Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Sept. 2018 - 1 StR 307/18

bei uns veröffentlicht am11.09.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 307/18
vom
11. September 2018
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
ECLI:DE:BGH:2018:110918B1STR307.18.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Beschwerdeführerin und des Generalbundesanwalts am 11. September 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München II vom 24. Januar 2018 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Die weitergehende Revision der Angeklagten wird verworfen. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt. Gleichzeitig wurde die Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet.
2
Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Angeklagten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie in Bezug auf den Schuldspruch entsprechend der Begründung des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 3. Juli 2018 unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.


3
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
4
Die Angeklagte und der Geschädigte lebten seit 2013 in einer gemeinsamen Wohnung. Im Laufe der Zeit verschlechterte sich die Beziehung der beiden zusehends und war von regelmäßigen Konflikten und Streitigkeiten mit gegenseitigen Beleidigungen geprägt. Die Angeklagte und der Geschädigte schliefen deshalb in getrennten Zimmern, die Angeklagte im Wohnzimmer, der Geschädigte im Schlafzimmer. Bereits ab 2012 hatte die Angeklagte begonnen, vermehrt Alkohol zu konsumieren, wobei sie zuletzt über den Tag verteilt regelmäßig zehn bis zwölf Bier (jeweils 0,5 l) trank, weshalb sie durchschnittlich zwei bis drei Tage pro Woche betrunken und zumindest einmal pro Woche verkatert war.
5
Bereits am Morgen des 20. Januar 2017 kam es in der Küche zu gegenseitigen Beleidigungen und Provokationen. Die Angeklagte konsumierte an diesem Tag ab ca. 15 Uhr bis zu dem Zeitpunkt, als der Geschädigte gegen 23 Uhr von seiner Arbeit nach Hause kam und sich schlafen legte, mindestens zehn Bier zu je 0,5 l. Am 21. Januar 2017 gegen 1 Uhr nachts begab sich die Angeklagte in das Schlafzimmer des Geschädigten, um sich dessen TabletComputer zum Anschauen von Musikvideos zu holen. Da der Geschädigte aber das Passwort für den Computer geändert hatte und dessen Nutzung somit nicht möglich war, ging sie erneut zurück ins Schlafzimmer und weckte gegen 1.30 Uhr den Geschädigten. Dieser weigerte sich aber, das Tablet zu entsperren. Es kam daraufhin zu gegenseitigen Provokationen und Beschimpfungen.
6
Die Angeklagte begab sich anschließend zurück in ihr Wohnzimmer und begann vor der Schlafzimmertür des Geschädigten Staub zu saugen, um diesen zu provozieren. Sie ging dann zurück ins Wohnzimmer, schrie weiter zu dem Geschädigten hinüber und sperrte die Wohnzimmertür von innen ab. Der Geschädigte klopfte und schlug gegen die Tür und forderte die Angeklagte auf, mit dem Lärm aufzuhören. Daraufhin öffnete sie kurz die Wohnzimmertür, so dass sich beide in kurzem Abstand gegenüber standen und sich gegenseitig anbrüllten. Dann schloss sie die Tür erneut. Der Geschädigte entfernte sich zunächst von der Tür, da es für einen Augenblick ruhig geworden war. Der Geschädigte kehrte aber nach wenigen Schritten zurück, weil die Angeklagte die Tür des Wohnzimmers erneut öffnete und kurz ihr zum Eigenschutz angeschafftes Pfefferspray auf den Geschädigten richtete, ohne dieses aber einzusetzen. Der Geschädigte forderte sie auf, sie solle ihr Maul halten, weil er seine Ruhe haben wolle.
7
Die Angeklagte, die unter dem Einfluss des vorangegangenen Alkoholgenusses und der negativen Erfahrungen der leidvollen Beziehungsgeschichte emotional aufgewühlt und aufgebracht war, ging dann wieder in ihr Wohnzimmer zurück und versperrte die Tür. Beide brüllten sich weiter durch die Tür an. Anschließend fasste die Angeklagte mit ihrer rechten Hand den Zimmerschlüssel im Türschloss und hielt gleichzeitig in dieser Hand ein geöffnetes Klappmesser mit ca. 7 cm Klingenlänge mit der Klinge nach unten sowie in der linken Hand das Pfefferspray. Nachdem sie so die Tür erneut geöffnet hatte, stach sie unvermittelt mit dem Messer in Richtung des Oberkörpers des Geschädigten, der eine Armlänge vor der Wohnzimmertür stand. Die Angeklagte traf den Geschädigten mit dem Messer unterhalb dessen 7. Rippe und stach ca. 3 cm tief in dessen Oberkörper ein, ohne aber innere Organe zu treffen. Der Stich war aber geeignet, lebensgefährliche Folgen beim Geschädigten hervorzurufen.
8
Das Landgericht ging davon aus, dass die Angeklagte bei der Tatbegehung erheblich unter Alkoholeinfluss stand und erheblich alkoholbedingt enthemmt war. Zur Tatzeit habe sie eine maximale Alkoholkonzentration von 3,09 Promille gehabt. Dem psychiatrischen Sachverständigen folgend nimmt das Landgericht an (UA S. 28 ff.), dass die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit der Angeklagten bei der Tat weder aufgehoben noch wesentlich vermindert gewesen sei. Es legt für die zu bestimmende Rechtsfolge den „gemäß § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des minder schweren Falls des § 224 Abs. 1 StGB“ zu Grunde (UA S. 33)und bejaht die Voraussetzungen für eine Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (UA S. 35 f.).

