Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Aug. 2013 - 4 StR 274/13

bei uns veröffentlicht am27.08.2013

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 274/13
vom
27. August 2013
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen zu Ziff. 1. schwerer Körperverletzung u.a.
zu Ziff. 2. und 3. unterlassener Hilfeleistung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
- zu 2. auf dessen Antrag - und der Beschwerdeführer am 27. August
2013 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 464 Abs. 3 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten N. wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 29. Januar 2013 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit es ihn betrifft. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die Revisionen der Angeklagten K. und M. gegen das Urteil des Landgerichts Halle vom 29. Januar 2013 werden verworfen. Die sofortige Beschwerde des Angeklagten M. gegen die Kostenentscheidung des vorbezeichneten Urteils wird verworfen. Die Angeklagten K. und M. haben die Kosten ihrer Rechtsmittel sowie die dem Nebenkläger durch diese im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten N. wegen schwerer Körperverletzung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und den Vorwegvollzug von einem Jahr der Freiheitsstrafe angeordnet sowie Adhäsionsentscheidungen zugunsten von S. getroffen. Die Angeklagten K. und M. hat es wegen unterlassener Hilfeleistung zu Freiheitsstrafen von jeweils sechs Monaten verurteilt. Gegen das Urteil richten sich die Rechtsmittel der Angeklagten mit der Sachrüge; die Angeklagten N. und K. haben zudem Verfahrensrügen erhoben. Das Rechtsmittel des Angeklagten N. führt auf die Sachrüge hin zur Aufhebung des Urteils, soweit es ihn betrifft. Die Rechtsmittel der Angeklagten K. und M. sind dagegen unbegründet.
2
1. Die Revision des Angeklagten N. hat bereits mit der Sachrüge Erfolg.
3
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts schlug und trat der Angeklagte N. auf S. derart ein, dass - neben zahlreichen Frakturen am Kopf und weiteren Verletzungen - dessen "linke Ohrmuschel zerstört" wurde (UA S. 20) und ein "Totalverlust des linken Ohres" eintrat (UA S. 24). Zudem sprühte der Angeklagte mit einem Deospray auf Kopf, Rücken und Beine von S. und zündete die eingesprühten Körperstellen an.
4
Zur subjektiven Tatseite hat das Landgericht lediglich festgestellt, dass der Angeklagte seinem Opfer einen "heftigen Denkzettel verpassen" wollte, er wusste, dass er es durch seine massiven gewalttätigen Handlungen erheblich verletzen könnte, und er wollte dies auch; dass er trotz des Wissens um die Lebensgefährlichkeit seiner Handlungen den Tod des S. billigend in Kauf nahm, hat die Strafkammer nicht festzustellen vermocht (UA S. 23).
5
Die Strafkammer sieht hierin eine schwere und eine gefährliche Körperverletzung (§ 226 Abs. 1 Nr. 3, § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) und führt - ohne dies näher darzulegen - aus, dass der Angeklagte "wissentlich" die linke Ohrmuschel des S. zerstört habe (UA S. 42). Im Rahmen der Strafzumessung teilt die Strafkammer mit, dass sie die Strafe dem Strafrahmen des § 226 Abs. 2 StGB entnommen habe (UA S. 45).
6
b) Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
7
Bei § 226 Abs. 2 StGB handelt es sich nicht nur um eine Strafzumessungsregel , sondern um eine Qualifikation gegenüber dessen Absatz 1, die durch das "absichtliche" oder "wissentliche" Verursachen der schweren Folge gekennzeichnet ist. Hierfür reicht zwar aus, dass der Täter die schwere Körperverletzung als sichere Folge seines Handelns voraussieht (BGH, Urteile vom 14. Dezember 2000 - 4 StR 327/00, NJW 2001, 980, 981; vom 25. Juni 2002 - 5 StR 103/02, BGHR StGB § 226 Abs. 2 Schwere Körperverletzung 2; vom 12. Juli 2005 - 1 StR 65/05, NStZ-RR 2006, 174, 175). Dies wird durch die - insoweit auch im Rahmen der Beweiswürdigung nicht weiter erläuterten - Feststellungen des Landgerichts aber nicht belegt; insbesondere genügt hierfür nicht, dass der Angeklagte wusste und wollte, dass sein Opfer "erheblich verletzt" wird.
8
c) Der Rechtsfehler führt - soweit es den Angeklagten N. betrifft - zur Aufhebung des Urteils sowie der von der Strafkammer getroffenen Feststellungen (§ 353 Abs. 1 und Abs. 2 StPO). Da nicht ausgeschlossen ist, dass die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer Feststellungen zur absichtlichen oder wissentlichen Herbeiführung der schweren Folgen treffen wird, ist eine Änderung des Schuldspruchs in eine - von den bisherigen Feststellungen getragene - schwere Körperverletzung gemäß § 226 Abs. 1 StGB (in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung) nicht veranlasst.
9
Zu der vom Angeklagten N. erhobenen, allein die Brandverletzungen und daher den Strafausspruch betreffenden Verfahrensrüge bemerkt der Senat ergänzend: Bei der Ablehnung des hier nicht lediglich eine Negativtatsache enthaltenden Beweisantrags wegen Bedeutungslosigkeit der Beweisbehauptung aus tatsächlichen Gründen darf die Beweiserheblichkeit der Indiztatsache nicht nur mit der Begründung, auch wenn der Zeuge die Behauptung bestätige, müsse dies nicht richtig sein, verneint werden (BGH, Urteil vom 19. September 2007 - 2 StR 248/07, StraFo 2008, 29, 30). Zudem ist das Ergebnis der Prüfung - soweit es nicht für alle Beteiligten auf der Hand liegt (BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2010 - 1 StR 275/10, NJW 2011, 1299) - mit den hierfür maßgeblichen Erwägungen konkret darzulegen, um dem Antragsteller zu ermöglichen, sein weiteres Prozessverhalten hierauf einzurichten (BGH, Beschluss vom 5. Februar 2013 - 1 StR 553/12, NStZ 2013, 352, 353). Die Anforderungen an die Begründung entsprechen dabei grundsätzlich den Darlegungserfordernissen bei der Würdigung von durch die Beweisaufnahme gewonnenen Indiztatsachen in den Urteilsgründen (BGH, Beschlüsse vom 21. Mai 2013 - 2 StR 29/13; vom 27. März 2012 - 3 StR 47/12, NStZ-RR 2012, 255; vom 19. Oktober 2006 - 4 StR 251/06, NStZ-RR 2007, 84, 85). Diesen Anforderungen genügt der Beschluss des Landgerichts vom 28. Januar 2013 nicht.
10
d) Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass bei der Prüfung der Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen S. , bei der für das Landgericht "keine Anhaltspunkte erkennbar waren, die den Geschädigten veranlasst haben könnten, einen der übrigen Beteiligten bewusst zu schützen" (UA S. 34), zu bedenken sein wird, dass dieser - so die Feststellungen im angefochtenen Urteil - den Angeklagten K. auch weiterhin als seinen Freund ansieht und darum bemüht schien, "nichts Schlechtes auf ihn kommen zu lassen" (UA S. 33 f.).
11
Im Falle der erneuten Anordnung der Maßregel des § 64 StGB und deren teilweisen Vorwegvollzugs bedarf es zudem der Mitteilung der voraussichtlichen Therapiedauer (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Dezember 2012 - 4 StR 409/12 mwN).
12
Sollte der Angeklagte N. im Adhäsionsverfahren erneut zur Zahlung von Schmerzensgeld verurteilt werden, wird die Strafkammer zu bedenken haben, dass dessen Bemessung regelmäßig die Berücksichtigung auch der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten und des Geschädigten erfordert (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Februar 2012 - 4 StR 602/11, StV 2012, 711, 712 mwN).
13
2. Die Revisionen der Angeklagten K. und M. sind unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Auch die Beschwerde des Angeklagten M. gegen die Kostenentscheidung hat keinen Erfolg, da diese dem Gesetz entspricht.
14
Eine Erstreckung der Aufhebung des Urteils zugunsten des Angeklagten N. gemäß § 357 StPO auf die Angeklagten K. und M. oder auf die nicht revidierende Mitangeklagte Sch. ist nicht geboten, da kein gemeinsamer Revisionsgrund vorliegt. Sollte in der neuen Hauptverhandlung eine Mitwirkung dieser Angeklagten an den Misshandlungen des Zeugen S. oder eine über § 323c StGB hinausgehende Unterlassungstäterschaft festgestellt werden, wäre der Straftatbestand der unterlassenen Hilfeleistung weiterhin gegeben und könnte lediglich als subsidiär zurücktreten (vgl. SSW-StGB/Schöch, § 323c Rn. 18, 24 mwN). Eine Beschwer der Angeklagten durch die Aufrechterhaltung des Schuldspruchs ist daher ebenso ausgeschlossen (vgl. auch KK-Kuckein, 6. Aufl., § 357 Rn. 16) wie die Verhängung noch milderer Rechtsfolgen; an einer Erhöhung der gegen sie ausgesprochenen Strafen bzw. Ahndung wäre der neue Tatrichter durch das Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO gehindert.
15
3. Da sich das Verfahren nunmehr nur noch gegen einen erwachsenen Angeklagten richtet, verweist der Senat die Sache nicht an eine Jugendkammer des Landgerichts zurück (BGH, Beschluss vom 17. Juli 2012 - 4 StR 223/12 mwN; Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 355 Rn. 8 mwN). Jedoch sieht der Senat keinen Anlass, die Sache statt einem Schwurgericht einer allgemeinen Strafkammer zuzuweisen (vgl. KK-Kuckein, aaO, § 354 Rn. 31;Meyer-Goßner, aaO, § 354 Rn. 42).
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Aug. 2013 - 4 StR 274/13

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Aug. 2013 - 4 StR 274/13

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

Strafgesetzbuch - StGB | § 224 Gefährliche Körperverletzung


(1) Wer die Körperverletzung 1. durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,2. mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,3. mittels eines hinterlistigen Überfalls,4. mit einem anderen Beteiligten gemeins
Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Aug. 2013 - 4 StR 274/13 zitiert 11 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

Strafgesetzbuch - StGB | § 224 Gefährliche Körperverletzung


(1) Wer die Körperverletzung 1. durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,2. mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,3. mittels eines hinterlistigen Überfalls,4. mit einem anderen Beteiligten gemeins

Strafprozeßordnung - StPO | § 353 Aufhebung des Urteils und der Feststellungen


(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. (2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren

Strafprozeßordnung - StPO | § 358 Bindung des Tatgerichts; Verbot der Schlechterstellung


(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen. (2) Das angefochtene Urte

Strafprozeßordnung - StPO | § 357 Revisionserstreckung auf Mitverurteilte


Erfolgt zugunsten eines Angeklagten die Aufhebung des Urteils wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Strafgesetzes und erstreckt sich das Urteil, soweit es aufgehoben wird, noch auf andere Angeklagte, die nicht Revision eingelegt haben, so ist zu

Strafprozeßordnung - StPO | § 464 Kosten- und Auslagenentscheidung; sofortige Beschwerde


(1) Jedes Urteil, jeder Strafbefehl und jede eine Untersuchung einstellende Entscheidung muß darüber Bestimmung treffen, von wem die Kosten des Verfahrens zu tragen sind. (2) Die Entscheidung darüber, wer die notwendigen Auslagen trägt, trifft da

Strafgesetzbuch - StGB | § 226 Schwere Körperverletzung


(1) Hat die Körperverletzung zur Folge, daß die verletzte Person 1. das Sehvermögen auf einem Auge oder beiden Augen, das Gehör, das Sprechvermögen oder die Fortpflanzungsfähigkeit verliert,2. ein wichtiges Glied des Körpers verliert oder dauernd nic

Strafgesetzbuch - StGB | § 323c Unterlassene Hilfeleistung; Behinderung von hilfeleistenden Personen


(1) Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird

Referenzen - Urteile

Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Aug. 2013 - 4 StR 274/13 zitiert oder wird zitiert von 12 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Aug. 2013 - 4 StR 274/13 zitiert 11 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Mai 2013 - 2 StR 29/13

bei uns veröffentlicht am 21.05.2013

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 StR 29/13 vom 21. Mai 2013 in der Strafsache gegen wegen Mordes Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 21. Mai 2013 gemäß § 349 Abs. 4 StPO bes

Bundesgerichtshof Beschluss, 17. Juli 2012 - 4 StR 223/12

bei uns veröffentlicht am 17.07.2012

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 223/12 vom 17. Juli 2012 in der Strafsache gegen wegen besonders schweren Raubes Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 17. Juli

Bundesgerichtshof Urteil, 12. Juli 2005 - 1 StR 65/05

bei uns veröffentlicht am 12.07.2005

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 65/05 vom 12. Juli 2005 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen schwerer Körperverletzung Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 12. Juli 2005, an der teilgenommen haben:

Bundesgerichtshof Urteil, 25. Juni 2002 - 5 StR 103/02

bei uns veröffentlicht am 25.06.2002

5 StR 103/02 BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL vom 25. Juni 2002 in der Strafsache gegen 1. 2. 3. wegen versuchten Mordes u.a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. Juni 2002, an der teilgenommen haben:

Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Feb. 2013 - 1 StR 553/12

bei uns veröffentlicht am 05.02.2013

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 553/12 vom 5. Februar 2013 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung u.a. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. Februar 2013 beschlossen : Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land

Bundesgerichtshof Urteil, 19. Sept. 2007 - 2 StR 248/07

bei uns veröffentlicht am 19.09.2007

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 StR 248/07 vom 19. September 2007 in der Strafsache gegen wegen Totschlags Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19. September 2007, an der teilgenommen haben: Vorsitzende R

Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Feb. 2012 - 4 StR 602/11

bei uns veröffentlicht am 23.02.2012

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 602/11 vom 23. Februar 2012 in der Strafsache gegen wegen gefährlicher Körperverletzung Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 23. Februar

Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Dez. 2012 - 4 StR 409/12

bei uns veröffentlicht am 04.12.2012

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 409/12 vom 4. Dezember 2012 in der Strafsache gegen wegen schweren Raubes u. a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 4. Dezember 2012 gem

Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Okt. 2006 - 4 StR 251/06

bei uns veröffentlicht am 19.10.2006

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 251/06 vom 19. Oktober 2006 in der Strafsache gegen wegen schweren Raubes u. a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 19. Oktob

Bundesgerichtshof Beschluss, 27. März 2012 - 3 StR 47/12

bei uns veröffentlicht am 27.03.2012

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 47/12 vom 27. März 2012 in der Strafsache gegen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts

Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Dez. 2010 - 1 StR 275/10

bei uns veröffentlicht am 14.12.2010

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 275/10 vom 14. Dezember 2010 Nachschlagewerk: ja BGHSt: nein BGHR: ja Veröffentlichung: ja ___________________________________ AO § 370 Abs. 1 Nr. 1 Eine Strafbarkeit wegen vollendeter Steuerhinterziehung gem
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Aug. 2013 - 4 StR 274/13.

Bundesgerichtshof Urteil, 13. Dez. 2017 - 2 StR 230/17

bei uns veröffentlicht am 13.12.2017

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 StR 230/17 vom 13. Dezember 2017 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen schwerer Körperverletzung u.a. ECLI:DE:BGH:2017:131217U2STR230.17.0 Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der

Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Jedes Urteil, jeder Strafbefehl und jede eine Untersuchung einstellende Entscheidung muß darüber Bestimmung treffen, von wem die Kosten des Verfahrens zu tragen sind.

(2) Die Entscheidung darüber, wer die notwendigen Auslagen trägt, trifft das Gericht in dem Urteil oder in dem Beschluß, der das Verfahren abschließt.

(3) Gegen die Entscheidung über die Kosten und die notwendigen Auslagen ist sofortige Beschwerde zulässig; sie ist unzulässig, wenn eine Anfechtung der in Absatz 1 genannten Hauptentscheidung durch den Beschwerdeführer nicht statthaft ist. Das Beschwerdegericht ist an die tatsächlichen Feststellungen, auf denen die Entscheidung beruht, gebunden. Wird gegen das Urteil, soweit es die Entscheidung über die Kosten und die notwendigen Auslagen betrifft, sofortige Beschwerde und im übrigen Berufung oder Revision eingelegt, so ist das Berufungs- oder Revisionsgericht, solange es mit der Berufung oder Revision befaßt ist, auch für die Entscheidung über die sofortige Beschwerde zuständig.

