Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Aug. 2019 - 4 StR 342/19

bei uns veröffentlicht am13.08.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 342/19
vom
13. August 2019
in dem Sicherungsverfahren
gegen
wegen Gefährdung des Straßenverkehrs u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:130819B4STR342.19.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 13. August 2019 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 26. März 2019 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet (§ 63 StGB), deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und eine isolierte Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis festgesetzt. Die hiergegen gerichtete und auf die ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Beschuldigten hat Erfolg.

I.

2
Die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Gefährlichkeitsprognose ist nicht tragfähig begründet.
3
1. Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf nur angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, dass der Betroffene infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten der in § 63 Satz 1 StGB genannten Art begehen wird; eine nur latente Gefahr oder die bloße Möglichkeit künftiger Tatbegehungen genügt insoweit nicht (BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2011 – 5 StR 422/11, NStZ-RR 2012, 107, 108). Die Gefährlichkeitsprognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters , seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 27. Februar 2019 – 4 StR 419/18, juris Rn. 11; vom 2. September 2015 – 2 StR 239/15, juris Rn. 9; vom 3. Juni 2015 – 4 StR 167/15, StV 2016, 724; vom 1. Oktober 2013 – 3 StR 311/13, NStZ-RR 2014, 42) und hat sich darauf zu erstrecken, ob und welche rechtswidrigen Taten von dem Beschuldigten infolge seines Zustandes drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (Häufigkeit, Rückfallfrequenz) und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Juli 2013 – 2 BvR 2957/12, Rn. 27; BGH, Beschluss vom 7. Juni 2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306).
4
Maßgebender Beurteilungszeitpunkt für die Gefährlichkeitsprognose ist die Situation im Zeitpunkt des Urteils (vgl. BGH, Urteile vom 28. März 2019 – 4 StR530/18, Rn. 13; vom 23. Januar 2018 – 5 StR 488/17, Rn. 19; vom 10. August 2005 – 2 StR 209/05, NStZ-RR 2005, 370, 371). Dies bedeutet aber nicht, dass die Gefährlichkeitsprognose nur auf den Zeitpunkt der Entscheidung zu stellen ist; sie muss vielmehr einen längeren Zeitraum in den Blick nehmen (BGH, Urteile vom 3. August 2017 – 4 StR 193/17, StraFo 2017, 426; vom 30. August 1988 – 1 StR 358/88, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 6). In Fällen, in denen auf Grund einer zwischenzeitlichen Behandlung im Urteilszeitpunkt eine Stabilisierung des Krankheitsbilds eingetreten ist, ist deshalb im Interesse der öffentlichen Sicherheit der Umstand in die Prognoseentscheidung einzustellen , dass in späterer, aber absehbarer Zeit mit einer erneuten Verschlechterung des Gesundheitszustands und der Wahrscheinlichkeit erneuter rechtswidriger Taten zu rechnen ist (vgl. BGH, Urteile vom 11. Oktober 2018 – 4 StR 195/18, NStZ-RR 2019, 41, 42 f.; vom 3. August 2017 – 4 StR 193/17, StraFo 2017, 426; vom 30. August 1988 – 1 StR 358/88, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 6). Mögliche negative Entwicklungen, die in einem zeitlichen Abstand von mehreren Jahren oder in ungewisser Zukunft zu erwarten sind, vermögen die Annahme der Gefährlichkeit des Betroffenen für die Allgemeinheit jedoch regelmäßig nicht zu tragen.
5
2. Hieran gemessen begegnen die Erwägungen, mit denen das Landgericht die zur Maßregelanordnung führende Gefährlichkeitsprognose begründet hat, durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
6
Zwar ist das Landgericht im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen, dass maßgeblicher Zeitpunkt für die Prognoseentscheidung die Hauptverhandlung ist, und dass die Gefährlichkeitsprognose längerfristig zu stellen ist. Das Landgericht hat als prognostisch günstig berücksichtigt, dass die Anlassdelikte nunmehr bereits mehr als fünfeinhalb Jahre zurückliegen und der an einer bipolaren affektiven Störung leidende Beschuldigte ungeachtet der fortbestehenden Erkrankung seither nicht mehr durch die Begehung rechtswidriger Taten aufgefallen ist. Darüber hinaus hat es in den Blick genommen, dass die Erkrankung zwar fortbesteht, aber derzeit remittiert ist. Die Annahme fortbestehender Gefährlichkeit hat das Landgericht – den Ausführungen der psychiatrischen Sachverständigen folgend – maßgeblich auf die Erwägung gestützt, dass die psychische Erkrankung nicht überwunden sei und die „sichere Erwartung eines Wiederauftretens manischer und depressiver Phasen früher oder später“ bestehe. Unsicherheit bestehe „allein hinsichtlich des Zeitpunkts neuer- licher Manifestationen dieser Zustände“. Ein neuerliches Wiederaufflammen der Erkrankung sei „in den nächsten Jahren“ zu erwarten, wenn der Beschuldigte sich keiner Behandlung unterziehe. Diese Ausführungen lassen offen, ob – wie von Rechts wegen erforderlich – in „absehbarer Zeit“, also in einem überschaubaren Zeitraum, mit einem Wiederaufflammen der Erkrankung und infolge dessen mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades mit der erneuten Begehung erheblicher rechtswidriger Taten zu rechnen ist. Damit bleibt letztlich sogar offen , ob innerhalb der vom Landgericht festgesetzten Bewährungszeit überhaupt mit einem Wiederaufflammen der Erkrankung zu rechnen ist, und die Maßregelanordnung erforderlich ist, um der vom Beschuldigten ausgehenden Gefahr wirksam zu begegnen.
