Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Dez. 2018 - 1 StR 600/18
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu 2. auf dessen Antrag – am 20. Dezember 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Vergewaltigung unter Einbeziehung einer Strafe aus einem Strafbefehl des Amtsgerichts Heilbronn zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und zwei Monaten verurteilt, eine in dem Strafbefehl angeordnete führerscheinrechtliche Maßnahme aufrechterhalten sowie festgestellt, dass der Angeklagte dem Grunde nach verpflichtet ist, an die Nebenklägerin ein Schmerzensgeld zu zahlen.
- 2
- Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Sein Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
- 3
- 1. Der Generalbundesanwalt hat in seiner Zuschrift ausgeführt: „Keinen Bestand haben kann hingegen die Nichtanordnung der Unter- bringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt.
a) Bereits die Annahme, bei dem Angeklagten liege kein Hang im Sinne des § 64 StGB vor, da – unabhängig von seinem Konsumverhalten – jedenfalls sicher habe festgestellt werden können, dass auf der Arbeitsstelle des Angeklagten eventuelle Drogen- und Alkoholprobleme nicht aufgefallen seien (UA S. 68), lässt befürchten, dass die Kammer von einem zu engen Verständnis des Hangs ausgegangen ist.
Für die Annahme eines Hangs ist nach ständiger Rechtsprechung eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer psychischen Abhängigkeit erreicht haben muss (Senat, Beschluss vom 20. September 2017 – 1 StR 348/17, juris Rn. 9 mwN). Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln im Sinne des § 64 StGB ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende aufgrund seiner Neigung sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (Senat, Beschluss vom 12. Januar 2017 – 1 StR 587/16, juris Rn. 9; Urteil vom 14. Oktober 2015 – 1 StR 415/15, juris Rn. 7; BGH, Urteil vom 15. Mai 2014 – 3 StR 386/13, juris Rn. 10). Insoweit kann der Umstand, dass durch den Rauschmittelkonsum bereits die Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betreffenden erheblich beeinträchtigt ist, zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hanges zukommen. Wenngleich solche Beeinträchtigungen in der Regel mit übermäßigem Rauschmittelkonsum einhergehen werden, schließt deren Fehlen jedoch nicht notwendigerweise die Annahme eines Hanges aus (Senat, Beschluss vom 10. November 2015 – 1 StR 482/15, juris Rn. 14; BGH, Beschlüsse vom 2. April 2015 – 3 StR 103/15, juris Rn. 6; und
vom 1. April 2008 – 4 StR 56/08, juris Rn. 6). Auch stehen das Fehlen ausgeprägter Entzugssyndrome sowie Intervalle der Abstinenz der Annahme eines Hangs nicht entgegen (BGH, Beschluss vom 17. Mai 2018 – 3 StR 166/18, juris Rn. 12 mwN). Das Vorliegen eines Hangs setzt auch nicht voraus, dass die Rauschmittelgewöhnung auf täglichen oder häufig wiederholten Genuss zurückgeht; vielmehr kann es genügen, wenn der Täter von Zeit zu Zeit oder bei passender Gelegenheit seiner Neigung zum Rauschmittelkonsum folgt (BGH, Beschluss vom 17. Mai 2018 – 3 StR 166/18, juris Rn. 12 mwN).
Nach den Feststellungen konsumierte der Angeklagte in der Vergangenheit Alkohol und Marihuana und Kokain, wobei er in jüngerer Vergangenheit jedenfalls keinen dauerhaften Konsum praktizierte (UA S. 7). Aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Heilbronn vom 8. Februar 2018 ergibt sich, dass der Angeklagte am 20. Dezember 2017 im Zustand alkohol- und drogenbedingter Fahruntüchtigkeit ein Fahrzeug führte, wobei die Untersuchung einer ihm entnommenen Blutprobe eine Blutalkoholkonzentration von 1,37 ‰ sowie den Konsum von Cannabis und Kokain ergab (UA S. 9). Auch während der kurzen Ehe des Angeklagten mit der Zeugin C. spielten Betäubungsmittel eine Rolle (UA S. 10). Aus dem toxikologischen Gutachten vom 9. November 2017 ergab sich ein Konsum von Cannabis und Kokain bei der Körperverletzung zum Nachteil der ZeuginC. (UA S. 21 f.). Schließlich konsumierte der Angeklagte am Abend des 23. Dezember 2017 bis zum 24. Dezember 2017, 00:51 Uhr, eine Flasche Jägermeister à 0,7 Liter (UA S. 13) sowie bis 00:51 Uhr mindestens einen Joint (UA S. 13, 22) und bis 9:00 Uhr mindestens noch einen weiteren Joint (UA S. 14, 22).