(1) Hat die Körperverletzung zur Folge, daß die verletzte Person

1.
das Sehvermögen auf einem Auge oder beiden Augen, das Gehör, das Sprechvermögen oder die Fortpflanzungsfähigkeit verliert,
2.
ein wichtiges Glied des Körpers verliert oder dauernd nicht mehr gebrauchen kann oder
3.
in erheblicher Weise dauernd entstellt wird oder in Siechtum, Lähmung oder geistige Krankheit oder Behinderung verfällt,
so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

(2) Verursacht der Täter eine der in Absatz 1 bezeichneten Folgen absichtlich oder wissentlich, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(3) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 2 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Hat die Körperverletzung zur Folge, daß die verletzte Person

1.
das Sehvermögen auf einem Auge oder beiden Augen, das Gehör, das Sprechvermögen oder die Fortpflanzungsfähigkeit verliert,
2.
ein wichtiges Glied des Körpers verliert oder dauernd nicht mehr gebrauchen kann oder
3.
in erheblicher Weise dauernd entstellt wird oder in Siechtum, Lähmung oder geistige Krankheit oder Behinderung verfällt,
so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

(2) Verursacht der Täter eine der in Absatz 1 bezeichneten Folgen absichtlich oder wissentlich, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(3) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 2 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

5 StR 103/02

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 25. Juni 2002
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
25. Juni 2002, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Häger,
Richter Basdorf,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Schaal
als beisitzende Richter,
Richterin am Landgericht
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin G
als Verteidigerin für den Angeklagten R ,
Rechtsanwalt U
als Verteidiger für den Angeklagten B ,
Rechtsanwalt Br
als Verteidiger für den Angeklagten S ,
Rechtsanwältin F
als Beistand des Nebenklägers,
Justizoberinspektorin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 20. Juli 2001 werden mit der Maßgabe verworfen, daß die Angeklagten des versuchten Mordes in Tateinheit mit wissentlicher schwerer Körperverletzung und mit Freiheitsberaubung sowie der gefährlichen Körperverletzung schuldig sind.
2. Die Angeklagten B und S haben die Kosten ihrer Rechtsmittel und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Bei dem Angeklagten R wird von der Auferlegung von Kosten und Auslagen abgesehen.
3. Die Kosten der Revisionen der Staatsanwaltschaft sowie die den Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e Das Landgericht hat die Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung und Freiheitsberaubung sowie wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von sieben Jahren und zehn Monaten (R ) und zu Gesamtfreiheitsstrafen von 14 Jahren (S ) und 15 Jahren (B ) verurteilt. Gegen das Urteil wenden sich sowohl die Angeklagten als auch die Staatsanwaltschaft; keine der Revisionen hat letztlich Erfolg.

I.


Die Angeklagten gehören der sogenannten Skinheadszene an, in der rechtsradikale, im wesentlichen durch Ausländerhaû und Gewaltbereitschaft geprägte Vorstellungen vertreten werden.
Am Abend des 15. Januar 2001 trafen sich die drei Beschwerdeführer mit weiteren Gesinnungsgenossen, den Nichtrevidenten H und Sch , in der Wohnung des Zeugen Z , wo sie Alkohol tranken und „rechte” Musik hörten. Im Verlaufe des Abends kam das Gespräch auf eine vermeintlich gegen eines der Gruppenmitglieder wegen Körperverletzung erstattete Strafanzeige. Als mutmaûlicher Anzeigenerstatter geriet der Nebenkläger Re in Verdacht, den alle Anwesenden aus dem nahegelegenen Wohnheim für junge ehemalige Strafgefangene kannten. H schlug vor, Re zur Rede zu stellen. Daraufhin begaben sich R und B in das Wohnheim, weckten Re auf, befahlen ihm, sie zu begleiten, weil man sich mit ihm unterhalten wolle. Nach einem vergeblichen Fluchtversuch des Zeugen erreichte man zwischen 0.00 und 0.30 Uhr die Wohnung Z . Dort versetzte H dem Zeugen einen Schlag ins Gesicht und fragte ihn, ob er die fragliche Anzeige erstattet habe. Obwohl der Zeuge dies bestritt, wurde er in den nächsten Stunden wiederholt von allen Anwesenden getreten und geschlagen, wobei H die treibende Kraft war. Infolge der Miûhandlungenerlitt Rei Hautrötungen, Hämatome und deutliche Schwellungen im Gesicht.
In den frühen Morgenstunden äuûerte H die Befürchtung, daû Re sie wegen dieser Handlungen anzeigen könne, er müsse deshalb beseitigt werden. Alle Angeklagten stimmten zu und stellten Überle-
gungen an, auf welche Weise dies geschehen könne. Wiederum auf Vorschlag von H einigte man sich nach längerer Diskussion darauf, Re zu verbrennen, weil dieser „ganz weg müsse”, um „sämtliche Beweise der Miûhandlungen zu vernichten”. In Gegenwart des verzweifelten Zeugen wurde auch noch erörtert, ob man mit Benzin einen Menschen völlig verbrennen könne und „wieviel Benzin fürs Abbrennen” erforderlich sei.
Gegen 4.30 Uhr brachte man den Zeugen zu einem abgelegenen Ort in der Nähe von Bahngleisen. Dort forderte H den Zeugen auf, sich auszuziehen, da er „dann besserbrenne”. Re weinte und flehte um sein Leben, was keinen der Angeklagten beeindruckte. Auf Geheiû von H schlug R den Zeugen zu Boden und Sch goû etwa einen Liter Benzin auf den nackten Körper des Zeugen aus. Danach hielt R wieder auf Geheiû des H ein Feuerzeug an die Füûe des Zeugen. Nach einigen Sekunden entzündete sich eine Flamme, die den Körper des Zeugen ergriff; Re brannte. Durch Hin- und Herwälzen auf dem Boden konnte er das Feuer nach kurzer Zeit jedoch löschen, aufstehen und davonlaufen. Als die Angeklagten, die sich bereits einige Meter vom Tatort entfernt hatten, dies bemerkten, liefen B und S auf entsprechenden Zuruf des H dem Zeugen nach. Diesem gelang es jedoch , sich zunächst zu verstecken und alsdann im Schutze der Dunkelheit eine nahegelegene Tankstelle zu erreichen, wo ein Rettungswagen verständigt wurde.
Re muûte vielfach operiert werden. Sein gesamter Oberkörper wie auch die Beine und Arme sind massiv vernarbt. Infolge der Hauttransplantationen hat er Schwierigkeiten, die Körpertemperatur entsprechend den äuûeren Einflüssen zu regeln. Die geschädigten Hautpartien dürfen keiner Sonnenbestrahlung ausgesetzt werden und benötigen täglich einen hohen Pflegeaufwand. Der Zeuge wird für immer deutlich sichtbare Kennzeichen der erlittenen schweren Brandverletzungen behalten, die geeignet sind, auch auf sein seelisches Wohlbefinden dauerhaft einzuwirken.
Infolge der verbleibenden Schäden werden seine Berufsmöglichkeiten künftig eingeschränkt bleiben.

II.


Die Revisionen der Angeklagten sind unbegründet. Das Urteil weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Beschwerdeführer auf.
Die vom Generalbundesanwalt vertretenen, auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revisionen der Staatsanwaltschaft bleiben im Ergebnis ebenfalls ohne Erfolg.
1. Allerdings rügt die Staatsanwaltschaft hinsichtlich aller Angeklagten zu Recht, daû die Strafkammer das Inbrandsetzen des Zeugen als versuchten Mord in Tateinheit mit (nur) schwerer Körperverletzung gemäû § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB bewertet, den qualifizierten Fall der schweren Körperverletzung gemäû § 226 Abs. 2 StGB aber nicht geprüft hat.
Der Qualifikationstatbestand des § 226 Abs. 2 StGB ist unter anderem dann verwirklicht, wenn der Täter eine der in § 226 Abs. 1 StGB bezeichneten Folgen wissentlich verursacht. Das Landgericht hat hierzu festgestellt, daû Re sein Leben lang sichtbare Kennzeichen der durch die Tat verursachten schweren Brandverletzungen an Oberkörper, Armen und Beinen behalten wird und hat deshalb das Vorliegen des § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB rechtsfehlerfrei bejaht.
Wissentliches Handeln im Sinne des § 226 Abs. 2 StGB bedeutet, daû der Täter die schwere Folge als sicheres Resultat seiner Handlungen voraussieht (Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 226 Rdn. 19 m. w. N.). Dazu bedarf es entsprechender Feststellungen zur inneren Tatseite, die das Landgericht ausdrücklich allerdings nicht getroffen hat. Sie lassen sich dem angefochtenen Urteil aber ohne weiteres entnehmen: Die Angeklagten hatten sich
nach längeren Überlegungen dazu entschlossen, den Zeugen ¹ganzº zu verbrennen , um sämtliche Spuren der Miûhandlungen zu vernichten. Entsprechend diesem Tatplan haben sie den nackten Körper ihres Opfers mit Benzin übergossen und in Brand gesetzt. Daû ein solches massives Vorgehen die Hautoberfläche ganz oder teilweise zerstört, im Falle des Todes bis zur Unkenntlichkeit des Leichnams führen kann und im Falle des Überlebens dauerhaft entstellende Vernarbungen hinterläût, liegt auf der Hand. Dessen waren sich die Angeklagten gerade aufgrund ihrer vorausgegangenen Diskussion durchaus bewuût.
Der Annahme des § 226 Abs. 2 StGB steht auch nicht entgegen, daû die Angeklagten mit direktem Tötungsvorsatz gehandelt haben (BGHR StGB § 226 Abs. 2 schwere Folge 1). Denn zur Tatbestandserfüllung reicht es aus, daû der Täter ± alternativ zur beabsichtigten Tötung ± die schwere Folge als sichere Auswirkung seiner Handlung voraussieht (BGHR StGB aaO), er ± wie hier ± die schwere Folge durch die gewählte Art und Weise der Tötung als notwendiges Durchgangsziel erkennt. Dementsprechend hat der Senat den Schuldspruch geändert.
2. Der festgestellte Rechtsfehler hat sich jedoch nicht auf die jeweiligen Rechtsfolgenaussprüche ausgewirkt. Der Senat schlieût entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft aus, daû der Tatrichter bei Berücksichtigung der Qualifikation bei den Angeklagten B und S die für den versuchten Mord gewährte Strafrahmenverschiebung nach den §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB und eine entsprechende Milderung der Jugendstrafe bei dem Angeklagten R nicht vorgenommen hätte.
Die rechtsfehlerfreie Anwendung des § 23 Abs. 2 StGB verlangt eine Gesamtschau, die neben der Persönlichkeit des Täters die Tatumstände im weitesten Sinne und dabei insbesondere die versuchsbezogenen Gesichtspunkte einbezieht wie Nähe zur Tatvollendung, Gefährlichkeit des Versuchs und eingesetzte kriminelle Energie (vgl. BGHR StGB § 23 Abs. 2 Strafrah-
menverschiebung 12 m. w. N.). Eine sorgfältige Abwägung dieser Umstände ist namentlich dann geboten, wenn ± wie hier bei B und S ± nur die versuchsbedingte Milderung zeitige Freiheitsstrafe ermöglicht (BGHR StGB § 23 Abs. 2 Strafrahmenverschiebung 8).
Diesen Anforderungen werden die Erwägungen des Landgerichts zur Versuchsmilderung gerecht.
Die Strafkammer hat die wesentlichen straferschwerenden Gesichtspunkte , die für eine Versagung der Versuchsmilderung sprechen können, gesehen und gewertet. Sie hat die hohe Gefährlichkeit der Versuchshandlung , die unmittelbare Nähe zur Tatvollendung, die Verwirklichung zweier Mordmerkmale und die tateinheitliche Begehung einer schweren Körperverletzung und damit die dauernde Entstellung des Zeugen und die hiermit für diesen verbundenen Einschränkungen ersichtlich berücksichtigt. Die Strafkammer hat schlieûlich auch die von den Angeklagten aufgewendete kriminelle Energie und ihre jeweiligen Tatbeiträge im einzelnen gewichtet, dabei aber zugunsten aller Angeklagten einschränkend bedacht, daû die treibende Kraft H war, da er den Anstoû zur Tötung des Zeugen gegeben und die entscheidenden Anweisungen und Befehle erteilt habe. Insbesondere dieser Gesichtspunkt im Zusammenwirken mit weiteren schuldmindernden Umständen, wie etwa die bei allen Angeklagten gegebene alkoholische Enthemmung , die gruppendynamische Entwicklung des Tatgeschehens, die Geständnisse oder zumindest teilgeständigen Angaben und letztlich auch das Alter der Angeklagten (17, 23, 29 Jahre) haben das Landgericht bewogen, bei B und S die Strafrahmenverschiebung und bei R eine entsprechende Milderung der Jugendstrafe vorzunehmen.
Wenngleich der qualifizierte Fall der schweren Körperverletzung gemäû § 226 Abs. 2 StGB mit einem Strafrahmen von drei bis fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe einen höheren Unrechtsgehalt aufweist als die ¹einfacheº schwere Körperverletzung gemäû § 226 Abs. 1 StGB (Strafrahmen: ein Jahr
bis zehn Jahre), ist angesichts der dargelegten umfassenden tatrichterlichen Erwägungen, die auch dem auûergewöhnlich brutalen Vorgehen der Täter und den schweren Folgen für das Opfer Rechnung tragen, auszuschlieûen, daû bei Annahme des Qualifikationstatbestandes die Versuchsmilderung unterblieben wäre. Dies gilt umso mehr, als die Strafkammer insbesondere bei B und S , die ohne die Strafrahmenverschiebung zu lebenslangen Freiheitsstrafen hätten verurteilt werden müssen, ausdrücklich hervorhebt, daû die für den versuchten Mord in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung verhängten Einsatzstrafen von 14 Jahren und sechs Monaten (B ) und 13 Jahren und sechs Monaten (S ) ganz erheblich seien, daû aber nur derart hohe Strafen auf die Angeklagten angemessen einwirken könnten.
Harms Häger Basdorf Gerhardt Schaal

(1) Hat die Körperverletzung zur Folge, daß die verletzte Person

1.
das Sehvermögen auf einem Auge oder beiden Augen, das Gehör, das Sprechvermögen oder die Fortpflanzungsfähigkeit verliert,
2.
ein wichtiges Glied des Körpers verliert oder dauernd nicht mehr gebrauchen kann oder
3.
in erheblicher Weise dauernd entstellt wird oder in Siechtum, Lähmung oder geistige Krankheit oder Behinderung verfällt,
so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

