Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Sept. 2017 - 4 StR 391/17

bei uns veröffentlicht am27.09.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 391/17
vom
27. September 2017
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:270917B4STR391.17.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 27. September 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 18. April 2017 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit das Landgericht von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat. Die weiter gehende Revision wird verworfen. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in zwei Fällen sowie wegen Computerbetrugs in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Mit seiner auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision wendet sich der Angeklagte gegen den Strafausspruch sowie die Nichtanordnung seiner Unterbringung in einer Entziehungsanstalt. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet.
2
1. Die Entscheidung des Landgerichts, von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abzusehen, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
3
Der Generalbundesanwalt hat hierzu in seiner Zuschrift an den Senat das Folgende ausgeführt: „Die sachverständig beratene Strafkammer hat aufgrund des festgestell- ten langjährigen Missbrauchs von Alkohol und Drogen einen Hang des Angeklagten im Sinne des § 64 StGB bejaht, dann aber gemeint, ein symptomatischer Zusammenhang sei nicht gegeben, weil der Hang nicht (mit)ursächlich für die Begehung der Taten sei und auch die Gefährlichkeit des Angeklagten nicht konditioniere. Die Straftaten seien vielmehr Ausfluss des über viele Jahre praktizierten Lebensstils des Angeklagten, zu dem das Konsumverhalten gehöre. Auch bestehe keine Erfolgsaussicht einer Therapie, weil der Angeklagte bereits eine Therapie abgebrochen habe und trotz des von ihm geäußerten Therapiewillens keine Anhaltspunkte für einen ernsthaften Willen, vom Alkohol- und Drogenkonsum wegzukommen, erkennbar seien (UA S. 25).
Diese Ausführungen tragen das Absehen von einer Maßregelanordnung nach § 64 StGB nicht.

a) Sie lassen zunächst besorgen, dass das Landgericht von einem zu engen Verständnis von dem erforderlichen symptomatischen Zusammenhang zwischen einem Hang zum übermäßigen Konsum von Rauschmitteln und der Anlasstat des Täters ausgegangen ist.
Ein symptomatischer Zusammenhang liegt vor, wenn der Hang allein oder zusammen mit anderen Umständen dazu beigetragen hat, dass der Täter eine erhebliche rechtswidrige Tat begangen hat und dies bei unverändertem Verhalten auch für die Zukunft zu erwarten ist (BGH, Beschlüsse vom 25. November 2015 – 1 StR 379/15, NStZ-RR 2016, 113; vom 6. November 2013 – 5 StR 432/13 und vom 25. Mai 2011 – 4 StR 27/11,NStZ-RR 2011, 309), mithin die konkrete Tat in dem Hang ihre Wurzel findet (vgl. BGH, Beschluss vom 28. August 2013 – 4 StR 277/13,NStZ-RR 2014, 75). Dieser Zusammenhang liegt bei Delikten, die begangen werden, um Rauschmittel selbst oder Geld für ihre Beschaffung zu erlangen, nahe (BGH, Beschluss vom BGH, Urteil vom 18. Februar 1997 – 1 StR 693/96, BGHR StGB § 64 Abs. 1 Rausch 1; Beschluss vom 28. August 2013 – 4 StR 277/13, NStZ-RR 2014, 75; Beschluss vom 12. Januar 2017 – 1 StR 604/16).
Zwar hat das Landgericht in der knappen Begründung auch die Mitursächlichkeit in den Blick genommen, allerdings mit dem bloßen Verweis auf den Lebensstil des Angeklagten keine auf der Grundlage der festgestellten Taten basierende Bewertung vorgenommen. Angesichts der Tatsache, dass der Angeklagte das von ihm betrügerisch erlangte (Taten II.1 und 2) sowie das erpresste (Taten II.3 und 4) Geld nach seiner eigenen unwiderlegten Einlassung zur Finanzierung seines Alkohol- und Drogenkonsums gebraucht und hierfür ausgegeben (UA S. 17 - 18) und die Taten II.3 und 4 zudem unter Alkoholeinfluss begangen hat (UA S. 15 - 16), liegt die Annahme eines symptomatischen Zusammenhangs nicht fern. Eine hangbedingte Gefährlichkeit ist bereits mit Blick auf das Gewicht der Anlasstaten in den Fällen II.3 und 4 nicht von vornherein zu verneinen, zumal der Angeklagte auch die der Verurteilung durch das Amtsgericht Villingen-Schwenningen vom 27. November 2013 zugrundeliegende Tat (Raub in Tateinheit mit Körperverletzung) aufgrund seiner Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hat (UA S. 13).

b) Letztlich begegnen auch die Erwägungen, mit denen die Kammer die konkrete Erfolgsaussicht einer Therapie abgelehnt hat, durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Soweit das Landgericht – dem Sachver-
ständigen folgend – auf die im Jahr 2014 abgebrochene Therapie des Angeklagten abgestellt hat, hat es sich mit dem vom Angeklagten hierfür angegebenen Grund, er sei gemobbt worden (UA S. 4), nicht auseinander gesetzt. Auch hat die Strafkammer nicht erwogen, ob die vom Angeklagten aktuell geäußerte Therapiebereitschaft trotz des zurückliegenden erneuten Alkoholkonsums nach seiner letzten Haftentlassung am 11. November 2015 geeignet ist, eine konkrete Erfolgsaussicht zu begründen. Der in diesem Zusammenhang erfolgte Hinweis auf die seit Ende des Jahres 2015 bestehende Beziehung zu seiner „Freundin/Verlobten“ (UA S. 25)genügt hierfür nicht. Denn die Kammer hat sich nicht damit auseinander gesetzt, ob die zwischenzeitlich eingetretene Veränderung der privaten Lebensverhältnisse des Angeklagten, nämlich das Verlöbnis während der Untersuchungshaft in dieser Sache (UA S. 4), geeignet ist, eine andere Bewertung seines Therapiewillens zu stützen.
Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; BGHSt 37, 5, 7; BGH NStZ-RR 2009, 59). Der Strafausspruch kann bestehen bleiben. Angesichts der erheblichen Vorstrafen und des gesamten Tatbildes ist auszuschließen, dass der Tatrichter bei Anordnung der Unterbringung auf eine niedrigere Strafe erkannt hätte.“
4
Dem tritt der Senat bei. Es ist jedenfalls nicht auszuschließen, dass das Landgericht bei der gebotenen vertieften Prüfung die Erfolgsaussicht einer Therapie im Maßregelvollzug bejaht hätte.
5
2. Die weitere Überprüfung des Urteils im Umfang der Anfechtung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Quentin Feilcke

