Bundesgerichtshof Beschluss, 15. Dez. 2011 - 1 StR 579/11

bei uns veröffentlicht am15.12.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 579/11
vom
15. Dezember 2011
BGHSt: nein
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
___________________________
Zur Wertgrenze des Merkmals "in großem Ausmaß" des § 370 Abs. 3 Satz 2
Nr. 1 AO beim "Griff in die Kasse des Staates".
BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2011 - 1 StR 579/11 - LG Essen
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. Dezember 2011 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Essen vom 26. Mai 2011 wird als unbegründet verworfen, da die
Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung
keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Der Erörterung bedarf lediglich Folgendes:
1. Die Verfahrensrüge einer Verletzung des § 189 GVG, mit der geltend
gemacht wird, der Dolmetscher für die arabische Sprache eines Mitangeklagten
, K. , sei nicht gemäß § 189 Abs. 1 GVG vereidigt worden und
habe sich auch nicht auf seine - zuvor schon erfolgte - allgemeine Beeidigung
als Dolmetscher berufen, hat keinen Erfolg.

a) Allerdings zeigt die Revision zutreffend auf, dass das Hauptverhandlungsprotokoll
- vor dessen Berichtigung - weder einen Hinweis darauf enthalten
hat, dass dieser Dolmetscher dahin beeidigt worden ist, treu und gewissenhaft
zu übertragen, noch, dass er sich auf seine allgemeine Beeidigung als Dolmetscher
berufen hat. Durch das Fehlen eines derartigen Hinweises wird der Verstoß
gegen § 189 GVG unwiderleglich bewiesen, denn bei der Vereidigung eines
Dolmetschers gemäß § 189 Abs. 1 GVG handelt es sich um eine wesentli-
che Förmlichkeit i.S.v. § 274 StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Juni 1987 - 3
StR 285/87, BGHR GVG § 189 Beeidigung 1).

b) Die Verfahrensrüge dringt aber nicht durch, weil der Senat ausschließen
kann, dass das angefochtene Urteil auf diesem Verstoß beruht (aa). Zudem
wurde das Hauptverhandlungsprotokoll ordnungsgemäß dahin berichtigt,
dass sich der Dolmetscher K. auf seine allgemeine Vereidigung als
Dolmetscher für die arabische Sprache berufen hat (bb).
aa) Der Senat schließt aus, dass das Urteil auf einer Nichtberufung des
Dolmetschers K. beruht, der für einen Mitangeklagten hinzugezogen
worden war.
Angesichts der Vereidigung der übrigen Dolmetscher in der Hauptverhandlung
bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Dolmetscher
K. sein eigener allgemein geleisteter Eid aus dem Blick geraten sein könnte.
Auch sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass er deswegen nicht
treu und gewissenhaft übertragen hat, weil nicht nach außen dokumentiert ist,
dass er sich seine allgemeine Beeidigung gerade im Einzelfall vergegenwärtigt
hat. Vielmehr ist fernliegend, dass ein allgemein vereidigter Dolmetscher, der
jahrelang bei Gericht übersetzt und sich immer wieder auf seinen allgemein
geleisteten Eid berufen hat, sich seiner Verpflichtung im Einzelfall nicht bewusst
war und er deshalb unrichtig übersetzt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juli
2005 - 1 StR 208/05, NStZ 2005, 705).
Es ist deshalb in Fällen wie hier, in denen keine Anzeichen dafür sprechen
, dass der Dolmetscher sich seiner besonderen Verantwortung im konkreten
Fall nicht bewusst war, auszuschließen, dass das Urteil auf dem Verfahrensverstoß
beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 28. November 1997 - 2 StR
257/97, BGHR GVG § 189 Beeidigung 3). Im vorliegenden Fall kommt noch
hinzu, dass in der Hauptverhandlung für einen anderen Mitangeklagten noch
ein weiterer vereidigter Dolmetscher für die arabische Sprache tätig war, der
jedenfalls die für ihn wahrnehmbare Dolmetschertätigkeit des Dolmetschers
K. auf ihre Richtigkeit hin prüfen konnte. Im Übrigen schließt der
Senat ein Beruhen des Urteils auf dem geltend gemachten Verfahrensverstoß
auch deswegen aus, weil der Angeklagte ein umfangreiches Geständnis abgelegt
hat und seine Angaben von zahlreichen Zeugen bestätigt worden sind (UA
S. 29).
bb) Die Verfahrensrüge hat auch deshalb keinen Erfolg, weil das Hauptverhandlungsprotokoll
im Hinblick auf die Verfahrensrüge zulässig berichtigt
und dabei das für eine Protokollberichtigung zu beachtende Verfahren eingehalten
worden ist (vgl. dazu BGH, Großer Senat für Strafsachen, Beschluss
vom 23. April 2007 - GSSt 1/06, BGHSt 51, 298; BVerfG, Beschluss vom
15. Januar 2009 - 2 BvR 2044/07, BVerfGE 122, 248). Das Hauptverhandlungsprotokoll
ist wirksam dahin berichtigt worden, dass sich der Dolmetscher
K. auf seinen allgemein geleisteten Eid berufen hat. Der ordnungsgemäß
erhobenen Verfahrensrüge ist damit die Tatsachengrundlage entzogen,
der geltend gemachte Verfahrensverstoß liegt nicht vor.
Im Hinblick auf den substantiierten Widerspruch des Revisionsverteidigers
hat der Senat die Gründe der Berichtigungsentscheidung im Rahmen der
Verfahrensrüge überprüft (vgl. dazu BGHSt 51, 298, 317). Die Gründe tragen
die Berichtigung; der Senat hat auch sonst keine Zweifel daran, dass die Berichtigung
zu Recht erfolgt ist. Bei der Überprüfung hat der Senat neben dem
Umstand, dass sich der Kammervorsitzende und die Protokollführerin sicher
waren, der Dolmetscher K. habe sich auf den von ihm geleisteten
Eid berufen, insbesondere berücksichtigt, dass die von den weiteren Berufsrichtern
, dem Sitzungsstaatsanwalt und dem betroffenen Dolmetscher eingeholten
dienstlichen Stellungnahmen die Berichtigung ebenfalls tragen. Der Kammervorsitzende
hatte sogar noch die konkrete Erinnerung daran, überrascht
gewesen zu sein, dass von den beiden in dem Verfahren als Dolmetscher eingesetzten
Brüdern K. , die beide seit vielen Jahren als Dolmetscher beim
Landgericht Essen tätig waren, nur der Dolmetscher K. allgemein
vereidigt war. Der Senat hat bei seiner Überprüfung der vorgenommenen Protokollberichtigung
auch berücksichtigt, dass die beiden Instanzverteidiger angegeben
hatten, keine Erinnerung mehr an den tatsächlichen Verfahrensablauf
zu haben.
Die Auffassung der Revision, es sei selbst angesichts der von der Protokollführerin
gefertigten handschriftlichen Aufzeichnungen ausgeschlossen, dass
diese eine eigene sichere Erinnerung an den Vorgang haben könnte, teilt der
Senat nicht.
2. Die näher ausgeführte Sachrüge hat aus den Gründen der Antragsschrift
des Generalbundesanwalts keinen den Angeklagten beschwerenden
Rechtsfehler ergeben. Dies gilt auch für die Strafzumessung.
Der Erörterung bedarf allerdings die Annahme des Landgerichts, es sehe
die Grenze für die Steuerhinterziehung „in großem Ausmaß“ gemäß § 370 Abs.
3 Satz 2 Nr. 1 AO „entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
bei 100.000 Euro“ (UA S. 40). Dies lässt besorgen, das Landgericht
sei der Auffassung, die Schwelle zur Hinterziehung „in großem Ausmaß“ sei
stets erst bei einer Verkürzung von 100.000 Euro überschritten. Dies ist indes
nicht zutreffend.
Im Fall 1 der Urteilsgründe stellt das Landgericht zudem darauf ab, dass
das aufgrund der unrichtigen Angaben des Angeklagten in der Umsatzsteuerjahreserklärung
2009 errechnete Umsatzsteuerguthaben nur teilweise ausge-
zahlt, überwiegend aber mit anderen „Steuerschulden der Ka. GmbH,insbesondere
Lohnsteuer, verrechnet“ wurde (UA S. 15). Das Landgericht war of-
fenbar der - unzutreffenden - Auffassung, es mache für die Frage, ob eine Hin-
terziehung „in großem Ausmaß“ vorliege, einen Unterschied, ob ein durch die
Tat erlangtes (scheinbares) Steuerguthaben ausgezahlt oder aber mit anderweitigen
Steuerschulden verrechnet werde.
Bei der Bestimmung des gesetzlichen Merkmals „in großem Ausmaß“ im
Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO für einen besonders schweren
Fall der Steuerhinterziehung gilt Folgendes:

a) Wie bereits im Grundsatzurteil des Senats vom 2. Dezember 2008
(1 StR 416/08, BGHSt 53, 71, 81) ausgeführt, bestimmt sich das Merkmal „in
großem Ausmaß“ im Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO nach ob-
jektiven Maßstäben. Es liegt grundsätzlich dann vor, wenn der Hinterziehungsbetrag
50.000 Euro übersteigt. Die Betragsgrenze von 50.000 Euro kommt namentlich
dann zur Anwendung, wenn der Täter ungerechtfertigte Zahlungen
vom Finanzamt erlangt hat, etwa bei Steuererstattungen durch Umsatzsteuerkarusselle
, Kettengeschäfte oder durch Einschaltung von sog. Serviceunter-
nehmen („Griff in die Kasse“). Ist diese Wertgrenze überschritten, dann ist das
Merkmal erfüllt (BGHSt 53, 71, 85; vgl. auch BGH, Beschluss vom 5. Mai 2011 -
1 StR 116/11, NStZ 2011, 643, 644; BGH, Beschluss vom 12. Juli 2011 - 1 StR
81/11, wistra 2011, 396).

b) Beschränkt sich das Verhalten des Täters indes darauf, die Finanzbehörden
pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis zu las-
sen und führt das lediglich zu einer Gefährdung des Steueranspruchs, liegt die
Wertgrenze zum „großen Ausmaß“ demgegenüber bei 100.000 Euro (BGHSt
53, 71, 85). Dasselbe gilt auch dann, wenn der Steuerpflichtige zwar eine Steuerhinterziehung
durch aktives Tun (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) begeht, indem er
eine unvollständige Steuererklärung abgibt, er dabei aber lediglich steuerpflichtige
Einkünfte oder Umsätze verschweigt (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juli
2011 - 1 StR 81/11, wistra 2011, 396) und allein dadurch eine Gefährdung des
Steueranspruchs herbeiführt.

c) Anders ist die Sachlage, wenn der Täter steuermindernde Umstände
vortäuscht, indem er etwa tatsächlich nicht vorhandene Betriebsausgaben vortäuscht
oder nicht bestehende Vorsteuerbeträge geltend macht. Denn in einem
solchen Fall beschränkt sich das Verhalten des Täters nicht darauf, den bestehenden
Steueranspruch durch bloßes Verschweigen von Einkünften oder Um-
sätzen zu gefährden. Vielmehr unternimmt er einen „Griff in die Kasse“ des
Staates, weil die Tat zu einer Erstattung eines (tatsächlich nicht bestehenden)
Steuerguthabens oder zum (scheinbaren) Erlöschen einer bestehenden Steuer-
forderung führen soll. Es bleibt dann deshalb für das gesetzliche Merkmal „in
großem Ausmaß“ bei der Wertgrenze von 50.000 Euro.

d) Trifft beides zusammen, das Verheimlichen von Einkünften bzw. Umsätzen
einerseits und die Vortäuschung von Abzugsposten andererseits, etwa
beim Verheimlichen von Umsätzen und gleichzeitigem Vortäuschen von Vor-
steuerbeträgen, ist das Merkmal „in großem Ausmaß“ i.S.v. § 370 Abs. 3 Satz 2
Nr. 1 AO jedenfalls dann erfüllt, wenn der Täter vom Finanzamt ungerechtfertigte
Zahlungen in Höhe von mindestens 50.000 Euro erlangt hat (vgl. BGH NStZ
2011, 643, 644 Rn. 13). Dasselbe gilt aber auch, wenn ein aufgrund falscher
Angaben scheinbar in dieser Höhe (50.000 Euro) bestehender Auszahlungsan-
spruch ganz oder teilweise mit anderweitigen Steuerverbindlichkeiten verrechnet
worden ist. Die Verrechnung steht dann nämlich insoweit einer Auszahlung
gleich. Hat dagegen die Vortäuschung von steuermindernden Umständen für
sich allein noch nicht zu einer Steuerverkürzung von mindestens 50.000 Euro
geführt, verbleibt es für die Tat insgesamt beim Schwellenwert von
100.000 Euro (vgl. BGH NStZ 2011, 643, 644).

e) Ob die Schwelle des „großen Ausmaßes“ überschritten ist, ist für jede
einzelne Tat im materiellen Sinne gesondert zu bestimmen. Dabei genügt derjenige
Erfolg, der für die Vollendung der Steuerhinterziehung ausreicht. Bei
mehrfacher tateinheitlicher Verwirklichung des Tatbestandes der Steuerhinterziehung
ist - nichts anderes gilt für § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO - das „Ausmaß“ des
jeweiligen Taterfolges zu addieren, da in solchen Fällen eine einheitliche Handlung
im Sinne des § 52 StGB vorliegt (BGHSt 53, 71, 85).

f) Eine nachträgliche „Schadenswiedergutmachung“ hat für die Frage, ob
eine Steuerhinterziehung „in großem Ausmaß“ vorliegt oder nicht, keine Bedeutung.
Die Höhe des auf Dauer beim Fiskus verbleibenden „Steuerschadens“ ist
ein Umstand, der erst bei der Prüfung, ob die Indizwirkung des Regelbeispiels
im Einzelfall widerlegt ist, und im Übrigen als bloße Zumessungserwägung in
die Strafzumessung einbezogen werden kann (vgl. im Übrigen zur Schadensverringerung
mit Geldmitteln unklarer Herkunft BGH, Beschluss vom 5. Mai
2011 - 1 StR 116/11, NStZ 2011, 643, 645 Rn. 17, und einer solchen aufgrund
von Pfändungen BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2010 - 1 StR 359/10, insoweit
nicht abgedruckt in NStZ 2011, 170).
Zutreffend hat das Landgericht daher den Umstand, dass „der Steuer-
schaden aufgrund der Beschlagnahme erheblicher Vermögenswerte der
Ka. GmbH nachträglich vollständig kompensiert“ wurde (UA S. 43), bei der
Frage, ob das Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO erfüllt ist, außer
Betracht gelassen, in die Gesamtwürdigung, ob die Indizwirkung des Regelbeispiels
widerlegt sein könnte, aber einbezogen.
Nack Wahl Hebenstreit
Jäger Sander

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 15. Dez. 2011 - 1 StR 579/11

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 15. Dez. 2011 - 1 StR 579/11

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Abgabenordnung - AO 1977 | § 370 Steuerhinterziehung


(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer1.den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht,2.die Finanzbehörden pflichtwidrig über steu

Strafgesetzbuch - StGB | § 52 Tateinheit


(1) Verletzt dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrmals, so wird nur auf eine Strafe erkannt. (2) Sind mehrere Strafgesetze verletzt, so wird die Strafe nach dem Gesetz bestimmt, das die schwerste Strafe androht. Sie d
Bundesgerichtshof Beschluss, 15. Dez. 2011 - 1 StR 579/11 zitiert 8 §§.

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Die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen den diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt des Protokolls ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

Abgabenordnung - AO 1977 | § 371 Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung


(1) Wer gegenüber der Finanzbehörde zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem Umfang die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachholt, wird wegen dieser Steuerstraftaten nicht n

Gerichtsverfassungsgesetz - GVG | § 189


(1) Der Dolmetscher hat einen Eid dahin zu leisten, daß er treu und gewissenhaft übertragen werde. Gibt der Dolmetscher an, daß er aus Glaubens- oder Gewissensgründen keinen Eid leisten wolle, so hat er eine Bekräftigung abzugeben. Diese Bekräftigung

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(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht,
2.
die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt oder
3.
pflichtwidrig die Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern unterlässt
und dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
in großem Ausmaß Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt,
2.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger oder Europäischer Amtsträger (§ 11 Absatz 1 Nummer 2a des Strafgesetzbuchs) missbraucht,
3.
die Mithilfe eines Amtsträgers oder Europäischen Amtsträgers (§ 11 Absatz 1 Nummer 2a des Strafgesetzbuchs) ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht,
4.
unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt,
5.
als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Taten nach Absatz 1 verbunden hat, Umsatz- oder Verbrauchssteuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Umsatz- oder Verbrauchssteuervorteile erlangt oder
6.
eine Drittstaat-Gesellschaft im Sinne des § 138 Absatz 3, auf die er alleine oder zusammen mit nahestehenden Personen im Sinne des § 1 Absatz 2 des Außensteuergesetzes unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden oder bestimmenden Einfluss ausüben kann, zur Verschleierung steuerlich erheblicher Tatsachen nutzt und auf diese Weise fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.

(4) Steuern sind namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden; dies gilt auch dann, wenn die Steuer vorläufig oder unter Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt wird oder eine Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht. Steuervorteile sind auch Steuervergütungen; nicht gerechtfertigte Steuervorteile sind erlangt, soweit sie zu Unrecht gewährt oder belassen werden. Die Voraussetzungen der Sätze 1 und 2 sind auch dann erfüllt, wenn die Steuer, auf die sich die Tat bezieht, aus anderen Gründen hätte ermäßigt oder der Steuervorteil aus anderen Gründen hätte beansprucht werden können.

(5) Die Tat kann auch hinsichtlich solcher Waren begangen werden, deren Einfuhr, Ausfuhr oder Durchfuhr verboten ist.

(6) Die Absätze 1 bis 5 gelten auch dann, wenn sich die Tat auf Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verwaltet werden oder die einem Mitgliedstaat der Europäischen Freihandelsassoziation oder einem mit dieser assoziierten Staat zustehen. Das Gleiche gilt, wenn sich die Tat auf Umsatzsteuern oder auf die in Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16. Dezember 2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG (ABl. L 9 vom 14.1.2009, S. 12) genannten harmonisierten Verbrauchsteuern bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verwaltet werden.

(7) Die Absätze 1 bis 6 gelten unabhängig von dem Recht des Tatortes auch für Taten, die außerhalb des Geltungsbereiches dieses Gesetzes begangen werden.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Der Dolmetscher hat einen Eid dahin zu leisten, daß er treu und gewissenhaft übertragen werde. Gibt der Dolmetscher an, daß er aus Glaubens- oder Gewissensgründen keinen Eid leisten wolle, so hat er eine Bekräftigung abzugeben. Diese Bekräftigung steht dem Eid gleich; hierauf ist der Dolmetscher hinzuweisen.

(2) Ist der Dolmetscher für Übertragungen der betreffenden Art nach dem Gerichtsdolmetschergesetz oder in einem Land nach den landesrechtlichen Vorschriften allgemein beeidigt, so genügt vor allen Gerichten des Bundes und der Länder die Berufung auf diesen Eid.