(2) Verursacht der Täter eine der in Absatz 1 bezeichneten Folgen absichtlich oder wissentlich, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(3) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 2 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 65/05
vom
12. Juli 2005
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen schwerer Körperverletzung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 12. Juli 2005,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Kolz,
Hebenstreit,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
- für den Angeklagten Ha. L. -
Rechtsanwalt
- für die Angeklagte H. L. -
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Ellwangen vom 8. Oktober 2004 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Strafkammer des Landgerichts Stuttgart zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat die Angeklagten wegen schwerer Körperverletzung jeweils zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft zum Nachteil der Angeklagten Revision eingelegt, mit der sie Verfahrensrügen und die Sachrüge erhebt. Sie erstrebt eine Verurteilung der Angeklagten wegen wissentlicher schwerer Körperverletzung nach § 226 Abs. 2 StGB, der eine Mindestfreiheitsstrafe von drei Jahren vorsieht, und wegen tateinheitlich angeklagter Mißhandlung von Schutzbefohlenen im Sinne von § 225 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 StGB. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft, das vom Generalbundesanwalt ver-
treten wird, hat mit der Sachbeschwerde Erfolg. Eines Eingehens auf die Verfahrensrügen bedarf es daher nicht. I. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen: 1. Das Tatopfer ist die am 29. August 1988 geborene jüngste Tochter E. der Angeklagten. Sie hat zwei inzwischen erwachsene Schwestern Ev. und Ey. . Ab Juli 1997 wohnte die Familie nach Verlust ihres Eigenheims in verschiedenen Ferienhäusern. Sie schottete sich nach außen hin ab. Alle drei Töchter gingen ab diesem Zeitpunkt nicht mehr zur Schule. Deshalb schalteten sich die Jugendämter ein. Im Jahre 1999 verbrachten die Töchter auf Veranlassung des zuständigen Jugendamtes ca. vier Monate in einem Jugendheim. Bereits damals wurden schwere psychopathologische Störungen und Fehlernährung festgestellt. Ende September 2000 wurden die minderjährigen Töchter, nach Entziehung der elterlichen Sorge, in einer geschlossenen jugendpsychiatrischen Einrichtung untergebracht. Alle drei litten an einer psychiatrischen Erkrankung. Bei der 17jährigen Ev. wurde ein Körpergewicht von 28,6 kg, bei der 15jährigen Ey. ein solches von 32,6 kg und bei der 12jährigen Er. eines von 24,8 kg festgestellt. Sie wurden notfallmäßig in verschiedene Kinderkliniken verlegt. Dort mußten sie intravenös oder mittels Magensonde ernährt, teils auch künstlich beatmet werden. BeiE. zeigten sich verlangsamte Reaktionen und fehlende Urinausscheidung. Am 24. Dezember 2000 durften die Eltern ihre Kinder besuchen und entführten sie alle drei. Aufgrund einer polizeilichen Fahndung wurde die Familie am 12. Januar 2001 ausfindig gemacht. Die Eltern verbüßten mehrere Monate Untersuchungshaft. Die Kinder kamen wieder in Kliniken. Aufgrund eines eingeholten Gutachtens erhielten die Eltern Anfang Juni 2001 die elterliche Sorge zurück mit Ausnahme
regelmäßiger Untersuchungen des Körpergewichts und der Stoffwechseltätigkeit. Danach stellten die Eltern die Kinder nur einmal, Ende Juni 2001 einem Arzt vor. Sämtliche Versuche des zuständigen Jugendamtes, den Gesundheitszustand der Kinder zu überprüfen, scheiterten. Am 10. Oktober 2003 beschloß das Amtsgericht Bad Mergentheim schließlich auf einen Antrag des Jugendamtes vom September 2002 die zwangsweise Vorführung der jetzt allein noch minderjährigen Tochter E. zur ärztlichen Untersuchung. Dagegen legten die Angeklagten Beschwerde ein. Am 14. Oktober 2003 sicherte der angeklagte Vater dem Jugendamt telefonisch und am 20. Oktober 2003 per Telefax zu, daß E. sich freiwillig vom Hausarzt untersuchen lassen werde. Am 21. Oktober 2003 setzte das Oberlandesgericht Stuttgart im Wege einer einstweiligen Anordnung die Vollziehung des angefochtenen Beschlusses des Amtsgerichts aus. An dem vom Vater mitgeteilten Untersuchungstermin vom 26. Oktober 2003 erschien E. nicht. Auf Antrag der Angeklagten vom 3. November 2003 erreichten sie eine Verlängerung der Frist zur Begründung ihrer Beschwerde bis zum 5. Dezember 2003. 2. Ab Mitte Oktober 2003, nach Kenntnis des Beschlusses, in dem die zwangsweise Vorführung zur ärztlichen Untersuchung angeordnet wurde, verschlechterte sich E. s Gesundheitszustand zunehmend. Sie hatte eine panische Angst davor, wieder zwangsweise aus der Familie herausgeholt zu werden , mit der Folge, daß sie kaum noch aß. Das Landgericht geht davon aus, daß die Versuche ihrer Eltern, sie zum Essen zu bewegen und sich freiwillig untersuchen zu lassen, erfolglos waren. In ihrer ablehnenden Haltung wurde sie von ihren Schwestern unterstützt. E. nahm immer mehr ab, so daß sie kaum noch ihr Bett verlassen konnte. Die Angeklagten erkannten den fort-
schreitenden Gewichtsverlust und den immer schlechter werdenden Gesundheitszustand ihrer Tochter. Sie hofften jedoch - so weiter das Landgericht -, ihn wieder selbst beheben zu können. Diese Hoffnung hatten sie auch noch, als E. spätestens ab dem 14. November 2003 keine Flüssigkeit mehr zu sich nahm. Sie erkannten nunmehr, daß der Gesundheitszustand äußerst bedenklich war, unterließen es jedoch weiterhin, aus falsch verstandener Rücksichtsnahme gegenüber dem Willen E. s, bis zum 18. November 2003 ärztliche Hilfe herbeizuholen. Das Landgericht konnte nicht ausschließen, daß die Angeklagten hierbei aufgrund des hochgradig gestörten pathologischen Systems der Familie in ihrer Steuerungsfähigkeit wegen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit erheblich eingeschränkt waren. Erst am 18. November 2003 kam E. durch Einweisung des Hausarztes, den der Angeklagte auf Weisung des von ihm zugezogenen Heilpraktikers benachrichtigt hatte, in einem lebensbedrohlichen Zustand ins Krankenhaus. Die 15jährige wog bei einer Körpergröße von 156 cm nur noch 21,2 kg und bestand lediglich aus "Haut und Knochen". Einen Tag später trat bei ihr ein MultiOrganversagen ein, so daß sie künstlich beatmet und in ein künstliches Koma versetzt werden mußte. Aus diesem Koma erwachte sie im Januar 2004. Zum damaligen Zeitpunkt bestand eine Schädigung des Gehirns und der Nerven. Bei der tatrichterlichen Hauptverhandlung - ca. zehn Monate nach der Einlieferung - war das Sehvermögen noch nicht wieder vollständig hergestellt. Sie saß im Rollstuhl und war unfähig ihre Beine zu bewegen. Ob die Bewegungsfähigkeit ihrer Beine wieder hergestellt werden kann, war nicht abschließend zu klären. Die eingetretenen Folgen, insbesondere die Lähmung der Beine hätten die Angeklagten aufgrund der dargestellten Vorgeschichte erkennen und durch rechtzeitiges Herbeiholen ärztlicher Hilfe verhindern können. Sie hofften jedoch , daß keine bleibenden Schäden eintreten würden.
3. Die Angeklagten haben von ihrem Schweigerecht Gebrauch gemacht. Die Feststellungen zum Kerngeschehen beruhen im wesentlichen auf den Aussagen der Töchter, die übereinstimmend angaben, daß sie ihre Eltern lieben und daß es die besten Eltern seien, die man sich wünschen könne. Die beiden Schwestern der Geschädigten wurden ca. eine Woche nach deren Einlieferung bei einer Hausdurchsuchung ebenfalls in abgemagertem und entkräftetem Zustand aufgefunden und aufgrund einer einstweiligen Anordnung in eine Klinik eingeliefert. Der psychiatrische Sachverständige bestätigte in vorliegendem Verfahren für alle drei Töchter eine schwere Persönlichkeitsstörung. II. Aufgrund dieser Feststellungen bejaht die Strafkammer bei bestehender Garantenpflicht eine Körperverletzung durch Unterlassen. Sie nimmt einen bedingten Körperverletzungsvorsatz und eine fahrlässige Verursachung der Lähmung der Beine gemäß § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB an. Von einer absichtlichen oder wissentlichen Verursachung dieser schweren Folge im Sinne von § 226 Abs. 2 StGB konnte sie sich nicht überzeugen. Eine Mißhandlung von Schutzbefohlenen bleibt unerörtert. III. Die Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Sie ist etwa dann rechtsfehlerhaft, wenn sie lückenhaft ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht erörtert, widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewißheit überspannte Anforderungen gestellt sind. Dies ist auch dann der Fall, wenn eine nach den Feststellungen naheliegende Schlußfolgerung nicht gezogen ist, ohne daß konkrete Gründe angeführt sind, die dieses Ergebnis stützen können. Es ist weder im Hinblick auf den Zweifels-
satz noch sonst geboten, zugunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen , für deren Vorliegen keine konkreten Anhaltspunkte erbracht sind (st. Rspr., BGH NStZ-RR 2003, 371; BGH NStZ 2004, 35, 36 m.w.Nachw.). Alledem wird die Beweiswürdigung der Strafkammer in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht. 1. Die Kammer hätte eine Körperverletzung durch positives Tun in ihre Erwägungen einbeziehen müssen. Wenn E. ab Kenntnis des Beschlusses vom 10. Oktober 2003 über die angeordnete zwangsweise Vorführung zur ärztlichen Untersuchung trotz der Aufforderungen ihrer Eltern eine freiwillige ärztliche Untersuchung ablehnte und die Eltern aus falsch verstandener Rücksichtsnahme den erklärten Willen akzeptierten, hätte die Kammer sich damit auseinandersetzen müssen, warum der angeklagte Vater dem Jugendamt am 14. Oktober und am 20. Oktober 2003 zusicherte,E. werde sich freiwillig vom Hausarzt untersuchen lassen. In diesem Zusammenhang wäre auch zu erörtern gewesen, warum Beschwerde gegen den Vorführungsbeschluß eingelegt und im vorläufigen Rechtsschutz die Aussetzung der Vollziehung erwirkt wurde. Die Motivation für den Antrag vom 3. November 2003 - nach fruchtlosem Verstreichen des mitgeteilten Hausarzttermins vom 26. Oktober 2003 -, mit dem die Verlängerung der Frist zur Begründung der Beschwerde bis zum 5. Dezember 2003 erreicht wurde, wäre ebenso in diese Erörterung einzubeziehen gewesen. Schon deshalb, weil die Angeklagten von ihrem Schweigerecht Gebrauch gemacht haben, ist die Feststellung sogenannter innerer Tatsachen - hier der Motive für ihr Handeln - nur durch Rückschlüsse möglich (BGH NJW 1991, 2094 m.w.Nachw.). Neben objektiven Umständen können auch Erkenntnisse zur Interessenlage von Angeklagten ein wichtiger Anhaltspunkt für innere Tatsachen sein (BGH NStZ 2004,
35). Die Vorgeschichte zeigt objektiv und deutlich, daß die Angeklagten über Jahre hinweg ihre Kinder der Kontrolle der Jugendämter entzogen haben. Ihre Interessenlage ging seit Jahren dahin, die Familie gegenüber der Außenwelt abzuschotten und total zu isolieren. Unter den gegebenen Umständen liegt die Schlußfolgerung auf täuschendes Verhalten und gewolltes Verhindern einer ärztlichen Untersuchung und Behandlung nahe. Danach bestimmt sich, ob die Angeklagten die Körperverletzung durch aktives Tun oder durch Unterlassen verursacht haben. Die Rechtsprechung stellt insoweit wertend auf den Schwerpunkt des Vorwurfs ab (BGHSt 6, 46, 59; 40, 257). Auf den aufgezeigten Erörterungsmängeln beruht das Urteil, da sie zu einem anderen Schuldgehalt führen können. 2. Die Verneinung einer wissentlich schweren Körperverletzung nach § 226 Abs. 2 StGB ist nicht tragfähig begründet. Da es sich hier um einen Qualifikationstatbestand handelt, ist auch insoweit der Schuldvorwurf betroffen (BGH NJW 2001, 980; BGHR StGB § 226 Abs. 2, schwere Körperverletzung 2). Zur Erfüllung des Tatbestandes reicht es aus, daß der Täter die schwere Körperverletzung als sichere Folge seines Handelns voraussieht (BGH aaO). Das Landgericht meinte nicht feststellen zu können, daß die Angeklagten schwerwiegende Folgen im Sinne von § 226 Abs. 2 StGB als sicheres Resultat ihres Unterlassens (bzw. ihrer Handlungen) voraussahen. Es hat insoweit eine Abgrenzung zur bewußten Fahrlässigkeit vorgenommen und letztere bejaht (UA S. 15, 18). Die Feststellung des Wissensfaktors beim direkten Vorsatz 2. Grades ist hier wiederum nur durch Rückschlüsse möglich. Die Tatvorgeschichte, insbesondere die Abmagerung der Töchter mit den eingetretenen Folgen im Jahre 2000 und das im Zusammenhang damit gezeigte Verhalten der Angeklagten, legt die Schlußfolgerung auf
deren Wissen um die schweren Folgen einer derart extremen Abmagerung nahe. Die Kammer hätte hier gerade diesen Teil der Vorgeschichte konkret in ihre Würdigung einbeziehen und erörtern müssen, warum die damaligen Erkenntnisse ein solches Wissen nicht stützen können. Wenn aber die Angeklagten schwerwiegende Folgen als sicher voraussahen, dann ist es ohne Bedeutung, daß sie auf deren Ausbleiben und darauf hofften, daß sich der Gesundheitszustand von E. wieder von selbst bessere (Tröndle/Fischer, StGB 52. Aufl. § 15 Rdn. 7). Derjenige, der die Handlung bzw. das Unterlassen will, will auch das, was er als sichere Folge ansieht. Im übrigen aber sind keinerlei Anknüpfungstatsachen für eine derartige Hoffnung, auf die die Kammer die fahrlässige Verursachung der schweren Folge stützt, ausdrücklich dargelegt oder aus einer Gesamtschau der Urteilsgründe zu entnehmen. Da die Angeklagten schweigen, versteht sich diese Hoffnung nicht von selbst. Es ist aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt geboten, zugunsten der Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (BGH NJW 2002, 2188, 2189 m.w.Nachw.). 3. Nach Überprüfung der subjektiven Tatseite in den dargelegten Punkten mag auch der Tatbestand der Mißhandlung von Schutzbefohlenen durch böswillige Vernachlässigung der rechtlichen Würdigung zugänglich sein. 4. Danach war das Urteil auf die Sachrüge der Staatsanwaltschaft wegen der die Angeklagten begünstigenden Rechtsfehler aufzuheben. Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO). IV. Der Senat sieht Anlaß zu folgendem Hinweis:
Ob die Steuerungsfähigkeit bei Begehung der Tat "erheblich" im Sinne von § 21 StGB vermindert war, ist eine Rechtsfrage, die der Tatrichter ohne Bindung an die Äußerungen von Sachverständigen in eigen er Verantwortung zu beantworten hat. Dabei fließen normative Überlegungen ein. Entscheidend sind die Anforderungen, die die Rechtsordnung an jedermann stellt (BGHSt 43, 66, 77 m.w.Nachw.). Nack Kolz Hebenstreit Elf Graf

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.

(1) Hat die Körperverletzung zur Folge, daß die verletzte Person

1.
das Sehvermögen auf einem Auge oder beiden Augen, das Gehör, das Sprechvermögen oder die Fortpflanzungsfähigkeit verliert,
2.
ein wichtiges Glied des Körpers verliert oder dauernd nicht mehr gebrauchen kann oder
3.
in erheblicher Weise dauernd entstellt wird oder in Siechtum, Lähmung oder geistige Krankheit oder Behinderung verfällt,
so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

(2) Verursacht der Täter eine der in Absatz 1 bezeichneten Folgen absichtlich oder wissentlich, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(3) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 2 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 248/07
vom
19. September 2007
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19. September
2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Rissing-van Saan
die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Prof. Dr. Fischer,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revisionen der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Trier vom 28. Dezember 2006 werden verworfen. Die Angeklagte trägt die Kosten ihres Rechtsmittels; die durch die Revision der Staatsanwaltschaft verursachten Kosten und die hierdurch der Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision der Angeklagten , mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Die Staatsanwaltschaft hat zu Ungunsten der Angeklagten Revision eingelegt und rügt die Verletzung sachlichen Rechtes. Beide Rechtsmittel haben keinen Erfolg.

I.