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Sept. 2017 - 4 StR 391/17

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Sept. 2017 - 4 StR 391/17

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

Strafprozeßordnung - StPO | § 358 Bindung des Tatgerichts; Verbot der Schlechterstellung


(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen. (2) Das angefochtene Urte
Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Sept. 2017 - 4 StR 391/17 zitiert 4 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

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Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 379/15
vom
25. November 2015
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen zu 1.: Beihilfe zum Inverkehrbringen von Arzneimitteln zu
Dopingzwecken im Sport u.a.
zu 2. und 3.: Inverkehrbringens von Arzneimitteln zu Dopingzwecken
im Sport u.a.
ECLI:DE:BGH:2015:251115B1STR379.15.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. November 2015 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten N. und S. wird das Urteil des Landgerichts München I vom 13. März 2015, soweit es sie betrifft, im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Auf die Revision des Angeklagten A. wird das vorgenannte Urteil, soweit es diesen Angeklagten betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) im Strafausspruch,
b) soweit von einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist. 3. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 4. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten A. wegen Beihilfe zum Inverkehrbringen von Arzneimitteln zu Dopingzwecken im Sport in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln außerhalb von Apotheken zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten, den Angeklagten N. wegen vorsätzlichen Inverkehrbringens von Arzneimitteln zu Dopingzwecken im Sport in 19 Fällen jeweils in Tateinheit mit vorsätzlichem Handeltreiben mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln außerhalb von Apotheken zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten , den Angeklagten S. hat es wegen vorsätzlichen Inverkehrbringens von Arzneimitteln zu Dopingzwecken im Sport in 35 Fällen jeweils in Tateinheit mit vorsätzlichem Handeltreiben mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln außerhalb von Apotheken in einem Fall auch in Tateinheit mit Inverkehrbringen von bedenklichen Arzneimitteln zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der gegen die AngeklagtenA. und N. verhängten Freiheitsstrafen hat es zur Bewährung ausgesetzt. Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten mit ihren jeweils auf Sachrüge und Verfahrensrügen gestützten Revisionen.
2
Die Rechtsmittel haben mit der im Kern gleich lautenden Verfahrensrüge Erfolg, soweit es den Strafausspruch betrifft. Mit Ausnahme der unterbliebenen Anordnung des § 64 StGB in Bezug auf den Angeklagten A. sind die weitergehenden Revisionen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
3
1. Nach dem durch das Protokoll der Hauptverhandlung bestätigten Vorbringen der Angeklagten hat ihnen das Landgericht entgegen § 258 Abs. 2, 2. Halbsatz und Abs. 3 StPO nicht das letzte Wort gewährt.
4
Der Senat kann im Hinblick auf das geständige Einlassungsverhalten der Angeklagten und die ansonsten gegebene Beweislage ausschließen, dass auf diesem Verfahrensfehler der Schuldspruch beruht. Dies gilt auch für den Angeklagten S. , der – zwar ausweislich des Protokolls auch am Tag der Urteilsverkündung etliche Erklärungen abgegeben hat – nun mit der Revision vorträgt, er hätte für den Fall der Gewährung des letzten Wortes in diesem sein Geständnis widerrufen. Das Landgericht hat die Überführung des Angeklagten S. rechtsfehlerfrei auf andere Beweismittel gestützt und dem Geständnis nur eine „nachrangige Bedeutung“ zugemessen. Vor diesem Hintergrund ist auszu- schließen, dass die Gewährung des letzten Wortes den Schuldspruch beeinflusst hätte.
5
Nicht auszuschließen ist indes, dass eine verfahrensabschließende Äußerung der Angeklagten Einfluss auf den Strafausspruch genommen hätte.
6
2. Auch die Nichtanordnung des § 64 StGB im Hinblick auf den Angeklagten A. hat keinen Bestand.
7
Das sachverständig beratene Landgericht hat angenommen, beim Angeklagten A. liege ein Hang im Sinne des § 64 StGB vor. Dieser sei auch „hangbedingt gefährlich“, da der durch den Rauschmittelkonsum bedingte Geldbedarf des Angeklagten das Motiv für die Tat dargestellt habe. Dennoch fehle es an dem symptomatischen Zusammenhang zwischen der Tat und dem Hang des Angeklagten. Diese Begründung trägt das Absehen von der Unterbringung des Angeklagten in der Entziehungsanstalt nicht; denn sie steht im Widerspruch zu den getroffenen Feststellungen, wonach der Angeklagte die Tat aus einer „auch durch seinen Drogenkonsum bedingten finanziellen Bedarfslage heraus beging“.
8
Ein symptomatischer Zusammenhang liegt vor, wenn der Hang allein oder zusammen mit anderen Umständen dazu beigetragen hat, dass der Täter eine erhebliche rechtswidrige Tat begangen hat und dies bei unverändertem Verhalten auch für die Zukunft zu erwarten ist (BGH, Beschlüsse vom 6. No- vember 2013 – 5 StR 432/13 und vom 25. Mai 2011 – 4 StR 27/11, NStZ-RR 2011, 309), mithin die konkrete Tat in dem Hang ihre Wurzel findet (vgl. BGH, Beschluss vom 28. August 2013 – 4 StR 277/13, NStZ-RR 2014, 75). Dieser Zusammenhang liegt bei Delikten, die begangen werden, um Rauschmittel selbst oder Geld für ihre Beschaffung zu erlangen, nahe (BGH, Urteil vom 18. Februar 1997 – 1 StR 693/96, BGHR StGB § 64 Abs. 1 Rausch 1; Beschluss vom 28. August 2013 – 4 StR 277/13, NStZ-RR 2014, 75). Das mag zwar im Einzelfall dennoch auszuschließen sein (vgl. BGH, Beschluss vom 6. November 2003 – 1 StR 406/03, NStZ-RR 2004, 39), hier hat das Landgericht hingegen mehrmals im Urteil dargelegt, dass der Hang des Angeklagten die Wurzel zu seiner Straffälligkeit bildet.
9
Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (BGH, Beschluss vom 11. Juli 2013 – 3 StR 193/13; Urteil vom 10. April 1990 – 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5). Der Be- schwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen. Graf Jäger Cirener Radtke Bär
5 StR 432/13