(3) In Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist die Beeidigung des Dolmetschers nicht erforderlich, wenn die beteiligten Personen darauf verzichten.

(4) Der Dolmetscher oder Übersetzer soll über Umstände, die ihm bei seiner Tätigkeit zur Kenntnis gelangen, Verschwiegenheit wahren. Hierauf weist ihn das Gericht hin.

Die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen den diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt des Protokolls ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

(1) Der Dolmetscher hat einen Eid dahin zu leisten, daß er treu und gewissenhaft übertragen werde. Gibt der Dolmetscher an, daß er aus Glaubens- oder Gewissensgründen keinen Eid leisten wolle, so hat er eine Bekräftigung abzugeben. Diese Bekräftigung steht dem Eid gleich; hierauf ist der Dolmetscher hinzuweisen.

(2) Ist der Dolmetscher für Übertragungen der betreffenden Art nach dem Gerichtsdolmetschergesetz oder in einem Land nach den landesrechtlichen Vorschriften allgemein beeidigt, so genügt vor allen Gerichten des Bundes und der Länder die Berufung auf diesen Eid.

(3) In Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist die Beeidigung des Dolmetschers nicht erforderlich, wenn die beteiligten Personen darauf verzichten.

(4) Der Dolmetscher oder Übersetzer soll über Umstände, die ihm bei seiner Tätigkeit zur Kenntnis gelangen, Verschwiegenheit wahren. Hierauf weist ihn das Gericht hin.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 208/05
vom
27. Juli 2005
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u. a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. Juli 2005 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hechingen vom 23. Februar 2005 wird als unbegründet verworfen , da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Zur Rüge des Verstoßes gegen § 189 GVG bemerkt der Senat: Nach den Gesamtumständen ist - wie die Revision vorgetragen hat - davon auszugehen, daß der Vorschrift des § 189 Abs. 2 GVG nicht entsprochen wurde und außerdem die Dolmetscherin nicht unwesentliche Angaben in der Hauptverhandlung übersetzt hat. Dennoch kann ein Beruhen des Urteils des Landgerichts Hechingen auf der Verletzung des § 189 Abs. 2 GVG ausgeschlossen werden.
Vorliegend sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß die Dolmetscherin deswegen nicht treu und gewissenhaft übertragen hat, weil nicht nach außen dokumentiert ist, daß sie sich ihre allgemeine Beeidigung gerade im Einzelfall vergegenwärtigt hat. Vielmehr ist es fernliegend, daß eine allgemein vereidigte Dol- metscherin, die - wie sich aus der dienstlichen Erklärung des Vorsitzenden ergibt - jahrelang offensichtlich beanstandungsfrei bei Gericht übersetzt und sich immer wieder auf ihren allgemein geleisteten Eid berufen hat, sich ihrer Verpflichtung im vorliegenden Einzelfall, in dem ihre Berufung auf den allgemein geleisteten Eid - wie die Revision selbst vorträgt - offenbar versehentlich unterblieben ist, nicht bewußt war und deshalb unrichtig übersetzt hat (vgl. auch BGH NStZ 1998, 204).
Im übrigen war die Dolmetscherin vorliegend schon deshalb zu treuer und gewissenhafter Übersetzung veranlaßt, weil die Richtigkeit ihrer Übersetzung sowohl vom Angeklagten als auch dessen Verteidiger, welche beide die deutsche und die türkische Sprache beherrschen, leicht kontrollierbar war. Ob zu jedem Zeitpunkt der Angeklagte und der Verteidiger die Zeugenaussagen in türkischer Sprache und die dazu gehörende Übersetzung jeweils mitverfolgten oder nicht, ist ohne Bedeutung, weil die Dolmetscherin nicht sicher sein konnte, zu welchen Zeitpunkten eine Kontrolle erfolgte und wann nicht. Nack Wahl Hebenstreit Elf Graf

(1) Der Dolmetscher hat einen Eid dahin zu leisten, daß er treu und gewissenhaft übertragen werde. Gibt der Dolmetscher an, daß er aus Glaubens- oder Gewissensgründen keinen Eid leisten wolle, so hat er eine Bekräftigung abzugeben. Diese Bekräftigung steht dem Eid gleich; hierauf ist der Dolmetscher hinzuweisen.

(2) Ist der Dolmetscher für Übertragungen der betreffenden Art nach dem Gerichtsdolmetschergesetz oder in einem Land nach den landesrechtlichen Vorschriften allgemein beeidigt, so genügt vor allen Gerichten des Bundes und der Länder die Berufung auf diesen Eid.

(3) In Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist die Beeidigung des Dolmetschers nicht erforderlich, wenn die beteiligten Personen darauf verzichten.

(4) Der Dolmetscher oder Übersetzer soll über Umstände, die ihm bei seiner Tätigkeit zur Kenntnis gelangen, Verschwiegenheit wahren. Hierauf weist ihn das Gericht hin.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
GSSt 1/06
vom
23. April 2007
in der Strafsache
gegen
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
1. Durch eine zulässige Berichtigung des Protokolls kann auch zum Nachteil
des Beschwerdeführers einer bereits ordnungsgemäß erhobenen Verfahrensrüge
die Tatsachengrundlage entzogen werden.
2. Die Urkundspersonen haben in einem solchen Fall vor einer beabsichtigten
Protokollberichtigung zunächst den Beschwerdeführer anzuhören. Widerspricht
er der beabsichtigten Berichtigung substantiiert, sind erforderlichenfalls
weitere Verfahrensbeteiligte zu befragen. Halten die Urkundspersonen
trotz des Widerspruchs an der Protokollberichtigung fest, ist ihre Entscheidung
hierüber mit Gründen zu versehen.
3. Die Beachtlichkeit der Protokollberichtigung unterliegt im Rahmen der erhobenen
Verfahrensrüge der Überprüfung durch das Revisionsgericht. Im
Zweifel gilt insoweit das Protokoll in der nicht berichtigten Fassung.
BGH, Beschluss vom 23. April 2007 - GSSt 1/06 - Landgericht München I
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs hat durch den Präsidenten
des Bundesgerichtshofs Prof. Dr. Hirsch, die Vorsitzende Richterin am
Bundesgerichtshof Dr. Rissing-van Saan, die Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof
Nack und Basdorf sowie die Richter am Bundesgerichtshof Häger,
Maatz, Dr. Wahl, Dr. Bode, Prof. Dr. Kuckein, Pfister und Becker am 23. April
2007 beschlossen:
1. Durch eine zulässige Berichtigung des Protokolls kann auch zum Nachteil des Beschwerdeführers einer bereits ordnungsgemäß erhobenen Verfahrensrüge die Tatsachengrundlage entzogen werden. 2. Die Urkundspersonen haben in einem solchen Fall vor einer beabsichtigten Protokollberichtigung zunächst den Beschwerdeführer anzuhören. Widerspricht er der beabsichtigten Berichtigung substantiiert, sind erforderlichenfalls weitere Verfahrensbeteiligte zu befragen. Halten die Urkundspersonen trotz des Widerspruchs an der Protokollberichtigung fest, ist ihre Entscheidung hierüber mit Gründen zu versehen. 3. Die Beachtlichkeit der Protokollberichtigung unterliegt im Rahmen der erhobenen Verfahrensrüge der Überprüfung durch das Revisionsgericht. Im Zweifel gilt insoweit das Protokoll in der nicht berichtigten Fassung.

Gründe:

I.

1
Die Vorlage des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs an den Großen Senat für Strafsachen betrifft die Frage, ob die Beweiskraft eines berichtigten Hauptverhandlungsprotokolls für das Revisionsgericht auch dann beachtlich ist, wenn aufgrund der Protokollberichtigung einer bereits zulässig erhobenen Verfahrensrüge zum Nachteil des Beschwerdeführers die Tatsachengrundlage entzogen wird.
2
1. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Strafsache gegen F. (1 StR 466/05) über eine Revision des Angeklagten zu entscheiden, die sich zum Beweis eines formal ordnungsgemäß gerügten Verfahrensfehlers auf eine Sitzungsniederschrift beruft, die nach Erhebung der Verfahrensrüge in dem Sinne berichtigt wurde, dass der behauptete Verfahrensfehler in Wirklichkeit nicht geschehen sei.
3
a) Das Landgericht München I hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nrn. 2 und 5 StGB) zu Freiheitsstrafe verurteilt. Er hatte dem Geschädigten in einem Oktoberfestzelt mit einem 1,3 kg schweren gläsernen Krug zweimal wuchtig auf den Hinterkopf und einmal in den Nackenbereich geschlagen. Der Geschädigte wurde erheblich verletzt.
4
b) Der Beschwerdeführer erhebt - neben der Sachbeschwerde - eine Verfahrensrüge. Er beanstandet mit der am 7. Juli 2005 beim Landgericht eingegangenen Revisionsbegründung, der Anklagesatz sei in der Hauptverhandlung nicht verlesen worden (Verstoß gegen § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO). Er beruft sich insoweit auf die negative Beweiskraft der Sitzungsniederschrift, in der die Verlesung des Anklagesatzes - zunächst - nicht beurkundet war. Hier hatte es lediglich geheißen: "Der Vorsitzende stellte weiter fest, dass die Staatsanwaltschaft München I gegen den Angeklagten am 20.01.05 Anklage zum Schwurgericht des Landgericht München I erhoben hat, die mit Eröffnungsbeschluss der Kammer vom 18.02.05 unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen wurde."
5
Am 18. August 2005 ergänzten der Strafkammervorsitzende und die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle das Protokoll hinsichtlich des ersten Hauptverhandlungstages dahingehend, dass an der genannten Stelle des Protokolls der Satz angefügt wird: "Der Vertreter der Staatsanwaltschaft verlas den Anklagesatz".
6
Auch in der Revisionsgegenerklärung der Staatsanwaltschaft (§ 347 Abs. 1 Satz 2 StPO) wird unter Vorlage entsprechender dienstlicher Äußerungen von Verfahrensbeteiligten vorgetragen, dass der Anklagesatz in Wirklichkeit verlesen wurde. Zum Beleg erklärte etwa der Berichterstatter der Strafkammer, die Verlesung der rechtlichen Bewertung des Tatgeschehens als versuchter Totschlag habe Unmutsäußerungen im Publikum ausgelöst. Die Urkundsbeamtin verwies auf einen ihr bei der Fertigung der Protokollreinschrift unterlaufenen Übertragungsfehler aus den teilweise stenographischen Aufzeichnungen während der Hauptverhandlung, in denen der Hinweis auf die Verlesung des Anklagesatzes noch enthalten war. Das entsprechende Blatt der vorläufigen Aufzeichnungen ist ihrer dienstlichen Erklärung beigefügt.
7
Die Verteidiger des Angeklagten wurden vor der Protokollberichtigung angehört. Der Verteidiger in der tatrichterlichen Hauptverhandlung, der die Revision nicht selbst begründet hat, äußerte sich dabei wie folgt: "An den entsprechenden Verfahrensabschnitt kann ich mich nicht konkret erinnern; die Verlesung der Anklageschrift stellt einen Routinevorgang dar. Allerdings vermute ich, dass ich mich hieran erinnern könnte, wenn die Anklageschrift nicht verlesen worden wäre, weil dies einen ungewöhnlichen Verfahrensablauf darstellen würde. Auch diese Überlegung führt aber nicht zu einer konkreten Erinnerung. Aufgrund dieses Rückschlusses erscheint es mir aber durchaus möglich, dass die Erinnerung der Urkundspersonen zutreffend ist."
8
2. Der 1. Strafsenat möchte die Revision des Angeklagten verwerfen. Die Verfahrensrüge hält er für unbegründet, da er unter Aufgabe seiner Rechtsprechung zum Verbot der "Rügeverkümmerung" (vgl. BGHSt 34, 11, 12; NStZ 1984, 521; 1986, 374; 1995, 200, 201) die berichtigte Sitzungsniederschrift als im Sinne von § 274 StPO beachtlich erachtet, auch wenn durch die Berichtigung der Rüge die Tatsachengrundlage entzogen wird. Da sich der 1. Strafsenat an der beabsichtigten Entscheidung durch entgegenstehende Rechtsprechung der anderen Strafsenate gehindert sieht, hat er mit Beschluss vom 12. Januar 2006 (NStZ-RR 2006, 112, m. Anm. Fezer StV 2006, 290, Jahn/Widmaier JR 2006, 166 und Lampe NStZ 2006, 366) bei den anderen Strafsenaten gemäß § 132 Abs. 3 GVG angefragt, ob an dieser Rechtsprechung festgehalten wird.
9
Der 2. Strafsenat (Beschl. vom 31. Mai 2006 i.V.m. Beschl. vom 3. Juli 2006 - 2 ARs 53/06 = NStZ-RR 2006, 275) und der 3. Strafsenat (Beschl. vom 22. Februar 2006 - 3 ARs 1/06) haben der vom 1. Strafsenat vertretenen Rechtsansicht zugestimmt und entgegenstehende eigene Rechtsprechung aufgegeben. Der 4. Strafsenat (Beschl. vom 3. Mai 2006 - 4 ARs 3/06 = NStZ-RR 2006, 273) und der 5. Strafsenat (Beschl. vom 9. Mai 2006 - 5 ARs 13/06) haben an der bisherigen Rechtsprechung festgehalten.
10
3. Daraufhin hat der 1. Strafsenat mit Beschluss vom 23. August 2006 (NJW 2006, 3582 m. Anm. Widmaier) dem Großen Senat gemäß § 132 Abs. 2 und 4 GVG folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt: Ist die Beweiskraft (§ 274 StPO) des berichtigten Protokolls für das Revisionsgericht auch dann beachtlich, wenn aufgrund einer Protokollberichtigung hinsichtlich einer vom Angeklagten zulässig erhobenen Verfahrensrüge zu Ungunsten des Angeklagten die maßgebliche Tatsachengrundlage entfällt?
11
4. Der Generalbundesanwalt hält die Vorlegungsfrage für zu eng gefasst; sie sei auf alle Revisionen, insbesondere auch auf diejenigen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers, zu erstrecken.
12
In der Sache selbst tritt der Generalbundesanwalt im Grundsatz der Rechtsansicht des 1. Strafsenats bei, dass die Beweisregel des § 274 StPO auch hinsichtlich eines nachträglich berichtigten Protokolls gelte. Die Vorschrift schaffe keine vom wirklichen Verfahrensgeschehen abweichende formelle bzw. prozessuale Wahrheit; § 274 StPO bezwecke vielmehr nur eine klare Kompetenzverteilung zwischen der Tatsachen- und der Revisionsinstanz in Form des grundsätzlichen Verbots, im Revisionsverfahren die tatrichterliche Hauptverhandlung zu rekonstruieren. Im Interesse einer fairen Verfahrensgestaltung und der Effektivität des Rechtsmittels müsse der Beschwerdeführer jedoch vor der Gefahr fehlerhafter Protokollberichtigungen geschützt werden. Vor der Berichtigung seien daher dienstliche Erklärungen und Stellungnahmen der Verfahrensbeteiligten einzuholen und dem Beschwerdeführer rechtliches Gehör zu gewähren. Verblieben bei der freibeweislichen Überprüfung aus Sicht des Revisionsgerichts konkrete Zweifel an der Korrektheit der Berichtigung, könne es ihr die Beachtung im Sinne von § 274 StPO verwehren.
13
Der Generalbundesanwalt hat beantragt zu beschließen:
a) Die nach Erhebung einer Verfahrensrüge erfolgte Berichtigung des Hauptverhandlungsprotokolls ist für das Revisionsgericht grundsätzlich auch dann im Sinne von § 274 StPO beachtlich, wenn dadurch der Verfahrensrüge zu Ungunsten des Revidenten die Tatsachengrundlage entzogen wird.
b) Bestehen aus Sicht des Revisionsgerichts konkrete Anhaltspunkte für eine inhaltliche Unrichtigkeit der Protokollberichtigung , so kann das Revisionsgericht die entscheidungserheblichen Verfahrenstatsachen freibeweislich aufklären.

II.

14
1. Die Vorlegungsvoraussetzungen gemäß § 132 Abs. 2 und 4 GVG sind gegeben. Den Bedenken, die der 4. Strafsenat im Hinblick auf die Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Rechtsfrage im konkreten Fall geäußert hatte (vgl. NStZ-RR 2006, 273), ist der 1. Strafsenat mit ausführlicher Begründung entgegengetreten (vgl. NJW 2006, 3582, 3583, 3586 f.). Dessen Beurteilung ist jedenfalls vertretbar und folglich für den Großen Senat bindend (vgl. BGHSt 41, 187, 194; Franke in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 132 GVG Rdn. 42).
15
2. Die vorgelegte Rechtsfrage ist allerdings auf alle Revisionen - namentlich auf diejenigen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers - zu erweitern. Wenngleich in der höchstrichterlichen Rechtsprechung keine Entscheidungen über eine Revision anderer Beschwerdeführer als des Angeklagten ersichtlich sind, in denen es auf die relative Unbeachtlichkeit einer Protokollberichtigung angekommen wäre, so sind doch die tragenden Erwägungen in den Entscheidungsgründen davon unabhängig, wer Beschwerdeführer ist (vgl. nur grundlegend BGHSt 2, 125; ebenso schon RGSt 43, 1; OGHSt 1, 277).

III.

16
Im Strafprozessrecht sind Zulässigkeit und Beachtlichkeit einer Protokollberichtigung nicht ausdrücklich geregelt. Auch die Gesetzesmaterialien zur Strafprozessordnung enthalten insoweit keine eindeutigen Hinweise.
17
1. Nach § 274 Satz 1 StPO kann die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten (§ 273 Abs. 1 StPO) nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen den diese wesentlichen Förmlichkeiten betreffenden Inhalt lässt das Gesetz nur den Nachweis der Fälschung zu (§ 274 Satz 2 StPO). Bei § 274 StPO handelt es sich um eine Beweisregel (BGH NJW 2006, 3579, 3581, zur Veröffentlichung in BGHSt 51, 88 bestimmt; Dahs AnwBl. 1950/51, 90 f.; Dallinger NJW 1951, 256, 257; Fahl, Rechtsmißbrauch im Strafprozeß 2004 S. 687 f.), die nach der Fertigstellung des ordnungsgemäß errichteten und von beiden Urkundspersonen unterzeichneten Protokolls (§§ 271, 273 Abs. 4 StPO) gilt. Dies wurde zunächst dahin verstanden, dass den Urkundspersonen - außerhalb des Nachweises der Fälschung - Protokollberichtigungen , soweit es um die wesentlichen Förmlichkeiten des Verfahrens geht, von vorneherein versagt sind, und zwar solche zugunsten wie zu Lasten des Beschwerdeführers (in diesem Sinne noch RGSt 8, 141, 143 f.; 17, 346, 348). Die Frage nach der Beachtlichkeit von Protokollberichtigungen würde sich danach nicht stellen.
18
Den Gesetzesmaterialien zur Strafprozessordnung im Zusammenhang mit einer Protokollberichtigung (vgl. Hahn, Materialien zur StPO 2. Aufl. S. 40, 256 ff., 1039, 1394) entnimmt der Große Senat nicht, dass der Gesetzgeber selbst dann jeden Zweifel an der Richtigkeit des - ursprünglichen - Protokollinhalts für unberechtigt hielt, sollte eine Protokollberichtigung aufgrund sicherer Erinnerung der Urkundspersonen erfolgen.
19
2. In die Zivilprozessordnung, die eine der Vorschrift des § 274 StPO vergleichbare Bestimmung (§ 165 ZPO) enthält, ist durch Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung der Landgerichte und zur Vereinfachung des gerichtlichen Protokolls vom 20. Dezember 1974 (ProtVereinfG, BGBl I 3651) mit § 164 ZPO eine Vorschrift eingefügt worden, nach der - unter Anhörung der Beteiligten - Protokollberichtigungen vorgenommen werden dürfen. Anders als für das Verwaltungs -, Finanz- und Sozialgerichtsverfahren (Art. 3 Nr. 1, Art. 4 Nr. 1, Art. 5 Nr. 2 des ProtVereinfG: jeweils Verweisung auf die §§ 159 bis 165 ZPO) hat der Gesetzgeber, der mit dem Protokollvereinfachungsgesetz von 1974 die Praxis der Zivilgerichte zur Protokollberichtigung (vgl. Zöller, ZPO 10. Aufl. S. 263) auf eine gesetzliche Grundlage gestellt hat (BRDrucks. 551/74 S. 63; BTDrucks. 7/2769 S. 10), diese Vorschrift nicht für den Strafprozess für anwendbar erklärt.