Nach diesen Feststellungen lag die Annahme eines Hangs nahe. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Angeklagte nach Angaben des Sachverständigen nach seiner Inhaftierung nicht unter Entzugserscheinungen litt (UA S. 22) und dass sein Drogen- und Alkoholkonsum bei seinem Arbeitgeber nicht aufgefallen war (UA S. 23).
b) Auch die Annahme der Kammer, es fehle an einer hinreichenden Erfolgsaussicht , da der Angeklagte keine Einsicht in seine Drogenproblematik zeige und es an einer Behandlungsmotivation fehlen lasse (UA S. 68 f), vermag nicht zu überzeugen. Das aktuelle Fehlen von Therapiewilligkeit steht einer Anordnung nicht entgegen; ein nicht nä-
her erläuterter bloßer Hinweis, der Angeklagte sei therapieunwillig, kann das Fehlen der Erfolgsaussicht nicht belegen. Das Tatgericht hat zu prüfen, ob die konkrete Aussicht besteht, dass eine Therapiebereitschaft für eine erfolgversprechende Behandlung geweckt werden kann (vgl. Fischer, Strafgesetzbuch, 65. Auflage 2018, § 64 Rn. 20 mwN). Diesen Anforderungen werden die überaus knappen Ausführungen der Kammer nicht gerecht.
c) Schließlich erscheint ein symptomatischer Zusammenhang zwischen dem Hang des Angeklagten und der verfahrensgegenständlichen Tat nicht von vorneherein ausgeschlossen. Eine Tat hat dann Symptomcharakter , wenn sie in dem Hang ihre Wurzel findet, mithin Symptomwert für den Hang des Täters zum Missbrauch von Alkohol oder anderen berauschenden Mitteln hat, also – zumindest mitursächlich – auf den Hang zurückgeht (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Beschluss vom 20. September 2017 – 1 StR 348/17, juris Rn. 10). Typisch sind hierfür Delikte, die der Täter begeht, um in den Besitz von Rauschmitteln oder des für ihre Beschaffung notwendigen Geldes zu kommen (Senat , Beschluss vom 10. November 2015 – 1 StR 482/15, NStZ-RR 2016, 113, 114; BGH, Beschluss vom 28. August 2013 – 4 StR 277/13, NStZ-RR 2014, 75). Bei Sexualdelikten, die erfahrungsgemäß nur selten als Anlasstat für eine Unterbringung in Erscheinung treten, ist ein solcher Zusammenhang zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen , seine Annahme bedarf jedoch besonderer Anhaltspunkte (Senat, Urteil vom 18. Februar 1997 – 1 StR 693/96, juris Rn. 10; BGH, Urteil vom 3. März 2000 – 2 StR 598/99, juris Rn. 9).
Im vorliegenden Fall war der Angeklagte nicht unerheblich alkoholisiert und stand unter dem Einfluss von Cannabis (UA S. 16). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die festgestellte Berauschung des Angeklagten zu einer tatbegünstigenden Enthemmung und Entdifferenzierung der Persönlichkeit des Angeklagten geführt hat. Angesichts der Tatsache, dass der Angeklagte auch bei dem Angriff auf die Zeugin C. am 27. September 2017 unter dem Einfluss von Cannabis und Kokain stand (UA S. 10 f, 21), lässt vermuten, dass er unter dem Einfluss berauschender Mittel zu Aggressionen insbesondere gegenüber Frauen neigt, so dass ein symptomatischer Zu- sammenhang naheliegt.“
- 4
- Dem schließt sich der Senat an. Ergänzend ist anzumerken, dass bei der Prüfung des Hangs auch zu berücksichtigen sein wird, dass nach den Feststellungen des Landgerichts bereits während der Unterbringung des Angeklagten im K. in W. vom 2. Oktober 2016 bis 23. November 2016 neben einer psychotischen Störung ein „akuter Cannabiskonsum“ festgestellt wurde (UA S. 61).
