Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Feb. 2013 - 1 StR 585/12

bei uns veröffentlicht am20.02.2013

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 585/12
vom
20. Februar 2013
BGHSt: ja
BGHR : ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
1. Bei Körperverletzungen im Rahmen von tätlichen Auseinandersetzungen
zwischen rivalisierenden Gruppen ist bei der für die Anwendung von § 228
StGB vorzunehmenden Bewertung der Gefährlichkeit der Körperverletzungshandlungen
die mit derartigen Tätlichkeiten typischerweise verbundene
Eskalationsgefahr zu berücksichtigen.
2. Fehlen bei solchen Auseinandersetzungen das Gefährlichkeitspotential begrenzende
Absprachen und effektive Sicherungen für deren Einhaltung,
verstoßen die in deren Verlauf begangenen Körperverletzungen trotz Einwilligung
selbst dann gegen die guten Sitten (§ 228 StGB), wenn mit den
einzelnen Körperverletzungen keine konkrete Todesgefahr verbunden war.
BGH, Beschluss vom 20. Februar 2013 - 1 StR 585/12 - LG Stuttgart
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Februar 2013 beschlossen
:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Stuttgart vom 10. Juli 2012 werden als unbegründet verworfen.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und
die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Das angefochtene Urteil weist keine Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten auf.
2
1. Die Revisionen der Angeklagten bleiben auch insoweit ohne Erfolg, als diese sich jeweils gegen die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung (§§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB) zu Lasten der geschädigten Zeugen La. und W. richten. Die Taten waren unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt gerechtfertigt.
3
a) Nach den vom Landgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen griff L. , ein Cousin des Zeugen La. , ein Mitglied aus einer Jugendgruppe, zu der auch die Angeklagten gehörten, an, indem er den Angegriffenen schüttelte und ihn gegen ein parkendes Auto zu drücken versuchte.
Diese Auseinandersetzung konnte der Zeuge La. so weit schlichten, dass zunächst weder aus der Gruppe um L. noch aus der Gruppe um die Angeklagten weitere Tätlichkeiten verübt wurden. Allerdings forderte der über den Vorfall aufgebrachte Angeklagte Z. erfolgreich telefonisch weitere Angehörige seiner Gruppe auf, zum Ort des Geschehens zu kommen. Nach kurzer Zeit standen sich die nunmehr verstärkte Gruppe um die Angeklagten und die um L. , samt der Zeugen La. und W. , gegenüber. Den Beteiligten beider Gruppen war bewusst, dass es aufgrund der sich durch wechselseitige Beleidigungen weiter aufheizenden Stimmung zu körperlichen Auseinandersetzungen kommen würde. Aufgrund einer faktischen Übereinkunft stimmten die Beteiligten zu, diese mit Faustschlägen und Fußtritten auszutragen. Den Eintritt auch erheblicher Verletzungen billigten sie.
4
Im Zuge der sich anschließenden, rund vier bis fünf Minuten andauernden wechselseitigen Tätlichkeiten erwies sich die Gruppe um die Angeklagten als überlegen. Als der Zeuge W. ungeachtet dessen ein Mitglied aus der Gruppe um die Angeklagten im Rahmen eines Faustkampfs in Bedrängnis brachte, schlug der Angeklagte S. auf W. ein, der daraufhin stürzte. Der am Boden liegende W. erhielt anschließend einen Fußtritt. Er erlitt u.a. eine Schädelprellung und wurde mit einem Rettungswagen in ein Krankenhaus verbracht, wo er stationär behandelt wurde. Der nicht revidierende Angeklagte M. schlug den Zeugen La. so heftig mit der Faust in das Gesicht , dass dieser im Unterkiefer drei Zähne verlor, die durch Implantate ersetzt werden müssen. Zudem verursachte der Schlag eine Verschiebung der Nasenscheidewand. Die Verletzung bedarf einer operativen Korrektur. Der zur Gruppe um L. gehörende, mit einer Blutalkoholkonzentration von rund 3,0 Promille stark alkoholisierte Zeuge J. ging durch die Wirkung von Faustschlägen bereits zu Beginn der Auseinandersetzung zu Boden und blieb dort wehrlos liegen. In dieser Lage versetzten ihm u.a. die Angeklagten Z. und S. mehrere Tritte gegen den Kopf und den Körper. Nachdem eine kurze Zeit von dem Zeugen J. abgelassen worden war und er auf allen Vieren wegzukriechen versuchte, holte der Mitangeklagte M. mit dem Fuß aus und trat J. ins Gesicht. Anschließend traten auch die Angeklagten Z. und S. erneut auf den am Boden liegenden J. ein. Einen Tritt führte der Angeklagte S. gegen den Kopf des Zeugen. Zudem hob er den Kopf des Zeugen etwas an und schlug ihn mit allerdings geringer Kraft auf den Asphalt. Aufgrund der zahlreichen erlittenen Verletzungen wurde der Zeuge J. drei Tage stationär, davon einen Tag auf der Intensivstation, behandelt und war vierzehn Tage arbeitsunfähig krank.
5
b) Bei dieser Sachlage erweisen sich auch die zum Nachteil der Zeugen La. und W. verübten Körperverletzungen, für die die Angeklagten als Mittäter einzustehen haben, als rechtswidrig.
6
aa) Die beiden Zeugen haben zwar in die zu ihren Verletzungen führenden Körperverletzungshandlungen durch die Beteiligung an der faktischen Übereinkunft mit der Gruppe um die Angeklagten eingewilligt. Von dieser Einwilligung waren auch die erlittenen Verletzungen umfasst. Insoweit kommt es darauf an, dass der Einwilligende eine zutreffende Vorstellung von dem voraussichtlichen Verlauf und den möglichen Folgen des zu erwartenden Angriffs hat (BGH, Urteil vom 12. Oktober 1999 – 1 StR 417/99, NStZ 2000, 87, 88; vgl. auch BGH, Beschluss vom 20. November 2012 – 1 StR 530/12). Da Faustschläge und Fußtritte Gegenstand der Übereinkunft waren, schließt die Zustimmung zu solchen Handlungen auch die daraus typischerweise resultierenden Verletzungsfolgen ein.
7
bb) Ungeachtet der Einwilligungserklärungen der beiden Zeugen verstoßen die diese schädigenden Körperverletzungen aber gegen die guten Sitten und entfalten deshalb gemäß § 228 StGB keine rechtfertigende Wirkung.
8
Der Bundesgerichtshof beurteilt in seiner jüngeren Rechtsprechung die Unvereinbarkeit einer Körperverletzung mit den „guten Sitten“ im Sinne von § 228 StGB trotz Einwilligung des betroffenen Rechtsgutsinhabers im Grundsatz vorrangig anhand der Art und des Gewichts des eingetretenen Körperverletzungserfolges sowie des damit einhergehenden Gefahrengrades für Leib und Leben des Opfers (BGH, Urteile vom 11. Dezember 2003 – 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 42 und vom 26. Mai 2004 – 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 170 f., 172 f.; siehe auch BGH, Urteil vom 16. Dezember 2009 – 2 StR 446/09, NStZ 2010, 389 f.; anders noch BGH, Urteil vom 29. Januar 1953 – 5 StR 408/52, BGHSt 4, 24, 31). Diesem Maßstab entsprechend wird die Körperverletzung nach insoweit übereinstimmender höchstrichterlicher Rechtsprechung jedenfalls dann als sittenwidrig bewertet, wenn bei objektiver Betrachtung unter Einbeziehung aller maßgeblichen Umstände die einwilligende Person durch die Körperverletzungshandlung in konkrete Todesgefahr gebracht wird (BGH, Urteile vom 11. Dezember 2003 – 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 44 und vom 26. Mai 2004 – 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 173; BGH, Urteil vom 20. November 2008 – 4 StR 328/08, BGHSt 53, 55, 62 Rn. 28 und 63 Rn. 29; siehe auch BGH, Urteil vom 18. September 2008 – 5 StR 224/08 [insoweit in NStZ 2009, 401-403 nicht abgedruckt]; BGH, Beschlüsse vom 20. Juli 2010 – 5 StR 255/10 und vom 12. Juni 2012 – 3 StR 163/12). Die Anknüpfung des für die Sittenwidrigkeit heranzuziehenden Maßstabs an das Ausmaß der mit der Körperverletzung einhergehenden Rechtsgutsgefährdung findet sich auch bereits in früheren Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (etwa BGH, Urteil vom 15. Oktober 1991 – 4 StR 349/91, BGHSt 38, 83, 87 „nur geringfügige Verlet- zung“). Die vorrangige Ausrichtung der Anwendung von § 228 StGB an dem mit der Körperverletzung einhergehenden Grad der Gefährdung der Rechtgüter Leben und körperliche Unversehrtheit wird auf die Erwägung gestützt, im Grundsatz sei lediglich bei (drohenden) gravierenden Verletzungen der staatliche Eingriff in die Dispositionsfreiheit des Rechtsgutsinhabers legitim (vor allem BGH, Urteil vom 26. Mai 2004 – 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 171 mwN; siehe auch Fischer, StGB, 60. Aufl., § 228 Rn. 10 sowie Hardtung in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., § 228 Rn. 23).
9
Die Vornahme einer mit konkreter Todesgefahr für den Einwilligenden verbundenen Körperverletzung beschreibt danach einen Grad der Gefährlichkeit der Handlung und des daraus resultierenden Risikos für Leib und Leben, bei dessen Erreichen die Körperverletzung regelmäßig gegen die guten Sitten verstößt. Dieser Maßstab bestimmt jedoch die von § 228 StGB erfassten Konstellationen einer trotz erteilter Einwilligung sittenwidrigen Körperverletzung nicht abschließend. So kann trotz einer im Zeitpunkt der Vornahme der Körperverletzungshandlung auf der Grundlage der vorausschauenden Betrachtung aller maßgeblichen Umstände zu prognostizierenden konkreten Todesgefahr ein Sittenverstoß fehlen und der erteilten Einwilligung rechtfertigende Wirkung zukommen. Für die Einwilligung zu lebensgefährlichen ärztlichen Heileingriffen ist dies in der Rechtsprechung anerkannt (BGH, aaO, BGHSt 49, 166, 171).