2
Das Landgericht hat u.a. folgende Feststellungen getroffen:
3
Am 28. Juli 2003 brachte eine Freundin der Angeklagten in Kamerun das spätere Tatopfer B. zur Welt. Im Januar 2005 nahm die Angeklagte im Ein- verständnis mit ihrer Freundin das Mädchen mit nach Deutschland und gab es dort als ihre Tochter aus. Im Oktober/November 2005 kam es zu einer ersten Verletzung von B. . Bei einer oder mehreren Gelegenheiten kam das Mädchen mit kochendem Wasser oder einer chemisch aggressiven Substanz in Kontakt und zog sich Verbrühungen oder Verätzungen an der Haut zu. Eine angemessene medizinische Behandlung ließ die Angeklagte dem Kind nicht zukommen. Etwa Mitte November 2005 kam es zu einem oder mehreren Übergriffen der Angeklagten auf B. . Durch Schleudern gegen eine scharfkantige Struktur brachte die Angeklagte B. drei Striemen im Rückenbereich bei. Ein anderes Mal wirkte die Angeklagte bei einer oder mehreren Gelegenheiten auf B. mit einem Gegenstand, etwa einem Stock, ein und verursachte hierdurch am Rücken mittig links zwei (weitere) parallel zueinander verlaufende Streifen. Des Weiteren brachte sie dem Kind im gleichen Zeitfenster unter Anwendung scharfer oder halbscharfer Gewalt kleinflächige kreuz- bzw. schlitzförmige Verletzungen im Gesichtsbereich bei und wirkte ferner an der Stirn dergestalt auf das Kind ein, dass dabei ein ca. zweimal 3 cm großes Hämatom entstand, das sich im weiteren Verlauf in Form einer blassvioletten, unscharf geränderten Verfärbung zeigte. In allen Fällen wusste und wollte die Angeklagte , dass B. in Folge ihres Tuns Schmerzen erlitt. Um den 19./20. November 2005 erkrankte B. an einer von Fieber begleiteten Lungenentzündung. Eine Behandlung der Krankheit wurde in der Folge nicht eingeleitet. In der Zeit zwischen Montag, dem 21. November 2005 und 4.00 Uhr früh des 22. November 2005 kam es auf Grund zuvor gefassten Tötungsentschlusses in der Wohnung der Angeklagten zu folgendem Tatgeschehen, wobei weder der exakte jeweilige Tatzeitpunkt innerhalb des oben angegebenen Zeitfensters, noch die exakte Reihenfolge aller Einzelakte bestimmt werden konnte: Die Angeklagte wandte Minuten bis Stunden vor Eintritt des Todes des Kindes unter Einsatz übermäßig hohen Kraftaufwandes stumpfe oder halbscharfe Gewalt gegen den Schädel von B. an und schleuderte das Kind mit dem Kopf gegen einen festen Gegenstand. Hierbei wusste sie, dass ihr Tun möglicherweise tödliche Folgen für das Mädchen haben könne und nahm dies zumindest billigend auch in Kauf. Infolge der Gewalteinwirkung kam es auf der dem Anstoßpunkt gegenüberliegende Seite des Kopfes des Kindes zu einem sog. indirekten Schädelbruch, der - wenngleich als solcher nicht tödlich - unmittelbar zum Eintritt von Bewusstlosigkeit führte. Zeitnah hierzu, nicht ausschließbar erst nach dem Eintreten der Bewusstlosigkeit, verdrehte die Angeklagte den linken Arm des Kindes mit der Folge eines Spiralbruches. Des Weiteren - wiederum nicht ausschließbar erst nach dem Eintritt der Bewusstlosigkeit - schnitt bzw. "stanzte" sie im Bereich der Hände und Füße des Mädchens mit Hilfe zweier zuvor beschaffter Werkzeuge, einer (kleinen) Haushaltsschere sowie einer Nagelschere , eine Mehrzahl halbwegs eckig geformter (kleinflächiger) Hautstücke aus. Betroffen waren insbesondere die - von der Großzehe aus betrachtet - ersten drei Zehen des rechten Fußes, an rechter und linker Hand jeweils die Handinnenseiten und an der rechten Hand zusätzlich der Handrücken sowie der Zeigefinger. Ferner biss die Angeklagte das Mädchen jeweils einmal in den linken und rechten Arm, in die linke Kniebeuge, in die rechte Brust sowie mittig in den Rückenbereich; an den betroffenen Stellen zeichneten sich in der Folge ringförmig-violette, mit dem Gebiss der Angeklagten korrespondierende Hämatome ab. Schließlich brachte sie dem unter Umständen bereits bewusstlosen Mädchen unter Anwendung scharfer oder halbscharfer Gewalt (ein weiteres Mal) kreuz- sowie schlitzförmige Verletzungen im Unterkieferbereich bei und wirkte auf den Schädel mit stumpfer oder halbscharfer - "oberflächlich schleifender" - Gewalt ein, so dass dort unter Verlust eines Teils des Kopfhaares eine kreisförmig ausgestaltete, scharfrandig begrenzte ca. 1 qcm große Schürfung entstand. Zeitnah zur Beibringung der Wunden an Händen, Füßen und Gesicht entkleidete die Angeklagte B. und verbrachte das an den voranstehend benannten Körperteilen blutende Kind ins Badezimmer und legte oder setzte es dort in die Badewanne. Mit dem Ziel, hierdurch den Tod des Kindes nun sicher herbeizuführen, beließ die Angeklagte daraufhin Teile des Körpers, insbesondere die (weiterhin blutenden) Füße und Hände des Mädchens sowie zumindest zeitweise auch Mund oder Nase über einen längeren Zeitraum von einer halben bis maximal zwei Stunden hinweg in der Badewanne unter Wasser. Infolge des hierdurch bedingten Aussetzens der Blutgerinnung verlor B. im weiteren Verlauf in erheblichem Umfange (mindestens einen halben Liter) Blut und atmete überdies zeitweise Wasser ein. Zugleich bildete sich an den Fingern und Zehen des Kindes eine sog. Waschhaut, zuletzt darüber hinaus vor dem Mund ein Schaumpilz aus weißem Sekret. Schließlich verstarb das Kind zeitnah an den Folgen akuter Blutarmut. Anschließend nahm die Angeklagte verschiedene Verschleierungshandlungen vor.

II.

4
Das Landgericht ist der Überzeugung, dass nur die Angeklagte, die sich in der Hauptverhandlung nicht eingelassen hat, als Täterin in Betracht komme.
5
Das Landgericht hat Tötungsvorsatz bejaht, das Vorliegen von Mordmerkmalen aber verneint. Das Mordmerkmal Grausamkeit wurde abgelehnt, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass B. im Zeitpunkt "des todesursächlichen Geschehens" bereits bewusstlos gewesen sei. Auch Heimtücke oder sonst ein niedriger Beweggrund seien nicht nachzuweisen.

III.

6
Die Revision der Angeklagten ist unbegründet. Einer Erörterung bedarf allein die Rüge, mit der ein Verstoß gegen § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO geltend gemacht wird.
7
1. Die Angeklagte hat in der Hauptverhandlung die Vernehmung ihrer Mutter und ihrer Schwester beantragt u.a. zum Beweise dafür, dass sie am 21. November 2005 ohne B. von ihrer Schwester um 17.00 Uhr in der Nähe des G. Bahnhofs abgeholt worden, mit Mutter und Schwester bis ca. 20.30 Uhr zusammengewesen und von der Schwester bis ca. 21.00 Uhr zum Bahnhof begleitet worden und anschließend nach Hause gefahren sei.
8
Diesen Antrag hat das Gericht durch Beschluss vom 20. Oktober 2006 mit folgender Begründung zurückgewiesen: "Der Antrag auf Vernehmung der Zeuginnen A. S. und S. A. vom 08.09.2006 wird zurückgewiesen, da die in das Wissen der Zeuginnen gestellte Beweistatsache - sollten diese nunmehr insoweit tatsächlich zur Aussage bereit sein - für die Entscheidung aus tatsächlichen Gründen ohne Bedeutung ist. Ob die Angeklagte sich am 21. November 2005 vom späten Nachmittag an bis längstens 22.32 Uhr - so wie in das Wissen der Zeuginnen gestellt - nicht in der Wohnung in L. , sondern in Bi. bzw. auf dem Weg zwischen den beiden Ortschaften befunden hat, kann die Entscheidung nicht beeinflussen, selbst wenn die Zeuginnen die Beweisbehauptung bestätigen sollten. Der Todeszeitpunkt des Tatopfers ist lediglich insoweit einzugrenzen, als er vor 5.03 Uhr des 22. November 2005 (Eintreffen der Rettungssanitäter) angenommen werden muss. Angesichts des Ergebnisses des rechtsmedizinischen Sachverständigengutachtens - insbesondere der Schädelbruchverletzung und des Ausblutungsvorgangs - können die todesursächlichen Verletzungen dem Opfer auch innerhalb des Zeitraums 21. November 05, 22.32 Uhr und 22. November 05, 5.03 Uhr beigebracht worden sein. Das Ergebnis der beantragten Beweiserhebung kann mithin - weder zu Gunsten noch zu Ungunsten der Angeklagten - zu zwingenden Schlussfolgerungen führen …".
9
2. Aus tatsächlichen Gründen bedeutungslos sind Indiztatsachen, wenn zwischen ihnen und dem Gegenstand der Urteilsfindung keinerlei Sachzusammenhang besteht oder wenn sie trotz eines solchen Zusammenhangs selbst im Falle ihres Erwiesenseins die Entscheidung nicht beeinflussen könnten, weil sie nur mögliche, nicht zwingende Schlüsse zulassen und das Gericht den möglichen Schluss nicht ziehen will. Das Gericht beurteilt das auf der Grundlage des bisherigen Beweisergebnisses. Es darf aber die Beweiswürdigung nicht in der Weise vorwegnehmen, dass es die Beweiserheblichkeit der Indiztatsache mit der Begründung verneint, das Gegenteil sei bereits erwiesen oder erklärt, auch wenn der Zeuge die Behauptung bestätige, müsse dies nicht richtig sein. Im Urteil darf sich das Gericht mit der Ablehnungsbegründung nicht in Widerspruch setzen, insbesondere die Urteilsgründe nicht auf das Gegenteil der unter Beweis gestellten Tatsache stützen (vgl. u.a. BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Bedeutungslosigkeit 22).
10
Gegen diesen Grundsatz hat das Landgericht verstoßen. Es hat die Täterschaft der Angeklagten auch damit begründet, dass diese - insoweit glaubhaft - bei früheren Vernehmungen angegeben hat, jedenfalls ab dem Nachmittag des 21. November 2005 mit B. allein gewesen zu sein und die Wohnung nicht verlassen zu haben (UA S. 47/48). Diese Feststellung widerspricht der als bedeutungslos angesehenen Beweisbehauptung, die Angeklagte habe B. am 21. November 2005 von ca. 17.00 Uhr bis nach 22.00 Uhr alleine gelassen.
11
Indem die Strafkammer die Feststellung des Gegenteils der unter Beweis gestellten Tatsache zur Begründung des Schuldspruchs zum Nachteil der Angeklagte herangezogen hat und so von der Beurteilung jener Tatsachen als bedeutungslos in dem den Beweisantrag ablehnenden Beschluss abgewichen ist, hat sie § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO verletzt (vgl. u.a. BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Bedeutungslosigkeit 18 m.w.N.).
12
Auf diesem Fehler beruht das Urteil jedoch nicht. Der Senat kann nach den Urteilsausführungen in ihrer Gesamtheit sicher ausschließen, dass der Tatrichter , wenn er von einer Abwesenheit der Angeklagten in dem behaupteten Zeitraum ausgegangen wäre, Zweifel an deren Täterschaft gehabt hätte. Den Urteilsgründen lassen sich keinerlei Anhaltspunkte für die Täterschaft einer anderen Person entnehmen. Vielmehr liegen ganz erhebliche Indizien für die Täterschaft der Angeklagten vor. Das Opfer weist fünf eindeutig von der Angeklagten stammende Bisswunden auf. An den Kleidungsstücken der Angeklagten befinden sich die DNS des Kindes enthaltende Blutspuren. Alle Erklärungsversuche der Angeklagten wurden widerlegt, insbesondere konnten behauptete "Sturzverletzungen" des Opfers mit Hilfe von Sachverständigen sicher ausgeschlossen werden.
13
Danach war für die Strafkammer der Umstand, dass die Angeklagte möglicherweise vor der Tötung des Kindes einige Stunden abwesend war, ersichtlich ohne Bedeutung. Das Landgericht hat den Beweisantrag daher im Übrigen - abgesehen von dem Widerspruch in den Urteilsgründen - rechtsfehlerfrei wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit zurückgewiesen (vgl. hierzu auch BGH, Beschluss vom 19. Juli 2007 - 3 StR 184/07).

IV.

14
Die Revision der Staatsanwaltschaft deckt keinen Rechtsfehler zu Gunsten der Angeklagten auf.
15
1. Die Mordmerkmale Verdeckungsabsicht und Mordlust lagen nicht nahe , so dass sachlich-rechtlich eine Erörterung in den Urteilsgründen nicht geboten war.
16
2. Auch die Verneinung des Mordmerkmals Grausamkeit weist keinen Rechtsfehler auf. Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass B. schon durch die erste Gewaltanwendung gegen ihren Kopf bewusstlos war; denn es konnte - sachverständig beraten - die Reihenfolge der Verletzungshandlungen nicht sicher feststellen. Es hat daher nach dem Zweifelssatz angenommen, dass die zur Bewusstlosigkeit von B. führende Verletzung gleich zu Beginn der Verletzungshandlungen erfolgte und das Kind deshalb keine starken Schmerzen verspürt hat. Da die Angeklagte aber von Anfang an Tötungsvorsatz hatte (UA S. 20) und B. bereits beim ersten Tötungsakt der Angeklagten bewusstlos wurde, konnte das Landgericht rechtsfehlerfrei davon ausgehen, dass die Angeklagte B. nicht grausam töten wollte; denn B. konnte wegen ihrer Bewusstlosigkeit keine Schmerzen empfinden. Es liegt auch auf der Hand und bedurfte deshalb keiner ausdrücklichen Erörterung in den Urteilsgründen , dass die Angeklagte die Bewusstlosigkeit des Kindes bemerkte, so dass auch ein versuchter Mord (Merkmal Grausamkeit) nicht in Betracht kommt.
17
3. Das Landgericht hat die Verneinung des Mordmerkmals "sonst aus niedrigen Beweggründen" nicht näher begründet und auch nicht ausdrücklich erörtert, dass ein Mord aus niedrigen Beweggründen auch dann vorliegen kann, wenn der Täter in dem Bewusstsein handelt, keinen Grund für eine Tötung zu haben oder zu brauchen, oder wenn er bewusst seine frustrationsbedingten Aggressionen an einem unbeteiligten Opfer abreagiert (vgl. BGHSt 47, 128 ff.). Eine diesbezügliche Erörterung drängte sich nach den getroffenen Feststellungen jedoch nicht auf, da keine Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass die Angeklagte mit einer derartigen Motivation handelte.
18
4. Die knappe Verneinung eines besonders schweren Falles des Totschlags (§ 212 Abs. 2 StGB) erfolgte im Ergebnis rechtsfehlerfrei. Denn das Landgericht hat ohne Rechtsfehler gesehen, dass es nicht genügt, wenn die Tatumstände den Mordmerkmalen nur nahe kommen, sondern es müssen zusätzliche schulderhöhende Momente hinzutreten, durch die das Verschulden des Täters ebenso schwer wiegt wie das eines Mörders (vgl. u.a. BGHR StGB § 212 Abs. 2 Umstände, schulderhöhende 1). Solche sind hier nicht festgestellt. VRi'inBGH Dr. Rissing-van Saan Rothfuß Fischer ist wegen Urlaubsabwesenheit an der Unterschrift verhindert. Rothfuß Roggenbuck Appl

