Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Juli 2018 - 1 StR 308/18

bei uns veröffentlicht am18.07.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 308/18
vom
18. Juli 2018
in dem Sicherungsverfahren
gegen
ECLI:DE:BGH:2018:180718B1STR308.18.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 18. Juli 2018 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 12. April 2018 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die hiergegen gerichtete und auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Beschuldigten hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
2
Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift vom 18. Juni 2018 Folgendes ausgeführt: „Die Maßregelanordnung nach § 63 StGB hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Hierbei kann dahinstehen, ob die Schuldunfähigkeit des Beschuldigten ausnahmsweise sowohl auf die fehlende Einsichts- als auch die nicht vorhandene Steuerungsfähigkeit gestützt werden kann (UA S. 12, 22). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann zwar im Grundsatz die Anwendung von § 20 StGB nicht zugleich auf den Ausschluss sowohl der Einsichts- als auch der Steuerungsfähigkeit gestützt werden (etwa BGH, Beschluss vom 9. September 1986 - 4 StR 470/86, BGHR StGB § 63 Schuldunfähigkeit 1). Im Ausnahmefall können nach Maßgabe des entsprechenden Krankheitsbildes aber beide Fähigkeiten vollständig aufgehoben sein (Senat, Beschluss vom 6. März 2013 - 1 StR 654/12, NStZ-RR 2013, 303). Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus kann jedenfalls deshalb keinen Bestand haben, weil das Landgericht bei der Prüfung, ob von dem Beschuldigten infolge seines Zustandes erhebliche weitere Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist, nicht in den Blick genommen hat, dass alle Taten im Rahmen der Strafhaft begangen wurden (UA S. 9 ff.). Eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt nur in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustandes in Zukunft Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird, also solche, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben. Die Annahme einer gravierenden Störung des Rechtsfriedens setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes voraus, dass die zu erwartenden Delikte wenigstens in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen, den Rechtsfrieden empfindlich stören und geeignet sind, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen (vgl. Senat, Beschluss vom 13. Oktober 2016 - 1 StR 445/16 Rdnr. 13 m.w.N.). Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln und hat sich darauf zu erstrecken , ob und welche Taten von dem Beschuldigten infolge seines Zustandes drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt (vgl. Senat a.a.O. Rdnr. 15). Diesen aufgezeigten Anforderungen genügt die Gefährlichkeitsprognose des Landgerichts nicht. Es hat lediglich dürftige Feststellungen zum Werdegang des Beschuldigten und zu seinen Vorstrafen getroffen (UA S. 4 ff.). Die Vorverurteilungen betrafen nach der ohne jegliche nähere Angaben erfolgten Auflistung wiederholt auch mit Freiheitsstrafen ge- ahndete Gewalttaten in den Niederlanden und in Deutschland (BZR Nr. 3, 4). Die getroffene Gefährlichkeitsprognose beruht auf der Erwägung, dass auf Grund fehlender Krankheitseinsicht des Beschuldigten (UA S. 28) wahrscheinlich mit erneuten psychotischen Exazerbationen und damit einhergehend mit der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten zu rechnen sei (UA S. 23 ff.). Die Strafkammer verhält sich jedoch nicht dazu, dass solche Verhaltensweisen, die der Beschuldigte während des Strafvollzugs gezeigt hat, innerhalb einer Einrichtung gegenüber dem Bewachungspersonal nicht ohne Weiteres denjenigen Handlungen gleichzusetzen sind, die ein Täter außerhalb einer Justizvollzugsanstalt begeht (vgl. BGH, Beschluss vom 3. September 2002 - 5 StR 399/02, NStZ-RR 2002, 331; Beschluss vom 22. Februar 2011 - 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Beschluss vom 25. April 2012 - 4 StR 81/12, NStZ-RR 2012, 271). Auf dieser Grundlage allein vermag die Gefahr, dass der Beschuldigte künftig den Anlasstaten gleichgelagerte Straftaten begehen wird, die Maßregelanordnung nicht zu begründen. Damit ist die vom Gesetz vorausgesetzte bestimmte Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer erheblicher rechtswidriger Taten nicht hinreichend belegt. Insgesamt lässt das Urteil die für eine derart einschneidende Maßregel wie die nach § 63 StGB gebotene Gründlichkeit weitgehend vermissen. Eine umfassende neue tatrichterliche Prüfung erscheint unerlässlich. Deshalb sind auch die zugrundeliegenden Feststellungen insgesamt aufzuheben, um dem neu zuständigen Tatgericht in sich stimmige Feststellungen zu ermöglichen.“
3
Dem tritt der Senat bei.
4
Der neue Tatrichter wird das Vorliegen einer paranoiden Schizophrenie bei dem Beschuldigten bereits seit 2001 genauer zu prüfen sowie – für die Gefährlichkeitsprognose – die in den Niederlanden und Deutschland begangenen Vortaten näher in den Blick zu nehmen und darzustellen haben. Raum Fischer Bär Hohoff Pernice

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Juli 2018 - 1 StR 308/18

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Juli 2018 - 1 StR 308/18

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und
Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Juli 2018 - 1 StR 308/18 zitiert 4 §§.

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 654/12
vom
6. März 2013
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. März 2013 beschlossen:
1. Auf die Revision der Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 18. Oktober 2012 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen - mit Ausnahme derjenigen zu den äußeren Tatgeschehen - aufgehoben. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen. 3. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und den Vollzug dieser Maßregel zur Bewährung ausgesetzt. Ihre dagegen gerichtete Revision, mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit der Sachrüge weitgehend Erfolg.

I.


2
Die Verfahrensrüge, mit der die Beschuldigte die Verletzung von § 261 StPO geltend macht, bleibt aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 30. Januar 2013 genannten Gründen ohne Erfolg.

II.