10
Umgekehrt kann auch bei einer rechtsgutsbezogenen Auslegung des Merkmals der guten Sitten, der der Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG nicht entgegensteht (vgl. BGH, aaO, BGHSt 49, 166, 169), die Sittenwidrigkeit nicht stets ausschließlich danach beurteilt werden, ob bei jeweils isolierter Bewertung des Gefährlichkeits- und Gefährdungsgrades einzelner Körperverletzungshandlungen im Ergebnis eine konkrete Lebens- bzw. Todesgefahr eingetreten ist. Die Feststellung des Eintritts eines solchen Gefahrerfolges erlaubt zwar regelmäßig einen Rückschluss auf den Gefährlichkeitsgrad der dafür ur- sächlichen Körperverletzungshandlung, schließt aber nicht aus, eine Überschreitung der Grenze der Sittenwidrigkeit auch aus anderen, für die Bewertung der Rechtsgutsgefährlichkeit relevanten tatsächlichen Umständen der Tatbegehung abzuleiten. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die die Sittenwidrigkeit der Tat trotz Einwilligung anhand des Gefahrengrades bewertenden bisherigen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs ganz überwiegend tatsächliche Konstellationen betrafen, in denen die Körperverletzungen nicht im Rahmen von wechselseitigen Tätlichkeiten zwischen mehreren Beteiligten verübt wurden. Für die Beurteilung der mit der Tat verbundenen Gefährdung des Opfers bzw. der Opfer waren daher bislang die Auswirkungen von gruppendynamischen Prozessen, wie etwa die Unkontrollierbarkeit der Gesamtsituation aufgrund der Beeinflussung innerhalb einer Gruppe und zwischen konkurrierenden Gruppen (dazu Pichler, Beteiligung an einer Schlägerei [§ 231 StGB], 2010, S. 23-27 mwN), nicht einzubeziehen. Solche Interaktionen bedürfen aber nach dem für die Anwendung des § 228 StGB einschlägigen Maßstabs des Gefährlichkeitsgrades der Körperverletzung der Berücksichtigung. Soweit dem Urteil des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 18. September 2008 (5 StR 224/08 Rn. 24, insoweit in NStZ 2009, 401 - 403 nicht abgedruckt) zu ent- nehmen sein sollte, dass eine Körperverletzung ausnahmslos („nur“) bei- ex post - Eintritt einer konkreten Todesgefahr trotz Einwilligung des Verletzten gegen die guten Sitten verstößt (§ 228 StGB), würde der Senat dem nicht folgen. Einer Anfrage bei dem 5. Strafsenat bedarf es nicht, weil es sich dort nicht um tragende Ausführungen handelt.
11
Es entspricht der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Auslegung des § 228 StGB, die Sittenwidrigkeit der Tat trotz Einwilligung da- nach zu bestimmen, ob „bei vorausschauender objektiver Betrachtung aller maßgeblichen Umstände der Tat der Einwilligende durch die Körperverlet- zungshandlung in konkrete Todesgefahr gebracht wird“ (BGH, aaO, BGHSt 49, 166, 173). Maßgeblich ist in zeitlicher Hinsicht damit eine ex ante-Perspektive der Bewertung des Gefährlichkeitsgrades der Körperverletzungshandlung (Hardtung aaO § 228 Rn. 27). Bei durch diese verursachter konkreter Todesbzw. Lebensgefahr kann regelmäßig ein die Grenze der Sittenwidrigkeit im Sinne von § 228 StGB überschreitendes Ausmaß der Gefährlichkeit für die Rechtsgüter Leib und Leben angenommen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juli 2010 – 5 StR 255/10 bzgl. mit konkreter Todesgefahr verbundenen Faustschlägen gegen die Schläfenregion).
12
Der Grad der Gefährlichkeit der Körperverletzungen, in die eingewilligt worden ist, bestimmt sich aber auch nach den die Tatausführung begleitenden Umständen. So ist etwa in Bezug auf im Rahmen von sportlichen Wettkämpfen eingetretene Körperverletzungserfolge im Ergebnis allgemein anerkannt, dass die entsprechende Tat selbst bei der Gefahr erheblicher gesundheitlicher Beeinträchtigungen nicht gegen die guten Sitten verstößt, wenn die Verletzung aus Verhaltensweisen resultiert, die nach den maßgeblichen Regeln des Wettkampfs gestattet sind (vgl. BGH, Urteil vom 22. Januar 1953 – 4 StR 373/52, BGHSt 4, 88, 92 bzgl. des Boxwettkampfs; siehe auch Reinhart SpuRt 2009, 56, 59; Paeffgen in Nomos Kommentar zum StGB, 3. Aufl., § 228 Rn. 109 mwN). Resultiert aber ein im Rahmen eines durch Regeln geleiteten und von einer neutralen Person überwachten Sportwettkampfs verursachter Körperverletzungserfolg aus einem Verhalten, das sich als grob fahrlässige oder gar vorsätzliche Abweichung von den die Grundlage der erteilten Einwilligung bildenden Wettkampfregeln erweist, sind die Körperverletzungshandlung und der daraus resultierende Erfolg nicht mehr durch die Einwilligung gedeckt (etwa BGH, Urteil vom 22. Januar 1953 – 4 StR 373/52, BGHSt 4, 88, 92; BayObLG NJW 1961, 2072, 2073; OLG Karlsruhe NJW 1982, 394; OLG Hamm JR 1998, 465; siehe auch den Überblick bei Dölling ZStW 96 [1984], S. 36, 41 ff.).
13
Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Ausschluss der Rechtfertigung in solchen Konstellationen darauf beruht, dass das grob regelwidrige körperverletzende Verhalten von vornherein nicht Gegenstand der erteilten Einwilligung ist oder die Tat trotz der Einwilligung wegen des durch den schweren Regelverstoß typischerweise erhöhten Gefährlichkeitsgrades gegen die guten Sitten verstößt. Der Rechtsprechung liegt jedenfalls einheitlich der Rechtsgedanke zugrunde, die konkreten Umstände der Ausführung von an sich konsentierten Körperverletzungshandlungen bei der Beurteilung der Rechtswidrigkeit der Tat zu berücksichtigen. Findet die Tat unter Bedingungen statt, die den Grad der aus ihr hervorgehenden Gefährlichkeit für die körperliche Unversehrtheit oder gar das Leben des Verletzten begrenzen, führt dies regelmäßig dazu, die Körperverletzung als durch die erklärte Einwilligung gerechtfertigt anzunehmen. Fehlt es dagegen an derartigen Regularien, ist eine Körperverletzung trotz der erteilten Einwilligung grundsätzlich sittenwidrig (BGH, Urteil vom 22. Januar 1953 – 4 StR 373/52, BGHSt 4, 88, 92; siehe auch Urteil vom 12. Oktober 1999 - 1 StR 417/99, NStZ 2000, 87, 88). Das Fehlen von Regeln über die Bedingungen einer vereinbarten wechselseitigen körperlichen Auseinandersetzung führt nämlich erfahrungsgemäß zu einer Erhöhung des Gefährlichkeitsgrades des Körperverletzungsgeschehens über das von der Einwilligung Gedeckte hinaus. Gleiches gilt selbst bei zwischen Täter und Opfer vereinbarten Regeln über die Körperverletzungshandlungen, wenn das Vereinbarte nicht in ausreichend sicherer Weise für die Verhütung gravierender, sogar mit der Gefahr des Todes einhergehender Körperverletzungen Sorge tragen kann (BayObLG NJW 1999, 372, 373).
14
Der Grundgedanke, das Vorhandensein oder Fehlen von den Gefährlichkeitsgrad der Tat begrenzenden Vorkehrungen bei der Beurteilung der Rechtswidrigkeit von Körperverletzungen im Zusammenhang erteilter Einwilligungserklärungen zu berücksichtigen, ist in der höchstrichterlichen Rechtspre- chung auch bisher bereits herangezogen worden. So hat der Bundesgerichtshof eine sog. Bestimmungsmensur trotz der dabei verwendeten Waffen deshalb nicht als – nach früherem Recht strafbaren – „Zweikampf mit tödlichen Waffen“ bewertet, weil diese Mensur über die sie leitenden Regeln ausreichen- de Schutznahmen gegen lebensgefährliche Verletzungen bot (Urteil vom 29. Januar 1953 – 5 StR 408/52, BGHSt 4, 24, 26 f.). Der Ausschluss der Rechtswidrigkeit durch Einwilligung selbst von erheblichen Körperverletzungen, die im Rahmen von Sportwettkämpfen verursacht werden, beruht – wie bereits ausgeführt – jedenfalls auch auf dem Aspekt der durch das Aufstellen und Einhalten der Wettkampfregeln bewirkten Begrenzung des Gefährlichkeitspotentials der entsprechenden Verhaltensweisen. Bei für die körperliche Unversehrtheit und sogar das Leben generell gefahrträchtigen Wettkampfsportarten, wie etwa dem Boxsport, dienen die von den entsprechenden Verbänden aufgestellten und auf ihre Einhaltung überwachten Wettkampfregeln gerade der Beschränkung der mit dem Austragen des Wettkampfes verbundenen Risiken für die Gesundheit und das Leben der Beteiligten.
15
