verträglichkeitsprüfung nicht getroffen.
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Demgegenüber sieht das Gesetz eine Sachverstandspartizipation bereits auf der Ebene der Verträglichkeitsprüfung von vornherein nicht vor. Deshalb ist der Gesetzeszweck auch nicht berührt, wenn mit der Verträglichkeitsprüfung aus der Sicht der Behörde der Nachweis geführt wurde, dass von dem Projekt keine erheblichen Beeinträchtigungen des Gebiets ausgehen können. Dem Kläger ist allerdings zuzugeben, dass anerkannte Naturschutzvereinigungen in diesen Fällen vor der Zulassung oder Durchführung des Projekts nicht zu Wort kommen. Eine Naturschutzvereinigung kann sich aber - wie auch im vorliegenden Fall - nachträglich Gehör verschaffen, indem sie Rechtsschutz in Anspruch nimmt und geltend macht, dass die Behörde das Projekt in rechtswidriger Weise ohne Abweichungsentscheidung zugelassen und damit Mitwirkungsrechte unterlaufen habe (BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 2013 - 4 C 14.12 - BVerwGE 149, 17 Rn. 26).
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2. Unionsrecht vermittelt dem Kläger ebenfalls keinen Anspruch, bereits im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung beteiligt zu werden.
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a) Zu Unrecht macht der Kläger geltend, die vom Oberverwaltungsgericht vorgenommene einschränkende Auslegung des § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG sei mit Art. 9 Abs. 3 und 4 AK in seiner Funktion als Auslegungsregel nicht vereinbar. Art. 9 Abs. 3 und 4 AK gebietet nicht, § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG dahin auszulegen, dass anerkannten Naturschutzvereinigungen im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes bereits im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung Gelegenheit zur Mitwirkung zu geben ist.
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Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 8. März 2011 - C-240/09 [ECLI:EU:C:2002:296],
- Slg. 2011, I-1255) hat Art. 9 Abs. 3 AK im Unionsrecht keine unmittelbare Wirkung. Der Europäische Gerichtshof gibt den Gerichten der Mitgliedstaaten jedoch auf, Umweltverbänden nach Maßgabe interpretationsfähiger Vorschriften des nationalen Rechts einen möglichst weiten Zugang zu den Gerichten zu ermöglichen, um so die Durchsetzung des Umweltrechts der Union zu gewährleisten (BVerwG, Urteil vom 5. September 2013 - 7 C 21.12 - BVerwGE 147, 312 Rn. 25). Die Gerichte der Mitgliedstaaten haben "das Verfahrensrecht in Bezug auf die Voraussetzungen, die für die Einleitung eines verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Überprüfungsverfahrens vorliegen müssen, so weit wie möglich im Einklang sowohl mit den Zielen von Art. 9 Abs. 3 AK als auch mit dem Ziel eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes für die durch das Unionsrecht verliehenen Rechte auszulegen, um es einer Umweltschutzvereinigung... zu ermöglichen, eine Entscheidung, die am Ende eines Verwaltungsverfahrens ergangen ist, das möglicherweise im Widerspruch zum Umweltrecht der Union steht, vor einem Gericht anzufechten" (EuGH, Urteil vom 8. März 2011 a.a.O.; vgl. hierzu Berkemann, DVBl 2013, 1137, <1147>).
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Zu einer erweiternden Auslegung des § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG zwingt Art. 9 Abs. 3 und 4 AK bereits deshalb nicht, weil die Vorschrift nicht im Sinne des klägerischen Begehrens interpretationsfähig ist. Wie dargelegt, widerspräche eine Auslegung, derzufolge anerkannte Naturschutzvereinigungen bereits im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung zur Mitwirkung berechtigt wären, dem im Wortlaut des § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG klar und unmissverständlich zum Ausdruck kommenden Willen des Bundesgesetzgebers. Mangels entsprechender Interpretationsspielräume sind die nationalen Gerichte deshalb nach Art. 9 Abs. 3 und 4 AK weder gehalten noch berechtigt, das Mitwirkungsrecht nach § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG auf die Verträglichkeitsprüfung vorzuverlagern, selbst wenn anerkannte Naturschutzvereinigungen - wie vom Kläger behauptet - hierdurch in noch effektiverer Weise mitwirken könnten. Denn eine Auslegung contra legem fordert das Unionsrecht nicht (BVerwG, Urteil vom 5. September 2013 - 7 C 21.12 - BVerwGE 147, 312 Rn. 36).
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Abgesehen davon ist effektiver Rechtsschutz im Sinne des Art. 9 Abs. 3 und 4 AK auch auf der Grundlage der nach § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG bundesrechtlich eingeräumten Mitwirkungsrechte gewährleistet. Die vom Europäischen Gerichtshof (Urteil vom 8. März 2011 - C-240/09 - Slg. 2011, I-1255) konstatierte Pflicht der Gerichte der Mitgliedstaaten, das Verfahrensrecht in Bezug auf die Voraussetzungen, die für die Einleitung eines verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Überprüfungsverfahrens vorliegen müssen, so weit wie möglich im Einklang sowohl mit den Zielen von Art. 9 Abs. 3 AK als auch mit dem Ziel eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes für die durch das Unionsrecht verliehenen Rechte auszulegen, knüpft an eine "Entscheidung, die am Ende eines Verwaltungsverfahrens ergangen ist", an. Eine Entscheidung in diesem Sinne ist die in § 34 Abs. 3 bis 5 BNatSchG normierte Abweichungsentscheidung, mit der ein Projekt unter strikter Wahrung der dort geregelten, eng auszulegenden Voraussetzungen (EuGH, Urteil vom 20. September 2007 - C-304/05 [ECLI:EU:C:2007:532] - Slg. 2007, I-7495 Rn. 83 = NuR 2007, 679) abweichend von § 34 Abs. 2 BNatSchG zugelassen werden kann. Effektiver Rechtsschutz gegen diese Abweichungsentscheidung erfordert nicht, dass anerkannte Naturschutzvereinigungen bereits an der Verträglichkeitsprüfung zu beteiligen wären. Führt die zuständige Behörde ein Abweichungsverfahren durch, können anerkannte Naturschutzvereinigungen, die sich im Rahmen des § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG in der Sache geäußert haben oder denen keine Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden ist, gemäß § 64 Abs. 1 BNatSchG - wie dargelegt - auch ohne eigene Rechtsverletzung gegen die Abweichungsentscheidung Rechtsbehelfe einlegen und geltend machen, dass die Entscheidung Vorschriften des Naturschutzrechts widerspricht. Effektiver Rechtsschutz ist auch gewährleistet, wenn ein Projekt ohne Abweichungsentscheidung zugelassen oder durchgeführt wird. Denn in diesem Fall kann eine Naturschutzvereinigung geltend machen, dass das Projekt nur im Wege einer mitwirkungspflichtigen Abweichungsentscheidung hätte zugelassen werden dürfen, sei es, weil eine Verträglichkeitsprüfung zu Unrecht nicht durchgeführt wurde, sei es, weil eine durchgeführte Prüfung zu Unrecht zum Ergebnis der Verträglichkeit des Projekts gelangt ist oder die Behörde trotz festgestellter Unverträglichkeit in rechtswidriger Weise von der Durchführung eines Abweichungsverfahrens abgesehen hat (siehe BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 2013 - 4 C 14.12 - BVerwGE 149, 17 Rn. 26).
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Soweit der Kläger geltend macht, ohne Kenntnis von Inhalt und Ergebnis der Verträglichkeitsprüfung sowie gegebenenfalls von der Behörde verfügter schadensvermeidender oder -mindernder Maßnahmen seien Naturschutzvereinigungen zur Verhinderung von Beeinträchtigungen gehalten, Eilrechtsschutz auch in denjenigen Fällen zu beantragen, in denen das Ergebnis der Verträglichkeitsprüfung richtig sei, wegen des damit verbundenen finanziellen Risikos sei ihnen dies aber in vielen Fällen nicht zumutbar, weist die Beklagte zu Recht darauf hin, dass dieser Vortrag im Kern auf den Zugang zu Umweltinformationen zielt und nicht auf die Einräumung von - vorliegend streitigen - Mitwirkungsrechten. Im Übrigen wird das vom Kläger angesprochene Problem effektiven Rechtsschutzes durch ausreichenden Informationszugang wohl nur in Ausnahmefällen auftreten, etwa dann, wenn die Entscheidung über die Zulassung oder Durchführung des Projekts - wie hier im Rahmen eines luftverkehrsrechtlichen Trägerverfahrens - ohne ein Trägerverfahren mit zwingender Öffentlichkeitsbeteiligung behördenintern getroffen wird.
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Letztlich ist die Verträglichkeitsprüfung für sich genommen auch kein möglicher Gegenstand von Rechtsbehelfen. Sie ist keine auf Rechtsfolgen gerichtete "Entscheidung" und erfüllt damit weder die tatbestandlichen Voraussetzungen nach § 64 Abs. 1 BNatSchG noch diejenigen nach Art. 9 Abs. 3 AK. Sie ist - wie dargelegt - zwar ein obligatorischer habitatschutzrechtlicher Verfahrensschritt (BVerwG, Urteil vom 10. April 2013 - 4 C 3.12 - BVerwGE 146, 176 Rn. 10), aber - anders als die Abweichungsentscheidung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL und § 34 Abs. 3 bis 5 BNatSchG - lediglich ein naturschutzfachliches Überprüfungsverfahren. Ergibt die Prüfung, dass das Projekt zu erheblichen Beeinträchtigungen des Gebiets führen kann, ist es nach § 34 Abs. 2 BNatSchG - vorbehaltlich der Möglichkeit, es nach § 34 Abs. 3 bis 5 BNatSchG im Wege einer Abweichungsentscheidung zuzulassen - unzulässig. Diese Rechtsfolge ergibt sich - wie dargelegt - unmittelbar aus dem Gesetz, einer behördlichen Entscheidung bedarf es hierfür nicht.
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b) Einen Widerspruch zu Art. 6 Abs. 1 Buchst. b i.V.m. Abs. 4 AK hat das Oberverwaltungsgericht ebenfalls zu Recht verneint.
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Nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. b Satz 1 AK wendet jede Vertragspartei "diesen Artikel" in Übereinstimmung mit ihrem innerstaatlichen Recht auch auf Entscheidungen über nicht in Anhang 1 aufgeführte (sonstige) geplante Tätigkeiten an, die erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben können. Nicht anders als bei Art. 9 Abs. 3 und 4 AK betreffen die in Art. 6 AK enthaltenen Regeln über die Öffentlichkeitsbeteiligung nur "Entscheidungen". Die Verträglichkeitsprüfung, an der der Kläger beteiligt werden möchte, erfüllt diese Voraussetzung - wie dargelegt - nicht. Zum anderen ist in Satz 2 der Vorschrift geregelt, dass die Vertragsparteien zu diesem Zweck bestimmen, ob dieser Artikel Anwendung auf eine derartige geplante Tätigkeit findet. Ein entsprechender innerstaatlicher Rechtsanwendungsbefehl fehlt jedoch. Abgesehen davon bleibt § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG auch inhaltlich nicht hinter Art. 6 Abs. 4 AK zurück, wonach jede Vertragspartei für eine frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung zu einem Zeitpunkt sorgt, zu dem alle Optionen noch offen sind und eine effektive Öffentlichkeitsbeteiligung stattfinden kann. Denn - wie dargelegt - stehen anerkannten Naturschutzvereinigungen auch nach Abschluss der Verträglichkeitsprüfung noch alle Möglichkeiten offen, auf das Ergebnis der Abweichungsentscheidung durch Einbringung naturschutzfachlichen Sachverstandes Einfluss zu nehmen.
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c) Ein Recht anerkannter Naturschutzvereinigungen auf Mitwirkung bereits während der Verträglichkeitsprüfung lässt sich schließlich auch nicht aus Art. 6 Abs. 3 FFH-RL herleiten.
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Die Vorschrift bestimmt in ihrem Satz 1, dass Pläne oder Projekte, die ein FFH-Gebiet erheblich beeinträchtigen könnten, eine Prüfung auf Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen erfordern. "Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung" und vorbehaltlich der Möglichkeit einer Abweichungsentscheidung nach Absatz 4 stimmen die zuständigen Behörden dem Plan bzw. Projekt nach Satz 2 der Vorschrift nur zu, "wenn sie festgestellt haben, dass das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird, und nachdem sie gegebenenfalls die Öffentlichkeit angehört haben." Aus dieser Formulierung folgt nicht, dass die Öffentlichkeit bereits während der Verträglichkeitsprüfung angehört werden müsste. Zu Recht hat das Oberverwaltungsgericht daher angenommen, dass im Wortlaut des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL - nicht anders als in § 34 Abs. 1 bis 3 BNatSchG - die Mehrstufigkeit der habitatschutzrechtlichen Prüf- und Verfahrensschritte klar zum Ausdruck kommt, und dass sich die in Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL erwähnte Anhörung der Öffentlichkeit - ebenso wie in § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG - nicht bereits auf die Verträglichkeitsprüfung, sondern erst auf die Zulassungsentscheidung bezieht. Mit dem Prüfschritt der Verträglichkeitsprüfung beschäftigt sich Satz 1 der Vorschrift. Die Regelung in Satz 2 betrifft demgegenüber ausweislich der Formulierung "Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung" insgesamt ein Verfahrensstadium, in dem die Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung bereits vorliegen, diese Prüfung also abgeschlossen ist. Deshalb ist auch der in Satz 2 enthaltene Hinweis auf eine "gegebenenfalls" anzuhörende Öffentlichkeit ersichtlich auf Zulassungsentscheidungen bezogen, die nach Abschluss der Verträglichkeitsprüfung zu treffen sind.
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Entgegen der Ansicht des Klägers hat dieses Auslegungsergebnis nicht zur Folge, dass Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL "funktionslos" oder nicht anwendbar wäre. Richtig ist zwar, dass Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL nur Fälle betrifft, in denen die Verträglichkeitsprüfung ergeben hat, dass das Projekt nicht zu erheblichen Beeinträchtigungen der Erhaltungsziele des Gebiets führen kann, und dass das Projekt deshalb einer Abweichungsentscheidung nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL bzw. § 34 Abs. 3 bis 5 BNatSchG nicht bedarf mit der weiteren Folge, dass auch eine Mitwirkung anerkannter Naturschutzvereinigungen nach § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG ausscheidet. Dass die Öffentlichkeit in diesen Fällen gleichwohl "gegebenenfalls" anzuhören sein kann, ergibt sich indes bereits daraus, dass das jeweilige Zulassungsverfahren als Trägerverfahren der habitatschutzrechtlichen Prüf- und Verfahrensschritte eine Öffentlichkeitsbeteiligung erfordern kann. Schon von daher kann der Kläger aus seiner Behauptung, die Anhörung der Öffentlichkeit dürfe nach Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL jedenfalls nicht generell ausgeschlossen werden, nichts für eine vorgezogene Mitwirkung bereits im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung herleiten, desgleichen nicht aus der besonderen Rolle, die das gemeinschaftliche Umweltrecht der Öffentlichkeitsbeteiligung einräumt (dazu Epiney, in: Epiney/Gammenthaler
, Das Rechtsregime der Natura 2000-Schutzgebiete, 2009, S. 117, m.w.N.). Dieses nach Systematik und Wortlaut des Unionsrechts klare Auslegungsergebnis wird auch durch die Begründung des Regierungsentwurfs zu § 59 Abs. 2 Nr. 3 BNatSchG 2002 (BT-Drs. 14/6378 S. 60 Spalte 2) - der Vorgängervorschrift des § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG - ersichtlich nicht in Frage gestellt, wonach die Einbeziehung ausgewiesener Schutzgebiete "auch der in Art. 6 Abs. 3 Satz 2 der FFH-RL angesprochenen Beteiligung der Öffentlichkeit" entspreche.
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Eine vom Kläger angeregte Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs gemäß Art. 267 AEUV war angesichts des auch unionsrechtlich klaren Auslegungsergebnisses nicht veranlasst.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Tatbestand
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Gegenstand des Rechtsstreits ist die Festlegung von Flugverfahren.
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Der Kläger, eine bundesweit tätige, nach § 3 Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz - UmwRG - anerkannte Umweltschutzvereinigung, wendet sich gegen die Abflugverfahren GERGA 1 A, TUVAK 1 A und DEXUG 1 A, die das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung (BAF) der Beklagten in der 247. Durchführungsverordnung zur Luftverkehrs-Ordnung (Festlegung von Flugverfahren für An- und Abflüge nach Instrumentenflugregeln zum und vom Flughafen Berlin Brandenburg) vom 10. Februar 2012 (BAnz S. 1086) in der derzeit gültigen Fassung der 3. Änderungsverordnung vom 23. Oktober 2013 (BAnz AT 25.10.2013 V1) festgesetzt hat. Die Verfahren, die für den Westbetrieb von der Startbahn 25 R (Nordbahn) bestimmt sind, führen zwischen den Streckenpunkten DB 241 und DB 243 ca. 3 km östlich an dem Gelände des Helmholtz-Zentrums Berlin in Berlin Wannsee vorbei, auf dem sich der Forschungsreaktor BER II (Berliner-Experimentier-Reaktor II), eine Lagerhalle für Brennelemente sowie die Landessammelstelle für klein- und mittelradioaktive Abfälle befinden. Das Oberverwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
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Die Klage sei als Feststellungsklage zulässig. Der Kläger sei gemäß § 2 Abs. 1 UmwRG klagebefugt. Die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung bzw. Vorprüfung des Einzelfalls sei zwar bei der Festsetzung von An- und Abflugverfahren im deutschen Recht nicht ausdrücklich vorgesehen. Es könne jedoch schon angesichts eines von der Europäischen Kommission gegen die Beklagte eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahrens als nicht nach jeder Betrachtungsweise ausgeschlossen angesehen werden, dass die wirkungsbezogen konzipierte UVP-Richtlinie gemeinschaftsrechtlich zumindest eine ergänzende Umweltverträglichkeitsprüfung fordere, falls im vorgelagerten nationalen Planfeststellungsverfahren keine (abschließende) Untersuchung der Umweltauswirkungen einer bestimmten - von der Grobplanung unstreitig abweichend festgesetzten - Flugroute erfolgt sein sollte. Mit Blick auf den für die Darlegung der Klagebefugnis hinreichend substantiierten Vortrag der Klägerin, wonach die von der hier angegriffenen Wannsee-Route betroffenen FFH- und SPA-Gebiete nicht von der im Planfeststellungsverfahren durchgeführten Umweltverträglichkeitsprüfung erfasst gewesen seien, sei es unter Berücksichtigung des Effektivitätsgebots (Art. 4 Abs. 3 EUV) möglich, dass eine Pflicht zur Lückenschließung bestehe. Ob eine - unterstellte - Prüfungslücke gegebenenfalls im Flugroutenfestsetzungsverfahren oder in einem ergänzenden Planfeststellungsverfahren zu schließen wäre, sei eine rechtlich komplexe Fragestellung, die im Rahmen der Begründetheitsprüfung zu entscheiden sei. Es bestünden auch keine Bedenken gegen die Klagebefugnis des Klägers hinsichtlich der von ihm gerügten unterlassenen FFH-Prüfung. Ob eine Flugroutenfestsetzung geeignet sei, Gebiete im Sinne des § 34 Abs. 2 BNatSchG in ihren für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen erheblich zu beeinträchtigen, sei offen, weil der Projektbegriff des § 34 BNatSchG noch nicht geklärt sei. Ob dem Kläger wegen der von ihm behaupteten Fehlgewichtung der ruhigen Gebiete, die in den Lärmaktionsplänen des Landes Berlin sowie der Gemeinden Kleinmachnow und Teltow dargestellt seien, eine Klagemöglichkeit zustehe, könne dahinstehen, weil die Rüge in der Sache nicht durchgreife.
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Die Klage sei unbegründet. Die Festsetzung der Flugrouten zwischen den Streckenpunkten DB 241 und DB 243 sei rechtlich nicht zu beanstanden.
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Weder nach nationalem Recht noch nach Unionsrecht bestehe für die dem Bau eines Flughafens nachgelagerte Festlegung von Flugverfahren eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung. Werde ein Flugverfahren festgelegt, das von der im Planfeststellungsverfahren für den Bau eines Flughafens vorzunehmenden Grobplanung von Flugrouten abweiche, erkennbar nicht von der planerischen Festsetzung getragen sei und auf das sich die erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung nicht erstreckt habe, sei die Umweltverträglichkeitsprüfung nicht im Verfahren der Flugroutenbestimmung nachzuholen, sondern sei die Festlegung bis zu einer etwaigen planungsrechtlichen „Nachbesserung“ rechtswidrig. Ein derartiger Verstoß lasse sich mit Blick auf die angegriffenen Flugverfahren nicht feststellen. Der bestandskräftig gewordene Planfeststellungsbeschluss für den Ausbau des Flughafens Berlin-Schönefeld löse mit der vorgenommenen Umweltverträglichkeitsprüfung für den Bau des Flugplatzes und dessen (flug-)betriebsbedingte Wirkungen auch die Konflikte, die durch die von der Grobplanung abweichende Festsetzung der Wannsee-Route hervorgerufen würden. Die Umweltverträglichkeitsprüfung im Rahmen der Planfeststellung habe sich auf alle wesentlichen Parameter bezogen und diese in einer Weise untersucht, dass die Ergebnisse auch für die von der Wannsee-Route ausgehenden Umweltfolgen aussagekräftig seien. U.a. könnten im Hinblick auf die Schutz- und Erhaltungsziele der Schutzgebiete des europäischen Netzes Natura 2000 erhebliche neue oder veränderte Beeinträchtigungen gemäß Art. 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie durch das angegriffene Flugverfahren ausgeschlossen werden. Als Untersuchungsraum für die Vorprüfung sei hinsichtlich der Auswirkungen durch Fluglärm und Überflug der Flächenumgriff der am weitesten reichenden Auswirkungen des Vorhabens auf das Schutzgut Tiere und Pflanzen innerhalb der 47 dB(A)-Schallisophone 20XX zugrunde gelegt. Die hier in Rede stehenden Gebiete (Teltowkanalaue, Pfaueninsel, Grunewald, Westlicher Düppeler Forst) lägen außerhalb dieses Bereichs. Das Risiko von Flugzeugabstürzen über dem Forschungsreaktor BER II auf dem Gelände des Helmholtz-Zentrums und die sich daraus ergebenden Auswirkungen für die Umwelt hätten nicht in die Umweltverträglichkeitsprüfung einbezogen werden müssen. Dieses Risiko zähle nicht zu den Umweltauswirkungen des Vorhabens im Sinne der UVP-Richtlinie. Da jeder Flugzeugunfall zwangsläufig Beeinträchtigungen der Umwelt zur Folge habe, würde die Einbeziehung derartiger Szenarien zu einer in der Richtlinie nicht angelegten Ausweitung der im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung zu betrachtenden Umweltauswirkungen auf sicherheitsspezifische Fragestellungen führen.
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Ohne Erfolg mache der Kläger geltend, die Beklagte habe bei der Festsetzung der angegriffenen Flugrouten den Schutz ruhiger Gebiete im Land Berlin sowie in den Gemeinden Kleinmachnow und Teltow außer Acht gelassen. Gegen den vom BAF aus Gründen des Gesundheitsschutzes generell angenommenen Gewichtungsvorrang des Lärmschutzes der Siedlungsgebiete vor dem Lärmschutz für Erholungsgebiete und ruhige Gebiete sei nichts zu erinnern. Ein Verschlechterungsverbot, das ruhige Gebiete absolut gegen eine Lärmzunahme schütze, bestehe nicht. Es gebe auch kein dahin gehendes Optimierungsgebot, dass im Rahmen der Lärmverteilung durch die Beklagte dem der Lärmaktionsplanung zugrunde liegenden Ziel, eine Zunahme des Lärms in den ruhigen Gebieten zu verhindern, bestmöglich Rechnung zu tragen sei. Der dort zu erwartende Lärm liege weitestgehend unterhalb eines Dauerschallpegels von 45 dB(A) tags und 40 dB(A) nachts und damit unterhalb der gemäß § 14 Fluglärmschutzgesetz - FluglärmG - anwendbaren Werte des § 2 Abs. 2 FluglärmG.
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Der Kläger hat die vom Oberverwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassene Revision eingelegt, mit der er seinen Klageantrag weiterverfolgt, die Rechtswidrigkeit der 247. Durchführungsverordnung zur Luftverkehrs-Ordnung in der derzeit gültigen Fassung festzustellen, soweit darin bei Benutzung der Startbahn 25 R Abflugverfahren über den Streckenpunkt DB 243 festgelegt sind. Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
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Die Revision ist unbegründet. Das vorinstanzliche Urteil ist im Ergebnis mit Bundesrecht vereinbar.
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1. Das Oberverwaltungsgericht ist der Frage nachgegangen, ob einzelne der vom Kläger geltend gemachten Klagegründe bereits im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit der Klage ausgeschieden werden müssen. Sein rechtlicher Ansatz ist richtig, weil der Umfang der gerichtlichen Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Flugroutenbestimmung im Rahmen der Prüfung der Begründetheit der Klage davon abhängt, ob die Klage als Rechtsbehelf nach dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz - UmwRG -, dem Bundesnaturschutzgesetz - BNatSchG - oder allein der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - zu behandeln ist (vgl. § 2 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 UmwRG, § 64 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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a) Zu Unrecht hat das Oberverwaltungsgericht allerdings angenommen, dass der Kläger gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG verbandsklagebefugt ist. Nach dieser Vorschrift kann eine anerkannte inländische oder ausländische Vereinigung, ohne eine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen zu müssen, Rechtsbehelfe nach Maßgabe der Verwaltungsgerichtsordnung gegen eine Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 UmwRG, also eine Entscheidung über die Zulässigkeit von Vorhaben, für die nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung bestehen kann, oder deren Unterlassen einlegen, wenn sie geltend macht, dass die Entscheidung oder deren Unterlassen Rechtsvorschriften widerspricht, die dem Umweltschutz dienen und für die Entscheidung von Bedeutung sein können. Die Klagebefugnis lässt sich nicht mit der Erwägung bejahen, es sei nicht von vornherein ausgeschlossen, dass für die Festlegung von Flugverfahren eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung bestehen könne. Diese der sogenannten Möglichkeitstheorie zur Klagebefugnis entlehnte Formulierung verfehlt den rechtlichen Maßstab (Urteil vom 19. Dezember 2013 - BVerwG 4 C 14.12 - BVerwGE 149, 17 Rn. 8). Das Gesetz fordert für einen Rechtsbehelf nach § 2 Abs. 1 UmwRG einen tauglichen Gegenstand, allein die Möglichkeit dessen Vorliegens reicht schon nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht aus. Für die Möglichkeitstheorie ist im Rahmen des § 2 Abs. 1 UmwRG nur Raum, wo das Gesetz eine „Geltendmachung“ durch den Kläger fordert und ausreichen lässt. Dies bestätigt der Vergleich mit § 42 Abs. 2 VwGO. Die Vorschrift lässt es genügen, wenn ein Kläger „geltend macht“, in eigenen Rechten verletzt zu sein. An diese Formulierung knüpft die Möglichkeitstheorie zur Klagebefugnis an.
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aa) Die Klage ist, soweit sie auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG gestützt wird, mangels tauglichen Gegenstands bereits unstatthaft. Denn die Festlegung von Flugverfahren gehört nicht zu den Entscheidungen, für die nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung - UVPG - eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung bestehen kann (Urteil vom 19. Dezember 2013 a.a.O. Rn. 11 ff., Urteil vom 26. Juni 2014 - BVerwG 4 C 3.13 - LKV 2014, 460 Rn. 32).
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Eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung folgt namentlich nicht aus § 3b Abs. 1 Satz 1 UVPG. Die Festlegung eines Flugverfahrens ist keine Entscheidung über den Bau eines Flugplatzes im Sinne der Begriffsbestimmungen des Abkommens von Chicago von 1944 zur Errichtung der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation (Anhang 14) (Anlage 1 Nummer 14.12 zum UVPG).
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Das Unionsrecht teilt diese Sichtweise. Nach Art. 4 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl EG Nr. L 175 S. 40), neu kodifiziert durch die Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl EU Nr. L 26 S. 1 - UVP-Richtlinie, UVP-RL -), werden Projekte des Anhangs I grundsätzlich einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen; bei Projekten des Anhangs II bestimmen die Mitgliedstaaten anhand einer Einzelfalluntersuchung oder von ihnen festgelegter Schwellenwerte bzw. Kriterien, ob das Projekt einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden muss. Der Begriff des Projekts wird in Art. 1 Abs. 2 Buchst. a UVP-RL definiert als die Errichtung von baulichen oder sonstigen Anlagen und sonstige Eingriffe in Natur und Landschaft. Durch Anhang I Nr. 7a und Anhang II Nr. 10 der UVP-RL erfährt er eine Beschränkung auf die Errichtung baulicher Anlagen, weil lediglich der Bau eines Flughafens der Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterworfen ist oder sein kann. Diesem Projektbegriff entspricht eine Tätigkeit nur, wenn sie mit Arbeiten oder Eingriffen zur Anlegung oder Änderung des materiellen Zustands des Flughafens einhergeht (EuGH, Urteil vom 17. März 2011 - Rs. C-275/09 - Slg. 2011, I-1753 Rn. 24 und 30). Flugkorridore und ihre Zuordnung zu bestehenden Start- und Landebahnen sind nicht erfasst (vgl. die Antwort der Kommission vom 2. August 2002 auf die schriftlichen Anfragen E-2022/02 und E-2023/02 - ABl EU Nr. C 52 E S. 122). De lege lata bestätigt sieht sich der Senat durch den Umstand, dass der Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit des Europäischen Parlaments in seinem Bericht vom 22. Juli 2013 - Az.: A7-0277/2013 - zur Neufassung der Richtlinie 85/337/EWG - erfolglos - gefordert hat, die „Festlegung der An- und Abflugstrecken von Flugplätzen ab der bzw. bis zur Streckennetzanbindung“ in die Liste der obligatorisch UVP-pflichtigen Projekte aufzunehmen (http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//NONSGML+REPORT+A7-2013-0277+0+DOC+PDF+V0//DE, S. 63, 64).
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Der Senat hat zur Kenntnis genommen, dass die Europäische Kommission im Mai 2013 ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 Abs. 1 AEUV eingeleitet hat, weil die bundesdeutsche Rechtslage, nach der die Festlegung von Flugverfahren keiner vorherigen Umweltverträglichkeitsprüfung bedarf, mit der Richtlinie 85/337/EWG nicht vereinbar sei, und der Bundesrepublik Deutschland Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat. Welchen Verlauf das Verfahren nehmen wird, ist offen. In der Sache ist die innerstaatliche Rechtslage unionsrechtskonform. Das ergibt sich aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 17. März 2011 (a.a.O.). Einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nach Art. 267 Abs. 1 AEUV bedarf es deshalb nicht (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - Rs. C-283/81 - Slg. 1982, I-3415 Rn. 14).
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Von der Definition des Begriffs „Bau eines Flugplatzes“ zu trennen ist die Frage, inwieweit die Umweltverträglichkeitsprüfung bei der Planfeststellung eines Flughafens Flugverfahren einbeziehen muss. Sie ist in der Rechtsprechung des Senats in dem Sinne geklärt, dass eine detaillierte Ermittlung und Beschreibung der betriebsbedingten Auswirkungen des Vorhabens in der Regel nur für die der Planfeststellung zugrunde gelegte, mit dem BAF oder der Deutschen Flugsicherung GmbH (DFS) abgestimmte Grobplanung der Flugrouten erforderlich ist und dass es darüber hinaus notwendig, regelmäßig aber auch ausreichend ist, dass die Umweltverträglichkeitsprüfung die im Rahmen der Abwägung zu treffende Entscheidung vorbereitet, ob sich die Zulassung des Vorhabens nur rechtfertigen lässt, wenn bestimmte Gebiete von erheblichen Beeinträchtigungen durch Flugverkehr verschont bleiben (vgl. Urteile vom 31. Juli 2012 - BVerwG 4 A 7001.11 u.a. - BVerwGE 144, 44 Rn. 66 und vom 19. Dezember 2013 - BVerwG 4 C 14.12 - BVerwGE 149, 17 Rn. 12). Geklärt ist ferner, dass es von einer Regelung im Planfeststellungsbeschluss abhängt oder im Falle des Schweigens des regelnden Teils eine Frage der Auslegung des Planfeststellungsbeschlusses ist, ob einzelne Flugverfahren ausgeschlossen sind. Ergibt die Auslegung des Planfeststellungsbeschlusses, dass er das angegriffene Flugverfahren zulässt, und richtet sich die Rüge des Klägers dagegen, dass die Umweltverträglichkeitsprüfung vor dem Erlass des Planfeststellungsbeschlusses bestimmte Umweltauswirkungen nicht ausreichend in den Blick genommen hat, muss sich der Kläger entgegenhalten lassen, dass es ihm offen gestanden hätte, insoweit den Planfeststellungsbeschluss mit der Begründung anzugreifen, dessen Maßnahmen reichten nicht aus, um die Ausgewogenheit der Standortentscheidung für den Fall von der Grobplanung abweichender Flugverfahren sicherzustellen (vgl. Urteil vom 31. Juli 2012 - BVerwG 4 A 5000.10 u.a. - BVerwGE 144, 1 Rn. 51 a.E.). Mit Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses kann der Kläger eine solche Korrektur nicht mehr fordern (Urteil vom 19. Dezember 2013 a.a.O. Rn. 17).