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 6. November 2013
in der Strafsache
gegen
wegen räuberischer Erpressung
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. November 2013

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 30. Mai 2013, soweit es ihn betrifft, nach § 349 Abs. 4 StPO im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen räuberischer Erpressung unter Einbeziehung mehrerer Strafen aus früheren Verurteilungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen und formellen Rechts. Das Rechtsmittel hat auf die Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
Die Ablehnung einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
3
Die Voraussetzungen für eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hat das Landgericht ohne sachverständige Hilfe und ohne weitergehende Begründung verneint, weil es keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür festzustellen vermochte, dass die abgeurteilte räuberische Erpressung auf einen Hang im Sinne des § 64 StGB zurückzuführen sei. Soweit das Landgericht damit der festgestellten Tat wohl den notwendigen Symptomcharakter abgesprochen und dabei den Konsum von Alkohol hier lediglich als konstellativen Faktor bei der Tatbegehung bewertet hat, lassen diese knappen Ausführungen besorgen, dass es bei seiner Bewertung von einem zu engen und deshalb rechtsfehlerhaften Verständnis des für die Unterbringungsanordnung erforderlichen symptomatischen Zusammenhangs zwischen der abgeurteilten Tat und einem Hang im Sinne des § 64 StGB ausgegangen ist.
4
Nach ständiger Rechtsprechung ist ein symptomatischer Zusammenhang zu bejahen, wenn der Hang allein oder zusammen mit anderen Umständen dazu beigetragen hat, dass der Täter eine erhebliche rechtswidrige Tat begangen hat, und dies bei unverändertem Verhalten auch für die Zukunft zu besorgen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Mai 2011 – 4 StR 27/11, NStZ-RR 2011, 309 mwN). Dies liegt hier sehr nahe: Nach den Feststellungen des Landgerichts konsumiert der zur Tatzeit 21 Jahre alte Angeklagte, für den eine Betreuung eingerichtet ist, seit seinem 14. Lebensjahr Alkohol. Wegen seines Alkoholproblems, das schon zu Zeiten früherer Straftaten erkennbar war, beabsichtigt er im Einvernehmen mit seiner Betreuerin eine Therapie. Der Angeklagte beging die verfahrensgegenständliche Tat, nachdem er gemeinsam mit dem Mittäter und einem Bekannten ab mittags bis zur Tatzeit nachts gegen 2.00 Uhr zwei Kästen Bier und eine unbekannte Anzahl von Schnapsflaschen ausgetrunken hatte. Im Hinblick auf seine Alkoholisierung zur Tatzeit hat das Landgericht bei dem Angeklagten eine erhebliche Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) auch nicht ausgeschlossen. Diese Feststellungen zu seinem „zeitweise übermäßigen Genuss von Alkohol“, derentwegen das Landgericht dem Angeklagten auch keine positive Legalprognose gestellt hat, drängten zu einer eingehenderen Prü- fung der Voraussetzungen nach § 64 StGB unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO).
5
Über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt muss deshalb neu verhandelt und entschieden werden. Dies führt hier auch zur Aufhebung des Strafausspruchs. Obgleich die erkannten Strafen für sich nicht überhöht erscheinen, kann der Senat nicht ausschließen , dass das Landgericht bei Anordnung der Unterbringung auf eine niedrigere Einzelstrafe oder eine geringere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte. Auf diese Weise wird ferner eine sachgerechte Abstimmung von Maßregel und Strafe ermöglicht. Dabei wird über die Frage der Aussetzung der Vollstreckung der Strafe – und gegebenenfalls der Maßregel – zur Bewährung neu zu entscheiden sein (§§ 56, 67b; vgl. ferner § 56c Abs. 3 StGB), die aber nach den bisherigen Feststellungen nicht naheliegt.
6
Da sich das Verfahren nur noch gegen einen Erwachsenen richtet, weist der Senat die Sache an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurück.
Basdorf Sander König Berger Bellay

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 27/11
vom
25. Mai 2011
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 25. Mai 2011 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 30. September 2010 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit das Landgericht von einer Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

I.

2
Die Verfahrensrügen haben keinen Erfolg. Zur Begründung nimmt der Senat auf die Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 21. April 2011 Bezug.

II.