7
3. Der Senat hebt das Urteil insgesamt auf, um dem neu zur Entscheidung berufenen Tatgericht insgesamt widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen.

II.

8
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
9
1. Das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht wird hinsichtlich der Anlasstat vom 11. Oktober 2013 Gelegenheit haben, sich genauer als bisher geschehen mit der Frage zu beschäftigen, ob der für die Verwirklichung des Tatbestands des § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB erforderliche Gefahrverwirklichungszusammenhang zwischen der Tathandlung verkehrswidrigen Überholens und der Gefährdung des betroffenen Verkehrsteilnehmers gegeben ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. März 2018 – 4 StR 469/17, NStZ 2019, 215, 216, vom 22. November 2016 – 4 StR 501/16, juris Rn. 6). Die bisher getroffenen Feststellungen, die sich auf die Mitteilung beschränken, dass der Beschuldigte sein Fahrzeug „nach links halb vor das Fahrzeug des Geschädigten Z. “ gezogen habe, um ihn „jedenfalls“ zu einem scharfen Abbremsen seines Fahrzeugs zu zwingen, belegen dies nicht zweifelsfrei.
10
2. Auch die Erwägungen, mit denen das Landgericht – abweichend von den Ausführungen der psychiatrischen Sachverständigen – seine Annahme begründet hat, der Beschuldigte sei „aufgrund Wahnerlebens“ nicht in der Lage gewesen, das Unrecht seines Tuns einzusehen (§ 20 StGB), sind nicht nachvollziehbar. Ausführungen dazu, in welcher Weise sich das vom Landgericht angenommene „Wahnerleben“ bei Begehung der Anlasstat konkret auf die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten ausgewirkt hat, fehlen. Es erschließt sich auch nicht, aus welchen Gründen das Landgericht von der Einschätzung der Sachverständigen, die von erhaltener Unrechtseinsicht, aber einer Aufhebung der Steuerungsfähigkeit ausgegangen ist, abgewichen ist.
Sost-Scheible Roggenbuck Quentin
Bartel Paul

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Aug. 2019 - 4 StR 342/19

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(1) Wer im Straßenverkehr 1. ein Fahrzeug führt, obwohl er a) infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel oderb) infolge geistiger oder körperlicher Mängel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen, oder2.
Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Aug. 2019 - 4 StR 342/19 zitiert 5 §§.

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

5 StR 422/11

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 13. Dezember 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. Dezember 2011

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 18. Juli 2011 mit den zugehörigen Feststellungen nach § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben, soweit Strafaussetzung zur Bewährung versagt worden ist, sowie im Maßregelausspruch.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt und die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Gegen den Schuldspruch ist rechtlich nichts zu erinnern. Entgegen den Einwendungen der Revision hat das sachverständig beratene Landgericht eine Aufhebung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten (§ 20 StGB) zutreffend namentlich mit der Begründung ausgeschlossen, dass dieser in- nehalten konnte, nachdem er wieder in den Besitz des Personalausweises gelangt war.
3
2. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten im psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
4
a) Die Annahme des für § 63 StGB erforderlichen dauerhaften Defekts mit Krankheitswert (vgl. dazu BGH, Urteil vom 6. März 1986 – 4 StR 40/86, BGHSt 34, 22, 26 f.; Beschlüsse vom 6. Februar 1997 – 4 StR 672/96, BGHSt 42, 385 f., und vom 8. Juli 1999 – 4 StR 269/99, NStZ 1999, 611, 612) ist allerdings nicht zu beanstanden. Dass bei dem Angeklagten nicht nur eine – für sich nicht ausreichende – dauerhafte Disposition besteht, in bestimmten , ihn belastenden Situationen wegen mangelnder Fähigkeit zur Affektverarbeitung in den Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit zu geraten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Oktober 2001 – 3 StR 373/01, NStZ 2002, 142, vom 24. September 1997 – 2 StR 443/97, BGHR StGB § 63 Zustand 27, und vom 1. September 1998 – 4 StR 367/98), wird von den Feststellungen getragen. Danach hat die diagnostizierte schwere Persönlichkeitsstörung des emotional-instabilen Typus (ICD 10: F 61.0) bei ihm bereits seit früher Kindheit zu beträchtlichen Einschränkungen der gesamten Lebensführung bis hin zur Verwahrlosung geführt.