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Der Antrag des Klägers, dem Europäischen Gerichtshof die Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen, ob der Begriff „Bau von Flugplätzen“ in Anhang I Nr. 7a UVP-RL so auszulegen ist, dass eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung auch für die Festsetzung der für die Inbetriebnahme nötigen Flugroute erforderlich ist, wenn deren Auswirkungen auf vorangegangenen Verfahrensstufen nicht geprüft wurden, wird abgelehnt. Es besteht kein unionsrechtlicher Klärungsbedarf. Der Europäische Gerichtshof hat zwar wiederholt festgestellt, dass die UVP-Richtlinie einen ausgedehnten Anwendungsbereich sowie einen sehr weit reichenden Zweck hat (EuGH, Urteile vom 24. Oktober 1996 - Rs. C-72/95 - Slg. 1996, I-5403 Rn. 31, vom 16. September 1999 - Rs. C-435/97 - Slg. 1999, I-5613 Rn. 40 und vom 28. Februar 2008 - Rs. C-2/07 - Slg. 2008, I-1197 Rn. 32) und an eine Gesamtbewertung der Auswirkungen von Projekten oder deren Änderung auf die Umwelt anknüpft. Es stellte eine Vereinfachung dar und liefe diesem Ansatz zuwider, wenn im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung eines Projekts oder seiner Änderung nur die unmittelbaren Wirkungen der geplanten Arbeiten selbst berücksichtigt würden, nicht aber die Auswirkungen auf die Umwelt, die durch die Benutzung und den Betrieb der aus diesen Arbeiten hervorgegangenen Anlagen hervorgerufen werden können (EuGH, Urteil vom 28. Februar 2008 a.a.O. Rn. 43). Art. 2 Abs. 1 UVP-RL verlangt indes, dass ein Projekt „vor Erteilung der Genehmigung“ einer Prüfung unterzogen werden muss. Die Festlegung von Flugverfahren gehört nach innerstaatlichem Recht nicht zur Genehmigung des Projekts „Bau von Flugplätzen“. Sie ist auch nicht Teil eines gestuften Genehmigungsverfahrens in dem Sinne, dass zunächst eine Grundsatzentscheidung (über den Bau des Flughafens) und dann eine oder mehrere Durchführungsentscheidungen getroffen werden, und in dem die Auswirkungen, die ein Projekt möglicherweise auf die Umwelt hat, im Verfahren des Erlasses der Grundsatzentscheidung zu ermitteln und zu prüfen sind (vgl. zur Umweltverträglichkeitsprüfung in einem gestuften Genehmigungsverfahren EuGH, Urteil vom 4. Mai 2006 - Rs. C-508/03 - Slg. 2006, I-3969 Rn. 104). An- und Abflugverfahren sind nicht Bestandteil der Zulassungsentscheidung, sondern Verkehrsregeln zur sicheren Abwicklung des Flugverkehrs von und zu einem Flughafen (Urteil vom 19. Dezember 2013 a.a.O. Rn. 22).
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Ebenfalls ohne Erfolg bleibt der Antrag, dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorzulegen, ob Art. 3 UVP-RL und der darin enthaltene Begriff der „unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen eines Projekts“ so auszulegen ist, dass darunter auch die Risiken eines durch das Projekt ausgelösten nuklearen Unfalls zu verstehen sind. Die Frage ist nicht entscheidungserheblich, weil die Festlegung von Flugverfahren nicht der Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterliegt und ein mögliches Defizit der Umweltverträglichkeitsprüfung im Planfeststellungsverfahren der Flugroutenbestimmung wegen der Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses für den Ausbau des Verkehrsflughafens Berlin-Schönefeld nicht entgegengehalten werden kann.
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bb) Der Anwendungsbereich des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes kann nicht im Wege der Analogie erweitert werden, um etwa (möglichen) Vorgaben des Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (Aarhus-Konvention - AK -) vom 25. Juni 1998 (Zustimmungsgesetz vom 9. Dezember 2006, BGBl II S. 1251) zu genügen. Es fehlt an einer planwidrigen Regelungslücke, weil sich das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz zum Zeitpunkt seiner Verabschiedung als seinen Anwendungsbereich abschließend umschreibende Regelung verstanden hat (Urteile vom 5. September 2013 - BVerwG 7 C 21.12 - BVerwGE 147, 312 Rn. 30 f. und vom 19. Dezember 2013 a.a.O. Rn. 20).
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b) Der Kläger ist auch nicht befugt, die ruhigen Gebiete, die das Land Berlin sowie die Gemeinden Teltow und Kleinmachnow auf der Grundlage des § 47d Abs. 2 Satz 2 Bundes-Immissionsschutzgesetz - BImSchG - in ihren Lärmaktionsplänen dargestellt haben, gegen die Flugroutenbestimmung in Schutz zu nehmen.
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aa) Die Möglichkeit einer Verbandsklage ist für den Kläger insoweit nicht eröffnet. Eine andere Bestimmung im Sinne von § 42 Abs. 2 Halbs. 1 VwGO, mit der eine objektive Rechtskontrolle ermöglicht wird, ist im nationalen Recht nur in eng begrenzten Bereichen normiert worden. Die vorhandenen, der Durchsetzung umweltrechtlicher Belange dienenden Bestimmungen sind nicht einschlägig. Wie bereits dargestellt, kann sich der Kläger auf § 2 Abs. 1 UmwRG nicht berufen. Auch § 64 Abs. 1 BNatSchG greift im hier interessierenden Zusammenhang nicht ein.
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Aus Art. 9 Abs. 3 AK lässt sich ein Klagerecht ebenfalls nicht herleiten. Zwar ist § 42 Abs. 2 Halbs. 1 VwGO der Auslegung zugänglich, dass neben Bestimmungen des Bundes- und des Landesrechts auch Vorschriften des Unionsrechts als andere gesetzliche Bestimmungen eigenständige, von materiellen Berechtigungen losgelöste Klagerechte vermitteln können (Urteil vom 5. September 2013 a.a.O. Rn. 26), und ist auch Unionsrecht berührt, nämlich Art. 8 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b Satz 2 der Richtlinie 2002/49/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Juni 2002 über die Bewertung und Bekämpfung von Umgebungslärm (ABl Nr. L 189 S. 12 - Umgebungslärm-Richtlinie, Umgebungslärm-RL -), der mit § 47d Abs. 2 Satz 2 BImSchG in innerstaatliches Recht umgesetzt worden ist. Art. 9 Abs. 3 AK wirkt wegen des darin enthaltenen Ausgestaltungsvorbehalts derzeit aber nicht unmittelbar (EuGH, Urteil vom 8. März 2011 - Rs. C-240/09 - Slg. 2011, I-1255 Rn. 52).
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bb) Eine Klagebefugnis folgt auch nicht aus § 42 Abs. 2 Halbs. 2 VwGO. Der Kläger kann nicht geltend machen, durch die zu erwartende Lärmzunahme in ruhigen Gebieten in seinen Rechten verletzt zu sein. Der Sechste Teil des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, zu dem § 47d BImSchG gehört, gilt nach § 47a Satz 1 BImSchG für den Umgebungslärm, dem Menschen ausgesetzt sind. Als juristische Person wird der Kläger nicht vom Anwendungsbereich der §§ 47a ff. BImSchG erfasst. Außerdem ergeben sich aus der Regelung der Lärmminderungsplanung in den §§ 47a ff. BImSchG nur Pflichten der zuständigen Behörden zur Erarbeitung von Lärmkarten und zur Aufstellung von Lärmaktionsplänen, jedoch keine Schutzansprüche einzelner Immissionsbetroffener (Urteile vom 14. April 2010 - BVerwG 9 A 43.08 - Buchholz 406.25 § 41 BImSchG Nr. 56 Rn. 46 und vom 10. Oktober 2012 - BVerwG 9 A 20.11 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 229 Rn. 30).
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Unionsrecht gebietet es nicht, dem Kläger die Klagebefugnis zuzubilligen. Zwar hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts in einer Entscheidung zum Luftqualitätsrecht der Union (Richtlinie 2008/50/EG) und der Bundesrepublik Deutschland (§§ 44 ff. BImSchG) die Auffassung vertreten, dass ein Klagerecht einer natürlichen Person zur Durchsetzung des Umweltrechts der Union auch Umweltvereinigungen zusteht, die nach § 3 UmwRG anerkannt sind (Urteil vom 5. September 2013 a.a.O Rn. 38 ff.). Vorliegend fehlt es jedoch an einem Klagerecht einer natürlichen Person.
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Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs können sich Einzelne auf unbedingte und hinreichend genaue Bestimmungen einer Richtlinie berufen und haben die zuständigen nationalen Behörden und Gerichte die Bestimmungen des nationalen Rechts so weit wie möglich so auszulegen, dass sie mit dem Ziel der entsprechenden Richtlinie im Einklang stehen (EuGH, Urteil vom 25. Juli 2008 - Rs. C-237/07 - Slg. I-6221 Rn. 36). Eine unbedingte und hinreichend genaue Bestimmung stellt Art. 8 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b Satz 2 Umgebungslärm-RL nicht dar. Die Vorschrift ordnet an, dass Ziel der Aktionspläne, die u.a. für Ballungsräume mit mehr als 250 000 Einwohnern aufzustellen sind, es auch sein soll, ruhige Gebiete gegen eine Zunahme des Lärms zu schützen. Die zuständigen Behörden sind weder verpflichtet, in ihren Plänen ruhige Gebiete darzustellen, noch ist es zwingend, den Schutz der Gebiete zum Ziel zu erklären. Die Umgebungslärm-Richtlinie gibt auch keine Lärmwerte vor, anhand derer ruhige Gebiete zu identifizieren sind. Vielmehr definiert sie als ruhiges Gebiet in einem Ballungsraum ein von der zuständigen Behörde festgelegtes Gebiet, in dem beispielsweise der Lden-Index oder ein anderer geeigneter Lärmindex für sämtliche Schallquellen einen bestimmten, von dem Mitgliedstaat festgelegten Wert nicht übersteigt (Art. 3 Buchst. l Umgebungslärm-RL). Schließlich stellt die Richtlinie die in den Plänen zu nennenden Maßnahmen in das Ermessen der zuständigen Behörden. Die zitierte Rechtsprechung zur fehlenden drittschützenden Wirkung der §§ 47a ff. BImSchG bedarf vor diesem Hintergrund keiner Korrektur.
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Der Kläger kann eine Klagebefugnis ferner nicht daraus herleiten, dass die Gemeinden, die in ihren Lärmaktionsplänen ruhige Gebiete dargestellt haben, möglicherweise klagebefugt sind (die Klagebefugnis nicht erörternd: Urteil vom 26. Juni 2014 - BVerwG 4 C 2.13 -; die Klagebefugnis bezweifelnd: Berkemann, NuR 2012, 517 <529 f.>). Die Subjektivierung des Unionsrechts als Anknüpfungspunkt für ein Klagerecht von Umweltverbänden ist auf diejenigen Personen beschränkt, denen das Unionsrecht Rechte einräumt. Die Umgebungslärm-Richtlinie nennt aber schon nicht die Gemeinden als diejenigen staatlichen Organe, die zur Aufstellung von Lärmaktionsplänen berufen sind und aus ihren Festsetzungen Rechte herleiten könnten, und beschränkt sich zudem darauf, den nach nationalem Recht zuständigen Behörden Kompetenzen zuzuweisen und Handlungspflichten zu formulieren.
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Eine Einschaltung des Europäischen Gerichtshofs zur Beantwortung der Fragen,
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- ob Art. 9 Abs. 3 AK unter Berücksichtigung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 8. März 2011 (a.a.O.) so auszulegen ist, dass die Vorschrift einer nationalen Rechtsprechung entgegensteht, die die Zulässigkeit einer Klage davon abhängig macht, dass der Kläger geltend macht, durch das staatliche Handeln in seinen Rechten verletzt zu sein, wenn Gegenstand des Rechtsstreits die Klage einer nach nationalem Recht anerkannten Umweltschutzvereinigung ist, die den Schutz eines ruhigen Gebiets im Sinne des Art. 8 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b Umgebungslärm-RL begehrt;
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- ob Art. 8 Abs. 1 Satz 2 Umgebungslärm-RL so auszulegen ist, dass Bewohner oder Nutzer von ruhigen Gebieten oder die diese Gebiete ausweisenden Kommunen in der Lage sein müssen, sich darauf zu berufen, dass das Gebiet gegen eine Zunahme des Lärms zu schützen ist,
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ist nicht notwendig. Die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts, aufgrund dessen die Fragen zu verneinen sind, ist derart offenkundig, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum bleibt (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - Rs. C-283/81 - Slg. 1982, I-3415 Rn. 16).
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Da der Kläger nicht befugt ist, die Flugrouten mit der Begründung anzugreifen, ihre Nutzung führe zu einer unzulässigen Verlärmung ruhiger Gebiete, brauchen die Fragen,
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- ob Art. 8 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b Umgebungslärm-RL so auszulegen ist, dass die Vorschrift einer nationalen Rechtsvorschrift nicht entgegensteht, die den Schutz ruhiger Gebiete unter einen bloßen Abwägungsvorbehalt stellt;
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bejahendenfalls,
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- ob Art. 8 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b Umgebungslärm-RL so auszulegen ist, dass die Abwägung schon dann zu einer Zunahme des Lärms führen kann, wenn ein Grund für die Erforderlichkeit der Lärmzunahme genannt werden kann, oder ob es sich bei der Verpflichtung, ruhige Gebiete gegen die Zunahme des Lärms zu schützen, um eine Verpflichtung handelt, die nur unter Zugrundelegung wichtiger Gründe hingenommen werden kann;
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- ob Art. 8 Abs. 1 Satz 2 Umgebungslärm-RL so auszulegen ist, dass die bestandskräftige Festsetzung eines ruhigen Gebiets bewirkt, dass die staatlichen Behörden zu gewährleisten haben, dass sich das Lärmschutzniveau innerhalb des Gebiets nicht verschlechtert;
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- ob Art. 8 Abs. 1 Satz 2 Umgebungslärm-RL so auszulegen ist, dass die Mitgliedstaaten zu gewährleisten haben, dass dem Ziel, eine Zunahme des Lärms in ruhigen Gebieten zu verhindern, bestmöglich Rechnung zu tragen ist,
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dem Europäischen Gerichtshofs mangels Entscheidungserheblichkeit nicht unterbreitet zu werden.
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c) Zulässig ist der Rechtsbehelf nach § 64 Abs. 1 BNatSchG. Nach Nr. 1 dieser Bestimmung kann eine anerkannte Naturschutzvereinigung, ohne in eigenen Rechten verletzt zu sein, Rechtsbehelfe nach Maßgabe der Verwaltungsgerichtsordnung gegen Entscheidungen nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 und Abs. 2 Nr. 5 bis 7 BNatSchG einlegen, wenn sie geltend macht, dass die Entscheidung u.a. Vorschriften des Bundesnaturschutzgesetzes widerspricht. Einschlägig ist vorliegend § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG. Hiernach ist einer nach § 3 UmwRG von einem Land anerkannten, landesweit tätigen Naturschutzvereinigung u.a. vor der Erteilung von Befreiungen von Geboten und Verboten zum Schutz von Natura 2000-Gebieten, auch wenn diese durch eine andere Entscheidung eingeschlossen oder ersetzt werden, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Wie der Senat bereits geklärt hat, ist ein anerkannter Verein nicht nur zur Einlegung von Rechtsbehelfen berechtigt, wenn eine Befreiung erteilt worden ist, sondern auch dann, wenn die zuständige Behörde unter Verkennung der Rechtslage eine Befreiungsentscheidung nicht für erforderlich gehalten und ein Verfahren gewählt hat, in welchem dem Kläger kein Beteiligungsrecht zur Seite steht (Urteil vom 19. Dezember 2013 - BVerwG 4 C 14.12 - BVerwGE 149, 17 Rn. 26).
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aa) Der Anwendungsbereich des § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG ist eröffnet. Zu den Befreiungen im Sinne der Vorschrift gehört auch die hier vom Kläger vermisste Abweichungsentscheidung nach § 34 Abs. 3 bis 5 BNatSchG (vgl. Urteil vom 10. April 2013 - BVerwG 4 C 3.12 - BVerwGE 146, 176 = Buchholz 406.403 § 63 BNatSchG 2010 Nr. 3, jeweils Rn. 22). Der Anwendbarkeit von § 34 Abs. 3 bis 5 BNatSchG steht nicht entgegen, dass die Festlegung von Flugverfahren kein Projekt wäre, das nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG vor seiner Zulassung oder Durchführung auf seine Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen eines Natura 2000-Gebiets zu überprüfen wäre. Der Projektbegriff des § 34 BNatSchG unterliegt nicht vergleichbaren Einschränkungen, wie sie der Projektbegriff im Recht der Umweltverträglichkeitsprüfung in Art. 1 Abs. 2 UVP-RL über Art. 4 Abs. 1 und 2 UVP-RL in Verbindung mit den Anhängen I und II erfährt, sondern ist generell bei sonstigen Eingriffen in Natur und Landschaft erfüllt, d.h. auch bei der Ausübung schutzgebietsgefährdender Tätigkeiten, die nicht zwingend mit baulichen Veränderungen einhergehen. Er ist wirkungsbezogen (Urteil vom 10. April 2013 a.a.O. Rn. 29), nicht vorhabenbezogen. Ein Projekt im Sinne des § 34 BNatSchG ist danach jedenfalls die Festlegung von Flugkorridoren, in denen Überflüge über Schutzgebiete in bestimmter Regelmäßigkeit und Intensität stattfinden (vgl. Urteil vom 10. April 2013 a.a.O. Rn. 30). Zu solchen Überflügen gehören An- und Abflüge zu einem Flughafen, deren Verfahren in der Rechtsform der Verordnung nach § 27a Abs. 2 Satz 1 LuftVO antizipiert und standardisiert sind. Dass die Festlegung der Flugverfahren nach § 27a Abs. 1 LuftVO nicht verbindlich ist, wenn im Einzelfall eine Flugverkehrskontrollfreigabe nach § 26 Abs. 2 Satz 2 LuftVO erfolgt ist, ändert daran nichts.
- 30
-
bb) Einer Abweichungsentscheidung nach § 34 Abs. 3 bis 5 BNatSchG bedarf es, wenn Veranlassung für eine Prüfung der Verträglichkeit des Projekts mit den Erhaltungszielen eines Natura 2000-Gebiets besteht - das ist nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG der Fall, wenn das Projekt einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Projekten oder Plänen geeignet ist, das Gebiet erheblich zu beeinträchtigen - und die Verträglichkeitsprüfung ergibt, dass das Projekt zu erheblichen Beeinträchtigungen des Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen kann und deshalb nach § 34 Abs. 2 BNatSchG unzulässig ist.
- 31
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cc) Macht ein Kläger geltend, dass ein Projekt nur aufgrund einer Abweichungsentscheidung hätte zugelassen werden dürfen, muss er Tatsachen vortragen, die es möglich erscheinen lassen, dass das Projekt einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Projekten oder Plänen geeignet ist, ein Natura 2000-Gebiet erheblich zu beeinträchtigen. Ist die Eignung von Projekten zur erheblichen Beeinträchtigung von Natura 2000-Gebieten nach dem Vorbringen des Klägers nicht von vornherein und nach jeder rechtlichen Betrachtungsweise ausgeschlossen, braucht der Kläger zu dem möglichen Ausgang einer etwa erforderlichen Verträglichkeitsprüfung nicht vorzutragen. Es ist gerade Aufgabe der Verträglichkeitsprüfung zu ermitteln, ob das Projekt zu erheblichen Beeinträchtigungen des Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen kann. Mehr als Spekulationen, wie die Verträglichkeitsprüfung ausgehen könnte, wäre einem Kläger nicht möglich.
- 32
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Das Oberverwaltungsgericht hat in dem angefochtenen Urteil nicht festgestellt, dass und gegebenenfalls welchen Tatsachenvortrag der Kläger zu § 34 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG geliefert hat. Dies nötigt allerdings nicht zur Zurückverweisung der Sache, da die Sachurteilsvoraussetzungen auch für die Entscheidung der Vorinstanz vom Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen zu prüfen sind (Urteil vom 28. Februar 1985 - BVerwG 2 C 14.84 - BVerwGE 71, 73 <74 f.>).
- 33
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Im Schriftsatz vom 27. Dezember 2012 hat der Kläger erstinstanzlich geltend gemacht, die Benutzung der Wannsee-Routen lasse Auswirkungen auf die Natura 2000-Gebiete Teltowkanalaue, Pfaueninsel, Grunewald und Westlicher Düppeler Forst durch Fluglärm und die mit den Überflügen verbundenen Schadstoffeinträge erwarten. Mit Schriftsatz vom 14. Januar 2013 hat er außerdem ein Papier der EU-Kommission vom 8. Januar 2013 eingereicht, in dem eine Umweltverträglichkeitsprüfung für Flugrouten über die Vogelschutzgebiete Nuthe-Nieplitz-Niederung sowie die FFH-Gebiete Müggelsee, Müggelspree, Wasserwerk Friedrichshagen, Wilhelmshagen-Woltersdorf-Dünenzug und Teufelsseemoor Köpenick angemahnt wird, und unter Vorlage von Standardbogenlisten die Übertragbarkeit auf die von den Wannsee-Routen betroffenen Schutzgebiete behauptet. Das reicht aus.
- 34
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2. Soweit die Klage zulässig ist, ist sie unbegründet. Einer Abweichungsentscheidung nach § 34 Abs. 3 bis 5 BNatSchG bedurfte es nicht. Das Oberverwaltungsgericht hat ausgeschlossen, dass die Flugverfahren erhebliche neue oder veränderte Beeinträchtigungen der Schutz- und Erhaltungsziele von Natura 2000-Gebieten mit sich bringen. Es hat, den Senat nach § 137 Abs. 2 VwGO bindend, festgestellt, dass im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens für den Ausbau des Verkehrsflughafens Berlin-Schönefeld als Untersuchungsraum für die Vorprüfung zu den Auswirkungen durch Fluglärm und Überflug der Flächenumgriff der am weitesten reichenden Auswirkungen des Vorhabens auf das Schutzgut Tiere und Pflanzen innerhalb der 47 dB(A)-Schallisophone 20XX zugrunde gelegt wurde und die hier in Rede stehenden Gebiete außerhalb dieses Bereichs liegen (UA S. 17 f.). Erübrigte sich danach schon die Durchführung einer FFH-Verträglichkeitsprüfung, konnte es nicht mehr dazu kommen, dass die Festsetzung der Flugverfahren an § 34 Abs. 2 BNatSchG als Voraussetzung für die Notwendigkeit einer Abweichungsentscheidung scheitert.
- 35
-
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
(1) Dieses Gesetz ist anzuwenden auf Rechtsbehelfe gegen folgende Entscheidungen:
- 1.
Zulassungsentscheidungen im Sinne von § 2 Absatz 6 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung über die Zulässigkeit von Vorhaben, für die nach - a)
dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung, - b)
der Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher Vorhaben oder - c)
landesrechtlichen Vorschriften
- 2.
Genehmigungen für Anlagen, die in Spalte c des Anhangs 1 der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen mit dem Buchstaben G gekennzeichnet sind, gegen Entscheidungen nach § 17 Absatz 1a des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, gegen Erlaubnisse nach § 8 Absatz 1 des Wasserhaushaltsgesetzes für Gewässerbenutzungen, die mit einem Vorhaben im Sinne der Richtlinie 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung) (Neufassung) (ABl. L 334 vom 17.12.2010, S. 17) verbunden sind, sowie gegen Planfeststellungsbeschlüsse für Deponien nach § 35 Absatz 2 des Kreislaufwirtschaftgesetzes; - 2a.
Genehmigungen für Anlagen nach § 23b Absatz 1 Satz 1 oder § 19 Absatz 4 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes oder Zulassungen für Betriebspläne nach § 57d Absatz 1 des Bundesberggesetzes; - 2b.
Entscheidungen über die Zulässigkeit von Vorhaben, die benachbarte Schutzobjekte im Sinne des § 3 Absatz 5d des Bundes-Immissionsschutzgesetzes darstellen und die innerhalb des angemessenen Sicherheitsabstands zu einem Betriebsbereich nach § 3 Absatz 5a des Bundes-Immissionsschutzgesetzes verwirklicht werden sollen und einer Zulassung nach landesrechtlichen Vorschriften bedürfen; - 3.
Entscheidungen nach dem Umweltschadensgesetz; - 4.
Entscheidungen über die Annahme von Plänen und Programmen im Sinne von § 2 Absatz 7 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung und im Sinne der entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften, für die nach - a)
Anlage 5 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder - b)
landesrechtlichen Vorschriften
- 5.
Verwaltungsakte oder öffentlich-rechtliche Verträge, durch die andere als in den Nummern 1 bis 2b genannte Vorhaben unter Anwendung umweltbezogener Rechtsvorschriften des Bundesrechts, des Landesrechts oder unmittelbar geltender Rechtsakte der Europäischen Union zugelassen werden, und - 6.
Verwaltungsakte über Überwachungs- oder Aufsichtsmaßnahmen zur Umsetzung oder Durchführung von Entscheidungen nach den Nummern 1 bis 5, die der Einhaltung umweltbezogener Rechtsvorschriften des Bundesrechts, des Landesrechts oder unmittelbar geltender Rechtsakte der Europäischen Union dienen.
- 1.
§ 44a der Verwaltungsgerichtsordnung, - 2.
§ 17 Absatz 3 Satz 3 bis 5 und § 19 Absatz 2 Satz 5 bis 7 des Standortauswahlgesetzes sowie - 3.
§ 15 Absatz 3 Satz 2 des Netzausbaubeschleunigungsgesetzes Übertragungsnetz, § 17a Absatz 5 Satz 1 des Energiewirtschaftsgesetzes, § 6 Absatz 9 Satz 1 des Windenergie-auf-See-Gesetzes, § 47 Absatz 4 und § 49 Absatz 3 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung und andere entsprechende Rechtsvorschriften.
(2) Dieses Gesetz gilt auch im Bereich der ausschließlichen Wirtschaftszone oder des Festlandsockels im Rahmen der Vorgaben des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1982 (BGBl. 1994 II S. 1799, 1995 II S. 602).
(3) Soweit in Planfeststellungsverfahren, die Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 2 oder 5 unterfallen, Rechtsbehelfe nach diesem Gesetz eröffnet sind, wird § 64 Absatz 1 des Bundesnaturschutzgesetzes nicht angewendet.
(4) Umweltbezogene Rechtsvorschriften im Sinne dieses Gesetzes sind Bestimmungen, die sich zum Schutz von Mensch und Umwelt auf
- 1.
den Zustand von Umweltbestandteilen im Sinne von § 2 Absatz 3 Nummer 1 des Umweltinformationsgesetzes oder - 2.
Faktoren im Sinne von § 2 Absatz 3 Nummer 2 des Umweltinformationsgesetzes
(1) Dieses Gesetz gilt für Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 und 2, die nach dem 25. Juni 2005 ergangen sind oder hätten ergehen müssen. Abweichend von Satz 1 ist § 6 nur auf solche in Satz 1 genannten Rechtsbehelfe anzuwenden, die nach dem 28. Januar 2013 erhoben worden sind.
(2) Dieses Gesetz gilt für Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bis 6,
- 1.
die am 2. Juni 2017 noch keine Bestandskraft erlangt haben oder - 2.
die nach diesem Zeitpunkt ergangen sind oder hätten ergehen müssen.
(3) Folgende Anerkennungen gelten als Anerkennungen im Sinne dieses Gesetzes fort:
- 1.
Anerkennungen - a)
nach § 3 dieses Gesetzes in der Fassung vom 28. Februar 2010, - b)
nach § 59 des Bundesnaturschutzgesetzes in der Fassung vom 28. Februar 2010 und - c)
auf Grund landesrechtlicher Vorschriften im Rahmen des § 60 des Bundesnaturschutzgesetzes in der Fassung vom 28. Februar 2010,
- 2.
Anerkennungen des Bundes und der Länder nach § 29 des Bundesnaturschutzgesetzes in der bis zum 3. April 2002 geltenden Fassung.
Tatbestand
- 1
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Die Kläger wenden sich gegen das Abflugverfahren SUKIP 1 B für den Flughafen Berlin Brandenburg (sog. Müggelsee-Route), festgesetzt mit der 247. Durchführungsverordnung zur Luftverkehrs-Ordnung vom 10. Februar 2012 (BAnz. S. 1086) zuletzt geändert durch die 3. Änderungsverordnung vom 23. Oktober 2013 (BAnz. AT 25.10.2013 V1).
- 2
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Das Flugverfahren SUKIP 1 B weicht von der dem Planfeststellungsverfahren zugrunde gelegten Grobplanung ab. Es führt von der Nordbahn des Flughafens Berlin Brandenburg nach Osten (Betriebsrichtung 07). Die Maschinen fliegen nach einem Überflug im Süden von Bohnsdorf eine Linkskurve und sodann zwischen dem Bezirk Treptow-Köpenick bzw. Friedrichshagen und Müggelheim bzw. Rahnsdorf über den Großen Müggelsee hinweg und nach einem Überflug über innerstädtische Bereiche von Berlin weiter in Richtung des Punktes SUKIP (ehemals ZIESA). Flugzeuge, die einen bestimmten Steiggradienten nicht erreichen, nutzen ein anderes Flugverfahren.
- 3
-
Der Kläger zu 1 ist ein in Berlin tätiger Umweltverein, die Kläger zu 2 bis 9 sind Eigentümer oder Miteigentümer selbst genutzter Hausgrundstücke oder Eigentumswohnungen am oder in der Nähe des Großen Müggelsees.
- 4
-
Ihre gegen die Rechtsverordnung erhobene Feststellungsklage hat das Oberverwaltungsgericht als zulässig, aber unbegründet abgewiesen (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14. Juni 2013 - OVG 11 A 10.13 - LKV 2013, 513 = NuR 2014, 284).
- 5
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Die als Feststellungsklagen statthaften Klagen seien zulässig. Die Klagebefugnis des Klägers zu 1 folge aus § 2 Abs. 1 Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG). Es sei nicht nach jeder Betrachtungsweise ausgeschlossen, dass die Festlegung des Flugverfahrens einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) bedürfe und damit eine Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UmwRG sei. Der Kläger zu 1 könne auch das Unterlassen einer FFH-Verträglichkeitsprüfung und die fehlerhafte Behandlung wasserrechtlicher Fragen rügen. Die Kläger zu 2 bis 9 seien klagebefugt, da nicht von vornherein ausgeschlossen sei, dass sie in ihrem Recht auf willkürfreie Abwägung ihrer Belange aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG verletzt seien. Dies gelte sowohl für den Schutz vor unzumutbaren Belästigungen durch Fluglärm als auch für den Schutz von Lärmschutzinteressen unterhalb dieser Schwelle.
- 6
-
Die Klage sei jedoch unbegründet. Einer UVP habe es weder nach nationalem Recht noch nach Unionsrecht bedurft. Dies gelte auch, wenn im Planfeststellungsverfahren keine Untersuchung der Umweltauswirkungen einer bestimmten, von der ursprünglichen Grobplanung abweichend festgesetzten Flugroute erfolgt sein sollte.
- 7
-
Die Flugroute verstoße nicht gegen die Ziele des bestandskräftigen Planfeststellungsbeschlusses für den Flughafen Berlin Brandenburg und verlasse auch dessen Planungsgrundlage nicht. Vielmehr löse der Planfeststellungsbeschluss mit der vorgenommenen UVP für den Bau des Flugplatzes und dessen (flug-)betriebsbedingte Wirkungen auch die Konflikte durch die Nutzung des streitgegenständlichen Flugverfahrens.
- 8
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Das Planungsziel, dicht besiedelte innerstädtische Bereiche zu entlasten, werde nicht vereitelt. Ein solcher Fall läge nur vor, wenn stark belegte Abflugverfahren über dicht besiedeltes Stadtgebiet entlang der An- und Abfluggrundlinien geführt würden. Die angegriffene Route führe über den unbewohnten Müggelsee und die - im Verhältnis zur Bevölkerungsdichte in der Umgebung der Flughäfen Tegel und Tempelhof weniger dicht besiedelten - angrenzenden Gebiete. Auch ein explizit festgelegtes Überflugverbot bestehe nicht.