Außer dem Vorhandensein solcher risikobegrenzenden Regeln und Instrumentarien zur Gewährleistung ihrer Einhaltung ist bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit von Körperverletzungen trotz Einwilligung des Verletzten im Rahmen wechselseitiger tätlicher Auseinandersetzungen auch darauf abgestellt worden, ob diese unter Bedingungen stattfinden, die tatsächliche Verteidigungsmöglichkeiten des Einwilligenden ermöglichen. So hat der Senat den zu einer Körperverletzung führenden Angriff gegen einen Geschädigten, der den Angreifer zuvor selbst zu einer „Wette“ darüber aufgefordert hatte, von diesem nicht überwältigt werden zu können, als Verstoß gegen die guten Sitten (§ 228 StGB) bewertet, weil der Angriff zu einem Zeitpunkt erfolgte, in dem der zuvor auffordernde Verletzte nicht abwehr- und „kampfbereit“ war, sowie die Ausei- nandersetzung mit ungleichen „Kampfmitteln“ erfolgte (BGH, Urteil vom 12. Oktober 1999 – 1 StR 417/99, NStZ 2000, 87, 88). Ebenso ist - für den Fall der unterstellten Einwilligungsfähigkeit des Erklärenden - einer Einwilligung die rechtfertigende Wirkung wegen Unvereinbarkeit der Tat mit den guten Sitten versagt worden, weil die im Rahmen eines Aufnahmerituals in eine Jugendgang verabredete körperliche Auseinandersetzung zwischen drei Gangmitgliedern und dem Aufnahme Begehrenden keine Vorkehrungen für die Verhütung schwerer Verletzungen vorsah und die Verteidigungsmöglichkeiten des „Anwärters“ von vornherein außerordentlich beschränkt waren (BayObLG NJW 1999, 372, 373).
16
Nach den bereits bisher in der höchstrichterlichen Rechtsprechung herangezogenen Kriterien gebietet es die für die Anwendung von § 228 StGB maßgebliche ex ante-Perspektive der Bewertung des Gefährlichkeitsgrades der Körperverletzungshandlungen, die Eskalationsgefahr jedenfalls für Körperverletzungen wie die vorliegenden, die im Rahmen von tätlichen Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Gruppen begangen werden, mit zu berücksichtigen. Dafür spricht zusätzlich, worauf der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zu Recht hingewiesen hat, auch der § 231 StGB zugrunde liegende Schutzzweck. Mit diesem abstrakten Gefährdungsdelikt (BGH, Urteil vom 24. August 1993 – 1 StR 380/93, BGHSt 39, 305, 307; Hohmann in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., § 231 Rn. 2 mwN) will der Gesetzgeber bereits im Vorfeld von Rechtsgutsverletzungen Leben und Gesundheit vor dem Gefährdungspotential von körperlichen Auseinandersetzungen zwischen mehreren Personen schützen (vgl. BT-Drucks. 13/8587 S. 61; Pichler aaO S. 39). Ein Aspekt dieser spezifischen Gefährlichkeit der Schlägerei liegt gerade in der Unkontrollierbarkeit gruppendynamischer Prozesse. Dieser Gefährlichkeitsaspekt ist auch bei der ex ante Beurteilung von wechselseitig konsentierten Körperverletzungen in Fällen der vorliegenden Art zu berücksichtigen.
17
cc) Nach diesem Maßstab verstoßen die Körperverletzungen zu Lasten der Zeugen La. und W. wegen des Ausmaßes der mit diesen verbundenen Gefährlichkeit für die Rechtsgüter Leben und Gesundheit trotz der Einwilligung der Verletzten gegen die guten Sitten. Maßgebend dafür ist nicht in erster Linie das Gefährlichkeitspotential der einzelnen Körperverletzungshandlungen , sondern die Gesamtumstände, unter denen diese verübt worden sind.
18
Bereits mit den verabredeten zugelassenen Körperverletzungen, zumindest in Gestalt der Fußtritte, ging ein nicht unerhebliches Gefährlichkeitspotential einher. Nach den Feststellungen ist nicht ausgeschlossen, dass solche Fußtritte auch gegen den Kopf des oder der Kontrahenten geführt wurden. Tritte gegen den Kopf sind als solche für das Leben des Getretenen generell gefährlich. Sie verwirklichen das Merkmal der das Leben gefährdenden Behandlung im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB jedenfalls dann, wenn sie nach der Art der Ausführung der Verletzungshandlung im Einzelfall zu lebensgefährlichen Verletzungen führen können (BGH, Beschluss vom 11. Juli 2012 – 2 StR 60/12, NStZ-RR 2012, 340 f.; siehe auch BGH, Urteil vom 22. März 2002 – 2 StR 517/01, NStZ 2002, 432 f. sowie Senat, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 1 StR 400/11, NStZ-RR 2012, 105 f.). Entsprechendes gilt auch für gegen den Kopf des Opfers geführte Faustschläge, wie sie vorliegend mehrere Angehörige der Gruppe um L. erlitten haben. So ist etwa der Zeuge La. so heftig in das Gesicht geschlagen worden, dass er drei Zähne vollständig verloren hat, die durch Implantate ersetzt werden müssen. Derart massive Faustschläge tragen bereits per se einen erheblichen Gefährlichkeitsgrad in sich. Richten sich solche Schläge gegen besonders empfindliche Bereiche des Kopfes, wie vor allem die Schläfenregion, wird regelmäßig sogar von einer konkreten Todesgefahr auszugehen sein (BGH, Beschluss vom 20. Juli 2010 – 5 StR 255/10).
19
Bedeutsamer als der ohnehin nicht geringe Gefährlichkeitsgrad der von der Verabredung umfassten Körperverletzungshandlungen ist jedoch für die Beurteilung der Taten anhand von § 228 StGB das Fehlen jeglicher Absprachen und Vorkehrungen, die eine Eskalation der wechselseitigen Körperverletzungshandlungen und damit einhergehend eine beträchtliche Erhöhung der aus diesen resultierenden Rechtsgutsgefährlichkeit ausschließen. Es ist nicht ersichtlich , dass die Gruppen vor dem Beginn der Auseinandersetzung abgesprochen hätten, Körperverletzungen gegen bereits geschlagene und deshalb nicht mehr zu effektiver Ab- oder Gegenwehr fähige Beteiligte auszuschließen. Ebenso wenig lassen die rechtsfehlerfreien Feststellungen Absprachen und Sicherungen erkennen, die Situationen ausschließen, in denen sich eine unterschiedliche Anzahl von Kämpfenden aus den beiden Gruppen gegenübersteht und sich wegen der Mehrzahl von „Kämpfern“ auf einer Seite das Risiko schwerwiegender Verletzungen für den oder die in Unterzahl Befindlichen deutlich erhöht.
20
Die tatsächliche Entwicklung der Auseinandersetzung zeigt vielmehr, dass es sich nicht lediglich um abstrakt-generell bedeutsame Umstände der Beurteilung der Rechtsgutsgefährlichkeit der von den Angeklagten begangenen oder ihnen gemäß § 25 Abs. 2 StGB zuzurechnenden Körperverletzungen handelt. Vielmehr haben sich die genannten generellen Risikofaktoren auch in der konkreten Kampfsituation risikosteigernd ausgewirkt. So ist der ohnehin aufgrund seiner starken Alkoholisierung nicht zur Abwehr gegen ihn gerichteter Körperverletzungen fähige Zeuge J. nicht nur von drei zeitgleich agierenden Angehörigen der Gruppe um die Angeklagten im Zusammenwirken geschlagen und getreten worden, sondern die Körperverletzungen wurden selbst dann noch fortgesetzt, als J. sich völlig wehrlos am Boden befand und lediglich noch versuchte, auf allen Vieren kriechend dem Ort der Auseinandersetzung zu entkommen. Mit den Zeugen Mü. und R. sind darüber hinaus Personen Opfer der Körperverletzungen seitens der Angeklagten geworden , die an der mit der Gruppe um L. verabredeten körperlichen Auseinandersetzung gar nicht beteiligt waren, sondern aus Anlass ihrer Bemühungen , den bereits verletzten Zeugen J. aus dem Kampfgeschehen zu holen , von den Angeklagten und Mitgliedern ihrer Gruppe geschlagen bzw. getreten worden sind. Gerade in derartigen Entwicklungen drückt sich das ex ante zu beurteilende Gefährlichkeitspotential von körperlichen Auseinandersetzungen der vorliegenden Art aus.
21
Fehlen damit Absprachen und effektive Sicherungen für deren Einhaltung , die bei wechselseitigen Körperverletzungen zwischen rivalisierenden Gruppen den Grad der Gefährdung der Rechtsgüter Leben und Gesundheit der Beteiligten auf ein vor dem Hintergrund des Selbstbestimmungsrechts von Seiten des Staates tolerierbares Maß begrenzen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Mai 2004 – 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 171), verstoßen die Taten trotz der Einwilligung der Verletzten selbst dann gegen die guten Sitten (§ 228 StGB), wenn mit den einzelnen Körperverletzungserfolgen keine konkrete Todesgefahr verbunden war.
22
dd) Ob bei wechselseitigen Körperverletzungen zwischen rivalisierenden Gruppen bei vorhandenen Absprachen und Sicherungen zur Beschränkung des Gefährlichkeits- bzw. Gefährdungsgrades ein Verstoß der Taten gegen die guten Sitten nicht vorliegt, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Er neigt aber wegen der abstrakt-generellen Eskalationsgefahr in derartigen Situationen dazu , die Frage zu verneinen, wenn und soweit eine Einhaltung des Verabredeten nicht ausreichend sicher gewährleistet werden kann.
23
2. Im Hinblick auf die Körperverletzung zu Lasten des geschädigten Zeugen J. scheidet eine Rechtfertigung durch Einwilligung ohnehin von vornherein aus. Obwohl dieser der an der verabredeten Auseinandersetzung beteiligten Gruppe um L. bei Beginn der Tätlichkeiten angehörte, konnte er keine wirksame Einwilligung erteilen. Nach den Feststellungen des Landgerichts über dessen Alkoholisierung und seinen dadurch hervorgerufenen Zustand konnte der Zeuge J. keine zutreffende Vorstellung von dem voraussichtlichen Verlauf und den möglichen Folgen des zu erwartenden Angriffs haben. Er war damit nicht einwilligungsfähig.
24
3. Die geschädigten Zeugen Mü. und R. haben bereits keine Einwilligung erklärt. Sie gehörten bei dem Tatgeschehen nicht der Gruppe um L. an, sondern hatten sich bewusst von dieser ferngehalten. Sie sind lediglich in das „Kampfgeschehen“ geraten, ohne sich daran zu beteiligen, als sie den alkoholisierten und erheblich verletzten Zeugen J. von dem Ort der Auseinandersetzung wegbringen wollten. Nack Rothfuß Graf Cirener Radtke