3
1. Soweit sich das Rechtsmittel mit der Sachrüge gegen den Schuld- und Strafausspruch richtet, ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
4
2. Das angefochtene Urteil begegnet jedoch durchgreifenden rechtlichen Bedenken, soweit das Landgericht davon abgesehen hat, gemäß § 64 StGB die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen.
5
a) Die sachverständig beratene Strafkammer hat zwar eine Alkoholabhängigkeit des Angeklagten im Sinne des für die Unterbringung erforderlichen Hanges bejaht, der festgestellten Tat jedoch - auch insoweit dem Sachverständigen folgend - den notwendigen Symptomcharakter abgesprochen, da der Konsum von Alkohol lediglich als konstellativer Faktor bei der Tatbegehung zu bewerten sei. Dafür spreche, so das Landgericht, insbesondere die Tatsache, dass der Angeklagte trotz seiner langjährigen Alkoholabhängigkeit zuvor nur einmal strafrechtlich in Erscheinung getreten sei und nach eigenen Angaben auch schon in seiner Schulzeit zu einem Zeitpunkt durch Gewalttätigkeiten aufgefallen sei, als er noch alkoholabstinent gewesen sei. Es fehle auch an der hinreichend konkreten Erfolgsaussicht, da sich der Angeklagte eindeutig und entschieden gegen eine Therapie im Maßregelvollzug ausgesprochen habe.
6
b) Diese Ausführungen lassen besorgen, dass die Strafkammer bei ihrer Bewertung von einem zu engen und deshalb rechtsfehlerhaften Verständnis des für die Unterbringungsanordnung erforderlichen symptomatischen Zusam- menhangs zwischen der abgeurteilten Tat und dem Hang im Sinne des § 64 StGB ausgegangen ist.
7
Nach der ständigen Rechtsprechung ist ein symptomatischer Zusammenhang zu bejahen, wenn der Hang allein oder zusammen mit anderen Umständen dazu beigetragen hat, dass der Täter eine erhebliche rechtswidrige Tat begangen hat, und dies bei unverändertem Verhalten auch für die Zukunft zu besorgen ist (Senatsbeschluss vom 30. September 2003 - 4 StR 382/03, NStZRR 2004, 78). Dass die hier abgeurteilte erhebliche Straftat ihre Ursache in der vom Landgericht positiv festgestellten Alkoholabhängigkeit des Angeklagten hatte, versteht sich von selbst und wird zudem noch dadurch unterstrichen, dass der Angeklagte die Tatbeute in Gestalt des dem Geschädigten gehören- den Mobiltelefons für 60 € verkaufte und von dem Erlös weiteren Alkohol und Drogen erwarb. Dass er zuvor vergleichbare Taten noch nicht begangen hat, beseitigt den symptomatischen Zusammenhang ebenso wenig wie der Umstand , dass der Angeklagte während einer rauschmittelabstinenten Lebensphase in noch jugendlichem Alter bereits durch Gewalttätigkeit aufgefallen war.
8
c) Auch die Wertung des Landgerichts, wegen der mangelnden Therapiebereitschaft des Angeklagten sei eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht im Sinne des § 64 Satz 2 StGB zu verneinen, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
9
Zwar kann der fehlende Wille zu einer Therapie ein gegen die Erfolgsaussicht der Entwöhnungsbehandlung sprechendes Indiz sein. Indes soll die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach dem Willen des Gesetzgebers regelmäßig nicht von der Therapiebereitschaft des Betroffenen abhängen (BTDrucks. 16/1110 S. 13). Ziel einer Behandlung im Maßregelvollzug kann es vielmehr gerade sein, die Therapiebereitschaft beim Angeklagten erst zu we- cken (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2009 - 3 StR 516/09, NStZ-RR 2010, 141). Ob der Schluss von einem Mangel an Therapiebereitschaft auf das Fehlen einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht der Behandlung gerechtfertigt ist, lässt sich aber nur auf Grund einer - vom Landgericht hier nicht vorgenommenen - Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgebenden Umstände beurteilen (BGH aaO). Ein bloßer Hinweis auf eine vorhandene Therapieunwilligkeit in den Urteilsgründen belegt das Fehlen der Erfolgsaussicht nicht.
10
3. a) Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (BGH, Urteil vom 10. April 1990 - 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen.
11
b) Der Senat kann ausschließen, dass das Landgericht bei Anordnung der Unterbringung eine geringere Strafe verhängt hätte. Der Strafausspruch kann deshalb bestehen bleiben. Ernemann Franke Mutzbauer Bender Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 277/13
vom
28. August 2013
in der Strafsache
gegen
wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 28. August 2013 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 7. Februar 2013 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt entfällt. 2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen. Jedoch wird die Gebühr für das Rechtsmittelverfahren um die Hälfte ermäßigt. Die Staatskasse hat die Hälfte der insoweit entstandenen Auslagen sowie der notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in drei Fällen unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Berufungsurteil des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 27. März 2012 und Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Vom Vorwurf der Vergewaltigung hat es ihn freigesprochen. Weiterhin hat es die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hält einer rechtlichen Prüfung schon deshalb nicht stand, weil ein symptomatischer Zusammenhang zwischen dem Hang des Angeklagten, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und den Anlasstaten nicht belegt ist.
3
a) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt setzt gemäß § 64 Satz 1 StGB – neben dem Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen – voraus, dass die Anlasstat im Rausch begangen wurde oder – zumindest mitursächlich – auf den Hang zurückgeht, wobei die erste dieser Alternativen ein Unterfall der zweiten Alternative ist (BGH, Urteil vom 18. Februar 1997 – 1 StR 693/96, NStZ 1998, 130 mwN). Die konkrete Tat muss in dem Hang ihre Wurzel finden, also Symptomwert für den Hang des Täters zum Missbrauch von Alkohol oder anderen berauschenden Mitteln haben (BGH, Urteil vom 11. September 1990 – 1 StR 293/90, NStZ 1991, 128).
4
Eine Tatbegehung „im Rausch“ hat das Landgericht nicht festgestellt, sondern lediglich, dass der Angeklagte im Jahr 2011, in dem die verfahrensgegenständlichen Taten begangen wurden, generell Amphetamin und gelegentlich Marihuana konsumierte (UA S. 5, 16).
5
Anhaltspunkte dafür, dass die Taten, obwohl nicht im Rausch begangen, doch auf einen Hang zum Alkohol- oder Drogenmissbrauch zurückgingen, bestehen nicht. Typisch sind hierfür Delikte, die begangen werden, um Rauschmit- tel selbst oder Geld für ihre Beschaffung zu erlangen (BGH, Urteil vom 18. Februar 1997 – 1 StR 693/96 aaO). Derartige Delikte liegen hier nicht vor. Andere Delikte kommen als Hangtaten nur dann in Betracht, wenn besondere Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie gerade in dem Hang ihre Wurzeln finden, sich darin die hangbedingte besondere Gefährlichkeit des Täters zeigt (BGH, Urteil vom 18. Februar 1997 – 1 StR 693/96 aaO). Solche Anhaltspunkte sind hier nicht ersichtlich. Der Angeklagte hat die Fahrten ohne Fahrerlaubnis jeweils aus Anlass seiner Beziehung zu einer Frau unternommen, ohne dass seine Betäubungsmittelabhängigkeit eine erkennbare Rolle gespielt hätte.