- 9
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Die Planfeststellungsbehörde habe einen Überflug der Region um den Müggelsee auch nicht faktisch ausgeschlossen. Die untersuchten Umweltfolgen beschränkten sich erkennbar nicht auf die Auswirkungen einer konkreten Flugroutenführung, sondern seien in großem Umfang schutzgutbezogen durchgeführt worden. Die Müggelsee-Route führe zwar zu einer räumlichen Verschiebung der Belastung. Mit Blick auf die Schutzgüter des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) ließen diese Abweichungen aber keine Umweltauswirkungen erwarten, die im Planfeststellungsverfahren nicht geprüft worden wären. Ebenso wenig träten relevante Beeinträchtigungen der Schutzgüter des europäischen FFH- und Vogelschutzrechts auf, so dass die Festlegung der Müggelsee-Route die Zulassung des Vorhabens an dem vorgegebenen Standort mit der festgelegten Bahnkonfiguration nicht nachträglich als unabgewogen erscheinen lasse. Es sei vielmehr mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen, dass die Planfeststellungsbehörde zu einem abweichenden Ergebnis gekommen wäre, wenn sie anstelle der Grobplanung das angegriffene Flugverfahren zugrunde gelegt hätte. Denn die Ergebnisse der UVP im Rahmen der Planfeststellung seien auch für die Umweltfolgen der Müggelsee-Route aussagekräftig. Dies führt das Oberverwaltungsgericht für den Untersuchungsraum, die Schutzgüter Luft, Wasser, Tiere und Pflanzen, FFH-Gebiete und Mensch weiter aus.
- 10
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Die Abwägungsentscheidung sei nicht zu beanstanden. Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung (BAF) sei von einer ausreichenden Datengrundlage ausgegangen. Es habe erkannt, dass den Berechnungen des Umweltbundesamtes (UBA) und der Deutschen Flugsicherung GmbH (DFS) unterschiedliche Methoden zugrunde liegen. Es gelange aber zu dem Ergebnis, dass die Untersuchungen - bei geringen Abweichungen untereinander - in fast sämtlichen Fällen sowohl zu einer im Wesentlichen gleichen Rangfolge als auch zu einer Identifizierung jeweils derselben Verfahrensalternative als Vorzugsvariante kommen. Es habe sich daher auf beide Vorarbeiten beziehen dürfen.
- 11
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Grundlage der Abwägungsentscheidung habe das prognostizierte Verkehrsaufkommen 2012 (140 024 Flugbewegungen) bzw. 2015 (252 000 Flugbewegungen) sein dürfen. Mit Blick auf die für die Festlegung von Flugverfahren im Vordergrund stehende Lärmbewirtschaftung und die flexiblen Änderungsmöglichkeiten von Flugverfahren liege es nahe, nicht auf die technische Maximalkapazität abzustellen, die in den ersten Jahren nach Inbetriebnahme des Flughafens in keinem Fall ausgeschöpft werden werde.
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Die Abwägungsentscheidung sei auch im Einzelnen nicht zu beanstanden. Die Festsetzung der Müggelsee-Route sei durchweg mit vertretbaren Argumenten begründet. Die prognostizierte Lärmbelastung der Kläger zu 2 bis 9 liege auch nach ihrem Vortrag unterhalb der Zumutbarkeitsschwelle. Für die Kläger zu 2 und 3 wäre der Grenzwert für die Nacht-Schutzzone zwar geringfügig überschritten, dies rechtfertige es jedoch nicht, insgesamt das strengere Abwägungsprogramm auszulösen.
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Die Rüge einer fehlerhaften Abwägungsreihenfolge bleibe erfolglos. Der Ablauf des Festsetzungsverfahrens sei grundsätzlich vom Gestaltungsspielraum des Verordnungsgebers gedeckt. Auf die Reihenfolge der angestellten Erwägungen komme es nicht entscheidend an. Ausweislich des Abwägungsvermerks führe ein Verzicht auf die Müggelsee-Route zu vermeidbarem unzumutbaren Fluglärm. Denn die 55 dB(A)-Kontur schließe mit der Festsetzung der Müggelsee-Route am Tag einen deutlich geringeren Teil von Müggelheim ein. Ein ähnlicher, wenn auch geringerer Effekt gelte in der Nacht. Laut den Berechnungen nach NIROS (Noise Impact Reduction and Optimization System) sei die Müggelsee-Route im Dauerschallpegelbereich 50-55 dB(A) vorteilhaft. Diese Entlastung rechtfertige die höheren Betroffenenzahlen in den Pegelbereichen 40-45 dB(A) und 45-50 dB(A).
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Dass die gewählte Variante gegenüber zwei anderen Alternativen (NIROS Gütewerte: 8,67 und 13,86) den schlechtesten NIROS-Gütewert (22,73) habe, führe nicht auf einen Abwägungsfehler. Denn die Beklagte habe nachvollziehbar dargelegt, dass der Gütewert zwar der Ausgangspunkt der Alternativenbetrachtung sei, im Rahmen der Gesamtabwägung aber nicht den Ausschlag geben müsse. Die Abwägung der Betroffenheiten in den einzelnen Pegelbändern sei trotz der erheblichen Zunahmen im unteren Pegelbereich noch vom Gestaltungsspielraum des BAF gedeckt. Gegen den Gewichtungsvorrang des Lärmschutzes für Siedlungsgebiete vor dem Lärmschutz für Erholungsgebiete und ruhige Gebiete sei nichts zu erinnern.
- 15
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Die Beklagte habe ihre Augen nicht vor sich eindeutig aufdrängenden Alternativverfahren verschlossen. Sicherheitsbedenken gegen eine Routenführung auf den "Gosener Wiesen" hätten die Kläger nicht entkräftet. Eine Berufung auf Vertrauensschutz scheide schon deshalb aus, weil die Festlegung divergierender Abflugrouten im Planfeststellungsverfahren zu keinem Zeitpunkt ausgeschlossen gewesen sei.
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Mit ihrer vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihren Antrag weiter. Die Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil.
Entscheidungsgründe
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Die Revision bleibt erfolglos. Das angegriffene Urteil ist im Ergebnis richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO).
- 18
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A. Das Oberverwaltungsgericht hat die Klage des Klägers zu 1 im Ergebnis zutreffend abgewiesen (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die Klage bleibt als Rechtsbehelf nach § 2 Abs. 1 UmwRG, als Verbandsklage nach § 64 Abs. 1 BNatSchG und als allgemeine Feststellungsklage (§ 43 Abs. 1 VwGO) erfolglos.
- 19
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I. Für den Rechtsbehelf nach § 2 Abs. 1 UmwRG fehlt ein tauglicher Gegenstand.
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1. § 2 Abs. 1 UmwRG eröffnet Rechtsbehelfe nach Maßgabe der Verwaltungsgerichtsordnung gegen Entscheidungen nach § 1 Abs. 1 Satz 1 UmwRG oder deren Unterlassen. In Betracht kommen hier nur Entscheidungen nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a UmwRG, also Entscheidungen im Sinne von § 2 Abs. 3 UVPG über die Zulässigkeit von Vorhaben, für die nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung eine Pflicht zur Durchführung einer UVP bestehen kann. Das Vorliegen einer Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 UmwRG ist Sachurteilsvoraussetzung für den Rechtsbehelf nach § 2 Abs. 1 UmwRG. Allein die Möglichkeit eines tauglichen Gegenstandes genügt entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts nicht (BVerwG, Urteile vom 19. Dezember 2013 - 4 C 14.12 - BVerwGE 149, 17 Rn. 6 ff., vom 26. Juni 2014 - 4 C 3.13 - LKV 2014, 460 Rn. 32 [zur Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen] und vom 12. November 2014 - 4 C 34.13 - juris Rn. 10).
- 21
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2. a) Das Oberverwaltungsgericht hat im Rahmen der Prüfung der Begründetheit zutreffend die Notwendigkeit einer UVP als auch einer Vorprüfung verneint. Die Festlegung eines Flugverfahrens bedarf weder nach § 3b Abs. 1 Satz 1 UVPG noch nach § 3e Abs. 1 Nr. 2 UVPG einer UVP. Dies gilt auch, wenn im Planfeststellungsverfahren Umweltauswirkungen eines bestimmten Flugverfahrens nicht in den Blick genommen worden sein sollten, weil die Planfeststellungsbehörde mit einer Festsetzung eines bestimmten Flugverfahrens nicht gerechnet hat. Dies hat der Senat in seinem Urteil vom 19. Dezember 2013 - 4 C 14.12 - (BVerwGE 149, 17 Rn. 11 ff.) im Einzelnen dargelegt und begründet. Hierauf nimmt er Bezug.
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Die Einwände, welche die Revision gegen die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts zu § 75 Abs. 2 Satz 2 bis 4 VwVfG und zum Verhältnis des Planfeststellungsbeschlusses zur Festlegung der Flugverfahren erhebt, können dabei auf sich beruhen. Sie betreffen nicht die Anwendung der hier maßgeblichen Vorschriften. Die von den Klägern erhobene Gehörsrüge, das Oberverwaltungsgericht setze sich mit dem Argument einer unzureichenden Beteiligung der Öffentlichkeit nicht auseinander, muss erfolglos bleiben. Das Oberverwaltungsgericht hat dieses Vorbringen im Tatbestand erwähnt. Dass es ihm nicht gefolgt ist, verhilft der Gehörsrüge nicht zum Erfolg.
- 23
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Die Kläger selbst räumen im Übrigen ein, dass die Urteile des Senats vom 31. Juli 2012 (insbesondere 4 A 7001.11 u.a. - BVerwGE 144, 44 Rn. 42 ff.) geeignet sind, die von ihnen angenommenen UVP-rechtlichen Defizite durch die Trennung von Planfeststellungsbeschlüssen und Flugverfahrensfestlegungen jedenfalls abzumildern. Sie missverstehen diese Rechtsprechung aber, wenn sie ihr Bedeutung nur für künftige Planfeststellungsbeschlüsse beimessen. Die Urteile betreffen den auch hier in Rede stehenden Planfeststellungsbeschluss für den Flughafen Berlin Brandenburg. Den Vorwurf, seine Rechtsauffassung beschränke Rechtsschutzmöglichkeiten in unzumutbarer Weise, hat der Senat bereits in anderem Zusammenhang zurückgewiesen (BVerwG, Urteil vom 31. Juli 2012 - 4 A 5000.10 u.a. - BVerwGE 144, 1 Rn. 53).
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b) Die nationale Rechtslage steht mit Unionsrecht im Einklang. Maßgebend ist der Projektbegriff nach Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. L 175 S. 40), neu kodifiziert durch die Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. L 26 S. 1 - UVP-RL). Nach Anhang I Ziff. 7 Buchst. a UVP-RL ist der Bau eines Flugplatzes mit einer Start- und Landebahngrundlänge von 2 100 m oder mehr ein Projekt im Sinn des Art. 4 Abs. 1 UVP-RL. Dem entspricht eine Tätigkeit nur, wenn sie mit Arbeiten und Eingriffen zur Anlegung oder Änderung des materiellen Zustands des Flughafens einhergeht (EuGH, Urteil vom 17. März 2011 - C-275/09 [ECLI:EU:C:2011:154] - Rn. 24 und 30). Diese Frage hat der Europäische Gerichtshof bereits beantwortet, so dass es einer Vorlage nicht bedarf (EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - C-283/81 - [ECLI:EU:C:1982:335], Cilfit - Rn. 21).
- 25
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Etwas Anderes folgt aus den Gründen des Senatsurteils vom 19. Dezember 2013 - 4 C 14.12 - (BVerwGE 149, 17 Rn. 22) nicht daraus, dass die UVP-RL nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs einen ausgedehnten Anwendungsbereich sowie einen sehr weitreichenden Zweck hat (EuGH, Urteile vom 24. Oktober 1996 - C-72/95 [ECLI:EU:C:1996:404] - Rn. 31, vom 16. September 1999 - C-435/97 [ECLI:EU:C:1999:418] - Rn. 40 und vom 28. Februar 2008 - C-2/07 [ECLI:EU:C:2008:133] - Rn. 32). Dies gilt auch unter Berücksichtigung des von der Revision angeführten Grundsatzes des effet utile. Er ist nicht geeignet, den Anwendungsbereich der UVP-RL auf von dieser nicht erfasste Sachverhalte zu erweitern. Dass eine förmliche Beteiligung der Öffentlichkeit insoweit nicht geboten ist, folgt aus der Beschränkung der UVP-RL auf bestimmte Projekte. Schließlich spricht auch der von der Revision angeführte integrative Ansatz der UVP-RL nicht für die Notwendigkeit einer UVP. Denn die UVP dient der gesamthaften Vorbereitung einer bestimmten Verwaltungsentscheidung, hier der Planfeststellung für einen Verkehrsflughafen. Sollte diese Prüfung mängelbehaftet gewesen sein, wäre es mit dem Charakter der UVP nicht vereinbar, etwaige Mängel zu einem späteren Zeitpunkt anlässlich einer anderen Verwaltungsentscheidung einer Behörde eines anderen Rechtsträgers zu heilen (BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 2013 - 4 C 14.12 - BVerwGE 149, 17 Rn. 18). Aus dem von der Revision angeführten Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 7. November 2013 - C-72/12 [ECLI:EU:C:2013:712], Altrip - folgt nichts Anderes, weil es sich zum sachlichen Anwendungsbereich der UVP-RL nicht äußert.
- 26
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c) Es bedarf auch keiner Vorlage an den Europäischen Gerichtshof zur Klärung der Frage, ob unter den Bedingungen des vorliegenden Falles ein mehrstufiges Genehmigungsverfahren vorliegt, das eine UVP für die konkrete Flugverfahrensfestlegung erforderlich macht. Es ist Sache des nationalen Gerichts festzustellen, ob eine Entscheidung als Bestandteil eines mehrstufigen Genehmigungsverfahrens angesehen werden kann, das letztlich Tätigkeiten zum Ziel hat, die ein Projekt im Sinne der UVP-RL darstellen (EuGH, Urteil vom 17. März 2011 - C-275/09 - Rn. 34). Dies ist im Verhältnis von Planfeststellungsbeschluss und der Festlegung des Flugverfahrens nicht der Fall, weil An- und Abflugverfahren nicht Teil der Zulassungsentscheidung sind, sondern Verkehrsregeln zur sicheren Abwicklung des Flugverkehrs von und zu einem Flughafen (BVerwG, Urteile vom 19. Dezember 2013 - 4 C 14.12 - BVerwGE 147, 17 Rn. 22 und vom 12. November 2014 - 4 C 34.13 - juris Rn. 16).
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Im Übrigen ist der unionsrechtliche Begriff der Genehmigung geklärt. Es ist die Entscheidung der zuständigen Behörden, aufgrund derer der Projektträger das Recht zur Durchführung seines Projektes erhält (EuGH, Urteil vom 4. Mai 2006 - C-290/03 [ECLI:EU:C:2006:286] - Rn. 44). Dies ist für den Bau eines Flughafens der Planfeststellungsbeschluss. Der Europäische Gerichtshof hat zum Fall eines mehrstufigen Genehmigungsverfahrens, in dem zunächst eine Grundsatzentscheidung ergeht und dann eine Durchführungsentscheidung getroffen wird, die nicht über die in der Grundsatzentscheidung festgelegten Vorgaben hinausgehen darf, entschieden, dass die Auswirkungen, die ein Projekt möglicherweise auf die Umwelt hat, im Verfahren des Erlasses der Grundsatzentscheidung zu ermitteln und zu prüfen sind. Nur wenn diese Auswirkungen erst im Verfahren des Erlasses der Durchführungsentscheidung ermittelt werden können, muss die Prüfung im Rahmen dieses Verfahrens vorgenommen werden (EuGH, Urteil vom 4. Mai 2006 - C-508/03 [ECLI:EU:C:2006:287] - Rn. 104). Es liegt auf der Linie dieser Rechtsprechung, wenn der Senat die UVP in vollem Umfang dem Bereich der Planfeststellung zuweist.
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3. Welche verfahrensrechtlichen und inhaltlichen Anforderungen das Unionsrecht an eine UVP stellt, bedarf danach keiner Klärung, so dass es auch insoweit keiner Vorlage an den Europäischen Gerichtshof bedarf.
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II. Die Klage des Klägers zu 1 bleibt auch als Verbandsklage nach § 64 Abs. 1 BNatSchG erfolglos. Sie ist zulässig, aber unbegründet.
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1. Gegenstand einer Verbandsklage nach § 64 Abs. 1 BNatSchG ist die Erteilung von Befreiungen von Geboten und Verboten zum Schutz von Natura 2000-Gebieten nach § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG. Eine solche Entscheidung ist auch die Abweichungsentscheidung nach § 34 Abs. 3 bis 5 BNatSchG (BVerwG, Urteil vom 10. April 2013 - 4 C 3.12 - BVerwGE 146, 176 Rn. 22), die bei der Festlegung eines Flugverfahrens erforderlich werden kann, weil die Festlegung ein Projekt im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG ist. Ein anerkannter Umweltverein ist zur Einlegung von Rechtsbehelfen nicht nur berechtigt, wenn die Behörde eine Abweichungsentscheidung getroffen hat, sondern auch, wenn er geltend macht, die Behörde habe eine solche Entscheidung rechtsfehlerhaft unterlassen (BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 2013 - 4 C 14.12 - BVerwGE 149, 17 Rn. 26, 28).
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Für die Zulässigkeit der Klage genügt es, wenn nicht von vornherein und nach jeder Sichtweise ausgeschlossen ist, dass es einer Abweichungsentscheidung bedarf. Dem Naturschutzverband obliegt es, Anhaltspunkte aufzuzeigen, dass die Nutzung des Flugverfahrens einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Projekten oder Plänen geeignet ist, ein Gebiet im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG erheblich zu beeinträchtigen. Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen des Klägers zu 1, der eine FFH-Verträglichkeitsprüfung für das FFH-Gebiet Müggelsee-Müggelspree und das darin eingeschlossene Vogelschutzgebiet sowie die FFH-Gebiete Wasserwerk Friedrichshagen, Wilhelmshagen-Woltersdorfer Dünenzug und Teufelsseemoor Köpenick gefordert hat.
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2. Die Begründetheit der Verbandsklage nach § 64 Abs. 1 BNatSchG setzt voraus, dass eine Entscheidung nach § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG vorliegt oder eine solche Entscheidung rechtswidrig unterlassen worden ist. Daran fehlt es.
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a) Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG sind Projekte vor ihrer Zulassung oder Durchführung auf ihre Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen eines Natura 2000-Gebiets zu überprüfen, wenn sie einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Projekten oder Plänen geeignet sind, das Gebiet erheblich zu beeinträchtigen, und nicht unmittelbar der Verwaltung des Gebiets dienen. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist im Rahmen einer Vorprüfung festzustellen. Vorprüfung und Verträglichkeitsprüfung sind naturschutzrechtlich obligatorische Verfahrensschritte (BVerwG, Urteil vom 10. April 2013 - 4 C 3.12 - BVerwGE 146, 176 Rn. 10). Eine Gefahr, welche eine Verträglichkeitsprüfung erforderlich macht, liegt vor, wenn anhand objektiver Umstände nicht ausgeschlossen werden kann, dass der betreffende Plan oder das betreffende Projekt das fragliche Gebiet erheblich beeinträchtigt (EuGH, Urteil vom 7. September 2004 - C-127/02 [ECLI:EU:C:2004:482] - Rn. 44). Die FFH-Vorprüfung beschränkt sich auf die Frage, ob nach Lage der Dinge ernsthaft die Besorgnis nachteiliger Auswirkungen besteht (BVerwG, Beschluss vom 13. August 2010 - 4 BN 6.10 - NuR 2010, 797 Rn. 4). § 34 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG verlangt keine formalisierte Durchführung der Vorprüfung, sondern regelt die Voraussetzungen, unter denen eine Verträglichkeitsprüfung geboten ist. Fehlen diese Voraussetzungen, weil eine Beeinträchtigung der Erhaltungsziele des Gebiets ohne vertiefte Prüfung ausgeschlossen werden kann, so ist der Verzicht auf eine Verträglichkeitsprüfung nicht rechtsfehlerhaft (BVerwG, Urteil vom 14. Juli 2011 - 9 A 12.10 - Buchholz 406.400 § 61 BNatSchG 2002 Nr. 13 Rn. 89 [insoweit in BVerwGE 140, 149 nicht abgedruckt]). Die Notwendigkeit einer Verträglichkeitsprüfung kann auch im gerichtlichen Verfahren festgestellt werden (BVerwG, Urteile vom 10. April 2013 - 4 C 3.12 - BVerwGE 146, 176 Rn. 31 und vom 19. Dezember 2013 - 4 C 14.12 - BVerwGE 149, 17 Rn. 29). Allerdings zwingt allein die Annahme im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung, dass die Notwendigkeit einer Abweichungsentscheidung nicht von vornherein und nach jeder Sichtweise ausgeschlossen ist, nicht zu der Folgerung, es bedürfe einer Verträglichkeitsprüfung. Der Maßstab der Zulässigkeitsprüfung ist großzügiger, da die Anforderungen an den klägerischen Sachvortrag insoweit nicht überspannt werden dürfen (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Juni 2000 - 11 C 13.99 - Buchholz 442.42 § 27a Luftverkehrsordnung Nr. 1 S. 6 [insoweit in BVerwGE 111, 276 nicht abgedruckt]).
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b) Nach den tatrichterlichen Feststellungen steht für das Schutzgut Tiere und Pflanzen im Hinblick auf die Wirkfaktoren Überflüge und Fluglärm der Schutz der Avifauna und ihrer Lebensräume im Vordergrund. Hauptkriterium zur Sicherstellung des gebotenen Schutzes sei nach dem Planfeststellungsbeschluss eine Mindest-Überflughöhe über Vogellebensräume von 600 m. Im Hinblick auf die Schutz- und Erhaltungsziele der Schutzgebiete des europäischen Netzes Natura 2000 könnten erhebliche neue oder veränderte Beeinträchtigungen ausgeschlossen werden. Die hier maßgeblichen Gebiete seien überwiegend im Planfeststellungsverfahren betrachtet worden (PFB S. 845 15.2.2.1). Soweit die FFH-Gebiete Müggelsee-Müggelspree, Wasserwerk Friedrichshagen, Wilhelmshagen-Woltersdorfer Dünenzug und Teufelsseemoor Köpenick erst mit Festsetzung der Müggelsee-Route teilweise innerhalb der 47 dB(A)-Kontur lägen, seien - insbesondere auch angesichts der erreichten Flughöhen - keine relevanten zusätzlichen Belastungen zu erwarten. Zu den Einzelheiten verweist das Oberverwaltungsgericht auf den Bericht der Bundesregierung zu den betriebsbedingten Auswirkungen des Verkehrsflughafens Berlin Brandenburg durch Fluglärm und Überflüge in Bezug auf die Umweltverträglichkeitsprüfung und die Prüfungen nach FFH- und Vogelschutzrichtlinie aus Mai 2013, die es für zutreffend hält.
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Der Senat ist an diese tatsächlichen Feststellungen nach § 137 Abs. 2 VwGO gebunden, weil in Bezug auf sie keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen vorgebracht sind.
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aa) Die Kläger meinen, das Oberverwaltungsgericht habe ihre methodische Kritik an der Stellungnahme der Bundesregierung nicht erwogen und so das rechtliche Gehör verletzt. Die vorgenommene räumliche Verschiebung der Auswirkungsbetrachtungen sei unzureichend gewesen, weil die UVP notwendig schutzgutbezogen erfolgen müsse. Dies legt keinen Gehörsverstoß dar. Das Oberverwaltungsgericht hat die räumliche Verschiebung der Belastung der Umgebung festgestellt, nach seinen Feststellungen sind jedoch im Hinblick auf die Schutzgüter des Rechts der UVP-Prüfung durch die Abweichungen keine Umweltauswirkungen zu erwarten, die im Planfeststellungsverfahren nicht geprüft worden wären. Es ist damit nicht bei einer räumlichen Verschiebung stehengeblieben, sondern anhand von Schutzgütern vorgegangen. Dass es deren Beeinträchtigung anders beurteilt als die Kläger, ist keine Frage rechtlichen Gehörs.
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bb) Einer gesonderten Auseinandersetzung mit der Gefährdung durch Vogelschlag bedurfte es in diesem Zusammenhang nicht. Die Kläger selbst haben innerhalb der Revisionsbegründungsfrist nicht dargelegt, dass sie aus dem Risiko des Vogelschlags auf eine Gefährdung der Erhaltungsziele eines FFH-Gebiets oder artenschutzrechtlich relevante Tatbestände geschlossen haben, sie rügen vielmehr die Nichtberücksichtigung ihres Vortrags zu "flugsicherheitsrelevanten Vogelarten".
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cc) Die Kläger werfen dem Oberverwaltungsgericht mit mehreren Gehörsrügen vor, der Beeinträchtigung der genannten FFH-Gebiete nicht ausreichend nachgegangen zu sein.
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(1) Sie beanstanden im Gewand einer Gehörsrüge eine fehlerhafte Sachaufklärung und werfen dem Oberverwaltungsgericht vor, möglichen Beeinträchtigungen der Vogelwelt wegen besonderer akustischer Bedingungen, avifaunistischer Besonderheiten (Populationsdichte und Bedeutung des Gebiets als Vogellebensraum) und Beeinträchtigungen von Fledermäusen nicht nachgegangen zu sein. Diese Rügen bleiben als Aufklärungsrügen erfolglos. Zur Erhebung einer Aufklärungsrüge muss dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung hingewirkt worden ist, oder dass sich dem Gericht - von seinem materiell-rechtlichen Standpunkt aus - die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133
VwGO Nr. 26 S. 14 f.). Die Kläger haben indes in der mündlichen Verhandlung insoweit keinen Beweisantrag gestellt und auch nicht dargelegt, warum sich dem Oberverwaltungsgericht angesichts der vorliegenden Stellungnahme der Bundesregierung eine weitere Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen. Von diesen Anforderungen an eine Aufklärungsrüge sind die Kläger nicht deshalb frei, weil sie diese als Gehörsrüge bezeichnen.
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(2) Die Rügen sind hiervon unabhängig auch als Gehörsrügen unbegründet.
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(a) Die Kläger vermissen eine Behandlung ihres Vortrags zu den akustischen Bedingungen einer offenen Wasserfläche. Dies führt nicht auf einen Gehörsverstoß.
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Das Gebot rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Art. 103 Abs. 1 GG ist allerdings erst verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Beteiligtenvorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Ein Gericht ist nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen (BVerwG, Urteil vom 20. November 1995 - 4 C 10.95 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 267 S. 22). Deshalb müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Geht das Gericht auf den wesentlichen Teil eines Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von wesentlicher Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <145 f.>; BVerwG, Urteil vom 20. November 1995 - 4 C 10.95 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 267 S. 23). Wird die Gehörsrüge darauf gestützt, dass das Tatsachengericht relevantes Vorbringen übergangen habe, bedarf es der Darlegung, welches Vorbringen das Gericht nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezogen hat und unter welchem denkbaren Gesichtspunkt das nicht zur Kenntnis genommene oder nicht erwogene Vorbringen für die Entscheidung hätte von Bedeutung sein können (BVerwG, Beschluss vom 16. August 1979 - 7 B 174.78 - Buchholz 451.55 Subventionsrecht Nr. 58 S. 97 f.).
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Das Oberverwaltungsgericht verweist auf den Planfeststellungsbeschluss (PFB S. 1121 4.3.3.3), wonach keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Avifauna durch den Fluglärm selbst zu erwarten sind. Bestimmend für das Verhalten der Vögel seien die gleichzeitig stattfindenden Überflüge. Hauptkriterium zur Sicherstellung des gebotenen Schutzes sei die hier eingehaltene Mindest-Überflughöhe über Vogellebensräumen von 600 m. Hiervon ausgehend kam es auf die akustischen Bedingungen einer großen Wasserfläche nicht an.
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(b) Die Kläger vermissen eine Auseinandersetzung mit der Populationsdichte der Avifauna. Der Bericht der Bundesregierung äußere sich nicht zu bestimmten Vogelarten, für die eine Störungsarmut weiter Bereiche des Müggelsees von Bedeutung sei. Dies führt nicht auf einen Gehörsverstoß. Das Oberverwaltungsgericht sieht als maßgeblich für den Schutz der Avifauna die erreichten Flughöhen an. Es stützt sich hierbei auf die Erläuterungen der Bundesregierung in ihrem Bericht aus Mai 2013, der eine Überflughöhe von 600 m zum Schutz der Avifauna für ausreichend hält. Die Kläger haben mit ihrer Gehörsrüge innerhalb der Frist des § 139 Abs. 3 Satz 1 und 3 VwGO weder aufgezeigt, dass sie diesen Wert in Zweifel gezogen hätten, noch geltend gemacht, dass sie unter Auseinandersetzung mit diesem Wert dargelegt hätten, dieser Wert könne auf die Verhältnisse am Müggelsee oder dort vorkommende Vogelarten keine Anwendung finden; der Hinweis auf "Senkungen der Reaktionsschwellen" infolge großer Artenvielfalt genügt insoweit nicht.
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(c) Die Rüge der Kläger, das Oberverwaltungsgericht habe ihren Vortrag zur Gefährdung von Fledermäusen nicht zur Kenntnis genommen oder nicht erwogen, führt gleichfalls nicht auf einen Gehörsverstoß. Das Oberverwaltungsgericht hat zu weiteren Einzelheiten auf den Bericht der Bundesregierung verwiesen und sich dessen Überlegungen angeschlossen. Die dortigen Ausführungen gehen für Fledermäuse von bau- und anlagebedingten Gefährdungen aus und nehmen betriebsbedingte Gefährdungen durch Kollisionen am Boden oder in niedriger Höhe für bestimmte Fledermausarten an. Erkenntnisse über Störungen durch Überflüge in großer Höhe seien nicht belegt. Zusätzliche oder neue Beeinträchtigungen der geschützten Arten seien folglich ausgeschlossen. Das Oberverwaltungsgericht hat damit die Gefährdung von Fledermäusen zur Kenntnis genommen. Dass es sie abweichend von den Klägern und in Übereinstimmung mit der Bundesregierung bewertet, hat mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör nichts zu tun.
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(d) Auch soweit die Kläger eine Beeinträchtigung der Bechsteinfledermaus befürchten, bedurfte es keiner gesonderten Behandlung durch das Oberverwaltungsgericht. Die Kläger legen mit ihrer Gehörsrüge nicht dar, dass sie erstinstanzlich in Auseinandersetzung mit dem Bericht der Bundesregierung substantiiert geltend gemacht hätten, dass für die Bechsteinfledermaus dort nicht betrachtete Gefährdungen gegeben wären. Allein der Hinweis der Kläger auf eine fehlende Identifizierung legt keine Gefährdung dieser Fledermausart dar.
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c) Die Kläger sehen unionsrechtlichen Klärungsbedarf, ob Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl. L 206 S. 7), zuletzt geändert durch Richtlinie 2013/17/EU des Rates vom 13. Mai 2013 zur Anpassung bestimmter Richtlinien im Bereich Umwelt aufgrund des Beitritts der Republik Kroatien (ABl. L 158 S. 193 - FFH-RL), dahingehend auszulegen ist, dass die Vorschrift einer Übertragung der Prognose, ob das Überfliegen eines Schutzgebiets im Sinne des Art. 3 Abs. 1 FFH-RL erhebliche Auswirkungen auf Erhaltungsziele dieses Gebiets hat, auf ein anderes (neues) Schutzgebiet entgegensteht, wenn die Prognose durch eine andere Behörde getroffen wurde, die Ermittlungen hinsichtlich des neuen Schutzgebiets und seiner Erhaltungsziele in der nun übertragenen Prognose unter der Annahme erfolgten, diese liege außerhalb der Vorhabenauswirkungen, die nun entscheidende Behörde keine eigenen Ermittlungen angestellt hat, um die Übertragbarkeit der ursprünglichen Prognose zu prüfen, und die ursprüngliche Prognose zum Zeitpunkt der Übertragung mindestens sieben Jahre alt ist.
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Diese Frage stellt sich vorliegend nur unter der Bedingung, dass im Hinblick auf die Schutz- und Erhaltungsziele des europäischen Netzes Natura 2000 erhebliche neue oder veränderte Beeinträchtigungen ausgeschlossen werden können. Insoweit ist in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs geklärt, dass anhand objektiver Umstände zu klären ist, ob eine Verträglichkeitsprüfung durchgeführt werden muss (EuGH, Urteil vom 7. September 2004 - C-127/02 - Rn. 44). Es kommt danach nicht auf das Verfahren, sondern auf die Tragfähigkeit der Ergebnisse an.
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d) Da das festgelegte Flugverfahren nicht geeignet ist, ein Gebiet im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG erheblich zu beeinträchtigen, bedurfte es keiner Entscheidung im Sinne von § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG. Es fehlt damit an einer tauglichen Entscheidung oder deren Unterlassung, die Voraussetzung für die Begründetheit des Rechtsbehelfs nach § 64 Abs. 1 BNatSchG ist. Auf die Frage, ob der Kläger zu 1 aus Gründen des Unionsrechts berechtigt sein könnte, im Rahmen eines Rechtsbehelfs nach § 64 Abs. 1 BNatSchG über den Wortlaut der Nr. 1 hinaus auch Verstöße gegen Vorschriften des Umweltrechts zu rügen, kommt es nicht an.
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III. Die Klage des Klägers zu 1 bleibt schließlich auch als Feststellungsklage erfolglos.