3
Der vom Landgericht festgestellte Sachverhalt belegt allerdings nicht die Voraussetzungen der Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB.
4
1. Nach den Feststellungen der Strafkammer leidet die Beschuldigte an einer sog. Erotomanie („isolierter Liebeswahn“), die das sachverständig berate- ne Tatgericht als krankhafte seelische Störung im Sinne der §§ 20, 21 StGB wertet. Aufgrund dieses Liebeswahns, der sich auf den Geschädigten Dr. H. , einen Gynäkologen, der die Beschuldigte früher mehrfach behandelt hatte, bezieht, seien bei dieser im Zeitpunkt der Begehung der Anlass- taten „sowohl die Einsichtsfähigkeit als auch die Steuerungsfähigkeit“ erheblich eingeschränkt, nicht ausschließbar sogar aufgehoben gewesen. Es liege bei der Beschuldigten ein chronifizierter Wahn vor. Ihr zentrales Wahnthema bestehe darin, dass eine andere Person (Dr. H. ) geliebt werde und die Beschuldigte davon ausgehe, von dieser Person ebenfalls geliebt zu werden.
5
Als Anlasstaten hat das Tatgericht einen Verstoß gegen das Gewaltschutzgesetz jeweils in Tateinheit mit Nötigung, Körperverletzung und Beleidigung (Fall 1) sowie zwei weitere Fälle von Verstößen gegen das Gewaltschutzgesetz (Fälle 2 und 3) festgestellt. Dabei beruhen die Verstöße in den Fällen 2 und 3 darauf, dass die Beschuldigte unter Missachtung des ihr durch das Amtsgericht Mühlburg erteilten Kontaktverbots dem Geschädigten eine Karte bzw. einen Brief zukommen ließ. Letzteren warf sie selbst in den Briefkasten des Hauses von Dr. H. ein, obwohl sie sich diesem wegen des Kontaktverbots nicht auf weniger als 100 Meter nähern durfte. Im Fall 1 hinderte sie Dr. H. am Verlassen des Klinikums in M. , indem sie ihm den Weg versperrte und ihm in die Haare und an die Jacke griff. Nachdem es diesem gelungen war, sich in das Gebäude zurückzuziehen, folgte ihm die Beschuldigte und hinderte ihn daran, telefonisch die Polizei zu verständigen. Darüber hinaus zog sie Dr. H. an den Haaren sowie am Bart und versetzte ihm Schläge mit der flachen Hand auf den Oberschenkel. Zudem bezeichnete sie den Geschädigten als „arrogantes Arschloch“. Er erlitt eine Distorsion an der rechten Schulter. Es trat eine schmerzhafte Irritation der Kopfhaut ein.
6
2. Diese Feststellungen belegen die Anordnungsvoraussetzungen der Maßregel gemäß § 63 StGB nicht.
7
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf lediglich angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass die unterzubringende Person bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Begehung der Anlasstat bzw. der Anlasstaten auf diesem Zustand beruht (BGH, Beschlüsse vom 26. September 2012 - 4 StR 348/12 und vom 20. November 2012 - 1 StR 504/12, NJW 2013, 246). Es muss seitens des Tatgerichts im Einzelnen dargelegt werden, wie sich die festgestellte , einem Merkmal von §§ 20, 21 StGB unterfallende Erkrankung in der jeweiligen konkreten Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden psychischen Zustand zurückzuführen sind (BGH jeweils aaO; siehe auch BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 - 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307).
8
Dem angefochtenen Urteil lässt sich weder hinreichend entnehmen, dass die Beschuldigte bei Begehung der Anlasstaten schuldunfähig oder zumindest sicher erheblich vermindert schuldfähig war, noch, in welcher Weise sich die zugrunde gelegte psychische Störung, der isolierte Liebeswahn, konkret auf die Begehung der Taten ausgewirkt hat.
9
aa) Dabei braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob bereits die Annahme , bei der Begehung der Anlasstaten seien sowohl die Einsichts- als auch die Steuerungsfähigkeit der Beschuldigten „erheblich eingeschränkt, nicht ausschließbar sogar aufgehoben gewesen“, zur Aufhebung des Urteils führen könnte. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann zwar im Grundsatz die Anwendung von § 20 StGB nicht zugleich auf den Ausschluss sowohl der Einsichts- als auch der Steuerungsfähigkeit gestützt werden (etwa BGH, Beschluss vom 9. September 1986 - 4 StR 470/86, BGHR StGB § 63 Schuldunfähigkeit 1; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 21 Rn. 5 mwN). Im Ausnahmefall können nach Maßgabe des entsprechenden Krankheitsbildes aber beide Fähigkeiten vollständig aufgehoben sein (BGH, Urteil vom 18. Januar 2006 - 2 StR 394/05, NStZ-RR 2006, 167, 168).
10
bb) Unabhängig davon hat das Tatgericht nicht hinreichend dargelegt, dass die Beschuldigte bei Begehung der Anlasstaten schuldunfähig, zumindest aber sicher erheblich vermindert schuldfähig war. Das angefochtene Urteil beschränkt sich - gestützt auf das Ergebnis der Beurteilung des Sachverständigen - auf die Mitteilung, bei der Beschuldigten bestehe ein als krankhafte seelische Störung eingeordneter isolierter Liebeswahn, der chronifiziert sei und weiter fortbestehe. Auf welchen Anknüpfungstatsachen die Einschätzung des Sachverständigen beruht, wird ebenso wenig dargelegt wie die von diesem herangezogenen „eigen- und fremdamnestischen Angaben“. Mehr als das von dem Gutachter erzielte Ergebnis zu der Art der psychischen Störung und deren Zuordnung zur „krankhaften seelischen Störung“ im Sinne von § 20 StGB lässt sich dem Urteil selbst in seinem Gesamtzusammenhang nicht entnehmen.
11
Damit wird dem Senat aber nicht ermöglicht, das Gutachten nachzuvollziehen und seine Schlüssigkeit zu beurteilen. Dies wäre aber erforderlich ge- wesen (BGH, Beschluss vom 6. April 2011 - 2 StR 72/11, NStZ-RR 2011, 241, 242 mwN). Aus der vom Sachverständigen verwendeten und vom Tatgericht übernommenen Bezeichnung der Störung als „Erotomanie“ (isolierter Liebes- wahn) lässt sich zudem nicht erkennen, um welche Art von Erkrankung es sich bei der Beschuldigten konkret handelt. Der Liebeswahn als solcher ist in den anerkannten Klassifizierungsinstrumenten wie dem ICD 10 nicht erfasst. Die von dem Sachverständigen als Erotomanie bezeichnete, als Wahn beschriebene Störung mag sich als schizophrene Psychose (ICD 10 F 20.3; siehe BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2012 - 4 StR 417/12) darstellen und kann dann je nach konkretem Krankheitsbild zu einem Ausschluss der Schuldfähigkeit führen (vgl. BGH aaO). Das Urteil enthält jedoch keine genauere Einordnung. Die im Rahmen der Angaben zur Person der Beschuldigten getroffene Feststellung, diese „stehe seit einiger Zeit unter nervenärztlicher Behandlung“ und werde mit dem Antidepressivum Citalopram behandelt, enthält keine Hinweise, dass diese ambulante nervenärztliche Behandlung auf dem angenommenen „Liebeswahn“ beruht. Zu dem Verlauf der Erkrankung und deren Behandlung bis zur Begehung der verfahrensgegenständlichen Anlasstaten hat das Tatgericht überdies keine näheren Feststellungen getroffen.
12
