Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Juni 2012 - 3 StR 163/12

bei uns veröffentlicht am12.06.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 163/12
vom
12. Juni 2012
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts am 12. Juni 2012 gemäß § 349 Abs. 4
StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 19. Oktober 2011 im Maßregelausspruch aufgehoben. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus entfällt.
Die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf sachlichrechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Angeklagten führt zum Wegfall des Maßregelausspruchs.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts schlug der Angeklagte dem Nebenkläger die Sonnenbrille von der Nase und nahm sie an sich. Er hatte nicht die Absicht, die Brille zu behalten, sondern wollte auf diese Weise lediglich ein Gespräch herbeiführen und den Nebenkläger darauf hinweisen, dass dieser sich kurz zuvor einem Straßenmusiker gegenüber beleidigend verhalten habe. Ob es zwischen dem Nebenkläger und einem Straßenmusikanten ein Zusammentreffen gegeben oder ob sich dies nur in der Phantasie des an einer floriden paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie leidenden Angeklagten abgespielt hatte, hat das Landgericht nicht klären können.
3
Der Angeklagte entfernte sich mit der Sonnenbrille in der Hand und äußerte gegenüber dem ihn verfolgenden und die Rückgabe der Brille verlangenden Nebenkläger den Wunsch auf ein Gespräch. Nach einiger Zeit kamen beide überein, "ein körperliches Duell ausfechten zu wollen", und begannen, nachdem der Angeklagte die Sonnenbrille beiseitegelegt hatte, aufeinander einzuschlagen. Dabei war der Angeklagte dem Nebenkläger körperlich weit überlegen und verursachte mit heftigen Faustschlägen erhebliche Verletzungen in dessen Gesicht. Nachdem der Kampf zwischenzeitlich bereits einmal beendet worden war und sich die beiden Männer die Hand gegeben hatten, fing der Nebenkläger wieder an, auf den Angeklagten einzuschlagen, worauf die körperliche Auseinandersetzung erneut aufflammte. An deren Ende wuschen sich beide Kontrahenten an einem Brunnen, der Nebenkläger nahm seine Sonnenbrille wieder an sich und beide verließen den Ort des Geschehens. Der Nebenkläger erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma sowie eine Nasenbein- und eine Jochbeinfraktur , die operativ versorgt werden mussten und einen zehntägigen Krankenhausaufenthalt erforderlich machten.
4
2. Das Landgericht hat die Tat des Angeklagten als gefährliche Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung (§§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) gewertet. Es hat die Tat durch die Einwilligung des Geschädigten in die Schlägerei nicht als gerechtfertigt angesehen. Zwar sei der Nebenkläger zunächst mit einer körperlichen Auseinandersetzung einverstanden gewesen; diese Einwilligung habe "jedoch dort ihre Grenze, wo offensichtlich wurde, dass der Angeklagten dem Geschädigten körperlich weit überlegen war, womit dieser nicht gerechnet hatte, und der Angeklagte trotz der bereits erkennbaren Verletzungen weiter auf den Nebenkläger einschlug mit der Folge, dass dieser die festgestellten erheblichen Verletzungen erlitt".
5
Das Landgericht hat den Angeklagten gleichwohl freigesprochen, weil dieser zum Zeitpunkt der Tat aufgrund der floriden paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie unfähig gewesen sei, das Unrecht seines Handelns einzusehen. Es hat die Unterbringung nach § 63 StGB angeordnet, weil mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sei, dass der Angeklagte aufgrund seiner dauerhaft bestehenden psychischen Erkrankung und des damit verbundenen Wahns, die Welt verbessern und für das Gute kämpfen zu müssen, erneut andere Menschen maßregeln wolle und dabei "weitere Straftaten ähnlichen Ausmaßes" begehen werde.
6
3. Die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Anordnung dieser Maßregel setzt nach § 63 StGB eine im Zustand der Schuldunfähigkeit oder der verminderten Schuldfähigkeit begangene rechtswidrige Tat voraus sowie eine auf einem dauerhaften Zustand beruhende Gefährlichkeit des Täters für die Allgemeinheit in Form zu erwartender erheblicher rechtswidriger Taten. Daran fehlt es hier.
7
a) Soweit das Landgericht auf die Körperverletzungshandlungen des Angeklagten abgestellt hat, liegt keine rechtswidrige Tat vor. Die Körperverletzung ist durch die Einwilligung des Nebenklägers gerechtfertigt (§ 228 StGB). Wie die Revision und der Generalbundesanwalt übereinstimmend zutreffend ausführen, ist für eine Einschränkung der Einwilligung des Nebenklägers in die mit der einvernehmlichen körperlichen Auseinandersetzung verbundene Körperverletzung nichts zu erkennen. Vielmehr spricht die Fortsetzung des Kampfes durch diesen zu einem Zeitpunkt, in dem er bereits die körperliche Überlegenheit des Angeklagten erfahren hatte, gegen eine solche Einschränkung.
8
Die Einwilligung war auch wirksam, da die Tat nicht gegen die guten Sitten verstößt. Dies gilt sowohl in Ansehung des Zwecks der Auseinandersetzung - der Angeklagte wollte den Nebenkläger wegen eines jedenfalls aufgrund des Zweifelssatzes anzunehmenden, unangemessenen Vorverhaltens maßregeln und hat damit keine "unlauteren" Ziele (vgl. BGH, Urteil vom 26. Mai 2004 - 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 170) verfolgt - als auch im Hinblick auf das Maß der Rechtsgutsverletzung und der damit verbundenen weitergehenden Gefahren für Leib und Leben des Nebenklägers (vgl. BGH, Urteil vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 42; Urteil vom 26. Mai 2004 - 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 171 f.). Der Nebenkläger erlitt zwar Verletzungen , die einen Krankenhausaufenthalt und eine Operation erforderlich machten. Zu einer konkreten Lebensgefahr (vgl. Fischer, StGB, 59. Aufl., § 228 Rn. 10a) haben die Verletzungshandlungen des Angeklagten beim Nebenkläger indes nicht geführt.
9
b) Zwar könnte - worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hingewiesen hat - eine vollendete, nicht gerechtfertigte Nötigung des Nebenklägers darin gesehen werden, dass der Angeklagte diesen durch die Ansichnahme der Sonnenbrille dazu veranlasste, ihm zu folgen und mit ihm in Kontakt zu treten. Eine solche Nötigung wäre indes keine Tat, die eine Unterbringung rechtfertigen könnte (§ 62 StGB).
10
c) Der Senat schließt aus, dass in einer neuen Verhandlung Feststellungen getroffen werden könnten, die eine Unterbringung des Angeklagten nach § 63 StGB rechtfertigen. Er entscheidet deshalb selbst, dass die Anordnung der Maßregel entfällt.
11
4. Der Freispruch kann - auch im Hinblick auf § 358 Abs. 2 Satz 3 StPO - bestehen bleiben (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 358 Rn. 12 mwN). Angesichts der vom Landgericht zu der Erkrankung des Angeklagten rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen schließt der Senat aus, dass in einer erneuten Hauptverhandlung noch der Nachweis geführt werden könnte, der Angeklagte habe schuldhaft eine rechtswidrige Nötigung begangen.
Becker Pfister RiBGH Hubert befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Mayer Gericke