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Feb. 2013 - 1 StR 585/12

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Feb. 2013 - 1 StR 585/12

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Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Strafgesetzbuch - StGB | § 224 Gefährliche Körperverletzung


(1) Wer die Körperverletzung 1. durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,2. mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,3. mittels eines hinterlistigen Überfalls,4. mit einem anderen Beteiligten gemeins

Strafgesetzbuch - StGB | § 223 Körperverletzung


(1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar.

Strafgesetzbuch - StGB | § 25 Täterschaft


(1) Als Täter wird bestraft, wer die Straftat selbst oder durch einen anderen begeht. (2) Begehen mehrere die Straftat gemeinschaftlich, so wird jeder als Täter bestraft (Mittäter).
Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Feb. 2013 - 1 StR 585/12 zitiert 7 §§.

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Strafgesetzbuch - StGB | § 231 Beteiligung an einer Schlägerei


(1) Wer sich an einer Schlägerei oder an einem von mehreren verübten Angriff beteiligt, wird schon wegen dieser Beteiligung mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn durch die Schlägerei oder den Angriff der Tod eines

Strafgesetzbuch - StGB | § 228 Einwilligung


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Referenzen - Urteile

Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Feb. 2013 - 1 StR 585/12 zitiert oder wird zitiert von 8 Urteil(en).

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Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Nov. 2012 - 1 StR 530/12

bei uns veröffentlicht am 20.11.2012

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Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Juli 2010 - 5 StR 255/10

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Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Juni 2012 - 3 StR 163/12

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Bundesgerichtshof Urteil, 20. Nov. 2008 - 4 StR 328/08

bei uns veröffentlicht am 20.11.2008

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Bundesgerichtshof Urteil, 22. Jan. 2015 - 3 StR 233/14

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Referenzen

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

Wer eine Körperverletzung mit Einwilligung der verletzten Person vornimmt, handelt nur dann rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt.

(1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 530/12
vom
20. November 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. November 2012 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Kempten (Allg.) vom 11. Juli 2012 wird als unbegründet verworfen
, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung
keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die
der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat:
Die Verfahrensrüge, das Landgericht habe unter Verletzung von § 261 StPO
die Inhalte von zwei SMS im Urteil verwertet, ohne diese zuvor in die Hauptverhandlung
eingeführt zu haben, bleibt ohne Erfolg.
Mit dieser Rüge macht die Revision geltend, das Landgericht habe hinsichtlich
der Verurteilung des Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zum
Nachteil der Zeugin R. das Fehlen ihrer Einwilligung in das Zuziehen der um
ihren Hals gelegten Kette auf den Inhalt von zwei SMS der Zeugin vom
11. September 2010 gestützt, ohne dass diese in der Hauptverhandlung verlesen
oder im Selbstleseverfahren bzw. durch Bericht eines Kammermitglieds
oder über einen Vorhalt gegenüber der Zeugin in die Hauptverhandlung eingeführt
worden seien.
Bereits das Vorliegen des Verfahrensfehlers ist nicht erwiesen. Ausweislich einer
handschriftlichen Notiz des Kammervorsitzenden vom 18. September 2012
(Bl. 378 Bd. II d.A.) wurden die SMS der Zeugin vorgelesen, die sich dazu erklärt
habe. Dies findet eine Bestätigung in einem Vermerk der Sitzungsvertreterin
der Staatsanwaltschaft vom 3. Oktober 2012 (Bl. 392 Bd. II d.A.). Danach
wurden die fraglichen SMS im Rahmen der Vernehmung der Zeugin R. in
der Hauptverhandlung inhaltlich thematisiert.
Im Übrigen würde das Urteil auch nicht auf dem behaupteten Verfahrensverstoß
beruhen. Die Revision meint, das Tatgericht habe das Fehlen einer Einwilligung
der Zeugin auf den Inhalt der fraglichen SMS gestützt. Aus den Urteilsgründen
, auf die der Senat wegen der zugleich erhobenen Sachrüge in vollem
Umfang zugreifen kann, ergibt sich jedoch, dass der Angeklagte und die Zeugin
R. übereinstimmend angegeben haben, über das Zuziehen der um den
Hals der Zeugin gelegten Kette sei zuvor nicht gesprochen worden. Auf der
Grundlage dieser rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen lag eine Einwilligung
der Zeugin mit dem zeitweiligen Würgen mittels der Kette unabhängig von
den Inhalten der fraglichen SMS nicht vor. Einer Einwilligung, gleich ob ausdrücklich
oder konkludent erklärt, kommt nur dann rechtfertigende Wirkung zu,
wenn die über das betroffene Rechtsgut dispositionsbefugte Person mit voller
Kenntnis der Sachlage der Rechtsgutsbeeinträchtigung zustimmt. Der Einwilligende
muss also eine zutreffende Vorstellung von dem voraussichtlichen Verlauf
und den zu erwartenden Folgen des Angriffs haben (Fischer, StGB,
59. Aufl., 2012, § 228 Rn. 5 mwN). Gerade das war aber bei der Zeugin R.
wegen des Fehlens jeglicher vorheriger Verständigung über das Würgen mit
der Kette nicht der Fall.
Auch für den Ausschluss einer Verurteilung des Angeklagten wegen vorsätzlicher
Körperverletzung kommt es auf den Inhalt der SMS nicht an. Selbst wenn
der Angeklagte irrtümlich davon ausgegangen sein sollte, die Zeugin gehöre
der „SM-Szene“ an, würde eine solche Fehlvorstellung der Bestrafung aus dem
Vorsatzdelikt nicht entgegenstehen. Denn auch auf dieser tatsächlichen Grundlage
hätte mangels Verständigung über das Zuziehen der Kette keine rechtfertigende
Einwilligung vorliegen können. Die für eine solche Rechtfertigung erforderliche
Kenntnis des Einwilligenden über Art und Intensität der bevorstehenden
Rechtsgutsbeeinträchtigung fehlte auf der Grundlage des vom Angeklagten
und der Zeugin angegebenen Geschehensablaufs ebenfalls völlig unabhängig
von dem, was diese dem Angeklagten in den fraglichen SMS nach der Tat mitgeteilt
hat.
Nack Wahl Rothfuß
Sander Radtke

Wer eine Körperverletzung mit Einwilligung der verletzten Person vornimmt, handelt nur dann rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt.

28
In der älteren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wurde eine solche Einwilligung als grundsätzlich unbeachtlich angesehen, weil das Leben eines Menschen auch in § 222 StGB zum Schutz der Allgemeinheit mit Strafe bedroht sei und eine Einwilligung das mit einer fahrlässigen Tötung verbundene Handlungsunrecht nicht zu beseitigen vermöge (BGHSt 4, 88, 93; 7, 112, 114; BGH VRS 17, 277, 279; BGHZ 34, 355, 361; BGH, Urteil vom 20. Juni 2000 – 4 StR 162/00). In neueren Entscheidungen – insbesondere zu § 227 StGB – hat der Bundesgerichtshof dagegen darauf abgestellt, dass bei einer Einwilligung in die (vorsätzliche) Körperverletzung die Grenze zur Sittenwidrigkeit jedenfalls dann überschritten sei, wenn bei vorausschauender objektiver Betrachtung aller maßgeblichen Umstände der Tat der Einwilligende durch die Körperverletzungshandlung in konkrete Todesgefahr gebracht werde. Für diese Eingrenzung spreche sowohl der Normzweck des § 228 StGB als auch die aus der Vorschrift des § 216 StGB abzuleitende gesetzgeberische Wertung. Sie begrenzten die rechtfertigende Kraft der Einwilligung in eine Tötung oder Körper- verletzung, da das Gesetz ein soziales bzw. Allgemeininteresse am Erhalt dieser Rechtsgüter auch gegen den aktuellen Willen des Betroffenen verfolge (BGHSt 49, 34, 42, 44; 166, 173 f. = JR 2004, 472 m. Anm. Hirsch = JZ 2005, 100 m. Anm. Arzt). Diese Grundsätze hat der Bundesgerichtshof auf die Fälle übertragen, in denen das spätere Opfer in das Risiko des eigenen Todes eingewilligt und sich dieses anschließend – im Rahmen des von der Einwilligung „gedeckten“ Geschehensablaufs – verwirklicht hat. Auch in diesen Fällen scheide eine Rechtfertigung der Tat durch die Einwilligung des Opfers bei konkreter Todesgefahr aus (BGHSt 49, 166, 175).
5 StR 255/10