Vor allem aber lässt das Urteil nähere Feststellungen über die tatsächlichen Auswirkungen der Erkrankung der Beschuldigten auf deren Schuldfähigkeit bei der Ausführung der Anlasstaten vermissen. Gerade mit dieser Frage muss sich der Tatrichter aber in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise auseinandersetzen (BGH, Beschlüsse vom 27. Oktober 2009 - 3 StR 369/09 und vom 6. April 2011 - 2 StR 72/11, NStZ-RR 2011, 241, 242; siehe auch BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 - 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307). Um dem Revisionsgericht eine Überprüfung des Vorliegens der Anordnungsvoraussetzungen des § 63 StGB zu ermöglichen, ist das Tatgericht ge- halten, zu klären und in nachvollziehbarer Weise darzulegen, ob dem Täter bei Begehung der Anlasstaten bereits die Fähigkeit fehlte, das Unrecht seiner Tat einzusehen, oder ob er lediglich sich nicht entsprechend der noch vorhandenen Einsichtsfähigkeit zu steuern vermochte (BGH, Urteil vom 18. Januar 2006 - 2 StR 394/05, NStZ-RR 2006, 167, 168). Dazu muss der spezifische Zusammenhang zwischen der Erkrankung und den einzelnen Anlasstaten im Hinblick auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit aufgezeigt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012, NStZ-RR 2012, 306, 307).
13
Entgegen diesen Anforderungen beschränkt sich das angefochtene Ur- teil auf die pauschale Mitteilung, durch die bei der Beschuldigten „krankhaft entstandene Fehlbeurteilung der Realität“ sei die Einsichts- und Steuerungsfä- higkeit erheblich eingeschränkt, möglicherweise sogar aufgehoben gewesen.
14
Das belegt weder die Voraussetzungen des § 20 StGB noch diejenigen des § 21 StGB.
15
Es ist bereits nicht zu erkennen, worauf sich die Fehlbeurteilung der Realität konkret bezieht. Soweit damit auf die (wahnhafte) Vorstellung einer Erwiderung ihrer Liebe durch Dr. H. abgestellt werden sollte, fehlt jegliche Darlegung der Auswirkungen dieser Fehlbeurteilung auf die Schuldfähigkeit der Beschuldigten bei Begehung der Taten. Da das Tatgericht bei den insoweit zutreffend als Verstöße gegen das Gewaltschutzgesetz gewerteten Kontaktaufnahmen der Beschuldigten zu Dr. H. durch eine Weihnachtskarte bzw. einen Brief (Fälle 2 und 3) der jeweilige Inhalt nicht mitgeteilt wird, kann der Senat auch aus dem Gesamtzusammenhang des Urteils nicht erkennen, ob ein spezifischer Zusammenhang zwischen der angenommenen psychischen Störung und den Anlasstaten ohne weiteres vorlag und es deshalb ausnahmsweise näherer Darlegungen dazu nicht bedurfte.
16
b) Die vom Tatgericht getroffenen (kursorischen) Feststellungen belegen auch die weiteren Anordnungsvoraussetzungen des § 63 StGB, insbesondere die zukünftige Gefährlichkeit der Beschuldigten, nicht hinreichend.
17
aa) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darf wegen der Schwere des mit ihr verbundenen Eingriffs lediglich angeordnet werden , wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Dafür ist zwar nicht erforderlich, dass die Anlasstaten selbst erheblich sind. Die zu erwartenden Taten müssen aber schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen und daher grundsätzlich zumindest dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sein (BGH, Beschlüsse vom 16. Juli 2008 - 2 StR 161/08 und vom 22. Februar 2011 - 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202 jeweils mwN; siehe auch BGH, Urteil vom 2. März 2011 - 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241). Erreichen die Anlasstaten ihrem Gewicht nach nicht einmal diesen Bereich, ist eine Anordnung der Maßregel gemäß § 63 StGB nicht völlig ausgeschlossen; das Tatgericht muss in solchen Fällen allerdings die erforderliche Gefährlichkeitsprognose besonders sorgfältig darlegen (BGH, Urteil vom 2. März 2011 - 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241). Dazu ist regelmäßig eine besonders eingehende Würdigung der Person des bzw. der Beschuldigten, vor allem der Krankheitsgeschichte sowie der Anlasstaten, notwendig (BGH aaO).
18
bb) Dem genügt das angefochtene Urteil nicht.
19
Die festgestellten Anlasstaten bewegen sich lediglich, ungeachtet der mit dem Verhalten der Beschuldigten einhergehenden Beeinträchtigungen der Lebensführung des geschädigten Dr. H. , am unteren Rand der mittleren Kriminalität. Die im Fall 1 begangene Körperverletzung war mit nur geringer Gewaltanwendung verbunden und überschritt im Hinblick auf das Ziehen an Bart- und Haupthaar nur unwesentlich die Erheblichkeitsschwelle der tatbestandlich verlangten Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit. Da das Tatgericht auf der Grundlage der wiederum lediglich im Ergebnis mitgeteilten Erkenntnisse des Sachverständigen auch zukünftig mit den Anlasstaten gleichgelagerten , jedenfalls nicht erheblich über diese hinausgehenden Straftaten rechnet, bedurfte es nach dem genannten Maßstab im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose näherer Ausführungen zu der Persönlichkeit der Beschuldigten und ihrer Erkrankung einschließlich deren bisherigen Verlaufs. Dazu verhält sich das Urteil aber nicht ausreichend.
20
3. Eine Ablehnung des Antrags auf Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus durch den Senat (§ 414 Abs. 2 Satz 4 i.V.m. § 354 Abs. 1 StPO) kommt nicht in Betracht.
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a) Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich bei weitergehenden Feststellungen zu der bei der Beschuldigten vorhandenen psychischen Störung, ihrer Einordnung unter die Merkmale der §§ 20, 21 StGB und zu den Auswirkungen der Erkrankung auf die Begehung der Taten sowie zu der Gefährlichkeitsprognose die Voraussetzungen einer Anordnung der Maßregel aus § 63 StGB ergeben. Sollte auch das neue Tatgericht mit sachverständiger Beratung zu der Einschätzung gelangen, von der Beschuldigten seien mit ausreichender Wahrscheinlichkeit weitere Straftaten mit dem Gewicht der bisherigen zu erwarten, stünde dies der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht von vornherein entgegen. Wie ausgeführt, bedarf es dann aber näherer Ausführungen dazu, dass es sich um Taten handeln wird, mit denen eine schwere Störung des Rechtsfriedens einhergeht.
22
Angesichts der nur wenig umfänglichen Feststellungen zu der Erkrankung der Beschuldigten kann umgekehrt nicht ausgeschlossen werden, dass ihre Schuldfähigkeit bei Begehung der Anlasstaten lediglich erheblich vermindert oder nicht in rechtlich relevanter Weise ausgeschlossen war. Sollte sich für den neuen Tatrichter ergeben, dass die Schuldfähigkeit der Beschuldigten bei Begehung der Taten bestand, also deren Bestrafung - und gegebenenfalls zusätzlich deren Unterbringung gemäß § 63 StGB - in Betracht kommt, erinnert der Senat an die von § 416 Abs. 1 und 2 StPO vorgesehene Verfahrensweise.
23
b) Einer Aufhebung der Feststellungen zu dem jeweiligen äußeren Geschehen der Anlasstaten bedarf es nicht. Diese hat das Tatgericht an sich zutreffend festgestellt. Allerdings wird der neue Tatrichter Gelegenheit haben, bezüglich der Verstöße gegen das Gewaltschutzgesetz in allen drei Fällen über die wirksame gerichtliche Anordnung eines Kontaktverbots und die Kenntnis der Beschuldigten davon ergänzende Feststellungen, auch zu der wirksamen Zustellung der entsprechenden gerichtlichen Anordnungen, zu treffen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hängt die Strafbarkeit gemäß § 4 Abs. 1 GewSchG auch von einer wirksamen Zustellung der gerichtlichen Entscheidungen ab (BGH, Beschluss vom 10. Mai 2012 - 4 StR 122/11, NStZ 2013, 108 f. mwN).
24
Der Senat besorgt nicht, dass die insoweit gebotene ergänzende Sachverhaltsaufklärung zu einem (teilweisen) Wegfall der Anlasstaten führt.
Richter am BGH Dr. Wahl ist wegen Urlaubsabwesenheit an der Unterschriftsleistung gehindert. Rothfuß Rothfuß Jäger Cirener Radtke