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 275/10
vom
14. Dezember 2010
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: nein
BGHR: ja
Veröffentlichung: ja
___________________________________
Eine Strafbarkeit wegen vollendeter Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1
Nr. 1 AO aufgrund unrichtiger oder unvollständiger Angaben entfällt nicht deshalb
, weil den zuständigen Finanzbehörden alle für die Steuerfestsetzung bedeutsamen
Tatsachen bekannt waren und zudem sämtliche Beweismittel (§ 90
AO) bekannt und verfügbar waren.
BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2010 - 1 StR 275/10 - Landgericht München
I
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Dezember 2010 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
München I vom 26. Januar 2010 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Der Angeklagte hat als im Einkauf tätiger Angestellter der Firma P. für diese Elektronikbauteile aus dem europäischen Ausland über eine Gruppe von Personen eingekauft , deren in Deutschland ansässige Firmen nur zum Zweck der Erlangung unberechtigter Vorsteuerabzüge zwischengeschaltet waren. In Kenntnis dieser Umstände und im Wissen, dass eine Berechtigung zum Vorsteuerabzug nicht bestand, gab der Angeklagte Eingangsrechnungen mit gesondert ausgewiesener Umsatzsteuer an die Buchhaltung der Firma P. zum Zwecke der Verbuchung und Vornahme des Vorsteuerabzugs weiter. Für Rechnungen datierend zwischen 1. August 2003 und 30. September 2004 wurden so für die P. vierzehn falsche Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben, die erste davon ging am 16. Oktober 2003 beim zuständigen Finanzamt ein. Insgesamt wurde so Umsatzsteuer in Höhe von rund 5,18 Mio. Euro hinterzogen.
2
Auf der Grundlage dieser Feststellungen wurde der Angeklagte wegen Steuerhinterziehung in vierzehn Fällen zu vier Jahren und neun Monaten Ge- samtfreiheitsstrafe verurteilt. Seine auf mehrere Verfahrensrügen und die näher ausgeführte Sachrüge gestützte Revision bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).
3
Der näheren Ausführung bedarf lediglich Folgendes:
4
I. Die Revision rügt eine Verletzung von § 244 Abs. 3 StPO wegen der Ablehnung des Beweisantrags Nr. 2 (nachfolgend 1.). Dies bleibt im Ergebnis erfolglos. Zwar zeigt die Revision insoweit Rechtsfehler auf (nachfolgend 2.), der Senat kann jedoch ausschließen, dass das Urteil hierauf beruht (nachfolgend 3.).
5
1. Folgendes liegt zugrunde:
6
a) Mit länger begründetem Beweisantrag vom 5. Januar 2010 macht die Verteidigung im Kern zweierlei geltend:
7
(1) Ein zunächst in anderer Sache in den Räumen der Firma P. ermittelnder Steuerfahnder aus München habe entgegen seiner Zeugenaussage vor der Strafkammer nicht erst im April 2005, sondern bereits am 19. September 2003 (also bevor die in Rede stehenden Vorsteueranmeldungen beim Finanzamt eingegangen waren) Kenntnis von „der steuerstrafrechtlichen Verdachtslage“ erlangt. Dies ergebe sich aus einem Vermerk über ein Telefonat dieses Steuerfahnders mit einem Steuerfahnder aus Hamburg, dessen Einvernahme nunmehr beantragt wird, sowie aus weiteren Schreiben und Vermerken, deren Verfasser ebenfalls als Zeugen gehört werden sollen. Es werde sich erweisen , dass die zuständigen Finanz- und Strafverfolgungsbehörden so frühzeitig Kenntnis „von dem verfahrensgegenständlichen Sachverhalt“ hatten, dass sie hätten verhindern können, dass größerer Schaden entsteht.
8
(2) Der Steuerfahnder aus München habe keine Maßnahmen ergriffen, Mitarbeiter der Firma P. zu informieren, sondern habe diese im Gegenteil, obgleich er ihnen gegenüber aufgetreten sei, „im guten Glauben … gelassen und darin bestärkt“. Hierzu solle eine Mitarbeiterin der Firma P. vernommen werden, die der Steuerfahnder trotz seines Wissens im Frühjahr 2004 um Auskunft „in Bezug auf die verfahrensgegenständlichen Sachverhalte“ gebeten habe, ohne den Hintergrund der Anfrage darzulegen.
9
b) Hinsichtlich der ersten Beweisbehauptung - Wissen des Steuerfahnders - lehnte die Strafkammer den Beweisantrag durch Beschluss vom 11. Januar 2010 mit der Begründung ab, die Kenntnis des Steuerfahnders - selbst wenn er nicht lediglich einen Anfangsverdacht gehabt hätte - sei für das Verfahren ohne Bedeutung. Der Fahnder hätte einWissen nicht offenbaren dürfen, um einen Ermittlungserfolg nicht zu gefährden. Es könne sein, dass Verfahrensverzögerungen entstanden seien, dies spiele aber für die Frage, ob eine betrügerische Umsatzsteuerkette vorliege und inwieweit der Angeklagte hierin involviert war, keine Rolle. Im Übrigen sei darauf hinzuweisen, dass sich der von der Verteidigung gezogene Schluss auf die behauptete Kenntnis des Steuerfahnders weder aus dem ein Telefonat dokumentierenden noch aus dem weiteren Vermerk nachvollziehen lasse, dieser vielmehr „abwegig“ sei.
10
Zu den weiteren Beweisbehauptungen - „Schweigen“ des Steuerfahnders - hörte die Strafkammer den zuvor bereits vernommenen Steuerfahnder aus München erneut und lehnte sodann den Beweisantrag durch Beschluss vom 26. Januar 2010 mit der Begründung ab, der Steuerfahnder sei „zu der Tatsachenbehauptung“ gehört worden, „so dass der Beweis erhoben“ sei. In den Gründen wird ausgeführt, der Beweisantrag sei insoweit schon „unzulässig, als er keine konkrete, auf die Tat- und Schuldfrage bezogene Beweisbehauptung“ enthalte.
11
2. Die Ablehnungsbeschlüsse sind nicht frei von Rechtsfehlern.
12
a) Der Ablehnungsbeschluss vom 11. Januar 2010 verletzt § 244 Abs. 3 StPO, weil er eine Bedeutungslosigkeit der Beweisbehauptung nicht belegt.
13
Eine Beweisbehauptung ist nur dann bedeutungslos, wenn sie weder den Schuld- noch den Rechtsfolgenausspruch zu beeinflussen vermag. Das Gericht muss daher - will es eine Beweisbehauptung (in deren vollen Tragweite, vgl. BGH, Beschluss vom 23. November 1982 - 1 StR 698/82, StV 1983, 90, 91) wegen Bedeutungslosigkeit ablehnen - beides in den Blick nehmen. Das Ergebnis dieser Prüfung ist im Ablehnungsbeschluss nachvollziehbar darzulegen, soweit es nicht für alle Beteiligten auf der Hand liegt (vgl. BGH, Beschluss vom 24. August 1999 - 1 StR 672/98, NStZ 2000, 46; BGH, Urteil vom 5. Januar 1982 - 5 StR 567/81, NStZ 1982, 170, 171; BGH, Beschluss vom 12. Juli 1979 - 3 StR 229/79).
14
(1) Es ist bereits nicht erkennbar, ob die angenommene Bedeutungslosigkeit auf tatsächlichen oder rechtlichen Gründen beruht. Entsprechende Darlegungen sind jedoch regelmäßig geboten (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2000 - 3 StR 410/99, NStZ 2000, 267, 268; BGH, Beschluss vom 12. August 1986 - 5 StR 204/86, StV 1987, 45 f.; Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 244 Rn. 43a).
15
(2) Die von der Strafkammer zur Begründung der Bedeutungslosigkeit weiter herangezogene Annahme, der benannte Steuerfahnder hätte sein Wissen nicht offenbaren dürfen, um einen Ermittlungserfolg (offenbar im Gesamt- komplex) nicht zu gefährden, vermag zu belegen, dass die abgeurteilte Tat nicht verhindert worden wäre. Welche Schlüsse die Strafkammer hieraus auf die Bedeutung der explizit unter Beweis gestellten Behauptung, die Tat hätte verhindert werden können, gezogen hat, legt sie nicht dar. Solcher Darlegungen hätte es hier aber - wie regelmäßig (vgl. BGH, Beschluss vom 11. April 2007 - 3 StR 114/07, StraFo 2007, 331) - bedurft. Denn aus dem Umstand, dass eine Tat nicht verhindert worden wäre, drängt sich der Schluss, dass eine bestehende , aber nicht wahrgenommene Möglichkeit zur Tatverhinderung im konkreten Fall für den Schuld- oder den Strafausspruch bedeutungslos sein kann, nicht ohne weiteres auf.
16
Die weiteren Erwägungen der Kammer, etwaige Verfahrensverzögerungen seien für die Frage nach dem Vorliegen einer betrügerischen Umsatzsteuerkette oder der Beteiligung des Angeklagten hieran bedeutungslos, lassen die Frage nach der Bedeutung von Verzögerungen für den Strafausspruch unerörtert.
17
(3) Die Ausführungen der Strafkammer, es sei „abwegig“, aus dem das Stattfinden eines verfahrensbezogenen Telefonats dokumentierenden Vermerk auf einen bestimmten Gesprächsinhalt zu schließen, geben zur Frage der Bedeutungslosigkeit der Beweisbehauptung keine Auskunft. Sie könnten überdies besorgen lassen, die Strafkammer habe die Beweisbehauptung in Zweifel gezogen. Bei der Ablehnung eines Beweisantrags wegen Bedeutungslosigkeit aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen ist jedoch die unter Beweis gestellte Tatsache so, als sei sie voll erwiesen, der Entscheidung zugrunde zu legen (BGH, Beschluss vom 12. Januar 2010 - 3 StR 519/09, NStZ-RR 2010, 212; BGH, Beschluss vom 6. März 2008 - 3 StR 9/08, StV 2008, 288). Die Ausführungen der Strafkammer geben dem Senat ferner Anlass zu der Anmerkung, dass einem Beweisantrag zwar abverlangt werden kann, dass darin ein verbindender Zusammenhang zwischen Beweismittel und Beweisbehauptung dargelegt ist (vgl. Fischer in KK, StPO, 6. Aufl., § 244 Rn. 82 mwN), dies jedoch nicht die Darlegung erfordert, ein benannter Zeuge werde die Beweisbehauptung mit Sicherheit bekunden. Erforderlich - aber auch ausreichend - ist die Darlegung der Umstände, warum es dem Zeugen möglich sein kann, die Beweistatsache zu bekunden. Ist der Zeuge Teilnehmer eines Telefonats, dessen Verlauf, dessen Inhalt oder - wie hier - dessen Ergebnis unter Beweis gestellt werden soll, handelt es sich um einen unmittelbaren Zeugen, zu dem es regelmäßig nicht der Darlegung noch weiter ins Detail gehender Umstände bedarf, damit das Gericht den Antrag anhand der gesetzlichen Ablehnungsgründe sinnvoll prüfen kann (vgl. BGH, Urteil vom 28. November 1997 - 3 StR 114/97, BGHSt 43, 321, 329 f.).
18
b) Soweit der Antrag die weiteren Beweisbehauptungen - betreffend das „Schweigen“ des Steuerfahnders - betrifft, lässt sich dem entgegen der Auffassung der Strafkammer im Beschluss vom 26. Januar 2010 eine hinreichend konkrete Beweisbehauptung entnehmen (1). Über diese wurde entgegen dem Ablehnungsbeschluss nicht Beweis erhoben (2).
19
(1) Soweit die Strafkammer im Beschluss vom 26. Januar 2010 ausführt, der Antrag sei „unzulässig“, will sie damit offenbar zum Ausdruck bringen, es handle sich um einen Beweisermittlungsantrag. Auch ein solcher wäre indes nicht schon im Ansatz unzulässig oder unstatthaft, sondern statt nach § 244 Abs. 3 bis Abs. 5 StPO nach Maßgabe des § 244 Abs. 2 StPO zu bescheiden (zu unzulässigen Beweisanträgen vgl. Becker in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 198; Fischer in KK-StPO, 6. Aufl., § 244 Rn. 107 f.).
20
Zwar vermengt der Antrag hinsichtlich des behaupteten Tätig- oder Nichttätigwerdens des Steuerfahnders Beweisziel und Beweistatsachen, bei der gebotenen interessengerechten Auslegung (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 244 Rn. 39; Fischer in KK-StPO, 6. Aufl., § 244 Rn. 77 f.) lässt sich ihm aber die Behauptung entnehmen, der benannte Steuerfahnder habe bei einer zu vernehmenden Zeugin bereits im Frühjahr 2004 Unterlagen betreffend den nunmehr abgeurteilten Sachverhalt erbeten, und hierbei nicht über eine Verdachtslage gesprochen. Dies ist eine hinreichend konkrete Beweisbehauptung.
21
Fehlte es - wie die Strafkammer ausführt - an einer hinreichend konkreten Beweisbehauptung, könnte nicht - wie die Kammer im selben Beschluss ausführt - „zu der Tatsachenbehauptung … Beweis erhoben“ sein. Die Nennung verschiedener, sich widersprechender Ablehnungsgründe könnte je nach Lage des Falles sogar besorgen lassen, dass es der Tatrichter dem Revisionsgericht überlassen wollte, sich einen passenden Ablehnungsgrund „herauszusuchen“ (vgl. BGH, Beschluss vom 7. November 2002 - 3 StR 216/02, NStZ 2004, 51). Eine in dieser Weise widersprüchliche Begründung wird aber insbesondere der Informationsfunktion des Ablehnungsbeschlusses nicht gerecht (vgl. BGH, Beschluss vom 24. November 2009 - 1 StR 520/09, StV 2010, 287, 288).
22
(2) Der beantragte Beweis wurde nicht erhoben.
23
Die zum Verhalten des Steuerfahnders gegenüber Mitarbeitern der Firma P. benannte Zeugin wurde nicht vernommen. Die Strafkammer konnte den Beweis auch nicht dadurch erheben, dass sie an deren Stelle den bereits zuvor gehörten Steuerfahnder erneut befragt. Im Rahmen des Beweisantragsrechts ist es Sache des Antragstellers, nicht nur das Beweisthema, sondern auch das zu benutzende Beweismittel selbst zu bestimmen. Zwar kommt ein Austausch der Beweismittel ausnahmsweise dann in Betracht, wenn das herangezogene Beweismittel zweifelsfrei gleichwertig ist (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 1982 - 2 StR 139/82, NJW 1983, 126, 127). An dieser Gleichwertigkeit fehlt es jedoch regelmäßig, wenn nur der Zeuge, dessen bisherige Aussage widerlegt werden soll, erneut vernommen wird, nicht aber die anderen zur Widerlegung benannten Zeugen. Dieser Mangel wäre im Ergebnis nur dann unschädlich , wenn der Zeuge seine bisherigen Aussagen im Sinne der Beweisbehauptung korrigiert und die Beweisbehauptung deshalb als erwiesen behandelt wird. Dass dies hier der Fall wäre, die Strafkammer also angenommen hat, der Steuerfahnder habe trotz seines Wissens geschwiegen, ist nicht ersichtlich.
24
3. Der Senat kann ausschließen, dass das Urteil auf den aufgezeigten Rechtsfehlern beruht.
25
Das Landgericht durfte hier nämlich aus Rechtsgründen weder das behauptete „Wissen“ des ermittelnden Steuerfahnders, noch dessen „Schweigen“ für den Schuld- oder den Strafausspruch berücksichtigen. Es ist überdies auszuschließen , dass sich der Angeklagte bei rechtsfehlerfreier Ablehnung des Beweisantrags anders als geschehen gegen den Tatvorwurf hätte verteidigen können. Insofern wurde der Angeklagte durch die rechtsfehlerhafte Verbescheidung des Antrags nicht in seiner Prozessführung beeinträchtigt oder benachteiligt.
26
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt der Tatbestand der Steuerhinterziehung in der hier einschlägigen Variante des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO (Abgabe unrichtiger oder unvollständiger Erklärungen) keine gelungene Täuschung des zuständigen Finanzbeamten voraus. Dies folgt bereits aus dem vom Betrugstatbestand des § 263 StGB abweichenden Wortlaut des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO. Es genügt daher, dass die unrichtigen oder un- http://www.juris.de/jportal/portal/t/1c6v/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=2&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR006130976BJNE046407301&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint - 11 - vollständigen Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen in anderer Weise als durch eine Täuschung für die Steuerverkürzung oder das Erlangen nicht gerechtfertigter Steuervorteile ursächlich werden (vgl. BGH, Urteil vom 6. Juni 2007 - 5 StR 127/07, NStZ 2007, 596, 597; BGH, Beschluss vom 19. Oktober 1999 - 5 StR 178/99, wistra 2000, 63, 64; BGH, Urteil vom 19. Dezember 1990 - 3 StR 90/90, BGHSt 37, 266, 285; so auch BFH, BStBl II 2006, 356, 357). Deshalb kommt es auch auf den Kenntnisstand der Finanzbehörden von der Unrichtigkeit der gemachten Angaben nicht an. Dementsprechend würde der hier unter Beweis gestellte Verdacht des Münchner Steuerfahnders die Erfüllung des Tatbestandes der Steuerhinterziehung auch dann nicht ausschließen, wenn der Beweis gelungen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Oktober 1999 - 5 StR 178/99, wistra 2000, 63, 64).
27
Darüber hinaus greift § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO selbst dann ein, wenn der zuständige Veranlagungsbeamte von allen für die Veranlagung bedeutsamen Tatsachen Kenntnis hat und zudem sämtliche Beweismittel (§ 90 AO) bekannt und verfügbar sind (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Oktober 1999 - 5 StR 178/99, wistra 2000, 63, 64, wo die aufgezeigte Fragestellung nicht entscheidungserheblich war). Im Gegensatz zu § 370 Abs.1 Nr. 2 AO ist bei § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO - schon nach seinem Wortlaut - nicht auf eine Kenntnis oder Unkenntnis der Finanzbehörden abzustellen (so aber Schmitz/Wulf in MüKo-StGB, § 370 AO Rn. 241) oder das ungeschriebene Merkmal der "Unkenntnis" der Finanzbehörde vom wahren Sachverhalt in den Tatbestand hineinzulesen (vgl. Joecks in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 7. Aufl., § 370 AO Rn. 198 f.). Dies stünde im Widerspruch zu der Wertung des Gesetzgebers in den Regelbeispielen des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nrn. 2 und 3 AO, die die Mitwirkung eines Amtsträgers unabhängig von dessen Zuständigkeit als besonders strafwürdig einstufen. Anders als in der Unterlassungsvariante setzt der Täter bei Begehung durch aktives Tun mit Abgabe der dann der Veranlagung zugrunde gelegten - aber unrichtigen - Erklärung eine Ursache, die im tatbestandsmäßigen Erfolg (i.S.d. § 370 Abs. 4 Satz 1 AO) stets wesentlich fortwirkt. Der Erfolg wäre auch bei Kenntnis der Finanzbehörden vom zutreffenden Besteuerungssachverhalt - anders als in der Unterlassungsvariante - weder ganz noch zum Teil ohne den vom Steuerpflichtigen in Gang gesetzten Geschehensablauf eingetreten. Insofern realisiert sich gerade auch in dem Machen der falschen Angaben (neben einem möglicherweise strafrechtlich relevanten Verhalten des die zutreffenden Besteuerungsgrundlagen kennenden Veranlagungsbeamten) die durch § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO rechtlich missbilligte Gefahr einer Steuerverkürzung (so jetzt auch Ransiek in Kohlmann, Steuerstrafrecht, 42. Lfg. März 2010, § 370 Rn. 581 ff.).
28
Die Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung kann auch nicht durch die mit dem Beweisantrag implizit aufgestellte Behauptung einer verzögerten Verfahrenseinleitung in Frage gestellt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Januar 2005 - 5 StR 191/04, wistra 2005, 148, 149).
29
b) Das Verhalten der Finanzbehörden konnte vorliegend auch keinen Einfluss auf den Strafausspruch haben.
30
Zwar kann ein Verhalten des Steuerfiskus (gleich einem Mitverschulden oder einer Mitverursachung des Verletzten) strafmildernd zu berücksichtigen sein. Es kann daher Fälle geben, in denen strafschärfend berücksichtigtes Verhalten eines Angeklagten (etwa Skrupellosigkeit, Raffinesse oder Hartnäckigkeit ) ins Verhältnis zum Verhalten der zum Schutze der staatlichen Vermögensinteressen berufenen Beamten zu setzen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Mai 1983 - 1 StR 25/83, wistra 1983, 145). Dies gilt jedoch allenfalls dann, wenn das staatlichen Stellen vorwerfbare Verhalten unmittelbar auf das Handeln des Angeklagten Einfluss genommen hat (etwa weil er bislang nicht tatgeneigt war oder ihm wenigstens die Tat erleichtert wurde) und den staatlichen Entscheidungsträgern die Tatgenese vorgeworfen werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 29. Januar 2009 - 3 StR 474/08, NStZ-RR 2009, 167). Derartiges hätte weder durch den in Rede stehenden Beweisantrag bewiesen werden können, noch ist es sonst vorgetragen oder ersichtlich.
31
Ein Anspruch eines Straftäters darauf, dass die Ermittlungsbehörden rechtzeitig gegen ihn einschreiten, um seine Taten zu verhindern, besteht nicht. Insbesondere folgt ein solcher Anspruch nicht aus dem Recht auf ein faires Verfahren gemäß Artikel 6 Abs. 1 EMRK (BGH, Beschluss vom 15. Januar 2003 - 1 StR 506/02, NStZ-RR 2003, 172 f.; BGH, Beschluss vom 17. Juli 2007 - 1 StR 312/07, NStZ 2007, 635). Es wäre daher rechtsfehlerhaft gewesen, dies hier zugunsten des Angeklagten zu werten.
32
Das Landgericht hat nicht nur im Beschluss, mit dem der Beweisantrag abgelehnt wurde, sondern im hier maßgeblichen Urteil Verfahrensverzögerungen angesprochen und die bedeutsamen Daten des Verfahrens beginnend mit einer Selbstanzeige am 18. September 2003 genannt. Der Senat kann daher ausschließen, dass die Kammer dies bei der Strafzumessung nicht auch im Blick hatte. Dass darüber hinaus Besonderheiten des Einzelfalles eine Strafmilderung ermöglicht hätten, weil sie ein Einschreiten der Finanz- und Ermittlungsbehörden unabweisbar geboten oder dazu geführt hätten, dass deren Verhalten mit den Grundsätzen eines fairen Verfahrens unvereinbar gewesen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Januar 2005 - 5 StR 191/04, wistra 2005, 148, 149), ist auch unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens nicht ersichtlich.
33
II. Rechtsfehlerhaft hat das Landgericht zugunsten des Angeklagten einen Härteausgleich wegen einer einbeziehungsfähigen, aber bereits durch Be- zahlung vollstreckten Geldstrafe vorgenommen (UA S. 65). Eine ausgleichspflichtige Härte kann für den Angeklagten hier – anders als bei Vollstreckung einer Geldstrafe durch Ersatzfreiheitsstrafe – nicht entstehen (vgl. Fischer, StGB, 58. Aufl., § 55 Rn. 21 f. mwN). Durch den gleichwohl vorgenommenen Härteausgleich ist der Angeklagte indes nicht beschwert.
Nack Wahl Hebenstreit
Jäger Sander