5
b) Der Maßregelausspruch kann gleichwohl nicht bestehen bleiben, weil das Landgericht die weiter vorausgesetzte Gefährlichkeitsprognose nicht ausreichend begründet hat. Die außerordentlich beschwerende Maßregel der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus setzt eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades voraus, dass von dem Betroffenen in Zukunft rechtswidrige Taten von Erheblichkeit zu erwarten sind; die bloße Möglichkeit genügt dementsprechend nicht (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 15. Juli 1992 – 5 StR 333/92, NStZ 1992, 538, vom 8. Juli 1999 – 4 StR 269/99, NStZ 1999, 611, 612, und vom 16. Juli 2008 – 2 StR 161/08, Rn. 7; jeweils mwN).
6
Vier – vergleichsweise nicht sehr schwer wiegende und dementsprechend durchgehend mit Geldstrafe geahndete – Körperverletzungsdelikte hat der Angeklagte im Zeitraum von 2004 bis 2008 begangen. Auch die Anlasstat liegt in diesem Zeitraum. Zuvor und danach musste er trotz seines Defekts nicht verurteilt werden. Es entspricht aber ständiger Rechtsprechung, dass länger währende Straffreiheit als gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger gefährlicher Straftaten heranzuziehen ist (BGH NStZ 1999 aaO; LK/Schöch, 12. Aufl., § 63 Rn. 74).
7
Das Landgericht hat dies im Grundsatz auch nicht verkannt und stützend auf aggressives Verhalten des Angeklagten bei der psychiatrischen Exploration und im Vorfeld des zweiten Hauptverhandlungstags verwiesen. Indessen hat dieser seine Aggressionen im Zuge der Exploration zu beherrschen vermocht; am zweiten Hauptverhandlungstag konnte er Gleiches aufgrund vorsorglich vorgenommener Fesselung nicht unter Beweis stellen. Hinzu kommt, dass krankheitstypische Aggressionen, die Ausfluss solcher Belastungssituationen sind, nur eingeschränkt als Beleg für die allgemeine Gefährlichkeit des Betroffenen gelten können (vgl. zu Taten während einer strafrechtlichen Unterbringung LK/Schöch, aaO, § 63 Rn. 84 mwN).
8
3. Die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung hat die Strafkammer maßgebend mit der Gefährlichkeit des Angeklagten begründet. Sie kann aus den vorgenannten Gründen schon deshalb nicht bestehen bleiben. Der Senat weist für die neu anzustellende Sozialprognose darauf hin, dass der Angeklagte bislang noch nicht zu Freiheitsstrafe verurteilt worden ist. Dass ihm nicht allein die Verurteilung zu Freiheitsstrafe in Verbindung mit entsprechenden Bewährungsweisungen und -auflagen hinreichende Warnung für künftige Legalbewährung sein kann, versteht sich daher nicht von selbst. Auch die wenig nachdrückliche Führung des Strafverfahrens in den Jahren 2009 und 2010 und die Straffreiheit des Angeklagten seit der verfahrensgegenständlichen Tat können hierbei nicht außer Betracht bleiben.
9
4. Sofern das neu entscheidende Tatgericht die Voraussetzungen des § 63 StGB bejahen sollte, wird – bei gegebener Aussetzung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung – im Rahmen einer etwaigen Aussetzungsentscheidung nach § 67b Abs. 1 Satz 1 StGB eingehender als bislang nach alternativen, den Angeklagten weniger beschwerenden Weisungsoder Unterbringungsmöglichkeiten zu suchen sein.
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11
a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnah- me, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Diese Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters , seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 2. September 2015 – 2 StR 239/15, juris; vom 3. Juni 2015 – 4 StR 167/15, StV 2016, 724; vom 1. Oktober 2013 – 3 StR 311/13) und hat sich darauf zu erstrecken, ob und welche rechtswidrigen Taten von dem Beschuldigten infolge seines Zustandes drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (Häufigkeit, Rückfallfrequenz) und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Juli 2013 – 2 BvR 2957/12 Rn. 27; BGH, Beschluss vom 7. Juni 2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306).
9
b) Die Prüfung des Grades der Wahrscheinlichkeit weiterer Taten und ihrer Art ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln. Die hierauf bezogenen Betrachtungen des Landgerichts sind jedoch nicht erschöpfend.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR167/15
vom
3. Juni 2015
in der Strafsache
gegen
wegen vorsätzlicher Körperverletzung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 3. Juni 2015 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 26. November 2014 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) angeordnet. Die auf die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts wurde dem Angeklagten die Wohnung gekündigt, weil er regelmäßig Gegenstände aus dem Fenster geworfen und kochend heißes Wasser auf die Straße gegossen hatte. Er zog in einen Verschlag auf dem Dachboden bei seinen Eltern. Auch hier kam es mehrfach zu Polizeieinsätzen, weil er Müll aus dem Dachfenster auf die Straße warf und mit seinen Eltern in Streit geriet. Die Eltern erteilten ihm Hausverbot.
3
Das Landgericht hat unter II.2. der Urteilsgründe folgende Taten festgestellt :
4
a) Der Angeklagte hielt ihm im Rahmen der Führungsaufsicht auferlegte Gesprächstermine mit seinem Bewährungshelfer sowie einen Termin zur Suchtmittelkontrolle unentschuldigt nicht ein.