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 445/16
vom
13. Oktober 2016
in dem Sicherungsverfahren
gegen
ECLI:DE:BGH:2016:131016B1STR445.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. Oktober 2016 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 31. Mai 2016 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Beschuldigten im Sicherungsverfahren im psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Beschuldigten, die Erfolg hat.

I.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der Beschuldigte, ein estnischer Staatsangehöriger, identifiziert sich mit Adolf Hitler und fühlt sich deswegen zu Deutschland hingezogen. Mehrmals reiste er seit 2010 nach Deutschland, so auch im Oktober 2015. Am 15. November 2015 hielt er sich am M. Hauptbahnhof auf. In der Schalterhalle schrie er herum und bettelte Passanten aggressiv an. Dabei fasste er eine Frau energisch am Arm. Dies führte dazu, dass ihn Polizeibeamte auf den Bahnhofsvorplatz brachten. Dort stand ein Fahrzeug der U-Bahnwache. Der Be- schuldigte schlug mit Fäusten auf die Motorhaube des Fahrzeugs ein und „fuchtelte“ mit einem Messer mit einer Klingenlänge von etwa 20 cm herum. Dabei waren keine Personen in seiner Nähe.
4
Anschließend kratzte er zwei Hakenkreuze auf die Motorhaube des Fahrzeugs. Als er dabei von einem Mann angesprochen wurde, richtete er das Messer gegen diesen und „klopfte ihm mit dem Messer gegen Oberarm und Schulter“. Als der Mann sich entfernte, trat der das Geschehenbeobachtende Zeuge F. hinzu. Der Beschuldigte hob einen auf dem Boden liegenden Flaschenhals auf und hielt diesen gegen den Zeugen, der daraufhin wegging. Der Beschuldigte warf ihm den Flaschenhals ungezielt hinterher und zerkratzte weiter die Motorhaube. Er verursachte einen Sachschaden von 814 Euro.
5
Als Polizeibeamte eintrafen und ihn mit auf ihn gerichteter Waffe aufforderten , das Messer fallen zu lassen, hielt der Beschuldigte das Messer weiterhin zwischen Hüfte und Brust und warf dies erst nach zehn bis 20 Sekunden verzögert weg.
6
2. Das Landgericht hat das Geschehen als rechtswidrige Sachbeschädigung gewertet. Sachverständig beraten hat es sich davon überzeugt, dass bei der Tat die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten aufgrund einer krankhaften seelischen Störung in Form einer paranoiden Schizophrenie aufgehoben gewesen sei. Diese seit den 1990er Jahren bestehende Störung äußere sich in ausgeprägten formalen Denkstörungen, in einem Beziehungs-, Beeinflussungs-, Verfolgungs - und Größenwahn mit Wahnwahrnehmungen sowie durch eine ausgeprägte Störung der Affektregulation. In den akuten Krankheitsphasen habe der Beschuldigte Angst um sein Leben. Er meine, man wolle ihn töten, was das Ende der Welt bedeute. Bei Tatbegehung sei der Beschuldigte in seiner psychotischen Eigenwelt gefangen und zu einer realistischen Wahrnehmung und Beur- teilung seiner Umgebung nicht mehr in der Lage gewesen, er sei vielmehr der wahnhaften Überzeugung gewesen, Adolf Hitler zu sein.
7
Das Landgericht ist weiter davon ausgegangen, dass der Beschuldigte aufgrund dieser, für die Tat ursächlichen Störung für die Allgemeinheit gefährlich sei. Da ihm die Krankheitseinsicht fehle, sei bei Entlassung aus der Unterbringung mit erneuten Exacerbationen der Psychose zu rechnen, dann werde er „sein Leben von außen bedroht sehen“ und der wahnhaften Überzeugung sein, sich dagegen wehren zu müssen. Dies lasse eine höhere Wahrscheinlichkeit für Körperverletzungen mit gefährlichen Gegenständen, z.B. durch das gezielte Werfen mit Flaschen oder das Zustechen mit einem Messer, erwarten. Dass so etwas bisher in Deutschland noch nicht geschehen sei, sei allein äußeren Umständen zu verdanken, wie Vorsicht der Umgebung und raschem Ein- greifen der Polizei. Der Beschuldigte sei „nicht in der Lage, den ‚Schritt zurück‘ zu machen“. Hinzu trete, dass der Beschuldigte sich immer nur wenige Monate in Deutschland aufgehalten habe. Die zu erwartenden gefährlichen Körperverletzungen seien erheblich, da sie die Möglichkeit schwerer und sogar tödlicher Verletzungen bei den Opfern bergen.

II.