IV.

20
Die Rechtsprechung hat nach anfänglichem Schwanken Protokollberichtigungen im Strafverfahren zugelassen und dies im Wesentlichen damit begründet , dass insoweit eine auslegungsbedürftige Gesetzeslücke bestehe. Umfang und Folgen zulässiger Berichtigungen wurden allerdings nicht einheitlich bestimmt:
21
1. Eine Protokollberichtigung ist jederzeit zulässig und geboten, falls die Urkundspersonen Mängel erkennen (vgl. BGHSt 1, 259, 261; BGH JZ 1952, 281; NStZ 2005, 281, 282; RGSt 19, 367, 370; OGHSt 1, 277, 278; anders noch RGSt 8, 141, 143 f.; 17, 346, 348). Sie ist auch stets beachtlich, wenn sie zugunsten des Beschwerdeführers wirkt (BGHSt 1, 259, 261 f.; RGSt 19, 367, 369 f.; 21, 200, 201; OLG Köln NJW 1952, 758) oder wenn sie - bei einem einheitlichen Vorgang - teilweise zu seinen Gunsten, teilweise zu seinen Ungunsten vorgenommen worden ist (BGHSt aaO; RGSt 56, 29; RG GA 57 [1910], 396; JW 1932, 3109).
22
Nach bisheriger Rechtsprechung ist eine Protokollberichtigung - ebenso wie eine Distanzierung der Urkundspersonen vom Protokollinhalt (vgl. hierzu BGHSt 4, 364; BGH NStZ 1988, 85) - jedoch unbeachtlich, wenn sie einer zulässig erhobenen Verfahrensrüge die Tatsachengrundlage entzieht (Verbot der Rügeverkümmerung). Dieser Rechtssatz hat eine lange Tradition: Er findet sich - aufbauend auf der Rechtsprechung der preußischen Obergerichte (vgl. RGSt 43, 1, 10) - schon zu Beginn der Reichsgerichtsrechtsprechung (RGSt 2, 76, 77 f.). Er blieb ständige Rechtsprechung des Reichsgerichts (grundlegend RGSt 43, 1 m.w.N.; ferner RGSt 56, 29; 59, 429, 431; 63, 408, 409 f.) bis zu dem - die umfassende Beachtlichkeit einer Berichtigung bejahenden - Beschluss des Großen Strafsenats für Strafsachen vom 11. Juli 1936 (RGSt 70, 241). Diese Entscheidung darf indessen im Hinblick auf im Zusammenhang mit nationalsozialistischem Gedankengut stehende Formulierungen keine Beachtung finden.
23
Der ursprünglichen Rechtsprechung zum Verbot der Rügeverkümmerung folgten nach 1945 verschiedene Obergerichte, unter anderem der Oberste Gerichtshof für die Britische Zone (OGHSt 1, 277 [m.w.N. 279]; 3, 83, 84), und schließlich der Bundesgerichtshof. Grundlegend war das Urteil des 3. Strafsenats vom 19. Dezember 1951 (BGHSt 2, 125), das sich im Wesentlichen den in RGSt 43, 1 und OGHSt 1, 277 dargelegten Argumenten anschloss (nachfolgend BGHSt 7, 218, 219; 10, 145, 147; 10, 342, 343; 12, 270, 271; 22, 278, 280; 34, 11, 12; BGHR StPO § 274 Beweiskraft 11; 13; 27; 28; BGH NStE StPO § 344 Nr. 7; NStZ 1984, 521; 1995, 200, 201; 2002, 219; StV 2002, 183; JZ 1952, 281; wistra 1985, 154; Urt. vom 21. Dezember 1966 - 4 StR 404/66). Diese Rechtsprechung steht in Übereinstimmung mit der heute herrschenden Meinung in der strafprozessualen Literatur (vgl. nur Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 271 Rdn. 55 ff. m. zahlr. w. N.).
24
Soweit danach eine Protokollberichtigung für das Revisionsgericht nicht beachtlich ist, führt dies dazu, dass Sachverhalte, die aufgrund der formellen Beweiskraft des - unberichtigten - Protokolls als unwiderlegbar vermutet werden , der Verfahrenswirklichkeit nicht zu entsprechen brauchen (BGHSt 26, 281, 283; 36, 354, 358; RGSt 43, 1, 6).
25
2. Folgende Argumente werden für den Rechtssatz, wonach eine Protokollberichtigung einer Rüge nicht die Tatsachengrundlage entziehen darf, vorgebracht :
26
Mit dem Eingang der Revisionsbegründungsschrift erwerbe der Beschwerdeführer eine prozessuale Befugnis bzw. ein prozessuales Recht auf Beibehaltung der Grundlage seiner Rüge für die Revisionsinstanz, zumal er selbst praktisch keine Möglichkeit habe, die Berichtigung des Protokolls zu erzwingen (BGHSt 2, 125, 126; RGSt 43, 1, 9; 59, 429, 431). Da er zur Begründung seiner Verfahrensrüge nur das Protokoll in der ihm vorliegenden Form verwerten dürfe, müsse ihm das Recht zustehen, sich nachträglichen Änderungen zu seinen Lasten zu widersetzen (OGHSt 1, 277, 280); er müsse auch gegen eine nachträgliche Beseitigung des Mangels durch Protokollberichtigung gesichert sein (BGHSt 2, 125, 127).
27
Der Gesetzgeber habe mit § 274 StPO eine Norm geschaffen, die der Zweckmäßigkeit den Vorrang vor der absoluten Wahrheit einräume (BGHSt 2, 125, 128; 26, 281, 283); das Hauptverhandlungsprotokoll erzeuge gewissermaßen einen Sachverhalt, der kraft gesetzlicher Vorschrift als Tatsache zu behandeln sei ohne Rücksicht darauf, wie der wirkliche Sachverhalt liegen möge (RGSt 43, 1, 6). Der Gesetzgeber habe die mögliche Ausnutzung einer prozessrechtlich zulässigen Befugnis zu wahrheitswidrigen Zwecken gesehen und in Kauf genommen (RG aaO; OGHSt 1, 277, 282). Die Neugestaltung des § 274 StPO sei Sache des Gesetzgebers (BGH, Beschl. vom 30. Mai 2001 - 1 StR 99/01; OGHSt 1, 277, 280).
28
Mit zunehmender Zeit lasse das Erinnerungsvermögen der Urkundspersonen nach. Die Gefahr fehlerhafter Berichtigungen sei nicht auszuschließen (BGHSt 2, 125, 128; RGSt 43, 1, 5; OGHSt 1, 277, 281).
29
Die zeitlich unbeschränkte Berücksichtigung nachträglicher Berichtigungen wäre mit der nach Sinn und Zweck des § 274 StPO zu erhebenden Forderung nach genauester Abfassung der Sitzungsniederschrift nicht vereinbar. Denn die Möglichkeit ihrer jederzeitigen Änderung könne dazu führen, dass ihrer Herstellung weniger Sorgfalt zugewendet werde (BGHSt 2, 125, 127; OGHSt 1, 277, 281).
30
Auch wenn eine Revision nur deshalb erfolgreich sei, weil sie einen Sachverhalt vortrage, der der Verfahrenswirklichkeit nicht entspreche, sei nicht zu besorgen, dass die Gerechtigkeit letztlich Schaden nehme. Denn selbst bei missbräuchlicher Ausübung der durch § 274 StPO gewährten prozessualen Befugnis erreiche der Beschwerdeführer nur, dass der Sachverhalt nochmals unter gewissenhafter Beachtung aller sachlichen und verfahrensrechtlichen Vorschriften erörtert und gerecht entschieden werde (OGHSt 1, 277, 282).
31
3. Das Verbot der Rügeverkümmerung war jedoch in der Rechtsprechung nie unbestritten:
32
Anders als zunächst das Reichsgericht judizierte das Reichsmilitärgericht (RMG 9, 35; 15, 281, 282). Wenngleich es auf der Grundlage einer anderen Prozessordnung - diese ließ gegen das Protokoll auch den Nachweis der Unrichtigkeit zu (§ 335 Satz 2 MStGO) - zu entscheiden hatte, trat es auch auf der Grundlage der Strafprozessordnung den Argumenten des Reichsgerichts entgegen (vgl. RMG 9, 35, 41 ff.). Dessen II. Strafsenat wollte sich der Auffassung des Reichsmilitärgerichts anschließen. In dem von ihm herbeigeführten Beschluss der Vereinigten Strafsenate wurde die bisherige Rechtsprechung des Reichsgerichts jedoch bestätigt (RGSt 43, 1). Nach 1945 hielt zunächst das OLG Braunschweig (HESt 1, 192) eine nachträgliche Protokollberichtigung zum Nachteil des Beschwerdeführers für beachtlich.
33
Auch in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs finden sich gegen das Verbot der Rügeverkümmerung Vorbehalte: Ob eine Protokollberichtigung einer bereits erhobenen Rüge die Grundlage entziehen darf, wurde vom 1. Strafsenat offen gelassen in NJW 1982, 1057 sowie vom 5. Strafsenat in BGHR StPO § 274 Beweiskraft 22 (vgl. auch BGH [3. Strafsenat] NStZ-RR 1997, 73). Zweifel äußerte der 2. Strafsenat in NJW 2001, 3794, 3796 (kritisch derselbe Senat in diesem Zusammenhang auch in BGHSt 36, 354, 358 f.). Zuletzt sprachen sich definitiv - in obiter dicta - der 2. Strafsenat (BGHR StPO § 274 Beweiskraft 29 m. Anm. Mosbacher JuS 2006, 39, 42 und Park StV 2005, 257) und der 1. Strafsenat (NStZ 2006, 181) für eine Änderung der Rechtsprechung zur Berücksichtigung einer Protokollberichtigung trotz Rügeverlust aus.
34
4. Dieser Kritik am Verbot der Rügeverkümmerung liegen folgende Erwägungen zugrunde:
35
Das Strafverfahrensrecht kenne keine Rechtsnorm, wonach für das Revisionsgericht die Sitzungsniederschrift in ihrer ursprünglichen Fassung, nicht nach ihrer Berichtigung im Sinne von § 274 StPO beachtlich sei. "Ein prozessuales Recht der Prozessbeteiligten, dass etwas nicht Geschehenes beurkundet oder etwas Geschehenes nicht beurkundet wird, gibt es nicht" (RMG 9, 35, 41 f.).
36
Grundsätzlich sei auch für die Revisionsgerichte die wahre Sachlage maßgeblich, wenn prozessual erhebliche Tatsachen der Klärung bedürften (BGHSt 36, 354, 358 f.). Wenn tatsächlich kein Verfahrensfehler gegeben sei, dürften bloße Mängel des Protokolls, welche die Urkundspersonen erkannt und beseitigt hätten, kein Revisionsgrund sein (vgl. BGHR StPO § 274 Beweiskraft 29; BGH NJW 2001, 3794, 3796; RMG 9, 35, 43; OLG Braunschweig HESt 1, 192, 193). Ein Misstrauen in die Redlichkeit der Urkundspersonen sei hingegen nicht gerechtfertigt (BGH NStZ 2006, 181). Eine von der Verfahrenswirklichkeit abweichende prozessuale Wahrheit sei nicht anzuerkennen, da § 274 StPO nicht die Tatsachen verändere, es sich bei der Vorschrift vielmehr nur um eine Beweisregel handele (BGH NJW 2006, 3579, 3581).
37
Bei Berücksichtigung der Protokollberichtigung könnten durch Protokollmängel veranlasste Verfahrensverzögerungen vermieden werden (BGHR StPO § 274 Beweiskraft 29; BGH NStZ 2006, 181). Die Ausweitung der Rechtsprechung zur Lückenhaftigkeit des Protokolls könnte begrenzt werden; die Problematik rechtsmissbräuchlicher Verfahrensrügen würde sich erübrigen (BGHR aaO).

V.