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1. Für die Feststellungsklage bedarf es einer Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 Alt. 2 VwGO (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 28. Juni 2000 - 11 C 13.99 - BVerwGE 111, 276 <279>, vom 10. Juli 2001 - 1 C 35.00 - BVerwGE 114, 356 <360> und vom 26. November 2003 - 9 C 6.02 - BVerwGE 119, 245 <249>). Der Kläger zu 1 hat geltend gemacht, dass der Erlass der angegriffenen Rechtsverordnung ohne seine vorherige Beteiligung an einer Abweichungsentscheidung nach § 34 Abs. 3 bis 5 BNatSchG und damit an einer Befreiung im Sinne von § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG eigene Beteiligungsrechte verletze. Dies ist jedenfalls nicht von vornherein und nach jeder Sichtweise ausgeschlossen.
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2. Die Feststellungsklage ist unbegründet. Die angegriffene Rechtsverordnung verletzt keine Rechte des Klägers zu 1.
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a) Der Kläger war an der Vorprüfung zur Feststellung der Voraussetzungen für eine Verträglichkeitsprüfung nicht zu beteiligen. In der nicht formalisierten Vorprüfung besteht kein solches Beteiligungsrecht. Auch Unionsrecht fordert dies nicht. Es erwähnt die Öffentlichkeit vielmehr erst im Rahmen der Abweichungsentscheidung (vgl. Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL).
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b) Eine Rechtsverletzung im Sinne von § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO folgt nicht daraus, dass der Kläger zu 1 an einer von ihm für notwendig gehaltenen Befreiung von einem artenschutzrechtlichen Verbotstatbestand nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BNatSchG für die Bechsteinfledermaus nicht beteiligt worden ist. Der vom Kläger zu 1 angeführte § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG gewährt ein Beteiligungsrecht vor der Erteilung von Befreiungen von Geboten und Verboten zum Schutz von Gebieten im Sinne des § 32 Abs. 2 BNatSchG, Natura 2000-Gebieten, Naturschutzgebieten, Nationalparken, Nationalen Naturmonumenten und Biosphärenreservaten. Es geht demnach um die Befreiungen von Ge- und Verboten in Schutzgebietsregelungen (Kerkmann, in: Gärditz, VwGO, 2013, § 63 BNatSchG Rn. 39). Der Wortlaut nimmt Bezug auf einzelne im 4. Kapitel des Bundesnaturschutzgesetzes geschützte Gebiete. Die Gesetzessystematik schließt es aus, auch Befreiungen von artenschutzrechtlichen Vorschriften nach dem 5. Kapitel des Bundesnaturschutzgesetzes umfasst zu sehen (VGH München, Beschluss vom 24. Mai 2011 - 8 ZB 10.1007 - juris Rn. 30; VGH München, Urteil vom 17. März 2008 - 14 BV 05.3079 - BayVBl. 2008, 499 Rn. 22).
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c) Der Kläger zu 1 kann auch nicht geltend machen, die Rechtsverordnung verstoße gegen Vorschriften zum Schutz ruhiger Gebiete. Denn auch ein etwaiger Verstoß gegen diese Vorschriften verletzte den Kläger zu 1 nicht in subjektiven Rechten, wie es für die Begründetheit der erhobenen Feststellungsklage notwendig wäre (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. November 2014 - 4 C 34.13 - juris Rn. 22 ff.).
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aa) Der Sechste Teil des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, zu dem § 47d BImSchG gehört, gilt nach § 47a Satz 1 BImSchG für den Umgebungslärm, dem Menschen ausgesetzt sind. Als juristische Person wird der Kläger zu 1 nicht vom Anwendungsbereich der §§ 47a ff. BImSchG erfasst. Aus der Regelung der Lärmminderungsplanung in den §§ 47a ff. BImSchG folgen Pflichten der zuständigen Behörden zur Erarbeitung von Lärmkarten und zur Aufstellung von Lärmaktionsplänen, jedoch keine Schutzansprüche einzelner Immissionsbetroffener (BVerwG, Urteile vom 14. April 2010 - 9 A 43.08 - Buchholz 406.25 § 41 BImSchG Nr. 56 Rn. 46 und vom 10. Oktober 2012 - 9 A 20.11 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 229 Rn. 30).
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bb) Unionsrecht gebietet nichts Abweichendes. Der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat in einer Entscheidung zum Luftqualitätsrecht der Union (Richtlinie 2008/50/EG) und der Bundesrepublik Deutschland (§§ 44 ff. BImSchG) die Auffassung vertreten, dass ein Klagerecht einer natürlichen Person zur Durchsetzung des Umweltrechts der Union auch Umweltvereinigungen zusteht, die nach § 3 UmwRG anerkannt sind (BVerwG, Urteil vom 5. September 2013 - 7 C 21.12 - BVerwGE 147, 312 Rn. 38 ff.). Vorliegend fehlt es jedoch an einem Klagerecht einer natürlichen Person.
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Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs können sich Einzelne auf unbedingte und hinreichend genaue Bestimmungen einer Richtlinie berufen und haben die zuständigen nationalen Behörden und Gerichte die Bestimmungen des nationalen Rechts so weit wie möglich so auszulegen, dass sie mit dem Ziel der entsprechenden Richtlinie im Einklang stehen (EuGH, Urteil vom 25. Juli 2008 - C-237/07 [ECLI:EU:C:2008:447] - Rn. 36). Eine solche unbedingte und hinreichend genaue Bestimmung ist Art. 8 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b Satz 2 der Richtlinie 2002/49/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Juni 2002 über die Bewertung und Bekämpfung von Umgebungslärm (ABl. L 189 S. 12 - Umgebungslärm-RL) nicht. Die Vorschrift ordnet an, dass Ziel der Aktionspläne, die u.a. für Ballungsräume mit mehr als 250 000 Einwohnern aufzustellen sind, es auch sein soll, ruhige Gebiete gegen eine Zunahme des Lärms zu schützen. Die zuständigen Behörden sind weder verpflichtet, in ihren Plänen ruhige Gebiete darzustellen, noch ist es zwingend, den Schutz der Gebiete zum Ziel zu erklären. Die Umgebungslärm-RL gibt auch keine Lärmwerte vor, anhand derer ruhige Gebiete zu identifizieren sind. Vielmehr definiert sie als ruhiges Gebiet in einem Ballungsraum ein von der zuständigen Behörde festgelegtes Gebiet, in dem beispielsweise der Lden-Index oder ein anderer geeigneter Lärmindex für sämtliche Schallquellen einen bestimmten, von dem Mitgliedstaat festgelegten Wert nicht übersteigt (Art. 3 Buchst. l Umgebungslärm-RL). Schließlich stellt die Richtlinie die in den Plänen zu nennenden Maßnahmen in das Ermessen der zuständigen Behörden (Art. 8 Abs. 1 Satz 3 Umgebungslärm-RL).
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Es kommt auch nicht darauf an, ob Gemeinden, die in ihren Lärmaktionsplänen ruhige Gebiete dargestellt haben, möglicherweise in eigenen Rechten verletzt sein könnten (die Klagebefugnis nicht erörternd: BVerwG, Urteil vom 26. Juni 2014 - 4 C 2.13 -; die Klagebefugnis bezweifelnd: Berkemann, NuR 2012, 517 <529 f.>). Die Subjektivierung des Unionsrechts als Anknüpfungspunkt für ein Klagerecht von Umweltverbänden ist auf diejenigen Personen beschränkt, denen das Unionsrecht Rechte einräumt (Schlacke, NVwZ 2014, 11 <13>; Bunge, ZUR 2014, 3 <9>; Gärditz, EurUP 2014, 39 <42>). Die Umgebungslärm-RL nennt aber schon nicht die Gemeinden als diejenigen staatlichen Organe, die zur Aufstellung von Lärmaktionsplänen berufen sind und aus ihren Festsetzungen Rechte herleiten könnten, und beschränkt sich zudem darauf, den nach nationalem Recht zuständigen Behörden Kompetenzen zuzuweisen und Handlungspflichten zu formulieren.
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cc) Etwas Anderes folgt nicht aus Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (Aarhus-Übereinkommen - AK -; Gesetz vom 9. Dezember 2006 - BGBl. 2006 II S. 1251). Nach dieser Vorschrift stellt jede Vertragspartei sicher, dass Mitglieder der Öffentlichkeit, sofern sie etwaige in ihrem innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen, Zugang zu verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahren haben, um die von Privatpersonen und Behörden vorgenommenen Handlungen und begangenen Unterlassungen anzufechten, die gegen umweltbezogene Bestimmungen ihres innerstaatlichen Rechts verstoßen.
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In der Rechtsprechung ist geklärt, dass der Vorschrift keine unmittelbare Wirkung zukommt. Die nationalen Gerichte sind aber verpflichtet, ihr nationales Verwaltungsverfahrensrecht und Verwaltungsprozessrecht soweit wie möglich im Einklang sowohl mit den Zielen von Art. 9 Abs. 3 AK als auch mit dem Ziel eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes für die durch das Unionsrecht verliehenen Rechte auszulegen, um es einer Umweltschutzvereinigung zu ermöglichen, eine Entscheidung, die am Ende eines Verwaltungsverfahrens ergangen ist, das möglicherweise in Widerspruch zum Umweltrecht der Union steht, vor einem Gericht anzufechten (EuGH, Urteil vom 8. März 2011 - C-240/09 [ECLI:EU:C:2011:125] - Rn. 51 f.). Eine Auslegung contra legem - im Sinne einer methodisch unzulässigen richterlichen Rechtsfindung - fordert das Unionsrecht nicht (BVerwG, Urteil vom 5. September 2013 - 7 C 21.12 - BVerwGE 147, 312 Rn. 21, 36 m.w.N.).
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In § 42 Abs. 2 VwGO kommt ein allgemeines Strukturprinzip des Verwaltungsrechtsschutzes zum Ausdruck. Vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 GG ist dieser Rechtsschutz, wenn auch nicht ausschließlich, so doch in erster Linie auf den Individualrechtsschutz ausgerichtet (BVerwG, Urteile vom 29. April 1993- 7 A 3.92 - BVerwGE 92, 263 <264> und vom 5. September 2013 - 7 C 21.12 - BVerwGE 147, 312 Rn. 18). Diese Grundentscheidung gilt in gleicher Weise für die Feststellungsklage, auch dann, wenn sie sich gegen eine Rechtsverordnung des Bundes richtet und die Hürde der Antragsbefugnis wegen der Möglichkeit einer Rechtsverletzung bereits genommen ist. Auch in einem solchen Fall ist die Feststellungsklage nur begründet, wenn die fragliche Rechtsverordnung gerade den jeweiligen Kläger in eigenen Rechten verletzt (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Juni 2000 - 11 C 13.99 - BVerwGE 111, 276 <283> und Beschluss vom 5. Oktober 2009 - 4 B 8.09 - juris Rn. 6). Wäre in einem solchen Fall die Klage eines Umweltschutzvereins unabhängig vom Vorliegen subjektiver Rechte bei einem Verstoß gegen europäisches Umweltrecht begründet, liefe dies in der Sache auf eine - nach ihrem Prüfungsumfang beschränkte - objektive Normenkontrolle gegen eine Rechtsverordnung des Bundes hinaus, welche der Gesetzgeber nicht eröffnet hat (vgl. § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO). Zu einer solchen Rechtsfortbildung ist die Rechtsprechung aus Gründen der Gewaltenteilung nicht befugt und auch aus unionsrechtlichen Gründen nicht gezwungen.
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Einer Vorlage bedarf es nicht, weil die maßgeblichen Fragen zu Art. 9 Abs. 3 AK in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bereits durch dessen Urteil vom 8. März 2011 - C-240/09 - geklärt sind (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 12. November 2014 - 4 C 34.13 - juris Rn. 26). Da der Kläger zu 1 nicht berechtigt ist, die fehlerhafte Behandlung von in Lärmaktionsplänen dargestellten ruhigen Gebieten durch eine Flugverfahrensfestlegung zu rügen, kommt es nicht auf die für klärungsbedürftig gehaltenen Fragen an, welche Anforderungen das Unionsrecht insoweit an die Festlegung eines Flugverfahrens stellen könnte.
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B. Das Oberverwaltungsgericht hat die Klagen der Kläger zu 2 bis 9 ebenfalls im Ergebnis zutreffend abgewiesen (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die Festlegung des Flugverfahrens SUKIP 1 B verletzt die Kläger zu 2 bis 9 nicht in ihren Rechten.
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Die Festlegung eines Flugverfahrens erfolgt nach § 32 Abs. 4 Nr. 8, Abs. 4c LuftVG, § 27a Abs. 2 Satz 1 LuftVO durch eine Rechtsverordnung des Bundes. Da eine Normenkontrolle nach § 47 Abs. 1 VwGO nicht eröffnet ist, ist als Rechtsbehelf der Kläger zu 2 bis 9 nur die Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO statthaft. Diese Klageart dient dem Individualrechtsschutz, auch wenn sie sich auf ein Rechtsverhältnis bezieht, das durch eine Rechtsverordnung begründet wird. Daher setzt der Klageerfolg eine Verletzung eigener Rechte des jeweiligen Klägers voraus (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Juni 2000 - 11 C 13.99 - BVerwGE 111, 276 <283> und Beschluss vom 5. Oktober 2009 - 4 B 8.09 - juris Rn. 6). Dies ist zutreffend Gegenstand des Klage- und Revisionsantrags der Kläger zu 2 bis 9.
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I. Formelle Mängel der Rechtsverordnung sind nicht ersichtlich. Es bedurfte weder einer UVP noch einer darauf bezogenen Vorprüfung. Weitere formelle Bedenken machen auch die Kläger nicht geltend.
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II. Die Festlegung des Flugverfahrens SUKIP 1 B verstößt nicht gegen Bindungen aus dem Planfeststellungsbeschluss für den Flughafen Berlin Brandenburg.
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1. Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Oberverwaltungsgericht erkannt, dass der Planfeststellungsbeschluss und die Festsetzung des streitgegenständlichen Flugverfahrens nicht beziehungslos nebeneinander stehen.
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a) Bei einem inländischen Flughafen hat das BAF bei seiner Abwägung die von der zuständigen Landesluftfahrtbehörde in der Planfeststellung und der luftverkehrsrechtlichen Genehmigung des Flughafens getroffenen Entscheidungen zu beachten. Deren Ausnutzung darf es nicht vereiteln. Es darf keine Regelungen treffen, die im Widerspruch zu bereits getroffenen Entscheidungen über den Betrieb des Flughafens stehen, und ist insbesondere darauf beschränkt, den entstehenden Lärm gleichsam zu "bewirtschaften" (BVerwG, Beschluss vom 4. Mai 2005 - 4 C 6.04 - BVerwGE 123, 322 <330 f.>). Lässt sich die Zulassung eines Flughafens nach dem Abwägungskonzept der Planfeststellungsbehörde nur rechtfertigen, wenn bestimmte Gebiete von erheblichen Beeinträchtigungen durch Fluglärm verschont bleiben, kann die Planfeststellungsbehörde klarstellen, dass der Schutz dieser Gebiete zu den tragenden Erwägungen des Planfeststellungsbeschlusses gehört, zu denen sich das BAF bei der nachfolgenden Festlegung eines Flugverfahrens nicht in Widerspruch setzen darf (BVerwG, Urteil vom 31. Juli 2012 - 4 A 5000.10 u.a. - BVerwGE 144, 1 Rn. 51). Ist der Schutz bestimmter Gebiete bereits Voraussetzung für die zielförmige Festlegung des Flughafenstandorts in der Landesplanung, kann auch der Träger der Landesplanung die ihm zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, um den Schutz dieser Gebiete in den nachfolgenden Verfahren zu sichern (BVerwG, Urteile vom 4. April 2012 - 4 C 8.09 u.a. - BVerwGE 142, 234 Rn. 301 ff. und vom 31. Juli 2012 - 4 A 5000.10 u.a. - BVerwGE 144, 1 Rn. 51). Auch wenn Flugverfahren nicht selbst Regelungsgegenstand der Landesplanung oder der Planfeststellung sind (BVerwG, Urteil vom 13. Oktober 2011 - 4 A 4001.10 - BVerwGE 141, 1 Rn. 147), kann die Planfeststellungsbehörde mit bindender Wirkung für die spätere Festlegung von Flugverfahren feststellen, dass nach ihrem planerischen Konzept Grundlage für die Zulassung des Flughafens an dem gewählten Standort und mit der festgelegten Bahnkonfiguration ist, dass bestimmte, besonders schutzwürdige Gebiete von Verlärmung verschont bleiben (BVerwG, Urteil vom 26. Juni 2014 - 4 C 3.13 - LKV 2014, 460 Rn. 10). Ob der Planfeststellungsbeschluss ein Flugverfahren zulässt (so die Formulierung in BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 2013 - 4 C 14.12 - BVerwGE 149, 17 Rn. 16 f., 19), ist nach diesen Maßgaben zu prüfen.
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b) Das Oberverwaltungsgericht hat angenommen, die Festlegung eines Flugverfahrens sei bereits rechtswidrig, wenn es abweichend von der Grobplanung über ein Gebiet festgesetzt werde, das erkennbar nicht von der planerischen Festsetzung getragen sei und auf das sich die UVP in der Planfeststellung deshalb nicht erstreckt habe. Für ein solches Flugverfahren fehle die notwendige planerische Konfliktbewältigung.
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Diese Annahme dürfte mit Bundesrecht so nicht vereinbar sein. Allerdings hat der Planfeststellungsbeschluss die Aufgabe, die von dem Planvorhaben in seiner räumlichen Umgebung aufgeworfenen Probleme zu bewältigen (BVerwG, Urteile vom 13. Oktober 2011 - 4 A 4001.10 - BVerwGE 141, 1 Rn. 151 und vom 31. Juli 2012 - 4 A 5000.10 u.a. - BVerwGE 144, 1 Rn. 50). Er darf aber auf Vorgaben für die Festsetzung von Flugverfahren verzichten, wenn nach seiner Auffassung die in der räumlichen Umgebung des Flughafens aufgeworfenen Probleme bei allen in Betracht kommenden Flugverfahren bewältigt sind. Hat die Planfeststellungsbehörde Auswirkungen auf ein bestimmtes Gebiet nicht betrachtet, so kann dieser Umstand allenfalls ein Indiz sein, dass sie Flugverfahren dort nicht zulassen wollte. Er führt aber für sich genommen nicht dazu, dass der Planfeststellungsbeschluss der Festsetzung eines Flugverfahrens über dieses Gebiet entgegensteht. Denn es ist ohne Weiteres denkbar, dass eine Betrachtung unterblieben ist, weil die Planfeststellungsbehörde die Betroffenheiten durch die von ihr betrachteten Flugverfahren für vergleichbar mit den Betroffenheiten durch den Überflug über ein nicht näher betrachtetes Gebiet gehalten hat (BVerwG, Urteil vom 31. Juli 2012 - 4 A 5000.10 u.a. - BVerwGE 144, 1 Rn. 50). Dies bedarf keiner Vertiefung, weil der Maßstab des Oberverwaltungsgerichts den Klägern zu 2 bis 9 nicht zum Nachteil gereichen kann.
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c) Die Revision wendet sich gegen die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, die Vorschriften über das Planfeststellungsverfahren hielten auch für den Fall der Unanfechtbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses das erforderliche Instrumentarium für eine etwaige Planergänzung oder ein ergänzendes Planfeststellungsverfahren selbst bereit (§ 75 Abs. 2 Satz 2 bis 4 VwVfG), obwohl Veränderungen der Betroffenheiten, die sich ergeben, wenn das BAF Flugverfahren festlegt, die von der für das Planfeststellungsverfahren erstellten Grobplanung abweichen, keine nicht voraussehbaren Wirkungen im Sinne des § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG sind (BVerwG, Urteil vom 31. Juli 2012 - 4 A 5000.10 u.a. - BVerwGE 144, 1 Rn. 52). Dies mag auf sich beruhen. Das Oberverwaltungsgericht hat § 75 Abs. 2 Satz 2 bis 4 VwVfG nicht gemäß § 173 Satz 1 VwGO, § 546 ZPO angewendet, sondern zur Begründung seiner Rechtsauffassung zu anderen Normen angeführt. Damit fehlt es an einer Rechtsverletzung im Sinne von § 137 Abs. 1 VwGO.
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2. Der Planfeststellungsbeschluss für den Flughafen Berlin Brandenburg verbietet nicht explizit einen Überflug über den Großen Müggelsee. Nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts verstößt die Festsetzung des streitgegenständlichen Flugverfahrens auch nicht gegen die im Planfeststellungsbeschluss ausdrücklich erklärten Planungsziele. Dies ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.
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a) Die Auslegung eines Verwaltungsakts unterliegt als Tatsachenwürdigung nur eingeschränkter revisionsgerichtlicher Kontrolle. Zu prüfen ist, ob das Tatsachengericht den Regelungsgehalt des Verwaltungsakts nach den zu §§ 133, 157 BGB entwickelten Regeln ermittelt hat. In diesem Fall ist der tatrichterlich ermittelte Erklärungsinhalt als Tatsachenfeststellung nach § 137 Abs. 2 VwGO bindend. Dem Revisionsgericht ist eine eigene Auslegung des Verwaltungsakts nur möglich, wenn das Tatsachengericht in seiner Entscheidung nichts Näheres ausführt und insbesondere sein Auslegungsergebnis nicht begründet hat. Liegt dagegen - wie hier - eine solche Begründung vor, bedarf es einer den Anforderungen des § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO genügenden Verfahrensrüge, um das Auslegungsergebnis anzugreifen (BVerwG, Urteile vom 4. Dezember 2001 - 4 C 2.00 - BVerwGE 115, 274 <279 f.> und vom 5. November 2009 - 4 C 3.09 - BVerwGE 135, 209 Rn. 18); die bloße Darlegung einer abweichenden, von einem Beteiligten für richtig gehaltenen Auslegung eines Verwaltungsakts genügt dagegen nicht. Revisionsgerichtlicher Prüfung unterliegt ferner, ob sich das Tatsachengericht durch eine fehlerhafte Vorstellung des Bundesrechts den Blick für die zutreffende Auslegung verstellt hat (Neumann, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 137 Rn. 166).
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b) Das Oberverwaltungsgericht hat eine Vereitelung des Planungsziels des Planfeststellungsbeschlusses nur für den Fall angenommen, dass stark belegte Abflugverfahren über dicht besiedeltes Stadtgebiet entlang der An- und Abfluggrundlinien geführt werden.
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Die Kläger beanstanden zu Unrecht als Gehörsverstoß, das Oberverwaltungsgericht habe ihren Vortrag nicht erwogen, dass das so formulierte Planungsziel auch für zumutbaren, aber abwägungserheblichen Fluglärm gelte. Das Oberverwaltungsgericht hat sich mit diesem Einwand befasst, ist ihm aber nicht gefolgt. Es hat festgestellt, dass ein völliges Freihalten von Fluglärm sämtlicher zu Berlin gehörender Ortslagen aufgrund der den Flughafen umgebenden Siedlungsstruktur nicht möglich und auch im Planfeststellungsbeschluss weder als Ziel formuliert noch sonst Bestandteil der Planrechtfertigung sei. Es hat damit der Auffassung der Kläger widersprochen, wonach ein "metropolen-abgewandtes" Konzept des Planfeststellungsbeschlusses das angegriffene Flugverfahren ausschließe. Entsprechend formuliert das Oberverwaltungsgericht als Planungsziel nicht das vollständige Freihalten des Luftraums über innerstädtische Lagen, sondern das Vermeiden von Überflügen in niedriger Höhe über dicht besiedeltes Gebiet. Im Übrigen und hiervon unabhängig könnten die Kläger einen Verstoß gegen Festlegungen zu Gunsten innerstädtischer Lagen nicht rügen, weil ihre Grundstücke sich dort nicht befinden (s.u.).
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Ob die Formulierung "entlang der An- und Abfluggrundlinien" aktenwidrig ist, kann dahinstehen, da es auf sie nicht ankommt.
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c) Eine Vereitelung des festgestellten Planungsziels hat das Oberverwaltungsgericht verneint, weil die Routenführung über den unbewohnten Müggelsee und die - im Verhältnis zu den Bevölkerungskonzentrationen in der Umgebung der Flughäfen Tegel und Tempelhof - weniger dicht besiedelten angrenzenden Gebiete führe. Dies ist als Tatsachenwürdigung revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Die hiergegen erhobenen Verfahrensrügen bleiben ohne Erfolg.
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aa) Der Vorwurf der Kläger ist unbegründet, das Oberverwaltungsgericht habe Tatsachen handgreiflich fehlerhaft gewürdigt, weil es die Gebiete um den Müggelsee als weniger dicht besiedelt als die Umgebung der Flughäfen Tegel und Tempelhof angesehen habe. Tatsachenwürdigungen hat das Revisionsgericht nur daraufhin zu prüfen, ob das Tatsachengericht allgemein verbindliche Beweiswürdigungsgrundsätze, also gesetzliche Beweisregeln, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Oktober 1991 - 1 C 24.90 - BVerwGE 89, 110 <117>; Neumann, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 137 Rn. 182). Einen solchen Fehler zeigen die Kläger nicht auf. Sie beziehen die Einwohnerdichte auf einen kleineren räumlichen Umgriff als das Oberverwaltungsgericht, welches die an den Müggelsee angrenzenden Gebiete insgesamt in den Blick nimmt.
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bb) Die Kläger beanstanden, dass das Oberverwaltungsgericht im Tatbestand seines Urteils keine Feststellungen dazu getroffen hat, wie häufig das festgelegte Flugverfahren beflogen werden wird.
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Mit einer Kritik an dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 17. Dezember 2013 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 20. Dezember 2013 über ihren Antrag auf Tatbestandsberichtigung nach § 119 Abs. 1 VwGO können sie schon deshalb nicht durchdringen, weil dieser Beschluss unanfechtbar und daher der revisionsgerichtlichen Prüfung entzogen ist (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 557 Abs. 2 ZPO; vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Dezember 2010 - 4 B 49.10 - juris Rn. 6; Rennert, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 119 Rn. 6). Auch § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO als Selektionsverbot ist nicht verletzt. Dass das Oberverwaltungsgericht insoweit keine Feststellungen trifft, lässt nicht den Schluss zu, es habe seine Überzeugung entgegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht auf der Grundlage des vollständigen Prozessstoffes gebildet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. Mai 2013 - 8 B 70.12 - ZOV 2013, 131 Rn. 9). Denn ausgehend von dem von ihm festgestellten Ziel der Planfeststellung kam es auf die Häufigkeit der Nutzung nicht an.
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3. Nach der Auslegung des Oberverwaltungsgerichts steht der Planfeststellungsbeschluss auch nicht "faktisch" oder konkludent dem festgesetzten Flugverfahren über den Müggelsee entgegen, um in dieser Region ansässige Grundstückseigentümer zu schützen.
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a) Ein eingeschränktes Planungskonzept, das die Müggelseeregion ausspart, hat das Oberverwaltungsgericht verneint. Es hat sich von der Frage leiten lassen, ob Umweltauswirkungen zu erwarten sind, die im Planfeststellungsbeschluss nicht geprüft worden sind (UA S. 22). Es hat dem Planfeststellungsbeschluss damit in der Sache die Aussage entnommen, dass er einer Belastung der Müggelseeregion durch Überflüge nicht entgegensteht, diese vielmehr ebenso billigt wie den Überflug über andere Gebiete. Dies gilt insbesondere für den Schutz der Wohnbevölkerung. Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts ist der Schutz der Wohnbevölkerung und der Erholungssuchenden vor Fluglärm auch bei einer räumlichen Verschiebung der Belastungen durch das allgemein geltende Schutzkonzept der Planfeststellungsbehörde auf gleich bleibendem Niveau sichergestellt (UA S. 27).
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b) Diese Auslegung bindet den Senat nach § 137 Abs. 2 VwGO. Die innerhalb der Revisionsbegründungsfrist erhobenen Verfahrensrügen bleiben erfolglos.
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aa) Die von der Revision beanstandete Formulierung "Einwirkungsbereich des Vorhabens" für den nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts (UA S. 22) die Umweltfolgen untersucht worden seien, ist nicht aktenwidrig. Sie ist nicht denknotwendig im Sinne eines rechtsförmlich festgesetzten Bereichs zu verstehen, sondern kann - wie hier - auch einen Bereich bezeichnen, auf den der Betrieb des Flughafens tatsächlich einwirkt.
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bb) Die Aussage des Oberverwaltungsgerichts ist nicht aktenwidrig, die im Einwirkungsbereich des Vorhabens untersuchten Umweltfolgen beschränkten sich erkennbar nicht auf die Auswirkungen von konkreten Flugrouten, sondern seien in großem Umfang schutzgutbezogen durchgeführt worden. Dass Umweltauswirkungen bestimmter Flugverfahren anhand der Grobplanung im Planfeststellungsverfahren ermittelt werden, schließt weder eine Orientierung der UVP an Schutzgütern aus, noch zwingt dieser Umstand zu der Annahme, die Erkenntnisse seien auf eine konkrete Flugroutenführung beschränkt.
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cc) Die Kläger rügen als Gehörsverstoß, das Oberverwaltungsgericht habe sich nicht mit ihrem Vortrag zu einem eingeschränkten Planungskonzept für den Flughafen Berlin Brandenburg auf der Ebene der Raumordnung auseinandergesetzt. Dies legt keinen Gehörsverstoß dar. Die Ausführungen aus dem Schriftsatz vom 22. Mai 2013 werfen dem BAF eine Missachtung der Zielvorgaben des Landesentwicklungsplans Flughafenstandortentwicklung (LEP FS) vom 28. Oktober 2003 (GVBl. [BE] S. 521) in der Fassung der Änderung vom 30. Mai 2006 (GVBl. [BE] S. 509) vor, weil diese in der Abwägung nicht mit hohem Gewicht berücksichtigt worden seien und das streitgegenständliche Flugverfahren die Steuerungswirkung dieses Plans vereitele. Die angeführte Stelle entnimmt den Vorgaben des LEP FS aber keine Indizien für die Auslegung und Reichweite des Planfeststellungsbeschlusses, zu denen sich das Oberverwaltungsgericht in dem hier maßgeblichen Zusammenhang hätte verhalten müssen.
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dd) Ein Verstoß gegen das Selektionsverbot des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist nicht ersichtlich. Das Oberverwaltungsgericht hat erkannt, dass sich die UVP der Planfeststellung nicht auf die hier in Rede stehenden Flugrouten erstreckt hat. Dass es daraus nicht den Schluss gezogen hat, die Planfeststellungsbehörde habe Beeinträchtigungen der Müggelseeregion ausschließen wollen, ist eine tatrichterliche Würdigung. Dass die Kläger diese nicht teilen, verstößt nicht gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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ee) Es ist auch nicht denkgesetzlich ausgeschlossen, dass die Planfeststellungsbehörde kein Planungskonzept für den Flughafen unter Aussparung der Müggelseeregion verfolgt habe, ohne die Vorhabenauswirkungen dieses Flugverfahrens untersucht und eingeschätzt zu haben. Ein Verstoß gegen Denkgesetze liegt nur vor, wenn das Gericht eine Schlussfolgerung zieht, die aus Gründen der Logik schlechterdings nicht gezogen werden kann und deshalb willkürlich ist (stRspr; vgl. BVerwG, Urteile vom 20. März 2012 - 5 C 1.11 - BVerwGE 142, 132 Rn. 32 und vom 20. Juni 2013 - 8 C 10.12 - BVerwGE 147, 47 Rn. 15). Ein solcher Fall liegt nicht vor, da Regelungswille einer Behörde und gewählter Untersuchungsraum nicht denknotwendig übereinstimmen müssen.
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c) Sollte das Oberverwaltungsgericht gemeint haben, seine Prüfung auf die Frage erstrecken zu müssen, ob der Planfeststellungsbeschluss eine Vergleichbarkeit der Auswirkungen der Grobplanung mit der Müggelsee-Route zutreffend angenommen habe, wäre eine solche Prüfung nicht veranlasst. Dies ist indes unschädlich, weil sich die zu weit reichende Prüfung nicht zu Lasten der Kläger zu 2 bis 9 auswirken konnte.
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aa) Hat der Planfeststellungsbeschluss bestimmte Umweltauswirkungen nicht in den Blick genommen, so obliegt es den Betroffenen, diesen insoweit binnen der hierfür laufenden Fristen mit der Begründung anzugreifen, dessen Maßnahmen reichten nicht aus, um die Ausgewogenheit der Standortentscheidung für den Fall von der Grobplanung abweichender Flugverfahren sicherzustellen. Mit Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses kann eine solche Korrektur nicht mehr gefordert werden (BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 2013 - 4 C 14.12 - BVerwGE 149, 17 Rn. 17).
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bb) Das Oberverwaltungsgericht hat zudem Schutzgüter des UVPG in den Blick genommen, deren Verletzung die Kläger zu 2 bis 9 nicht rügen können.