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 20. Juli 2010
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Juli 2010

beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 15. Februar 2010 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dadurch den Nebenklägern entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat: Das Landgericht hat übersehen, dass nach den durch den Bundesgerichtshof entwickelten Maßstäben (vgl. BGHSt 53, 55, 62 f. Tz. 28 m.w.N.) die Einwilligung des Tatopfers in die vorsätzliche Körperverletzung durch Faustschläge gegen die Schläfenregion wegen Überschreitens der Grenzen der Sittenwidrigkeit (§ 228 StGB) unwirksam gewesen ist. Der Einwilligende ist durch die Körperverletzungshandlung hier in konkrete Todesgefahr gebracht worden (vgl. BGH aaO).
Hierdurch ist der Angeklagte aber genauso wenig beschwert wie durch das – aus Sicht des Landgerichts in diesem Zusammenhang konsequente – Unterlassen einer Erörterung, ob die verborgen gebliebene Körperabnormität des Opfers (lediglich 1 Millimeter Stärke des Schädelknochens anstatt üblicher 3 bis 5 Millimeter) einen Irrtum über das Maß der eigenen Gefährlichkeit und damit möglicherweise über die Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes hätte begründen können (vgl. BGHSt 49, 34, 44; 166, 175).
Die Annahme einer fahrlässigen Tötung ist angesichts der festgestellten Umstände gemäß § 16 Abs. 1 Satz 2 StGB jedenfalls möglich (vgl. BGHSt 49, 166, 175 f.) und hier in der Sache gerechtfertigt (vgl. BGHR StPO § 349 Abs. 4 Nebenklägerrevision 1 zu einem sehr ähnlichen Sachverhalt). Der Angeklagte hat mit hohem Kraftaufwand – dem eines Fußtritts ähnlich (UA S. 12) – mindestens drei Mal gegen die auch bei Menschen normaler Konstitution besonders empfindliche Schläfenregion des deutlich älteren, mit über 2 ‰ BAK alkoholisierten und hierdurch ersichtlich geschwächten Opfers eingewirkt , so dass ein möglicher Irrtum über das Maß der eigenen Gefährlichkeit auf einer dem Angeklagten vermeidbaren Fehleinschätzung der Gefahrenlage beruht. Dies hat das Landgericht letztlich zutreffend dargelegt (UA S. 20).
Brause Sander Schneider König Bellay

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 163/12
vom
12. Juni 2012
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts am 12. Juni 2012 gemäß § 349 Abs. 4
StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 19. Oktober 2011 im Maßregelausspruch aufgehoben. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus entfällt.
Die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf sachlichrechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Angeklagten führt zum Wegfall des Maßregelausspruchs.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts schlug der Angeklagte dem Nebenkläger die Sonnenbrille von der Nase und nahm sie an sich. Er hatte nicht die Absicht, die Brille zu behalten, sondern wollte auf diese Weise lediglich ein Gespräch herbeiführen und den Nebenkläger darauf hinweisen, dass dieser sich kurz zuvor einem Straßenmusiker gegenüber beleidigend verhalten habe. Ob es zwischen dem Nebenkläger und einem Straßenmusikanten ein Zusammentreffen gegeben oder ob sich dies nur in der Phantasie des an einer floriden paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie leidenden Angeklagten abgespielt hatte, hat das Landgericht nicht klären können.
3
Der Angeklagte entfernte sich mit der Sonnenbrille in der Hand und äußerte gegenüber dem ihn verfolgenden und die Rückgabe der Brille verlangenden Nebenkläger den Wunsch auf ein Gespräch. Nach einiger Zeit kamen beide überein, "ein körperliches Duell ausfechten zu wollen", und begannen, nachdem der Angeklagte die Sonnenbrille beiseitegelegt hatte, aufeinander einzuschlagen. Dabei war der Angeklagte dem Nebenkläger körperlich weit überlegen und verursachte mit heftigen Faustschlägen erhebliche Verletzungen in dessen Gesicht. Nachdem der Kampf zwischenzeitlich bereits einmal beendet worden war und sich die beiden Männer die Hand gegeben hatten, fing der Nebenkläger wieder an, auf den Angeklagten einzuschlagen, worauf die körperliche Auseinandersetzung erneut aufflammte. An deren Ende wuschen sich beide Kontrahenten an einem Brunnen, der Nebenkläger nahm seine Sonnenbrille wieder an sich und beide verließen den Ort des Geschehens. Der Nebenkläger erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma sowie eine Nasenbein- und eine Jochbeinfraktur , die operativ versorgt werden mussten und einen zehntägigen Krankenhausaufenthalt erforderlich machten.
4
2. Das Landgericht hat die Tat des Angeklagten als gefährliche Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung (§§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) gewertet. Es hat die Tat durch die Einwilligung des Geschädigten in die Schlägerei nicht als gerechtfertigt angesehen. Zwar sei der Nebenkläger zunächst mit einer körperlichen Auseinandersetzung einverstanden gewesen; diese Einwilligung habe "jedoch dort ihre Grenze, wo offensichtlich wurde, dass der Angeklagten dem Geschädigten körperlich weit überlegen war, womit dieser nicht gerechnet hatte, und der Angeklagte trotz der bereits erkennbaren Verletzungen weiter auf den Nebenkläger einschlug mit der Folge, dass dieser die festgestellten erheblichen Verletzungen erlitt".
5
Das Landgericht hat den Angeklagten gleichwohl freigesprochen, weil dieser zum Zeitpunkt der Tat aufgrund der floriden paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie unfähig gewesen sei, das Unrecht seines Handelns einzusehen. Es hat die Unterbringung nach § 63 StGB angeordnet, weil mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sei, dass der Angeklagte aufgrund seiner dauerhaft bestehenden psychischen Erkrankung und des damit verbundenen Wahns, die Welt verbessern und für das Gute kämpfen zu müssen, erneut andere Menschen maßregeln wolle und dabei "weitere Straftaten ähnlichen Ausmaßes" begehen werde.
6
3. Die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Anordnung dieser Maßregel setzt nach § 63 StGB eine im Zustand der Schuldunfähigkeit oder der verminderten Schuldfähigkeit begangene rechtswidrige Tat voraus sowie eine auf einem dauerhaften Zustand beruhende Gefährlichkeit des Täters für die Allgemeinheit in Form zu erwartender erheblicher rechtswidriger Taten. Daran fehlt es hier.
7
a) Soweit das Landgericht auf die Körperverletzungshandlungen des Angeklagten abgestellt hat, liegt keine rechtswidrige Tat vor. Die Körperverletzung ist durch die Einwilligung des Nebenklägers gerechtfertigt (§ 228 StGB). Wie die Revision und der Generalbundesanwalt übereinstimmend zutreffend ausführen, ist für eine Einschränkung der Einwilligung des Nebenklägers in die mit der einvernehmlichen körperlichen Auseinandersetzung verbundene Körperverletzung nichts zu erkennen. Vielmehr spricht die Fortsetzung des Kampfes durch diesen zu einem Zeitpunkt, in dem er bereits die körperliche Überlegenheit des Angeklagten erfahren hatte, gegen eine solche Einschränkung.
8
Die Einwilligung war auch wirksam, da die Tat nicht gegen die guten Sitten verstößt. Dies gilt sowohl in Ansehung des Zwecks der Auseinandersetzung - der Angeklagte wollte den Nebenkläger wegen eines jedenfalls aufgrund des Zweifelssatzes anzunehmenden, unangemessenen Vorverhaltens maßregeln und hat damit keine "unlauteren" Ziele (vgl. BGH, Urteil vom 26. Mai 2004 - 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 170) verfolgt - als auch im Hinblick auf das Maß der Rechtsgutsverletzung und der damit verbundenen weitergehenden Gefahren für Leib und Leben des Nebenklägers (vgl. BGH, Urteil vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 42; Urteil vom 26. Mai 2004 - 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 171 f.). Der Nebenkläger erlitt zwar Verletzungen , die einen Krankenhausaufenthalt und eine Operation erforderlich machten. Zu einer konkreten Lebensgefahr (vgl. Fischer, StGB, 59. Aufl., § 228 Rn. 10a) haben die Verletzungshandlungen des Angeklagten beim Nebenkläger indes nicht geführt.
9
b) Zwar könnte - worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hingewiesen hat - eine vollendete, nicht gerechtfertigte Nötigung des Nebenklägers darin gesehen werden, dass der Angeklagte diesen durch die Ansichnahme der Sonnenbrille dazu veranlasste, ihm zu folgen und mit ihm in Kontakt zu treten. Eine solche Nötigung wäre indes keine Tat, die eine Unterbringung rechtfertigen könnte (§ 62 StGB).
10
c) Der Senat schließt aus, dass in einer neuen Verhandlung Feststellungen getroffen werden könnten, die eine Unterbringung des Angeklagten nach § 63 StGB rechtfertigen. Er entscheidet deshalb selbst, dass die Anordnung der Maßregel entfällt.
11
4. Der Freispruch kann - auch im Hinblick auf § 358 Abs. 2 Satz 3 StPO - bestehen bleiben (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 358 Rn. 12 mwN). Angesichts der vom Landgericht zu der Erkrankung des Angeklagten rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen schließt der Senat aus, dass in einer erneuten Hauptverhandlung noch der Nachweis geführt werden könnte, der Angeklagte habe schuldhaft eine rechtswidrige Nötigung begangen.
Becker Pfister RiBGH Hubert befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Mayer Gericke

Wer eine Körperverletzung mit Einwilligung der verletzten Person vornimmt, handelt nur dann rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Wer sich an einer Schlägerei oder an einem von mehreren verübten Angriff beteiligt, wird schon wegen dieser Beteiligung mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn durch die Schlägerei oder den Angriff der Tod eines Menschen oder eine schwere Körperverletzung (§ 226) verursacht worden ist.

(2) Nach Absatz 1 ist nicht strafbar, wer an der Schlägerei oder dem Angriff beteiligt war, ohne daß ihm dies vorzuwerfen ist.

Wer eine Körperverletzung mit Einwilligung der verletzten Person vornimmt, handelt nur dann rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt.