8
Die Maßregelanordnung nach § 63 StGB hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
9
1. Schon die Annahme der aufgehobenen Einsichtsfähigkeit begegnet durchgreifenden Bedenken.
10
Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht , dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten wegen eines der in § 20 StGB genannten Eingangsmerkmale schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Wegen fehlender Einsichtsfähigkeit ist schuldunfähig, wer infolge der bei ihm festgestellten Störung im konkreten Fall die äußeren Umstände seines Tuns oder deren ihre Strafwürdigkeit begründenden Bedeutungsgehalt nicht erkannt hat (vgl. BGH, Urteil vom 6. März 1986 – 4 StR 40/86, BGHSt 34, 22, 25; Beschluss vom 15. Juli 2015 – 4 StR 277/15, StV 2016, 725). Das ist im Einzelnen darzulegen (vgl. BGH, Beschluss vom 20. November 2012 – 1 StR 504/12, NJW 2013, 246 mwN).
11
Diesen Anforderungen genügt das Urteil nicht. Denn die Urteilsgründe belegen nicht, dass der Beschuldigte die Anlasstat aufgrund der bei ihm festgestellten psychischen Erkrankung ohne Unrechtseinsicht begangen hat. Allein die Diagnose einer Schizophrenie belegt keine Aufhebung der Einsichtsfähigkeit (vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. Oktober 2007 – 3 StR 412/07, NStZ-RR 2008, 39 und vom 17. Februar 2016 – 2 StR 545/15, StV 2016, 720;Nedopil/ Müller, Forensische Psychiatrie, 4. Aufl., S. 189). Das Geschehen ist ersichtlich auch nicht von der die akuten Krankheitsphasen kennzeichnenden Vorstellung des Beschuldigten geprägt, dass man ihn töten wolle und er sich nun dagegen wehren müsse. Hiervon geht auch das Landgericht nicht aus, wenn es ausführt, der Beschuldigte sei beim Ritzen der Hakenkreuze gestört worden und habe deswegen gereizt reagiert. Selbst wenn der Beschuldigte in der Überzeugung gehandelt hätte, er sei Adolf Hitler, trägt dies für sich genommen nicht den Schluss, dass seine kognitiven Funktionen nicht ausreichten (vgl. hierzu Nedopil/Müller, Forensische Psychiatrie, 4. Aufl., S. 41), die äußeren Umstände der Beschädigung des Fahrzeuges, aber auch des bedrohlichen bzw. nötigenden Auftretens gegenüber den hinzutretenden Personen und deren Bedeutungsgehalt als strafwürdig zu erkennen. Eine solche wahnhafte Vorstellung lässt auch keinen unmittelbaren Bezug – etwa im Sinne entsprechender imperativer Stimmen – zu den Handlungen des Beschuldigten zu. Soweit das Landgericht – der Sachverständigen folgend – zum Beleg der aufgehobenen Einsichtsfähigkeit ausführt, der Beschuldigte habe auf das Einschreiten der Passanten in gereizter und bedrohlicher Weise reagiert, ohne sich über die Folgen Gedanken zu machen, offenbart dies weder wahnhafte Vorstellungen noch solche kognitiven Defizite, nach denen dem Beschuldigten das Verbotene seines Tuns nicht mehr erkennbar war. Gleiches gilt für die nur verzögerte Reaktion auf die Aufforderung der Polizei. Dass der Beschuldigte schon mit dem Messer herumfuchtelte, als noch keine andere Person in der Nähe war, könnte zwar auf ein Wahnerleben hindeuten – was das Landgericht nicht erörtert –, dies wäre jedoch schon für sich genommen nicht geeignet, auf das Nichterkennen des Unrechts bei den folgenden, sich hiervon unterscheidenden Handlungen zu schließen. Denn diese waren nach der vom Landgericht zugrunde gelegten Motivation darauf gerichtet, als Störung empfundene Interventionen von Passanten – letztlich erfolgreich – abzuwenden, um mit dem Anbringen der Hakenkreuze fortfahren zu können.
12
2. Die Gefährlichkeitsprognose hält aber auch für sich genommen wegen Darlegungsmängeln revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.
13
a) Eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt nur in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird, also solche, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben. Die Annahme einer gravierenden Störung des Rechtsfriedens setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass die zu erwartenden Delikte wenigstens in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen, den Rechtsfrieden empfindlich stören und geeignet sind, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2013 – 2 BvR 298/12; BGH, Beschlüsse vom 18. Juli 2013 – 4 StR 168/13, NJW 2013, 3383; vom 16. Juni 2014 – 4 StR 111/14, NStZ 2014, 571 und vom 19. August 2014 – 3 StR 243/14; Urteil vom 28. Oktober 2015 – 1 StR 142/15, NStZ-RR 2016, 40).
14
Diese durch die Rechtsprechung herausgebildeten Anforderungen sind durch die neue Fassung des § 63 Satz 1 StGB dahingehend konkretisiert worden (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vorschriften , S. 17 f.; BT-Drucks. 18/7244), dass nur die Erwartung solcher erheblichen rechtswidrigen Taten ausreicht, durch die die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird.
15
b) Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln (BGH, Beschlüsse vom 16. Januar 2013 – 4 StR 520/12; vom 1. Oktober 2013 – 3 StR 311/13; vom 2. September 2015 – 2 StR 239/15 und vom 3. Juni 2015 – 4 StR 167/15, StV 2016, 724) und hat sich darauf zu erstrecken, ob und welche Taten von dem Beschuldigten infolge seines Zustands drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt (BVerfG, Be- schluss vom 24. Juli 2013 – 2 BvR 298/12; BGH, Beschlussvom 7. Juni 2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306).
16
Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist der Tatrichter auch verpflichtet, die wesentlichen Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen. Wenn die Anlasstat – was für die hier angenommene Sachbeschädigung, aber auch die nicht erwogenen, aber in Betracht kommenden Tatbestände der Nötigung bzw. Bedrohung nahe liegt, aber unerörtert bleibt – selbst nicht erheblich ist, bedarf die Gefährlichkeitsprognose besonders sorgfältiger Darlegung (BGH, Beschluss vom 9. April 2013 – 5StR 120/13, NJW 2013, 2043; Urteile vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240 und vom 23. Januar 1986 – 4 StR 620/85). Diesem schon von der Rechtsprechung entwickelten besonderem Darlegungserfordernis gibt die seit dem 1. August 2016 geltende und über § 2 Abs. 6 StGB anzuwendende Neuregelung in § 63 Satz 2 StGB eine klare gesetzliche Fassung (vgl. Gesetzentwurf aaO S. 22; BT-Drucks. 18/7244).
17
c) Den aufgezeigten Anforderungen genügt die Gefährlichkeitsprognose des Landgerichts nicht. Eine die Biographie des Beschuldigten und seine Krankheitsgeschichte berücksichtigende Gesamtwürdigung hat nicht erkennbar stattgefunden. Insbesondere begründet allein die im Allgemeinen erhöhte Kriminalitätsbelastung schizophren Erkrankter die Gefahrenprognose nicht (BGH, Beschluss vom 7. Juni 2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306; Urteil vom 11. August 2011 – 4 StR 267/11). Die gebotene Auseinandersetzung mit den die konkrete Krankheits- und Kriminalitätsentwicklung (BGH, Beschluss vom 17. Februar 2016 – 2 StR 545/15, StV 2016, 720) sowie die auf die Person des Beschuldigten und seine konkrete Lebenssituation bezogenen Risikofaktoren, die eine individuelle krankheitsbedingte Disposition zur Begehung von Delikten jenseits der Anlasstaten belegen können (BGH, Beschluss vom 7. Juni 2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306; zu situativen Risikofaktoren auch BGH, Beschluss vom 17. Februar 2016 – 2 StR 545/15, StV 2016, 720), lässt sich dem Urteil nicht entnehmen.
18
Es bleibt zudem unberücksichtigt, dass die zu erwartenden Taten von einer anderen Qualität als die Anlasstat sind, was zu einer Verfehlung des Maßstabs des neuen § 63 Satz 2 StGB – der freilich zur Zeit des Urteils noch nicht in Kraft war – führt. So findet keine Erörterung statt, wieso nunmehr – anders als noch bei der Anlasstat – vom Beschuldigten gefährliche Körperverletzungen drohen. Die Taten werden zwar dahingehend konkretisiert, dass sie durch das gezielte Werfen einer Flasche und das Zustechen mit einem Messer begangen zu werden drohen. Wieso eine so relevante Abweichung gegenüber dem der Anlasstat zugrunde liegenden Geschehen, bei der das Landgericht gerade keinen Körperverletzungsvorsatz festzustellen vermochte, zu erwarten sein soll, wird nicht dargelegt. Soweit die zu erwartenden Taten dadurch motiviert sein sollen, dass der Beschuldigte sein Leben in Gefahr sehen werde und wahnbedingt meine, sich dagegen wehren zu müssen, ist eine solche Situation bisher noch nicht aufgetreten, insbesondere die Anlasstat auf der Grundlage der Feststellungen nicht durch eine solche wahnhafte Vorstellung ausgelöst. Zwar mag es sein, dass das Störungsbild des Beschuldigten Anlass für eine solche Befürchtung geben kann, belastbare Anhaltspunkte hierfür lassen sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. So sind auch in der Biographie des Beschuldigten keine Situationen ersichtlich, in denen er wahnbedingt sein Leben in Gefahr sah. Insbesondere das festgestellte Verhalten des Beschuldigten während der vorläufigen Unterbringung ergibt hierfür keine Anhaltspunkte. Da- nach schien er unruhig und getrieben sowie „affektiv getragen“ und schrie häufig Begriffe wie „Gott“, „Führer“ und „Rambo“, er beschriftete seine Kleidung mit der Aufschrift „Kleidung von Adolf Hitler“, zeigte den Hitlergruß und äußerte sich fremdenfeindlich und rassistisch. Ein Anlass für die nur im biographischen Abriss erwähnte Unterbringung in der „geschlossenen Psychiatrie“ für drei Mo- nate im Jahre 2011 wird nicht dargelegt. Ein paranoides Erleben lässt sich danach nicht erkennen, die Annahme eines solchen als Auslöser für zukünftige Taten hätte daher näherer Erörterung bedurft.