II.


9
Der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils ist rechtsfehlerhaft. Die Ausführungen zur Verneinung einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit der Angeklagten sowie zur Anordnung einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
10
1. Nach den vom sachverständig beratenen Landgericht zur Frage der Schuldfähigkeit der Angeklagten getroffenen Feststellungen (UA S. 28 ff.) ergab die der Angeklagten um 4.10 Uhr entnommene Blutprobe eine BAK von 2,22 Promille. Dies führe nach den Ausführungen des rechtsmedizinischen Sachverständigen unter Rückrechnung zum Tatzeitpunkt um 2.20 Uhr zu einer wahrscheinlichen BAK von 2,5 Promille und einer nicht ausschließbaren maximalen BAK von 2,79 Promille, wobei eine Umrechnung der um 2.45 Uhr durchgeführten Atemalkoholmessung einen maximalen Wert von 3,09 Promille ergebe. Ungeachtet der errechneten Werte bestünden aber nach Auffassung des Landgerichts keine Hinweise auf eine verminderte Steuerungsfähigkeit, da sich keine Hinweise auf wesentliche Bewusstseinsausfälle bei der Angeklagten ergeben hätten. Auch seien keine Hinweise auf Einschränkungen im Auffassungsvermögen oder der Orientierung und auch keine motorischen oder koordinativen Ausfälle zu erkennen. Die affektiven Verhaltensauffälligkeiten sowie Stimmungsschwankungen der Angeklagten seien auf den Schock infolge der Tatbegehung zurückzuführen.
11
2. Diese Ausführungen des Landgerichts ermöglichen dem Senat nicht die Nachprüfung dahingehend, ob die Voraussetzungen des § 21 StGB zu Recht verneint worden sind. Sie lassen vielmehr besorgen, dass das Landgericht einzelne für bzw. gegen die Annahme einer verminderten Schuldfähigkeit sprechende Indizien übersehen und infolgedessen zu einer rechtsfehlerhaften Würdigung gelangt ist.
12
So stellt das Landgericht einerseits fest, dass die Angeklagte bei der Tatbegehung erheblich unter Alkoholeinfluss stand und auch erheblich alkoholbedingt enthemmt war (UA S. 10). Der Senat kann hier dahinstehen lassen, ob der Atemalkoholkonzentration neben der gesicherten BAK-Konzentration aufgrund einer zeitnahen Blutprobe überhaupt Bedeutung zukommt (BGH, Beschluss vom 26. Januar 2010 – 5 StR 520/09, NStZ-RR 2010, 275, 276). Jedenfalls ergibt die zugrunde zu legende BAK von 2,79 Promille eine erhebliche Alkoholisierung. Ebenso berichtet ein als Zeuge vernommener Polizeibeamter, der die Angeklagte kurz nach der Tat angetroffen hat, dass diese stark nach Alkohol gerochen habe, leicht geschwankt habe und nicht mehr ohne Probleme stehen konnte (UA S. 29). Auf der anderen Seite sieht das Landgericht aber trotz dieser Feststellungen keine Hinweise auf wesentliche Bewusstseinsausfälle bei der Angeklagten und verneint auch Hinweise auf Einschränkungen im Auffassungsvermögen sowie motorische oder koordinative Ausfälle. Gleichzei- tig werden die ebenfalls bei der Angeklagten im Zusammenhang mit der Tat festgestellten affektiven Verhaltensauffälligkeiten und Stimmungsschwankungen (UA S. 9) ebenfalls nicht in die Beurteilung zur Schuldfähigkeit einbezogen, da sie nur auf den Schock infolge der Tatbegehung zurückzuführen seien. Dies lässt unberücksichtigt, dass diese durchaus im Zusammenhang mit der Alkoholisierung zu einer erheblichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit geführt haben könnten. Damit lässt das Urteil eine widerspruchsfreie Würdigung aller für die Beurteilung der Schuldfähigkeit der Angeklagten relevanten Gesichtspunkte vermissen.
13
3. Im Hinblick auf diesen aufgezeigten Rechtsfehler kann dahinstehen, ob auch der Strafausspruch des Landgerichts in Bezug auf die Bestimmung des Strafrahmens rechtsfehlerhaft ist. Soweit das Landgericht im Einleitungssatz (UA S. 33) vom „gemäß § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des minder schweren Falls des § 224 Abs. 1 StGB“ ausgeht, dann aber einen maßgeblichen Strafrahmen von drei Monaten bis zu fünf Jahren zu Grunde legt, ist dies zumindest in sich widersprüchlich.
14
4. Auch die Ausführungen des Landgerichts zur Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt erweisen sich als rechtsfehlerhaft. Wie vom Generalbundesanwalt näher ausgeführt, sind die Urteilsausführungen zu den Voraussetzungen der Maßregelanordnung lückenhaft und leiden an einem durchgreifenden Darstellungsmangel, da sich die Erwägungen des Landgerichts zu den Erfolgsaussichten einer Therapie ausschließlich auf die eigene Wahrnehmung der Angeklagten in der Hauptverhandlung stützen, ohne in den Urteilsgründen die Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen zu dieser Frage mitzuteilen.