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 553/12
vom
5. Februar 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. Februar 2013 beschlossen
:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Freiburg vom 11. Juni 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

I.


1
Der Angeklagte wurde wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung unter Einbeziehung früher verhängter Strafen zu einer nachträglichen Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.
2
Seine Revision hat mit einer Verfahrensrüge, mit der sie die nicht rechtsfehlerfreie Ablehnung eines Beweisantrages geltend macht, Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
3
1. Folgendes ist festgestellt:
4
Der Angeklagte arbeitete im Nachtclub seiner geschiedenen Frau in W. . In einer nicht mehr genau feststellbaren Nacht im April oder Mai 2009 hielten sich dort die Tochter des Angeklagten und deren damals 17 Jahre alte Freundin O. auf; es war vorgesehen, dass diese in B. in der Wohnung der geschiedenen Frau des Angeklagten schlafen sollte. Die beiden jungen Frauen gingen nach ihrem Aufenthalt im Nachtclub zunächst mit zwei jungen Männern in die Wohnung eines dieser jungen Männer im nahegelegenen Frankreich und tranken dort Kaffee. Danach rief die Tochter den Angeklagten an, er solle O. und sie mit dem Pkw abholen. Nach einem Zwischenaufenthalt im Nachtclub brachte er die beiden zum Haus seiner geschiedenen Frau und ordnete dort an, seine Tochter solle aussteigen, mit der Freundin habe er noch zu reden. Anschließend verriegelte er die Beifahrertür und erklärte der Freundin, er wolle mit ihr „ficken“. Obwohl diese deutlich mach- te, dass sie dies alles nicht wolle, brachte er sie wieder in den Nachtclub. Dabei vermittelte er ihr den Eindruck, sie könne nicht weglaufen. Er verschloss die Tür des Nachtclubs, in dem niemand mehr war und führte sie in ein Zimmer mit einem Bett. Aus Furcht entkleidete sie sich und legte sich aufs Bett, er legte sich über sie. Als sie sich herauswinden wollte, hielt er sie fest, sie ließ dann den Geschlechtsverkehr über sich ergehen. Danach brachte er sie wieder in die Wohnung seiner geschiedenen Frau.
5
2. Die Feststellungen beruhen im Wesentlichen auf den Angaben von O. , die die Strafkammer nach sachverständiger Beratung als glaubwürdig angesehen hat.
6
Der Angeklagte hat die Tat bestritten, die Beschuldigung sei eine Erfindung von O. . Eine Autofahrt von Frankreich bzw. der französischen Grenze nach B. habe es nie gegeben. Er habe lediglich einmal die beiden auf ihren Wunsch vom Nachtclub zur Grenze gefahren. Vielleicht ginge die Anzeige darauf zurück, dass er seiner Tochter den Kontakt mit O. verboten habe, weil er erfahren habe, dass deren Bruder Rauschgift konsumiere.

7
3. Nicht unerhebliche Teile der Beweisaufnahme bezogen sich auf Hilfstatsachen , die die Glaubwürdigkeit von O. hätten möglicherweise in Frage stellen können.
8
Ohne dass hier die Urteilsgründe in allen Einzelheiten nachzuzeichnen wären, ging es dabei etwa um Folgendes:
9
O. hat die Tat erst mit zeitlicher Verzögerung bei der Polizei angezeigt. Ihre Freundin M. hat sie zur Polizei begleitet. Diese hat (u.a.) darüber ausgesagt, was ihr O. von der Tat erzählt habe. Im Unterschied zu ihren der Verurteilung zu Grunde gelegten Angaben habe sie, so die Zeugin M. , erzählt, sie sei vom Angeklagten in dessen Pkw vor der Einfahrt ihres ( O. s) Wohnhauses vergewaltigt worden.
10
Diese Schilderung, so legt die Strafkammer näher dar, sei unzutreffend, O. habe M. nicht alles, "sondern nur den Beginn" und die Tatsache der Vergewaltigung erzählt. Sie habe auch gesagt, dass der Angeklagte sie "heimgefahren" habe. Damit habe sie gemeint, er habe sie zur Wohnung ihrer Freundin in B. gebracht. M. habe sich daraus jedoch "zusammengereimt", dass die Tat im Pkw vor dem Wohnhaus von O. stattgefunden habe.
11
Gegenüber ihrem Bruder, der faktisch den Vater ersetzt habe, hat O. nach dessen Aussage angegeben, der Angeklagte habe sie bei sich (dem Angeklagten) zu Hause vergewaltigt.
12
Dies, so die Strafkammer, erkläre sich aus dem „soziokulturellen, eher konservativen Hintergrund“ der Familie O. . Daher habe sie dem Bruder nicht gesagt, dass die Tat in einem Nachtclub stattgefunden habe, sondern „bei ihm“, was der Bruder als „bei dem Angeklagten zu Hause“ verstanden habe.

II.


13
Vor dem Hintergrund der nach alledem ersichtlich nicht einfachen Beweislage erweist sich folgender Beweisantrag als nicht rechtsfehlerfrei behandelt :
14
In das Wissen einer Zeugin, einer langjährigen Freundin von O. war gestellt, dass diese im Sommer 2009, also mehrere Wochen nach der (terminlich nicht genau feststehenden) Tat auf einem Spielplatz in W. ihr gegenüber behauptet habe, ihr Bruder habe sie vergewaltigt. Neige die Zeugin, so ist zur Begründung des Antrags näher ausgeführt, dazu, andere sexueller Übergriffe zu bezichtigen, könne dies die Beurteilung ihrer Aussage beeinflussen, wobei auch eine „weitere psychologisch/psychiatrische Glaubwürdigkeitsbegutachtung“ genannt ist.
15
Die Strafkammer hat den Antrag wegen Bedeutungslosigkeit abgelehnt und zur Begründung ausgeführt:
16
„Mit der Aussage der Zeugin soll eine Hilfstatsache bewiesen werden. Es ist aber nicht ersichtlich, welche Schlüsse aus dieser Hilfstatsache für die Bewertung der Aussage der Zeugin O. gezogen werden könnten, zumal die Kammer eine weitere Glaubwürdigkeitsbegutachtung nicht beabsichtigt, weil deren Voraussetzungen nicht vorliegen“.
17
Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

18
1. Ohne dass dies näherer Ausführung bedürfte, ist die Strafkammer zutreffend davon ausgegangen, dass der Beweisantrag auf eine Hilfstatsache gerichtet war.
19
Zutreffend ist auch der Ansatz, dass eine Hilfstatsache in tatsächlicher Hinsicht - um anderes geht es hier nicht - (auch) dann bedeutungslos ist, wenn nicht erkennbar ist, warum die Beweisbehauptung (Zeugin O. behauptet, von ihrem Bruder vergewaltigt worden zu sein) den behaupteten Schluss auf den Beweiswert einer anderen Aussage dieser Zeugin (der Angeklagte habe sie vergewaltigt) zulässt, wenn also letztlich ein Zusammenhang zwischen der Beweisbehauptung einerseits und dem Anklagevorwurf andererseits fehlt (vgl. zusammenfassend Becker in LR-StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 220 Fn. 1134 mwN).
20
2. Allgemein-abstrakte Grundsätze darüber, in welcher Beziehung die Beweistatsache zu dem Verfahrensgegenstand stehen muss, wenn sie für seine Beurteilung Bedeutung haben soll, lassen sich kaum aufstellen. Auch Vorfälle , die dem angeklagten Vorwurf zeitlich nachfolgen, und an denen der Angeklagte nicht beteiligt war, können im Einzelfall auf die Beurteilung des konkreten Falles wichtige Schlüsse zulassen und dadurch Bedeutung erhalten.
21
Im Kern kommt es darauf an, ob im konkreten Fall nach allgemeiner - oder jedenfalls richterlicher - Erfahrung der aufgezeigte Zusammenhang erkennbar ohne weiteres sicher zu verneinen ist (vgl. Alsberg/Nüse/Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozess, 5. Aufl., S. 587 f).
22
3. Gründe, aus denen sich eine solche Bedeutungslosigkeit ergibt, teilt die Strafkammer nicht mit. In einem Beschluss, durch den ein Beweisantrag als aus tatsächlichen Gründen bedeutungslos abgelehnt wird (§ 244 Abs. 6 StPO), sind die hierfür maßgeblichen Erwägungen aber zumindest in ihrem Kern konkret darzulegen, um dem Antragsteller zu ermöglichen, sein weiteres Prozessverhalten entsprechend einzurichten (st. Rspr., vgl. zusammenfassend Fischer in KK-StPO, 6. Aufl., § 244 Rn. 145 mwN). Dementsprechend hat der Senat, dem im Übrigen eine eigene Beweiswürdigung verwehrt ist, nicht darüber zu befinden, ob und gegebenenfalls wie hier die Annahme einer solchen Bedeutungslosigkeit zu begründen wäre.
23
4. Der Senat hat erwogen, ob hier - ausnahmsweise - eine nähere Begründung für die Zurückweisung eines Beweisantrags wegen Bedeutungslosigkeit entbehrlich sein könnte. Dies ist dann der Fall, wenn die hierfür maßgeblichen Gründe evident auf der Hand liegen (st. Rspr., vgl. zusammenfassend Fischer aaO Rn. 147 mwN).
24
Dies ist hier nicht der Fall:
25
O. hat sowohl gegenüber M. als auch gegenüber ihrem Bruder Angaben gemacht, die nach der Bewertung der Strafkammer bei beiden Zeugen Fehlvorstellungen ausgelöst haben. Es ist unter diesen Umständen nicht völlig selbstverständlich, dass von vorneherein keinerlei Schlussfolgerungen daraus gezogen werden könnten, wenn sie in zeitlicher Nähe zu der Anzeige der verfahrensgegenständlichen Vergewaltigung behauptet hat, auch noch von einer anderen Personen vergewaltigt worden zu sein.
26
5. Es mag dahinstehen, ob der nicht näher erläuterte Hinweis der Strafkammer , eine erneute Begutachtung sei nicht beabsichtigt, daneben auch zum Ausdruck bringen soll, dass jedenfalls nach den konkreten Umständen des Falles selbst bei Gelingen des Beweises ein Schluss auf die Glaubhaftigkeit der Aussage von O. nicht gezogen würde, selbst wenn ein solcher Schluss (doch) möglich sein sollte. Auch dann fehlte aber in gleicher Weise die notwendige konkrete Begründung.
27
6. Auch sonst ist dieser Hinweis nicht ganz klar.
28
Es versteht sich von selbst, dass alle vor dem Urteil angefallenen Erkenntnisse zu berücksichtigen und zu bewerten sind. Ist der Richter nach seiner Auffassung hierzu selbst nicht in der Lage, sondern bedarf er hierzu sachverständiger Beratung, muss er sie - erforderlichenfalls ergänzend - einholen. Jedenfalls könnte auf eine Beweiserhebung zu einer Frage, die möglicherweise für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der zentralen Aussage eines Zeugen bedeutsam sein kann, nicht deshalb verzichtet werden, weil dessen Begutachtung bereits erfolgt ist.