6
Soweit das Landgericht in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen angenommen hat, die Taten seien auf den Hang zurückzuführen, weil „bei dem Angeklagten durch den jahrelangen übermäßigen Betäubungsmittelkonsum bereits eine deutliche und dauernde Verantwortungslosigkeit unter Missachtung sozialer Normen, Regeln und Verpflichtungen eingetreten“ (UA S. 18) sei, kann dem nicht gefolgt werden. Auch damit ist ein ursächlicher Zusammenhang zwi- schen den Taten und dem Hang nicht dargetan (vgl. zur „Enthemmung“ BGH, Urteil vom 20. September 2011 – 1 StR 120/11, NStZ-RR 2012, 72, 74 f.). Die Urteilsfeststellungen enthalten keinen Beleg dafür, dass der Angeklagte die ausgeurteilten Taten wegen einer aufgrund jahrelangen Betäubungsmittelkonsums herabgesetzten Hemmschwelle begangen hat. Dagegen spricht, dass er bereits seit 2004 mit Straftaten in Erscheinung getreten ist, seine Straffälligkeit also zu einer Zeit einsetzte, als er mit dem Konsum von Betäubungsmitteln gerade begonnen hatte.
7
b) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem rechtskräftigen Berufungsurteil des Landgerichts Frankenthal vom 27. März 2012, das vier der Beschaffungskriminalität zuzuordnende Taten des (in einem Fall versuchten) Diebstahls zum Gegenstand hatte. Im Rahmen einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 StGB kann das Gericht zwar erstmals auf eine Maßregel erkennen, wenn sich entweder aufgrund der neu abzuurteilenden Tat allein oder in Verbindung mit der schon abgeurteilten Tat die Erforderlichkeit der Maßregel ergibt (vgl. BGH, Urteil vom 16. Dezember 1954 – 3 StR 189/54, BGHSt 7, 180, 182; Rissing-van Saan in LK-StGB, 12. Aufl., § 55 Rn. 53; Stree/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 55 Rn. 55; Bringewat, Die Bildung der Gesamtstrafe, 1987, Rn. 305). Die erstmalige Verhängung der Maßregel kann aber nicht allein mit dem Symptomcharakter der bereits rechtskräftig abgeurteilten Taten begründet werden. Diese bilden deshalb im vorliegenden Verfahren keine Grundlage für die Anordnung der Maßregel gemäß § 64 StGB.
8
2. Der Senat kann sicher ausschließen, dass eine neue Verhandlung Feststellungen ergeben könnte, die eine Unterbringungsanordnung rechtfertigen würden. Daher ist in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO auf den Wegfall der Maßregel zu erkennen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 354 Rn. 26f).
9
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 4 Satz 1 StPO. Im vorliegenden Fall ist durch den Wegfall der Anordnung gemäß § 64 StGB das Gewicht des Rechtsfolgenausspruchs so gemindert, dass es unbillig wäre, dem Angeklagten die gesamten Rechtsmittelkosten aufzubürden. Angemessen ist es vielmehr, die Hälfte der Rechtsmittelkosten der Staatskasse aufzuerlegen und die Revisionsgebühr um die Hälfte zu ermäßigen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. Oktober 1986 – 4 StR 553/86, BGHR StPO § 473 Abs. 4 Quotelung 1; vom 11. Februar 1983 – 3 StR 484/82 (S)).
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 277/13
vom
28. August 2013
in der Strafsache
gegen
wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 28. August 2013 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 7. Februar 2013 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt entfällt. 2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen. Jedoch wird die Gebühr für das Rechtsmittelverfahren um die Hälfte ermäßigt. Die Staatskasse hat die Hälfte der insoweit entstandenen Auslagen sowie der notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in drei Fällen unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Berufungsurteil des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 27. März 2012 und Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Vom Vorwurf der Vergewaltigung hat es ihn freigesprochen. Weiterhin hat es die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hält einer rechtlichen Prüfung schon deshalb nicht stand, weil ein symptomatischer Zusammenhang zwischen dem Hang des Angeklagten, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und den Anlasstaten nicht belegt ist.
3
a) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt setzt gemäß § 64 Satz 1 StGB – neben dem Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen – voraus, dass die Anlasstat im Rausch begangen wurde oder – zumindest mitursächlich – auf den Hang zurückgeht, wobei die erste dieser Alternativen ein Unterfall der zweiten Alternative ist (BGH, Urteil vom 18. Februar 1997 – 1 StR 693/96, NStZ 1998, 130 mwN). Die konkrete Tat muss in dem Hang ihre Wurzel finden, also Symptomwert für den Hang des Täters zum Missbrauch von Alkohol oder anderen berauschenden Mitteln haben (BGH, Urteil vom 11. September 1990 – 1 StR 293/90, NStZ 1991, 128).
4
Eine Tatbegehung „im Rausch“ hat das Landgericht nicht festgestellt, sondern lediglich, dass der Angeklagte im Jahr 2011, in dem die verfahrensgegenständlichen Taten begangen wurden, generell Amphetamin und gelegentlich Marihuana konsumierte (UA S. 5, 16).
5
Anhaltspunkte dafür, dass die Taten, obwohl nicht im Rausch begangen, doch auf einen Hang zum Alkohol- oder Drogenmissbrauch zurückgingen, bestehen nicht. Typisch sind hierfür Delikte, die begangen werden, um Rauschmit- tel selbst oder Geld für ihre Beschaffung zu erlangen (BGH, Urteil vom 18. Februar 1997 – 1 StR 693/96 aaO). Derartige Delikte liegen hier nicht vor. Andere Delikte kommen als Hangtaten nur dann in Betracht, wenn besondere Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie gerade in dem Hang ihre Wurzeln finden, sich darin die hangbedingte besondere Gefährlichkeit des Täters zeigt (BGH, Urteil vom 18. Februar 1997 – 1 StR 693/96 aaO). Solche Anhaltspunkte sind hier nicht ersichtlich. Der Angeklagte hat die Fahrten ohne Fahrerlaubnis jeweils aus Anlass seiner Beziehung zu einer Frau unternommen, ohne dass seine Betäubungsmittelabhängigkeit eine erkennbare Rolle gespielt hätte.
6
Soweit das Landgericht in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen angenommen hat, die Taten seien auf den Hang zurückzuführen, weil „bei dem Angeklagten durch den jahrelangen übermäßigen Betäubungsmittelkonsum bereits eine deutliche und dauernde Verantwortungslosigkeit unter Missachtung sozialer Normen, Regeln und Verpflichtungen eingetreten“ (UA S. 18) sei, kann dem nicht gefolgt werden. Auch damit ist ein ursächlicher Zusammenhang zwi- schen den Taten und dem Hang nicht dargetan (vgl. zur „Enthemmung“ BGH, Urteil vom 20. September 2011 – 1 StR 120/11, NStZ-RR 2012, 72, 74 f.). Die Urteilsfeststellungen enthalten keinen Beleg dafür, dass der Angeklagte die ausgeurteilten Taten wegen einer aufgrund jahrelangen Betäubungsmittelkonsums herabgesetzten Hemmschwelle begangen hat. Dagegen spricht, dass er bereits seit 2004 mit Straftaten in Erscheinung getreten ist, seine Straffälligkeit also zu einer Zeit einsetzte, als er mit dem Konsum von Betäubungsmitteln gerade begonnen hatte.