III.


15
Die aufgezeigten Rechtsfehler bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit und beim Rechtsfolgenausspruch lassen den Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung aber unberührt. Auf Grund der bisherigen Feststellungen zur Schuldfähigkeit der Angeklagten schließt der Senat aus, dass sich im Rahmen der neuen Verhandlung Erkenntnisse ergeben könnten, dass die Angeklagte zur Tatzeit schuldunfähig im Sinne des § 20 StGB gewesen wäre und die deshalb den Bestand des Schuldspruchs gefährden würden. Der Senat hebt deshalb nur den Rechtsfolgenausspruch insgesamt mit den Feststellungen auf, um dem Tatrichter eine umfassende widerspruchsfreie Entscheidung über den neuen Strafausspruch und die neue Prüfung der Voraussetzungen für eine Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt zu ermöglichen.
Raum Bellay RinBGH Dr. Fischer und RinBGH Bär Dr. Hohoff befinden sich im Urlaub und sind deshalb an der Unterschriftsleistung gehindert. Raum

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Sept. 2018 - 1 StR 307/18

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Sept. 2018 - 1 StR 307/18

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 49 Besondere gesetzliche Milderungsgründe


(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes: 1. An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.2. Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf hö

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

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Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

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Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Jan. 2010 - 5 StR 520/09

bei uns veröffentlicht am 26.01.2010

5 StR 520/09 BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS vom 26. Januar 2010 in der Strafsache gegen wegen Totschlags Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. Januar 2010 beschlossen: Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts

Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:

1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze.
3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sichim Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre,im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate,im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate,im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.

(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

5 StR 520/09

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 26. Januar 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. Januar 2010