- 5
- 2. Der aufgezeigte Rechtsfehler lässt den Strafausspruch unberührt. Es ist im vorliegenden Fall auszuschließen, dass das Landgericht bei einer Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auf eine niedrigere Freiheitsstrafe erkannt hätte.
Bär Hohoff
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in drei Fällen unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Berufungsurteil des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 27. März 2012 und Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Vom Vorwurf der Vergewaltigung hat es ihn freigesprochen. Weiterhin hat es die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
- 2
- 1. Die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hält einer rechtlichen Prüfung schon deshalb nicht stand, weil ein symptomatischer Zusammenhang zwischen dem Hang des Angeklagten, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und den Anlasstaten nicht belegt ist.
- 3
- a) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt setzt gemäß § 64 Satz 1 StGB – neben dem Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen – voraus, dass die Anlasstat im Rausch begangen wurde oder – zumindest mitursächlich – auf den Hang zurückgeht, wobei die erste dieser Alternativen ein Unterfall der zweiten Alternative ist (BGH, Urteil vom 18. Februar 1997 – 1 StR 693/96, NStZ 1998, 130 mwN). Die konkrete Tat muss in dem Hang ihre Wurzel finden, also Symptomwert für den Hang des Täters zum Missbrauch von Alkohol oder anderen berauschenden Mitteln haben (BGH, Urteil vom 11. September 1990 – 1 StR 293/90, NStZ 1991, 128).
- 4
- Eine Tatbegehung „im Rausch“ hat das Landgericht nicht festgestellt, sondern lediglich, dass der Angeklagte im Jahr 2011, in dem die verfahrensgegenständlichen Taten begangen wurden, generell Amphetamin und gelegentlich Marihuana konsumierte (UA S. 5, 16).
- 5
- Anhaltspunkte dafür, dass die Taten, obwohl nicht im Rausch begangen, doch auf einen Hang zum Alkohol- oder Drogenmissbrauch zurückgingen, bestehen nicht. Typisch sind hierfür Delikte, die begangen werden, um Rauschmit- tel selbst oder Geld für ihre Beschaffung zu erlangen (BGH, Urteil vom 18. Februar 1997 – 1 StR 693/96 aaO). Derartige Delikte liegen hier nicht vor. Andere Delikte kommen als Hangtaten nur dann in Betracht, wenn besondere Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie gerade in dem Hang ihre Wurzeln finden, sich darin die hangbedingte besondere Gefährlichkeit des Täters zeigt (BGH, Urteil vom 18. Februar 1997 – 1 StR 693/96 aaO). Solche Anhaltspunkte sind hier nicht ersichtlich. Der Angeklagte hat die Fahrten ohne Fahrerlaubnis jeweils aus Anlass seiner Beziehung zu einer Frau unternommen, ohne dass seine Betäubungsmittelabhängigkeit eine erkennbare Rolle gespielt hätte.
- 6
- Soweit das Landgericht in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen angenommen hat, die Taten seien auf den Hang zurückzuführen, weil „bei dem Angeklagten durch den jahrelangen übermäßigen Betäubungsmittelkonsum bereits eine deutliche und dauernde Verantwortungslosigkeit unter Missachtung sozialer Normen, Regeln und Verpflichtungen eingetreten“ (UA S. 18) sei, kann dem nicht gefolgt werden. Auch damit ist ein ursächlicher Zusammenhang zwi- schen den Taten und dem Hang nicht dargetan (vgl. zur „Enthemmung“ BGH, Urteil vom 20. September 2011 – 1 StR 120/11, NStZ-RR 2012, 72, 74 f.). Die Urteilsfeststellungen enthalten keinen Beleg dafür, dass der Angeklagte die ausgeurteilten Taten wegen einer aufgrund jahrelangen Betäubungsmittelkonsums herabgesetzten Hemmschwelle begangen hat. Dagegen spricht, dass er bereits seit 2004 mit Straftaten in Erscheinung getreten ist, seine Straffälligkeit also zu einer Zeit einsetzte, als er mit dem Konsum von Betäubungsmitteln gerade begonnen hatte.
- 7
- b) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem rechtskräftigen Berufungsurteil des Landgerichts Frankenthal vom 27. März 2012, das vier der Beschaffungskriminalität zuzuordnende Taten des (in einem Fall versuchten) Diebstahls zum Gegenstand hatte. Im Rahmen einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 StGB kann das Gericht zwar erstmals auf eine Maßregel erkennen, wenn sich entweder aufgrund der neu abzuurteilenden Tat allein oder in Verbindung mit der schon abgeurteilten Tat die Erforderlichkeit der Maßregel ergibt (vgl. BGH, Urteil vom 16. Dezember 1954 – 3 StR 189/54, BGHSt 7, 180, 182; Rissing-van Saan in LK-StGB, 12. Aufl., § 55 Rn. 53; Stree/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 55 Rn. 55; Bringewat, Die Bildung der Gesamtstrafe, 1987, Rn. 305). Die erstmalige Verhängung der Maßregel kann aber nicht allein mit dem Symptomcharakter der bereits rechtskräftig abgeurteilten Taten begründet werden. Diese bilden deshalb im vorliegenden Verfahren keine Grundlage für die Anordnung der Maßregel gemäß § 64 StGB.
- 8
- 2. Der Senat kann sicher ausschließen, dass eine neue Verhandlung Feststellungen ergeben könnte, die eine Unterbringungsanordnung rechtfertigen würden. Daher ist in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO auf den Wegfall der Maßregel zu erkennen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 354 Rn. 26f).
- 9
- 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 4 Satz 1 StPO. Im vorliegenden Fall ist durch den Wegfall der Anordnung gemäß § 64 StGB das Gewicht des Rechtsfolgenausspruchs so gemindert, dass es unbillig wäre, dem Angeklagten die gesamten Rechtsmittelkosten aufzubürden. Angemessen ist es vielmehr, die Hälfte der Rechtsmittelkosten der Staatskasse aufzuerlegen und die Revisionsgebühr um die Hälfte zu ermäßigen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. Oktober 1986 – 4 StR 553/86, BGHR StPO § 473 Abs. 4 Quotelung 1; vom 11. Februar 1983 – 3 StR 484/82 (S)).
Mutzbauer Quentin
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Gründe:
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt und ihn im übrigen freigesprochen. Es hat weiter die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) angeordnet. Der Beschwerdeführer rügt mit seiner Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechtes. Sein Rechtsmittel ist hinsichtlich des Schuld- und Strafausspruches unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Daß der Tatrichter im Falle 6 der Anklage, in dem der Angeklagte beim Opfer Oralverkehr ausübte, nicht schweren sexuellen Mißbrauch von Kindern (§ 176 a StGB; vgl. BGHR StGB § 176 a Abs. 1 Nr. 1 Eindringen 1 = StV 1999, 602 = NJW 1999, 2977) angenommen hat, beschwert den Angeklagten nicht.Einer Erörterung bedarf allein die vom Generalbundesanwalt aufgeworfene Frage, ob die Maßregel gemäß § 64 StGB rechtsfehlerfrei angeordnet wurde. Die Revision des Angeklagten hat jedoch auch insoweit keinen Erfolg.
II.
1. In der Zeit zwischen 11. Juni 1998 und 12. Oktober 1998 mißbrauchte der Angeklagte den am 28. Juli 1987 geborenen Sohn D. K. seiner Lebensgefährtin sexuell in mindestens fünf Fällen. Die schon Jahre zurückliegenden Vorverurteilungen des Angeklagten hatten keine Sexualdelikte zum Gegenstand. 2. Der Angeklagte nahm seit seinem 16./17. Lebensjahr durchgängig Beruhigungstabletten zur Bekämpfung von Angstzuständen. Als er berufs- und obdachlos wurde, griff er zudem vermehrt zum Alkohol. 1993/94 stand er eine sechsmonatige Entgiftung durch. Er nahm zwar weiterhin Beruhigungsmittel, schränkte aber seinen Alkoholkonsum ein. Im Spätsommer 1998 begann er wieder verstärkt Alkohol zu trinken, wobei er durchgängig weiter Beruhigungsmittel konsumierte. Nach seiner Verhaftung im Oktober 1998 erlitt der Angeklagte einen entzugsbedingten, von Bewußtlosigkeit begleiteten Krampfanfall und wurde ins Krankenhaus verlegt. Nach seiner Entlassung begab er sich noch mehrmals zur stationären Entgiftung in die Landesklinik Merheim. 