7
b) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem rechtskräftigen Berufungsurteil des Landgerichts Frankenthal vom 27. März 2012, das vier der Beschaffungskriminalität zuzuordnende Taten des (in einem Fall versuchten) Diebstahls zum Gegenstand hatte. Im Rahmen einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 StGB kann das Gericht zwar erstmals auf eine Maßregel erkennen, wenn sich entweder aufgrund der neu abzuurteilenden Tat allein oder in Verbindung mit der schon abgeurteilten Tat die Erforderlichkeit der Maßregel ergibt (vgl. BGH, Urteil vom 16. Dezember 1954 – 3 StR 189/54, BGHSt 7, 180, 182; Rissing-van Saan in LK-StGB, 12. Aufl., § 55 Rn. 53; Stree/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 55 Rn. 55; Bringewat, Die Bildung der Gesamtstrafe, 1987, Rn. 305). Die erstmalige Verhängung der Maßregel kann aber nicht allein mit dem Symptomcharakter der bereits rechtskräftig abgeurteilten Taten begründet werden. Diese bilden deshalb im vorliegenden Verfahren keine Grundlage für die Anordnung der Maßregel gemäß § 64 StGB.
8
2. Der Senat kann sicher ausschließen, dass eine neue Verhandlung Feststellungen ergeben könnte, die eine Unterbringungsanordnung rechtfertigen würden. Daher ist in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO auf den Wegfall der Maßregel zu erkennen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 354 Rn. 26f).
9
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 4 Satz 1 StPO. Im vorliegenden Fall ist durch den Wegfall der Anordnung gemäß § 64 StGB das Gewicht des Rechtsfolgenausspruchs so gemindert, dass es unbillig wäre, dem Angeklagten die gesamten Rechtsmittelkosten aufzubürden. Angemessen ist es vielmehr, die Hälfte der Rechtsmittelkosten der Staatskasse aufzuerlegen und die Revisionsgebühr um die Hälfte zu ermäßigen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. Oktober 1986 – 4 StR 553/86, BGHR StPO § 473 Abs. 4 Quotelung 1; vom 11. Februar 1983 – 3 StR 484/82 (S)).
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 604/16
vom
12. Januar 2017
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags
ECLI:DE:BGH:2017:120117B1STR604.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO am 12. Januar 2017 beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 10. August 2016 mit den Feststellungen aufgehoben; die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen bleiben jedoch aufrechterhalten. 2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der Angeklagte gehörte zu einer aus ca. 10 - 15 Personen bestehenden Clique von gleichaltrigen Heranwachsenden bzw. jungen Erwachsenen aus dem Gebiet der Stadt L. („L. er Gruppe“), die teilweise in Kon- flikt mit der ebenfalls aus ca. 10 - 15 gleichaltrigen Personen bestehenden Clique aus dem Gebiet der Gemeinde B. („B. er Gruppe“) geriet. Nachdem beide Gruppen bereits am 19. Oktober 2015 aufeinander getroffen waren, sollte am Abend des 23. Oktober 2015 ein weiteres Treffen erfolgen. Vor diesem Treffen hatte sich der Angeklagte ein von ihm verliehenes Springmesser mit einer ca. 10 cm langen einschneidigen und spitz zulaufenden Klinge zurückgeben lassen, das er ab diesem Zeitpunkt mit sich führte, um es ggf. einsetzen zu können.
4
Nachdem sich die beiden Gruppen zunächst erfolglos im Gemeindegebiet von B. gesucht hatten, trafen sie gegen ca. 23.30 Uhr in der Ortsmitte beim Rathaus sukzessive aufeinander, wobei sich zwischen einzelnen Mitgliedern der beiden Gruppen eine Schlägerei entwickelte. Dabei griff der Angeklagte zunächst W. an und es entwickelte sich eine körperliche Auseinandersetzung. In das Geschehen griff der mit einer AnonymousGesichtsmaske maskierte La. schlichtend ein. Dem körperlich überlegenen Angeklagten gelang es, La. an der Kapuze zu packen und gegen einen Pfeiler zu drücken, bevor beide schließlich in einem anschließenden Gerangel das Gleichgewicht verloren und in einen Busch fielen, wobei La. auf dem Angeklagten zum Liegen kam. In dieser Situation zog der Angeklagte das von ihm mitgeführte Springmesser, ließ die Klinge herausfahren und stach La. sinngemäß mit den Worten „Ich stech dir das Messer in die Seite“ in die rechte Brustseite, wo- bei dem Angeklagten bewusst war, dass dieser Stich geeignet war, den Tod des Opfers herbei zu führen, was er billigend in Kauf nahm. Durch den Stich wurde in lebensgefährlicher Weise der obere rechte Lungenlappen verletzt und der Herzbeutel nur um ca. 1 cm verfehlt. Trotz der Stichverletzung gelang es La. , der vom Angeklagten nach dem Stich am Boden festgehalten wurde, sich loszureißen, aufzustehen und weg zu rennen, bevor er entkräftet zusammenbrach.
5
Wenige Augenblicke danach wollte der mit einer Sturmhaube maskierte E. , der aus einigen Metern Entfernung zwar den Sturz des Angeklagten , nicht aber den Messerangriff beobachtet hatte, den Angeklagten mit einem Pfefferspray angreifen, das aber nicht funktionsfähig war, weswegen er die Dose dem Angeklagten entgegen schleuderte, der nun auf ihn zustürmte. Nachdem der Angeklagte den ihm körperlich unterlegenen und nunmehr unbewaffneten E. erreicht hatte, packte er diesen mit der linken Hand am rechten Oberarm, holte mit der rechten Hand aus und stach mit dem Springmesser in der Hand mit nicht unerheblicher Wucht auf E. ein, der sich in diesem Moment selbst nicht zur Wehr setzte. Der Stich durchdrang das Bauchfell und verursachte bei E. vier Perforationen des Dünndarms auf einer Länge von 6 cm, wobei große Blutgefäße und die Hauptschlagader nur knapp verfehlt wurden. Anschließend versetzte der Angeklagte E. noch zwei weitere schmerzhafte Stiche in beide Oberarme, bevor es diesem gelang, sich mit einer Rechtsdrehung aus dem Griff des Angeklagten zu winden, in Panik davon zu rennen und bis zu einer Bushaltestelle zu flüchten, wo er schließlich zusammenbrach.
6
2. Das Landgericht geht bei den zum Nachteil der Geschädigten La. und E. ausgeführten Messerstichen jeweils von einem versuchten Totschlag aus, wobei beide Taten auf Grund der zeitlichen Zäsur zwischen den Verletzungen in Tatmehrheit zueinander stehen. Angesichts der hochgradigen Gefährlichkeit der durch den Angeklagten geführten Messerstiche habe dieser jeweils mit dem Tod des Opfers gerechnet. Einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch verneint das Landgericht. Es geht jeweils von einem beendeten Versuch aus, da der Angeklagte nach seiner Vorstellung das Versterben der beiden Geschädigten allein auf Grund der äußerst schweren Verletzungen zumindest für möglich hielt. Unabhängig davon habe der Angeklagte jedenfalls nicht freiwillig von möglichen weiteren Messerattacken Abstand genommen, da er die beiden Geschädigten auch nach den Stichen weiter festgehalten habe und es beiden erst gelungen sei, wegzurennen, nachdem sie sich losgerissen hatten.