38
Der Große Senat beantwortet die vorgelegte Rechtsfrage wie aus der Entscheidungsformel ersichtlich und gibt dabei den für eine Änderung der Rechtsprechung zum Verbot der Rügeverkümmerung sprechenden Argumenten den Vorzug:
39
1. Der Grundsatz, wonach einer zulässig erhobenen Verfahrensrüge durch eine Protokollberichtigung nicht die Tatsachengrundlage zum Nachteil des Beschwerdeführers entzogen werden darf, beruht auf Rechtsprechung und kann durch Rechtsprechung geändert werden; eines Gesetzes bedarf es nicht:
40
a) Die grundsätzlich umfassende Berücksichtigung der nachträglichen Protokollberichtigung widerspricht dem Gesetz nämlich nicht. Zwar lässt § 274 Satz 2 StPO als Gegenbeweis gegen die Beurkundungen des Protokolls nur den Nachweis der Fälschung zu. Eine Berichtigung durch Erklärungen der Urkundspersonen enthält jedoch einen Widerruf der früheren Beurkundung und entzieht ihr, soweit die Berichtigung reicht, die absolute Beweiskraft, so dass es eines Gegenbeweises nicht mehr bedarf (ebenso bereits RGSt 19, 367, 370). Insbesondere auch deswegen hat die Rechtsprechung schon bisher nachträgliche Protokollberichtigungen, die einer Verfahrensrüge erst zum Erfolg verhelfen , für beachtlich gehalten (RG aaO; ähnlich für sich zugunsten des Beschwerdeführers vom Protokollinhalt distanzierende Erklärungen der Urkundspersonen BGHSt 4, 364, 365; BGH NJW 2001, 3794, 3796; NStZ 1988, 85; RGSt 57, 394, 396 f.; OLG Köln NJW 1952, 758).
41
b) Die Annahme, durch den Eingang der Revisionsbegründung werde ein besonderes prozessuales Recht auf Beibehaltung der Tatsachengrundlage für eine Rüge begründet, findet im Gesetz keine Stütze. Der Revisionsführer hat keinen Anspruch darauf, aus tatsächlich nicht gegebenen Umständen Verfahrensvorteile abzuleiten (vgl. BGH NJW 2006, 3579, 3580; Gollwitzer in FS für Gössel S. 543, 558; Lampe NStZ 2006, 366, 367; Lohse in Anwaltskommentar, StPO § 344 Rdn. 18). Ein etwaiges Vertrauen des Beschwerdeführers dahingehend , dass ein - inhaltlich unrichtiges - Protokoll für die Revisionsinstanz allein beachtlich bleibe, ist nicht schützenswert und kann auch nicht auf das verfassungsrechtlich verbürgte Recht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) gestützt werden (a.A. Jahn/Widmaier JR 2006, 166, 169; Krawczyk HRRS 2006, 344, 353). Verfahrensrechte können nur durch den tatsächlichen Verfahrensverlauf verletzt worden sein. Dementsprechend ist nur ein auf dessen Überprüfung bezogener effektiver Rechtsschutz erforderlich. Einen weitergehenden , aus rechtsstaatlichen Prinzipien abzuleitenden Anspruch des Beschwerdeführers , dass zu seinen Gunsten Unwahres unter allen Umständen als wahr fingiert bleiben muss, gibt es nicht. Da ein Recht auf Beibehaltung der Grundlage für eine Rüge weder einfachgesetzlich geregelt noch gar verfas- http://rsw.beck.de/bib/bin/reference.asp?Y=300&Z=NJW&B=1950&S=930 [Link] http://rsw.beck.de/bib/bin/reference.asp?Y=300&Z=NJW&B=1951&S=259 [Link] http://rsw.beck.de/bib/bin/reference.asp?Y=300&Z=MDR&B=1951&S=193 [Link] http://rsw.beck.de/bib/bin/reference.asp?Y=100&G=StPO&P=274 - 17 - sungsrechtlich verankert ist, gilt für die Zulässigkeit und Beachtlichkeit von Protokollberichtigungen auch kein Gesetzesvorbehalt.
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2. Auch die Revisionsgerichte sind der Wahrheit verpflichtet; wenn prozessual erhebliche Tatsachen aus der tatrichterlichen Hauptverhandlung der Klärung bedürfen, muss grundsätzlich der wahre Sachverhalt, wie er sich zugetragen hat, maßgeblich sein (vgl. BGHSt 36, 354, 358 f.). Dies spricht entscheidend dafür, die Regelung des § 274 StPO in einer Weise auszulegen, welche die inhaltliche Richtigkeit der Sitzungsniederschrift gewährleistet.
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a) Allerdings wird dem entgegengehalten, dass § 274 StPO nach dem Willen des Gesetzgebers der Zweckmäßigkeit Vorrang vor der Wahrheit einräume (so BGHSt 2, 125, 128; 26, 281, 283). Dieser Vorrang gilt aber schon jetzt nicht uneingeschränkt. Denn damit wäre der unstreitige Grundsatz nicht vereinbar, dass - wie bereits in anderem Zusammenhang ausgeführt (IV 1 und V 1a) - Protokollberichtigungen und distanzierende Erklärungen der Urkundspersonen beachtlich sind, wenn sie das Revisionsvorbringen bestätigen (vgl. BGHSt 4, 364; BGH NStZ 1988, 85; RGSt 19, 367, 369 f.; 21, 323, 324 f.; 57, 394, 396 f.; OLG Köln NJW 1952, 758).
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b) Der Wahrheitspflicht würde nicht dadurch Genüge getan, dass die Wahrheit in eine "materielle" und eine "formelle" bzw. "prozessuale Wahrheit" aufzuspalten wäre. Die Beweisregel des § 274 StPO schafft keinen von der (objektiven ) Wahrheit abweichenden Wahrheitsbegriff (so aber Cüppers NJW 1950, 930, 931 ff.; 1951, 259; Dahs, StraFo 2000, 181, 185; Jahn JuS 2007, 91 Fn. 3; Park StraFo 2004, 335, 337; Schneidewin MDR 1951, 193; vgl. auch RGSt 43, 1, 6). Die Beweiskraft des Protokolls nach § 274 StPO verändert nicht die Tatsachen, macht nicht aus Unwahrheit Wahrheit (vgl. Detter StraFo 2004, 329, 334; ebenso Beulke, Der Verteidiger im Strafverfahren 1980 S. 157, der aber "in diesem Ausnahmefall eine Lüge (für) prozessual zulässig" hält).
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3. Die Verpflichtung zur Entscheidung auf der Grundlage eines zutreffenden Sachverhalts erhält inzwischen durch das Beschleunigungsgebot und den Gesichtspunkt des Opferschutzes zusätzliches Gewicht.
46
a) Das Bundesverfassungsgericht hat in jüngerer Zeit - unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Urt. vom 31. Mai 2001 - Nr. 37591/97 - Metzger gegen Deutschland - Rdn. 41 = NJW 2002, 2856, 2857) - mehrfach betont, die durch eine Revisionsentscheidung bedingte zusätzliche Verfahrensdauer sei bei der Berechnung der Überlänge eines Verfahrens zwar nicht stets, aber immer dann zu berücksichtigen, wenn das Revisionsverfahren der Korrektur eines offensichtlich der Justiz anzulastenden Verfahrensfehlers gedient hat (BVerfG NJW 2003, 2897, 2898; 2006, 672, 673; vgl. auch BVerfGK 2, 239, 251 [jeweils 3. Kammer des Zweiten Senats ]). Bei erfolgreichen Verfahrensrügen wäre nach dieser Auffassung wohl regelmäßig eine kompensationspflichtige rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung gegeben; denn Verfahrensfehler kann nur das Gericht begehen (vgl. BGH NJW 2006, 1529, 1533). Gerade auch die nach bisheriger Rechtsprechung zur Urteilsaufhebung führende Fiktion eines Verfahrensfehlers, die allein darauf beruht, dass die Urkundspersonen durch eine unrichtige Sitzungsniederschrift den Anschein eines in Wahrheit nicht vorgefallenen Verfahrensfehlers erweckt haben, fällt in den Verantwortungsbereich der Justiz. Vor diesem Hintergrund ist das Gewicht des für das Verbot der Rügeverkümmerung früher vorgebrachten Arguments, der Beschwerdeführer könne nicht mehr erreichen, als dass der Sachverhalt nochmals unter gewissenhafter Beachtung aller sachlichen und verfahrensrechtlichen Vorschriften erörtert und gerecht entschieden werde (OGHSt 1, 277, 282), stark relativiert.
47
b) Neben der Wahrheitspflicht und dem Beschleunigungsgebot kann auch der Opferschutz gebieten, ein Urteil nicht allein wegen eines fiktiven - unwahren - Sachverhalts aufzuheben. Liegt tatsächlich kein Verfahrensfehler vor und ist das Urteil auch sachlich-rechtlich nicht zu beanstanden, so ist es nicht gerechtfertigt, Opferzeugen nach der "Feuerprobe" (Sowada NStZ 2005, 1, 7) in der ersten Hauptverhandlung nochmals einer konfrontativen Vernehmung zu unterziehen. In diesem Sinne verpflichtet auch der Rahmenbeschluss der Europäischen Union über die Stellung des Opfers im Strafverfahren vom 15. März 2001 (ABlEG Nr. L 82 vom 22. März 2001) in Art. 3 Abs. 2 die Mitgliedstaaten, "die gebotenen Maßnahmen (zu ergreifen), damit ihre Behörden Opfer nur in dem für das Strafverfahren erforderlichen Umfang befragen" (hierzu BGH NJW 2005, 1519, 1520 f.; vgl. auch BTDrucks. 15/1976 S. 8, 19 zu § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG n.F.).
48
4. Ebenso sind mit der Änderung der Rechtsprechung zum Verbot der Rügeverkümmerung der Erfolgsaussicht bewusst unwahrer Verfahrensrügen Grenzen gesetzt.
49
a) Eine veränderte Einstellung der Strafverteidiger zu der Praxis, auf unwahres Vorbringen Verfahrensrügen zu stützen, spricht dafür, die Zurückhaltung bei der Berücksichtigung der Protokollberichtigung aufzugeben, auch wenn mit der Berichtigung einer zulässig erhobenen Rüge die Tatsachengrundlage entzogen wird.
50
aa) Die grundlegende Entscheidung des Bundesgerichtshofs zum Verbot der Rügeverkümmerung (BGHSt 2, 125) erging in einer Zeit, in der die vom Verteidiger bewusst wahrheitswidrig erhobene Verfahrensrüge nach verbreiteter Ansicht als standeswidrige Verfehlung galt (vgl. Dahs AnwBl. 1950/51, 90: "Die wahrheitswidrige Verfahrensrüge ist eine standesrechtliche Verfehlung" [S. 90]; "… der Anwalt, der die hier wiedergegebenen Grundsätze nicht anerkennt, [muß] mit der Einleitung eines ehrengerichtlichen Verfahrens seitens des Generalstaatsanwalts rechnen" [S. 92]; ferner d. Nachw. b. Tepperwien in FS für Meyer-Goßner S. 595, 598 f.).
51
Heute wird es hingegen schon als "anwaltlicher Kunstfehler" bezeichnet, sich eines Fehlers im Protokoll jedenfalls nicht in der Weise zu bedienen, dass ein anderer Verteidiger die Revision begründet (vgl. hierzu G. Schäfer in FS 50 Jahre BGH S. 707, 726 f. m.w.N.; ders., Die Praxis des Strafverfahrens 6. Aufl. Rdn. 1814; ferner - gestützt auf die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - Dahs, Handbuch des Strafverteidigers von der 1. Auflage 1969, Rdn. 754, bis zur neuesten 7. Aufl. [ab 4. Auflage Dahs jun.] 2005, Rdn. 918: "… braucht der Verteidiger sich nicht zu scheuen, von dem durch das Protokoll 'geschaffenen' unverrückbaren Tatbestand als 'Wahrheit' auszugehen"). In der Literatur wird sogar postuliert, dass das "Recht der Verteidigung zur 'unwahren Verfahrensrüge' … sakrosankt" sei (Docke/v. Döllen/Momsen StV 1999, 583, 585), sogar die "Pflicht zur Lüge" bestehe (vgl. Dahs StraFo 2000, 181, 185; Leipold NJW-Spezial 2006, 521, 522; in vergleichbarem Sinne auch Sarstedt /Hamm, Die Revision in Strafsachen 6. Aufl. Rdn. 292 ff.).
52
bb) All dies widerstreitet diametral den Vorstellungen, von denen der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung zur Unzulässigkeit der Protokollrüge (BGHSt 7, 162) ausgegangen ist. Hier ist ausgeführt, das Erfordernis der bestimmten Behauptung eines Verfahrensfehlers führe dazu, dass der Verteidiger - unbeschadet der Frage der Standeswidrigkeit seines Verhaltens - jedenfalls "vor seinem Gewissen und nach außen hin die Verantwortung für die Geltendmachung eines jeden Verfahrensmangels übernehmen" muss, "indem er ihn ernstlich behauptet und nicht etwa nur darauf hinweist, daß er sich aus der Niederschrift ergebe"; dieses Erfordernis solle "einem Mißbrauch rein formaler Möglichkeiten entgegenwirken" (BGH aaO 164; hierzu Fahl, Rechtsmißbrauch im Strafprozeß 2004 S. 665 f.; Tepperwien in FS für Meyer-Goßner S. 595, 599).
53
Die veränderte Einstellung auf Seiten der Strafverteidiger hat verdeutlicht , dass sich die mit der Rechtsprechung zur Unzulässigkeit der Protokollrüge verknüpfte Hoffnung nicht erfüllt hat, auf diese Weise - insbesondere durch den Appell an das Gewissen des die Revision begründenden Verteidigers - bewusst unwahre Verfahrensrügen zu verhindern. Vielmehr hat diese Rechtsprechung den Rat nach sich gezogen, Unwahres ohne weiteres als tatsächlich geschehen zu behaupten; denn die Vorschrift des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO schließe "jeden Formulierungs- oder Formelkompromiß in der Revisionsbegründung aus, zu dem zart besaitete Strafverteidiger - falls es solche gibt - sich durch ihr Gewissen gedrängt sehen könnten. Die Revisionsgerichte ahnden derartige Relikte von Wahrheitsliebe (gemeint: angedeutete Distanzierung vom Protokollinhalt) mit unnachsichtiger Strenge" (Dahs StraFo 2000, 181, 185).
54
Die Änderung des anwaltlichen Ethos ist ein weiteres Argument für die Änderung der Rechtsprechung.
55
b) Die prozessuale Wirksamkeit auch einer bewusst unwahren Verfahrensrüge wurde von der Rechtsprechung trotz erkennbaren Unbehagens und geäußerter Zweifel bis vor kurzem nie verneint (vgl. BGHSt 7, 162, 164; BGHR StPO § 274 Beweiskraft 21; 22; 24; 27; BGH NJW 2001, 3794, 3796; RGSt 43, 1; OGHSt 1, 277, 282; Detter StraFo 2004, 329, 334; Park StraFo 2004, 335, 337; Tepperwien in FS für Meyer-Goßner S. 585). Erst in neuerer Zeit hat der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs die nachgewiesenermaßen wahrheitswidrige Behauptung eines Verfahrensfehlers unter Berufung auf das insoweit fehlerhafte Protokoll dann als rechtsmissbräuchlich missbilligt, wenn der Beschwerdeführer - im Fall der Angeklagtenrevision (auch) der Verteidiger in der Revisionsinstanz - sicher weiß, dass sich der Fehler nicht ereignet hat, und zwar auch dann, wenn er Kenntnis erst im Laufe des Revisionsverfahrens erhält (BGHSt 51, 88 = NJW 2006, 3579 m. Anm. Benthin NJ 2007, 36, Fahl JR 2007, 34, Hollaender JR 2007, 6, Jahn JuS 2007, 91, Lindemann/Reichling StV 2007, 152 und Widmaier NJW 2006, 3587). Der solchermaßen rügevernichtende Missbrauch prozessualer Rechte ist allerdings regelmäßig nicht leicht nachweisbar (BGH NJW 2006, 3579, 3582).
56
5. Eine Änderung der Rechtsprechung zum Verbot der Rügeverkümmerung begegnet zudem der Tendenz zur Ausweitung der Rechtsprechung zu offensichtlichen Mängeln des Protokolls (ebenso BGHR StPO § 274 Beweiskraft 29). Diese Rechtsprechung (vgl. BGH NJW 2001, 3794; NStZ 2000, 546) geht mittlerweile sehr weit; ihr fehlen - jedenfalls in Grenzfällen - hinreichend klare und verlässliche Konturen. Diese Tendenz ist gerade vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Folgen der relativen Unbeachtlichkeit der Protokollberichtigung als nicht mehr tragbar empfunden werden. In der Literatur wird hierzu vorgebracht , die Senate suchten in Grenzfällen geradezu nach Möglichkeiten der Durchbrechung der formellen Beweiskraft der Sitzungsniederschrift (Detter StraFo 2004, 329, 330; Park StraFo 2004, 335, 338, 340; krit. auch Docke/v. Döllen/Momsen StV 1999, 583 f.; Kuhn NJW-Spezial 2006, 567; Ventzke StV 2004, 300 f.).
57
6. Eine Beibehaltung der bisherigen Rechtsprechung ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt geboten, dass auf diese Weise die Tatgerichte zum Einhalten der Vorschriften über die Protokollführung anzuhalten wären (so aber BGHSt 2, 125, 127; OGHSt 1, 277, 281; Jahn/Widmaier JR 2006, 166 f.; MeyerGoßner DRiZ 1997, 471, 474; Park StraFo 2004, 335, 342; ders. StV 2005, 257, 259). Die Tragfähigkeit einer solchen Argumentation ist schon bislang zweifelhaft ; denn gerade ein Protokoll, das offensichtlich unsorgfältig geführt ist, verliert von vorneherein jede Beweiswirkung und die Revisionsgerichte klären im Freibeweisverfahren, ob ein Verfahrensfehler vorliegt. Im Ergebnis wird bislang gerade derjenige "Tatrichter, der das Hauptverhandlungsprotokoll nachlässig führt, … prämiert" (Ventzke StV 2004, 300, 301).
58
7. Die Berichtigung setzt bei den Urkundspersonen sichere Erinnerung voraus (vgl. nur Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 271 Rdn. 47 ff. m.w.N.). Fehlt es hieran, kann das Protokoll nicht (mehr) berichtigt werden. Ein Argument gegen die umfassende Berücksichtigung einer Berichtigung durch das Revisionsgericht ist die Erfahrung nachlassender Erinnerung grundsätzlich nicht. Dass die Urkundspersonen unbewusst Erinnerungsdefizite mit "Erfahrungswissen" ausfüllen (Jahn/Widmaier JR 2006, 166, 167; vgl. auch BGHSt 2, 125, 128 f.; OGHSt 1, 277, 281; Park StV 2005, 257, 259), liegt gerade bei den in der Literatur für problematisch erachteten Fällen, in denen es um den sachlichen Inhalt nicht regelmäßiger Prozesshandlungen (etwa bei Hinweisen nach § 265 StPO) geht (vgl. Jahn/Widmaier aaO 167 ff.), fern. Häufig kann eine Urkundsperson auch auf andere Unterlagen als Erinnerungsstütze zurückgreifen, wie in dem der Vorlegung zugrunde liegenden Fall die Urkundsbeamtin auf die unmittelbar während der Verhandlung getätigten Aufzeichnungen, die Grundlage der Sitzungsniederschrift waren; oftmals beruhen Protokollmängel auf derartigen Übertragungsfehlern. Schließlich stammt der Hinweis auf das nachlassende Erinnerungsvermögen aus einer Zeit, als es die Vorschrift über die Urteilsabsetzungsfristen (§ 275 Abs. 1 StPO), die insgesamt regelmäßig zu einer zeitlichen Straffung des Verfahrens nach der Hauptverhandlung geführt haben, noch nicht gab.
59
Das Argument, dass dem berichtigten Protokoll schon deshalb ein tatsächlich geringerer Beweiswert zukomme, weil sich die Urkundspersonen zuvor übereinstimmend geirrt haben müssten (vgl. Tepperwien in FS für Meyer-Goßner S. 595, 605), hält der Große Senat nicht für durchgreifend. Dass beide Urkundspersonen bei der Anfertigung des ursprünglichen Protokolls nicht gewissenhaft genug waren, wird nämlich dadurch ausgeglichen, dass besonders hohe Anforderungen an die Sorgfalt bei der Berichtigung gestellt werden. Ein übereinstimmender Irrtum im Sinne einer gemeinsamen Fehlvorstellung der Ur- kundspersonen liegt nach aller forensischer Erfahrung ohnehin nicht vor. Dies würde voraussetzen, dass die Urkundspersonen über die Einzelheiten des Prozessgeschehens und dessen - fehlende - Beurkundung gleich reflektiert hätten. So spricht etwa in dem der Vorlegung zugrunde liegenden Fall nichts dafür, dass der Vorsitzende und die Protokollführerin zunächst bei der Protokollerstellung noch übereinstimmend davon überzeugt waren, der Vertreter der Staatsanwaltschaft habe den Anklagesatz nicht verlesen.

VI.

60
Zusätzliche Gewähr für die Richtigkeit der nachträglichen Änderung der Sitzungsniederschrift bietet eine rechtlich verbindliche Form der Protokollberichtigung , die zu einer im Revisionsverfahren überprüfbaren Entscheidungsgrundlage führt. Dies sichert die Effektivität des Rechtsmittels der Revision (vgl. Jahn/Widmaier JR 2006, 166, 169) und trägt im Fall der Angeklagtenrevision dessen verfassungsrechtlich verbürgtem Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) Rechnung. Lässt sich jedoch zuverlässig ausschließen, dass sich die Urkundspersonen an ein der Verfahrenswirklichkeit nicht entsprechendes Prozessgeschehen irrtümlich vermeintlich sicher erinnern, so haben die Argumente, welche das Verbot der Rügeverkümmerung mit dem Schutz des Beschwerdeführers bzw. der prozessualen Waffengleichheit begründen (vgl. Fezer StV 2006, 290, 291; Tepperwien aaO 604), kein Gewicht.
61
1. In Fällen der vorliegenden Art ist zur Sicherung der Effektivität des Rechtsmittels bei der Protokollberichtigung folgendes Verfahren einzuhalten:
62
Wie bereits dargelegt (V 7), setzt die Berichtigung sichere Erinnerung bei den Urkundspersonen voraus. Die Absicht der Berichtigung ist dem Beschwerdeführer - im Fall einer Angeklagtenrevision zumindest dem Revisionsverteidiger - zusammen mit dienstlichen Erklärungen der Urkundspersonen mitzuteilen. Diese Erklärungen haben die für die Berichtigung tragenden Erwägungen zu enthalten, etwa indem sie auf markante Besonderheiten des Falls eingehen, wie hier etwa darauf, dass die Verlesung der rechtlichen Würdigung des Tatgeschehens zu Unmutsäußerungen der Zuhörer führte. Daneben sollten gegebenenfalls während der Hauptverhandlung getätigte Aufzeichnungen, welche den Protokollfehler belegen, in Abschrift übermittelt werden. Dem Beschwerdeführer ist innerhalb angemessener Frist rechtliches Gehör zu gewähren.
63
Widerspricht der Beschwerdeführer daraufhin der beabsichtigten Protokollberichtigung substantiiert, indem er im Einzelnen darlegt, aus welchen Gründen er im Gegensatz zu den Urkundspersonen sicher ist, dass das zunächst gefertigte Protokoll richtig ist, so sind erforderlichenfalls weitere dienstliche Erklärungen und Stellungnahmen der übrigen Verfahrensbeteiligten einzuholen. Auch hierzu ist dem Beschwerdeführer eine angemessene Frist zur Stellungnahme zu gewähren. Halten die Urkundspersonen die Niederschrift weiterhin für inhaltlich unrichtig, so haben sie diese gleichwohl zu berichtigen. In diesem Fall ist ihre Entscheidung über die Protokollberichtigung - dies ergibt sich bereits aus allgemeinen Rechtsgedanken (vgl. § 34 StPO) - mit Gründen zu versehen. Darin sind die Tatsachen anzugeben, welche die Erinnerung der Urkundspersonen belegen. Ferner ist auf das Vorbringen des Beschwerdeführers und gegebenenfalls abweichende Erklärungen der übrigen Verfahrensbeteiligten einzugehen.
64
2. Eine erneute Zustellung des Urteils nach Berichtigung der Sitzungsniederschrift ist nicht erforderlich. Nach § 273 Abs. 4 StPO setzt eine wirksame Zustellung einzig voraus, dass die Niederschrift fertig gestellt ist. Die Fertigstellung erfolgt zu dem Zeitpunkt, zu dem die letzte der beiden erforderlichen Unterschriften geleistet wurde (§ 271 Abs. 1 StPO), selbst wenn die Niederschrift sachlich oder formell fehlerhaft ist oder Lücken aufweist (vgl. Engelhardt in KK-StPO 5. Aufl. § 271 Rdn. 8; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 271 Rdn. 31, § 273 Rdn. 56). Spätere Berichtigungen derartiger Mängel be- rühren den Zeitpunkt der Fertigstellung nicht mehr (vgl. Gollwitzer aaO). Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes. In seinem Vertrauen, eine bestimmte Verfahrensrüge werde erfolgreich sein, wird der Beschwerdeführer auch sonst nicht geschützt.
65
3. Die Gründe der Berichtigungsentscheidung unterliegen im Rahmen der erhobenen Verfahrensrüge der Überprüfung durch das Revisionsgericht. Tragen sie die Berichtigung, so ist das berichtigte Protokoll zugrunde zu legen. Allerdings kommt dem berichtigten Teil des Protokolls nicht die formelle Beweiskraft des § 274 StPO zu. Nur so ist das Revisionsgericht in der Lage, zum Schutz der Beschwerdeführer die rügevernichtende Protokollberichtigung zu überprüfen. Verbleiben dem Revisionsgericht Zweifel, ob die Berichtigung zu Recht erfolgt ist, kann es den Sachverhalt im Freibeweisverfahren weiter aufklären. Insoweit gelten die Grundsätze, die schon bisher für eine ursprünglich offensichtlich mangelhafte Sitzungsniederschrift zur Anwendung kamen. Verbleiben dem Revisionsgericht auch nach seiner Überprüfung Zweifel an der Richtigkeit des berichtigten Protokolls, hat es seiner Entscheidung das Protokoll in der ursprünglichen Fassung zugrunde zu legen. Hirsch Rissing-van Saan Nack Basdorf Häger Maatz Wahl Bode Kuckein Pfister Becker

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht,
2.
die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt oder
3.
pflichtwidrig die Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern unterlässt
und dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
in großem Ausmaß Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt,
2.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger oder Europäischer Amtsträger (§ 11 Absatz 1 Nummer 2a des Strafgesetzbuchs) missbraucht,
3.
die Mithilfe eines Amtsträgers oder Europäischen Amtsträgers (§ 11 Absatz 1 Nummer 2a des Strafgesetzbuchs) ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht,
4.
unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt,
5.
als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Taten nach Absatz 1 verbunden hat, Umsatz- oder Verbrauchssteuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Umsatz- oder Verbrauchssteuervorteile erlangt oder
6.
eine Drittstaat-Gesellschaft im Sinne des § 138 Absatz 3, auf die er alleine oder zusammen mit nahestehenden Personen im Sinne des § 1 Absatz 2 des Außensteuergesetzes unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden oder bestimmenden Einfluss ausüben kann, zur Verschleierung steuerlich erheblicher Tatsachen nutzt und auf diese Weise fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.