5 StR 255/10

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 20. Juli 2010
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Juli 2010

beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 15. Februar 2010 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dadurch den Nebenklägern entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat: Das Landgericht hat übersehen, dass nach den durch den Bundesgerichtshof entwickelten Maßstäben (vgl. BGHSt 53, 55, 62 f. Tz. 28 m.w.N.) die Einwilligung des Tatopfers in die vorsätzliche Körperverletzung durch Faustschläge gegen die Schläfenregion wegen Überschreitens der Grenzen der Sittenwidrigkeit (§ 228 StGB) unwirksam gewesen ist. Der Einwilligende ist durch die Körperverletzungshandlung hier in konkrete Todesgefahr gebracht worden (vgl. BGH aaO).
Hierdurch ist der Angeklagte aber genauso wenig beschwert wie durch das – aus Sicht des Landgerichts in diesem Zusammenhang konsequente – Unterlassen einer Erörterung, ob die verborgen gebliebene Körperabnormität des Opfers (lediglich 1 Millimeter Stärke des Schädelknochens anstatt üblicher 3 bis 5 Millimeter) einen Irrtum über das Maß der eigenen Gefährlichkeit und damit möglicherweise über die Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes hätte begründen können (vgl. BGHSt 49, 34, 44; 166, 175).
Die Annahme einer fahrlässigen Tötung ist angesichts der festgestellten Umstände gemäß § 16 Abs. 1 Satz 2 StGB jedenfalls möglich (vgl. BGHSt 49, 166, 175 f.) und hier in der Sache gerechtfertigt (vgl. BGHR StPO § 349 Abs. 4 Nebenklägerrevision 1 zu einem sehr ähnlichen Sachverhalt). Der Angeklagte hat mit hohem Kraftaufwand – dem eines Fußtritts ähnlich (UA S. 12) – mindestens drei Mal gegen die auch bei Menschen normaler Konstitution besonders empfindliche Schläfenregion des deutlich älteren, mit über 2 ‰ BAK alkoholisierten und hierdurch ersichtlich geschwächten Opfers eingewirkt , so dass ein möglicher Irrtum über das Maß der eigenen Gefährlichkeit auf einer dem Angeklagten vermeidbaren Fehleinschätzung der Gefahrenlage beruht. Dies hat das Landgericht letztlich zutreffend dargelegt (UA S. 20).
Brause Sander Schneider König Bellay

Wer eine Körperverletzung mit Einwilligung der verletzten Person vornimmt, handelt nur dann rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt.

(1) Wer sich an einer Schlägerei oder an einem von mehreren verübten Angriff beteiligt, wird schon wegen dieser Beteiligung mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn durch die Schlägerei oder den Angriff der Tod eines Menschen oder eine schwere Körperverletzung (§ 226) verursacht worden ist.

(2) Nach Absatz 1 ist nicht strafbar, wer an der Schlägerei oder dem Angriff beteiligt war, ohne daß ihm dies vorzuwerfen ist.

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 60/12
vom
11. Juli 2012
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 11. Juli 2012 gemäß § 349Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 29. Juli 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) in den Fällen B.I.4, B.I.10 und B.I.15 der Urteilsgründe,
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen gefährlicher Körperverletzung in sieben Fällen, vorsätzlicher Körperverletzung in zwölf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Freiheitsberaubung , und wegen Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Außerdem hat es der Nebenklägerin unter Absehen von einer weiter gehenden Entscheidung über die Adhäsionsklage ein Schmerzensgeld in Höhe von 15.000 € zugesprochen.Gegen dieses Urteil richtet sich die auf eine Ver- fahrensrüge sowie die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang aufgrund der Sachrüge Erfolg. Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2
Nach den Feststellungen schlug und trat der Angeklagte die Nebenklägerin am Morgen eines Tages im Zeitraum zwischen dem 30. August und Anfang September 2008 aus nichtigem Anlass. Sie flüchtete ins Badezimmer und kauerte sich am Boden zusammen. Der Angeklagte setzte ihr nach und trat ihr mehrfach gegen den Kopf, so dass diese gegen die Badewanne stieß. Dadurch wurde es der Nebenklägerin schwindelig und sie erlitt eine blutende Verletzung am Ohr. Es folgten weitere Schläge mit der flachen Hand ins Gesicht der Geschädigten (Fall B.I.4 der Urteilsgründe). Am 5. Oktober 2008 prügelte der Angeklagte im Schlafzimmer auf die Nebenklägerin ein und trat sie. Dadurch wurde sie mehrfach mit dem Kopf gegen die Metallverstrebung des Bettes und gegen die Wände des Schlafzimmers gestoßen. Außerdem riss der Angeklagte ihr Haare aus (Fall B.I.10). An einem Tag Ende Januar 2009 fesselte der Angeklagte die Nebenklägerin an einen Stuhl, indem er ihre Hände mit einem Tuch hinter der Lehne des Stuhls sowie ihre Beine zusammenband. Außerdem knebelte er sie. Er drohte ihr an, ihr den Finger zu brechen, mit dem sie seine Telefonanrufe weggedrückt habe. Die Nebenklägerin geriet dadurch in Panik, zitterte und weinte. Der Angeklagte ließ die Nebenklägerin einige Minuten gefesselt, ohne seine Drohung umzusetzen; dann band er sie los (Fall B.I.15).

II.

3
Die Handlungen in den Fällen B.I.4 und B.I.10 hat das Landgericht ohne nähere Erläuterung als gefährliche Körperverletzung, die Handlung im Fall B.I.15 als vorsätzliche Körperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung bewertet. Dies begegnet rechtlichen Bedenken.
4
1. Es ist nicht nachzuvollziehen, welchen Qualifikationstatbestand des § 224 Abs. 1 StGB das Landgericht in den Fällen B.I.4 und B.I.10 heranziehen wollte, weil das Landgericht keine ausdrückliche Subsumtion vorgenommen hat. Das Wertungsergebnis liegt auch nicht ohne weiteres auf der Hand.
5
§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB greift nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht ein, wenn der Täter das Opfer gegen einen unbeweglichen Gegenstand bewegt (vgl. BGHSt 22, 235, 236; BGH NStZ-RR 2005, 75).
6
Danach kommt als Qualifikationsgrund in den genannten Fällen nur die Begehung der Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB in Betracht. Tritte oder heftige Schläge gegen den Kopf des Opfers können eine das Leben gefährdende Behandlung darstellen (vgl. Senat, Beschluss vom 6. Juni 2007 - 2 StR 105/07). Dies gilt aber nur dann, wenn sie nach der Art der Ausführung der Verletzungshandlungen im Einzelfall zu lebensgefährlichen Verletzungen führen können. Ob das hier der Fall war, wird aus den Urteilsfeststellungen nicht abschließend deutlich.
7
Erforderlich ist zudem ein Vorsatz des Täters zur Herbeiführung einer derartigen potenziellen Lebensgefahr (vgl. BGHSt 19, 352 f.). Dazu hat das Landgericht keine Feststellungen getroffen.
8
2. Im Fall B.I.15 hat das Landgericht den Tatbestand der vorsätzlichen Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) durch die Fesselung der Nebenklägerin nicht näher erläutert. Eine körperliche Misshandlung im Sinne von § 223 Abs. 1 StGB ist eine üble, unangemessene Behandlung, die zu einer nicht unerheblichen Beeinträchtigung des körperlichen Wohlempfindens oder der körperlichen Unversehrtheit führt. Das körperliche Wohlempfinden kann nicht allein durch psychische Reaktionen beeinträchtigt werden (vgl. BGH NStZ 1997, 123, 124), so dass das Hervorrufen von Angst nicht als Taterfolg im Sinne des § 223 Abs. 1 StGB ausreicht. Bedrohungs- oder Einschüchterungshandlungen dürfen sich hinsichtlich der Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens nicht nur auf das seelische Gleichgewicht auswirken, sondern sie müssen auch die körperliche Verfassung des Opfers betreffen (vgl. BGH NStZ 1986, 166). Ob dies hier der Fall war, bleibt nach den getroffenen Feststellungen zumindest unklar. Zudem muss der Körperverletzungserfolg vom Vorsatz des Täters umfasst sein. Dazu verhalten sich die Urteilsfeststellungen nicht. Eine Erläuterung der rechtlichen Bewertung fehlt.
9
Die Verurteilung wegen tateinheitlich begangener Freiheitsberaubung, die für sich genommen rechtsfehlerfrei festgestellt und beurteilt wurde, kann danach ebenfalls keinen Bestand haben.
10
3. Mit der Aufhebung des Schuldspruchs und des Ausspruchs über die Einzelstrafen in den Fällen B.I.4, B.I.10 und B.I.15 mitsamt der Einsatzstrafe entfällt zugleich die Gesamtstrafe.
Becker Fischer Appl Krehl Eschelbach

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 400/11
vom
21. Dezember 2011
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
21. Dezember 2011, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Hebenstreit,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Sander,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof ,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt , in der Verhandlung,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwältin
als Nebenklägervertreter,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 1. März 2011 werden verworfen. 2. Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft trägt die Staatskasse. Die Kosten des Rechtsmittels des Nebenklägers trägt dieser selbst. Die im Revisionsverfahren entstandenen gerichtlichen Auslagen tragen die Staatskasse und der Nebenkläger je zur Hälfte. Die dem Angeklagten durch die Revisionen entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Von Rechts wegen

Gründe:



1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung (mittels eines gefährlichen Werkzeugs und mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung) in Tateinheit mit Beleidigung zu der Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Weiter hat es festgestellt, dass der Angeklagte dem Grunde nach verpflichtet ist, den materiellen und immateriellen Schaden des Nebenklägers, der diesem aus der vorliegend abgeurteilten Tat erwachsen ist und noch erwächst, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Versicherer übergegangen sind. Die Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger beanstanden mit ihrem Rechtsmittel die Verletzung materiellen Rechts, der Nebenkläger erhebt zudem eine Formalrüge. Beide erstreben letztlich die Verurteilung wegen eines versuchten Tötungsdelikts. Den Revisionen bleibt der Erfolg versagt.

I.