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Für die Begründetheit ihrer Feststellungsklage kommt es darauf an, ob ein - unterstellter - Ausschluss des Überfluges durch den Planfeststellungsbeschluss zu ihren Gunsten drittschützend ist. Schließt ein Planfeststellungsbeschluss die Festsetzung eines bestimmten Flugverfahrens ausdrücklich oder konkludent allein im öffentlichen Interesse aus, werden Rechte von Grundstückseigentümern auch dann nicht verletzt, wenn das BAF diese Vorgabe missachtet. Denn insoweit können die von einem Flugverfahren betroffenen Grundstückseigentümer in gerichtlichen Verfahren gegen die Festlegung eines Flugverfahrens nicht besser stehen als die von einem Planfeststellungsbeschluss nur mittelbar Betroffenen, die darauf beschränkt sind, eine Verletzung in eigenen Rechten geltend zu machen (BVerwG, Beschluss vom 19. Mai 2005 - 4 VR 2000.05 - Buchholz 442.40 § 8 LuftVG Nr. 22 S. 42 m.w.N.). Es bedarf daher nur der Prüfung solcher Bindungen aus dem Planfeststellungsbeschluss, die drittschützende Wirkung zugunsten der jeweiligen Kläger entfalten (vgl. VGH Kassel, Urteil vom 3. September 2013 - 9 C 323/12.T - juris Rn. 122 [nicht rechtskräftig]).
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Ob die Belange der Schutzgüter Luft, Wasserqualität, Trinkwasser, Boden oder des Vogelschlages im Planfeststellungsbeschluss der Festsetzung eines Überfluges über die Müggelseeregion entgegenstehen, bedurfte daher keiner Prüfung. Denn es fehlt jeder Anhaltspunkt, dass diese Belange hätten Anlass geben können, zum Schutz der Kläger einen Überflug der Müggelseeregion auszuschließen. Auch die Kläger haben weder schriftsätzlich noch auf Hinweis in der mündlichen Verhandlung solche Anhaltspunkte angeführt, sondern ihren Vortrag in der mündlichen Verhandlung auf die Beeinträchtigung durch Lärm beschränkt.
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Auf die Verfahrensrügen der Revision in diesem Zusammenhang kommt es daher nicht an (§ 144 Abs. 4 VwGO). Dies gilt auch für die gerügten Gehörsverstöße. Denn § 144 Abs. 4 VwGO kann auch herangezogen werden, wenn eine angeblich unter Verstoß gegen das rechtliche Gehör getroffene Feststellung zu einer einzelnen Tatsache nach der materiell-rechtlichen Beurteilung des Revisionsgerichts unter keinem denkbaren Gesichtspunkt erheblich ist (BVerwG, Urteile vom 10. November 1999 - 6 C 30.98 - BVerwGE 110, 40 <48 f.> und vom 27. Januar 2011 - 7 C 3.10 - NVwZ 2011, 696 Rn. 12).
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d) Das Oberverwaltungsgericht hat es ferner für ausgeschlossen gehalten, dass die Planfeststellungsbehörde zu einem abweichenden Ergebnis gekommen wäre, wenn sie anstelle der Grobplanung das angegriffene Flugverfahren zugrunde gelegt hätte. Diese Feststellung führt nicht weiter, weil für die Frage nach den Bindungen aus einem Planfeststellungsbeschluss eine solche hypothetische Überlegung unergiebig ist. Die insoweit erhobenen Einwendungen der Revision können auf sich beruhen.
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III. Im Ergebnis zutreffend hat das Oberverwaltungsgericht auch eine Verletzung des Abwägungsgebots zu Lasten der Kläger zu 2 bis 9 verneint.
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1. Da es an einer fachgesetzlichen Normierung fehlt, unterliegt die Festlegung von Flugverfahren dem rechtsstaatlichen Abwägungsgebot (BVerwG, Urteil vom 28. Juni 2000 - 11 C 13.99 - BVerwGE 111, 276 <281>). In welchem Umfang die Abwägungspflicht besteht, richtet sich nach den gesetzlichen Vorgaben und im Übrigen nach dem rechtsstaatlich für jede Abwägung unabdingbar Gebotenen (BVerwG, Urteile vom 24. Juni 2004 - 4 C 11.03 - BVerwGE 121, 152 <157 f.> und vom 26. Juni 2014 - 4 C 3.13 - LKV 2014, 460 Rn. 8). Bei der richterlichen Kontrolle dieser untergesetzlichen Normen kommt es dabei im Grundsatz auf das Ergebnis des Rechtsetzungsverfahrens an, also auf die Vorschrift in ihrer regelnden Wirkung, nicht aber auf die Motive desjenigen, der an ihrem Erlass mitwirkt. Der Weg zu einer verwaltungsgerichtlichen Überprüfung des Abwägungsvorgangs ist bei untergesetzlichen Normen nur eröffnet, wenn und soweit der Normgeber einer besonders ausgestalteten Bindung an gesetzlich formulierte Abwägungsdirektiven unterliegt (BVerwG, Urteil vom 26. Juni 2014 - 4 C 3.13 - LKV 2014, 460 Rn. 25 m.w.N.).
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a) Nach § 29b Abs. 2 LuftVG haben die Luftfahrtbehörden und damit auch das BAF auf den Schutz vor unzumutbarem Fluglärm hinzuwirken. Die Vorschrift normiert eine Regelverpflichtung, die Ausnahmen nur zulässt, wenn sich hierfür zwingende Gründe ins Feld führen lassen. Muss die Entscheidung für eine bestimmte Flugroute dagegen nicht mit unzumutbaren Lärmbelastungen erkauft werden, so genügt es, wenn sie sich mit vertretbaren Argumenten untermauern lässt. Das BAF braucht nicht den Nachweis zu erbringen, auch unter dem Blickwinkel des Lärmschutzes die angemessenste oder gar bestmögliche Lösung gefunden zu haben. Einen Rechtsverstoß begeht es nur dann, wenn es die Augen vor Alternativen verschließt, die sich unter Lärmschutzgesichtspunkten als eindeutig vorzugswürdig aufdrängen, ohne zur Wahrung der für den Flugverkehr unabdingbaren Sicherheitserfordernisse weniger geeignet zu sein (ausführlich BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2004 - 4 C 11.03 - BVerwGE 121, 152 <162, 164>; krit. Wöckel, Festlegung von Flugverfahren, 2013, S. 241 f.). § 29b Abs. 2 LuftVG ist für die Abwägungsentscheidung unergiebig, wenn alle in Betracht kommenden Flugverfahren unzumutbaren Lärm mit sich bringen. Denn die Norm ist auf die Situation zugeschnitten, in der neben Flugverfahren mit Lärmwirkungen oberhalb der Zumutbarkeitsschwelle auch Flugverfahren zur Verfügung stehen, mit denen sich unzumutbare Lärmbelastungen vermeiden lassen (BVerwG, Urteil vom 12. November 2014 - 4 C 37.13 - juris Rn. 29; ebenso OVG Bautzen, Urteil vom 27. Juni 2012 - 1 C 13/08 - juris Rn. 49; VGH Kassel, Urteil vom 27. Mai 2014 - 9 C 2269/12.T - juris Rn. 75; OVG Münster, Urteil vom 13. November 2008 - 20 D 124/06.AK - juris Rn. 46).
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b) Unzumutbar sind alle Lärmwirkungen, die durch das Qualifikationsmerkmal der Erheblichkeit die Schädlichkeitsgrenze überschreiten (BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2004 - 4 C 11.03 - BVerwGE 121, 152 <161>). Da die einfachgesetzliche Grenzlinie der Unzumutbarkeit bei der Festlegung von Flugverfahren nicht anders zu ziehen ist als im luftrechtlichen Planungsrecht, gelten die nach § 8 Abs. 1 Satz 3 LuftVG in der Planfeststellung für Flughäfen zu beachtenden Werte des § 2 Abs. 2 Fluglärmschutzgesetz (FluglärmG) auch hier (BVerwG, Urteil vom 12. November 2014 - 4 C 37.13 - juris Rn. 26; ebenso Wöckel, Festlegung von Flugverfahren, 2013, S. 175). Das Oberverwaltungsgericht hat damit zutreffend für die Zumutbarkeitsgrenze einen Dauerschallpegel am Tag von 55 dB(A) angenommen, indem es die Einschätzung der Beklagten gebilligt hat, wonach der Bereich des vermeidbaren unzumutbaren Fluglärms nach den Berechnungen des UBA zur 55 dB(A)-Kontur am Tag zu bestimmen ist. Die Formulierung auf Seite 33 f. des Urteilsabdrucks lässt entgegen der Auffassung der Revision nicht den Schluss zu, das Oberverwaltungsgericht sehe bereits Fluglärm oberhalb eines äquivalenten Dauerschallpegels von 50 dB(A) am Tage als unzumutbar an, auch wenn der Bezug des Satzes missverständlich ist. Die Gehörsrüge der Kläger, das Oberverwaltungsgericht habe ihren Vortrag zur Einschätzung der Beklagten hinsichtlich des Pegelbereichs 50 bis 55 dB(A) als zumutbar nicht erwogen, geht damit ebenso ins Leere wie die Ausführungen der Revision zu § 114 Satz 1 VwGO.
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Die Kläger haben sich in der mündlichen Verhandlung auf den Standpunkt gestellt, die Grenze der Zumutbarkeit liege bei einem energieäquivalenten Dauerschallpegel von 60 dB(A) entsprechend der Festsetzung des Planfeststellungsbeschlusses zum Umgriff des Tagschutzgebiets (A II Ziffer 5.1.2 Nr. 2 des PFB). Ihre Forderung soll offenbar die Belastung der Betroffenen kleinreden, die auf alternativen Routen am Tag mit einem Dauerschallpegel von mindestens 55 dB(A) belastet würden. Es mag dahinstehen, ob die Kläger mit diesem Argument einen Fehler bei der Abwägung ihrer eigenen Belange aufzeigen könnten, zumal ihre Belastung ausgehend von der von ihnen angenommenen erhöhten Zumutbarkeitsschwelle zu gewichten wäre (BVerwG, Urteil vom 4. April 2012 - 4 C 8.09 u.a. - BVerwGE 142, 234 Rn. 190) und entsprechend geringer erschiene. Denn für die Anwendung des § 29b Abs. 2 LuftVG ist die Zumutbarkeitsgrenze § 2 Abs. 2 FluglärmG maßgeblich, nicht die Festsetzung des Planfeststellungsbeschlusses.
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2. Gemessen hieran werden die Grundstücke der Kläger zu 2 bis 9 mit Fluglärm belastet, der unterhalb der Zumutbarkeitsschwelle des § 29b Abs. 2 LuftVG liegt.
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a) Die von den Klägern erwartete Lärmbelastung beträgt für die Klägerin zu 2 und den Kläger zu 3 mindestens 51 dB(A) tags und mindestens 47 dB(A) nachts sowie für die Kläger zu 4 bis 9 mindestens 47 bis 50 dB(A) tags und mindestens 40 bis 47 dB(A) nachts. Selbst diese Belastung bleibt hinter den Grenzwerten des Fluglärmschutzes von § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 FluglärmG von LAeqTag 55 dB(A) und LAeqNacht von 50 dB(A) zurück und ist damit zumutbar. Schon von daher geht die Rüge, das Oberverwaltungsgericht sei von unzumutbarem Lärm ausgegangen, habe diese Annahme aber seiner rechtlichen Würdigung nicht zugrunde gelegt und damit § 108 Abs. 1 VwGO verletzt, ins Leere.
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Die Feststellung auf Seite 32 des Urteilsabdrucks, wonach für die Klägerin zu 2 und den Kläger zu 3 der Grenzwert für die Nacht-Schutzzone geringfügig überschritten werde, kann allerdings dahin verstanden werden, diese seien nachts Fluglärm mit einem energieäquivalenten Dauerschallpegel von mehr als 50 dB(A) ausgesetzt. Eine solche Feststellung wäre aktenwidrig und damit nicht nach § 137 Abs. 2 VwGO bindend. Die Klägerin zu 2 und der Kläger zu 3 haben in ihrem Schriftsatz vom 22. Mai 2013 den bei ihnen zu erwartenden Schallpegel Lden mit (gerundet) 51 dB(A) angegeben. Dieser Pegel gibt nicht den nach § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Buchst. b FluglärmG maßgeblichen äquivalenten Dauerschallpegel während der Beurteilungszeit T nachts (22 bis 6 Uhr) an, sondern einen Pegel für den Gesamttag, in den die Lärmbelastung über den gesamten Tag, gewichtet nach Tag- (day), Abend- (evening) und Nachtstunden (night) eingeht (vgl. Anhang I Nr. 1 der Umgebungslärm-RL). Ausweislich der Lärmfachlichen Bewertung der Flugrouten für den Verkehrsflughafen Berlin Brandenburg des UBA, 2012, S. 46, verlaufen die Lärmkonturen des LAeqNacht für die DFS-Vorzugsvariante (Müggelseeüberflug) (Nacht) ausgehend von der Landebahn in nordwestlicher Richtung, noch die Grenze von 40 dB(A) bleibt südlich des Großen Müggelsees. Die Grundstücke der Klägerin zu 2 und des Klägers zu 3 liegen deutlich außerhalb dieser Kontur.
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Hiervon unabhängig führte auch eine Belastung der Kläger mit unzumutbarem Lärm im Sinne von § 29b Abs. 2 LuftVG nicht zu einem abweichenden Maßstab bei der Abwägungskontrolle. Denn alle in Betracht kommenden Routen sind mit unzumutbaren Lärmbelastungen verbunden (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. November 2014 - 4 C 37.13 - juris Rn. 29).
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b) Die Kläger machen geltend, das dem BAF aufgegebene Abwägungsprogramm könne nicht von der Betroffenheit der Kläger abhängen, es bedürfe bei unzumutbarem Fluglärm vielmehr stets eines zwingenden Grundes im Sinne des Senatsurteils vom 24. Juni 2004 - 4 C 11.03 - (BVerwGE 121, 152 <162>). Dies bedarf keiner Vertiefung. Für die Begründetheit der Feststellungsklage kommt es auf die abwägungserheblichen Belange der jeweiligen Kläger an. Werden diese mit zumutbarem Fluglärm belastet, muss die Entscheidung insoweit abwägungsfehlerfrei sein. Welche Abwägungspflichten dem BAF im Übrigen aufgegeben sind, spielt für den Erfolg der Klagen keine Rolle. Nichts anderes meint das Oberverwaltungsgericht auf Seite 32 seines Urteils. Der dort verwendete Begriff Prüfungsmaßstab bezieht sich auf die Begründetheit der Klage.
- 107
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3. Das Oberverwaltungsgericht hat ohne Verstoß gegen Bundesrecht die der Abwägung zugrunde gelegte Datengrundlage und den gewählten Prognosehorizont gebilligt.
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a) Das Oberverwaltungsgericht hat festgestellt, dass den Berechnungen des UBA und der DFS unterschiedliche Berechnungsmethoden zugrunde liegen. Das BAF habe diese Unterschiede erkannt und sei zu dem Ergebnis gelangt, dass die Untersuchungen - bei geringen Abweichungen untereinander - in fast sämtlichen Fällen sowohl zu einer im Wesentlichen gleichen Rangfolge als auch zu einer Identifizierung jeweils derselben Verfahrensalternative als Vorzugsvariante kommen. Es habe auf dieser Grundlage das Abwägungsmaterial eigenständig gewertet.
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Die gegen diese Feststellungen erhobenen Verfahrensrügen bleiben erfolglos. Die Revision wirft dem Oberverwaltungsgericht einen Verstoß gegen das Selektionsverbot des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO vor. Dies führt aber weder auf einen Verfahrensfehler noch einen revisionsrechtlich beachtlichen Verstoß bei der Tatsachenwürdigung. Dass das Oberverwaltungsgericht den Sachverhalt insoweit weniger detailliert darstellt als die Kläger dies wünschen, lässt nicht den Schluss zu, es habe gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verstoßen. Es beachtet vielmehr die Anforderungen des § 117 Abs. 3 VwGO, der eine gedrängte Darstellung des Tatbestandes verlangt und zur Darstellung von Einzelheiten einen Verweis auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen zulässt. Nichts anderes gilt, soweit die Kläger in der von ihnen beanstandeten Darstellung einen Gehörsverstoß erblicken.
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Im Übrigen geht die Kritik der Kläger an dieser Aussage ins Leere, weil die Berechnungen nach NIROS und die vom UBA angestellten Berechnungen übereinstimmend die Müggelsee-Route nur an Platzziffer 3 hinter den anderen Alternativen ZIESA 24 und ZIESA 23 sehen. Dies ist Gegenstand der vom Oberverwaltungsgericht in Bezug genommenen Ausführungen auf Seite 39 des Abwägungsvermerks des BAF vom 26. Januar 2012. Für das Oberverwaltungsgericht stand damit schon für die Berechnungen nach NIROS die Frage im Raum, ob die ungünstige nummerische Bewertung der Festlegung der streitgegenständlichen Route entgegenstand. Diese Frage stellte sich im Hinblick auf die Berechnungen des UBA nicht anders.
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Die Kläger sehen ihr rechtliches Gehör ferner verletzt, weil sich das Gericht mit ihrem Vortrag zu den Unterschieden in der Datengrundlage des vom UBA gewählten Verfahrens und der Berechnung der DFS nach NIROS nicht auseinandergesetzt habe. Das Gericht hätte bei einer Würdigung ihres Vortrags erkannt, dass die Bezugnahme auf beide Lärmberechnungen nicht geeignet gewesen sei, die Festsetzung der Müggelsee-Route zu tragen. Dies zeigt keinen Gehörsverstoß. Das Oberverwaltungsgericht hat sich mit diesen Fragen befasst und festgestellt, dass die unterschiedlichen Berechnungsmethoden einen unmittelbaren Vergleich der Betroffenenzahlen ausschließen (UA S. 30). Dass es aus diesem Befund nicht die von den Klägern für notwendig gehaltene Folgerung gezogen hat, hat mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör nichts zu tun.
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b) Den gewählten Prognosehorizont hat das Oberverwaltungsgericht ohne Verstoß gegen Bundesrecht gebilligt.
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aa) Gesetzliche Vorgaben für die Wahl des Prognosehorizontes fehlen. Daher lässt sich ein gewählter Prognosehorizont nur beanstanden, wenn er Ausdruck unsachlicher Erwägungen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Juni 2010 - 9 A 20.08 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 208 Rn. 74). Hierfür ist nichts ersichtlich. Angesichts der bei der Festlegung von Flugverfahren im Vordergrund stehenden Bewirtschaftung des jeweils konkret anfallenden Lärms und flexibler Änderungsmöglichkeiten ist die Wahl eines überschaubaren Prognosehorizontes nicht zu beanstanden. Das fehlende Erfordernis baulicher Maßnahmen rechtfertigt es auch, einen kürzeren zeitlichen Horizont als bei der Verkehrsprognose für die Planfeststellung zu wählen (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. März 2006 - 4 A 1075.04 - BVerwGE 125, 116 Rn. 354). Dass das hier streitgegenständliche Flugverfahren bauliche Maßnahmen am Boden erforderlich machen könnte, wie die Kläger behaupten, hat das Oberverwaltungsgericht nicht festgestellt.
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bb) Die im Hinblick auf den Prognosehorizont erhobenen Verfahrensrügen bleiben erfolglos. Der Vorwurf, das Oberverwaltungsgericht habe den klägerischen Vortrag zum Prognosehorizont nicht oder nur unvollkommen zur Kenntnis genommen, ist angesichts der Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts nicht nachvollziehbar. Die Bezeichnung von 360 000 Flugbewegungen als "technische Maximalkapazität" ist - wie die Kläger zutreffend geltend machen - fehlerhaft, bleibt aber auf die Erwägungen des Oberverwaltungsgerichts ohne Einfluss. Es hat gebilligt, dass das BAF seine Prognose nicht auf die "im Jahr 2023 zu erwartenden Dinge" - also 360 000 Flugbewegungen - habe stützen müssen. Die fehlerhafte Bezeichnung ist unschädlich.
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Ausgehend von der für die Beurteilung eines Verfahrensfehlers maßgeblichen Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Januar 1998 - 11 C 11.96 - BVerwGE 106, 115 <119> und Beschluss vom 16. Januar 2014 - 4 B 32.13 - ZfBR 2014, 375 Rn. 20) zum maßgeblichen Prognosezeitpunkt kam es auf die von den Klägern unter Beweis gestellte Behauptung ihrer Belastung "bei Zugrundelegung der Verkehrsmengen und des Flugzeugmix aus dem Szenario 20XX" nicht an. Dies trägt die Ablehnung wegen fehlender Entscheidungserheblichkeit. Hiervon unabhängig war die unter Beweis gestellte Tatsache auch nach Maßgabe der weiteren materiell-rechtlichen Überlegungen des Tatsachengerichts zum Abwägungsprogramm nicht erheblich, ohne dass es auf die Richtigkeit dieser Überlegungen ankommt.
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cc) Das BAF ist allerdings verpflichtet, die weitere Entwicklung zu beobachten. Ein Anstieg der Flugbewegungszahlen kann auch für das Verhältnis verschiedener Alternativrouten von Bedeutung sein, wenn etwa die Zahl der unzumutbar Betroffenen auf einer von mehreren alternativen Routen stärker steigt als in anderen Gebieten, weil sich die Verhältnisse am Boden, insbesondere die Besiedlungsdichte, unterscheiden. Das BAF muss daher die Auswirkungen seiner Regelung beobachten und bei entsprechendem Anlass seine Abwägungsentscheidung überprüfen (vgl. für den parlamentarischen Gesetzgeber BVerfG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 2 BvL 4/10 - BVerfGE 130, 263 <312>; Beschluss vom 14. Oktober 2008 - 1 BvF 4/05 - BVerfGE 122, 1 <35>; für den Verordnungsgeber BVerwG, Urteil vom 23. März 2011 - 6 CN 3.10 - BVerwGE 139, 210 Rn. 40). Diese Beobachtungspflicht trifft das BAF als Normgeber von Amts wegen und unabhängig von Anregungen aus der Fluglärmkommission.
- 117
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Die von den Klägern befürchtete Rechtsschutzlücke besteht nicht. Bei der Feststellungsklage kann der Kläger den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung selbst bestimmen (Kothe, in: Redeker/von Oertzen, VwGO, 16. Aufl. 2014, § 108 Rn. 26). Dies gilt auch, wenn das Rechtsverhältnis auf einer Rechtsverordnung beruht. Übersteigt die Zahl der Flugbewegungen die Prognose, so kann die Festlegung eines Flugverfahrens zu diesem Zeitpunkt Rechte eines Betroffenen auch dann verletzen, wenn die ursprüngliche Abwägungsentscheidung seine Rechte nicht verletzt hat.
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4. Das Oberverwaltungsgericht hat ohne Verstoß gegen Bundesrecht die Auswahl des festgesetzten Flugverfahrens durch die Beklagte gebilligt.
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a) Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts konnten die Kläger Sicherheitsbedenken der Beklagten gegen eine Routenführung über die Gosener Wiesen nicht entkräften. Die Abwägungsentscheidung sei auch nicht die Folge einer fehlerhaften "Abwägungsreihenfolge", weil der Abwägungsprozess das entwickelte Flugroutenkonzept abschließend in den Blick nehme.
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Die gegen die Ausführungen zur Abwägungsreihenfolge erhobene Rüge fehlerhafter Tatsachenwürdigung lässt einen revisionsrechtlich beachtlichen Fehler bei der Tatsachenwürdigung nicht erkennen. Die Ausführungen zeigen auch keine Aktenwidrigkeit der zugrundeliegenden Feststellung auf. Aus der angeführten Passage aus dem Abwägungsvermerk der DFS folgt lediglich, dass bestimmte Kombinationen von Flugverfahren in der Abwägung nicht berücksichtigt worden sind.
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Auch die Verfahrensrügen mit Blick auf die erhobenen Sicherheitsbedenken bleiben erfolglos. Das Oberverwaltungsgericht hat sich mit dem Vorschlag der Kläger zu einer Alternativroute befasst und auf die dagegen bestehenden Sicherheitsbedenken der Beklagten verwiesen. Diese ergeben sich aus dem wiedergegebenen Beklagtenvorbringen (UA S. 10). Damit scheidet eine Gehörsverletzung aus. Dass die Kläger eine ausführlichere Auseinandersetzung für notwendig halten, zeigt keinen Verstoß gegen das rechtliche Gehör auf. Hinsichtlich der Rüge der Aktenwidrigkeit fehlt es an einer Darlegung, aus welchem Aktenbestandteil sich die sicherheitsrechtliche Unbedenklichkeit der Führung über die Gosener Wiesen ergeben soll, zumal die Beklagte zu ähnlichen Varianten bereits Sicherheitsbedenken geäußert hat (Streitakte Bl. 287 ff.) und geltend macht, solche Bedenken in der mündlichen Verhandlung auch zu Varianten dieser Routenführung erhoben zu haben.
- 122
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Die Kläger vermissen die Auseinandersetzung des Oberverwaltungsgerichts mit Ausführungen zu einer Route über die Gosener Wiesen II. Dies legt keinen Gehörsverstoß dar. Es ist nicht ersichtlich, dass das Oberverwaltungsgericht mit seinen Ausführungen zu einer "Routenführung 'Gosener Wiesen'" nur eine einzelne Routenführung gemeint haben könnte.
- 123
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b) Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts führt ein Verzicht auf die Müggelsee-Route zu vermeidbarem unzumutbaren Fluglärm, weil nach der Berechnung des UBA die 55 dB(A)-Kontur mit der Festsetzung der Müggelsee-Route am Tag einen deutlich geringeren Teil von Müggelheim einschließt. Ein ähnlicher, wenn auch geringerer Effekt gelte in der Nacht. Nach den NIROS-Berechnungen ist die Müggelsee-Route im Dauerschallpegelbereich 50-55 dB(A) von Vorteil. Es sei vom Gestaltungsspielraum des BAF gedeckt, sich aus diesen Gründen für die Route über den Müggelsee zu entscheiden.
- 124
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aa) Die erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch. Die im Zusammenhang mit der Entlastung von Müggelheim erhobene Verfahrensrüge ist nicht schlüssig. Die Kläger tragen selbst vor, dass durch die Müggelsee-Route 1 710 Personen weniger von einem Lärm oberhalb von 55 dB(A) betroffen seien. Dass sie diesen Umstand wegen einer nur geringfügigen Senkung unter 55 dB(A) für 1 179 Personen anders bewerten als das Oberverwaltungsgericht, hat mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör nichts zu tun.
- 125
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Die Kläger vermissen eine Auseinandersetzung des Oberverwaltungsgerichts mit von ihnen geltend gemachten Unsicherheiten in der Datengrundlage, die sie dem Bericht des UBA entnehmen. Auch dies führt nicht auf einen Gehörsverstoß. Die Kläger haben zwar Unsicherheiten geltend gemacht, es fehlt aber Vortrag dazu, dass diese Unsicherheiten sich auf die Variantenauswahl auswirken, diese Unsicherheiten also gerade zu Lasten der von den Klägern bekämpften Route gehen. Dies wäre für einen substantiierten Angriff erforderlich gewesen.
- 126
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Schließlich rügen die Kläger eine fehlende Befassung mit Bedenken, welche die Beklagte selbst gegen einen Variantenvergleich auf der Grundlage der Berechnungen des UBA anführt. Nach Einschätzung der Beklagten sind diese zum Variantenvergleich allenfalls bedingt geeignet. Denn sie betrachten An- und Abflugverfahren und ermöglichen damit keinen - isolierten - Vergleich von Abflugverfahren, weil diese durch Anflugverfahren überlagert werden können. Eine Auseinandersetzung mit dieser Kritik bedurfte es an dieser Stelle nicht. Denn die Annahme einer Entlastung des östlichen Teils von Müggelheim hinsichtlich der gesamten Lärmbelastung vergleicht nicht verschiedene Routen, sondern den Zustand mit und ohne Nutzung eines bestimmten Flugverfahrens.
- 127
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bb) Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts ist auch nicht deswegen bundesrechtswidrig, weil die gewählte Variante gegenüber zwei Alternativen einen höheren NIROS-Gütewert aufweist.
- 128
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Insoweit zeigen die Kläger keine Rechtsverletzung zu ihren Lasten auf. Sie sind darauf beschränkt, eine fehlerhafte Abwägung ihrer eigenen Belange zu rügen. Diese Abwägungskontrolle kann hinsichtlich fremder Belange lediglich insoweit eine gewisse Ausdehnung erfahren, dass gleichgerichtete Interessen, wie die Lärmschutzbelange benachbarter Anlieger, die nur einheitlich mit den entsprechenden Belangen eines Klägers gewichtet werden können, in die Prüfung einzubeziehen sind (BVerwG, Beschluss vom 16. Januar 2007 - 9 B 14.06 - Buchholz 407.4 § 1 FStrG Nr. 11 Rn. 18). Dies sind solche Anlieger, deren Grundstücke wie diejenigen der Kläger am oder in der Nähe des Großen Müggelsees liegen. Wie dieses Gebiet im Einzelnen abzugrenzen wäre, bedarf keiner Entscheidung. Jedenfalls die Belastung des innerstädtischen Bereichs von Berlin können die Kläger nicht rügen. Dieser wird erst nach einer Linkskurve bei Hoppegarten und einer weiteren Linkskurve bei Marzahn nach Richtung Charlottenburg-Wilmersdorf (DFS, Abwägung für Paket I, 2011, S. 3 - 27 ff.) überflogen. Die Kläger selbst sehen ihre Grundstücke nicht in diesem innerstädtischen Bereich, wenn sie gegen das festgesetzte Flugverfahren Belange der Naherholung auf und um den Müggelsee ins Feld führen und einen Verlust von Naherholungsgebieten für die Bewohner Berlins fürchten.
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Der NIROS-Wert ist ein Gesamtwert für die auf der gesamten Strecke entstehende Fluglärmbelastung und der nummerische Ausdruck der Belastung aller von einem Flugverfahren Betroffenen. Die Kläger sind nicht berufen, deren Interessen geltend zu machen. Der hohe NIROS-Wert der Route folgt, wie die Kläger selbst geltend machen, aus dem Umstand, dass das Berliner Stadtgebiet ca. 1 000 m niedriger überquert würde als bei anderen Flugrouten. Die Berufung auf den NIROS-Wert scheidet daher hier aus, weil er die Beschränkung der gerichtlichen Abwägungskontrolle auf die Belange der Kläger unterliefe. Daher kann auch die Kritik der Kläger an der Formulierung des Oberverwaltungsgerichts auf Seite 34 des Urteilsabdrucks erster Absatz a.E. ebenso auf sich beruhen wie das von den Klägern vermisste Eingehen auf vorgelegtes Kartenmaterial.
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c) Das Oberverwaltungsgericht hat den generell angenommenen Gewichtungsvorrang des Lärmschutzes für Siedlungsgebiete vor dem Lärmschutz für Erholungsgebiete gebilligt. Diese Wertung beruht auf einem sachlich einleuchtenden Grund; gegen sie ist bundesrechtlich nichts zu erinnern.
- 131
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Die insoweit erhobene Gehörsrüge verfehlt die Darlegungsanforderungen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Bedeutung der Müggelseeregion für die Naherholung ersichtlich zur Kenntnis genommen. Dass es dennoch einen Gewichtungsvorrang des Lärmschutzes für Siedlungsgebiete vor dem Lärmschutz für Erholungsgebiete angenommen hat, hat mit rechtlichem Gehör nichts zu tun. Einer detaillierteren Betrachtung der Müggelseeregion bedurfte es nicht, weil die Festsetzung eines Flugverfahrens eine parzellengenaue Betrachtung nicht verlangt, sondern bei der Ermittlung und Bewertung des Tatsachenmaterials Pauschalierungen zwingend sind (BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2004 - 4 C 11.03 - BVerwGE 121, 152 <167>). Ob dem angenommenen Vorrang des Schutzes von Erholungs- vor Siedlungsgebieten entgegensteht, dass die Müggelsee-Route über dem Stadtgebiet von Berlin auch zu einer Belastung von Siedlungsgebieten führt, kann dahinstehen. Denn eine unzureichende Berücksichtigung der Belastung des innerstädtischen Bereichs von Berlin könnten die Kläger nicht geltend machen.
- 132
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d) Ob das Oberverwaltungsgericht den Lärmschutz für ruhige Gebiete zutreffend behandelt hat, bedarf keiner Entscheidung. Auch eine fehlerhafte Behandlung würde die Kläger nicht in ihren Rechten verletzen, weil weder die §§ 47a ff. BImSchG noch die Umgebungslärm-RL ihnen Rechte gewährt (BVerwG, Urteile vom 14. April 2010 - 9 A 43.08 - Buchholz 406.25 § 41 BImSchG Nr. 56 Rn. 46, vom 10. Oktober 2012 - 9 A 20.11 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 229 Rn. 30 und vom 12. November 2014 - 4 C 34.13 - juris Rn. 22 ff.). Auf die in diesem Zusammenhang erhobene Gehörsrüge kommt es nicht an (§ 144 Abs. 4 VwGO); sie wäre auch unbegründet, weil sich das Oberverwaltungsgericht mit dem klägerischen Vorbringen befasst hat.
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5. Das Oberverwaltungsgericht hat ohne Verstoß gegen Bundesrecht angenommen, dass die Festlegung des streitgegenständlichen Flugverfahrens den im Rechtsstaatsprinzip verankerten Vertrauensschutzgedanken nicht verletzt.