(4) Steuern sind namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden; dies gilt auch dann, wenn die Steuer vorläufig oder unter Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt wird oder eine Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht. Steuervorteile sind auch Steuervergütungen; nicht gerechtfertigte Steuervorteile sind erlangt, soweit sie zu Unrecht gewährt oder belassen werden. Die Voraussetzungen der Sätze 1 und 2 sind auch dann erfüllt, wenn die Steuer, auf die sich die Tat bezieht, aus anderen Gründen hätte ermäßigt oder der Steuervorteil aus anderen Gründen hätte beansprucht werden können.

(5) Die Tat kann auch hinsichtlich solcher Waren begangen werden, deren Einfuhr, Ausfuhr oder Durchfuhr verboten ist.

(6) Die Absätze 1 bis 5 gelten auch dann, wenn sich die Tat auf Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verwaltet werden oder die einem Mitgliedstaat der Europäischen Freihandelsassoziation oder einem mit dieser assoziierten Staat zustehen. Das Gleiche gilt, wenn sich die Tat auf Umsatzsteuern oder auf die in Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16. Dezember 2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG (ABl. L 9 vom 14.1.2009, S. 12) genannten harmonisierten Verbrauchsteuern bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verwaltet werden.

(7) Die Absätze 1 bis 6 gelten unabhängig von dem Recht des Tatortes auch für Taten, die außerhalb des Geltungsbereiches dieses Gesetzes begangen werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 416/08
vom
2. Dezember 2008
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
_________________________
1. Die Berechnung der nach § 266a StGB vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge
richtet sich in Fällen illegaler Beschäftigungsverhältnisse nach § 14 Abs. 2
Satz 2 SGB IV.
2. Zur Strafzumessung bei Steuerhinterziehung.
BGH, Urt. vom 2. Dezember 2008 - 1 StR 416/08 - LG Landshut
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung u. a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 2. Dezember
2008, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Hebenstreit,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Sander,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
der Angeklagte persönlich,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 21. April 2008 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass der Angeklagte statt in 43 Fällen in 33 Fällen des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt schuldig ist. 2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 48 Fällen, Beihilfe zur Steuerhinterziehung in vier Fällen und wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 43 Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und elf Monaten verurteilt. Die Revision des Beschwerdeführers , mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt, führt lediglich zur Berichtigung eines offensichtlichen Schreibversehens in der Urteilsformel. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2
Nach den Urteilsfeststellungen betrieb der Angeklagte als Einzelfirma ein Trockenbau-Unternehmen, das für verschiedene Auftraggeber als Subunternehmer tätig war. Aufgrund der Preisvorgaben der Auftraggeber war dem Angeklagten in den Jahren 2001 bis 2005 ein „auskömmliches Wirtschaften“ nur dadurch möglich, dass er den wesentlichen Teil seiner Arbeitnehmer „schwarz“ beschäftigte, ohne die Arbeitsverhältnisse den zuständigen Stellen zu melden und ohne für diese Personen Lohnsteuern und Sozialversicherungsbeiträge abzuführen. Darüber hinaus erklärte er die Umsatzerlöse, die er aufgrund der Tätigkeit der nicht gemeldeten Arbeitnehmer erzielte, in den für die betreffenden Zeiträume abzugebenden Umsatzsteuervoranmeldungen und -jahreserklärungen nicht. Er wollte hierdurch die Abführung von Umsatzsteuern auf die unter Einsatz der illegal beschäftigten Arbeitnehmer erbrachten Leistungen vermeiden. Um andererseits den Auftraggebern zu ermöglichen, die an ihn als Subunternehmer geleisteten Zahlungen ertragsteuerlich als Betriebsausgaben ansetzen und umsatzsteuerlich einen Vorsteuerabzug geltend machen zu können , unterstützte der Angeklagte die Auftraggeber bei der Beschaffung sog. Abdeckrechnungen. Bei diesen Rechnungen handel te es sich um Scheinrechnungen mit gesondertem Vorsteuerausweis, mit denen unter dem Namen von Firmen, die tatsächlich nicht tätig geworden waren, Leistungen abgerechnet wurden. Die Abdeckrechnungen für die L. AG erstellte der Angeklagte selbst. Sowohl dem Angeklagten als auch seinen Auftraggebern war bewusst, dass die vorgeblichen Aussteller der Rechnungen die darin ausgewiesenen Umsatzsteuern weder anmelden noch an die Finanzbehörden abführen würden.
3
Insgesamt verkürzte der Angeklagte durch diese Vorgehensweise in den Jahren 2001 bis 2005 Umsatzsteuern in Höhe von mehr als 373.000 Euro sowie Lohnsteuer von 354.000 Euro und enthielt er den Einzugsstellen Gesamt- sozialversicherungsbeiträge in Höhe von mehr als 947.000 Euro vor, davon Arbeitnehmeranteile an der Sozialversicherung in Höhe von über 473.000 Euro. Zudem ermöglichte er durch das Ausstellen von Scheinrechnungen den Verantwortlichen der L. AG, in den Jahren 2001 bis 2004 in Umsatzsteuervoranmeldungen und -jahreserklärungen ungerechtfertigt Vorsteuern in einer Gesamthöhe von mehr als 220.000 Euro geltend zu machen.

II.

4
Die rechtsfehlerfrei getroffenen Urteilsfeststellungen tragen den Schuldspruch. Die Urteilsformel ist lediglich dahin zu berichtigen, dass der Angeklagte statt in 43 Fällen nur in 33 Fällen des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) schuldig ist. Bei der Nennung von 43 Taten des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt in der Urteilsformel handelt es sich um ein offensichtliches Verkündungsversehen ; dies ergibt sich zweifelsfrei aus den Urteilsgründen, die lediglich 33 Einzeltaten aufführen und diesen jeweils bestimmte Einzelstrafen zuordnen. Die Berichtigung kann der Senat selbst vornehmen (vgl. BGH NStZ 2000, 386; Kuckein in KK, 6. Aufl., § 354 Rdn. 20 m.w.N.).

III.

5
Die Strafzumessung wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt enthält keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler. Auch der Schuldumfang - die Höhe der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge - ist zutreffend bestimmt.
6
1. Da die Strafkammer in den Urteilsgründen die Zahl der Einzeltaten zutreffend bestimmt hat, wirkt sich die Schuldspruchberichtigung auf den Strafausspruch nicht aus.
7
2. Im Rahmen der Strafzumessung hat das Landgericht bei den einzelnen Taten jeweils auch den zutreffenden Schuldumfang zugrunde gelegt. Dies gilt auch, soweit es in den Fällen D 10 bis D 33 der Urteilsgründe den Angeklagten wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) verurteilt hat. Das Landgericht hat hierbei die Höhe der den Einzugsstellen vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge unter Heranziehung der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV bestimmt, indem es die an die illegal beschäftigten Arbeitnehmer gezahlten Löhne als Nettoarbeitsentgelt gewertet hat.
8
a) Die Schätzung der an die illegal beschäftigten Arbeitnehmer tatsächlich ausgezahlten Lohnsummen ist rechtlich nicht zu beanstanden. Da der Angeklagte über die Beschäftigung der bei den Einzugsstellen nicht angemeldeten Arbeitnehmer keine Aufzeichnungen führte, durfte das Landgericht die Höhe der an diese Personen gezahlten Löhne auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisse schätzen (vgl. BGHSt 38, 186, 193; BGHR StGB § 266a Sozialabgaben 5; BGH wistra 2007, 220 f.). Dies waren hier insbesondere die vom Landgericht festgestellten Umsätze des Angeklagten mit den Auftraggebern , der Umstand, dass die Auftraggeber das erforderliche Material zur Verfügung stellten, und die Tatsache, dass es sich bei den vorgenommenen Arbeiten fast ausschließlich um Lohnarbeiten handelte (UA S. 19, 37). Angesichts dieser Erkenntnisse und des Umstandes, dass nach den Feststellungen des Landgerichts auch in anderen - mit den verfahrensgegenständlichen vergleichbaren - Fällen bei Arbeiten im Rahmen von Trockenbaumaßnahmen 60 Pro-zent der Rechnungssummen als Löhne ausgezahlt wurden, ist die Schätzung der ausgezahlten Lohnsummen auf 60 Prozent des Nettoumsatzes des Angeklagten mit seinen Auftraggebern aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden (vgl. auch BGH wistra 1983, 107, 108; OLG Düsseldorf wistra 1988, 123, 124).
9
b) Keinen rechtlichen Bedenken begegnet auch, dass das Landgericht in den Fällen D 10 bis D 33 der Urteilsgründe, d.h. für die Beitragsmonate ab August 2002, die so ermittelten Lohnzahlungen nicht als Bruttolohn, sondern - wie sich aus den mitgeteilten Beträgen ergibt - als Nettoarbeitsentgelt gewertet und ausgehend hiervon anhand der jeweils gültigen Beitragssätze die der Einzugsstelle vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge errechnet hat. Diese Vorgehensweise rechtfertigt sich auch für das Strafrecht aus der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV, die zum 1. August 2002 in Kraft getreten ist (BGBl. I 2002, 2787 ff.).
10
aa) Der Gesetzgeber hat mit der Einführung des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV im Rahmen des Gesetzes zur Erleichterung der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit vom 23. Juli 2002 (BGBl. I 2787 ff.) dem Umstand Rechnung getragen, dass bei illegaler Beschäftigung Steuern und Sozialversicherungsbeiträge nicht gezahlt werden. Er hat daher bestimmt, dass in solchen Fällen für die Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge zwischen den Beteiligten die Zahlung eines Nettoarbeitsentgelts als vereinbart gilt, weil dem Arbeitnehmer auch wirtschaftlich ein Nettoarbeitsentgelt zufließt (BTDrucks. 14/8221 S. 14). Neben der Beseitigung von Beweisschwierigkeiten zum Inhalt von Lohnvereinbarungen bei illegaler Beschäftigung (BTDrucks. aaO ) war die Verhinderung von Wettbewerbsvorteilen, die sich die Beteiligten von illegalen Beschäftigungsverhältnissen verschaffen, ein wesentliches Anliegen des Gesetzgebers bei der Schaffung des Gesetzes zur Erleichterung der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit (BTDrucks. 14/8221 S. 11, 16).
11
bb) Bei der Regelung in § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV handelt es sich um die Fiktion einer Nettolohnabrede für illegale Beschäftigungsverhältnisse, bei denen Steuern und Sozialversicherungsbeiträge nicht gezahlt werden. Diese Fiktion greift unabhängig vom tatsächlichen Inhalt der Lohnvereinbarung ein. Das Arbeitsentgelt der Beschäftigten besteht daher in solchen Fällen aus dem als Nettolohn zu behandelnden Barlohn, der um die darauf entfallenden Steuern und Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung zu erhöhen, d.h. zu einem Bruttolohn „hochzurechnen“ ist (§ 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IV). Denn Bemessungsgrundlage für die Sozialversicherungsbeiträge ist stets das Bruttoarbeitsentgelt (vgl. § 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V; § 162 Nr. 1 SGB VI; § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB VII; § 342 SGB III; § 57 Abs. 1 Satz 1 SGB XI i.V.m. § 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V; BSGE 64, 110, 111 f.). Illegale Beschäftigung im Sinne der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV liegt nicht nur bei verbotenen Beschäftigungsverhältnissen (§ 134 BGB) vor, sondern auch dann, wenn der Arbeitgeber pflichtwidrig die für die Arbeitsverhältnisse vorgeschriebenen Meldungen nicht erstattet oder Beiträge für die versicherten Arbeitnehmer nicht zahlt. Der Gesetzgeber verwendet den Begriff der illegalen Beschäftigung als „Sammelbegriff für eine Vielzahl von Ordnungswidrigkeitstatbeständen oder Straftaten, von Verstößen gegen das Arbeitnehmerüberlassungsrecht bis hin zu Verstößen gegen das Steuerrecht oder zum Leistungsmissbrauch“ (BTDrucks. 14/8221, S. 11).
12
cc) Mit Einführung der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV wurde die bis dahin geltende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundessozialgerichts , nach der bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen mit Schwarzlohnabreden der Berechnung der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge eine Bruttolohnvereinbarung zu Grunde zu legen ist (vgl. BGHSt 38, 285; BGH wistra 1993, 148 f.; BSGE 64, 110 ff.), für den Bereich des Sozialversicherungsrechts durch einen "Federstrich des Gesetzgebers" obsolet (BTDrucks. 15/726 S. 3 f.). Überzeugende Gründe, die Regelung des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV im Strafrecht nicht anzuwenden und für die Bestimmung der Höhe der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge im Sinne des § 266a StGB weiterhin an der bisherigen Rechtsprechung festzuhalten, bestehen angesichts der eindeutigen gesetzlichen Regelung nicht.
13
(1) Die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundessozialgerichts (vgl. BGH und BSG aaO) bezeichnet als maßgeblichen gegen die Annahme einer Nettolohnvereinbarung bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen sprechenden Gesichtspunkt, dass die Abrede eines Schwarzlohns gerade beinhalte, dass Steuern und Sozialversicherungsbeiträge nicht abgeführt werden sollen. Die wesentliche Rechtsfolge einer Nettolohnvereinbarung - die Befreiung des Arbeitnehmers von seiner Lohnsteuerpflicht und seiner Beitragslast zu Lasten des Arbeitgebers - werde daher von den Parteien des illegalen Beschäftigungsverhältnisses nicht angestrebt (BGH wistra 1993, 148 m.w.N.; BSGE 64, 110, 114 f., 116); vielmehr wolle in solchen Fällen gerade auch der Arbeitgeber im Hinblick auf das Arbeitsverhältnis keine Steuern und Sozialversicherungsbeiträge abführen. Eine derartige Vereinbarung führt zwar zur Nichtigkeit der Schwarzlohnabrede, nicht aber zu der des gesamten Beschäftigungsverhältnisses (vgl. BAGE 105, 187, 191 ff.). Die sich wegen der Nichtigkeit der Schwarzlohnabrede stellende und „früher streitige Frage, ob bei derartigen Zahlungen unter der Hand von Brutto- oder Nettolöhnen auszugehen ist“ (BTDrucks. 15/726 S. 3 f.), hat der Gesetzgeber nun mit der in § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV normierten Fiktion einer Nettolohnvereinbarung eindeutig und abschließend geklärt (BTDrucks. aaO).
14
(2) Der Schuldumfang bei Straftaten der Beitragsvorenthaltung gemäß § 266a StGB im Rahmen von illegalen, aber versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen bestimmt sich nach dem nach sozialversicherungsrechtlichen Maßstäben zu ermittelnden Bruttoentgelt und der hieran anknüpfenden Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge. Vorenthalten im Sinne von § 266a StGB sind die nach den sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften tatsächlich geschuldeten Beiträge. Denn der Straftatbestand des § 266a StGB ist sozialrechtsakzessorisch ausgestaltet (BGHSt 47, 318 f.; 51, 125, 128 m.w.N.; 52, 67, 70). Der Umfang der abzuführenden Beiträge bestimmt sich daher, wie die Abführungspflicht selbst, nach materiellem Sozialversicherungsrecht. Ein entgegenstehender Wille der Vertragsparteien des Beschäftigungsverhältnisses ist im Strafrecht ebenso unbeachtlich wie im Sozialversicherungsrecht. Für die Beurteilung, ob ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis vorliegt, sind allein die tatsächlichen Gegebenheiten maßgeblich. Liegt danach ein Arbeitsverhältnis vor, können die Vertragsparteien die sich hieraus ergebenden Beitragspflichten nicht durch eine abweichende vertragliche Gestaltung beseitigen (vgl. BGH NStZ 2001, 599, 600). Nach den tatsächlichen Verhältnissen bemessen sich auch die Sozialversicherungsbeiträge. Dabei entspricht die Lohnzahlung aufgrund einer Schwarzlohnabrede nach der Wertung des Gesetzgebers bei Einführung des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise dem Nettoarbeitsentgelt eines legalen Beschäftigungsverhältnisses (BTDrucks. 14/8221 S. 14). Eine rechtmäßige Vereinbarung, nach der dem Arbeitnehmer das tatsächlich ausgezahlte Entgelt verbleibt, ohne dass hierfür Sozialversicherungsbeiträge aus einem nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV ermittelten Bruttoentgelt berechnet werden, kann nicht getroffen werden.

15
(3) Der Umstand, dass der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV, mit der dem Phänomen der illegalen Beschäftigung entgegengewirkt werden soll (vgl. BTDrucks. 15/726 S. 3 f.), im Ergebnis Sanktionscharakter zukommt (vgl. Klattenhoff in Hauck/Noftz SGB, 38. Lfg. 2003, § 14 SGB IV Rdn. 43 Fußnote 194), steht der Anwendung dieser Norm bei der Bestimmung des Umfangs der im Sinne von § 266a StGB vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge nicht entgegen. Zwar bezweckt diese Vorschrift auch, den Arbeitgeber von einer Schwarzlohnabrede abzuhalten (vgl. BAGE 105, 187, 194). Jedoch ist dies nicht alleiniger Zweck der Vorschrift. Vielmehr soll § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV Beweisschwierigkeiten beseitigen und der wirtschaftlichen Situation bei einer Schwarzlohnabrede Rechnung tragen (BTDrucks. 14/8221 S. 14). Damit hat die Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV einen materiellen Regelungsgehalt und nicht den Charakter eines Säumnis- oder Verspätungszuschlages oder eines Zwangsgelds (vgl. dazu BGHSt 43, 381, 400 ff.).
16
(4) Der Senat verkennt nicht, dass die Anwendung des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV im Rahmen der Strafnorm des § 266a StGB zur Folge hat, dass insoweit ein anderes Bruttoentgelt zugrunde zu legen ist als bei der Bestimmung des Verkürzungsumfangs der bei Schwarzlohnabreden zumeist ebenfalls verwirklichten Hinterziehung von Lohnsteuer (vgl. Heitmann in MüllerGugenberger /Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht, 4. Aufl. 2006, § 36 Rdn. 26; Boxleitner in Wabnitz/Janovsky, Handbuch Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 3. Aufl. 2007, Kap. 17 Rdn. 59 Fn. 89). Von der Schaffung einer der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV entsprechenden Norm im Steuerrecht hat der Gesetzgeber aber wegen des dort geltenden Zuflussprinzips bewusst abgesehen (BTDrucks. 15/2948 S. 7, 20). Demgegenüber gilt im Sozialversicherungsrecht grundsätzlich das Entstehungsprinzip (§ 22 Abs. 1 SGB IV, BGHSt 47, 318, 319; vgl. auch BSGE 41, 6, 11; 54, 136 ff.; 59, 183, 189; 75, 61, 65), das auch bei der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV Anwendung findet (einschränkend Seewald in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 57. Ergän-zungslieferung 2008 SGB IV § 14 Rdn. 139; vgl. aber BAGE 105, 187, 191 ff.). Diese Unterschiede zwischen Lohnsteuer und Sozialabgaben rechtfertigen auch für das Strafrecht eine unterschiedliche Bemessungsgrundlage für die Hinterziehung von Lohnsteuer einerseits und das Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen andererseits (vgl. BGHSt 47, 318, 319 zu § 266a StGB: „unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird“).
17
(5) Der Umstand, dass die Fiktion einer Nettolohnvereinbarung gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV zu einem Bruttoarbeitsentgelt führen kann, das den Wert der Arbeitsleistung übersteigt (vgl. BSGE 64, 110, 117; Boxleitner aaO Kap. 17 Rdn. 59), steht der Anwendung der Vorschrift § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV bei der Bemessung der im Sinne von § 266a StGB vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge ebenfalls nicht entgegen. Auch insoweit ist zu berücksichtigen , dass eine rechtmäßige Vereinbarung, nach der dem Arbeitnehmer das tatsächlich ausgezahlte Entgelt verbleibt, ohne dass hierfür Sozialversicherungsbeiträge aus einem nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV ermittelten Bruttoentgelt berechnet werden, nicht getroffen werden kann (vgl. oben [2]). Die strafrechtliche Verantwortlichkeit wird in diesem Zusammenhang lediglich durch die dem Straftatbestand des § 266a StGB als echtem Unterlassungsdelikt immanente Tatbestandsvoraussetzung beschränkt, dass dem Arbeitgeber die Erfüllung der Handlungspflicht möglich und zumutbar sein muss (BGHSt 47, 318, 320). An der Zumutbarkeit der Zahlung der gegenüber der legalen Beschäftigung erhöhten Sozialversicherungsbeiträge bestehen hier keine Zweifel, denn der Angeklagte verschaffte sich durch die Schwarzlohnabrede wirtschaftliche Vorteile im Wettbewerb gegenüber legal tätigen Arbeitgebern.

18
(6) Auch gegen die Berechnung des Bruttoarbeitsentgelts auf der Grundlage der Lohnsteuerklasse VI bestehen im vorliegenden Fall keine Bedenken (vgl. Boxleitner aaO Kap. 17 Rdn. 59 und SG Dortmund, Urt. vom 8. September 2008 - S 25 R 129/06 - BeckRS 2008 57420). Nach § 39c EStG ist diese Steuerklasse zu Grunde zu legen, wenn bei einem Arbeitsverhältnis die Lohnsteuerkarte dem Arbeitgeber nicht vorgelegt wird. Bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen besteht regelmäßig kein Grund zu der Annahme, dass die Arbeitnehmer dem Arbeitgeber ihre Lohnsteuerkarte vorgelegt haben. Mangels erkennbarer Anhaltspunkte für eine andere Handhabung ergibt sich hier auch aus dem Zweifelsgrundsatz nichts anderes (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 371; NStZ 2004, 35, 36 m.w.N.).

IV.

19
Auch die tatrichterliche Strafhöhenbemessung wegen Steuerhinterziehung ist rechtsfehlerfrei. Die dem angefochtenen Urteil insoweit zugrunde liegenden Strafzumessungserwägungen tragen den nachfolgend dargelegten Kriterien Rechnung, die bei einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung Anwendung finden müssen:
20
1. Grundlage für die Zumessung der Strafe ist bei einer Steuerhinterziehung - wie bei jeder anderen Straftat auch - die persönliche Schuld des Täters. Dabei sind auch die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind (§ 46 Abs. 1 StGB). § 46 Abs. 2 Satz 1 StGB bestimmt, dass bei der Zumessung der Strafe die Umstände gegeneinander abzuwägen sind, die für und gegen den Täter sprechen. Dabei kommen namentlich die in § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB genannten Umstände in Betracht.

21
2. Bei der Zumessung einer Strafe wegen Steuerhinterziehung hat das von § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB vorgegebene Kriterium der „verschuldeten Auswirkungen der Tat“ im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung besonderes Gewicht. „Auswirkungen der Tat“ sind insbesondere die Folgen für das durch die Strafnorm geschützte Rechtsgut. Das durch § 370 AO geschützte Rechtsgut ist die Sicherung des staatlichen Steueranspruchs, d.h. des rechtzeitigen und vollständigen Steueraufkommens (vgl. BGHSt 36, 100, 102; 40, 109, 111; 41, 1, 5; 46, 107, 120). Deshalb ist die Höhe der verkürzten Steuern ein bestimmender Strafzumessungsumstand i.S.d. § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO (vgl. auch BGH wistra 1998, 269, 270).
22
Das gilt nicht nur für die Strafrahmenwahl (§ 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO), sondern auch für die konkrete Strafzumessung in dem - wie hier vom Landgericht - zugrunde gelegten Strafrahmen des § 370 Abs. 1 AO. Dass der Hinterziehungsbetrag nicht nur ein bestimmender Strafzumessungsfaktor, sondern darüber hinaus, dann wenn er hoch ist, ein auch für die konkrete Strafzumessung gewichtiger Strafschärfungsgrund ist, zeigt insbesondere die gesetzgeberische Wertung in § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO.
23
Schon die bis Ende des Jahres 2007 - und damit noch zur Tatzeit geltende - Fassung des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO hob die Höhe des Hinterziehungsbetrags als einen Umstand heraus, der zur Verschärfung des Strafrahmens führen konnte. Danach war in der Regel ein nur mit Freiheitsstrafe (von sechs Monaten bis zu zehn Jahren) bedrohter besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung gegeben, wenn der Täter „aus grobem Eigennutz in großem Ausmaß Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt“. Zwar musste nach der früheren Fassung für die Erfüllung des Regelbeispiels zu dem objektiven Merkmal „in großem Ausmaß“ noch das subjektive Merkmal „aus grobem Eigennutz“ hinzukommen, gleichwohl hatte der Gesetzgeber schon damals zum Ausdruck gebracht, dass die Strafhöhenbemessung maßgeblich auch von der Höhe des Hinterziehungsbetrags bestimmt wird.
24
3. Auch wenn der Hinterziehungsbetrag ein bestimmender Strafzumessungsgrund für die Steuerhinterziehung ist, kann allein dessen Ausmaß für die Strafhöhenbemessung nicht in dem Sinne ausschlaggebend sein, dass die Strafe gestaffelt nach der Höhe des Hinterziehungsbetrags schematisch und quasi „tarifmäßig“ verhängt wird. Jeder Einzelfall ist vielmehr nach den von § 46 StGB vorgeschriebenen Kriterien zu beurteilen.
25
Das schließt indes nicht aus, die Strafhöhe an den vom Gesetzgeber auch in § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO vorgegebenen Wertungen auszurichten. Das gilt auch für die konkrete Strafzumessung innerhalb des gefundenen Strafrahmens , und zwar auch beim Normalstrafrahmen des § 370 Abs. 1 AO. Gerade auch bei der Bemessung der schuldangemessenen Strafe kommt dem Merkmal „großes Ausmaß“ Bedeutung zu, weil es aufzeigt, wann der Gesetzgeber eine Freiheitsstrafe (mit erhöhtem Mindestmaß) für angebracht hält. Dazu bedarf das Merkmal einer näheren Konturierung.
26
Der Senat ist der Ansicht, dass insoweit vergleichbare Kriterien wie für das wortgleiche Merkmal in § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB (auf das auch § 263a Abs. 2, § 266 Abs. 2 StGB verweisen) zur Anwendung kommen müssen.
27
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 48, 360; BGH wistra 2004, 262, 263; StV 2007, 132) erfüllt ein Vermögensverlust von mehr als 50.000 € beim Regelbeispiel des besonders schweren Falles des Betrugs (§ 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB) das Merkmal „in großem Ausmaß“. Dazu hatte der Senat in BGHSt 48, 360 ausgeführt: „Der Begriff des Vermögensverlustes großen Ausmaßes ist nach objektiven Gesichtspunkten zu bestimmen … Die Abgrenzung, die sich für § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB wertmäßig an einem Vermögensverlust in Höhe von 50.000 € ausrichtet, schafft für die Praxis Rechtssicherheit. Im Einzelfall bleibt genügend Spielraum für eine gerechte Straffindung. Der Tatrichter hat ohnehin im Rahmen einer Gesamtbetrachtung auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des Regelbeispiels zu bewerten, ob tat- oder täterbezogene Umstände vorliegen, die die Indizwirkung des Regelbeispiels aufheben und trotz seiner Verwirklichung zur Verneinung eines besonders schweren Falles führen können, oder ob auch ohne dass dieses Regelbeispiel erfüllt ist besondere Umstände einen unbenannten besonders schweren Fall zu begründen vermögen oder etwa ein anderes benanntes Regelbeispiel anzunehmen ist.“
28
b) Das vergleichbare Merkmal des „großen Ausmaßes“ im Sinne des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO hat der Bundesgerichtshof bislang nicht - wie beim Betrug - betragsmäßig bestimmt. Das lag in erster Linie daran, dass bei der früheren Gesetzesfassung - zu der die Entscheidungen ergangen sind - die objektive Komponente („großes Ausmaß“) mit der subjektiven Komponente („aus grobem Eigennutz“) verknüpft war, so dass eine eigenständige Auslegung nur des Merkmals „großes Ausmaß“ nicht veranlasst war.
29
Wegen der Verknüpfung von objektivem und subjektivem Merkmal hatte der Bundesgerichtshof eine Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung aller Umstände gefordert (vgl. BGH wistra 1993, 109,110). Von Bedeutung war dabei insbesondere, ob sich das Ausmaß aus dem noch durchschnittlich vorkommen- den Verkürzungsumfang heraushebt und ob ein „Täuschungsgebäude großen Ausmaßes“ vorliegt (vgl. BGH wistra 1987, 71, 72).
30
Auch in der Kommentarliteratur finden sich bisher sehr unterschiedliche und daher keine hinreichend klaren Maßstäbe für eine Grenzziehung. Während überwiegend - indes unter Geltung des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO aF - für die Annahme des „großen Ausmaßes“ eine Hinterziehung in Millionenhöhe für erforderlich erachtet wurde (Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht 6. Aufl. § 370 AO Rdn. 270; Klein/Gast-de Haan, AO 9. Aufl. § 370 Rdn. 68; Scheurmann -Kettner in Koch/Scholz, AO 5. Aufl. § 370 Rdn. 59), finden sich in der neueren Literatur Stimmen, die eine Steuerhinterziehung „in großem Ausmaß“ bereits ab einem Mindestbetrag von 50.000 € für möglich erachten (Kohlmann, Steuerstrafrecht 38. Lfg. August 2008 § 370 AO Rdn. 1099.7; Schäfer /Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung 4. Aufl. Rdn. 1022). Demgegenüber nehmen andere Autoren auch für die neue Fassung des Merkmals ein „großes Ausmaß“ erst bei einem Betrag von 500.000 € (Blesinger in Kühn/v. Wedelstädt, AO und FGO, 19. Aufl. § 370 AO Rdn. 114) oder einer Hinterziehung in Millionenhöhe an (Rolletschke in Rolletschke/Kemper, Steuerverfehlungen , 87. Ergänzungslieferung § 370 AO Rdn. 169) und halten teilweise auch weiterhin auch für die Bejahung des Merkmals eine Gesamtschau aller Umstände für erforderlich (Rolletschke in Stbg 2008, 49 und in Rolletschke/ Kemper aaO).
31
c) Das Merkmal „in großem Ausmaß“ im Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO bedarf nach Ansicht des Senats - in gleicher Weise wie beim Betrug - der Interpretation durch die Gerichte. Nur dann erhält das Merkmal seine den Anforderungen der Rechtssicherheit gerecht werdenden Konturen. Für eine Vergleichbarkeit mit dem Betrug spricht auch, dass der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in BGHSt 50, 299, 309 zu Recht ausgeführt hat, es sei geboten, „dem drohenden Ungleichgewicht zwischen der Strafpraxis bei der allgemeinen Kriminalität und der Strafpraxis in Steuer- und Wirtschaftsstrafverfahren entgegenzutreten und dem berechtigten besonderen öffentlichen Interesse an einer effektiven Strafverfolgung schwerwiegender Wirtschaftskriminalität gerecht zu werden.“
32
Dass der Gesetzgeber nicht selbst bestimmt hat, wann bei der Prüfung des Regelbeispiels von einem großen Ausmaß auszugehen ist, steht einer verfassungskonformen Auslegung nicht entgegen. Anders mag das etwa bei der Verwendung des Begriffs des großen Ausmaßes als Tatbestandsmerkmal eines Verbrechenstatbestandes sein (vgl. zu dem inzwischen aufgehobenen § 370a AO: BGH wistra 2004, 393 ff.; 2005, 30 ff.). Wie beim Begriff des Vermögensverlustes großen Ausmaßes im Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall des Betruges in § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB ist der Begriff des großen Ausmaßes auch in § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO in erster Linie nach objektiven Kriterien zu bestimmen. Zwar ist anerkannt, dass die Auslegung tatbestandsspezifisch zu erfolgen hat; gleichwohl ist bei von der Begehungsweise und vom Unwertgehalt ähnlichen Delikten wie dem Betrug und der Steuerhinterziehung eine einheitliche Grenzziehung in Betracht zu ziehen (vgl. BGHSt 48, 360, 364).
33
Dem steht nicht entgegen, dass sich, anders als bei der Einführung des § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB (vgl. BTDrucks. 13/8587 S. 43), in den Materialien zur Gesetzesentstehung des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO nF keine Anhaltspunkte dafür finden, ab welchem Grenzwert der Gesetzgeber eine Steuerhinterziehung von „großem Ausmaß“ als gegeben erachtet. Begründet wird lediglich die Streichung des einschränkenden subjektiven Merkmals des „groben Eigennutzes“ (BTDrucks. 16/5846 S. 75). Dass der Gesetzgeber hierbei an die Rechtsprechung anknüpfen wollte, die den Begriff des „großen Ausmaßes“ in den § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB konkretisierte, kann daher nicht ohne weiteres angenommen werden. Allerdings wollte der Gesetzgeber bereits mit der Einführung des § 370 Abs. 3 AO zum Ausdruck bringen, dass die Steuerhinterziehung „hinsichtlich ihrer Gefährlichkeit und ihrer Strafwürdigkeit nicht geringer zu bewerten ist als der Betrug“ (BGHSt 32, 95, 99 mit Hinweis auf BRDrucks. 23/71 S. 194).
34
d) Der Senat ist daher der Ansicht, dass das Merkmal „in großem Ausmaß“ des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO wie beim Betrug nach objektiven Maßstäben zu bestimmen ist. Das Merkmal „in großem Ausmaß“ liegt danach nur dann vor, wenn der Hinterziehungsbetrag 50.000 € übersteigt.
35
aa) Der Senat hat dabei auch bedacht, dass bei großen Geschäftsvolumina Steuerschäden in dieser Größenordnung schneller erreicht werden als bei wirtschaftlicher Betätigung im kleineren Umfang, dass der Tatbestand der Steuerhinterziehung regelmäßig bereits bei Gefährdung des Steueraufkommens verwirklicht wird (vgl. § 370 Abs. 4 Satz 1 AO), dass die Tatbestandsmäßigkeit weder direkten Vorsatz noch Bereicherungsabsicht voraussetzt und dass regelmäßig auch die bloße Untätigkeit den Straftatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt, weil die Abgabe von Steuererklärungen gesetzlich vorgeschrieben ist (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO).
36
Gleichwohl lassen derartige „qualitative“ Besonderheiten des Einzelfalls die Erfüllung des Ausmaßes der Steuerverkürzung unberührt, da solche Umstände die Auswirkungen der Tat auf das Steueraufkommen nicht verändern. Schutzgut des Straftatbestandes der Steuerhinterziehung ist - wie oben ausge- führt - das öffentliche Interesse am vollständigen und rechtzeitigen Aufkommen jeder einzelnen Steuerart. Im Übrigen schafft eine Abgrenzung, die sich an einer eindeutigen Betragsgrenze ausrichtet, größere Rechtssicherheit für die Praxis. Eine solche Relation von Geschäftsvolumen und Steuerschaden kann allerdings das Gewicht des Hinterziehungsbetrags bei der Strafzumessung vermindern.
37
bb) Der Umstand, dass sich die Betragsgrenze von 50.000 € an derjenigen des Vermögensverlustes großen Ausmaßes im Sinne von § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB orientiert, bedeutet zugleich, dass - ähnlich wie beim Betrug - zwischen schon eingetretenem Vermögensverlust und einem Gefährdungsschaden zu differenzieren ist:
38
(1) Die Betragsgrenze von 50.000 € kommt namentlich dann zur Anwendung , wenn der Täter ungerechtfertigte Zahlungen vom Finanzamt erlangt hat, etwa bei Steuererstattungen durch Umsatzsteuerkarusselle, Kettengeschäfte oder durch Einschaltung von sog. Serviceunternehmen. Ist hier - der „Steuerbetrug“ hat zu einem „Vermögensverlust“ geführt - diese Wertgrenze überschritten, dann ist das Merkmal erfüllt.
39
(2) Beschränkt sich das Verhalten des Täters dagegen darauf, die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis zu lassen und führt das lediglich zu einer Gefährdung des Steueranspruchs, dann kann das „große Ausmaß“ höher angesetzt werden. Der Senat hält hierbei eine Wertgrenze von 100.000 € für angemessen.
40
cc) Ob die Schwelle des „großen Ausmaßes“ überschritten ist, ist für jede einzelne Tat im materiellen Sinne gesondert zu bestimmen. Dabei genügt derjenige Erfolg, der für die Vollendung der Steuerhinterziehung ausreicht (vgl. Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht 6. Aufl. § 370 AO Rdn. 268). Der Senat ist der Ansicht, dass bei mehrfacher tateinheitlicher Verwirklichung des Tatbestandes der Steuerhinterziehung das „Ausmaß“ des jeweiligen Taterfolges zu addieren ist, da in solchen Fällen eine einheitliche Handlung im Sinne des § 52 StGB vorliegt, die für die Strafzumessung einer einheitlichen Bewertung bedarf.
41
e) Liegt nach diesen Maßstäben eine Hinterziehung von „großem Ausmaß“ vor, so hat dies - unabhängig von der Frage, ob die Regelwirkung einer besonders schweren Steuerhinterziehung im konkreten Fall zur Anwendung kommt - „Indizwirkung“, freilich auch nicht mehr, für die zu findende Strafhöhe. Das bedeutet:
42
Jedenfalls bei einem sechsstelligen Hinterziehungsbetrag wird die Verhängung einer Geldstrafe nur bei Vorliegen von gewichtigen Milderungsgründen noch schuldangemessen sein. Bei Hinterziehungsbeträgen in Millionenhöhe kommt eine aussetzungsfähige Freiheitsstrafe nur bei Vorliegen besonders gewichtiger Milderungsgründe noch in Betracht (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 176, 178).
43
Schon deswegen wird bei der letztgenannten Fallgestaltung (Millionenbetrag ) ein Strafbefehlsverfahren regelmäßig nicht geeignet erscheinen (vgl. § 400 AO i.V.m. § 407 StPO). Hinzu kommt, dass bei Steuerverkürzungen in dieser Größenordnung in der Regel auch das Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der Wahrung der Gleichbehandlung vor Gericht - das eine öffentliche Haupt- verhandlung am besten gewährleistet - nicht gering zu achten ist (vgl. § 407 Abs. 1 Satz 2 StPO).
44
f) Die „Indizwirkung“ des „großen Ausmaßes“ kann einerseits durch sonstige Milderungsgründe beseitigt, andererseits aber auch durch Strafschärfungsgründe verstärkt werden.
45
aa) Ein die Indizwirkung des Hinterziehungsbetrages beseitigender Milderungsgrund ist etwa gegeben, wenn sich der Täter im Tatzeitraum im Wesentlichen steuerehrlich verhalten hat und die Tat nur einen verhältnismäßig geringen Teil seiner steuerlich relevanten Betätigungen betrifft. Bedeutsam ist daher das Verhältnis der verkürzten zu den gezahlten Steuern. Hat sich der Täter vor der Tat über einen längeren Zeitraum steuerehrlich verhalten, ist auch dies in den Blick zu nehmen. In die vorzunehmende Gesamtwürdigung ist auch die Lebensleistung und das Verhalten des Täters nach Aufdeckung der Tat einzubeziehen , etwa ein (frühzeitiges) Geständnis, verbunden mit der Nachzahlung verkürzter Steuern oder jedenfalls dem ernsthaften Bemühen hierzu. Der „Schadenswiedergutmachung“ durch Nachzahlung verkürzter Steuern kommt schon im Hinblick auf die Wertung des Gesetzgebers im Falle einer Selbstanzeige (§ 371 AO) besondere strafmildernde Bedeutung zu.
46
bb) Gegen eine Geldstrafe oder - bei entsprechend hohem Hinterziehungsbetrag - eine aussetzungsfähige Freiheitsstrafe spricht es insbesondere, wenn der Täter Aktivitäten entfaltet hat, die von vornherein auf die Schädigung des Steueraufkommens in großem Umfang ausgelegt waren, etwa weil der Täter unter Vorspiegelung erfundener Sachverhalte das „Finanzamt als Bank“ betrachtete und in erheblichem Umfang ungerechtfertigte Vorsteuererstattungen erlangt hat oder weil der Täter die Steuerhinterziehung in sonstiger Weise ge- werbsmäßig oder gar „als Gewerbe“ betrieb. Gleiches gilt auch für den Aufbau eines aufwändigen Täuschungssystems, die systematische Verschleierung von Sachverhalten und die Erstellung oder Verwendung unrichtiger oder verfälschter Belege zu Täuschungszwecken.
47
Strafschärfende Bedeutung hat es zudem, wenn der Täter besondere Unternehmensstrukturen aufgebaut hat, die auch der Bereicherung durch Steuerhinterziehung dienen sollten, wenn der Täter das Ziel verfolgt hat, das Steueraufkommen durch wiederholte Tatbegehung über einen längeren Zeitraum nachhaltig zu schädigen, wenn er andere Personen verstrickt hat, wenn er systematisch Scheingeschäfte getätigt oder Scheinhandlungen vorgenommen hat (vgl. § 41 Abs. 2 Satz 1 AO) oder wenn er in größerem Umfang buchtechnische Manipulationen vorgenommen oder gezielt durch Einschaltung von Domizilfirmen im Ausland oder Gewinnverlagerungen ins Ausland schwer aufklärbare Sachverhalte geschaffen hat (vgl. auch die Beispiele bei Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung 4. Aufl. Rdn. 1018 m.w.N.). Solche Umstände sind bei anpassungsfähigen Hinterziehungssystemen, wie etwa den sog. Umsatzsteuerkarussellgeschäften, bei Kettengeschäften unter Einschaltung sog. „Serviceunternehmen“ und im Bereich der illegalen Arbeitnehmerüberlassungen regelmäßig gegeben (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 176, 178).
48
4. Für Steuerhinterziehungen, die seit dem 1. Januar 2008 - dem Inkrafttreten der neuen Fassung des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO durch das Gesetz zur Änderung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmethoden sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG v. 21. Dezember 2007 (BGBl. I 3198) - begangen wurden, kommt der Streichung des subjektiven Merkmals „aus grobem Eigennutz“ aus dem Regelbeispiel zusätzliches Gewicht zu. Hier erfüllt schon das objektive Merkmal „großes Aus- maß“ - wie es oben vom Senat bestimmt wurde - das Regelbeispiel des besonders schweren Falles des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO.
49
Die Bejahung bzw. Verneinung des Regelbeispiels in einem ersten Prüfungsschritt bei der Strafrahmenwahl bedeutet freilich, dass - wie bei sonstigen Regelbeispielen - in einem zweiten Schritt zu prüfen ist, ob die Besonderheiten des Einzelfalls die Indizwirkung des Regelbeispiels entkräften, bzw. ob - umgekehrt - ein unbenannter besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung vorliegt , obwohl der Hinterziehungsbetrag unter 50.000 € liegt.
50
Insoweit gelten die allgemeinen Grundsätze für die Strafrahmenwahl bei Regelbeispielen. Danach entfällt die Regelwirkung, wenn diese Faktoren jeweils für sich oder in ihrer Gesamtheit so gewichtig sind, dass sie bei der Gesamtabwägung die Regelwirkung entkräften. Es müssen in dem Tun oder in der Person des Täters Umstände vorliegen, die das Unrecht seiner Tat oder seiner Schuld deutlich vom Regelfall abheben, so dass die Anwendung des erschwerten Strafrahmens unangemessen erscheint (ständige Rspr.; vgl. BGHSt 20, 121, 125). Für die hierbei vorzunehmende Gesamtabwägung haben namentlich die oben genannten Milderungs- und Schärfungsgründe Gewicht.
51
5. Gemessen daran sind die dem Strafrahmen des § 370 Abs. 1 AO entnommenen Einzelstrafen und die Gesamtstrafe rechtsfehlerfrei. Das Landgericht hat zu Recht den hohen Steuerschäden das ihnen zukommende Gewicht beigemessen. Namentlich die beiden Einsatzstrafen von jeweils einem Jahr und drei Monaten für die Umsatzsteuerhinterziehungen 2002 und 2003 mit hinterzogenen Steuern in Höhe von jeweils über 150.000 € werden den oben genannten Strafzumessungskriterien gerecht.