2
Seiner Entscheidung hat das Landgericht Folgendes zugrunde gelegt:
3
1. Zur Person des Angeklagten:
4
Der zur Tatzeit 24-jährige Angeklagte gehört der neonationalsozialistisch orientierten rechtsradikalen Szene an. Er bezeichnet sich selbst als Neonazi. Von 2004 bis 2008 war er aktives Mitglied der NPD. Dann schloss er sich dem „Freien Netzwerk Süd“ an.
5
Seit 2004 beobachtete die Polizei den Angeklagten, der „durchaus dem Führungsbereich zuzuordnen sei“, in mindestens 40 Fällen als Aktivisten der rechten Szene. Er wird von der Polizei als sehr gewaltbereit eingestuft.
6
Der Angeklagte ist begeisterter Kampfsportanhänger. Im Alter von 16 oder 17 Jahren hatte er mit dem Boxtraining begonnen. Besonders begeistert ihn das Kickboxen, das er seit 2007 in und außerhalb eines „Fight-Clubs“ be- treibt. Der Angeklagte trainiert nicht nur aus sportlichen Gründen. Als Zuhörer in der Hauptverhandlung in einem Strafverfahren gegen zwei andere Rechtsextremisten im Mai 2009 war er mit einem schwarzen Langarmshirt mit der weißen Aufschrift „Spezialist für Körperverletzungen“ bekleidet aufgefallen.
7
Wegen (gefährlicher) Körperverletzung ist der Angeklagte auch vorbestraft. Im Februar 2008 griffen er und ein Mittäter eine 18-jährige Teilnehmerin und einen 19-jährigen Teilnehmer einer Demonstration gegen eine Mahnwache der NPD zur Erinnerung an die Zerstörung Dresdens auf deren Rückweg zum Bahnhof unvermittelt mit Faustschlägen gegen den Kopf und mit Fußtritten an. Dies führte neben Prellungen zu Kopfschmerzen und Schwindel, die mehrere Tage anhielten, und bei der geschädigten Frau zudem zu einem dreiwöchigen Tinnitus an einem Ohr. Der Angeklagte wurde deshalb zu der Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt, deren Vollstreckung bis zum 19. März 2012 zur Bewährung ausgesetzt wurde.
8
2. Zum Tatgeschehen und dessen Folgen:
9
a) Der Angeklagte, seine Freundin L. und deren Arbeitskollegin bestiegen am 28. April 2010 am Hauptbahnhof in Nürnberg gegen 13.45 Uhr die U-Bahnlinie U2. L. trug eine Bauchtasche der Marke „Thor Steinar“, deren Kleidung von der rechtsextremen Szene getragen wird. Etwa 1 ½ Minuten danach stieg an der nächsten Haltestelle (Opernhaus) der 17-jährige B. zu, der spätere Verletzte. Er war seit ca. zwei Jahren in der „Antifa-Bewegung“ politisch aktiv. Sein Blick fiel auf die Bauchtasche der Freundin des Angeklagten. Er stellte sich breitbeinig vor L. auf, beugte sich mit dem Oberkörper nach vorne und warf dieser abfäl- lig die Worte „Thor Steinar“ entgegen. Dies hörte der Angeklagte und erkannte in B. einen politischen Gegner. Verärgert über dessen abfällige Bemerkung schlug der Angeklagte mit der Faust gegen dessen Kopf. Als sich B. daraufhin dem Angeklagten zuwandte, trat dieser ihm wuchtig mit dem gestreckten Bein gegen den Oberkörper, um ihn zu verletzen. B. stürzte zu Boden und riss den Angeklagten mit sich. Es kam etwa fünf Sekunden lang zu einem Gerangel mit wechselseitigen Schlägen. Dann wurden sie von einer zusteigenden Reinigungskraft der Verkehrsbetriebe getrennt. Der Angeklagte stand auf und trat beim Weggehen einmal wuchtig mit seinem Fuß, an dem er straßentaugliche Turnschuhe trug, von der Seite gegen das Gesicht des noch am Boden liegenden B. . Dieser erlitt dadurch eine blutende Verletzung an der Nase.
10
Der Angeklagte verließ die U-Bahn. Beim Aussteigen beschimpfte er B. , der ebenfalls aufgestanden und im Aussteigen begriffen war, noch mit dem Wort Fotze. Der Angeklagte fuhr die Rolltreppe nach oben. Dort traf er seine Begleiterinnen, die auf seine Aufforderung „Los raus hier“ ebenfalls den Zug verlassen hatten.
11
Wenige Sekunden nach dem Aussteigen erlitt B. einen Herzstillstand und brach auf dem Bahnsteig zusammen. Die Ursache dafür war entweder der Tritt des Angeklagten gegen den Oberkörper, bei dem der So- larplexus getroffen wurde, oder eine durch die Angriffe des Angeklagten hervorgerufene affektive Erregung.
12
Ein zufällig anwesender Krankenpfleger leitete sofort Wiederbelebungsversuche ein. Nach wenigen Minuten übernahmen dies über die Dauer von 45 Minuten der Notarzt und mit ihm eingetroffene Sanitäter. Der Notarzt defibrillierte währenddessen neunmal und setzte die maximale Dosis an herzanregenden Mitteln ein. Als die Sanitäter B. bereits aufgegeben hatten, führte der Notarzt die Herzdruckmassage noch zehn Minuten lang durch. Unmittelbar bevor auch er abbrechen wollte, begann das Herz von B. wieder zu schlagen. B. wurde bewusstlos in ein Krankenhaus eingeliefert und für fünf Tage in ein künstliches Koma versetzt. Er musste sich zweier Herzkatheteruntersuchungen unterziehen. Er erlitt zudem ein Kompartmentsyndrom im Bereich des rechten Unterschenkels. Deshalb musste er achtmal operiert werden. Die Strafkammer konnte nicht feststellen, ob das Kompartmentsyndrom unmittelbare Folge eines Angriffs des Angeklagten gegen das rechte Bein des Opfers oder die Folge eines Anstoßes bei der Pflege des Komapatienten war. B. leidet noch immer unter Schmerzen und an den psychischen Folgen der Tat. Er ist zu 40 % schwerbehindert.
13
Der Angeklagte hatte den Zusammenbruch seines Opfers nicht mehr gesehen. Als er von dem Fahndungsaufruf erfuhr, stellte er sich am 29. April 2011 (ein Tag nach dem Geschehen) der Polizei. Von den gravierenden Folgen seiner Tat war er sichtlich überrascht.
14
In der Hauptverhandlung entschuldigte sich der Angeklagte bei B. . Allerdings hatte er in den Tagen nach seiner Verhaftung noch versucht, seine Freundin und deren Arbeitskollegin dazu zu bewegen, bei der Polizei an- zugeben, B. habe sie angegriffen und beleidigt. Am 27. Juli 2010 schrieb er aus der Untersuchungshaft an einen Bekannten: „……. Frau futsch, Wohnung futsch, alles futsch. Warum? Weil ich getan habe, was Mann tun muss. Weil ich mich gerade gemacht habe …..“.
15
b) Die Strafkammer hat festgestellt, dass der Angeklagte mit Verletzungsvorsatz , aber nicht mit - auch nicht mit bedingtem - Tötungsvorsatz gehandelt hat.
16
Der Angeklagte hat es weit von sich gewiesen, dass er B. habe töten wollen. Er wisse zwar aufgrund seiner Kickboxerfahrung, dass bei einem Tritt gegen den Oberkörper immer was passieren könne, aber er habe nie damit gerechnet, dass sein Angriff tödliche Folgen haben könnte. Motiv seiner Tat sei gewesen, dass das spätere Opfer seine Freundin „dumm angeredet“ habe. Er habe sich über dessen politische Einstellung keine Gedanken gemacht; er habe nicht erkannt, dass B. links orientiert sei.
17
Letzteres ist nach den Feststellungen der Strafkammer widerlegt, zumal der Angeklagte sein Opfer unmittelbar nach der Tat als „Zecke“ bezeichnete. Die Strafkammer hat dazu ausgeführt: „Allein die Tatsache, dass der Angeklagte die politische Motivation seines Handelns bestreitet und er in der Vergangenheit bereit war, politischen Gegnern gewaltbereit entgegenzutreten, rechtfertigt es jedoch nicht, bei jeglichem körperlichem Angriff gegen einen Linken davon auszugehen, dass der Angeklagte einen möglichen Todeseintritt billigend in Kauf genommen hat. Hier müssen sämtliche tatrelevanten Gesichtspunkte in eine Gesamtwürdigung einbezogen werden.“
18
Die medizinisch-sachverständig beratene Strafkammer hat bei ihrer umfassenden Würdigung insbesondere auf folgende Punkte abgestellt: - Der Tritt gegen den Oberkörper, bei dem der Solarplexus getroffen wurde, war objektiv geeignet, den Tod von B. herbeizuführen. Allerdings tritt diese Folge bei einem einmaligen Tritt extrem selten ein.
- Ein wuchtiger Tritt mit dem beschuhten Fuß gegen den Kopf, stellt eine Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung dar. Der Angeklagte führte den Tritt jedoch seitlich gegen das Gesicht aus, sodass der Kopf des Opfers nach hinten bewegt wurde. Zu einer „Widerlagerverletzung“ konnte es so nicht kommen. Der Tritt hat deshalb auch außer einer Beschädigung der Nasenschleimhaut keine Verletzungen hervorgerufen. Als Ursache für den Herzstillstand scheidet er aus. - Bei der Auseinandersetzung handelte es sich um ein spontanes Geschehen. Es dauerte lediglich 14 Sekunden und wurde nicht von Drohungen des Angeklagten begleitet, die einen Rückschluss auf seine Motivation zugelassen hätten. - Der Angeklagte war von der Mitteilung der Folgen seiner Tat vollkommen überrascht und darüber erschrocken, wie nicht nur sein Umfeld, sondern auch der Polizeibeamte bestätigte, dem sich der Angeklagte stellte.
19
„Die Kammer ist daher überzeugt, dass der Angeklagte zwar um die be- sondere Gefährlichkeit eines Trittes gegen den Oberkörper und den Kopf wuss- te, den Tod des B. jedoch für völlig fernliegend erachtet und darauf vertraut hat, dass ein solcher auch nicht eintritt.“

II.