5
b) Am 17. Juni 2013 kam es zu einer tätlichen Auseinandersetzung mit dem Vater, nachdem dieser dem Angeklagten den Zugang zur elterlichen Wohnung verweigert hatte, und anschließend zu einer Schlägerei mit seinem Bruder , der dem Vater zu Hilfe geeilt war.
6
c) Am selben Tag verschaffte sich der Angeklagte trotz einer Wohnungsverweisung und eines Rückkehrverbots Zutritt zu dem Verschlag auf dem Dachboden. Gegen 22.25 Uhr begaben sich zwei Polizeibeamte zu dem Verschlag und forderten den Angeklagten auf, das Haus zu verlassen. Der Angeklagte willigte ein, wollte aber zunächst eine Zigarette rauchen. Als der Polizeibeamte G. R. dies ablehnte und nach der Tabaktüte des Angeklagten griff, riss dieser die Fäuste hoch und stürzte sich mit gesenktem Kopf auf den Polizeibeamten, so dass dieser rücklings auf den Flur fiel. Obwohl ihm der zweite Polizeibeamte, S. , zu Hilfe eilte, gelang es beiden zunächst nicht, den wild um sich schlagenden Angeklagten zu überwältigen. Beide Polizeibeamte wurden von Faustschlägen getroffen. Einem Beamten versetzte der Angeklagte zudem einen Kopfstoß. Bei der Fixierung des Angeklagten strengte sich der Beamte G. R. dermaßen an, dass er sich einen Brustwirbel ausrenkte. Mit der Hilfe von zwei weiteren Polizeibeamten wurde der Angeklagte schließlich in den Polizeigewahrsam gebracht.
7
d) Am 25. Juni 2013 drückte der Angeklagte die Eingangstür zur Wohnung des Zeugen St. auf. Er entdeckte eine Plastiktüte mit Münzgeld,die er in einen Rucksack des St. packte, um sie mitzunehmen. Der Angeklagte glaubte nun, er befinde sich in seiner eigenen Wohnung, zog sich aus und duschte. Währenddessen kehrte St. in seine Wohnung zurück. Erforderte den Angeklagten auf, die Wohnung zu verlassen. Der Angeklagte wollte den Rucksack des St. mitnehmen, was dieser durch Festhalten verhinderte. Der Angeklagte verließ daraufhin die Wohnung.
8
2. Das Landgericht hat – dem Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen Dr. M. folgend – angenommen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten, der seit 2006 an einer schizoaffektiven Psychose (ICD-10 F25) leidet und bei dem eine dissoziale Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F60.2) sowie Cannabis- und Kokainmissbrauch (ICD-10 F12.1, F14.1) vorliegen, bei der Begehung der Taten aufgrund eines akuten affektpsychotischen Erlebens aufgehoben war. Von der Schuldunfähigkeit war es ebenso überzeugt wie von einer hohen Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Angeklagte zukünftig auch schwerwiegendere Taten aus dem Bereich der Gewaltkriminalität begehen wird.

II.


9
Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Gefährlichkeitsprognose ist nicht tragfähig begründet (1.), dies führt zur Aufhebung des Urteils insgesamt. In den Fällen II.2.a und b der Urteilsgründe werden zudem weder die vom Landgericht angenommene Aufhebung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung dieser Taten noch der notwendige Zusammenhang zwischen der psychischen Erkrankung und der Tatbegehung hinreichend belegt (2.); schon das Vor- liegen einer rechtswidrigen Tat lässt sich anhand der Urteilsgründe jedenfalls im Fall II.2.a nicht nachvollziehen (3.).
10
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB ist eine den Betroffenen außerordentlich beschwerende Maßnahme. Nur Störungen des Rechtsfriedens, die zumindest in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinragen, rechtfertigen eine Unterbringung gemäß § 63 StGB (vgl. BVerfGE 70, 297, 312; BGH, Urteil vom 17. August 1977 – 2 StR 300/77, BGHSt 27, 246, 248; BGH, Beschluss vom 21. März 1989, NJW 1989, 2959; st. Rspr.). Auch muss aufgrund einer umfassenden Würdigung von Tat und Täter eine höhere oder doch bestimmte, jedenfalls über die bloße Möglichkeit hinausreichende Wahrscheinlichkeit zu bejahen sein, dass der schuldunfähige Täter infolge seines Zustandes weitere erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juni 2013 – 2 StR 94/13 mwN).