II.


7
Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte sei jeweils vom beendeten Versuch eines Tötungsdelikts nicht strafbefreiend zurückgetreten (§ 24 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. StGB), hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
8
1. Das Landgericht hat rechtsfehlerhaft die zur Korrektur des Rücktrittshorizonts entwickelten Grundsätze (vgl. dazu BGH, Urteil vom 17. Juli 2014 - 4 StR 158/14, NStZ 2014, 569 f.; Beschluss vom 17. Dezember 2014 - 2 StR 78/14, NStZ-RR 2015, 106 f. jeweils mwN) nicht beachtet, obwohl die Feststellungen zum unmittelbaren Nachtatgeschehen zur Prüfung dieser Frage drängten.
9
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt ein unbeendeter Versuch auch dann in Betracht, wenn der Täter nach seinem Handeln den Erfolgseintritt zwar für möglich hält, unmittelbar darauf aber zu der Annahme gelangt, sein bisheriges Tun könne den Erfolg doch nicht herbeiführen und er nunmehr von weiteren fortbestehenden Handlungsmöglichkeiten zur Herbeiführung des Erfolges absieht (st. Rspr.; vgl. dazu BGH, Urteil vom 17. Juli 2014 - 4 StR 158/14, NStZ 2014, 569 f.; Beschluss vom 17. Dezember 2014 - 2 StR 78/14, NStZ-RR 2015, 106 f.; Urteil vom 19. Juli 1987 - 2 StR 270/89, BGHSt 36, 224; Beschlüsse vom 7. November 2001 - 2 StR 428/01, NStZ-RR 2002, 73 und vom 8. Juli 2008 - 3 StR 220/08, NStZ-RR 2008, 335). Die Frage, ob nach diesen Rechtsgrundsätzen von einem beendeten oder unbeendeten Versuch auszugehen ist, bedarf insbesondere dann eingehender Erörterung, wenn das angegriffene Tatopfer nach der letzten Ausführungshandlung noch - vom Täter wahrgenommen - zu körperlichen Reaktionen fähig ist, die geeignet sind, Zweifel daran aufkommen zu lassen, das Opfer sei bereits tödlich verletzt. So liegt es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs etwa in dem Fall, dass das Opfer noch in der Lage ist, sich vom Tatort wegzubewegen (BGH, Urteil vom 17. Juli 2014 - 4 StR 158/14, NStZ 2014, 569 f.; Beschluss vom 17. Dezember 2014 - 2 StR 78/14, NStZ-RR 2015, 106 f. jeweils mit zahlr. Nachw.). Ein solcher Umstand kann geeignet sein, die Vorstellung des Täters zu erschüttern, alles zur Erreichung des gewollten Erfolgs getan zu haben (BGH jeweils aaO).
10
b) Diese Grundsätze hat das Landgericht in beiden Fällen des versuchten Totschlags nicht erörtert, obwohl die Feststellungen zum unmittelbaren Nachtatgeschehen zur Prüfung dieser Frage drängten. Beiden Geschädigten war es nach den letzten vom Angeklagten ausgeführten Stichen gelungen, sich noch aus eigener Kraft vom Angeklagten loszureißen und wegzurennen, bevor sie letztlich entkräftet zusammenbrachen. Konkrete Feststellungen dazu, wel- che Distanz die beiden Geschädigten bis zu ihrem Zusammenbruch zurückgelegt hatten und ob der Angeklagte dies beobachtet und wahrgenommen hat, werden vom Landgericht nicht getroffen. Die bisherigen Feststellungen lassen es jedenfalls als möglich erscheinen, dass der Angeklagte, sofern er das Verhalten der Geschädigten alsbald nach der letzten Tathandlung beobachtet hat, nicht mehr davon ausging, diese tödlich verletzt zu haben. Das gilt auch für die Tat zum Nachteil des Geschädigten La. . Trotz des sehr knappen Zeitraums bis zum Beginn der Auseinandersetzung mit dem GeschädigtenE. (UA S. 16), ist nicht sicher ausgeschlossen, dass der Angeklagte das Weglaufen des Geschädigten La. wahrgenommen hat. Damit kann der Senat auf Grund dieses Erörterungsmangels das Vorliegen eines unbeendeten Versuchs nicht ausschließen.
11
3. Der dargelegte Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des Schuld- und Rechtsfolgenausspruchs insgesamt. Die Aufhebung erfasst auch die für sich genommen rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen jeweils tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung (BGH, Urteile vom 17. Juli 2014 - 4 StR 158/14, NStZ 2014, 569 f. und vom 20. Februar 1997 - 4 StR 642/96, BGHR StPO § 353 Aufhebung 1).
12
4. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen bleiben aber aufrechterhalten , da sie vom aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht hat jedoch zusätzliche Feststellungen zur Frage des strafbefreienden Rücktritts vom Versuch des Totschlags zu treffen, die mit den bisher getroffenen Feststellungen nicht in Widerspruch stehen.