III.


29
Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung, ohne dass es auf das weitere Revisionsvorbringen noch ankäme.
30
Der Senat bemerkt jedoch, dass gegebenenfalls die nicht völlig klare nachträgliche Gesamtstrafenbildung zu verdeutlichen wäre. Einbezogen ist hier jeweils die Strafe aus Verurteilungen vom 5. Mai 2010 und 14. März 2011. Die Tatzeiten sind nicht mitgeteilt. Durch ein Urteil vom 8. Juni 2011 wurde aus der dort verhängten Strafe und den genannten Strafen eine nachträgliche Gesamt- strafe gebildet. Diese hat die Strafkammer ohne weitere Ausführungen aufgelöst. Die Strafe für die am 8. Juni 2011 abgeurteilte Tat - es ist weder ihre Höhe noch die Tatzeit mitgeteilt - ist hier nicht einbezogen. Nack Wahl Jäger Frau RinBGH Cirener ist urlaubsabwesend und deshalb an der Unterschrift gehindert. Nack Radtke

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 29/13
vom
21. Mai 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 21. Mai 2013 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 24. August 2012 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Ferner hat es ein sichergestelltes Messer eingezogen. Die auf den Maßregelausspruch nach § 63 StGB beschränkte, auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat mit einer Verfahrensbeanstandung Erfolg und führt zur Aufhebung des gesamten Urteils.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Angeklagte in Gegenwart der Zeugin H. deren Lebensgefährten erstochen. Das Gericht hat die Tat als Mord (§ 211 StGB) bewertet und ist davon ausgegangen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit aufgrund erheblicher Al- koholisierung im Zusammenwirken mit der infolge langjährigen Alkoholmissbrauchs eingetretenen Persönlichkeitsveränderung gemäß § 21 StGB erheblich vermindert war. Da nicht ausgeschlossen werden konnte, dass der Angeklagte ein der Tat unmittelbar vorangegangenes Gespräch zwischen der Zeugin H. und ihrem Lebensgefährten fälschlicherweise als gegen sich gerichtet gedeutet hat und in ihm hierdurch ein aggressiver Impuls ausgelöst wurde, durch den er zu der Tötung hingerissen wurde, hat das Gericht - auch mit Blick auf ein unter normalen Umständen nicht erkennbares Tatmotiv - nicht ausschließen können, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit auch aufgehoben im Sinne des § 20 StGB war. Es hat daher den Angeklagten freigesprochen und auf Grundlage der festgestellten verminderten Steuerungsfähigkeit seine Unterbringung gemäß § 63 StGB angeordnet.
3
2. Der Maßregelauspruch war aufzuheben. Die Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB setzt die Begehung einer rechtswidrigen Tat voraus. Diese hat das Landgericht nicht rechtsfehlerfrei festgestellt, denn es hat einen die Anlasstat betreffenden Beweisantrag unter Verstoß gegen § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO abgelehnt.
4
a) Dem liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:
5
Der die Tat bestreitende Angeklagte hat in der Hauptverhandlung den Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache gestellt, dass die Blutanhaftungen an einem am Tatort sichergestellten Papierfetzen von der Zeugin H. stammten, dass es sich dabei um ein Vollprofil der DNA der Zeugin handelte und dass Mischspuren bzw. Teilprofile Dritter nicht vorhanden waren. Das Landgericht hat den Antrag ohne weitere Begründung "wegen Bedeutungslosigkeit" abgelehnt.
6
b) Dies hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Beschluss, mit dem ein Beweisantrag wegen Bedeutungslosigkeit der behaupteten Tatsache abgelehnt wird, die Erwägungen anführen, aus denen der Tatrichter ihr aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen keine Bedeutung für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch beimisst. Geht es wie hier letztlich um die Glaubwürdigkeit einer Zeugin, bedarf es der Darlegung, warum die zu beweisende Tatsache das Gericht auch im Falle ihres Nachweises unbeeinflusst ließe. Die Anforderungen an die Begründung entsprechen grundsätzlich den Darlegungserfordernissen bei der Würdigung von durch die Beweisaufnahme gewonnenen Indiztatsachen in den Urteilsgründen (BGH, Beschluss vom 19. Oktober 2006 - 4 StR 251/06, NStZ-RR 2007, 84, 85 mwN; Beschluss vom 27. März 2012 - 3 StR 47/12).
7
Daran fehlt es hier. Die unter Beweis gestellte Tatsache hätte die Schlussfolgerung zugelassen, dass die Zeugin H. während ihres Aufenthalts in der Wohnung des Angeklagten von ihrem Lebensgefährten körperlich misshandelt wurde und daher ein Tatmotiv hatte. Das Landgericht hat in seinem Beschluss indes weder mitgeteilt, dass es diesen möglichen Schluss nicht ziehen wollte, noch hat es seine Entscheidung mit konkreten Erwägungen begründet. Die Bedeutungslosigkeit lag auch nicht auf der Hand, was eine fallbezogene Begründung ausnahmsweise entbehrlich hätte machen können (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Dezember 2009 - 2 StR 363/09, StV 2010, 557; Beschluss vom 27. März 2012 - 3 StR 47/12 mwN).
8
c) Auf diesem Verfahrensfehler beruht der Maßregelausspruch, denn der Senat vermag nicht auszuschließen, dass die Strafkammer bei gesetzeskonformer Behandlung des Beweisantrags eine für die Anordnung der Unterbringung erforderliche rechtswidrige Tat nicht hätte feststellen können.
9
3. Die Aufhebung des Maßregelausspruchs hat aufgrund des bestehenden inneren Zusammenhangs auch die Aufhebung des Freispruchs zur Folge.
10
a) Der Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, steht dem nicht entgegen. Wird die Anordnung einer Unterbringung nach § 63 StGB auf eine Revision des Angeklagten hin aufgehoben, hindert das Schlechterstellungsverbot des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO den neuen Tatrichter nicht daran, an Stelle einer Unterbringung nunmehr eine Strafe zu verhängen (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO). Dadurch soll vermieden werden, dass die erfolgreiche Revision eines Angeklagten gegen die alleinige Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus dazu führt, dass eine Tat, die wegen angenommener Schuldunfähigkeit nicht zu einer Bestrafung geführt hat, ohne strafrechtliche Sanktion bleibt, wenn sich in der neuen Hauptverhandlung herausstellt, dass der Angeklagte bei Begehung der Tat schuldfähig war (vgl. BT-Drucks. 16/1344, S. 17; BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2012 - 4 StR 494/12, StraFo 2013, 165 mwN).
11
Letzteres kann vorliegend nicht ausgeschlossen werden, denn die Annahme des Landgerichts, die Schuldfähigkeit des Angeklagten sei zur Tatzeit nicht ausschließbar aufgehoben, gründet maßgeblich auf den Feststellungen zur Anlasstat. Sollte das neue Tatgericht insbesondere zu dem Geschehen unmittelbar vor der Tat veränderte Feststellungen treffen, könnte dies auch eine veränderte Bewertung zur Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten nach sich ziehen.
12
b) Die Beschränkung der Revision des Angeklagten auf die Maßregelanordnung ist unwirksam, weil sowohl die Unterbringung nach § 63 StGB als auch der auf § 20 StGB gründende Freispruch von den Feststellungen der Strafkammer zur Anlasstat abhängen und deshalb zwischen beiden Entschei- dungen aus sachlich-rechtlichen Gründen ein untrennbarer Zusammenhang besteht. Da nach § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO nunmehr eine Bestrafung des Angeklagten möglich ist, wenn sich aufgrund veränderter Feststellungen zur Anlasstat seine Schuldfähigkeit herausstellen sollte, lässt sich die Wirksamkeit einer isolierten Anfechtung der Maßregelanordnung nicht mehr mit der Erwägung rechtfertigen, dass aufgrund des Verbots der Schlechterstellung (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) unabhängig von der Bewertung der Schuldfrage in jedem Fall wieder auf Freispruch erkannt werden müsste (BGH, Beschluss vom 26. September 2012 - 4 StR 348/12). Dies wäre nur dann der Fall, wenn die den Freispruch tragende Schuldunfähigkeit des Angeklagten unabhängig von der konkret festgestellten Tat feststünde (vgl. insoweit BGH, Beschluss vom 8. Juni 2011 - 5 StR 199/11).
Fischer Appl Berger Eschelbach Ott

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 47/12
vom
27. März 2012
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
27. März 2012 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stralsund vom 23. August 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte im Fall II. 1 der Urteilsgründe wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt worden ist,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten , mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit einer Verfahrensbeanstandung den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
1. Die Verurteilung des Angeklagten im Fall II. 1 der Urteilsgründe hat keinen Bestand, weil das Landgericht einen diese Tat betreffenden Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins unter Verstoß gegen § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO abgelehnt hat.
3
a) Dem liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:
4
Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung den Antrag gestellt, zum Beweis der Tatsache, dass die Geschädigte D. in der Tatnacht nicht wie von ihr behauptet in sein Zimmer habe gelangen können, die Tatörtlichkeit in Augenschein zu nehmen. Diesen Antrag hat das Landgericht wegen Bedeutungslosigkeit abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beweistatsache beeinflusse selbst im Falle ihres Erwiesenseins die Entscheidung nicht, weil sie nur mögliche, nicht aber zwingende Schlüsse darauf zulasse, ob der Angeklagte die Geschädigte sexuell missbraucht habe.
5
b) Dies hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
6
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Beschluss, mit dem ein Beweisantrag wegen Bedeutungslosigkeit der behaupteten Tatsache abgelehnt wird, die Erwägungen anführen, aus denen der Tatrichter ihr aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen keine Bedeutung für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch beimisst. Geht es wie hier um die Glaubwürdigkeit einer Zeugin, bedarf es der Begründung, warum die zu beweisende Tatsache das Gericht auch im Falle ihres Nachweises unbeeinflusst ließe. Die Anforderungen an die Begründung entsprechen grundsätzlich den Darlegungserfordernissen bei der Würdigung von durch die Beweisaufnahme gewonnenen Indiztatsachen in den Urteilsgründen (BGH, Beschluss vom 19. Oktober 2006 - 4 StR 251/06, NStZ-RR 2007, 84, 85 mwN).
7
Dem genügt der Beschluss des Landgerichts nicht. Er teilt weder mit, dass das Landgericht den von ihm als möglich bezeichneten Schluss nicht ziehen wolle, noch begründet er diese Entscheidung mit konkreten Erwägungen. Die Bedeutungslosigkeit lag nicht auf der Hand (vgl. BGH, Urteil vom 15. Mai 1990 - 5 StR 594/89, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Bedeutungslosigkeit 12), so dass eine fallbezogene Begründung auch nicht unter diesem Aspekt entbehrlich war.
8
c) Auf diesem Verfahrensfehler beruht der Schuldspruch im Fall II. 1 der Urteilsgründe, denn der Senat vermag nicht auszuschließen, dass das Urteil insoweit bei gesetzeskonformer Behandlung des Beweisantrags anders ausgefallen wäre. Der genannte Schuldspruch unterliegt daher samt den zugehörigen Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO) der Aufhebung. Sie erfasst die Einsatzstrafe sowie die Gesamtstrafe, die beide erneut zugemessen werden müssen.
9
2. Im Übrigen ist die Revision des Angeklagten unbegründet. Ergänzend zu der Begründung der Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat:
10
a) Die Verfahrensrüge gemäß § 338 Nr. 3 StPO betreffend das Ablehnungsgesuch des Angeklagten vom 26. Juli 2011 ist bereits unzulässig. Sie entspricht nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, die ohne Rücksicht darauf einzuhalten sind, dass über die Begründetheit der Rüge nach Beschwerdegrundsätzen zu entscheiden ist (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 338 Rn. 29 mwN). Der Angeklagte hat den Beschluss des Landgerichts , mit dem es das Befangenheitsgesuch zurückgewiesen hat, nicht vollständig mitgeteilt.
11
b) Eine Verletzung des § 241a StPO kann der Angeklagte mit der Revision nicht geltend machen, weil er gegen die Zurückweisung der Frage durch den Vorsitzenden nach § 241a Abs. 3, § 241 Abs. 2 StPO nicht auf Entscheidung der Kammer nach § 238 Abs. 2 StPO angetragen hat (BGH, Beschluss vom 11. November 2004 - 1 StR 424/04, BGHR StPO § 240 Abs. 2 Gelegenheit 2; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 241a Rn. 7, § 241 Rn. 23).
12
3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
13
Zwar müssen bei der Überprüfung der Glaubhaftigkeit von Aussagen kindlicher Zeugen auf Realkennzeichen und auf einen Erlebnishintergrund nicht alle denkbaren, sondern nur die im konkreten Fall nach dem Stand der Ermittlungen realistischen Erklärungsmöglichkeiten an Hand von Alternativhypothesen berücksichtigt werden und sind im Urteil allein die wesentlichen Aspekte darzulegen (BGH, Urteil vom 23. August 2007 - 3 StR 301/07, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Beweisergebnis 12). Aufgrund der Hinweise in den Urteils- gründen auf einen schweren sexuellen Missbrauch der Geschädigten durch einen Dritten wenige Wochen nach der Tat, aber vor deren Aufdeckung wird der neue Tatrichter indessen Anlass haben, sich unter Zuhilfenahme eines Sachverständigen auch mit der Hypothese einer Übertragung eines Parallelerlebnisses durch die Geschädigte auseinanderzusetzen. Becker Pfister Schäfer Mayer Menges

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 251/06
vom
19. Oktober 2006
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Raubes u. a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 19. Oktober 2006 gemäß
§ 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 23. Februar 2006 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision.
2
Die Revision hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
3
Der Verteidiger des Angeklagten hat in der Hauptverhandlung unter anderem die Vernehmung des Zeugen Mustafa Z. beantragt zum Beweis der Tatsache, dass dieser auf die Mitteilung des Zeugen R. , er sei von dem Angeklagten überfallen worden, entgegen der Bekundung des R. nicht geäußert habe, der Angeklagte sei sein Cousin. Diesen Beweisantrag hat das Landgericht mit der Begründung zurückgewiesen, die genannte Beweistatsache sei für die Entscheidung ohne Bedeutung, da es sich um eine Indiztatsache handele, die nur mögliche, nicht zwingende Schlüsse zulasse.
4
Dies hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Beschluss, mit dem ein Beweisantrag wegen Bedeutungslosigkeit der behaupteten Tatsache abgelehnt wird, die Erwägungen anführen, aus denen der Tatrichter ihr keine Bedeutung für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch beimisst (vgl. BGHSt 2, 184, 186; BGH NStZ 1981, 401; BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Bedeutungslosigkeit 15 m. w. N.). Geht es - wie hier - um die Glaubwürdigkeit eines Zeugen, bedarf es daher der Begründung, warum die zu beweisende Tatsache das Gericht auch im Falle ihres Nachweises unbeeinflusst lassen würde (vgl. Meyer-Goßner StPO 49. Aufl. § 244 Rdn. 43 a m. w. N.). Die erforderliche Begründung entspricht grundsätzlich den Begründungserfordernissen bei der Würdigung von durch Beweisaufnahme gewonnenen Indiztatsachen in den Urteilsgründen.
5
Diesen Voraussetzungen genügt der Beschluss des Landgerichts nicht. Die tatsächliche Bedeutungslosigkeit liegt hier auch nicht auf der Hand, so dass sich die Rüge deswegen als unbegründet erweisen würde (BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Bedeutungslosigkeit 12). Die Verurteilung des Angeklagten, der von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht hat, beruht allein auf den Bekundungen des Zeugen R. . Dessen Glaubwürdigkeit bedurfte daher besonders sorgfältiger Überprüfung, ebenso die Frage, ob seine Wahrnehmungs- und Erinnerungsfähigkeit am Tattag beeinträchtigt war. In diesem Zusammenhang ist insbesondere zu berücksichtigen, dass bei dem Zeugen etwa zwei Jahre vor dem angeklagten Tatgeschehen eine paranoid-halluzinatorische Psychose diagnostiziert worden war. Wegen dieser Erkrankung wurde er fünf Monate in einer psychiatrischen Klinik stationär behandelt und danach unter Betreuung gestellt. In der Folgezeit ließ er sich zwar regelmäßig ambulant in der Klinik behandeln und mit einem Depotmedikament versorgen, setzte aber daneben seinen Cannabismissbrauch fort.
6
Vor diesem Hintergrund erweist sich die floskelhafte Ablehnung des Beweisantrages wegen Bedeutungslosigkeit der Beweistatsache als rechtsfehlerhaft. Es ist nicht auszuschließen, dass die Verurteilung des Angeklagten auf der fehlerhaften Ablehnung des Beweisantrages beruht. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben.
7
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
8
Zur Feststellung der Wahrnehmungs- und Erinnerungsfähigkeit des Angeklagten wird sich in erster Linie die Vernehmung der Ärztin, die ihn im fraglichen Zeitraum in der Westfälischen Klinik für Psychiatrie ambulant behandelt hat, als sachverständige Zeugin anbieten.
9
Sollte die neu entscheidende Strafkammer wieder zu einer Verurteilung kommen, so wird sie im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung die Voraussetzungen des § 250 Abs. 3 StGB zu prüfen haben. Tepperwien Maatz Kuckein Solin-Stojanović Sost-Scheible