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Görlitz vom 12. August 2009 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Es wird davon abgesehen, dem Angeklagten die Kosten seines Rechtsmittels aufzuerlegen; er trägt indes die notwendigen Auslagen der Nebenklägerin.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags unter Einbeziehung zweier amtsgerichtlicher Urteile (zuletzt sechs Monate Jugendstrafe unter Anwendung des § 31 Abs. 2 JGG) zu einer einheitlichen Jugendstrafe von sieben Jahren und neun Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg.
2
1. Die Jugendkammer hat sich im Wesentlichen auf der Grundlage des Geständnisses des Angeklagten und des Obduktionsgutachtens davon überzeugt, dass der Angeklagte am 7. November 2008 – wenige Tage vor seinem 16. Geburtstag – gegen 19.00 Uhr den stark alkoholisierten S. auf einem Zittauer Spielplatz getötet hat.
3
Der Angeklagte war mit dem späteren Opfer in Streit geraten wegen von diesem versprochener, vom Vater des Angeklagten im Voraus bezahlter Fahrradteile. Dabei bezeichnete S. den Angeklagten und dessen Vater als „Arschloch“ und „Wichser“. „Herr S. erhob sich von der Parkbank und griff dem Angeklagten an den Hals. Der Angeklagte hatte das Gefühl , er werde gewürgt, befreite sich aber rasch und ohne Probleme aus dieser Lage und stieß Herrn S. zu Boden … Der Angeklagte entschloss sich spätestens jetzt – aus Ärger über die vermeintlich fehlende Lieferung der Fahrradteile und aus Ärger über das Verhalten des Geschädigten – Herrn S. massiv zu verletzen. Dabei nahm er im Laufe des Geschehens den Tod des Geschädigten zumindest billigend in Kauf. S. war auf dem Boden liegend zu einer effektiven Gegenwehr und Verteidigung nicht mehr in der Lage. Der Angeklagte schlug und trat mit äußerster Kraft und Stärke wiederholt gegen den Rumpf, den Kopf und den Hals seines Opfers. Darüber hinaus wirkte er mehrfach und unter hoher Kraftaufwendung mit dem Hals einer abgebrochenen Bierflasche auf Kopf und Hals des Geschädigten ein. Das Gesicht und der Hals des Herrn S. bluteten aufgrund der erlittenen Verletzungen sehr stark. In diese stark blutenden Gesichts- und Halswunden trat der Angeklagte wiederum wiederholt mit großer Kraft mit seinem Fuß ein“ (UA S. 9). Die hervorgerufenen Rippenserienbrüche führten zu erheblichen Verletzungen innerer Organe. Die Menge des hierdurch nach innen und aus den Verletzungen am Kopf und am Hals des Opfers nach außen ausgetretenen Blutes verursachte einen tödlichen Verblutungsschock.
4
2. Die Revision des Angeklagten bleibt zum Schuldspruch erfolglos im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Die insoweit fehlerfreien Feststellungen belegen insbesondere den Tötungsvorsatz des Angeklagten, dessen Verantwortungsreife und nicht aufgehobene Schuldfähigkeit.
5
3. Indes ist die Jugendstrafe aufzuheben, weil tragende Strafzumessungserwägungen , mit denen das Landgericht eine erhebliche Beeinträchtigung des Hemmungsvermögens des Angeklagten im Sinne des § 21 StGB ausgeschlossen hat, und zur Höhe der Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit auf zu Lasten und zu Gunsten des Angeklagten wirkenden Fehlern in der Beweiswürdigung beruhen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. März 2007 – 5 StR 32/07 Tz. 7 f.).
6
a) Das Landgericht hat – sachverständig beraten – zwar eine Störung des Sozialverhaltens des Angeklagten, die hohe Alkoholkonzentration zur Tatzeit und die Provokation durch das Opfer unter den jeweils zutreffenden Eingangsmerkmalen der §§ 20, 21 StGB erörtert, indes die gebotene Gesamtbetrachtung (vgl. BGHR StGB § 21 Ursachen, mehrere 3) unterlassen und zudem die markanten Tatumstände, die eine besonders starke Enthemmung nahe legen (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Januar 2002 – 5 StR 543/01, insoweit in NStZ-RR 2002, 107 nicht abgedruckt), nicht ersichtlich erwogen.
7
Soweit das Landgericht die aus dem Blutentnahmeprotokoll vom 8. November 2008, 3.32 Uhr, entnommenen Feststellungen dafür herangezogen hat, dass der Angeklagte zur Tatzeit um 19.00 Uhr in seiner Leistungsfähigkeit nicht wesentlich eingeschränkt gewesen sei (UA S. 28), stößt dies auf durchgreifende Bedenken. Der nur auf einen leichten Alkoholeinfluss hindeutende Untersuchungsbefund fußt auf der Blutalkoholkonzentration von 1,23 ‰ zum Entnahmezeitpunkt und ist schon deswegen nicht geeignet, das Leistungsvermögen des Angeklagten unter Wirkung einer Blutalkoholkonzentration von 2,81 ‰ zu belegen.
8
Zudem ist zu besorgen, dass die vom Landgericht für einen Ausschluss erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit herangezogene Alkoholgewöhnung und fehlende Erinnerungslücke überbewertet worden sind (vgl. BGHSt 43, 66, 71, 73, 76; BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 4; BGH, Beschluss vom 28. März 2007 – 5 StR 32/07 Tz. 8).