11
Die Strafkammer hat bei ihrer Gefährlichkeitsprognose hinsichtlich der Anlasstaten ausdrücklich nur auf die Tat im Fall II.2.c der Urteilsgründe abgestellt und eine erhöhte Gefahr bejaht, dass es wiederholt zu Widerstandshandlungen gegen Polizeibeamte und damit verbundenen Körperverletzungen wie bei den Beamten G. R. und S. kommen werde. Diese eine Tat reicht aber nicht, die für eine Unterbringung erforderliche Gefährlichkeit des Angeklagten zu belegen. Sie allein lässt nicht ausreichend erkennen, dass eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für Impulsdurchbrüche mit der Folge von Gewalttätigkeiten besteht. Zwar ist der Angeklagte auch bei der Exploration durch die Sachverständige im hiesigen Verfahren, bei einem Termin bei dem Psychiater Dr. D. und bei einer richterlichen Anhörung im Rahmen einer Unterbringung nach dem PsychKG in einen hochgradigen und nicht mehr kontrollierbaren Erregungszustand geraten. Zu Tätlichkeiten ist es in diesen Fällen aber nicht gekommen. Der Angeklagte erleidet auch nicht bei jedem Kontakt mit Polizeibeamten einen krankheitsbedingten gewalttätigen Impulsdurchbruch, wie sein unauffälliges Verhalten gegenüber den Polizisten im Fall II.2.b der Urteilsgründe zeigt. Hinzu kommt, dass er auch schon vor der Manifestation seiner Erkrankung – also nicht krankheitsbedingt – mehrfach wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung in Erscheinung getreten ist. Die Gefahrenprognose für die Unterbringung nach § 63 StGB kann aber nur auf solche zu erwartenden Taten gestützt werden, die gerade auf dem Zustand des Betroffenen beruhen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. März 2012 – 2 StR 614/11).
12
Soweit die Strafkammer auf das sonstige Verhalten des Angeklagten – Werfen von Gegenständen und Gießen von kochend heißem Wasser aus dem Fenster – abstellt, kann dies prinzipiell eine Gefährlichkeit gegenüber der Allgemeinheit begründen. Die Strafkammer hat aber diese Vorfälle nicht, was erforderlich gewesen wäre, im Einzelnen konkret dargelegt.
13
Des Weiteren stellt die Strafkammer bei der Gefährlichkeitsprognose auf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchtende Raubdelikte zur Finanzierung des Betäubungsmittelkonsums des Angeklagten ab. Sollte sich in einer solchen Situation ein von ihm nicht mehr zu kontrollierender Affektsturm ergeben, sei mit der Anwendung unkontrollierter Gewalt mit hoher Gefahr für Leib und Leben der Opfer zu rechnen. Auch dies ist nicht mit Tatsachen belegt. Insoweit lässt das Urteil insbesondere eine Auseinandersetzung mit Tatbesonderheiten vermissen , die darin bestehen, dass der Angeklagte beim Diebstahlsversuch im Fall II.2.d der Urteilsgründe, als St. den Rucksack festhielt, die Wohnung widerstandslos ohne Beute verließ. Somit fehlt auch insoweit die notwendige umfassende Erörterung der krankheitsbedingten Gefährlichkeit unter Einschluss des bisherigen Lebens des Angeklagten.
14
2. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht.
15
Für seine Annahme, die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sei im gesamten Tatzeitraum aufgehoben gewesen, beruft sich das Landgericht auf das Gutachten der Sachverständigen. Näher ausgeführt wird jedoch nur, wie die Gutachterin nunmehr sicher zu ihrer Diagnose einer schizoaffektiven Psychose gelangt ist, ohne im Einzelnen näher darzulegen, wie sich diese bei den einzelnen Taten bemerkbar gemacht hat. Während ein affektiver Impulsdurchbruch im Fall II.2.c der Urteilsgründe und damit die Ursächlichkeit der psychischen Erkrankung für die Widerstandshandlungen und die Körperverletzungen nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe belegt ist, lässt sich ein solcher Zusammenhang zwischen der Erkrankung und der Tatbegehung bei den übrigen Taten dem Urteil nicht entnehmen. Inwieweit der Angeklagte aufgrund der Erkrankung nicht fähig war, Gespräche mit seinem Bewährungshelfer wahrzunehmen , ist für keinen der versäumten Termine im Fall II.2.a dargetan. Im Fall II.2.b der Urteilsgründe ist es zu Tätlichkeiten gekommen, die ausweislich der mitgeteilten Vorstrafen des Angeklagten bereits vor Manifestation der Erkrankung diesem nicht wesensfremd waren. Seit 1998 ist der Angeklagte mehrfach wegen Körperverletzung bzw. gefährlicher Körperverletzung verurteilt wor- den, 1999 hatte der Angeklagte bei einer Auseinandersetzung seinen Bruder lebensgefährlich verletzt. Auch wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung ist der Angeklagte bereits 2003 mehrfach in Erscheinung getreten. Die Erkrankung besteht aber erst seit 2006. Im Fall II.2.d war der Angeklagte in die fremde Wohnung eingedrungen und hatte das Münzgeld zum Abtransport bereit gelegt, bevor er sich dort als „Eigen- tümer“ zu fühlen und zu duschen begann. In den Fällen II.2.a, b und d ist deshalb fraglich, ob und in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Taten auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307). Allein die sichere Diagnose einer psychiatrischen Erkrankung besagt nichts über die Schuldfähigkeit bei der Tat.