III.

19
Der Senat hebt die zugrunde liegenden Feststellungen insgesamt mit auf, um dem neu zuständigen Tatgericht in sich stimmige Feststellungen zu ermöglichen. Sollte – was äußerst nahe liegt – erneut eine Gefährlichkeitsprognose zu erstellen sein, wird auch die Delinquenzgeschichte des Beschuldigten in Estland näher zu beleuchten sein. Denn auch zurückliegenden Taten kann eine indizielle Bedeutung für die Gefährlichkeitsprognose zukommen, doch wird dies regelmäßig nur bei Taten der Fall sein, die in einem inneren Zusammenhang zu der festgestellten Erkrankung gestanden haben und deren Ursache nicht in anderen, nicht krankheitsbedingten Umständen zu finden ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. Juni 2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306 und vom 4. Juli 2012 – 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338; Urteil vom 11. August 2011 – 4 StR 267/11, Rn. 14). Dazu bedarf es konkreter Darlegungen, inwieweit das vom Beschuldigten behauptete versuchte Tötungsdelikt 1993 auf die Störung zurückgeht. Bislang ist dazu – allein auf den Angaben des Beschuldigten fußend – lediglich festgestellt worden, er habe seinen Vater mit einem Messer zwingen wollen, Tabletten zu schlucken, was allerdings daran gescheitert sei, dass der Vater die Tabletten nicht schlucken konnte. Dieser Sachverhalt wird genauso wie die wiederholten Provokationen seiner estnischen Nachbarn – gegebenenfalls im Wege der Rechtshilfe – weiter aufzuklären sein.
Graf Cirener Radtke Mosbacher Bär
5 StR 399/02

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 3. September 2002
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 3. September 2002

beschlossen:
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 15. April 2002 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus wegen einer im Zu- stand der Schuldunfähigkeit begangenen vorsätzlichen Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) angeordnet. Die mit der Sachrüge begründete Revision des Beschuldigten hat Erfolg.
Das Landgericht hat festgestellt, daß der Beschuldigte während der Strafverbüßung in der Justizvollzugsanstalt Wolfenbüttel einem Mitgefangenen , den er für den Urheber ihn ärgernder Gerüchte hielt, in dessen Zelle mit den Fäusten gegen den Kopf geschlagen und ihm einen Jochbeinbruch zugefügt hat. Die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten war bei Begehung der vorsätzlichen Körperverletzung „wegen einer erheblichen, krankhaften, paranoid -halluzinatorischen Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis“ (gemeint: aus dem Formenkreis der Schizophrenie) ausgeschlossen. Die Feststellungen zum Zustand des Beschuldigten und zu seiner Gefährlichkeit beruhen auf dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen, das im Einklang mit der Stellungnahme eines Psychiaters steht, der den Beschul- digten während zweier Aufnahmen in die psychiatrische Abteilung der Justizvollzugsanstalt Hannover im Laufe des Jahres 2001 behandelte. Der Sachverständige erachtet den krankheitsuneinsichtigen und daher therapieresistenten Beschuldigten wegen zu erwartender entsprechender Taten während eines erneuten „unausweislichen“ Krankheitsschubs als für die Allgemeinheit gefährlich. Daß der geständige, in der Hauptverhandlung nicht akut von einem Schub seiner Erkrankung betroffene Beschuldigte seinen Zustand bei der Begutachtung simuliert hätte, wie er in der Hauptverhandlung behauptet hat, hält das Landgericht in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen für widerlegt.
Die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten im psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand. Die Feststellungen des Landgerichts zum Zustand des Beschuldigten und zu seiner Gefährlichkeit sind unzureichend. Das Landgericht hat lediglich dürftige Feststellungen zum Werdegang des Beschuldigten und zu seinen Vorstrafen getroffen. Die Vorverurteilungen betrafen nach der ohne jegliche nähere Angabe erfolgten Auflistung wiederholt auch mit Freiheitsstrafen geahndete Gewalttaten. Zum Zeitpunkt des Ausbruchs der Krankheit ist nichts festgestellt. Abgesehen von den beiden Aufnahmen des Beschuldigten in der Krankenabteilung der Justizvollzugsanstalt Hannover werden Erkenntnisse über seinen Zustand und zu seinem Verhalten während des weiteren Strafvollzugs in der Zeit von mehr als einem Jahr zwischen Tatbegehung und Hauptverhandlung nicht mitgeteilt. Daß die Tat auf einen Krankheitsschub des Beschuldigten zurückging, ist zwar vom Sachverständigen einigermaßen plausibel erläutert worden. Danach wäre aber auch eine Klärung wesentlich, ob frühere, insbesondere nicht besonders lange zurückliegende Gewalttaten des Beschuldigten ebenfalls auf seine Krankheit zurückgingen. War dies nicht so, wäre dies auch bei der vorliegenden Tat kritisch zu hinterfragen gewesen.
Andernfalls wäre im Verfahren zu prüfen gewesen, ob eine Wiederaufnahme jener Altverfahren wegen neuer Zweifel an der damaligen Schuldfähigkeit des Beschuldigten in Betracht zu ziehen ist. Jedenfalls war eine Unterbrechung der Strafvollstreckung gemäß § 455 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 StPO in Betracht zu ziehen, an deren Stelle gegebenenfalls zunächst eine einstweilige Unterbringung in dieser Sache (§ 126a StPO) oder eine Unterbringung aufgrund einer zivilrechtlichen Betreuung bzw. nach landesrechtlichen Unterbringungsregelungen treten könnte. Letzteres gilt vor dem Hintergrund , daß eine Straftat während des Strafvollzuges – wie die vorliegende, zudem nicht überaus gewichtige Anlaßtat – kaum anders als eine Straftat während der Unterbringung (vgl. BGHR StGB § 62 Verhältnismäßigkeit 4 und 5; § 63 Gefährlichkeit 26; BGH, Beschl. vom 20. Dezember 2001 – 4 StR 540/01 – und vom 2. Juli 2002 – 1 StR 194/02) nur mit besonderer Zurückhaltung als Grundlage für eine Anordnung nach § 63 StGB heranzuziehen ist. Insbesondere wäre so das vom Landgericht gegen eine Aussetzung der Maßregel (§ 67b StGB) herangezogene Argument nicht zu gewährleistender vollständiger ärztlicher Behandlung während der Strafhaft zu entkräften (vgl. auch BGH NStZ 2002, 367).
Insgesamt läßt das bisherige Urteil die für eine derart einschneidende Maßregel wie die nach § 63 StGB gebotene Gründlichkeit weitgehend vermissen. Eine umfassende neue tatrichterliche Prüfung erscheint unerläßlich.
Basdorf Häger Gerhardt Brause Schaal