20
1. Die vom Nebenkläger erhobene Formalrüge - fehlerhafte Ablehnung eines Beweisantrags als bedeutungslos aus tatsächlichen Gründen - ist, wie vom Generalbundesanwalt schon in seiner Antragsschrift vom 10. August 2011 zutreffend dargelegt, unbegründet.
21
2. Die sachlich-rechtliche Überprüfung aufgrund der von beiden Revisionsführern erhobenen Rüge der Verletzung materiellen Rechts gefährdet den Bestand des Urteils im Ergebnis nicht.
22
a) Ob das Landgericht den Tötungsvorsatz rechtsfehlerfrei verneint hat (dazu unten aa), kann letztlich dahinstehen, da der Angeklagte von einem Tötungsversuch jedenfalls freiwillig zurückgetreten ist (unten bb).
23
aa) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 14. Dezember 2011 - 1 StR 501/11 mwN).
24
Die Strafkammer kam nach Würdigung der von ihr getroffenen Feststellungen zu dem Ergebnis, der Angeklagte habe B. verletzen, aber nicht - auch nicht bedingt vorsätzlich - töten wollen.
25
Das Willenselement des bedingten Vorsatzes ist bei Tötungsdelikten dann gegeben, wenn der Täter den von ihm als möglich erkannten Eintritt des Todes billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen damit abfindet. Dabei genügt für eine vorsätzliche Tatbegehung, dass der Täter den konkreten Erfolgseintritt akzeptiert und er sich innerlich mit ihm abgefunden hat, mag er auch seinen Wünschen nicht entsprochen haben. Hatte der Täter dagegen begründeten Anlass darauf zu vertrauen und vertraute er darauf, es werde nicht zum Erfolgseintritt kommen, kann bedingter Vorsatz nicht angenommen werden (BGH, Urteil vom 27. Januar 2011 - 4 StR 502/10 Rn. 34 mwN).
26
Bei der Prüfung, ob der Täter vorsätzlich gehandelt hat, muss sowohl das Wissens- als auch das Willenselement im Rahmen einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Umstände geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Dabei liegt zwar die Annahme einer Billigung des Todes des Opfers nahe, wenn der Täter sein Vorhaben trotz erkannter Lebensgefährlichkeit durchführt. Allein aus dem Wissen um den möglichen Erfolgseintritt oder die Gefährlichkeit des Verhaltens kann aber nicht ohne Berücksichtigung etwaiger sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebender Besonderheiten geschlossen werden, dass auch das Willenselement des Vorsatzes gegeben ist (vgl. BGH aaO Rn. 35).
27
Den sich hieraus ergebenden Anforderungen wird das landgerichtliche Urteil zwar weitgehend gerecht. Die Strafkammer hat bei ihrer Gesamtbetrachtung insbesondere erwogen, dass dem Angeklagten - einem Kampfsportler (Kickboxer) - die Gefährlichkeit seiner Tritte gegen die Brust (Solarplexus) und gegen den Kopf des Geschädigten bewusst war. Das Landgericht hat zutreffend darauf verwiesen, dass allein aus der objektiven Gefährlichkeit nicht zwingend auf den - bedingten - Tötungsvorsatz geschlossen werden kann. Die Strafkammer gelangte dann - auch aufgrund des Nachtatverhaltens - zu der Überzeugung, dass der Angeklagte bei seiner Spontantat den Tod des B. für völlig fernliegend erachtet und darauf vertraut hat, dass ein solcher auch nicht eintritt.
28
Die Strafkammer hat allerdings bei der Bewertung der Tathandlungen im Hinblick auf das Willenselement eine etwas verkürzte Betrachtung angestellt. Sie bewertet die beiden Tritte insoweit jeweils für sich: „Auch der wuchtig geführte einmalige Tritt in das Gesicht des am Boden liegenden Opfers reicht für sich allein nicht aus von einem bedingten Tötungsvorsatz auszugehen.“ Das Landgericht hebt dann im Weiteren vor allem darauf ab, dass dieser Tritt - ex post betrachtet - zu keinen gravierenden Verletzungen führte und nicht die Ursache für den späteren Zusammenbruch B. s war. Damitkommt der maßgebliche Umstand etwas kurz, dass der Angeklagte in einer Angriffsfolge zwei - vom ersten Faustschlag ganz abgesehen - höchstlebensgefährliche Angriffe gegen sein Opfer führte. Deshalb spricht auch die Tatsache, dass die Auseinandersetzung insgesamt nur 14 Sekunden dauerte, nicht gegen einen - bedingten - Tötungsvorsatz.
29
Die fehlende - jedenfalls fehlende ausdrückliche - Bewertung der rasch aufeinanderfolgenden Verletzungshandlungen im Zusammenhang könnte eine Lücke und damit einen Rechtsfehler in der Beweiswürdigung darstellen. Ob dieser durchgreifend wäre, ob also auszuschließen ist, dass die Strafkammer bei deutlicher Gewichtung auch dieses Aspekts in der Beweiswürdigung zur Feststellung eines bedingten Tötungsvorsatzes gekommen wäre, kann jedoch dahinstehen.
30
bb) Denn hätte der Angeklagte bedingt vorsätzlich versucht, B. zu töten, so wäre er nach den insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen der Strafkammer von diesem Tötungsversuch - freiwillig - strafbefreiend zurückgetreten (§ 24 Abs. 1 Satz 1 StGB).
31
Von einem unbeendeten Versuch kann der Täter durch bloßes Nichtweiterhandeln zurücktreten (BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 228). Unbeendet ist der Versuch, wenn der Täter nach der letzten Ausführungshandlung nach seinem Kenntnisstand nicht mit dem Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs rechnet, und sei es auch nur in Verkennung der durch seine Handlung verursachten Gefährdung des Opfers, und die Vollendung aus seiner Sicht noch möglich ist (BGH aaO, 227).
32
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Zwar wurden die am Boden liegenden Kämpfenden, der Angeklagte und B. , von einer Reinigungskraft der Verkehrsbetriebe zunächst getrennt. Nach dem Aufstehen war der Angeklagte jedoch in der Lage, seinen Angriff sofort fortzusetzen und er tat dies auch mit einem wuchtigen Tritt in das Gesicht seines noch am Boden liegenden Opfers. An weiteren Fußtritten - in schneller Folge - war er nicht gehindert. Er entfernte sich jedoch. Davon, dass er B. bereits in extreme Lebensgefahr gebracht und damit im Grunde schon alles getan hatte, um ihn zu töten, wusste er zu diesem Zeitpunkt noch nichts.
33
b) Die Strafzumessungserwägungen enthalten keine durchgreifenden Rechtsfehler zum Vorteil oder zum Nachteil (§ 301 StPO) des Angeklagten.

34
Zwar darf der Vollzug der Untersuchungshaft an sich nicht mildernd berücksichtigt werden (BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2011 - 1 StR 407/11 Rn. 9). Die Strafkammer erwähnt dies aber allein in dem Zusammenhang, dass der Angeklagte „sich am Tag nach der Tat selbst bei der Polizei gestellt hat und sich seit diesem Tag in Untersuchungshaft befindet“. Das Landgericht hält ihm somit nur zugute, dass er sich freiwillig der Strafverfolgung stellte, mit vorhersehbar für ihn sofort einschneidenden Folgen (Untersuchungshaft). Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Wahl Rothfuß Hebenstreit Jäger Sander
5 StR 255/10

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 20. Juli 2010
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Juli 2010

beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 15. Februar 2010 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dadurch den Nebenklägern entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat: Das Landgericht hat übersehen, dass nach den durch den Bundesgerichtshof entwickelten Maßstäben (vgl. BGHSt 53, 55, 62 f. Tz. 28 m.w.N.) die Einwilligung des Tatopfers in die vorsätzliche Körperverletzung durch Faustschläge gegen die Schläfenregion wegen Überschreitens der Grenzen der Sittenwidrigkeit (§ 228 StGB) unwirksam gewesen ist. Der Einwilligende ist durch die Körperverletzungshandlung hier in konkrete Todesgefahr gebracht worden (vgl. BGH aaO).
Hierdurch ist der Angeklagte aber genauso wenig beschwert wie durch das – aus Sicht des Landgerichts in diesem Zusammenhang konsequente – Unterlassen einer Erörterung, ob die verborgen gebliebene Körperabnormität des Opfers (lediglich 1 Millimeter Stärke des Schädelknochens anstatt üblicher 3 bis 5 Millimeter) einen Irrtum über das Maß der eigenen Gefährlichkeit und damit möglicherweise über die Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes hätte begründen können (vgl. BGHSt 49, 34, 44; 166, 175).
Die Annahme einer fahrlässigen Tötung ist angesichts der festgestellten Umstände gemäß § 16 Abs. 1 Satz 2 StGB jedenfalls möglich (vgl. BGHSt 49, 166, 175 f.) und hier in der Sache gerechtfertigt (vgl. BGHR StPO § 349 Abs. 4 Nebenklägerrevision 1 zu einem sehr ähnlichen Sachverhalt). Der Angeklagte hat mit hohem Kraftaufwand – dem eines Fußtritts ähnlich (UA S. 12) – mindestens drei Mal gegen die auch bei Menschen normaler Konstitution besonders empfindliche Schläfenregion des deutlich älteren, mit über 2 ‰ BAK alkoholisierten und hierdurch ersichtlich geschwächten Opfers eingewirkt , so dass ein möglicher Irrtum über das Maß der eigenen Gefährlichkeit auf einer dem Angeklagten vermeidbaren Fehleinschätzung der Gefahrenlage beruht. Dies hat das Landgericht letztlich zutreffend dargelegt (UA S. 20).
Brause Sander Schneider König Bellay

Wer eine Körperverletzung mit Einwilligung der verletzten Person vornimmt, handelt nur dann rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt.

(1) Als Täter wird bestraft, wer die Straftat selbst oder durch einen anderen begeht.

(2) Begehen mehrere die Straftat gemeinschaftlich, so wird jeder als Täter bestraft (Mittäter).

Wer eine Körperverletzung mit Einwilligung der verletzten Person vornimmt, handelt nur dann rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt.