Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Mai 2011 - 4 StR 27/11

bei uns veröffentlicht am25.05.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 27/11
vom
25. Mai 2011
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 25. Mai 2011 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 30. September 2010 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit das Landgericht von einer Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

I.

2
Die Verfahrensrügen haben keinen Erfolg. Zur Begründung nimmt der Senat auf die Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 21. April 2011 Bezug.

II.

3
1. Soweit sich das Rechtsmittel mit der Sachrüge gegen den Schuld- und Strafausspruch richtet, ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
4
2. Das angefochtene Urteil begegnet jedoch durchgreifenden rechtlichen Bedenken, soweit das Landgericht davon abgesehen hat, gemäß § 64 StGB die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen.
5
a) Die sachverständig beratene Strafkammer hat zwar eine Alkoholabhängigkeit des Angeklagten im Sinne des für die Unterbringung erforderlichen Hanges bejaht, der festgestellten Tat jedoch - auch insoweit dem Sachverständigen folgend - den notwendigen Symptomcharakter abgesprochen, da der Konsum von Alkohol lediglich als konstellativer Faktor bei der Tatbegehung zu bewerten sei. Dafür spreche, so das Landgericht, insbesondere die Tatsache, dass der Angeklagte trotz seiner langjährigen Alkoholabhängigkeit zuvor nur einmal strafrechtlich in Erscheinung getreten sei und nach eigenen Angaben auch schon in seiner Schulzeit zu einem Zeitpunkt durch Gewalttätigkeiten aufgefallen sei, als er noch alkoholabstinent gewesen sei. Es fehle auch an der hinreichend konkreten Erfolgsaussicht, da sich der Angeklagte eindeutig und entschieden gegen eine Therapie im Maßregelvollzug ausgesprochen habe.
6
b) Diese Ausführungen lassen besorgen, dass die Strafkammer bei ihrer Bewertung von einem zu engen und deshalb rechtsfehlerhaften Verständnis des für die Unterbringungsanordnung erforderlichen symptomatischen Zusam- menhangs zwischen der abgeurteilten Tat und dem Hang im Sinne des § 64 StGB ausgegangen ist.
7
Nach der ständigen Rechtsprechung ist ein symptomatischer Zusammenhang zu bejahen, wenn der Hang allein oder zusammen mit anderen Umständen dazu beigetragen hat, dass der Täter eine erhebliche rechtswidrige Tat begangen hat, und dies bei unverändertem Verhalten auch für die Zukunft zu besorgen ist (Senatsbeschluss vom 30. September 2003 - 4 StR 382/03, NStZRR 2004, 78). Dass die hier abgeurteilte erhebliche Straftat ihre Ursache in der vom Landgericht positiv festgestellten Alkoholabhängigkeit des Angeklagten hatte, versteht sich von selbst und wird zudem noch dadurch unterstrichen, dass der Angeklagte die Tatbeute in Gestalt des dem Geschädigten gehören- den Mobiltelefons für 60 € verkaufte und von dem Erlös weiteren Alkohol und Drogen erwarb. Dass er zuvor vergleichbare Taten noch nicht begangen hat, beseitigt den symptomatischen Zusammenhang ebenso wenig wie der Umstand , dass der Angeklagte während einer rauschmittelabstinenten Lebensphase in noch jugendlichem Alter bereits durch Gewalttätigkeit aufgefallen war.
8
c) Auch die Wertung des Landgerichts, wegen der mangelnden Therapiebereitschaft des Angeklagten sei eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht im Sinne des § 64 Satz 2 StGB zu verneinen, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
9
Zwar kann der fehlende Wille zu einer Therapie ein gegen die Erfolgsaussicht der Entwöhnungsbehandlung sprechendes Indiz sein. Indes soll die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach dem Willen des Gesetzgebers regelmäßig nicht von der Therapiebereitschaft des Betroffenen abhängen (BTDrucks. 16/1110 S. 13). Ziel einer Behandlung im Maßregelvollzug kann es vielmehr gerade sein, die Therapiebereitschaft beim Angeklagten erst zu we- cken (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2009 - 3 StR 516/09, NStZ-RR 2010, 141). Ob der Schluss von einem Mangel an Therapiebereitschaft auf das Fehlen einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht der Behandlung gerechtfertigt ist, lässt sich aber nur auf Grund einer - vom Landgericht hier nicht vorgenommenen - Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgebenden Umstände beurteilen (BGH aaO). Ein bloßer Hinweis auf eine vorhandene Therapieunwilligkeit in den Urteilsgründen belegt das Fehlen der Erfolgsaussicht nicht.
10
3. a) Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (BGH, Urteil vom 10. April 1990 - 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen.
11
b) Der Senat kann ausschließen, dass das Landgericht bei Anordnung der Unterbringung eine geringere Strafe verhängt hätte. Der Strafausspruch kann deshalb bestehen bleiben. Ernemann Franke Mutzbauer Bender Quentin

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Mai 2011 - 4 StR 27/11

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Mai 2011 - 4 StR 27/11

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb
Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Mai 2011 - 4 StR 27/11 zitiert 3 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


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Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 382/03
vom
30. September 2003
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 30. September 2003 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 10. Juni 2003 im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben, soweit das Landgericht von einer Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung und wegen schweren Raubes zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er allgemein die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat nur zum unterbliebenen Maßregelausspruch nach § 64 StGB Erfolg; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuld- und zum Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des
Angeklagten ergeben. Dagegen hat das Urteil keinen Bestand, soweit das Landgericht von einer Maßregelanordnung nach § 64 StGB abgesehen hat.
Nach den Feststellungen war der Angeklagte langjährig opiatabhängig. Dabei finanzierte er seinen Drogenkonsum, indem er selbst mit Drogen handelte bzw. anderen Dealern Kunden vermittelte und hierfür Heroin erhielt. Im Jahre 2000 wurde er deshalb wegen gewerbsmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 74 Fällen zu einer zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Der jetzigen Verurteilung liegen zwei Überfälle zugrunde, die der Angeklagte innerhalb von sechs Tagen jeweils unter Einsatz eines Springmessers einmal auf eine Tankstelle und im weiteren Fall auf einen Supermarkt verübte, wobei er in beiden Fällen im Verlauf des Tages außer Alkohol auch Heroin konsumiert hatte. Im Anschluß an die Taten kaufte sich der Angeklagte von dem erbeuteten Geld jeweils erneut Heroin.
Das - sachverständig beratene - Landgericht hat rechtsfehlerfrei eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB beim Angeklagten in beiden Fällen ausgeschlossen, aber zu Recht einen Hang zum übermäßigen Konsum von Opiaten im Sinne des § 64 Abs. 1 StGB bejaht. Hierzu hat es sich aber die Auffassung des psychiatrischen Sachverständigen zu eigen gemacht, daß zwischen den Taten und dem Hang des Angeklagten kein symptomatischer Zusammenhang bestehe; die Taten gingen nicht auf den Hang zurück, sondern seien dem Angeklagten nach dessen eigener Einschätzung "wesensfremd", zumal er seinen Drogenkonsum zuvor nie durch entsprechende Eigentums- oder Vermögensdelikte, sondern immer durch eigenen Drogenhandel finanziert habe.
Diese Begründung trägt das Absehen von einer Maßregelanordnung nach § 64 Abs. 1 StGB nicht. Richtig ist zwar, daß es für die Maßregelanordnung nach § 64 StGB nicht darauf ankommt, daß der Angeklagte die Taten im Zustand zumindest verminderter Schuldfähigkeit begangen hat (st. Rspr.; Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 64 Rdn. 3 und 8 m.N.). Ebenso hat das Landgericht zu Recht angenommen, daß zwischen den abgeurteilten Taten und dem Hang im Sinne des § 64 StGB ein symptomatischer Zusammenhang bestehen muß. Bei seiner Bewertung ist es jedoch von einem zu engen und deshalb rechtsfehlerhaften Verständnis dieser Voraussetzung ausgegangen. Nach ständiger Rechtsprechung ist nicht erforderlich, daß der Hang die alleinige Ursache für die Anlaßtaten ist. Vielmehr ist ein symptomatischer Zusammenhang auch dann zu bejahen, wenn der Hang neben anderen Umständen mit dazu beigetragen hat, daß der Angeklagte erhebliche rechtswidrige Taten begangen hat, und dies bei unverändertem Suchtverhalten auch für die Zukunft zu besorgen ist (BGH NStZ 2000, 25 f.; BGHR StGB § 64 Zusammenhang, symptomatischer 1; Senatsbeschlüsse vom 5. Oktober 2000 - 4 StR 377/00 - und vom 16. Juli 2002 - 4 StR 179/02). Daß in diesem Sinne die hier abgeurteilten Taten ihre Ursache auch in der Opiatabhängigkeit des Angeklagten haben, versteht sich von selbst und wird zudem noch dadurch unterstrichen, daß der Angeklagte jeweils im Anschluß an die Taten das erbeutete Geld auch zum Erwerb von weiterem Heroin einsetzte. Daß er zuvor vergleichbare Taten noch nicht begangen, sondern die Betäubungsmittel auf andere - allerdings ebenfalls strafbare - Weise finanziert hat, beseitigt den symptomatischen Zusammenhang nicht.
Der aufgezeigte Rechtsfehler zwingt zur Aufhebung des Urteils, soweit eine Entscheidung über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in
einer Entziehungsanstalt unterblieben ist. Die zugrundeliegenden Feststellun- gen können jedoch bestehen bleiben, weil sie von der rechtlich fehlerhaften Bewertung durch das Landgericht unberührt sind. Es ist auch nicht ersichtlich, daß es bei dem Angeklagten an der erforderlichen konkreten Erfolgsaussicht der Unterbringung mangelt (BVerfGE 91, 1 ff.). Einer etwaigen Nachholung der Unterbringung steht nicht entgegen, daß ausschließlich der Angeklagte Revision eingelegt hat (vgl. BGHSt 37, 5). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittel ausgenommen (vgl. BGHSt 38, 362).
Tepperwien Maatz Kuckein

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 516/09
vom
15. Dezember 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
15. Dezember 2009 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 29. Juni 2009 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgelehnt worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 44 Fällen, wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln sowie wegen Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung unter Einbeziehung einer zweimonatigen Freiheitsstrafe aus einer früheren Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten sowie zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Die Überprüfung des Urteils hat zum Schuld- und zum Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Das Urteil kann jedoch keinen Bestand haben, soweit das Landgericht davon abgesehen hat, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) anzuordnen.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts konsumierte der 33-jährige Angeklagte bereits im Alter von 12 Jahren Cannabis und - nach verschiedenen anderen Betäubungsmitteln - alsbald auch größere Mengen Amphetamin. In der Zeit von 1991 bis 2003 wurden gegen ihn insgesamt sechs strafrechtliche Sanktionen wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz verhängt, darunter eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten wegen 66 Fällen der Einfuhr von und des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln. Nach einer im August 2003 regulär abgeschlossenen sechsmonatigen Entwöhnungstherapie wurde er wieder rückfällig. Spätestens seit 2007 konsumierte er drei bis vier Gramm Amphetamin täglich.
3
Trotz der Feststellung, dass der Angeklagte die verfahrensgegenständlichen Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz aufgrund einer bestehenden Betäubungsmittelabhängigkeit und zur Finanzierung seines Eigenkonsums beging , hat das Landgericht - ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen - die Anordnung seiner Unterbringung in einer Entziehungsanstalt abgelehnt, weil für eine solche Maßnahme keine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht bestehe. Nach Darlegung der Modalitäten einer Unterbringung im Maßregelvollzug habe der Angeklagte erklärt, nicht bereit zu sein, sich auf eine mehrjährige Behandlung einzulassen und sich gegenüber einem Therapeuten zu öffnen. Wegen seiner kompromisslos ablehnenden Haltung lasse sich eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht einer Entwöhnungsbehandlung nicht feststellen.
4
2. Diese Begründung trägt das Absehen von der Maßregelanordnung nach § 64 Satz 2 StGB nicht.
5
Das bloße Abstellen auf das Fehlen eines Therapiewillens lässt außer Acht, dass dieser Umstand die Unterbringung nach § 64 StGB nicht ohne weiteres hindert. Zwar kann eine nicht vorhandene Therapiemotivation ein Indiz für unzureichende Erfolgschancen der Entwöhnungsbehandlung sein. Ob der Schluss von einem Mangel an Therapiebereitschaft auf das Fehlen einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht der Behandlung gerechtfertigt ist, lässt sich aber nur aufgrund einer - vom Landgericht hier nicht vorgenommenen - Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgeblichen Umstände beurteilen (BGH NStZ-RR 1997, 34; NJW 2000, 3015, 3016; Beschl. vom 24. März 2005 - 3 StR 71/05; Fischer, StGB 57. Aufl. § 64 Rdn. 20 m. w. N.). Ziel einer Behandlung im Maßregelvollzug kann es gerade auch sein, die Therapiebereitschaft beim Angeklagten überhaupt erst zu wecken (BGH R&P 2008, 55; NStZ-RR 1997, 34). Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB hängt nicht vom Therapiewillen des Betroffenen ab (BTDrucks. 16/1110 S. 13).
6
3. Da der Angeklagte die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Landgericht nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen hat (vgl. BGHSt 38, 362 f.) und die Maßregel auf der Grundlage der Feststellungen des Landgerichts auch nicht aus anderem Grunde ausscheidet, bedarf die Frage ihrer Anordnung der nochmaligen Prüfung durch einen neuen Tatrichter. Unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246 a StPO) werden hierzu insgesamt neue Feststellungen zu treffen sein. Dabei werden auch bisherige Therapieverläufe - der Angeklagte hat 2003 eine Entwöhnungsbehandlung regulär abgeschlossen - sowie die besonderen Bedingungen einer Behandlung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB in den Blick zu nehmen sein.
7
Einer etwaigen Nachholung der Unterbringung steht nicht entgegen, dass ausschließlich der Angeklagte Revision eingelegt hat (vgl. BGHSt 37, 5).
8
Der Strafausspruch wird durch die Teilaufhebung des Urteils nicht berührt. Der Senat kann ausschließen, dass im Falle der Unterbringung gegen den Angeklagten auf eine niedrigere Strafe erkannt worden wäre.
Becker Pfister von Lienen Hubert Mayer

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.