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 635/10
vom
22. Februar 2011
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 22. Februar 2011 gemäß § 349
Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 8. September 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat gegen den Beschuldigten im Sicherungsverfahren die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision hat Erfolg.
2
1. Grundlage für die Anordnung der Maßregel gegen den nicht vorbestraften , an einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie leidenden Beschuldigten sind vier in den Jahren 2009 und 2010 im Abstand von jeweils mehreren Monaten begangene Straftaten:
3
(1) eine am 25. Februar 2009 während einer vom Amtsgericht Landau angeordneten Unterbringung im Pfalzklinikum begangene vorsätzliche Körperverletzung zum Nachteil eines mit dem Reinigen des Bodens befassten Zeugen ,
4
(2) eine am 14. Juli 2009 zum Nachteil seines Betreuers begangene versuchte Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung,
5
(3) eine am 14. Januar 2010 zum Nachteil seines Betreuers begangene Bedrohung, die dieser allerdings nicht ernst nahm, und
6
(4) Beleidigungen zweier Mitarbeiterinnen seines Betreuers am 23. März 2010, wobei die Kammer bezüglich einer vom Beschuldigten zudem begangenen versuchten Körperverletzung einen strafbefreienden Rücktritt angenommen hat.
7
Hinsichtlich der Beurteilung der Gefährlichkeit des Beschuldigten hat sich die Strafkammer den Ausführungen des Sachverständigen angeschlossen, wonach damit zu rechnen sei, dass der Beschuldigte auch künftig gleich gelagerte Straftaten begehen werde, "eine Steigerung von Gewalt über das bekannte Maß hinaus" sei aber nicht zu erwarten (UA 12).
8
2. Diese Feststellungen und Wertungen rechtfertigen die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht.
9
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist eine außerordentlich beschwerende Maßnahme. Deshalb darf sie nur angeordnet werden , wenn die Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Dies erfordert zwar nicht, dass die Anlasstaten selbst erheblich sind, die zu erwartenden Taten müssen aber schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen und daher zumindest dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sein (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. März 2008 - 4 StR 6/08; vom 16. Juli 2008 - 2 StR 161/08 jeweils mwN). Die lediglich latente Gefahr oder bloße Möglichkeit zukünftiger Straftaten reicht nicht aus (BGH, Beschlüsse vom 10. September 2008 - 2 StR 291/08, vom 11. März 2009 - 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198).
10
b) Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat die Strafkammer nicht belegt.
11
aa) Die Erheblichkeit drohender Taten kann sich ohne weiteres aus dem Delikt selbst ergeben, etwa bei Verbrechen. Ist dies nicht der Fall, kommt es grundsätzlich auf die zu befürchtende konkrete Ausgestaltung der Taten an (BGH, Beschluss vom 3. April 2008 - 1 StR 153/08, Urteil vom 12. Juni 2008 - 4 StR 140/08, NStZ 2008, 563, 564). Dabei sind zu erwartende Gewalt- und Aggressionsdelikte regelmäßig zu den erheblichen Taten zu rechnen (BGH, Urteil vom 17. Februar 2004 - 1 StR 437/03, Beschlüsse vom 3. April 2008 - 1 StR 153/08, vom 10. August 2010 - 3 StR 268/10). Todesdrohungen gehören hierzu indes nur, wenn sie geeignet sind, den Bedrohten nachhaltig und massiv in seinem elementaren Sicherheitsempfinden zu beeinträchtigen; dies ist insbesondere der Fall, wenn sie aus der Sicht des Betroffenen die nahe liegende Gefahr ihrer Verwirklichung in sich tragen (BGH, Beschluss vom 3. April 2008 - 1 StR 153/08, Urteil vom 12. Juni 2008 - 4 StR 140/08, NStZ 2008, 563, 564, Beschluss vom 20. Februar 2009 - 5 StR 555/08, NStZ 2009, 383; vgl. auch BGH, Beschluss vom 20. Juli 2010 - 5 StR 209/10). Die Gefahr bloßer Beleidigungen ist dagegen grundsätzlich nicht geeignet, eine Unterbringung nach § 63 StGB zu rechtfertigen.
12
bb) Auf dieser Grundlage vermag allein die Wahrscheinlichkeit, dass der Beschuldigte künftig den Anlasstaten gleich gelagerte Straftaten begehen wird, die Maßregelanordnung nicht zu begründen.
13
Soweit die Kammer auf die Möglichkeit tätlicher Auseinandersetzungen während einer Unterbringung abstellt, handelt es sich zwar für sich betrachtet um gewichtige Straftaten. Jedoch sind solche Verhaltensweisen innerhalb einer Einrichtung nicht ohne weiteres denjenigen Handlungen gleichzusetzen, die ein Täter außerhalb einer Betreuungseinrichtung begeht (BGH, Beschluss vom 16. Juli 2008 - 2 StR 161/08 mwN). Dies gilt jedenfalls, wenn - wozu indes in dem angefochtenen Urteil nähere Feststellungen fehlen - es um das Verhalten eines in einer psychiatrischen Klinik Untergebrachten gegenüber dem im Umgang mit schwierigen und aggressiven Patienten erfahrenem oder geschultem Personal geht. Aggressives Verhalten in diesem Bereich ist nicht gleichzusetzen mit Handlungen in Freiheit gegenüber beliebigen Dritten oder dem Täter nahe stehenden Personen. Solche Taten verlangen daher - jedenfalls soweit sie nicht dem Bereich schwerster Rechtsgutsverletzungen zuzurechnen sind - schon nach ihrem äußeren Eindruck weit weniger nach einer Reaktion durch ein strafrechtliches Sicherungsverfahren und Anordnung einer strafrechtlichen Maßregel (BGH, Urteil vom 22. Januar 1998 - 4 StR 354/97, NStZ 1998, 405). Hinzu kommt, dass der Beschuldigte mit Ausnahme der Anlasstat vom 25. Februar 2009 bisher durch vergleichbare Taten ersichtlich noch nicht in Erscheinung getreten ist, obwohl er seit dem Jahr 1995 vielfach stationär in psychiatrischen Einrichtungen aufgenommen und behandelt werden musste (vgl. BGH, Beschluss vom 11. März 2009 - 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198).
14
Auch zu erwartende Taten nach der Art und Intensität der zum Nachteil seines Betreuers oder dessen Mitarbeiter begangenen Taten sind nicht ohne weiteres geeignet, die Unterbringung des Beschuldigten zu rechtfertigen. Sie wurden von ihm jeweils in einer aus seiner Sicht besonderen Situation begangen (vor der Tat vom 14. Juli 2009 hatte der Betreuer die Bitte des Beschuldigten nach Geld abgelehnt; vor der Tat vom 14. Januar 2010 hatte sich der Beschuldigte aus seiner Wohnung ausgesperrt und seinen Betreuer gebeten, einen Schlüsseldienst zu verständigen, was dieser ebenfalls ablehnte). Hinzu kommt, dass sich der Beschuldigte bei diesen Taten zunächst nur verbalaggressiv verhalten hat, er bei Einschreiten dritter Personen von Gewalthandlungen absah oder abgebracht werden konnte und sich beruhigen ließ (vgl. BGH, Beschluss vom 23. November 2010 - 5 StR 492/10).
15
Insgesamt vermögen die vom Beschuldigten begangenen und drohenden Taten, die zudem in ihrer Intensität und Gefährlichkeit jedenfalls keine Steigerung erfuhren, die außerordentlich schwere Maßregel des § 63 StGB nicht zu rechtfertigen (vgl. zu einem von den Straftaten her ähnlich gelagerten, jedoch ein Nachbarschaftsverhältnis betreffenden Fall BGH, Beschluss vom 22. Juli 2010 - 5 StR 256/10, NStZ-RR 2011, 12). Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass sich der Beschuldigte "als Opfer eines weit verzweigten Komplotts aus Ärzten, Betreuern, Polizei und Nachbarschaft" (UA 19) sieht, gegenüber denen es indes nach den Feststellungen der Strafkammer bislang ersichtlich nur in seltenen - den oben wiedergegebenen - Fällen zu Aggressionsdurchbrüchen kam.
16
3. An einer das Sicherungsverfahren abschließenden Entscheidung und einer Aufhebung des Unterbringungsbefehls ist der Senat jedoch gehindert; denn es ist nicht auszuschließen, dass weitere Feststellungen die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten gemäß § 63 StGB rechtfertigen können. Die Strafkammer hat es insbesondere unterlassen, nähere Feststellungen zu den Taten zu treffen, die Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzungen betrafen und entweder "auf den Privatklageweg verwiesen oder nach § 170 Abs. 2 StPO, teilweise wegen Schuldunfähgkeit eingestellt" wurden (UA 4, 5). Auch zu dem vom Sachverständigen in Zusammenhang mit der Gefährlichkeitsprognose erwähnten Einsatz eines Messers (UA 12) verhält sich das Urteil nicht weiter.
Ernemann Solin-Stojanović Cierniak
Franke Mutzbauer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 81/12
vom
25. April 2012
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung der Beschuldigten am 25. April 2012 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision der Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 30. November 2011 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat gegen die Beschuldigte im Sicherungsverfahren die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Ihre hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision hat Erfolg.
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1. Grundlage für die Anordnung der Maßregel gegen die wegen Dieb2 stahls, Betrugs und unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln vorbestrafte, an einer paranoid-halluzinatorischen schizophrenen Psychose leidende Beschuldigte sind vorsätzliche Körperverletzungen zum Nachteil von Krankenpflegerinnen im Januar und im April 2011 während einer auf der Grundlage von Betreuungsrecht angeordneten Unterbringung auf einer geschlossenen Station der LWL-Klinik in P. .
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Hinsichtlich der Beurteilung der Gefährlichkeit der Beschuldigten hat sich die Strafkammer den Ausführungen des Sachverständigen angeschlossen, wonach angesichts des chronisch-kontinuierlichen Verlaufs der Erkrankung und des eingetretenen Residuums die Gefahr bestehe, dass die Beschuldigte in Zukunft weitere gleichartige strafrechtlich relevante Handlungen begehen werde.
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2. Die bisherigen Feststellungen und Wertungen rechtfertigen die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht.
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a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist eine außerordentlich beschwerende Maßnahme. Deshalb darf sie nur angeordnet werden, wenn die Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Dabei sind zu erwartende Gewalt- und Aggressionsdelikte regelmäßig zu den erheblichen Taten zu rechnen (BGH, Urteil vom 17. Februar 2004 – 1 StR 437/03, Beschlüsse vom 3. April 2008 – 1 StR 153/08 und vom 10. August 2010 – 3 StR 268/10). Dies trifft auf die Anlasstaten zu, die für sich betrachtet gewichtige Straftaten sind. Jedoch sind solche Verhaltensweisen innerhalb einer Einrichtung gegenüber dem Pflegepersonal nicht ohne weiteres denjenigen Handlungen gleichzusetzen, die ein Täter außerhalb einer Betreuungseinrichtung begeht (BGH, Urteil vom 22. Januar 1998 – 4 StR 354/97, NStZ 1998, 405; Beschlüsse vom 6. November 2003 – 4 StR 456/03, StV 2005, 21; vom 17. Februar 2009 – 3 StR 27/09, NStZ-RR 2009, 169, Rn. 9 und vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202, Rn. 13; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2011 – 2 BvR 2181/11, NJW 2012, 513, Rn. 27). Soweit die Strafkammer in diesem Zusammenhang darauf abstellt, dass es sich bei den geschädigten Zeuginnen gerade nicht um im Umgang mit schwierigen und aggressiven Patienten erfahrenes besonders geschultes Personal , sondern um einfache Krankenpflegerinnen gehandelt habe, rechtfertigt dies keine Gleichsetzung der Taten mit solchen außerhalb der Einrichtung. Es kann von einer psychisch schwer erkrankten Person nicht erwartet werden, das Krankenpflegepersonal nach entsprechend geschulten und ungeschulten Personen zu unterscheiden.
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b) Auf dieser Grundlage vermag allein die Gefahr, dass die Beschuldigte künftig den Anlasstaten gleich gelagerte Straftaten begehen wird, die Maßregelanordnung nicht zu begründen. Damit ist die vom Gesetz vorausgesetzte bestimmte Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer erheblicher rechtswidriger Taten nicht hinreichend belegt. Die Beschuldigte ist vor den Anlasstaten nicht mit Gewalt- oder Aggressionsdelikten strafrechtlich in Erscheinung getreten, obwohl die Erkrankung spätestens seit 2002 besteht. Unbegleitete Ausgänge hat sie zum Konsum von Drogen und hochprozentigen Alkoholika, aber offenbar nicht zu Gewalttaten genutzt. Aggressive Verhaltensweisen sind erst nach der Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung im Jahr 2009 aufgetreten , was einen Zusammenhang zwischen den Gewalttaten und der Unterbringung möglich erscheinen lässt. Bei dieser Sachlage durfte sich die Strafkammer nicht darauf beschränken, die Wahrscheinlichkeit weiterer erheblicher Taten allein aus der aktuellen Beurteilung des Krankheitszustandes durch den Sachverständigen herzuleiten. Vielmehr hätte das Verhalten der Beschuldigten vor und nach der Tat, insbesondere die im Urteil erwähnten weiteren aggressiven Auffälligkeiten (UA 4 und 7), eingehender dargestellt und erörtert werden müssen. Auch hätte die in der Hauptverhandlung erklärte Absicht der Beschuldigten , im Falle verfügbarer Waffen auf diese zurückgreifen zu wollen, näher hinterfragt werden müssen. Sind aufgrund der krankheitsbedingten wahnhaften Realitätsverkennung auch Angriffe auf unbeteiligte Personen oder ist eine Stei- gerung der Intensität und Gefährlichkeit der Angriffe auf das Pflegepersonal mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten, könnte dies die Anordnung der Unterbringung der Beschuldigten gemäß § 63 StGB rechtfertigen.
Ernemann Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.