III.

13
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
14
1. Nach den bisherigen Feststellungen des Landgerichts (UA S. 6/7) liegt bei dem Angeklagten spätestens seit Mitte 2015 ein polytoxikomaner Substanzmissbrauch vor, wobei der Angeklagte seit Juli 2015 seinen Konsum auf täglich 1,5 g Kokain steigerte und zum „Runterkommen“ und Entspannen auch seinen Cannabiskonsum zumindest am Wochenende aufrecht erhielt. Weiter konsumierte der Angeklagte in erheblichem Umfang auch Alkohol, wobei sich dies bei regelmäßigen „Feiern“ am Wochenende auf bis zu einer halben Fla- sche Wodka (0,7 l) steigerte. Im Rahmen seiner Ausführungen zur Unterbringung in einer Entziehungsanstalt geht das Landgericht (UA S. 53/54) davon aus, dass bei dem Angeklagten zwar ein schädlicher Gebrauch von Betäubungsmitteln oder Alkohol vorliegt, aber weder eine körperliche noch ein psychische Abhängigkeit gegeben ist, so dass es bereits an einem Hang fehlt, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, weil der Angeklagte seinen Betäubungsmittel- und Alkoholkonsum in seinen Alltag „eingepasst“ und dieser keine wesentlichen Beeinträchtigungen des beruflichen und sozialen Lebensbereichs bewirkt hat. Auch bestünden „erhebliche Zweifel“ am Vorliegen eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen Tat und Hang im Sinne des § 64 StGB, obwohl das Landgericht feststellt, dass beim Angeklagten ein sein Gehalt übersteigender Finanzbedarf bestand, den er durch Einnahmen illegaler Art und Weise zu steigern suchte (UA S. 9) und die vom Angeklagten gegenüber der B. er Gruppe geforderte „Schutzgeldzahlung“ von 5.000 Euro(UA S. 12) letztlich Auslöser für die körperlichen Auseinandersetzungen war.
15
2. Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht rechtsfehlerhaft von einem zu engen Verständnis eines Hanges und eines symptomatischen Zusammenhangs im Sinne des § 64 StGB ausgegangen ist.
16
a) Für einen Hang ist nach ständiger Rechtsprechung ausreichend eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln im Sinne des § 64 StGB ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. BGH, Urteile vom 14. Oktober 2015 - 1 StR 415/15; vom 10. November 2004 - 2 StR 329/04, NStZ 2005, 210 und vom 15. Mai 2014 - 3 StR 386/13). Insoweit kann dem Umstand, dass durch den Rauschmittelkonsum bereits die Gesundheit, Arbeitsund Leistungsfähigkeit des Betreffenden erheblich beeinträchtigt ist, zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hanges zukommen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. April 2008 - 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198 und vom 14. Dezember 2005 – 1 StR 420/05, NStZ-RR 2006, 103). Wenngleich solche Beeinträchtigungen in der Regel mit übermäßigem Rauschmittelkonsum einhergehen werden, schließt deren Fehlen jedoch nicht notwendigerweise die Annahme eines Hanges aus (BGH, Beschlüsse vom 1. April 2008 - 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198 und vom 2. April 2015 - 3 StR 103/15).
17
b) Ein symptomatischer Zusammenhang liegt vor, wenn der Hang allein oder zusammen mit anderen Umständen dazu beigetragen hat, dass der Täter eine erhebliche rechtswidrige Tat begangen hat und dies bei unverändertem Verhalten auch für die Zukunft zu erwarten ist (BGH, Beschlüsse vom 25. November 2015 - 1 StR 379/15, NStZ-RR 2016, 113; vom 6. November 2013 - 5 StR 432/13 und vom 25. Mai 2011 - 4 StR 27/11, NStZ-RR 2011, 309), mit- hin die konkrete Tat in dem Hang ihre Wurzel findet (vgl. BGH, Beschluss vom 28. August 2013 - 4 StR 277/13, NStZ-RR 2014, 75). Dieser Zusammenhang liegt bei Delikten, die begangen werden, um Rauschmittel selbst oder Geld für ihre Beschaffung zu erlangen, nahe (BGH, Urteil vom 18. Februar 1997 - 1 StR 693/96, BGHR StGB § 64 Abs. 1 Rausch 1; Beschluss vom 28. August 2013 - 4 StR 277/13, NStZ-RR 2014, 75). Raum Bellay Radtke Fischer Bär

(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.