16
3. Dem Angeklagten war durch Beschluss des Landgerichts Essen die Anweisung erteilt worden, jeden ersten Montag des Monats um 15.00 Uhr bei seinem Bewährungshelfer vorzusprechen. Angelastet wird ihm von der Strafkammer u.a., Gesprächstermine am 8. Oktober 2012 (2. Montag des Monats), 23. Oktober 2012 (Dienstag im selben Monat), 6. November 2012 (Dienstag) und 14. November 2012 (Mittwoch desselben Monats) schuldhaft versäumt zu haben. Inwieweit die Gesprächstermine wirksam verlegt worden sind, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen, auch nicht, inwieweit der Bewährungshelfer – strafbewehrt – Terminezur Suchtmittelkontrolle vorgeben konnte. Zum Inhalt des entsprechenden Beschlusses des Landgerichts Essen vom 7. Mai 2012 ist nichts Näheres mitgeteilt. Darüber hinaus vermögen reine Formalverstöße gegen eine Weisung die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht zu begründen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Mai 2008 – 1 StR 243/08, NStZ-RR 2008, 277).
17
4. Die Sache bedarf deshalb insgesamt der neuen Verhandlung und Entscheidung. Der Senat sieht Anlass zu folgendem Hinweis:
18
Durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl. I S. 1327) wurde der frühere Rechtszustand dahin geändert, dass es gemäß § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO nunmehr möglich ist, in einer neuen Hauptverhandlung an Stelle der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus den Täter schuldig zu sprechen und eine Strafe zu verhängen, wenn sich herausstellt , dass der Angeklagte bei Begehung der Tat schuldfähig war. Das Gericht bleibt jedoch gehindert, nach Aufhebung einer isoliert angeordneten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erneut die Unterbringung anzuordnen und zugleich erstmals Strafe zu verhängen (vgl. BT-Drucks. 16/1344, S. 17 f.; BGH, Beschlüsse vom 27. Oktober 2009 – 3 StR 369/09, juris Rn. 9; vom 14. September 2010 – 5 StR 229/10, StraFo 2011, 55).
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 311/13
vom
1. Oktober 2013
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
1. Oktober 2013 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 30. April 2013 aufgehoben; die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen bleiben aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) angeordnet. Die hiergegen gerichtete, auf Verfahrensrügen und sachlichrechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Beschuldigten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Beschuldigte seit 1984 an einer hebephrenen Psychose, die sich seither in situationsinadäquatem Verhalten, Verwahrlosung und Desorganisation äußerte. Er stand seit dieser Zeit unter Betreuung, war beginnend mit dem Sommer 1989 im Wesentlichen obdachlos und entwickelte eine schwere Alkoholabhängigkeit und eine konstante Inkontinenz. Mehrfach befand er sich in stationärer psychiatrischer Behandlung. Bei den Klinikaufenthalten erholte er sich jeweils schnell, um alsbald das Krankenhaus wieder zu verlassen und erneut in den Alkoholmissbrauch und die Verwahrlosung abzugleiten. Er nächtigte, weil er wegen seiner Inkontinenz oft nicht in Obdachlosenunterkünften verbleiben konnte, häufig in den Foyers von Geldinstituten, die er entsprechend verschmutzte. Die zahlreichen gegen ihn deshalb wegen Hausfriedensbruchs und Sachbeschädigung geführten Ermittlungsverfahren wurden wegen Schuldunfähigkeit eingestellt. Inzwischen zeigt sich bei ihm das Krankheitsbild einer langjährigen, chronifizierten paranoiden Schizophrenie mit illusionären Verkennungen und Wahnwahrnehmungen , die sich zu systematisierten Wahnideen verdichtet haben und die er als beeinträchtigend erlebt. In deren Zentrum steht eine imaginäre Person namens "Kerski", die ihn mit "Toyota-Erpresserkugeln" sowie mit Gummipuppen und Blechmenschen bedroht.
3
Seit Juni 2010 hielt sich der Beschuldigte häufig im Bereich einer Kirche auf. Da er bei schlechtem Wetter den Kircheninnenraum verunreinigte, musste ihm von dem Gemeindepfarrer H. Hausverbot erteilt werden, das, nachdem der Beschuldigte danach die Kirche von außen und den sie umgebenden Friedhof verschmutzt hatte, auf das gesamte Kirchengelände ausgedehnt wurde. Der Beschuldigte hielt sich häufig nicht daran. Pfarrer H. sah indessen aus Mitleid von Strafanzeigen ab. Wenn der Beschuldigte auf einer Bank vor dem Friedhof saß, führte er oft mit lautstarker Stimme schreiend Selbstgesprä- che, die den Pfarrer im Gemeindehaus bei der Arbeit störten. Am 16. Juni 2012 schrie der Beschuldigte wieder herum. Als Pfarrer H. - wie schon öfter im Verlauf der letzten Jahre - hinausging und den Beschuldigten aufforderte, sich zu entfernen, blieb der Beschuldigte entgegen bisheriger Gewohnheit auch dann noch vor Ort, als der Pfarrer ankündigte, die Polizei zu rufen, und sich zur Verstärkung seiner Drohung mit seinem Mobiltelefon beschäftigte und vorgab, eine Nummer zu wählen. Der Beschuldigte nahm an diesem Tag in wahnhafter Realitätsverkennung an, bei Pfarrer H. handele es sich um eine von "Kerski" erschaffene Gummipuppe. Er fühlte sich von dieser bedroht und schlug dem Pfarrer deshalb mit einer großen, eineinhalb Liter fassenden und noch zur Hälfte mit einem Getränk gefüllten Plastikflasche kräftig auf den Kopf. Der Schlag zerstörte die Brille des Pfarrers und verursachte eine dislozierte Jochbogenfraktur, was zu einer dauerhaften, unauffälligen aber wahrnehmbaren Delle im Jochbein geführt hat.