9
b) Soweit das Landgericht aufgrund einer an sich zutreffenden Rückrechnung unter Würdigung von Angaben des Angeklagten zu einem Nachtrunk von lediglich 0,375 l Bier zu der angenommenen maximalen Blutalkoholkonzentration von 2,81 ‰ gelangt ist, steht dies schon in einem vom Landgericht nicht ersichtlich bedachten Spannungsverhältnis zu den übrigen rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum eher eine geringere Alkoholintoxikation nahe legenden Nachtatverhalten des Angeklagten. Hinzu tritt, dass es das Landgericht unterlassen hat, die Bedeutung des anlässlich einer Polizeikontrolle um 22.50 Uhr durchgeführten Atemalkoholtests mit 0,76 mg/l in seine Beweiswürdigung einzubeziehen. Zwar ist eine direkte Konvertierung von Atemalkohol- in Blutalkoholkonzentrationen ausgeschlossen (BGHSt 46, 358, 365). Indes wird jedem AAK-Wert eine gewisse Bandbreite von BAK-Werten entsprechen (BGHSt aaO m.w.N.), die ohne Weiteres in die Beweiswürdigung über den Umfang eines Nachtrunks, zumal bei – wie hier – widersprüchlichen Angaben eines Angeklagten, in Befolgung der Aufklärungspflicht einzubeziehen und mit zu bewerten ist. Demnach hätte es nahe gelegen, bei dem Angeklagten zum Zeitpunkt der von ihm als Fahrradfahrer anstandslos passierten Polizeikontrolle von einer BAK von noch unter 2 ‰ auszugehen (vgl. BGHSt aaO S. 366).
10
4. Zudem hat die festgesetzte Jugendstrafe auch deshalb keinen Bestand , weil es das Landgericht trotz Vorliegens erheblicher hierfür sprechender Umstände verabsäumt hat, die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt zu erwägen (§ 7 Abs. 1 JGG), was die mit am Erziehungsbedarf orientierte Festsetzung der Jugendstrafe – auch ohne dass die Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 JGG hätten erfüllt werden können – beeinflusst haben könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Januar 2002 – 5 StR 543/01, insoweit nicht in NStZ-RR 2002, 107 abgedruckt; BGH, Beschluss vom 25. November 2008 – 3 StR 404/08 Tz. 6).
11
Das Landgericht hat zum Alkoholkonsum des Angeklagten Feststellungen getroffen, die eine Würdigung als Hang im Sinne des § 64 Satz 1 StGB erfordert hätten. Nach den – freilich zweifelhaften (vgl. oben 3.) – Feststellungen führte der Angeklagte die Tat unter Wirkung einer maximalen Blutalkoholkonzentration von 2,81 ‰ aus. Er trank seit Anfang 2008 nunmehr auch in der Woche regelmäßig Alkohol. „Ab Sommer 2008 kam es bei dem Angeklagten zu regelmäßigem, fast täglichen Alkoholkonsum mit wiederholt einsetzenden Rauschzuständen“ (UA S. 7). Die Freundin des Angeklagten beendete ihre Beziehung mit diesem, weil der Angeklagte im Sommer 2008 angefangen habe, oft schon frühmorgens Alkohol zu trinken (UA S. 18).
12
Die getroffenen Feststellungen hätten die Annahme des nach § 64 StGB weiter gebotenen symptomatischen Zusammenhangs zwischen dem Hang, der Tat und der zukünftigen Gefährlichkeit (vgl. BGHR StGB § 64 Zusammenhang , symptomatischer 1) nicht grundlegend in Frage gestellt (vgl. BGH, Beschluss vom 16. September 2008 – 4 StR 316/08 Tz. 5 m.w.N.). Zwar hat das Landgericht aus zwei früher geahndeten – mit Mittätern begangenen – gefährlichen Körperverletzungen ohne Alkoholeinfluss auf eine hohe Gewaltbereitschaft und eine ausgesprochen geringe Hemmschwelle des Angeklagten geschlossen (UA S. 30, 36). Dem steht indes die für die Zeit stark gesteigerten Alkoholkonsums getroffene Feststellung entgegen, dass der Angeklagte gerade unter Alkohol häufig aggressiv geworden ist (UA S. 18).
13
Das neue Tatgericht wird gegebenenfalls zu beachten haben, dass eine Maßregel nach § 64 StGB nicht die Annahme der Voraussetzungen des § 21 StGB erfordert (BGHR StGB § 64 Ablehnung 6).
14
5. Die Sache bedarf demnach hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs neuer Aufklärung und Bewertung. Insbesondere sofern das neue Tatgericht erneut die Voraussetzungen einer Provokation entsprechend § 213 StGB, 1. Alternative bejahen sollte, wird es seine Strafzumessungserwägungen schon aus diesem Grund nicht – wie im angefochtenen Urteil erfolgt (UA S. 37) – am Höchstmaß einer zu verhängenden Jugendstrafe orientieren können.
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(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:

1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze.
3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sichim Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre,im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate,im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate,im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.

(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.