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a) Der Senat hat in seinem Urteil vom 31. Juli 2012 die Frage offengelassen, ob und gegebenenfalls in welcher Weise die Erwartung von Anwohnern, die Festlegung werde von der dem Planfeststellungsbeschluss zugrunde liegenden Grobplanung nicht wesentlich abweichen, in die Abwägung des BAF einzustellen ist. Ein solcher Belang ist in der Abwägung jedenfalls nicht unüberwindbar. Denn die Entstehung anderer als der prognostizierten Betroffenheiten kann im Verfahren zur Festlegung der Flugrouten nicht ausgeschlossen werden (BVerwG, Urteil vom 31. Juli 2012 - 4 A 5000.10 u.a. - BVerwGE 144, 1 Rn. 48 a.E.). Die angegriffene Rechtsverordnung ist daher nach dem für die Abwägungskontrolle maßgeblichen Abwägungsergebnis (BVerwG, Urteil vom 26. Juni 2014 - 4 C 3.13 - LKV 2014, 460 Rn. 25 m.w.N.) nicht zu beanstanden. Die Einwände der Revision greifen nicht durch.
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aa) Der Planfeststellungsbeschluss für den Flughafen Berlin Brandenburg begründet keinen weitergehenden Vertrauensschutz. Er schließt weder einen Überflug der Müggelseeregion aus, noch formuliert er ein völliges Freihalten von Fluglärm sämtlicher zu Berlin gehörender Ortslagen als Ziel oder Bestandteil der Planrechtfertigung. Die Festlegung divergierender, also abweichender Abflugrouten war im Planfeststellungsverfahren zu keinem Zeitpunkt ausgeschlossen worden. Dieses Auslegungsergebnis würde in sein Gegenteil verkehrt, wenn aus dem Planfeststellungsbeschluss und der ihm zugrunde gelegten Grobplanung ein nicht überwindbarer Vertrauensschutz zu Gunsten der Kläger hergeleitet würde.
- 136
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Etwas Anderes folgt nicht aus dem Umgriff der UVP in der Planfeststellung. Die Ermittlung der Lärmbetroffenheiten und anderer Auswirkungen des Flugbetriebs war systemimmanent mit der Unsicherheit behaftet, dass die Flugrouten für die An- und Abflüge nicht feststehen (BVerwG, Urteil vom 31. Juli 2012 - 4 A 5000.10 u.a. - BVerwGE 144, 1 Rn. 47). Die Ausführungen der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache C-420/11 [ECLI:EU:C:2012:701], Leth (Rn. 49 ff.) zu einer Warnfunktion der UVP, auf die sich die Kläger berufen, hat der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 14. März 2013 - C-420/11 [ECLI:EU:C:2013:166] - nicht aufgegriffen und angenommen, dass die Merkmale der UVP darauf hindeuteten, dass selbst das vollständige Unterlassen einer UVP als solches grundsätzlich nicht die Ursache für die Wertminderung einer Liegenschaft sei (Rn. 46). Es wäre mit der nur begrenzten Pflicht des BAF zur Sachverhaltsaufklärung (BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2004 - 4 C 11.03 - BVerwGE 121, 152 <167>) nicht vereinbar, in die Gewichtung des Vertrauensschutzes Entschädigungsansprüche einzustellen, die nach der angeführten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs allenfalls in Einzelfällen nicht von vornherein ausgeschlossen sein mögen.
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bb) Die Gehörsrügen bleiben erfolglos. Mit dem Schicksal der einzelnen Kläger brauchte sich das Oberverwaltungsgericht nicht zu befassen, weil nach seiner (zutreffenden) Rechtsauffassung bei der Sachverhaltsermittlung in Bezug auf Lärmbetroffenheiten ausreichend ist, wenn sich das BAF auf aussagekräftiges Kartenmaterial sowie Unterlagen über die Einwohnerzahl stützt.
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Die Kläger vermissen die Feststellung, dass das festgesetzte Flugverfahren von der Regelung der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) über die Notwendigkeit von um 15° abknickende Flugverfahren bei unabhängigem Parallelbetrieb nicht gefordert werde. Dies führt auf keinen Verfahrensfehler. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 17. Dezember 2013 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 20. Dezember 2013 ist der revisionsgerichtlichen Kontrolle entzogen (§ 119 Abs. 2 Satz 1 VwGO, § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 557 Abs. 2 ZPO). Es liegt aber auch kein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO vor, weil es nach der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts auf das Maß der Abweichung nicht ankam.
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Das Oberverwaltungsgericht hat auch zur Kenntnis genommen, dass die Kläger schutzwürdiges Vertrauen nicht allein aus dem Planfeststellungsbeschluss herleiten. Nach seiner Rechtsauffassung war indes notwendige Voraussetzung für die Gewährung von Vertrauensschutz, dass die Festlegung divergierender Abflugrouten im Planfeststellungsverfahren zu irgendeinem Zeitpunkt ausgeschlossen worden wäre. Daran fehlte es, auf den weiteren Vortrag der Kläger kam es nicht an.
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cc) Materiell-rechtlich folgt kein weitergehender Vertrauensschutz daraus, dass die Abweichung von der im Planfeststellungsverfahren angenommenen Grobplanung nicht auf dem Erfordernis beruht, um 15° abknickende Flugverfahren bei unabhängigen Parallelbahnbetrieb festzulegen. Weder den Aussagen des Senats in seinem Urteil vom 13. Oktober 2011 - 4 A 4001.10 - zu den Anforderungen an die Prognose der Lärmbetroffenheiten im Planfeststellungsverfahren (BVerwGE 141, 1 Rn. 161) noch den Aussagen zum Umfang der UVP im Urteil vom 31. Juli 2012 - 4 A 7001.11 u.a. - (BVerwGE 144, 44 Rn. 43) noch dem Urteil des Senats vom 31. Juli 2012 - 4 A 6001.11 u.a. - (juris Rn. 55) zu den Anforderungen an die Landesplanung kann entnommen werden, dass die vom Senat angenommene systemimmanente Unsicherheit für die Festlegung von Flugverfahren auf ein Abknicken um 15° beschränkt ist. Der Senat hat vielmehr bereits in seinem Urteil vom 13. Oktober 2011 - 4 A 4001.10 - anerkannt, dass Gründe des Lärmschutzes auch zu stärker abknickenden Flugverfahren führen können (BVerwGE 141, 1 Rn. 161).
- 141
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Hiervon unabhängig übersehen die Kläger, dass Gegenstand des ICAO-Dokuments 4444 und damit des 15°-Erfordernisses die Abflugrouten unmittelbar nach dem Abheben sind (BVerwG, Urteil vom 13. Oktober 2011 - 4 A 4001.10 - BVerwGE 141, 1 Rn. 155). In diesem Abschnitt sieht die angegriffene Rechtsverordnung eine Führung der Flugzeuge auf Startbahnkurs an. Für die Routenführung im weiteren Verlauf des Flugverfahrens ist das Erfordernis unergiebig.
- 142
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dd) Die Kläger rügen schließlich ohne Erfolg, das festgelegte Flugverfahren verletze ihr Vertrauen in ein in sich geschlossenes, mehrere Ebenen umfassendes Planungssystem, das sie raumordnerischen Vorgaben, der Lärmminderungsplanung, der kommunalen Bauleitplanung und der zum Flughafen Berlin Brandenburg ergangenen Rechtsprechung entnehmen wollen.
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Der Grundsatz des Vertrauensschutzes besagt, dass sich Bürgerinnen und Bürger auf die Fortwirkung bestimmter Regelungen in gewissem Umfange verlassen können. Er gewährleistet unter bestimmten Umständen Rechtssicherheit auch dann, wenn keine Regelungen bestehen, die Anlass zu spezifischem Vertrauen geben (BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - BVerfGE 133, 143 Rn. 41). Es ist keine bundesrechtliche Norm ersichtlich, nach der die von den Klägern genannten Umstände einzeln oder in ihrer Gesamtheit einer Festlegung des streitgegenständlichen Flugverfahrens entgegenstehen oder für deren Abwägung eine Gewichtungsvorgabe machen. Auf einen von einer Norm unabhängigen Vertrauensschutz können sich die Kläger nicht berufen. Informationen des Flughafenbetreibers oder Medienberichte begründen ebenso wenig einen Vertrauenstatbestand wie Überlegungen der DFS im Verlauf der Flugroutenplanung. Zwischen der Festlegung von Flugverfahren und Bodennutzungsregelungen durch Bauleitpläne nach § 1 Abs. 3 BauGB besteht kein Konkurrenzverhältnis (BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2004 - 4 C 11.03 - Buchholz 442.42 § 27a Luftverkehrsordnung Nr. 3 S. 38 [insoweit in BVerwGE 121, 152 nicht abgedruckt]), so dass sich gestützt auf solche Bauleitpläne kein Vertrauen bilden kann, ein bestimmtes Flugverfahren werde nicht festgesetzt. Lärmaktionspläne begründen zu Gunsten der Kläger zu 2 bis 9 - wie dargelegt -keine subjektiven Rechte. Diese gesetzgeberische Wertung darf durch Herleitung eines hierauf gestützten Vertrauensschutzes nicht unterlaufen werden.
- 144
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Einen Vertrauensschutz können die Kläger auch nicht aus dem Landesentwicklungsplan Flughafenstandortentwicklung (LEP FS) ableiten. Da das Oberverwaltungsgericht diese landesrechtliche Norm nicht selbst ausgelegt und angewandt hat, ist der Senat hierzu befugt (BVerwG, Urteil vom 3. Juni 2014 - 4 CN 6.12 - NVwZ 2014, 1377 Rn. 25 [zur Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen]). Der LEP FS legt als beachtenspflichtige Ziele Bauhöhenbeschränkungen (Z 3) und Siedlungsbeschränkungen (Z 5) fest, die an geradeaus verlaufenden Flugverfahren ausgerichtet sind. Der LEP FS zeichnet damit lediglich die Grobplanung nach, von der die Planfeststellungsbehörde zuvor ausgegangen war. Er war daher weder geeignet, einen eigenständigen Vertrauenstatbestand zu begründen, noch einen - möglicherweise - im Planfeststellungsbeschluss begründeten Vertrauenstatbestand zu verstärken.
- 145
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b) Etwas anderes ergibt sich auch nicht, wenn eine Berücksichtigung von Überlegungen des Vertrauensschutzes im Abwägungsvorgang zu fordern wäre. Denn nach den tatrichterlichen Feststellungen hat sich das BAF in seinem Abwägungsvermerk mehrfach mit dem Votum der Fluglärmkommission auseinandergesetzt, in dem Vertrauensschutzgesichtspunkte Gegenstand der Erörterung gewesen sind, und damit Vertrauensschutzgesichtspunkte in seine Abwägung eingestellt.
- 146
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Die dagegen erhobene Rüge der Aktenwidrigkeit ist nicht schlüssig vorgetragen. Die seitens der Kläger angeführte Rechtsansicht der Beklagten (Streitakte Bl. 284) schließt nicht aus, dass Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes in die Abwägung eingegangen sind. Ein Widerspruch zwischen den tatsächlichen Annahmen des Oberverwaltungsgerichts und dem insoweit unumstrittenen Akteninhalt folgt auch nicht aus der fehlenden Erwähnung des Votums der Fluglärmkommission im Abwägungsvermerk des BAF auf Seite 58 ff.
- 147
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO.
Tenor
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1. Die Beschlüsse des Amtsgerichts Bad Segeberg vom 27. September 2013 - 13a F 40/13 - sowie des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 28. Januar 2014 - 15 UF 165/13 - verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes) und in ihrem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes). Der Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 28. Januar 2014 - 15 UF 165/13 - wird aufgehoben und die Sache an das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht zurückverwiesen.
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2. Das Land Schleswig-Holstein hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
Gründe
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A.
- 1
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Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar ist, dass die Gerichte die Beschwerdeführerin auf der Grundlage von § 1353 Abs. 1 in Verbindung mit § 242 BGB dazu verpflichtet haben, als Mutter eines Kindes dessen vormals rechtlichem Vater ("Scheinvater") nach erfolgreicher Vaterschaftsanfechtung Auskunft über die Person des mutmaßlich leiblichen Vaters zu erteilen, damit der Scheinvater gegen den leiblichen Vater den Unterhaltsregressanspruch nach § 1607 Abs. 3 BGB durchsetzen kann.
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I.
- 2
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Die erfolgreiche Anfechtung der Vaterschaft (§§ 1599 ff. BGB) führt zu deren rückwirkender Beseitigung. Ebenfalls rückwirkend entfallen damit die Unterhaltsansprüche des Kindes gegen den rechtlichen Vater. In dem Umfang, in dem dieser bis dahin tatsächlich Unterhalt geleistet hat, gehen die Unterhaltsansprüche des Kindes gegen den leiblichen Vater auf den ehemals rechtlichen Vater über (§ 1607 Abs. 3 Satz 1 und 2 BGB). Einen Unterhaltsregressanspruch des Scheinvaters kennt das Bürgerliche Gesetzbuch bereits seit dem Gesetz über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder von 1969 (§ 1615b Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BGB a.F.).
- 3
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Zur Geltendmachung des Regressanspruchs nach § 1607 Abs. 3 Satz 1 und 2 BGB ist der Scheinvater jedoch auf die Kenntnis der Person des leiblichen Vaters angewiesen. Fehlt ihm diese Kenntnis, stellt sich die Frage, ob er von der Mutter Auskunft darüber verlangen kann, wer als mutmaßlich leiblicher Vater in Betracht kommt. Ein solcher Anspruch ist nicht ausdrücklich geregelt.
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Der Bundesgerichtshof hat in einer Entscheidung vom 9. November 2011 (BGHZ 191, 259 ff.) dem Scheinvater einen gemäß § 242 BGB auf Treu und Glauben gestützten Auskunftsanspruch zuerkannt. Das durch die Auskunftspflicht berührte allgemeine Persönlichkeitsrecht der Mutter wiege in Fällen, in denen sie den Mann zur Abgabe eines Vaterschaftsanerkenntnisses veranlasst habe, regelmäßig nicht schwerer als der Anspruch des Scheinvaters auf effektiven Rechtsschutz. In einem Beschluss vom 20. Februar 2013 (BGHZ 196, 207 ff.) hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass auch die mit dem Scheinvater verheiratete Mutter nach erfolgreicher Vaterschaftsanfechtung zur Auskunft verpflichtet sein könne. In einem weiteren Beschluss hat der Bundesgerichtshof hervorgehoben, dass der Auskunftsanspruch stets die Zumutbarkeit der Auskunftserteilung voraussetze und das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Mutter sowie der Anspruch des Scheinvaters auf effektiven Rechtsschutz im Einzelfall gegeneinander abzuwägen seien (BGH, Beschluss vom 2. Juli 2014 - XII ZB 201/13 -, FamRZ 2014, S. 1440 ff.).
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II.
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Die damals zwanzigjährige Beschwerdeführerin führte mit dem Antragsteller des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Antragsteller) - dem späteren Scheinvater - eine Beziehung, während derer sie schwanger wurde. Die Beschwerdeführerin hatte zu diesem Zeitpunkt bereits ein anderes wenige Monate altes Kind. Vor der Geburt dieses ersten Kindes hatten die Beschwerdeführerin und der Antragsteller bereits eine sexuelle Beziehung unterhalten, der das erste Kind aber nicht entstammt. Nachdem die Beschwerdeführerin und der Antragsteller infolge der zweiten Schwangerschaft geheiratet hatten, wurde die zweite Tochter der Beschwerdeführerin Anfang Oktober 1991 ehelich geboren, so dass der Antragsteller nach § 1592 Nr. 1 BGB rechtlicher Vater dieses Kindes wurde. Die Beschwerdeführerin erwähnte gegenüber dem Antragsteller nicht, dass auch eine andere Person als Erzeuger des Kindes in Betracht kam, behauptete aber auch nicht ausdrücklich, dass der Antragsteller der leibliche Vater sei. Im Jahr 1994 eröffnete die Beschwerdeführerin dem Antragsteller in einem Brief die Möglichkeit, dass er nicht der leibliche Vater sein könnte. Im Jahr 1995 wurde die Ehe geschieden. Der Antragsteller beantragte das alleinige Sorgerecht für die Tochter. Daraufhin lebte das Kind jedenfalls zeitweise bei ihm. Sowohl der Antragsteller als auch die Beschwerdeführerin zahlten zeitweise Kindesunterhalt.
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Im Jahr 2010 focht der Antragsteller erfolgreich die Vaterschaft an. Im Oktober 2012 forderte er die Beschwerdeführerin zwecks Durchsetzung seines Unterhaltsregressanspruchs aus § 1607 Abs. 3 Satz 1 und 2 BGB auf mitzuteilen, wer der mutmaßlich leibliche Vater ihrer Tochter ist. Die Beschwerdeführerin verweigerte die Auskunft. Daraufhin nahm der Antragsteller die Beschwerdeführerin im Ausgangsverfahren auf Auskunft in Anspruch.
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III.
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1. Das Amtsgericht verpflichtete die Beschwerdeführerin mit angegriffenem Beschluss, dem Antragsteller Auskunft über die Person des mutmaßlichen Vaters des Kindes zu geben. Der Anspruch folge aus § 1353 Abs. 1 in Verbindung mit § 242 BGB. Die für eine Auskunftsverpflichtung geforderte Sonderrechtsverbindung ergebe sich aus der Ehe der Beteiligten. Das Persönlichkeitsrecht der Beschwerdeführerin sei nicht vorrangig, da sie den Antragsteller, der bei Eingehung der Ehe davon ausgegangen sei, der Vater des Kindes zu sein, nicht darüber aufgeklärt habe, dass nicht er allein als biologischer Vater in Betracht komme. Nur sie habe über das Wissen verfügt, dass sie innerhalb der Empfängniszeit Geschlechtsverkehr mit einem anderen Mann gehabt habe. Der Auskunftsanspruch sei weder verjährt noch verwirkt.
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2. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Beschwerdeführerin wies das Oberlandesgericht zurück. Zur Begründung führte es aus, die Rechtsfragen zu der aus § 242 BGB hergeleiteten Auskunftspflicht der Kindesmutter gegenüber dem Scheinvater seien durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 9. November 2011 (BGHZ 191, 259) grundsätzlich geklärt. Im Beschluss vom 20. Februar 2013 (BGHZ 196, 207) habe der Bundesgerichtshof auch die Auskunftspflicht der - wie hier - geschiedenen Mutter nach der Anfechtung der ehelichen Vaterschaft gegenüber ihrem geschiedenen Ehemann bejaht.
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Der Einwand, das dem Auskunftsanspruch vorausgegangene Vaterschaftsanfechtungsverfahren sei verjährt beziehungsweise verwirkt gewesen, sei angesichts der rechtskräftigen Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft unerheblich. Der weitere Einwand, auch der Regressanspruch gegen den biologischen Vater sei verjährt und verwirkt, stehe weder dem Rechtsschutzbedürfnis noch dem Auskunftsanspruch in der Sache entgegen.
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Es könne dahinstehen, ob die Heirat vorwiegend auf Betreiben des Antragstellers oder der Beschwerdeführerin erfolgt sei. Denn es sei ohne weiteres davon auszugehen, dass ersterer, wie er dargelegt habe, die Ehe nicht geschlossen hätte, wenn er Zweifel an seiner Vaterschaft gehabt hätte, die bei ihm unstreitig frühestens 1994 aufgekommen sein könnten. Unerheblich sei insoweit auch, ob die Beschwerdeführerin seinerzeit selbst davon ausgegangen sei, der Antragsteller sei der Vater. Weil sie in der Empfängniszeit Verkehr mit einem anderen Mann gehabt habe, habe sie über ein Wissen verfügt, das ihre behauptete Sicherheit über die Vaterschaft des Antragstellers nicht gerechtfertigt habe.
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Die Auskunftserteilung sei der Beschwerdeführerin zumutbar und die diesbezügliche Verpflichtung verletze nicht ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht. Dieses wiege auch in Fällen einer Eheschließung während der Schwangerschaft nicht stärker als der Anspruch des Antragstellers auf effektiven Rechtsschutz, wenn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs schon die von der Mutter veranlasste Abgabe eines Vaterschaftsanerkenntnisses in nichtehelichen Beziehungen ihr Persönlichkeitsrecht zurücktreten lasse.
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Die Verpflichtung zur Auskunft über die Person des mutmaßlichen Vaters berühre zwar das Persönlichkeitsrecht der Beschwerdeführerin, das auch das Recht auf Achtung der Privat- und Intimsphäre umfasse und zu dem die persönlichen, auch geschlechtlichen Beziehungen zu einem Partner gehörten. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schütze die Befugnisse des Einzelnen, grundsätzlich selbst darüber zu entscheiden, inwieweit und wem gegenüber er persönliche Lebenssachverhalte offenbare. "Ein solcher Eingriff" liege hier jedoch nicht vor. Aufgrund der erfolgreichen Anfechtung der Vaterschaft durch den Antragsteller stehe ohnehin fest, dass die Beschwerdeführerin in der Empfängniszeit mit einem anderen Mann geschlechtlich verkehrt habe. Es gehe also nur noch um die Frage, wer als Vater in Betracht komme. Bei der gebotenen Interessenabwägung der beiderseitigen Rechte sei zu berücksichtigen, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Beschwerdeführerin durch das Recht des Antragstellers auf effektiven Rechtsschutz begrenzt sei. Ohne eine Auskunft der Beschwerdeführerin zu der Person, die ihr während der Empfängniszeit beigewohnt habe, könne der Antragsteller den Anspruch auf Unterhaltsregress nicht durchsetzen.
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IV.
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Die Beschwerdeführerin rügt mit ihrer Verfassungsbeschwerde eine Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG.
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Sie habe zur Zeit der Zeugung des Kindes entsprechend dem Wunsch des Antragstellers mit diesem lediglich eine lockere Beziehung geführt, während derer sie lediglich einmal Geschlechtsverkehr mit einem anderen Mann gehabt, dies aber bei Feststellung der Schwangerschaft bereits wieder vergessen habe. Zweifel an der Vaterschaft des Antragstellers seien bei ihr erst aufgrund des Aussehens des Kindes aufgekommen, als dieses größer geworden sei. Sie habe jedoch niemals behauptet, dass nur der Antragsteller als Vater in Betracht gekommen sei und sie in der Empfängniszeit keinen anderen Sexualpartner gehabt habe. Dem Antragsteller sei es wichtig gewesen, "sich die Rechte an dem Kind zu sichern", weshalb er auch die Beschwerdeführerin aus freien Stücken geheiratet habe. Die Heiratspläne seien von ihm ausgegangen und von seinen Eltern forciert worden. Die Vaterschaft habe er erst angefochten, nachdem die Tochter ihn gebeten habe, für einen Antrag auf Ausbildungsförderung (BAföG) seine finanziellen Verhältnisse offenzulegen. Bereits 1994 habe die Beschwerdeführerin dem Antragsteller jedoch in einem Brief die Möglichkeit eröffnet, dass er nicht der leibliche Vater sein könnte.
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Obwohl damit das Anfechtungsrecht verjährt beziehungsweise verwirkt gewesen sei, habe das Vaterschaftsanfechtungsverfahren Erfolg gehabt, weil das anwaltlich nicht vertretene Kind dem Antrag letztlich nicht entgegengetreten sei. Auch der Regressanspruch sei wegen der bereits bei der Scheidung bestehenden Kenntnis der Möglichkeit, nicht der biologische Vater zu sein, verjährt und wegen des Verhaltens des Antragstellers verwirkt.
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Die Verpflichtung zur Auskunft stelle einen Eingriff in den unantastbaren Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Beschwerdeführerin dar. Der Antragsteller sei damals 27 Jahre alt gewesen, sei um einiges lebenserfahrener gewesen als die damals zwanzigjährige Beschwerdeführerin und habe gewusst, dass sie bereits ein Kind von einem anderen Mann gehabt habe. Sie habe ihn vor der Geburt nicht aufgefordert, ihn zu heiraten oder die Vaterschaft anzuerkennen. Beiden sei nach Feststellung der Schwangerschaft klar gewesen, dass er als Vater in Betracht komme. Da sie ihn nicht durch falsche Angaben zur Heirat veranlasst und zu diesem Zeitpunkt selbst keine Zweifel an der Vaterschaft des Antragstellers gehabt habe, begegne die Verpflichtung zur Auskunft erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken. Es sei ihr nicht zuzumuten, durch Angaben zur Person des mutmaßlichen Vaters an der Beseitigung der dem Antragsteller entstandenen Nachteile mitzuwirken, zumal er diese bewusst in Kauf genommen habe, da er trotz des Wissens, wahrscheinlich nicht der Vater des Kindes zu sein, sowohl das Sorgerechtsverfahren angestrengt als auch Unterhaltsleistungen erbracht habe. Angesichts des Nichtbestehens einer Ehe, sondern einer nur lockeren Beziehung mit der Beschwerdeführerin und mangels entsprechender Aussagen ihrerseits, habe der Antragsteller auch nicht davon ausgehen dürfen, dass sie keine weiteren sexuellen Kontakte gehabt habe. Es sei ihm unbenommen gewesen, vor der Heirat eine Aufklärung über seine Vaterschaft herbeizuführen oder die Eingehung der Ehe beziehungsweise eine Anerkennung der Vaterschaft von der Feststellung seiner biologischen Vaterschaft abhängig zu machen. Die Verpflichtung zur Auskunft über sexuelle Beziehungen aus einer Zeit, in der die Beschwerdeführerin mit dem Antragsteller weder verheiratet gewesen sei noch mit ihm in einer festen Beziehung gelebt habe, stelle einen Eingriff in den unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung dar.
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Sollte ein Eingriff in diesen unantastbaren Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Beschwerdeführerin zu verneinen sein, hätte zumindest die bei zulässigen Eingriffen in das Persönlichkeitsrecht gebotene Interessenabwägung zugunsten der Beschwerdeführerin ausfallen müssen. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht sei nicht verhältnismäßig. Dieses wiege in der vorliegenden Situation, da die Beschwerdeführerin den Antragsteller nicht zur Eingehung der Ehe veranlasst habe, stärker als der Anspruch des Antragstellers auf effektiven Rechtsschutz zur Durchsetzung seines Unterhaltsregresses.
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V.
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Zum Verfahren haben der Bundesgerichtshof, der Deutsche Familiengerichtstag, die Wissenschaftliche Vereinigung für Familienrecht sowie der Interessenverband Unterhalt und Familienrecht Stellung genommen. Der Antragsteller verteidigt in der Erwiderung auf die Verfassungsbeschwerde die angegriffenen Entscheidungen. Die Akten des fachgerichtlichen Verfahrens sind beigezogen worden und liegen vor.
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1. Der Bundesgerichtshof weist in seiner Stellungnahme insbesondere auf seine beiden in der angegriffenen Entscheidung des Oberlandesgerichts zitierten Entscheidungen hin (BGHZ 191, 259; 196, 207).
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2. Der Deutsche Familiengerichtstag sowie der Interessenverband Unterhalt und Familienrecht messen der Verfassungsbeschwerde keine Erfolgsaussichten bei. Die angegriffenen Entscheidungen hätten die Grundrechtspositionen der Beschwerdeführerin in ausreichender Weise einbezogen und abgewogen. Der Deutsche Familiengerichtstag ist der Auffassung, eine Verpflichtung zur Auskunftserteilung verletze nicht das Persönlichkeitsrecht der Beschwerdeführerin, weil es dieser aufgrund der Rechte des Kindes verwehrt sei, diesem gegenüber den Namen des mutmaßlich leiblichen Vaters dauerhaft geheim zu halten. Bei einem ohnehin schon offenbar gewordenen Mehrverkehr stelle es keinen unverhältnismäßigen Eingriff dar, dem bisherigen rechtlichen Vater die gleichen Informationen zu geben.
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3. Die Wissenschaftliche Vereinigung für Familienrecht hält die Verfassungsbeschwerde für begründet. Die Fachgerichte hätten nicht die gebotene Abwägung der widerstreitenden Grundrechte im Einzelfall vorgenommen. Außerdem stelle die Nennung des konkreten Namens nicht "nur" eine geringfügige Mehrbelastung der Beschwerdeführerin dar, nachdem ohnehin schon feststehe, dass der Antragsteller nicht der Vater des Kindes sei. Die Preisgabe der Information, wen sich die Beschwerdeführerin als Sexualpartner ausgesucht habe, sei ein empfindlicher Eingriff in ihr Persönlichkeitsrecht. Der vorliegende Fall unterscheide sich von der höchstrichterlich bereits entschiedenen Konstellation, in der die Mutter die zur rechtlichen Vaterschaft führende Vaterschaftsanerkennung aktiv herbeigeführt habe. Die Gerichte hätten unberücksichtigt gelassen, dass das Kind im vorliegenden Fall vor der Ehe gezeugt worden sei und damit aus einer Zeit stamme, als das Vertrauen des Antragstellers, allein als Kindesvater in Betracht zu kommen, nicht ohne weiteres gerechtfertigt gewesen sei. Wenn die Beschwerdeführerin gegenüber dem Antragsteller schon früh Zweifel an dessen Vaterschaft geäußert habe, habe sich der Antragsteller sehenden Auges in eine mögliche Regresssituation begeben. Das Recht des Antragstellers auf effektiven Rechtsschutz müsse zurücktreten, da er sich nach der Scheidung sogar noch aktiv um das Sorgerecht bemüht und er mit der Tochter emotional verbunden in einer sozial-familiären Beziehung gelebt habe. Rechtsvergleichend betrachtet sei der Scheinvaterregress ohnehin kein in Europa allgemein konsentierter Wert mehr.
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B.
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Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist begründet.
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Die Verurteilung der Beschwerdeführerin auf der Grundlage von § 1353 Abs. 1 in Verbindung mit § 242 BGB, ihrem früheren Ehemann und vormaligen rechtlichen Vater ihres Kindes zur Durchsetzung seines Regressanspruchs aus § 1607 Abs. 3 Satz 1 und 2 BGB Auskunft über die Person des mutmaßlichen Vaters des Kindes zu erteilen, ist verfassungswidrig.
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Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, weil sie die Tragweite der Grundrechte der Beschwerdeführerin verkennen. Die Zivilgerichte haben im Ausgangsverfahren den grundrechtlichen Einfluss unzutreffend eingeschätzt, worauf die angegriffenen Entscheidungen beruhen (I.).
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Unabhängig von den Umständen des vorliegenden Falls überschreitet die trotz Fehlens einer eindeutigen Grundlage im geschriebenen Recht richterlich herbeigeführte Verpflichtung der Beschwerdeführerin zur Auskunftserteilung zudem die verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, was die Beschwerdeführerin ebenfalls in ihren Rechten verletzt (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) (II.).
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I.
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Die Beschwerdeführerin ist angesichts der Umstände des vorliegenden Falls in ihrem durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. Die Gerichte haben die Bedeutung, die diesem Grundrecht hier zukommt, unzutreffend eingeschätzt (1.). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Gerichte zu einem anderen Ergebnis gelangt wären, wenn sie dem Grundrecht der Beschwerdeführerin bei der Abwägung mit dem entgegenstehenden Interesse ihres früheren Ehemannes an der Durchsetzung seines Regressanspruchs aus § 1607 Abs. 3 Satz 1 und 2 BGB das verfassungsrechtlich gebotene Gewicht beigemessen hätten (2.).
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1. Die Gerichte haben die Bedeutung, die dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Beschwerdeführerin zukommt, unzutreffend eingeschätzt.
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a) Die Beschwerdeführerin erleidet durch die Verpflichtung zur Auskunftserteilung eine schwerwiegende Beeinträchtigung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Durch die Verpflichtung, über die Person des mutmaßlichen leiblichen Vaters Auskunft zu erteilen, wird sie gezwungen, eine geschlechtliche Beziehung zu einem bestimmten Mann oder zu mehreren bestimmten Männern preiszugeben. Damit muss sie intimste Vorgänge ihres Privatlebens offenbaren. Für die meisten Menschen dürfte es wenige Vorgänge von größerer Intimität geben, deren Geheimhaltung ihnen um ihrer persönlichen Integrität willen wichtiger wäre als ihre geschlechtlichen Beziehungen.
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Das aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG folgende allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt mit der Privat- und Intimsphäre der Einzelnen auch Aspekte des Geschlechtslebens und das Interesse, diese nicht offenbaren zu müssen. Der Schutz der Privat- und Intimsphäre umfasst Angelegenheiten, die wegen ihres Informationsinhalts typischerweise als "privat" eingestuft werden, insbesondere weil ihre öffentliche Erörterung oder Zurschaustellung als unschicklich gilt, das Bekanntwerden als peinlich empfunden wird oder nachteilige Reaktionen der Umwelt auslöst, wie es gerade auch im Bereich der Sexualität der Fall ist. Fehlte es hier an einem Schutz vor der Kenntniserlangung anderer, wäre die sexuelle Entfaltung erheblich beeinträchtigt, obwohl es sich um grundrechtlich geschützte Verhaltensweisen handelt (vgl. BVerfGE 101, 361 <382> m.w.N.). Mit dem Recht auf Achtung der Privat- und Intimsphäre spezifisch geschützt ist das Recht, geschlechtliche Beziehungen zu einem Partner nicht offenbaren zu müssen, sondern selbst darüber befinden zu können, ob, in welcher Form und wem Einblick in die Intimsphäre und das eigene Geschlechtsleben gewährt wird (vgl. BVerfGE 117, 202 <233> m.w.N.).
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b) Dem haben die Gerichte hier im Ansatz zutreffend das Interesse des Scheinvaters an der Durchsetzung seines einfachrechtlichen Regressanspruchs aus § 1607 Abs. 3 Satz 1 und 2 BGB gegenübergestellt. Obwohl das Interesse, selbst darüber zu befinden, ob und wem Einblick in das Geschlechtsleben gewährt wird, verfassungsrechtlich schwer wiegt, mag das Geheimhaltungsinteresse einer Mutter gegenüber dem finanziellen Regressinteresse eines Scheinvaters in bestimmten Konstellationen etwa wegen ihres früheren Verhaltens weniger schutzwürdig sein (vgl. für den Fall, dass der Scheinvater von der Mutter zur Vaterschaftsanerkennung veranlasst worden war BGHZ 191, 259 ff.; s. auch BGH, Beschluss vom 2. Juli 2014 - XII ZB 201/13 -, FamRZ 2014, S. 1440 ff.). So mag insbesondere in solchen Konstellationen, in denen die Mutter aufgrund ihres Verhaltens dem Scheinvater wegen seiner dem Scheinkind erbrachten Leistungen nach § 826 BGB schadenersatzpflichtig ist (vgl. BGHZ 196, 207 ff. m.w.N.), ihr auch die Verpflichtung zur Auskunftserteilung im Hinblick auf den Regressanspruch aus § 1607 Abs. 3 BGB verfassungsrechtlich zumutbar sein. Eine Verpflichtung der Mutter, dem Scheinvater zur Durchsetzung seines Regressanspruchs auch gegen ihren Willen Auskunft über die Person des Vaters zu erteilen, ist darum verfassungsrechtlich nicht von vornherein ausgeschlossen.
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c) Im vorliegenden Fall haben die Gerichte jedoch die Bedeutung des Rechts der Beschwerdeführerin, selbst darüber zu befinden, ob, in welcher Form und wem sie Einblick in ihre Intimsphäre und ihr Geschlechtsleben gibt, unzutreffend eingeschätzt.
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Das Amtsgericht hat dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Beschwerdeführerin allein deshalb keine Bedeutung beigemessen, weil die Beschwerdeführerin den Antragsteller, der bei Eingehung der Ehe davon ausgegangen sei, der leibliche Vater des Kindes zu sein, nicht darüber aufgeklärt habe, dass nicht er allein als biologischer Vater in Betracht komme. Damit hat es den durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht gebotenen Schutz der Beschwerdeführerin unzulässig verkürzt und hat es versäumt, deren Interesse, den Namen des mutmaßlichen Vaters nicht nennen zu müssen, anhand der konkreten Umstände des Falls gegen das finanzielle Regressinteresse des Antragstellers abzuwägen.
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Demgegenüber hat das Oberlandesgericht zwar festgestellt, dass die Verpflichtung der Beschwerdeführerin, Auskunft über die Person des mutmaßlichen Vaters ihres Kindes zu geben, deren Persönlichkeitsrecht berührt. Gleichwohl setzt sich auch das Oberlandesgericht im Anschluss aus unzutreffenden Erwägungen mit der Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Beschwerdeführerin nicht mehr auseinander und wägt deren Grundrecht damit nicht weiter mit den finanziellen Interessen des Antragstellers ab. So stellt das Gericht zunächst zwar zutreffend fest, das allgemeine Persönlichkeitsrecht schütze die Befugnisse des Einzelnen, grundsätzlich selbst darüber zu entscheiden, inwieweit und wem gegenüber er persönliche Lebenssachverhalte offenbart. Es nimmt dann aber an, "ein solcher Eingriff" liege hier nicht vor, weil aufgrund der erfolgreichen Vaterschaftsanfechtung feststehe, dass die Beschwerdeführerin in der Empfängniszeit mit einem anderen Mann geschlechtlich verkehrt habe; es gehe also "nur" noch um die Frage, wer als Vater in Betracht komme. Damit verkennt das Gericht, dass zur verfassungsrechtlich geschützten Intimsphäre der Mutter gerade auch die Frage gehört, mit welchem Partner oder welchen Partnern sie eine geschlechtliche Beziehung eingegangen ist. Die Offenbarung und Nennung von Partnern sexueller Kontakte ist mit Blick auf den Schutz der Privatsphäre der betroffenen Frau oftmals sogar noch von größerer Brisanz als der Umstand, dass es überhaupt zur außerehelichen Zeugung eines Kindes gekommen ist. Das durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht spezifisch geschützte Recht der Beschwerdeführerin, geschlechtliche Beziehungen zu einem bestimmten Partner nicht offenbaren zu müssen, war mit der Offenlegung des Mehrverkehrs nicht verbraucht und hätte bei der von den Gerichten vorzunehmenden Interessenabwägung weiter Berücksichtigung finden müssen.
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2. Die Entscheidungen beruhen auf der Verkennung der Bedeutung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, weil die Gerichte gerade infolge dieser Verkennung die für und gegen die Schutzwürdigkeit der Beteiligten sprechenden konkreten Umstände des vorliegenden Falls nicht näher gewürdigt und nicht in die Entscheidung eingestellt haben. Insbesondere haben die Gerichte unberücksichtigt gelassen, dass das Kind vor der Ehe gezeugt wurde und damit aus einer Zeit stammt, in der ein Vertrauen des Antragstellers, allein als Kindesvater in Betracht zu kommen, angesichts der Umstände des vorliegenden Falls nicht ohne weiteres begründet war. In diesem Zusammenhang ist auch die Beschreibung der Qualität der Beziehung zwischen der Beschwerdeführerin und dem Antragsteller zur Empfängniszeit von Bedeutung, welche die Beschwerdeführerin lediglich als "locker" bezeichnet hat und zu der die Gerichte keine weiteren Feststellungen getroffen haben. Die Gerichte sind auch nicht näher darauf eingegangen, dass die Beschwerdeführerin - vom Antragsteller unwidersprochen - dargelegt hat, dem Antragsteller gegenüber nie behauptet zu haben, das Kind könne nur von ihm abstammen. Auch der Umstand, dass der Antragsteller nach der Scheidung im Jahr 1995 das Sorgerecht für das Kind gegen den Willen der Mutter für sich erstritten hat, obwohl die Beschwerdeführerin ihm bereits 1994 in einem Brief die Möglichkeit eröffnet hatte, dass er nicht der leibliche Vater sein könnte, wurde nicht gewürdigt. Möglicherweise wäre auch der vom Oberlandesgericht als nicht klärungsbedürftig angesehenen Frage Bedeutung beizumessen gewesen, ob die Darlegung der Beschwerdeführerin zutrifft, dass nicht sie den Antragsteller zur Eheschließung veranlasst und so in die rechtliche Vaterschaft nach § 1592 Nr. 1 BGB gedrängt habe. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Gerichte bei Würdigung dieser Gesichtspunkte zu einem anderen Ergebnis gelangt wären.
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II.
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Die gerichtliche Verpflichtung der Mutter, zur Durchsetzung eines Regressanspruchs des Scheinvaters (§ 1607 Abs. 3 BGB) Auskunft über die Person des mutmaßlichen Vaters des Kindes zu erteilen, überschreitet unabhängig von den konkreten Umständen des vorliegenden Falls die verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, weil es hierfür an einer hinreichend deutlichen Grundlage im geschriebenen Recht fehlt. Die Beschwerdeführerin ist dadurch in ihren Grundrechten verletzt (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG).
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Auf die Generalklausel des § 242 BGB lässt sich ein Anspruch des Scheinvaters gegen die Mutter, diesem zur Durchsetzung seines gegen den leiblichen Vater des Kindes gerichteten Regressanspruchs aus § 1607 Abs. 3 BGB Auskunft über die Person des mutmaßlichen Vaters zu erteilen, nicht stützen. Dafür fehlen nähere Anknüpfungspunkte im einfachen Recht. Dieser bedürfte es aber, weil die Auskunftsverpflichtung auf der einen Seite das Persönlichkeitsrecht der Mutter erheblich beeinträchtigt (s.o., I.1.a), ohne dass auf der anderen Seite die zivilgerichtliche Stärkung des vom Gesetzgeber schwach ausgestalteten Regressanspruchs des Scheinvaters verfassungsrechtlich geboten wäre (sogleich unter 3.a).
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1. Der geltend gemachte Auskunftsanspruch ist nicht ausdrücklich geregelt, obgleich das Gesetz mit § 1605 BGB eine Auskunftsregelung zur Durchsetzung unterhaltsrechtlicher Ansprüche kennt. Diese Vorschrift ist hier jedoch nicht anwendbar. § 1605 BGB bestimmt, dass Verwandte in gerader Linie einander verpflichtet sind, auf Verlangen über ihre Einkünfte und ihr Vermögen Auskunft zu erteilen, soweit dies zur Feststellung eines Unterhaltsanspruchs oder einer Unterhaltsverpflichtung erforderlich ist. Eine Verpflichtung der Mutter, dem Scheinvater Auskunft über geschlechtliche Beziehungen zu einem Partner zu erteilen, wenn dies zur Feststellung einer Unterhaltsregressverpflichtung erforderlich ist, ist dort hingegen nicht geregelt (vgl. BGHZ 191, 259 <265 f. Rn. 18>).
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Die Zivilgerichte leiten den geltend gemachten Auskunftsanspruch aus § 242 BGB ab (s.o., A.I.). Sie stützen sich dabei auf die ursprünglich zu anderen Rechtsverhältnissen begründete ständige Rechtsprechung, nach der Treu und Glauben grundsätzlich gebieten, dem Anspruchsberechtigten einen Auskunftsanspruch zuzubilligen, wenn die zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen es mit sich bringen, dass der Anspruchsberechtigte in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen ist, und der Verpflichtete in der Lage ist, unschwer die zur Beseitigung dieser Ungewissheit erforderlichen Auskünfte zu erteilen (BGHZ 191, 259 <266 Rn. 20> m.w.N.).
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2. a) Gegen die gerichtliche Begründung von Auskunftsansprüchen in Sonderverbindungen aufgrund der Generalklausel des § 242 BGB ist verfassungsrechtlich im Grundsatz nichts einzuwenden. Schöpferische Rechtsfindung durch gerichtliche Rechtsauslegung und Rechtsfortbildung ist praktisch unentbehrlich und wird vom Bundesverfassungsgericht seit jeher anerkannt (vgl. BVerfGE 34, 269 <287 f.>; 49, 304 <318>; 65, 182 <190 f.>; 71, 354 <362>; 128, 193 <210>; 132, 99 <127 Rn. 74>). Dass der Gesetzgeber den Zivilgerichten mit den Generalklauseln des Privatrechts besonders weite Möglichkeiten der Rechtsfortbildung verschafft, ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Aus verfassungsrechtlicher Sicht bieten die privatrechtlichen Generalklauseln den Zivilgerichten nicht zuletzt die Möglichkeit, die Schutzgebote der Grundrechte zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfGE 97, 169 <178>; stRspr) und so die gesetzgeberische Erfüllung grundrechtlicher Schutzaufträge zu ergänzen; die Zivilgerichte verhelfen den Grundrechten so in einem Maße zur praktischen Wirkung, das zu leisten der Gesetzgeber im Hinblick auf die unübersehbare Vielfalt möglicher Fallgestaltungen (vgl. BVerfGE 102, 347 <361>) allein kaum in der Lage wäre (vgl. hierzu insbesondere Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 132, 232; Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 324 f.; Herzog/Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 VI Rn. 90
; Michael/Morlok, Grundrechte, 4. Aufl. 2014, Rn. 571 f.).
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b) Die gerichtliche Rechtsfortbildung stößt jedoch an verfassungsrechtliche Grenzen. Solche ergeben sich auch aus den Grundrechten. Sie müssen von Fall zu Fall bestimmt werden und kommen auch bei richterlicher Rechtsfortbildung aufgrund von Generalklauseln des Privatrechts zum Tragen.
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Soweit die vom Gericht im Wege der Rechtsfortbildung gewählte Lösung dazu dient, der Verfassung, insbesondere verfassungsmäßigen Rechten des Einzelnen, zum Durchbruch zu verhelfen, sind die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung weiter, da insoweit eine auch den Gesetzgeber treffende Vorgabe der höherrangigen Verfassung konkretisiert wird (vgl. BVerfGE 34, 269 <284 ff., 291>; 65, 182 <194 f.>; 122, 248 <286> - abw. M.). Umgekehrt sind die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung demgemäß bei einer Verschlechterung der rechtlichen Situation des Einzelnen enger gesteckt (vgl. BVerfGE 65, 182 <194 f.>; 71, 354 <362 f.>; 122, 248 <286, 301> - abw. M.); die Rechtsfindung muss sich umso stärker auf die Umsetzung bereits bestehender Vorgaben des einfachen Gesetzesrechts beschränken, je schwerer die beeinträchtigte Rechtsposition auch verfassungsrechtlich wiegt.
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Bei der gerichtlichen Entscheidung zivilrechtlicher Streitigkeiten, in denen überwiegend Interessenkonflikte zwischen Privaten zu lösen sind, trifft regelmäßig die Beeinträchtigung einer Rechtsposition auf der einen Seite mit der Förderung einer Rechtsposition auf der anderen Seite zusammen. Belastet ein Zivilgericht eine Person etwa mit einer im Wege der Rechtsfortbildung begründeten Pflicht, so erfolgt dies zumeist, um die Rechtsposition einer anderen Person zu stärken. Je schwerer der verfassungsrechtliche Gehalt der gestärkten Position wiegt, umso klarer ist eine entsprechende Lösung dem Gericht wie dem Gesetzgeber durch die Verfassung vorgezeichnet und umso weiter kann die Befugnis der Gerichte reichen, diese Position im Wege der Rechtsfortbildung - auch unter Belastung einer gegenläufigen, aber schwächeren Rechtsposition - durchzusetzen (so etwa BVerfGE 96, 56 <62 ff.>). Umgekehrt gilt jedoch genauso: Je schwerer die Belastung verfassungsrechtlich wiegt und je schwächer der verfassungsrechtliche Gehalt der damit durchzusetzenden Gegenposition ist, umso enger sind die Grenzen für die Rechtsfortbildung gesteckt, umso strikter muss sich also die zivilgerichtliche Rechtsfindung innerhalb der Grenzen des gesetzten Rechts halten. Die Grenzen richterlicher Rechtsfindung verlangen gerade dort besondere Beachtung, wo sich die rechtliche Situation des Bürgers verschlechtert, ohne dass verfassungsrechtliche Gründe dafür ins Feld geführt werden können (BVerfGE 122, 248 <301> - abw. M.). Auf eine privatrechtliche Generalklausel lässt sich eine verfassungsrechtlich schwerwiegende Belastung eines Beteiligten dann umso weniger stützen, je weniger sich im einfachgesetzlichen Umfeld Anknüpfungspunkte dafür finden lassen (vgl. Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht, 2004, S. 120 f.).
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3. Danach sind die verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung hier durch die Grundrechte enger bemessen (a). Sie sind durch die angegriffenen Entscheidungen überschritten (b).
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a) Die grundrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung sind hier enger gesteckt, weil die Auskunftsverpflichtung verfassungsrechtlich geschützte Rechtspositionen in erheblichem Maße beeinträchtigt, die für die Auskunftspflicht ins Feld geführten Gründe hingegen verfassungsrechtlich gering wiegen.
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Die mit der Auskunftsverpflichtung einhergehende Grundrechtsbeeinträchtigung der Beschwerdeführerin wiegt schwer (s.o., B.I.1.a). Darüber hinaus beeinträchtigt die Verpflichtung der Beschwerdeführerin zur Auskunftserteilung mittelbar das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Familienleben eines zu benennenden Mannes.
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Dem steht hier allein das Interesse des Scheinvaters an einer Stärkung der Durchsetzungsfähigkeit seines einfachgesetzlichen Regressanspruchs gegenüber. Dass der Gesetzgeber den Regressanspruch durchsetzungsschwach ausgestaltet hat, indem er es unterlassen hat, diesen durch einen entsprechenden Auskunftsanspruch zu flankieren, bedarf von Verfassungs wegen nicht der Korrektur. Der Gesetzgeber war verfassungsrechtlich nicht gezwungen, einen durchsetzungsstärkeren Regressanspruch zu schaffen. Wie das Interesse der Mutter an der Geheimhaltung intimer Daten ihres Geschlechtslebens einerseits und das finanzielle Regressinteresse des Scheinvaters andererseits zum Ausgleich gebracht werden, liegt im Ausgestaltungsspielraum des Privatrechtsgesetzgebers (dazu generell BVerfGE 134, 204 <223 f. Rn. 68 ff.>). Auch der Ausgestaltungsspielraum des Gesetzgebers findet zwar Grenzen in den Grundrechten der Betroffenen. Dass der Gesetzgeber hier durch die Nichtregelung einer den Regressanspruch flankierenden Auskunftsverpflichtung grundrechtliche Mindeststandards zulasten des Scheinvaters unterschritten hätte, ist jedoch - zumal angesichts des hohen verfassungsrechtlichen Stellenwerts des betroffenen Geheimhaltungsinteresses der Mutter - nicht ersichtlich. Auch im Rechtsvergleich erweist sich die uneingeschränkte Gewährung eines Regressanspruchs nicht als selbstverständlich (vgl. Helms, FamRZ 2013, S. 943 f. m.w.N.); die Wissenschaftliche Vereinigung für Familienrecht hat in ihrer Stellungnahme zu diesem Verfahren dargelegt, die hier in Rede stehende Position des Scheinvaters sei nicht als in Europa allgemein konsentierter Wert anzusehen.
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-
Zwar können die Zivilgerichte individuelle Rechtspositionen grundsätzlich auch über das verfassungsrechtlich gebotene Mindestmaß hinaus im Wege der Rechtsfortbildung stärken. Im Fall des hier zu beurteilenden Auskunftsanspruchs ist der Spielraum für richterliche Rechtsfortbildung, die über das verfassungsrechtlich Gebotene hinausginge, jedoch wegen des entgegenstehenden Grundrechts der Mutter enger bemessen.
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b) Danach können die Gerichte die Verpflichtung einer Mutter, zur Durchsetzung des Regressanspruchs aus § 1607 Abs. 3 Satz 2 BGB Auskunft über frühere Geschlechtspartner zu erteilen, nicht allein auf die Generalklausel des § 242 BGB stützen. Vielmehr setzt die gerichtliche Verpflichtung einer Mutter zur Preisgabe des Partners oder der Partner geschlechtlicher Beziehungen konkretere gesetzliche Anknüpfungspunkte voraus, aus denen sich ablesen lässt, dass eine Mutter zur Auskunftserteilung der fraglichen Art verpflichtet ist.
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Solche Anknüpfungspunkte finden sich hier nicht. Die in § 1605 BGB getroffene Regelung von Auskunftsansprüchen im Unterhaltsrecht deutet im Gegenteil darauf hin, dass zur Durchsetzung des Unterhaltsregressanspruchs keine Auskunftspflicht bestehen soll. In § 1605 BGB ist die Verpflichtung Verwandter geregelt, einander erforderlichenfalls über ihre Einkünfte und ihr Vermögen Auskunft zu erteilen. Eine Verpflichtung der Mutter, Auskunft über geschlechtliche Beziehungen zu einem Partner zu erteilen, findet sich hingegen nicht, obwohl dem Gesetzgeber nicht entgangen sein kann, dass zur Durchsetzung eines Regressanspruchs die Kenntnis des Erzeugers erforderlich ist und dass in vielen Fällen allein die Mutter Hinweise auf die Person des Erzeugers geben könnte.
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Auch der Anspruchsregelung in § 1607 Abs. 3 BGB selbst kann der erforderliche Anknüpfungspunkt nicht entnommen werden. Die Norm begründet lediglich die materielle Rechtsposition, ohne deren Durchsetzbarkeit zu regeln. Ein Schluss von der gesetzlichen Einräumung eines materiellrechtlichen Anspruchs auf die Ermächtigung zur Nutzung der notwendigen Mittel zu seiner Durchsetzung ist jedenfalls hier unzulässig, weil die Durchsetzung nur durch die gerichtliche Verpflichtung der Auskunftsverpflichteten zur Preisgabe intimer Daten aus der Privatsphäre erreicht werden kann. Hinzu kommt, dass die auskunftsverpflichtete Person hier nicht einmal selbst Anspruchsgegnerin des durchzusetzenden materiellen Hauptanspruchs ist. Der gesetzliche Regressanspruch des Scheinvaters läuft ohne flankierenden Auskunftsanspruch auch nicht faktisch leer. Er bleibt, nicht nur in Ausnahmefällen, durchsetzbar, wenn etwa der Scheinvater ohnehin von der Person des tatsächlichen Vaters Kenntnis hat oder von ihm aufgrund einer freiwilligen Information durch die Kindesmutter erfährt.
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Schließlich bietet auch die eherechtliche Generalklausel des § 1353 Abs. 1 BGB keinen hinreichend konkreten Anhaltspunkt für eine Auskunftsverpflichtung der Mutter. Auch die angegriffenen Entscheidungen beziehen sich auf § 1353 Abs. 1 BGB lediglich, um die Existenz einer in § 242 BGB vorausgesetzten rechtlichen Sonderverbindung zwischen Beschwerdeführerin und Antragsteller zu begründen.
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Mangels konkreten gesetzlichen Anknüpfungspunkts können die Gerichte also, unabhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalls, einen der Durchsetzung des Unterhaltsregresses dienenden Auskunftsanspruch eines Scheinvaters gegen die Mutter generell nicht aus § 242 BGB herleiten. Soll der Regressanspruch des Scheinvaters gestärkt werden, müsste der Gesetzgeber tätig werden. Der Gesetzgeber wäre nicht daran gehindert, eine Regelung zum Schutz des Scheinvaters einzuführen, obwohl er hierzu nicht durch das Eingreifen grundrechtlicher Schutzpflichten angehalten ist. Er könnte einen stärkeren Schutz vorsehen, als ihn die Gerichte durch die Anwendung der bestehenden Generalklauseln gewähren können (vgl. BVerfGE 134, 204 <223 f. Rn. 70>), müsste dabei allerdings dem entgegenstehenden Persönlichkeitsrecht der Mutter Rechnung tragen, das in dieser Konstellation schwer wiegt.
-
III.
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1. Die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidungen des Amtsgerichts sowie des Oberlandesgerichts verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG und in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG).
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Es ist angezeigt, nur den Beschluss des Oberlandesgerichts aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG), weil es im Interesse der Beschwerdeführerin liegt, möglichst rasch eine das Verfahren abschließende Entscheidung zu erhalten (vgl. BVerfGE 84, 1 <5>; 94, 372 <400>).
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2. Da die Verfassungsbeschwerde begründet ist, sind der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen nach § 34a Abs. 2 BVerfGG zu erstatten.
(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.
(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.
(1) Legt ein Dritter einen Rechtsbehelf gegen den an einen anderen gerichteten, diesen begünstigenden Verwaltungsakt ein, kann die Behörde
- 1.
auf Antrag des Begünstigten nach § 80 Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 die sofortige Vollziehung anordnen, - 2.
auf Antrag des Dritten nach § 80 Abs. 4 die Vollziehung aussetzen und einstweilige Maßnahmen zur Sicherung der Rechte des Dritten treffen.
(2) Legt ein Betroffener gegen einen an ihn gerichteten belastenden Verwaltungsakt, der einen Dritten begünstigt, einen Rechtsbehelf ein, kann die Behörde auf Antrag des Dritten nach § 80 Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 die sofortige Vollziehung anordnen.
(3) Das Gericht kann auf Antrag Maßnahmen nach den Absätzen 1 und 2 ändern oder aufheben oder solche Maßnahmen treffen. § 80 Abs. 5 bis 8 gilt entsprechend.
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.
(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.
(1) Legt ein Dritter einen Rechtsbehelf gegen den an einen anderen gerichteten, diesen begünstigenden Verwaltungsakt ein, kann die Behörde
- 1.
auf Antrag des Begünstigten nach § 80 Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 die sofortige Vollziehung anordnen, - 2.
auf Antrag des Dritten nach § 80 Abs. 4 die Vollziehung aussetzen und einstweilige Maßnahmen zur Sicherung der Rechte des Dritten treffen.
(2) Legt ein Betroffener gegen einen an ihn gerichteten belastenden Verwaltungsakt, der einen Dritten begünstigt, einen Rechtsbehelf ein, kann die Behörde auf Antrag des Dritten nach § 80 Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 die sofortige Vollziehung anordnen.
(3) Das Gericht kann auf Antrag Maßnahmen nach den Absätzen 1 und 2 ändern oder aufheben oder solche Maßnahmen treffen. § 80 Abs. 5 bis 8 gilt entsprechend.
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.
(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Von den Besitzverboten sind, soweit sich aus einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 5 nichts anderes ergibt, ausgenommen
- 1.
Tiere und Pflanzen der besonders geschützten Arten, die rechtmäßig - a)
in der Gemeinschaft gezüchtet und nicht herrenlos geworden sind, durch künstliche Vermehrung gewonnen oder aus der Natur entnommen worden sind, - b)
aus Drittstaaten in die Gemeinschaft gelangt sind,
- 2.
Tiere und Pflanzen der Arten, die in einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 4 aufgeführt und vor ihrer Aufnahme in die Rechtsverordnung rechtmäßig in der Gemeinschaft erworben worden sind.
(2) Soweit nach Absatz 1 Tiere und Pflanzen der besonders geschützten Arten keinen Besitzverboten unterliegen, sind sie auch von den Vermarktungsverboten ausgenommen. Dies gilt vorbehaltlich einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 5 nicht für aus der Natur entnommene
(3) Von den Vermarktungsverboten sind auch ausgenommen
- 1.
Tiere und Pflanzen der streng geschützten Arten, die vor ihrer Unterschutzstellung als vom Aussterben bedrohte oder streng geschützte Arten rechtmäßig erworben worden sind, - 2.
Tiere europäischer Vogelarten, die vor dem 6. April 1981 rechtmäßig erworben worden oder in Anhang III Teil A der Richtlinie 2009/147/EG aufgeführt sind, - 3.
Tiere und Pflanzen der Arten, die den Richtlinien 92/43/EWG und 2009/147/EG unterliegen und die in einem Mitgliedstaat in Übereinstimmung mit den Richtlinien zu den in § 44 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 genannten Handlungen freigegeben worden sind.
(4) Abweichend von den Besitz- und Vermarktungsverboten ist es vorbehaltlich jagd- und fischereirechtlicher Vorschriften zulässig, tot aufgefundene Tiere und Pflanzen aus der Natur zu entnehmen und an die von der für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörde bestimmte Stelle abzugeben oder, soweit sie nicht zu den streng geschützten Arten gehören, für Zwecke der Forschung oder Lehre oder zur Präparation für diese Zwecke zu verwenden.
(5) Abweichend von den Verboten des § 44 Absatz 1 Nummer 1 sowie den Besitzverboten ist es vorbehaltlich jagdrechtlicher Vorschriften ferner zulässig, verletzte, hilflose oder kranke Tiere aufzunehmen, um sie gesund zu pflegen. Die Tiere sind unverzüglich freizulassen, sobald sie sich selbständig erhalten können. Im Übrigen sind sie an die von der für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörde bestimmte Stelle abzugeben. Handelt es sich um Tiere der streng geschützten Arten, so hat der Besitzer die Aufnahme des Tieres der für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörde zu melden. Diese kann die Herausgabe des aufgenommenen Tieres verlangen.
(6) Die nach Landesrecht zuständigen Behörden können Ausnahmen von den Besitz- und Vermarktungsverboten zulassen, soweit dies für die Verwertung beschlagnahmter oder eingezogener Tiere und Pflanzen erforderlich ist und Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft dem nicht entgegenstehen. Ist für die Beschlagnahme oder Einziehung eine Bundesbehörde zuständig, kann diese Behörde Ausnahmen von den Besitz- und Vermarktungsverboten im Sinne von Satz 1 zulassen.
(7) Die für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörden sowie im Fall des Verbringens aus dem Ausland das Bundesamt für Naturschutz können von den Verboten des § 44 im Einzelfall weitere Ausnahmen zulassen
- 1.
zur Abwendung ernster land-, forst-, fischerei oder wasserwirtschaftlicher oder sonstiger ernster wirtschaftlicher Schäden, - 2.
zum Schutz der natürlich vorkommenden Tier- und Pflanzenwelt, - 3.
für Zwecke der Forschung, Lehre, Bildung oder Wiederansiedlung oder diesen Zwecken dienende Maßnahmen der Aufzucht oder künstlichen Vermehrung, - 4.
im Interesse der Gesundheit des Menschen, der öffentlichen Sicherheit, einschließlich der Verteidigung und des Schutzes der Zivilbevölkerung, oder der maßgeblich günstigen Auswirkungen auf die Umwelt oder - 5.
aus anderen zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art.
(8) Das Bundesamt für Naturschutz kann im Fall des Verbringens aus dem Ausland von den Verboten des § 44 unter den Voraussetzungen des Absatzes 7 Satz 2 und 3 im Einzelfall weitere Ausnahmen zulassen, um unter kontrollierten Bedingungen und in beschränktem Ausmaß eine vernünftige Nutzung von Tieren und Pflanzen bestimmter Arten im Sinne des § 7 Absatz 2 Nummer 13 Buchstabe b sowie für gezüchtete und künstlich vermehrte Tiere oder Pflanzen dieser Arten zu ermöglichen.
(1) Es ist verboten,
- 1.
wild lebenden Tieren der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören, - 2.
wild lebende Tiere der streng geschützten Arten und der europäischen Vogelarten während der Fortpflanzungs-, Aufzucht-, Mauser-, Überwinterungs- und Wanderungszeiten erheblich zu stören; eine erhebliche Störung liegt vor, wenn sich durch die Störung der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art verschlechtert, - 3.
Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der wild lebenden Tiere der besonders geschützten Arten aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören, - 4.
wild lebende Pflanzen der besonders geschützten Arten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, sie oder ihre Standorte zu beschädigen oder zu zerstören
(2) Es ist ferner verboten,
- 1.
Tiere und Pflanzen der besonders geschützten Arten in Besitz oder Gewahrsam zu nehmen, in Besitz oder Gewahrsam zu haben oder zu be- oder verarbeiten (Besitzverbote), - 2.
Tiere und Pflanzen der besonders geschützten Arten im Sinne des § 7 Absatz 2 Nummer 13 Buchstabe b und c - a)
zu verkaufen, zu kaufen, zum Verkauf oder Kauf anzubieten, zum Verkauf vorrätig zu halten oder zu befördern, zu tauschen oder entgeltlich zum Gebrauch oder zur Nutzung zu überlassen, - b)
zu kommerziellen Zwecken zu erwerben, zur Schau zu stellen oder auf andere Weise zu verwenden
(3) Die Besitz- und Vermarktungsverbote gelten auch für Waren im Sinne des Anhangs der Richtlinie 83/129/EWG, die entgegen den Artikeln 1 und 3 dieser Richtlinie nach dem 30. September 1983 in die Gemeinschaft gelangt sind.
(4) Entspricht die land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Bodennutzung und die Verwertung der dabei gewonnenen Erzeugnisse den in § 5 Absatz 2 bis 4 dieses Gesetzes genannten Anforderungen sowie den sich aus § 17 Absatz 2 des Bundes-Bodenschutzgesetzes und dem Recht der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft ergebenden Anforderungen an die gute fachliche Praxis, verstößt sie nicht gegen die Zugriffs-, Besitz- und Vermarktungsverbote. Sind in Anhang IV der Richtlinie 92/43/EWG aufgeführte Arten, europäische Vogelarten oder solche Arten, die in einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 aufgeführt sind, betroffen, gilt dies nur, soweit sich der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art durch die Bewirtschaftung nicht verschlechtert. Soweit dies nicht durch anderweitige Schutzmaßnahmen, insbesondere durch Maßnahmen des Gebietsschutzes, Artenschutzprogramme, vertragliche Vereinbarungen oder gezielte Aufklärung sichergestellt ist, ordnet die zuständige Behörde gegenüber den verursachenden Land-, Forst- oder Fischwirten die erforderlichen Bewirtschaftungsvorgaben an. Befugnisse nach Landesrecht zur Anordnung oder zum Erlass entsprechender Vorgaben durch Allgemeinverfügung oder Rechtsverordnung bleiben unberührt.