4
Sachverständig beraten hat das Landgericht angenommen, dass der Beschuldigte in psychotischer Verkennung der Realität und damit ohne Unrechtseinsicht gehandelt habe. Da der Beschuldigte eine notwendige Behandlung verweigere, sei mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Begehung von der Anlasstat vergleichbaren Taten zu rechnen.
5
2. Während die Verfahrensrügen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Beschuldigten aufzeigen, hält die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
6
a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht , dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat (en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juni 2013 - 2 StR 94/13 mwN). Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist der Tatrichter auch verpflichtet, die wesentlichen Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen.
7
b) Während die psychische Erkrankung des Beschuldigten sowie dessen hierauf beruhende Schuldunfähigkeit bei der Tatbegehung ausreichend festgestellt und in der Beweiswürdigung belegt sind, fehlt es an einer ausreichenden Darlegung einer zukünftigen Gefährlichkeit des Beschuldigten.
8
Das Landgericht hat sich dem gehörten Sachverständigen angeschlossen. Dieser hat aus einer Beurteilung in Anlehnung an das Verfahren HCR 20 (historical clinical risk management - zu Einzelheiten vgl. Dahle, Grundlagen und Methoden der Kriminalprognose in Kröber u.a.: Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Bd. 3, S. 1, 30 f.) das Risiko gewalttätigen Verhaltens des Beschuldigten als deutlich erhöht bezeichnet. Der von dem Beschuldigten erreichte Totalwert (25 von 40 Punkten) liege deutlich oberhalb der Mittelwertbereiche für zivilpsychiatrische Patienten und innerhalb der Mittelwertbereiche für forensisch-psychiatrische Patienten. Es sei deshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Anlasstat vergleichbaren Taten zu rechnen (UA S. 14). Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht bei der Prognose zukünftigen Verhaltens einseitig das Ergebnis des vom Sachverständigen genutzten statistischen Prognoseinstruments in den Blick genommen und dabei außer Acht gelassen hat, dass solche Instrumente zwar Anhaltspunkte über die Ausprägung eines strukturellen Grundrisikos liefern, indes nicht in der Lage sind, eine fundierte Einzelbetrachtung zu ersetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 2010 - 3 StR 69/10, NStZ-RR 2010, 203, 204; Urteil vom 11. Mai 2010 - 1 StR 40/10, NStZ 2010, 504, 506; Beschluss vom 22. Juli 2010 - 3 StR 169/10, StraFo 2011, 62; Beschluss vom 24. April 2013 - 5 StR 83/13 - juris). Eine solche Einzelbetrachtung muss sich auch mit dem Umstand auseinandersetzen , dass der Beschuldigte - jedenfalls nach den bisherigen Feststellungen - trotz einer bereits seit fast 30 Jahren bestehenden Erkrankung erstmals mit einer in den Bereich der mittleren Kriminalität fallenden Straftat in Erscheinung getreten ist. Zwar teilt das Urteil mit, der Bundeszentralregisterauszug des Beschuldigten weise seit 1991 insgesamt 78 Eintragungen zu Ermittlungsverfahren auf, die wegen Schuldunfähigkeit des Beschuldigten eingestellt worden sind; es ist indes nicht festgestellt, welche Taten des Beschuldigten den Verfahren zugrunde lagen, insbesondere ob sich darunter solche von gewisser Erheblichkeit befanden. Angesichts der an anderer Stelle im Urteil getroffenen Feststellung über 11 Ermittlungsverfahren wegen der Übernachtungen in den Räumen von Kreditinstituten allein in den Jahren 2011/2012 (UA S. 5) liegt es nahe, dass es sich auch bei den anderen Verfahren um solche wegen Delikten minderer Intensität gehandelt hat. Wenn aber nach jahrzehntelanger Erkrankung eine vereinzelte Tat der gefährlichen Körperverletzung zum Anlass für eine Unterbringung nach § 63 StGB genommen wird, bedarf es eingehenderer Darlegungen, warum der Beschuldigte jetzt seine paranoiden Ängste erstmals auf diese Weise ausagiert hat und unter welchen Umständen zukünftig von ihm welche Taten zu erwarten sind.
9
Im Hinblick auf die Verbesserung der Lebenssituation, die der Beschuldigte im Rahmen seiner vorläufigen Unterbringung in der Klinik für forensische Psychiatrie des LVR Klinikums E. nach den Feststellungen des Landgerichts derzeit erlebt (UA S. 7 und 15), bemerkt der Senat ergänzend: Auf eine ausreichende Begründung zukünftiger Gefährlichkeit des Beschuldigten für die Allgemeinheit kann nicht verzichtet werden, selbst wenn dessen Gesundheitszustand durch eine längerfristige Behandlung in einem forensischpsychiatrischen Krankenhaus gebessert werden könnte, denn nur die Belange der öffentlichen Sicherheit - nicht aber die Bemühungen um die Gesundheit des Patienten - können es rechtfertigen, einen Menschen auf unbestimmte Zeit einer Freiheitsentziehung zu unterwerfen (vgl. LK/Schöch, StGB, 12. Aufl., § 63 Rn. 1 mwN).