V.

52
Die Revision bemängelt, das Landgericht habe sowohl bei der Beitragsals auch bei der Steuerhinterziehung einerseits die Höhe der durch die Taten verursachten Schäden zu Lasten des Angeklagten gewertet, andererseits aber strafmildernd berücksichtigt, dass die Schäden ausgeglichen worden seien. Hiergegen ist jedoch nichts zu erinnern. Diese Strafzumessungserwägungen erweisen sich nicht als widersprüchlich. Gemäß § 46 Abs. 2 StGB sind sowohl die verschuldeten Folgen der Tat als auch die Schadenswiedergutmachung strafzumessungsrelevante Faktoren. Bei einer nachträglichen Schadenswiedergutmachung ist das Landgericht nicht gehalten, den Umfang der zunächst hinterzogenen Steuern und den Umfang der den Einzugsstellen zunächst vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge im Rahmen der Strafzumessung unberücksichtigt zu lassen.

VI.

53
Die Versagung der Strafaussetzung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und elf Monaten zur Bewährung hält rechtlicher Nachprüfung noch stand.
54
Allerdings weist die Revision mit Recht darauf hin, dass auch bei der gemäß § 56 Abs. 2 StGB vom Tatgericht vorzunehmenden Prüfung, ob die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe, die ein Jahr übersteigt, zur Bewährung ausgesetzt werden kann, der Kriminalprognose des Täters Bedeutung zukommt. Denn die Prüfung, ob besondere Umstände von Gewicht im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB vorliegen, erfordert eine Gesamtwürdigung der Tat und der Persönlichkeit des Verurteilten. Zu den dabei zu berücksichtigenden Umständen gehört auch eine günstige Kriminalprognose (vgl. BGH StV 2003, 670; BGH NStZ 1997, 434; jeweils m.w.N.). Es wäre daher rechtsfehlerhaft, die Frage der Kriminalprognose als von vornherein für die Gesamtwürdigung bedeutungslos dahinstehen zu lassen (vgl. BGH, Beschl. vom 11. Dezember 2002 - 1 StR 454/02). Anders verhält es sich aber dann, wenn das Tatgericht die Gesamtwürdigung auch auf der Basis einer günstigen Kriminalprognose durchführt und dabei zum Ergebnis gelangt, dass selbst unter dieser Prämisse besondere Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB nicht vorliegen. Bei einem solchen Vorgehen wird die Kriminalprognose des Täters nicht als bedeutungslos angesehen ; sie hat aber im konkreten Fall auf das Ergebnis der Gesamtwürdigung keine für den Verurteilten günstigen Auswirkungen.
55
So liegt der Fall hier. Die Strafkammer hatte zwar im Hinblick auf die einschlägige Vorstrafe des Angeklagten und seinen Bewährungsbruch erhebliche Zweifel daran, dass sich der Angeklagte schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird (UA S. 43). Aus dem Gesamtzusammenhang der vom Landgericht insoweit angestellten Erwägungen ergibt sich aber, dass es im Rahmen der durchgeführten Gesamtwürdigung auch unter Berücksichtigung einer günstigen Kriminalprognose zum Fehlen besonderer Umstände gelangt ist. Der Senat entnimmt der missverständlichen Formulierung in den Urteilsgründen , die Frage der Kriminalprognose könne „letztlich“ offen bleiben, nicht, die Strafkammer habe diese Frage für die nach § 56 Abs. 2 StGB als von vornherein unbeachtlich gehalten.
Nack Wahl Hebenstreit
Jäger Sander

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht,
2.
die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt oder
3.
pflichtwidrig die Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern unterlässt
und dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
in großem Ausmaß Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt,
2.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger oder Europäischer Amtsträger (§ 11 Absatz 1 Nummer 2a des Strafgesetzbuchs) missbraucht,
3.
die Mithilfe eines Amtsträgers oder Europäischen Amtsträgers (§ 11 Absatz 1 Nummer 2a des Strafgesetzbuchs) ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht,
4.
unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt,
5.
als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Taten nach Absatz 1 verbunden hat, Umsatz- oder Verbrauchssteuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Umsatz- oder Verbrauchssteuervorteile erlangt oder
6.
eine Drittstaat-Gesellschaft im Sinne des § 138 Absatz 3, auf die er alleine oder zusammen mit nahestehenden Personen im Sinne des § 1 Absatz 2 des Außensteuergesetzes unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden oder bestimmenden Einfluss ausüben kann, zur Verschleierung steuerlich erheblicher Tatsachen nutzt und auf diese Weise fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.

(4) Steuern sind namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden; dies gilt auch dann, wenn die Steuer vorläufig oder unter Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt wird oder eine Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht. Steuervorteile sind auch Steuervergütungen; nicht gerechtfertigte Steuervorteile sind erlangt, soweit sie zu Unrecht gewährt oder belassen werden. Die Voraussetzungen der Sätze 1 und 2 sind auch dann erfüllt, wenn die Steuer, auf die sich die Tat bezieht, aus anderen Gründen hätte ermäßigt oder der Steuervorteil aus anderen Gründen hätte beansprucht werden können.

(5) Die Tat kann auch hinsichtlich solcher Waren begangen werden, deren Einfuhr, Ausfuhr oder Durchfuhr verboten ist.

(6) Die Absätze 1 bis 5 gelten auch dann, wenn sich die Tat auf Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verwaltet werden oder die einem Mitgliedstaat der Europäischen Freihandelsassoziation oder einem mit dieser assoziierten Staat zustehen. Das Gleiche gilt, wenn sich die Tat auf Umsatzsteuern oder auf die in Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16. Dezember 2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG (ABl. L 9 vom 14.1.2009, S. 12) genannten harmonisierten Verbrauchsteuern bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verwaltet werden.

(7) Die Absätze 1 bis 6 gelten unabhängig von dem Recht des Tatortes auch für Taten, die außerhalb des Geltungsbereiches dieses Gesetzes begangen werden.

17
a) Nach der Bewertung der Strafkammer „werden die Steuerschäden durch die Tatsache relativiert, dass ein Großteil durch die Angeklagten sowie die Firma L. wieder gut gemacht worden“ ist. Die vom Angeklagten „hinterzogenen Umsatzsteuern wurden mittlerweile vollständig beglichen“. Es bleibt allerdings offen, woher die Geldmittel hierzu stammen. Nach den Fest- stellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten und zu seinem Gewinn (mitgeteilt wird von der Strafkammer ein Rohertrag von 2 %; die Summe der für den Tatzeitraum aufgeführten Einkäufe liegt allerdings über den Erlösen während dieser Zeit) aus dem inkriminierten Handel mit Telefonkarten erscheint es ohne nähere Darlegungen kaum nachvollziehbar, dass er selbst zur Schadenswiedergutmachung in der Lage war. Im Übrigen ändert die Bezahlung der geschuldeten hinterzogenen Steuern nichts an der Indizwirkung der Überschreitung der 100.000 €-Grenze für besonders schwere Fälle. Denn hierbei ist schon berücksichtigt, dass es lediglich zu einer Gefährdung des Steueranspruchs kommt (Senat aaO Rn. 39).

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht,
2.
die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt oder
3.
pflichtwidrig die Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern unterlässt
und dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
in großem Ausmaß Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt,
2.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger oder Europäischer Amtsträger (§ 11 Absatz 1 Nummer 2a des Strafgesetzbuchs) missbraucht,
3.
die Mithilfe eines Amtsträgers oder Europäischen Amtsträgers (§ 11 Absatz 1 Nummer 2a des Strafgesetzbuchs) ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht,
4.
unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt,
5.
als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Taten nach Absatz 1 verbunden hat, Umsatz- oder Verbrauchssteuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Umsatz- oder Verbrauchssteuervorteile erlangt oder
6.
eine Drittstaat-Gesellschaft im Sinne des § 138 Absatz 3, auf die er alleine oder zusammen mit nahestehenden Personen im Sinne des § 1 Absatz 2 des Außensteuergesetzes unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden oder bestimmenden Einfluss ausüben kann, zur Verschleierung steuerlich erheblicher Tatsachen nutzt und auf diese Weise fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.

(4) Steuern sind namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden; dies gilt auch dann, wenn die Steuer vorläufig oder unter Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt wird oder eine Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht. Steuervorteile sind auch Steuervergütungen; nicht gerechtfertigte Steuervorteile sind erlangt, soweit sie zu Unrecht gewährt oder belassen werden. Die Voraussetzungen der Sätze 1 und 2 sind auch dann erfüllt, wenn die Steuer, auf die sich die Tat bezieht, aus anderen Gründen hätte ermäßigt oder der Steuervorteil aus anderen Gründen hätte beansprucht werden können.

(5) Die Tat kann auch hinsichtlich solcher Waren begangen werden, deren Einfuhr, Ausfuhr oder Durchfuhr verboten ist.

(6) Die Absätze 1 bis 5 gelten auch dann, wenn sich die Tat auf Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verwaltet werden oder die einem Mitgliedstaat der Europäischen Freihandelsassoziation oder einem mit dieser assoziierten Staat zustehen. Das Gleiche gilt, wenn sich die Tat auf Umsatzsteuern oder auf die in Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16. Dezember 2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG (ABl. L 9 vom 14.1.2009, S. 12) genannten harmonisierten Verbrauchsteuern bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verwaltet werden.

(7) Die Absätze 1 bis 6 gelten unabhängig von dem Recht des Tatortes auch für Taten, die außerhalb des Geltungsbereiches dieses Gesetzes begangen werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 81/11
vom
12. Juli 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Juli 2011 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 12. November 2010 wird als unbegründet verworfen , da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat: Ab einem Hinterziehungsbetrag von 50.000 € sind Steuern in großem Maße verkürzt bzw. im großen Ausmaß nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt (§ 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO), wenn der Täter ungerechtfertigte Zahlungen vom Finanzamt erlangt hat, etwa bei Steuererstattungen durch Umsatzsteuerkarusselle , Kettengeschäfte oder durch Einschaltung von sog. Serviceunternehmen. Beschränkt sich das Verhalten des Täters dagegen darauf, die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis zu lassen - wie hier durch Nichterklärung eines Teils der Umsätze -, liegt die Wertgrenze zum großen Ausmaß bei 100.000 € (BGH, Urteil vom 2. Dezember 2008 - 1 StR 416/08 -, Rn. 38, 39, BGHSt 53, 71, 85). Die Strafkammer ist zwar zunächst unzutreffend von der 50.000 €-Grenze ausgegangen.Hierauf beruht das Urteil jedoch nicht. Die Strafkammer hat nämlich gleichwohl bei den entsprechenden Taten keine besonders schweren Fälle i.S.v. § 370 Abs. 3 AO angenommen. Der Senat vermag auszuschließen, dass das Landgericht bei Vermeidung des Irrtums mildere Einzelstrafen und eine noch mildere Gesamtstrafe verhängt hätte. Nack Wahl Hebenstreit Graf Jäger

(1) Wer gegenüber der Finanzbehörde zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem Umfang die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachholt, wird wegen dieser Steuerstraftaten nicht nach § 370 bestraft. Die Angaben müssen zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart, mindestens aber zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre erfolgen.

(2) Straffreiheit tritt nicht ein, wenn

1.
bei einer der zur Selbstanzeige gebrachten unverjährten Steuerstraftaten vor der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung
a)
dem an der Tat Beteiligten, seinem Vertreter, dem Begünstigten im Sinne des § 370 Absatz 1 oder dessen Vertreter eine Prüfungsanordnung nach § 196 bekannt gegeben worden ist, beschränkt auf den sachlichen und zeitlichen Umfang der angekündigten Außenprüfung, oder
b)
dem an der Tat Beteiligten oder seinem Vertreter die Einleitung des Straf- oder Bußgeldverfahrens bekannt gegeben worden ist oder
c)
ein Amtsträger der Finanzbehörde zur steuerlichen Prüfung erschienen ist, beschränkt auf den sachlichen und zeitlichen Umfang der Außenprüfung, oder
d)
ein Amtsträger zur Ermittlung einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit erschienen ist oder
e)
ein Amtsträger der Finanzbehörde zu einer Umsatzsteuer-Nachschau nach § 27b des Umsatzsteuergesetzes, einer Lohnsteuer-Nachschau nach § 42g des Einkommensteuergesetzes oder einer Nachschau nach anderen steuerrechtlichen Vorschriften erschienen ist und sich ausgewiesen hat oder
2.
eine der Steuerstraftaten im Zeitpunkt der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung ganz oder zum Teil bereits entdeckt war und der Täter dies wusste oder bei verständiger Würdigung der Sachlage damit rechnen musste,
3.
die nach § 370 Absatz 1 verkürzte Steuer oder der für sich oder einen anderen erlangte nicht gerechtfertigte Steuervorteil einen Betrag von 25 000 Euro je Tat übersteigt, oder
4.
ein in § 370 Absatz 3 Satz 2 Nummer 2 bis 6 genannter besonders schwerer Fall vorliegt.
Der Ausschluss der Straffreiheit nach Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a und c hindert nicht die Abgabe einer Berichtigung nach Absatz 1 für die nicht unter Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a und c fallenden Steuerstraftaten einer Steuerart.

(2a) Soweit die Steuerhinterziehung durch Verletzung der Pflicht zur rechtzeitigen Abgabe einer vollständigen und richtigen Umsatzsteuervoranmeldung oder Lohnsteueranmeldung begangen worden ist, tritt Straffreiheit abweichend von den Absätzen 1 und 2 Satz 1 Nummer 3 bei Selbstanzeigen in dem Umfang ein, in dem der Täter gegenüber der zuständigen Finanzbehörde die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachholt. Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 gilt nicht, wenn die Entdeckung der Tat darauf beruht, dass eine Umsatzsteuervoranmeldung oder Lohnsteueranmeldung nachgeholt oder berichtigt wurde. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht für Steueranmeldungen, die sich auf das Kalenderjahr beziehen. Für die Vollständigkeit der Selbstanzeige hinsichtlich einer auf das Kalenderjahr bezogenen Steueranmeldung ist die Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung der Voranmeldungen, die dem Kalenderjahr nachfolgende Zeiträume betreffen, nicht erforderlich.

(3) Sind Steuerverkürzungen bereits eingetreten oder Steuervorteile erlangt, so tritt für den an der Tat Beteiligten Straffreiheit nur ein, wenn er die aus der Tat zu seinen Gunsten hinterzogenen Steuern, die Hinterziehungszinsen nach § 235 und die Zinsen nach § 233a, soweit sie auf die Hinterziehungszinsen nach § 235 Absatz 4 angerechnet werden, sowie die Verzugszinsen nach Artikel 114 des Zollkodex der Union innerhalb der ihm bestimmten angemessenen Frist entrichtet. In den Fällen des Absatzes 2a Satz 1 gilt Satz 1 mit der Maßgabe, dass die fristgerechte Entrichtung von Zinsen nach § 233a oder § 235 unerheblich ist.

(4) Wird die in § 153 vorgesehene Anzeige rechtzeitig und ordnungsmäßig erstattet, so wird ein Dritter, der die in § 153 bezeichneten Erklärungen abzugeben unterlassen oder unrichtig oder unvollständig abgegeben hat, strafrechtlich nicht verfolgt, es sei denn, dass ihm oder seinem Vertreter vorher die Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens wegen der Tat bekannt gegeben worden ist. Hat der Dritte zum eigenen Vorteil gehandelt, so gilt Absatz 3 entsprechend.

(1) Verletzt dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrmals, so wird nur auf eine Strafe erkannt.

(2) Sind mehrere Strafgesetze verletzt, so wird die Strafe nach dem Gesetz bestimmt, das die schwerste Strafe androht. Sie darf nicht milder sein, als die anderen anwendbaren Gesetze es zulassen.

(3) Geldstrafe kann das Gericht unter den Voraussetzungen des § 41 neben Freiheitsstrafe gesondert verhängen.

(4) Auf Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Absatz 1 Nummer 8) muss oder kann erkannt werden, wenn eines der anwendbaren Gesetze dies vorschreibt oder zulässt.

17
a) Nach der Bewertung der Strafkammer „werden die Steuerschäden durch die Tatsache relativiert, dass ein Großteil durch die Angeklagten sowie die Firma L. wieder gut gemacht worden“ ist. Die vom Angeklagten „hinterzogenen Umsatzsteuern wurden mittlerweile vollständig beglichen“. Es bleibt allerdings offen, woher die Geldmittel hierzu stammen. Nach den Fest- stellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten und zu seinem Gewinn (mitgeteilt wird von der Strafkammer ein Rohertrag von 2 %; die Summe der für den Tatzeitraum aufgeführten Einkäufe liegt allerdings über den Erlösen während dieser Zeit) aus dem inkriminierten Handel mit Telefonkarten erscheint es ohne nähere Darlegungen kaum nachvollziehbar, dass er selbst zur Schadenswiedergutmachung in der Lage war. Im Übrigen ändert die Bezahlung der geschuldeten hinterzogenen Steuern nichts an der Indizwirkung der Überschreitung der 100.000 €-Grenze für besonders schwere Fälle. Denn hierbei ist schon berücksichtigt, dass es lediglich zu einer Gefährdung des Steueranspruchs kommt (Senat aaO Rn. 39).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 359/10
vom
11. Oktober 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Untreue
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. Oktober 2010 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
München I vom 12. Januar 2010 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Der Angeklagte hat seiner Arbeitgeberin, einer Versicherung, durch 54 Fälle gewerbsmäßiger Untreue (§§ 266 Abs. 1, 2, § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB) einen später teilweise wieder ausgeglichenen Gesamtschaden von über 530.000 € zugefügt. Nach Verständigung (§ 257c StPO) wurde er auf übereinstimmenden Antrag der Beteiligten zu drei Jahren Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt.
2
Seine Revision ist auf überwiegend mit der Verständigung zusammenhängende Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützt. Zum Strafausspruch ist näher ausgeführt, die Strafkammer habe zu Unrecht § 46a StGB nicht geprüft und entgegen § 244 Abs. 2 StPO eine gebotene Beweiserhebung unterlassen.
3
Die Revision bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

4
Zur Verständigung:
5
1. Gestützt auf das Hauptverhandlungsprotokoll weist die Revision darauf hin, dass nur eine Gesamtstrafe „von nicht mehr als drei Jahren“ zugesichert , aber keine Mindeststrafe genannt ist.
6
Der Senat neigt zu der Auffassung, dass bei Mitteilung eines möglichen Verfahrensergebnisses (§ 257c Abs. 3 Satz 2 StPO) stets ein Strafrahmen, also Strafober- und Strafuntergrenze, anzugeben ist (vgl. näher BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2010 - 1 StR 347/10 mwN). Letztlich kann diese unterschiedlich beurteilte Frage (vgl. BGH aaO mwN) aber offen bleiben; es ist nicht ersichtlich, wie sich ein (etwaiger) Verfahrensfehler hier zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt haben könnte (vgl. BGH aaO mwN). Insbesondere teilt der Senat nicht die Besorgnis, wegen der nicht genannten Strafuntergrenze könne sich die Strafkammer auf eine nicht zulässige „Punktstrafe“ (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juli 2010 - 1 StR 345/10 mwN, NStZ 2010, 650) festgelegt haben.
7
2. Mit dem Hinweis, das Hauptverhandlungsprotokoll ergebe entgegen § 257c Abs. 3 Satz 4 StPO nicht, ob eine Verständigung zustande gekommen sei, ist nicht prozessordnungswidriges Geschehen behauptet, sondern nur, dass das Protokoll nicht den Anforderungen des § 273 Abs. 1a StPO genüge (vgl. Schlothauer/Weider StV 2009, 600, 604; Meyer-Goßner, StPO 53. Aufl. § 273 Rn. 12a f.). Eine „Protokollrüge“ ist unbehelflich, ein Urteil kann nicht auf dem Protokoll beruhen (vgl. Wiedner in Graf, StPO § 344 Rn. 46, Meyer-Goßner, aaO Rn. 36 jew. mwN).
8
3. Im Urteil heißt es, eine Verständigung sei vorausgegangen, dem Angeklagten sei eine Gesamtstrafe von nicht mehr als drei Jahren zugesichert worden. Der Hinweis der Revision, dass dem Urteil „unmittelbar nicht (zu) entnehmen“ sei, „ob die Verfahrensbeteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten … und … zugestimmt haben (§ 257c Abs. 3 Satz 3 und Satz 4 StPO)“, belegt keinen Rechtsfehler. Im Urteil ist nur eine gegebenenfalls vorausgegangene Verständigung festzustellen (§ 267 Abs. 3 Satz 5 StPO), die Angabe ihres Inhalts ist nicht geboten (BGH, Beschluss vom 13. Januar 2010 - 3 StR 528/09, NStZ-RR 2010, 151), ebenso wenig Ausführungen zu sonstigem Prozessgeschehen (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Mai 2009 - 1 StR 99/09, Rn. 10, NJW 2009, 2612, 2613).

II.

9
Zum übrigen Revisionsvorbringen:
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1. Der Schuldspruch ist rechtsfehlerfrei.
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2. Gleiches gilt für den Strafausspruch:
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a) Der Angeklagte führte die im Kern identischen Taten - ihm floss Geld aus von ihm veranlassten grundlosen Zahlungsanweisungen zu - auf unterschiedliche Weise durch. Zunächst wurden nur über ein bestimmtes Konto abgewickelte Zahlungen entdeckt. Das Arbeitsverhältnis wurde sofort beendet, der Angeklagte gab ein der Höhe nach an dem bis dahin aufgedeckten Schaden orientiertes notarielles Schuldanerkenntnis ab. Als weiterer Schaden von etwa 150.000 € ermittelt war, hat er ein weiteres Schuldanerkenntnis „verweigert“, in der Hauptverhandlung dann aber angekündigt.
13
Ein nicht am tatsächlichen Schaden, sondern am Ermittlungsstand orientiertes und auch sonst zumindest sehr zögerliches Verhalten legt schon im Ansatz eine - fakultative - Strafrahmenmilderung gemäß § 46a StGB nicht ohne weiteres nahe (vgl. zum Fall mehrerer, bezüglich einer Wiedergutmachung unterschiedlich behandelter Opfer Theune in LK 12. Aufl. § 46a Rn. 48). Dies kann aber dahinstehen, da allein ein Schuldanerkenntnis oder gar dessen bloße Ankündigung keine Grundlage eines TäterOpfer -Ausgleichs in der hier allein in Betracht kommenden Alternative des § 46a Nr. 2 StGB sein kann (Theune aaO Rn. 43).
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b) Vergeblich beruft sich die Revision für ihre gegenteilige Auffassung auf die Entscheidungen des Senats vom 7. Oktober 2003 (1 StR 274/03, NJW 2004, 169 ff.) und 17. Dezember 2008 (1 StR 664/08, NStZ-RR 2009, 133 f.). In beiden Fällen hatten die Angeklagten nicht nur ein Schuldanerkenntnis abgegeben, oder gar nur angekündigt (1 StR 274/03) oder nur einen Vergleich abgeschlossen (1 StR 664/08), sondern es waren auch Zahlungen geflossen (1 StR 274/03: „Schadensersatz in Höhe von 250.000 € geleistet“ , NJW aaO 170; 1 StR 664/08: „freiwilliger Einsatz von Vermögen“ , NStZ-RR aaO 134).
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c) Allerdings sind auch hier der Geschädigten etwa 111.000 € zugeflossen. Etwa 71.000 € stammen aus der Verwertung gepfändeter Gegenstände, insbesondere von vier (vom Angeklagten mit der Beute bezahlten) Kraftfahrzeugen. Etwa 40.000 € stammen aus einer Lebensversicherung und einer privaten Rentenversicherung des Angeklagten. In einem im Rahmen der Revisionsbegründung mitgeteilten Schreiben der „A. L. -AG“ an die geschädigte „A. D. AG“ ist in diesem Zusammenhang von „Ihrer Kündigung“ und „Ihrer Pfändung“ und beachtetem gesetzlichen „Pfändungsschutz“ die Rede. Der - letztlich entscheidende - Geldzufluss bei der Ge- schädigten wurde also mit Mitteln (z.B. Pfändungen) erreicht, die das Gesetz einem Gläubiger zur Durchsetzung seiner freiwillig vom Schuldner nicht erfüllten Ansprüche zur Verfügung stellt. Darauf beruhende Erfolge des Gläubigers können aber auch dann keine Grundlage für eine Strafrahmenmilderung gemäß § 46a StGB für den Schuldner sein, wenn der zu Grunde liegende Titel ein Schuldanerkenntnis ist.
16
d) All dies gilt zumindest entsprechend auch für die Feststellungen zu dem Wohnhaus, das der Angeklagte zusammen mit seiner Ehefrau im Jahr 2005 für ca. 400.000 € erworben hat; von den zur Finanzierung aufgenommenen Krediten sind noch ca. 225.000 € abzutragen, die monatlichen Raten wurden nicht zuletzt aus der Beute bezahlt. Den Anteil des Angeklagten an dem Haus hat die Geschädigte gepfändet, aber offenbar noch nicht verwertet. Zu einem freiwilligen Verkauf ist der Angeklagte erst bereit, wenn zwei seiner drei zwischen zehn und 17 Jahre alten Kinder „finanziell selbständig“ sind, also frühestens nach einer Reihe von Jahren. Vage Versprechungen für eine ferne Zukunft oder eine mögliche zwangsweise Realisierung von Schadensersatzansprüchen sind jedoch keine tragfähige Grundlage einer Strafrahmenmilderung gemäß § 46a StGB.
17
e) Eine ausdrückliche Erörterung dieser Möglichkeit war nach alledem nicht geboten.
18
f) Auch wenn die Voraussetzungen von § 46a StGB fehlen, kann doch eine auf Zwangsvollstreckung beruhende Schadensbeseitigung oder (hier) -verringerung im Blick auf den letztlichen Erfolgsunwert der Tat für die Strafzumessung Bedeutung gewinnen (Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung 4. Aufl. Rn. 320). Auch ein Schuldanerkenntnis, oder - soweit als glaubhaft bewertet - die Ankündigung künftigen Verhaltens kann bei der Strafzumessung berücksichtigt werden. Die Erwägungen der Strafkammer werden alledem gerecht, Rechtsfehler sind nicht ersichtlich. Die von der Revision vermissten Feststellungen zum Wert des gepfändeten Hausanteils ergeben sich der maßgeblichen Größenordnung nach mit genügender Klarheit aus den Feststellungen zum Kaufpreis des Hauses und den insoweit noch nicht abgetragenen Belastungen. Der Vortrag der Revision zu der in diesem Zusammenhang geltend gemachten Verletzung von § 244 Abs. 2 StPO (Aufklärungsrüge) genügt den Anforderungen von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht. Das von der vermissten Beweiserhebung über den Wert des gepfändeten Hausanteils zu erwartende Beweisergebnis ist nicht einmal ansatzweise mitgeteilt.
Nack Wahl Elf Graf Jäger

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht,
2.
die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt oder
3.
pflichtwidrig die Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern unterlässt
und dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
in großem Ausmaß Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt,
2.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger oder Europäischer Amtsträger (§ 11 Absatz 1 Nummer 2a des Strafgesetzbuchs) missbraucht,
3.
die Mithilfe eines Amtsträgers oder Europäischen Amtsträgers (§ 11 Absatz 1 Nummer 2a des Strafgesetzbuchs) ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht,
4.
unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt,
5.
als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Taten nach Absatz 1 verbunden hat, Umsatz- oder Verbrauchssteuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Umsatz- oder Verbrauchssteuervorteile erlangt oder
6.
eine Drittstaat-Gesellschaft im Sinne des § 138 Absatz 3, auf die er alleine oder zusammen mit nahestehenden Personen im Sinne des § 1 Absatz 2 des Außensteuergesetzes unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden oder bestimmenden Einfluss ausüben kann, zur Verschleierung steuerlich erheblicher Tatsachen nutzt und auf diese Weise fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.

(4) Steuern sind namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden; dies gilt auch dann, wenn die Steuer vorläufig oder unter Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt wird oder eine Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht. Steuervorteile sind auch Steuervergütungen; nicht gerechtfertigte Steuervorteile sind erlangt, soweit sie zu Unrecht gewährt oder belassen werden. Die Voraussetzungen der Sätze 1 und 2 sind auch dann erfüllt, wenn die Steuer, auf die sich die Tat bezieht, aus anderen Gründen hätte ermäßigt oder der Steuervorteil aus anderen Gründen hätte beansprucht werden können.

(5) Die Tat kann auch hinsichtlich solcher Waren begangen werden, deren Einfuhr, Ausfuhr oder Durchfuhr verboten ist.

(6) Die Absätze 1 bis 5 gelten auch dann, wenn sich die Tat auf Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verwaltet werden oder die einem Mitgliedstaat der Europäischen Freihandelsassoziation oder einem mit dieser assoziierten Staat zustehen. Das Gleiche gilt, wenn sich die Tat auf Umsatzsteuern oder auf die in Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16. Dezember 2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG (ABl. L 9 vom 14.1.2009, S. 12) genannten harmonisierten Verbrauchsteuern bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verwaltet werden.

(7) Die Absätze 1 bis 6 gelten unabhängig von dem Recht des Tatortes auch für Taten, die außerhalb des Geltungsbereiches dieses Gesetzes begangen werden.