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 409/12
vom
4. Dezember 2012
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Raubes u. a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 4. Dezember 2012 gemäß § 349
Abs. 2 und Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 11. Mai 2012 im Ausspruch über den Vorwegvollzug aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes, wegen Raubes in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und wegen Computerbetruges in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt , die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass ein Jahr und sechs Monate der Freiheitsstrafe vor der Unterbringung zu vollziehen sind. Gegen die Verurteilung richtet sich die auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Sie hat lediglich in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
2
Das Rechtsmittel des Angeklagten ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO, soweit es sich gegen den Schuld- und den Strafausspruch richtet; auch die Anordnung zur Unterbringung in der Entziehungsanstalt weist keinen Rechtsfehler auf.
3
Die vom Landgericht vorgenommene Bestimmung der Dauer des Vorwegvollzugs der Maßregel ist jedoch nicht nachvollziehbar und daher rechtsfehlerhaft. Denn die Strafkammer hat es unterlassen, in dem Urteil mitzuteilen, wie lange die Unterbringung des Angeklagten voraussichtlich erforderlich sein wird (vgl. dazu etwa BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2010 - 4 StR 448/10; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 67 Rn. 11b mwN). Die Dauer des Vorwegvollzugs ist so zu bemessen, dass nach seiner Vollziehung und einer anschließenden Unterbringung eine Entscheidung nach § 67 Abs. 5 Satz 1 StGB, also eine Entlassung zum Halbstrafenzeitpunkt, möglich ist. Der nunmehr zur Entscheidung berufene Tatrichter wird - unter erneuter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Satz 2 StPO) - bei der Berechnung des vorweg zu vollstreckenden Teils der Freiheitsstrafe die voraussichtlich notwendige Therapiedauer feststellen und diese von den drei Jahren - der Hälfte der (nunmehr rechtskräftig) erkannten Freiheitsstrafe - abziehen müssen.
4
Einer Aufhebung der Feststellungen bedarf es nicht. Bei der voraussichtlichen Therapiedauer handelt es sich um eine ergänzende Feststellung; die weiteren für § 67 Abs. 2, 5 StGB relevanten Feststellungen wurden rechtsfehlerfrei getroffen.
Mutzbauer Roggenbuck Cierniak
Bender Reiter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 602/11
vom
23. Februar 2012
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 23. Februar 2012 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Neubrandenburg vom 7. Februar 2011 im Adhäsionsausspruch und im zugehörigen Kostenausspruch aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Kammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Ferner hat es eine Adhäsionsentscheidung getroffen.
2
Die gemäß § 406a Abs. 2 Satz 1 StPO wirksam (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 25. Januar 2000 – 4 StR 569/99, wistra 2000, 150, 151) auf den Adhäsionsausspruch beschränkte Revision des Angeklagten hat Erfolg.
3
1. Das Landgericht hat den Angeklagten auf der Grundlage von § 823 Abs. 1 i.V.m. § 253 Abs. 2 BGB unter Berücksichtigung der von ihm bereits gezahlten 1.000 Euro verurteilt, an die Nebenklägerin ein Schmerzensgeld in Hö- he von (noch) 5.000 Euro nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 2. August 2010 zu zahlen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Angeklagte habe Leben und Gesundheit der Nebenklägerin ganz erheblich verletzt ; beim Würgen habe sie Todesangst verspürt. Eine billige Entschädigung in Höhe von 6.000 Euro sei daher angemessen.
4
2. Diese Begründung trägt den Adhäsionsausspruch schon deshalb nicht, weil die Strafkammer, wie es regelmäßig erforderlich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juli 2010 – 2 StR 100/10, NStZ-RR 2010, 344), die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten und der Nebenklägerin nicht erörtert hat. Ob sich im Einzelfall eine ausreichende Begründung aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergeben kann (so BGH, Urteil vom 27. September 1995 – 3 StR 338/95, BGHR StPO § 404 Abs. 1 Entscheidung
4) oder ausdrückliche Feststellungen für eine gerechte Festsetzung des Schmerzensgeldes immer unabdingbar sind (so Senatsbeschluss vom 14. Mai 1996 – 4 StR 174/96, StV 1997, 302), kann hier offen bleiben. Aus dem angefochtenen Urteil ergeben sich weder die Höhe der Einkünfte des freiberuflich tätigen Angeklagten und seine sonstigen Vermögensumstände noch Näheres über die wirtschaftlichen Verhältnisse der Nebenklägerin. Angesichts der Höhe des zugesprochenen Schmerzensgeldes hätte es hierzu entsprechender Feststellungen bedurft. Ohne sie lässt sich die Möglichkeit nicht ausschließen, dass die Verpflichtung zur Zahlung des zuerkannten Betrages für den Angeklagten eine unbillige Härte bedeutet.
5
3. Der Senat hat die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung über den Adhäsionsantrag zurückverwiesen.
6
a) Zwar soll regelmäßig eine Zurückverweisung allein zur Entscheidung über einen Adhäsionsantrag unterbleiben. In Fällen der Rechtsfehlerhaftigkeit des Adhäsionsausspruchs soll vielmehr regelmäßig von einer Entscheidung über die Entschädigung des Verletzten ganz abgesehen werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 27. März 1987 – 2 StR 106/87, NStZ 1988, 237, 238; Beschluss vom 3. Juni 1988 – 2 StR 244/88, NStZ 1988, 470, 471; Beschluss vom 30. Oktober 1992 – 3 StR 478/92, NStZ 1993, 145; Beschluss vom 30. April 1993 – 3 StR 169/93, bei Kusch NStZ 1994, 26; Beschluss vom 7. Juli 2010 – 2 StR 100/10, NStZ-RR 2010, 344, Tz. 5), es sei denn, im Rahmen der Zubil- ligung eines Schmerzensgeldes erstreckt sich der Rechtsfehler lediglich auf dessen Bemessung, weshalb die Entscheidung zumindest dem Grunde nach aufrecht erhalten bleiben kann (BGH, Beschluss vom 14. Oktober 1998 – 2 StR 436/98, BGHSt 44, 202, 204). Diese Rechtsprechung trägt dem gesetzgeberischen Willen Rechnung, das Adhäsionsverfahren möglichst reibungslos in das Strafverfahren einzufügen (vgl. schon OGH, Urteil vom 17. Mai 1949 – StS 158/48, OGHSt 2, 46, 47 zum Anhangsverfahren nach §§ 438 ff. StPO a.F.). Dieses Ziel würde verfehlt, wenn der Strafrichter in einem Fall der Zurückverweisung zu neuer Entscheidung allein über die Entschädigung des Verletzten nur noch über – möglicherweise komplizierte – zivilrechtliche Fragen zu befinden hätte. So liegt der Fall hier aber nicht.
7
b) Zwar hat der Angeklagte lediglich den Ausspruch über die Entschädigung der Verletzten angegriffen. Jedoch hat der Senat die angefochtene Entscheidung mit Urteil vom 23. Februar 2012 auf die Revision der Staatsanwaltschaft mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Damit hat der Tatrichter Gelegenheit, nach Zurückverweisung auf beide Rechtsmittel über den strafrechtlichen und den zivilrechtlichen Teil der Sache insgesamt einheitlich neu zu entscheiden. Mit der stattgebenden Entscheidung über die Revision des Angeklagten wird der Tatrichter auch nicht mit der (ausschließlichen) Entscheidung komplexer zivilrechtlicher Fragen belastet, zumal der Mangel in den Feststellungen unschwer behoben werden kann. Dass über die Revision des Angeklagten im Beschlusswege und über das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft durch Urteil entschieden worden ist, steht der Zurückverweisung zur neuen Entscheidung auch über die Entschädigung des Tatopfers nicht entgegen.
8
Von dem Urteil des 2. Strafsenats vom 28. November 2007 (2 StR 477/07; BGHSt 52, 96) weicht die vorliegende Entscheidung schon deshalb nicht ab, weil in dem dort zu entscheidenden Fall lediglich die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt, der Angeklagte das Urteil aber unangegriffen gelassen hatte. Die in der damaligen Entscheidung gegen die Aufhebung der Adhäsionsentscheidung durch das Revisionsgericht erhobenen Bedenken, auch im Hinblick auf die damit verbundene Durchbrechung der Rechtskraft (vgl. dazu auch LR/Hilger, StPO, 26. Aufl., § 406a Rn. 15 m.w.N.), treffen daher auf den vorliegenden Fall nicht zu.
Mutzbauer Roggenbuck Cierniak
Franke Quentin

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Erfolgt zugunsten eines Angeklagten die Aufhebung des Urteils wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Strafgesetzes und erstreckt sich das Urteil, soweit es aufgehoben wird, noch auf andere Angeklagte, die nicht Revision eingelegt haben, so ist zu erkennen, als ob sie gleichfalls Revision eingelegt hätten. § 47 Abs. 3 gilt entsprechend.

(1) Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer in diesen Situationen eine Person behindert, die einem Dritten Hilfe leistet oder leisten will.

(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 223/12
vom
17. Juli 2012
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schweren Raubes
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 17. Juli 2012 gemäß
§ 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 21. Februar 2012 im Maßregelausspruch mit den Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sowie den Vorwegvollzug von einem Jahr der Freiheitsstrafe angeordnet. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten wendet sich allein gegen die Anordnung der Dauer des Vorwegvollzugs. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Maßregelausspruchs insgesamt.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts bestehen bei dem Angeklagten eine langjährige multiple Substanzabhängigkeit mit im Vordergrund stehendem Cannabis-, Amphetamin- und Kokainkonsum sowie eine dissoziale Persönlichkeitsfehlentwicklung, möglicherweise sogar eine dissoziale Persön- lichkeitsstörung. Er konsumierte phasenweise täglich Cannabinoide, Amphetamine , gelegentlich Ecstasy und - wenn er ausreichend Geld zum Erwerb hatte - auch Kokain. Nach der letzten Haftentlassung im Jahr 2010 lebte er drei Monate lang abstinent, danach wurde er rückfällig. Der Drogenkonsum ist möglicherweise Ausdruck seiner dissozialen Persönlichkeitsfehlentwicklung. Eine Langzeittherapie nach § 35 BtMG hat der Angeklagte abgebrochen, aus einer weiteren ist er von der Einrichtung disziplinarisch entlassen worden. Er hat wegen seiner Persönlichkeitsfehlentwicklung oder Persönlichkeitsstörung erhebliche Probleme, im offenen Rahmen einer normalen Therapieeinrichtung eine Drogentherapie konstruktiv wahrzunehmen. Allerdings kann er seine Verhaltensauffälligkeiten willentlich steuern und hat Krankheits- und Behandlungseinsicht geäußert. Das Landgericht hat deshalb die Erfolgsaussicht der Maßregel bejaht. Entgegen der Auffassung des von ihm gehörten Sachverständigen, der wegen des bereits lange Zeit andauernden Betäubungsmittelmissbrauchs von einer längeren Therapiedauer von bis zu drei Jahren ausgegangen ist, hat das Landgericht eine Therapiedauer von zwei Jahren prognostiziert. Eine längere Therapiedauer sei nach dem Willen des Gesetzgebers nicht vorgesehen. Danach sei - entgegen der Formulierung im Urteilstenor - ein Vorwegvollzug von einem Jahr und sechs Monaten der Freiheitsstrafe anzuordnen.
3
2. Die grundsätzlich mögliche Beschränkung der Revision auf die Bestimmung der Dauer des Vorwegvollzugs ist im vorliegenden Fall ausnahmsweise unzulässig (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2007 – 3 StR 516/07, NStZ-RR 2009, 48, 49). Die Rechtswirksamkeit einer Beschränkung setzt voraus, dass der Beschwerdepunkt nach dem inneren Zusammenhang des Urteils losgelöst von seinem nicht angefochtenen Teil rechtlich und tatsächlich beurteilt werden kann, ohne eine Überprüfung des Urteils im Übrigen erforderlich zu machen. Das ist hier nicht der Fall.
4
Die Dauer des Vorwegvollzugs hängt gemäß § 67 Abs. 2 Satz 3, Abs. 5 Satz 1 StGB von der Höhe der verhängten Strafe und der voraussichtlichen Dauer der Unterbringung gemäß § 64 StGB ab. Für letztere ist derjenige Zeitraum maßgebend, der bei prognostischer Beurteilung erforderlich erscheint, um einen Behandlungserfolg zu erzielen. Die Festlegung einer angemessenen Dauer der Unterbringung setzt deshalb voraus, dass die Maßregel als solche überhaupt Aussicht auf Erfolg bietet. Ist dies bereits dem Grunde nach nicht der Fall oder zweifelhaft, lässt sich kein angemessener Zeitraum für die Therapie bemessen.
5
3. Die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt als solche begegnet hier durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Sie setzt nach § 64 Satz 2 StGB voraus, dass eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.
6
Das Urteil teilt keine tragfähigen Gründe dafür mit, dass eine (nur) zweijährige Therapie bei dem Angeklagten erfolgversprechend ist. Der vom Landgericht zutreffend erkannte Umstand, dass nach § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB die Unterbringung nicht länger als zwei Jahre dauern darf (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 17. April 2012 – 3 StR 65/12), reicht als Begründung für einen zu erwartenden Behandlungserfolg bei dem Angeklagten in diesem Zeitraum nicht aus. Dies gilt hier umso mehr, als möglicherweise der Drogenkonsum nur Ausdruck der dissozialen Persönlichkeitsfehlentwicklung des Angeklagten ist, was einen Heilungserfolg insgesamt oder jedenfalls innerhalb von zwei Jahren in Frage stellen könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Juli 2009 – 2 StR 209/09; Urteil vom 11. August 2011 – 4 StR 267/11 Rn. 24; Beschluss vom 17. April 2012 – 3 StR 65/12 Rn. 7). Bei einer Therapiedauer von drei Jahren, wie sie der gehörte Sachverständige prognostiziert hat, fehlt es aber an der notwendigen konkreten Erfolgsaussicht (BGH, Urteil vom 11. März 2010 – 3 StR 538/09 Rn. 10 ff., NStZ-RR 2011, 5, 6 f.; Urteil vom 5. August 2010 – 3 StR 195/10 Rn. 10; Beschluss vom 17. April 2012 – 3 StR 65/12 Rn. 3).
7
4. Über die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt ist deshalb erneut zu befinden. Der neue Tatrichter wird insbesondere Gelegenheit haben, neue Feststellungen zu der voraussichtlich notwendigen Therapiedauer zu treffen.
8
Da das Verfahren sich nur noch gegen einen Erwachsenen richtet, verweist der Senat die Sache an eine allgemeine Strafkammer zurück (vgl. BGH, Urteil vom 28. April 1988 – 4 StR 33/88, BGHSt 35, 267).
Mutzbauer Roggenbuck Schmitt
Bender Quentin