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Juni 2012 - 3 StR 163/12

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Juni 2012 - 3 StR 163/12

Referenzen - Gesetze

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und

Strafgesetzbuch - StGB | § 224 Gefährliche Körperverletzung


(1) Wer die Körperverletzung 1. durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,2. mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,3. mittels eines hinterlistigen Überfalls,4. mit einem anderen Beteiligten gemeins

Strafprozeßordnung - StPO | § 358 Bindung des Tatgerichts; Verbot der Schlechterstellung


(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen. (2) Das angefochtene Urte
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Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und

Strafgesetzbuch - StGB | § 224 Gefährliche Körperverletzung


(1) Wer die Körperverletzung 1. durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,2. mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,3. mittels eines hinterlistigen Überfalls,4. mit einem anderen Beteiligten gemeins

Strafprozeßordnung - StPO | § 358 Bindung des Tatgerichts; Verbot der Schlechterstellung


(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen. (2) Das angefochtene Urte

Strafgesetzbuch - StGB | § 223 Körperverletzung


(1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar.

Strafgesetzbuch - StGB | § 62 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit


Eine Maßregel der Besserung und Sicherung darf nicht angeordnet werden, wenn sie zur Bedeutung der vom Täter begangenen und zu erwartenden Taten sowie zu dem Grad der von ihm ausgehenden Gefahr außer Verhältnis steht.

Strafgesetzbuch - StGB | § 228 Einwilligung


Wer eine Körperverletzung mit Einwilligung der verletzten Person vornimmt, handelt nur dann rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt.

Referenzen - Urteile

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1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Juni 2012 - 3 StR 163/12.

Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Feb. 2013 - 1 StR 585/12

bei uns veröffentlicht am 20.02.2013

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 585/12 vom 20. Februar 2013 BGHSt: ja BGHR : ja Nachschlagewerk: ja Veröffentlichung: ja StGB § 224 Abs. 1 Nr. 4, § 228 1. Bei Körperverletzungen im Rahmen von tätlichen Auseinandersetzungen zwischen rivalisierend

Referenzen

(1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Wer eine Körperverletzung mit Einwilligung der verletzten Person vornimmt, handelt nur dann rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt.

Eine Maßregel der Besserung und Sicherung darf nicht angeordnet werden, wenn sie zur Bedeutung der vom Täter begangenen und zu erwartenden Taten sowie zu dem Grad der von ihm ausgehenden Gefahr außer Verhältnis steht.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.