(5) Für nach § 15 Absatz 1 unvermeidbare Beeinträchtigungen durch Eingriffe in Natur und Landschaft, die nach § 17 Absatz 1 oder Absatz 3 zugelassen oder von einer Behörde durchgeführt werden, sowie für Vorhaben im Sinne des § 18 Absatz 2 Satz 1 gelten die Zugriffs-, Besitz- und Vermarktungsverbote nach Maßgabe der Sätze 2 bis 5. Sind in Anhang IV Buchstabe a der Richtlinie 92/43/EWG aufgeführte Tierarten, europäische Vogelarten oder solche Arten betroffen, die in einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 aufgeführt sind, liegt ein Verstoß gegen
- 1.
das Tötungs- und Verletzungsverbot nach Absatz 1 Nummer 1 nicht vor, wenn die Beeinträchtigung durch den Eingriff oder das Vorhaben das Tötungs- und Verletzungsrisiko für Exemplare der betroffenen Arten nicht signifikant erhöht und diese Beeinträchtigung bei Anwendung der gebotenen, fachlich anerkannten Schutzmaßnahmen nicht vermieden werden kann, - 2.
das Verbot des Nachstellens und Fangens wild lebender Tiere und der Entnahme, Beschädigung oder Zerstörung ihrer Entwicklungsformen nach Absatz 1 Nummer 1 nicht vor, wenn die Tiere oder ihre Entwicklungsformen im Rahmen einer erforderlichen Maßnahme, die auf den Schutz der Tiere vor Tötung oder Verletzung oder ihrer Entwicklungsformen vor Entnahme, Beschädigung oder Zerstörung und die Erhaltung der ökologischen Funktion der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang gerichtet ist, beeinträchtigt werden und diese Beeinträchtigungen unvermeidbar sind, - 3.
das Verbot nach Absatz 1 Nummer 3 nicht vor, wenn die ökologische Funktion der von dem Eingriff oder Vorhaben betroffenen Fortpflanzungs- und Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang weiterhin erfüllt wird.
(6) Die Zugriffs- und Besitzverbote gelten nicht für Handlungen zur Vorbereitung gesetzlich vorgeschriebener Prüfungen, die von fachkundigen Personen unter größtmöglicher Schonung der untersuchten Exemplare und der übrigen Tier- und Pflanzenwelt im notwendigen Umfang vorgenommen werden. Die Anzahl der verletzten oder getöteten Exemplare von europäischen Vogelarten und Arten der in Anhang IV Buchstabe a der Richtlinie 92/43/EWG aufgeführten Tierarten ist von der fachkundigen Person der für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörde jährlich mitzuteilen.
(1) Von den Besitzverboten sind, soweit sich aus einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 5 nichts anderes ergibt, ausgenommen
- 1.
Tiere und Pflanzen der besonders geschützten Arten, die rechtmäßig - a)
in der Gemeinschaft gezüchtet und nicht herrenlos geworden sind, durch künstliche Vermehrung gewonnen oder aus der Natur entnommen worden sind, - b)
aus Drittstaaten in die Gemeinschaft gelangt sind,
- 2.
Tiere und Pflanzen der Arten, die in einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 4 aufgeführt und vor ihrer Aufnahme in die Rechtsverordnung rechtmäßig in der Gemeinschaft erworben worden sind.
(2) Soweit nach Absatz 1 Tiere und Pflanzen der besonders geschützten Arten keinen Besitzverboten unterliegen, sind sie auch von den Vermarktungsverboten ausgenommen. Dies gilt vorbehaltlich einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 5 nicht für aus der Natur entnommene
(3) Von den Vermarktungsverboten sind auch ausgenommen
- 1.
Tiere und Pflanzen der streng geschützten Arten, die vor ihrer Unterschutzstellung als vom Aussterben bedrohte oder streng geschützte Arten rechtmäßig erworben worden sind, - 2.
Tiere europäischer Vogelarten, die vor dem 6. April 1981 rechtmäßig erworben worden oder in Anhang III Teil A der Richtlinie 2009/147/EG aufgeführt sind, - 3.
Tiere und Pflanzen der Arten, die den Richtlinien 92/43/EWG und 2009/147/EG unterliegen und die in einem Mitgliedstaat in Übereinstimmung mit den Richtlinien zu den in § 44 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 genannten Handlungen freigegeben worden sind.
(4) Abweichend von den Besitz- und Vermarktungsverboten ist es vorbehaltlich jagd- und fischereirechtlicher Vorschriften zulässig, tot aufgefundene Tiere und Pflanzen aus der Natur zu entnehmen und an die von der für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörde bestimmte Stelle abzugeben oder, soweit sie nicht zu den streng geschützten Arten gehören, für Zwecke der Forschung oder Lehre oder zur Präparation für diese Zwecke zu verwenden.
(5) Abweichend von den Verboten des § 44 Absatz 1 Nummer 1 sowie den Besitzverboten ist es vorbehaltlich jagdrechtlicher Vorschriften ferner zulässig, verletzte, hilflose oder kranke Tiere aufzunehmen, um sie gesund zu pflegen. Die Tiere sind unverzüglich freizulassen, sobald sie sich selbständig erhalten können. Im Übrigen sind sie an die von der für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörde bestimmte Stelle abzugeben. Handelt es sich um Tiere der streng geschützten Arten, so hat der Besitzer die Aufnahme des Tieres der für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörde zu melden. Diese kann die Herausgabe des aufgenommenen Tieres verlangen.
(6) Die nach Landesrecht zuständigen Behörden können Ausnahmen von den Besitz- und Vermarktungsverboten zulassen, soweit dies für die Verwertung beschlagnahmter oder eingezogener Tiere und Pflanzen erforderlich ist und Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft dem nicht entgegenstehen. Ist für die Beschlagnahme oder Einziehung eine Bundesbehörde zuständig, kann diese Behörde Ausnahmen von den Besitz- und Vermarktungsverboten im Sinne von Satz 1 zulassen.
(7) Die für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörden sowie im Fall des Verbringens aus dem Ausland das Bundesamt für Naturschutz können von den Verboten des § 44 im Einzelfall weitere Ausnahmen zulassen
- 1.
zur Abwendung ernster land-, forst-, fischerei oder wasserwirtschaftlicher oder sonstiger ernster wirtschaftlicher Schäden, - 2.
zum Schutz der natürlich vorkommenden Tier- und Pflanzenwelt, - 3.
für Zwecke der Forschung, Lehre, Bildung oder Wiederansiedlung oder diesen Zwecken dienende Maßnahmen der Aufzucht oder künstlichen Vermehrung, - 4.
im Interesse der Gesundheit des Menschen, der öffentlichen Sicherheit, einschließlich der Verteidigung und des Schutzes der Zivilbevölkerung, oder der maßgeblich günstigen Auswirkungen auf die Umwelt oder - 5.
aus anderen zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art.
(8) Das Bundesamt für Naturschutz kann im Fall des Verbringens aus dem Ausland von den Verboten des § 44 unter den Voraussetzungen des Absatzes 7 Satz 2 und 3 im Einzelfall weitere Ausnahmen zulassen, um unter kontrollierten Bedingungen und in beschränktem Ausmaß eine vernünftige Nutzung von Tieren und Pflanzen bestimmter Arten im Sinne des § 7 Absatz 2 Nummer 13 Buchstabe b sowie für gezüchtete und künstlich vermehrte Tiere oder Pflanzen dieser Arten zu ermöglichen.
Tenor
I.
Die Berufung wird zurückgewiesen.
II.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Gründe
Rechtsmittelbelehrung
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 663.000 Euro festgesetzt (§ 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 GKG).
(1) Von den Besitzverboten sind, soweit sich aus einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 5 nichts anderes ergibt, ausgenommen
- 1.
Tiere und Pflanzen der besonders geschützten Arten, die rechtmäßig - a)
in der Gemeinschaft gezüchtet und nicht herrenlos geworden sind, durch künstliche Vermehrung gewonnen oder aus der Natur entnommen worden sind, - b)
aus Drittstaaten in die Gemeinschaft gelangt sind,
- 2.
Tiere und Pflanzen der Arten, die in einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 4 aufgeführt und vor ihrer Aufnahme in die Rechtsverordnung rechtmäßig in der Gemeinschaft erworben worden sind.
(2) Soweit nach Absatz 1 Tiere und Pflanzen der besonders geschützten Arten keinen Besitzverboten unterliegen, sind sie auch von den Vermarktungsverboten ausgenommen. Dies gilt vorbehaltlich einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 5 nicht für aus der Natur entnommene
(3) Von den Vermarktungsverboten sind auch ausgenommen
- 1.
Tiere und Pflanzen der streng geschützten Arten, die vor ihrer Unterschutzstellung als vom Aussterben bedrohte oder streng geschützte Arten rechtmäßig erworben worden sind, - 2.
Tiere europäischer Vogelarten, die vor dem 6. April 1981 rechtmäßig erworben worden oder in Anhang III Teil A der Richtlinie 2009/147/EG aufgeführt sind, - 3.
Tiere und Pflanzen der Arten, die den Richtlinien 92/43/EWG und 2009/147/EG unterliegen und die in einem Mitgliedstaat in Übereinstimmung mit den Richtlinien zu den in § 44 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 genannten Handlungen freigegeben worden sind.
(4) Abweichend von den Besitz- und Vermarktungsverboten ist es vorbehaltlich jagd- und fischereirechtlicher Vorschriften zulässig, tot aufgefundene Tiere und Pflanzen aus der Natur zu entnehmen und an die von der für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörde bestimmte Stelle abzugeben oder, soweit sie nicht zu den streng geschützten Arten gehören, für Zwecke der Forschung oder Lehre oder zur Präparation für diese Zwecke zu verwenden.
(5) Abweichend von den Verboten des § 44 Absatz 1 Nummer 1 sowie den Besitzverboten ist es vorbehaltlich jagdrechtlicher Vorschriften ferner zulässig, verletzte, hilflose oder kranke Tiere aufzunehmen, um sie gesund zu pflegen. Die Tiere sind unverzüglich freizulassen, sobald sie sich selbständig erhalten können. Im Übrigen sind sie an die von der für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörde bestimmte Stelle abzugeben. Handelt es sich um Tiere der streng geschützten Arten, so hat der Besitzer die Aufnahme des Tieres der für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörde zu melden. Diese kann die Herausgabe des aufgenommenen Tieres verlangen.
(6) Die nach Landesrecht zuständigen Behörden können Ausnahmen von den Besitz- und Vermarktungsverboten zulassen, soweit dies für die Verwertung beschlagnahmter oder eingezogener Tiere und Pflanzen erforderlich ist und Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft dem nicht entgegenstehen. Ist für die Beschlagnahme oder Einziehung eine Bundesbehörde zuständig, kann diese Behörde Ausnahmen von den Besitz- und Vermarktungsverboten im Sinne von Satz 1 zulassen.
(7) Die für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörden sowie im Fall des Verbringens aus dem Ausland das Bundesamt für Naturschutz können von den Verboten des § 44 im Einzelfall weitere Ausnahmen zulassen
- 1.
zur Abwendung ernster land-, forst-, fischerei oder wasserwirtschaftlicher oder sonstiger ernster wirtschaftlicher Schäden, - 2.
zum Schutz der natürlich vorkommenden Tier- und Pflanzenwelt, - 3.
für Zwecke der Forschung, Lehre, Bildung oder Wiederansiedlung oder diesen Zwecken dienende Maßnahmen der Aufzucht oder künstlichen Vermehrung, - 4.
im Interesse der Gesundheit des Menschen, der öffentlichen Sicherheit, einschließlich der Verteidigung und des Schutzes der Zivilbevölkerung, oder der maßgeblich günstigen Auswirkungen auf die Umwelt oder - 5.
aus anderen zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art.
(8) Das Bundesamt für Naturschutz kann im Fall des Verbringens aus dem Ausland von den Verboten des § 44 unter den Voraussetzungen des Absatzes 7 Satz 2 und 3 im Einzelfall weitere Ausnahmen zulassen, um unter kontrollierten Bedingungen und in beschränktem Ausmaß eine vernünftige Nutzung von Tieren und Pflanzen bestimmter Arten im Sinne des § 7 Absatz 2 Nummer 13 Buchstabe b sowie für gezüchtete und künstlich vermehrte Tiere oder Pflanzen dieser Arten zu ermöglichen.
Tenor
I.
Die Berufung wird zurückgewiesen.
II.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Gründe
Rechtsmittelbelehrung
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 663.000 Euro festgesetzt (§ 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 GKG).
(1) Von den Besitzverboten sind, soweit sich aus einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 5 nichts anderes ergibt, ausgenommen
- 1.
Tiere und Pflanzen der besonders geschützten Arten, die rechtmäßig - a)
in der Gemeinschaft gezüchtet und nicht herrenlos geworden sind, durch künstliche Vermehrung gewonnen oder aus der Natur entnommen worden sind, - b)
aus Drittstaaten in die Gemeinschaft gelangt sind,
- 2.
Tiere und Pflanzen der Arten, die in einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 4 aufgeführt und vor ihrer Aufnahme in die Rechtsverordnung rechtmäßig in der Gemeinschaft erworben worden sind.
(2) Soweit nach Absatz 1 Tiere und Pflanzen der besonders geschützten Arten keinen Besitzverboten unterliegen, sind sie auch von den Vermarktungsverboten ausgenommen. Dies gilt vorbehaltlich einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 5 nicht für aus der Natur entnommene
(3) Von den Vermarktungsverboten sind auch ausgenommen
- 1.
Tiere und Pflanzen der streng geschützten Arten, die vor ihrer Unterschutzstellung als vom Aussterben bedrohte oder streng geschützte Arten rechtmäßig erworben worden sind, - 2.
Tiere europäischer Vogelarten, die vor dem 6. April 1981 rechtmäßig erworben worden oder in Anhang III Teil A der Richtlinie 2009/147/EG aufgeführt sind, - 3.
Tiere und Pflanzen der Arten, die den Richtlinien 92/43/EWG und 2009/147/EG unterliegen und die in einem Mitgliedstaat in Übereinstimmung mit den Richtlinien zu den in § 44 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 genannten Handlungen freigegeben worden sind.
(4) Abweichend von den Besitz- und Vermarktungsverboten ist es vorbehaltlich jagd- und fischereirechtlicher Vorschriften zulässig, tot aufgefundene Tiere und Pflanzen aus der Natur zu entnehmen und an die von der für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörde bestimmte Stelle abzugeben oder, soweit sie nicht zu den streng geschützten Arten gehören, für Zwecke der Forschung oder Lehre oder zur Präparation für diese Zwecke zu verwenden.
(5) Abweichend von den Verboten des § 44 Absatz 1 Nummer 1 sowie den Besitzverboten ist es vorbehaltlich jagdrechtlicher Vorschriften ferner zulässig, verletzte, hilflose oder kranke Tiere aufzunehmen, um sie gesund zu pflegen. Die Tiere sind unverzüglich freizulassen, sobald sie sich selbständig erhalten können. Im Übrigen sind sie an die von der für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörde bestimmte Stelle abzugeben. Handelt es sich um Tiere der streng geschützten Arten, so hat der Besitzer die Aufnahme des Tieres der für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörde zu melden. Diese kann die Herausgabe des aufgenommenen Tieres verlangen.
(6) Die nach Landesrecht zuständigen Behörden können Ausnahmen von den Besitz- und Vermarktungsverboten zulassen, soweit dies für die Verwertung beschlagnahmter oder eingezogener Tiere und Pflanzen erforderlich ist und Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft dem nicht entgegenstehen. Ist für die Beschlagnahme oder Einziehung eine Bundesbehörde zuständig, kann diese Behörde Ausnahmen von den Besitz- und Vermarktungsverboten im Sinne von Satz 1 zulassen.
(7) Die für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörden sowie im Fall des Verbringens aus dem Ausland das Bundesamt für Naturschutz können von den Verboten des § 44 im Einzelfall weitere Ausnahmen zulassen
- 1.
zur Abwendung ernster land-, forst-, fischerei oder wasserwirtschaftlicher oder sonstiger ernster wirtschaftlicher Schäden, - 2.
zum Schutz der natürlich vorkommenden Tier- und Pflanzenwelt, - 3.
für Zwecke der Forschung, Lehre, Bildung oder Wiederansiedlung oder diesen Zwecken dienende Maßnahmen der Aufzucht oder künstlichen Vermehrung, - 4.
im Interesse der Gesundheit des Menschen, der öffentlichen Sicherheit, einschließlich der Verteidigung und des Schutzes der Zivilbevölkerung, oder der maßgeblich günstigen Auswirkungen auf die Umwelt oder - 5.
aus anderen zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art.
(8) Das Bundesamt für Naturschutz kann im Fall des Verbringens aus dem Ausland von den Verboten des § 44 unter den Voraussetzungen des Absatzes 7 Satz 2 und 3 im Einzelfall weitere Ausnahmen zulassen, um unter kontrollierten Bedingungen und in beschränktem Ausmaß eine vernünftige Nutzung von Tieren und Pflanzen bestimmter Arten im Sinne des § 7 Absatz 2 Nummer 13 Buchstabe b sowie für gezüchtete und künstlich vermehrte Tiere oder Pflanzen dieser Arten zu ermöglichen.
(1) Es ist verboten,
- 1.
wild lebenden Tieren der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören, - 2.
wild lebende Tiere der streng geschützten Arten und der europäischen Vogelarten während der Fortpflanzungs-, Aufzucht-, Mauser-, Überwinterungs- und Wanderungszeiten erheblich zu stören; eine erhebliche Störung liegt vor, wenn sich durch die Störung der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art verschlechtert, - 3.
Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der wild lebenden Tiere der besonders geschützten Arten aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören, - 4.
wild lebende Pflanzen der besonders geschützten Arten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, sie oder ihre Standorte zu beschädigen oder zu zerstören
(2) Es ist ferner verboten,
- 1.
Tiere und Pflanzen der besonders geschützten Arten in Besitz oder Gewahrsam zu nehmen, in Besitz oder Gewahrsam zu haben oder zu be- oder verarbeiten (Besitzverbote), - 2.
Tiere und Pflanzen der besonders geschützten Arten im Sinne des § 7 Absatz 2 Nummer 13 Buchstabe b und c - a)
zu verkaufen, zu kaufen, zum Verkauf oder Kauf anzubieten, zum Verkauf vorrätig zu halten oder zu befördern, zu tauschen oder entgeltlich zum Gebrauch oder zur Nutzung zu überlassen, - b)
zu kommerziellen Zwecken zu erwerben, zur Schau zu stellen oder auf andere Weise zu verwenden
(3) Die Besitz- und Vermarktungsverbote gelten auch für Waren im Sinne des Anhangs der Richtlinie 83/129/EWG, die entgegen den Artikeln 1 und 3 dieser Richtlinie nach dem 30. September 1983 in die Gemeinschaft gelangt sind.
(4) Entspricht die land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Bodennutzung und die Verwertung der dabei gewonnenen Erzeugnisse den in § 5 Absatz 2 bis 4 dieses Gesetzes genannten Anforderungen sowie den sich aus § 17 Absatz 2 des Bundes-Bodenschutzgesetzes und dem Recht der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft ergebenden Anforderungen an die gute fachliche Praxis, verstößt sie nicht gegen die Zugriffs-, Besitz- und Vermarktungsverbote. Sind in Anhang IV der Richtlinie 92/43/EWG aufgeführte Arten, europäische Vogelarten oder solche Arten, die in einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 aufgeführt sind, betroffen, gilt dies nur, soweit sich der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art durch die Bewirtschaftung nicht verschlechtert. Soweit dies nicht durch anderweitige Schutzmaßnahmen, insbesondere durch Maßnahmen des Gebietsschutzes, Artenschutzprogramme, vertragliche Vereinbarungen oder gezielte Aufklärung sichergestellt ist, ordnet die zuständige Behörde gegenüber den verursachenden Land-, Forst- oder Fischwirten die erforderlichen Bewirtschaftungsvorgaben an. Befugnisse nach Landesrecht zur Anordnung oder zum Erlass entsprechender Vorgaben durch Allgemeinverfügung oder Rechtsverordnung bleiben unberührt.
(5) Für nach § 15 Absatz 1 unvermeidbare Beeinträchtigungen durch Eingriffe in Natur und Landschaft, die nach § 17 Absatz 1 oder Absatz 3 zugelassen oder von einer Behörde durchgeführt werden, sowie für Vorhaben im Sinne des § 18 Absatz 2 Satz 1 gelten die Zugriffs-, Besitz- und Vermarktungsverbote nach Maßgabe der Sätze 2 bis 5. Sind in Anhang IV Buchstabe a der Richtlinie 92/43/EWG aufgeführte Tierarten, europäische Vogelarten oder solche Arten betroffen, die in einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 aufgeführt sind, liegt ein Verstoß gegen
- 1.
das Tötungs- und Verletzungsverbot nach Absatz 1 Nummer 1 nicht vor, wenn die Beeinträchtigung durch den Eingriff oder das Vorhaben das Tötungs- und Verletzungsrisiko für Exemplare der betroffenen Arten nicht signifikant erhöht und diese Beeinträchtigung bei Anwendung der gebotenen, fachlich anerkannten Schutzmaßnahmen nicht vermieden werden kann, - 2.
das Verbot des Nachstellens und Fangens wild lebender Tiere und der Entnahme, Beschädigung oder Zerstörung ihrer Entwicklungsformen nach Absatz 1 Nummer 1 nicht vor, wenn die Tiere oder ihre Entwicklungsformen im Rahmen einer erforderlichen Maßnahme, die auf den Schutz der Tiere vor Tötung oder Verletzung oder ihrer Entwicklungsformen vor Entnahme, Beschädigung oder Zerstörung und die Erhaltung der ökologischen Funktion der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang gerichtet ist, beeinträchtigt werden und diese Beeinträchtigungen unvermeidbar sind, - 3.
das Verbot nach Absatz 1 Nummer 3 nicht vor, wenn die ökologische Funktion der von dem Eingriff oder Vorhaben betroffenen Fortpflanzungs- und Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang weiterhin erfüllt wird.
(6) Die Zugriffs- und Besitzverbote gelten nicht für Handlungen zur Vorbereitung gesetzlich vorgeschriebener Prüfungen, die von fachkundigen Personen unter größtmöglicher Schonung der untersuchten Exemplare und der übrigen Tier- und Pflanzenwelt im notwendigen Umfang vorgenommen werden. Die Anzahl der verletzten oder getöteten Exemplare von europäischen Vogelarten und Arten der in Anhang IV Buchstabe a der Richtlinie 92/43/EWG aufgeführten Tierarten ist von der fachkundigen Person der für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörde jährlich mitzuteilen.
Tenor
I. Der Antrag auf Ergänzung der Kostenentscheidung des Urteils des Verwaltungsgerichtshofs vom 18. Juni 2014 - 22 B 13.1358 - (Nr. III des Urteilstenors) um eine Entscheidung über die Erstattungsfähigkeit der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen wird abgelehnt.
II. Der Beigeladene trägt die Kosten des Ergänzungsverfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beigeladene darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Gründe
(1) Es ist verboten,
- 1.
wild lebenden Tieren der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören, - 2.
wild lebende Tiere der streng geschützten Arten und der europäischen Vogelarten während der Fortpflanzungs-, Aufzucht-, Mauser-, Überwinterungs- und Wanderungszeiten erheblich zu stören; eine erhebliche Störung liegt vor, wenn sich durch die Störung der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art verschlechtert, - 3.
Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der wild lebenden Tiere der besonders geschützten Arten aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören, - 4.
wild lebende Pflanzen der besonders geschützten Arten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, sie oder ihre Standorte zu beschädigen oder zu zerstören
(2) Es ist ferner verboten,
- 1.
Tiere und Pflanzen der besonders geschützten Arten in Besitz oder Gewahrsam zu nehmen, in Besitz oder Gewahrsam zu haben oder zu be- oder verarbeiten (Besitzverbote), - 2.
Tiere und Pflanzen der besonders geschützten Arten im Sinne des § 7 Absatz 2 Nummer 13 Buchstabe b und c - a)
zu verkaufen, zu kaufen, zum Verkauf oder Kauf anzubieten, zum Verkauf vorrätig zu halten oder zu befördern, zu tauschen oder entgeltlich zum Gebrauch oder zur Nutzung zu überlassen, - b)
zu kommerziellen Zwecken zu erwerben, zur Schau zu stellen oder auf andere Weise zu verwenden
(3) Die Besitz- und Vermarktungsverbote gelten auch für Waren im Sinne des Anhangs der Richtlinie 83/129/EWG, die entgegen den Artikeln 1 und 3 dieser Richtlinie nach dem 30. September 1983 in die Gemeinschaft gelangt sind.
(4) Entspricht die land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Bodennutzung und die Verwertung der dabei gewonnenen Erzeugnisse den in § 5 Absatz 2 bis 4 dieses Gesetzes genannten Anforderungen sowie den sich aus § 17 Absatz 2 des Bundes-Bodenschutzgesetzes und dem Recht der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft ergebenden Anforderungen an die gute fachliche Praxis, verstößt sie nicht gegen die Zugriffs-, Besitz- und Vermarktungsverbote. Sind in Anhang IV der Richtlinie 92/43/EWG aufgeführte Arten, europäische Vogelarten oder solche Arten, die in einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 aufgeführt sind, betroffen, gilt dies nur, soweit sich der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art durch die Bewirtschaftung nicht verschlechtert. Soweit dies nicht durch anderweitige Schutzmaßnahmen, insbesondere durch Maßnahmen des Gebietsschutzes, Artenschutzprogramme, vertragliche Vereinbarungen oder gezielte Aufklärung sichergestellt ist, ordnet die zuständige Behörde gegenüber den verursachenden Land-, Forst- oder Fischwirten die erforderlichen Bewirtschaftungsvorgaben an. Befugnisse nach Landesrecht zur Anordnung oder zum Erlass entsprechender Vorgaben durch Allgemeinverfügung oder Rechtsverordnung bleiben unberührt.
(5) Für nach § 15 Absatz 1 unvermeidbare Beeinträchtigungen durch Eingriffe in Natur und Landschaft, die nach § 17 Absatz 1 oder Absatz 3 zugelassen oder von einer Behörde durchgeführt werden, sowie für Vorhaben im Sinne des § 18 Absatz 2 Satz 1 gelten die Zugriffs-, Besitz- und Vermarktungsverbote nach Maßgabe der Sätze 2 bis 5. Sind in Anhang IV Buchstabe a der Richtlinie 92/43/EWG aufgeführte Tierarten, europäische Vogelarten oder solche Arten betroffen, die in einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 aufgeführt sind, liegt ein Verstoß gegen
- 1.
das Tötungs- und Verletzungsverbot nach Absatz 1 Nummer 1 nicht vor, wenn die Beeinträchtigung durch den Eingriff oder das Vorhaben das Tötungs- und Verletzungsrisiko für Exemplare der betroffenen Arten nicht signifikant erhöht und diese Beeinträchtigung bei Anwendung der gebotenen, fachlich anerkannten Schutzmaßnahmen nicht vermieden werden kann, - 2.
das Verbot des Nachstellens und Fangens wild lebender Tiere und der Entnahme, Beschädigung oder Zerstörung ihrer Entwicklungsformen nach Absatz 1 Nummer 1 nicht vor, wenn die Tiere oder ihre Entwicklungsformen im Rahmen einer erforderlichen Maßnahme, die auf den Schutz der Tiere vor Tötung oder Verletzung oder ihrer Entwicklungsformen vor Entnahme, Beschädigung oder Zerstörung und die Erhaltung der ökologischen Funktion der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang gerichtet ist, beeinträchtigt werden und diese Beeinträchtigungen unvermeidbar sind, - 3.
das Verbot nach Absatz 1 Nummer 3 nicht vor, wenn die ökologische Funktion der von dem Eingriff oder Vorhaben betroffenen Fortpflanzungs- und Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang weiterhin erfüllt wird.
(6) Die Zugriffs- und Besitzverbote gelten nicht für Handlungen zur Vorbereitung gesetzlich vorgeschriebener Prüfungen, die von fachkundigen Personen unter größtmöglicher Schonung der untersuchten Exemplare und der übrigen Tier- und Pflanzenwelt im notwendigen Umfang vorgenommen werden. Die Anzahl der verletzten oder getöteten Exemplare von europäischen Vogelarten und Arten der in Anhang IV Buchstabe a der Richtlinie 92/43/EWG aufgeführten Tierarten ist von der fachkundigen Person der für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörde jährlich mitzuteilen.
(1) Von den Besitzverboten sind, soweit sich aus einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 5 nichts anderes ergibt, ausgenommen
- 1.
Tiere und Pflanzen der besonders geschützten Arten, die rechtmäßig - a)
in der Gemeinschaft gezüchtet und nicht herrenlos geworden sind, durch künstliche Vermehrung gewonnen oder aus der Natur entnommen worden sind, - b)
aus Drittstaaten in die Gemeinschaft gelangt sind,
- 2.
Tiere und Pflanzen der Arten, die in einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 4 aufgeführt und vor ihrer Aufnahme in die Rechtsverordnung rechtmäßig in der Gemeinschaft erworben worden sind.
(2) Soweit nach Absatz 1 Tiere und Pflanzen der besonders geschützten Arten keinen Besitzverboten unterliegen, sind sie auch von den Vermarktungsverboten ausgenommen. Dies gilt vorbehaltlich einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 5 nicht für aus der Natur entnommene
(3) Von den Vermarktungsverboten sind auch ausgenommen
- 1.
Tiere und Pflanzen der streng geschützten Arten, die vor ihrer Unterschutzstellung als vom Aussterben bedrohte oder streng geschützte Arten rechtmäßig erworben worden sind, - 2.
Tiere europäischer Vogelarten, die vor dem 6. April 1981 rechtmäßig erworben worden oder in Anhang III Teil A der Richtlinie 2009/147/EG aufgeführt sind, - 3.
Tiere und Pflanzen der Arten, die den Richtlinien 92/43/EWG und 2009/147/EG unterliegen und die in einem Mitgliedstaat in Übereinstimmung mit den Richtlinien zu den in § 44 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 genannten Handlungen freigegeben worden sind.
(4) Abweichend von den Besitz- und Vermarktungsverboten ist es vorbehaltlich jagd- und fischereirechtlicher Vorschriften zulässig, tot aufgefundene Tiere und Pflanzen aus der Natur zu entnehmen und an die von der für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörde bestimmte Stelle abzugeben oder, soweit sie nicht zu den streng geschützten Arten gehören, für Zwecke der Forschung oder Lehre oder zur Präparation für diese Zwecke zu verwenden.
(5) Abweichend von den Verboten des § 44 Absatz 1 Nummer 1 sowie den Besitzverboten ist es vorbehaltlich jagdrechtlicher Vorschriften ferner zulässig, verletzte, hilflose oder kranke Tiere aufzunehmen, um sie gesund zu pflegen. Die Tiere sind unverzüglich freizulassen, sobald sie sich selbständig erhalten können. Im Übrigen sind sie an die von der für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörde bestimmte Stelle abzugeben. Handelt es sich um Tiere der streng geschützten Arten, so hat der Besitzer die Aufnahme des Tieres der für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörde zu melden. Diese kann die Herausgabe des aufgenommenen Tieres verlangen.
(6) Die nach Landesrecht zuständigen Behörden können Ausnahmen von den Besitz- und Vermarktungsverboten zulassen, soweit dies für die Verwertung beschlagnahmter oder eingezogener Tiere und Pflanzen erforderlich ist und Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft dem nicht entgegenstehen. Ist für die Beschlagnahme oder Einziehung eine Bundesbehörde zuständig, kann diese Behörde Ausnahmen von den Besitz- und Vermarktungsverboten im Sinne von Satz 1 zulassen.
(7) Die für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörden sowie im Fall des Verbringens aus dem Ausland das Bundesamt für Naturschutz können von den Verboten des § 44 im Einzelfall weitere Ausnahmen zulassen
- 1.
zur Abwendung ernster land-, forst-, fischerei oder wasserwirtschaftlicher oder sonstiger ernster wirtschaftlicher Schäden, - 2.
zum Schutz der natürlich vorkommenden Tier- und Pflanzenwelt, - 3.
für Zwecke der Forschung, Lehre, Bildung oder Wiederansiedlung oder diesen Zwecken dienende Maßnahmen der Aufzucht oder künstlichen Vermehrung, - 4.
im Interesse der Gesundheit des Menschen, der öffentlichen Sicherheit, einschließlich der Verteidigung und des Schutzes der Zivilbevölkerung, oder der maßgeblich günstigen Auswirkungen auf die Umwelt oder - 5.
aus anderen zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art.
(8) Das Bundesamt für Naturschutz kann im Fall des Verbringens aus dem Ausland von den Verboten des § 44 unter den Voraussetzungen des Absatzes 7 Satz 2 und 3 im Einzelfall weitere Ausnahmen zulassen, um unter kontrollierten Bedingungen und in beschränktem Ausmaß eine vernünftige Nutzung von Tieren und Pflanzen bestimmter Arten im Sinne des § 7 Absatz 2 Nummer 13 Buchstabe b sowie für gezüchtete und künstlich vermehrte Tiere oder Pflanzen dieser Arten zu ermöglichen.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Kosten sind die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens.
(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines Rechtsbeistands, in den in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 und 3a genannten Angelegenheiten auch einer der dort genannten Personen, sind stets erstattungsfähig. Soweit ein Vorverfahren geschwebt hat, sind Gebühren und Auslagen erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können an Stelle ihrer tatsächlichen notwendigen Aufwendungen für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen den in Nummer 7002 der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bestimmten Höchstsatz der Pauschale fordern.
(3) Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nur erstattungsfähig, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt.
(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.
(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.
(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.
(4) In Verfahren
- 1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro, - 2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro, - 3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und - 4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.
(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert
- 1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist, - 2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.
(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.