3. Die vom Sachverständigen K. beratene Strafkammer hat zum Zustand des Angeklagten folgendes festgestellt: Der langjährige Mißbrauch von Beruhigungsmitteln und Alkohol habe zu einer schwerwiegenden Persönlichkeitsstörung geführt. Diese finde ihren Ausdruck insbesondere in Symptomen der Affektlabilität und Stimmungsschwankungen. Der Angeklagte zeige darüber hinaus auch noch andere psychopathologische Auffälligkeiten, wie etwa schonfrüh aufgetretene, permanente Angstzustände und Stottern. Die seit 25 Jahren vorliegende Beruhigungsmittelsucht und die seit 10 Jahren hinzutretende Alkoholabhängigkeit hätten zu einer Entdifferenzierung und einer Enthemmung der Persönlichkeit geführt, die es nicht ausschließen lassen, daß der Angeklagte im Tatzeitpunkt nur in erheblich vermindertem Maße in der Lage gewesen sei, sein Verhalten bei bestehen gebliebener Unrechtseinsicht dieser Einsicht folgend zu steuern; gänzlich aufgehoben sei seine Steuerungsfähigkeit jedoch nicht gewesen. Die Taten, die Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind, gingen auf den Hang des Angeklagten, alkoholische Getränke und Beruhigungsmittel im Übermaße zu sich zu nehmen, zurück, weil dieser Hang zu der tatbegünstigenden Entdifferenzierung und Enthemmung der Persönlichkeit des Angeklagten geführt habe. Angesichts der sich häufenden Aufenthalte in der Landesklinik Merheim, der schwerwiegenden Straftaten im vorliegenden Verfahren , die gerade Folge des übermäßigen Beruhigungsmittel- und Alkoholkonsums seien, sowie seiner mehrfachen, wenn auch insoweit nicht schwerwiegenden Vorstrafen, seien vom Angeklagten aufgrund seines Hanges ohne entsprechende Behandlung auch in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten zu erwarten. Bei entsprechender Behandlung bestehe aber die hinreichend konkrete Aussicht, den Angeklagten zumindest für eine erhebliche Zeitspanne vor dem Rückfall in die akute Sucht zu bewahren.
III.
Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Angeklagte hat den Hang, alkoholische Getränke und zusätzlich Beruhigungsmittel im Übermaße zu sich zu nehmen. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen gehen die Taten, wegen deren er verurteilt wurde,auf diesen Hang zurück; sie finden ihre Wurzel in dem Hang. Zutreffend weist der Generalbundesanwalt zwar darauf hin, daß Sexualdelikte als Anlaßtat für eine Unterbringung seltener in Erscheinung treten als zum Beispiel Betäubungsmitteldelikte (vgl. BGH bei Miebach NStZ 1998, 130). Sie kommen aber als Anlaßtaten durchaus in Betracht (vgl. u.a. BGH, Beschl. v. 28. Oktober 1998 - 2 StR 404/98; BGH, Beschl. v. 7. Mai 1996 - 5 StR 158/96; vgl. auch BGH, Beschl. v. 21. September 1999 - 1 StR 430/99). Im vorliegenden Fall ist der Symptomwert der Taten für den Hang des Angeklagten zum Mißbrauch berauschender Mittel ausreichend dargetan; denn in ihnen äußert sich seine hangbedingte Gefährlichkeit (vgl. hierzu u.a. BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 2 m.w.N.). Der langjährige Alkohol- und Beruhigungsmittelmißbrauch hat - wie der Tatrichter festgestellt hat - zu einer tatbegünstigenden Enthemmung und Entdifferenzierung der Persönlichkeit des Angeklagten geführt; die Taten gingen daher auf den Hang zurück. Weiter besteht nach den ohne Rechtsfehler getroffenen Feststellungen die hohe Wahrscheinlichkeit, daß der Angeklagte infolge seines zu der schwerwiegenden Persönlichkeitsstörung führenden Hanges weitere erhebliche Straftaten begehen wird.
Die hinreichend konkrete Aussicht eines Behandlungserfolges (BVerfGE 91, 1 ff.). wird vom Tatrichter rechtsfehlerfrei damit begründet, daß der Angeklagte sich schon mehrfach um Hilfe im Kampf gegen seine Abhängigkeit bemüht und damit eine gewisse Einsicht in sein Suchtproblem gezeigt hat. Da die Sucht Ursache der Persönlichkeitsstörung ist, gilt es zunächst, den Hang zu beseitigen, um den Täter heilen zu können. Jähnke Detter Bode Otten Rothfuß