10
c) Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen sind rechtsfehlerfrei getroffen und können deshalb aufrechterhalten bleiben.
Becker Pfister RiBGH Mayer befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Gericke Spaniol

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 79/16
vom
7. Juni 2016
in dem Sicherungsverfahren
gegen
ECLI:DE:BGH:2016:070616B4STR79.16.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 7. Juni 2016 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 2. Oktober 2015 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich seine auf die Sachrüge gestützte Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
2
1. Der Unterbringungsanordnung liegen als von der Antragsschrift erfasste Anlasstaten eine gefährliche Körperverletzung sowie Bedrohungen zugrunde. Die gefährliche Körperverletzung beging der Beschuldigte nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen am Morgen des 25. Januar 2015 zum Nachteil eines Bediensteten der JVA D. , auf den er bei der Ausgabe des Frühstücks mit einer Porzellankaffeekanne einschlug. Drei der vom Landgericht als Bedrohungen eingeordneten Taten beging er ebenfalls zum Nachteil von JVA-Bediensteten, nachdem er im Anschluss an die gefährliche Körperverletzung in einen besonders gesicherten Haftraum (Drohung mit „Abstechen“) bzw. zur Versorgung eines nach dem Körperverletzungsgeschehen erlittenen Kiefer- bruchs in eine Klinik verbracht worden war („schlage ich euch mit dem Baseballschläger den Kopf ein“). Eine weitere Bedrohung „ggfs. auch weiterer Bediensteter der JVA“ (UA S. 41) nimmtdas Landgericht bezüglich eines Vorfalls vom 27. Januar 2015 gegenüber zwei Mitarbeiterinnen eines Justizvollzugskrankenhauses an, in das der Beschuldigte verlegt worden war. Ihnen gegenüber drohte der Beschuldigte, er werde ihnen „die Augen ausstechen und sie töten“.
3
Nach den weiteren Feststellungen der Strafkammer weist das Bundeszentralregister für den Beschuldigten für den Zeitraum von 1999 bis zum 18. Dezember 2014 insgesamt 23 Einträge auch wegen Körperverletzungsdelikten (2001, 2005, 2006, zweimal 2008, 2009, 2013), Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (2006, dreimal 2008) oder Bedrohung (2005, 2006) aus. In den Jahren 2011 bis März 2015 verbüßte er mehrere Freiheitsstrafen; 2009 war gegen ihn ferner – neben einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten – die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden , die bis März 2011 auch vollzogen wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen oder die Anwendung von §§ 20, 21 StGB erwähnt das Landgericht bei keiner dieser Taten bzw. Eintragungen. Zu der Maßregelanordnung im Jahr 2009 teilt das Urteil lediglich mit, dass die Sachverständige einen Hang des Beschuldigten , alkoholische Getränke im Übermaß zu sich zu nehmen, und auch die weiteren Voraussetzungen des § 64 StGB bejaht habe. Aus dem Vollzug dieser Maßregel wird mitgeteilt, dass sein „dissoziales Verhalten ... kaum er- träglich erschien“ und bei ihm bei „kleinsten Belastungen oder Unklarheiten“ Wahn- und Verfolgungsideen festgestellt worden seien, die sich aber wieder legten, „wenn sich die Situation klärte“ (UA S. 14 f.).
4
Ferner teilt das Urteil mit, dass ein Sachverständiger in einem – in einem anderen Strafverfahren gegen den Beschuldigten – erstatteten Gutachten im März 2015 zu dem Ergebnis gekommen sei, dass es sich beim Beschuldigten „um einen voll schuldfähigen Menschen mit dissozialer Persönlichkeit handle“ (UA S. 23), während ein anderer Sachverständiger im selben Monat beim Beschuldigten eine paranoide Psychose sowie eine dissoziale Persönlichkeitsstörung festgestellt habe (UA S. 25). Die Strafkammer geht – dem in der Hauptverhandlung erstatteten Sachverständigengutachten folgend – dagegen davon aus, dass der Beschuldigte an einer paranoiden Schizophrenie leide und gelitten habe, aufgrund derer zu den Tatzeiten seine Einsichtsfähigkeit aufgehoben gewesen sei; es habe sich um „typische Impulstaten eines Psychotikers“ gehandelt. Der Beschuldigte sei schon „in früherer Zeit“ auffällig gewesen, wie insbesondere die strafrechtlichen Vorbelastungen zeigten (UA S. 37); paranoide Akzente zögen sich „bereits seit längerer Zeit durch das Leben des Beschuldig- ten“ (UA S. 37). Hinsichtlich der Unterbringung nach § 64 StGB sei anzuneh- men, dass sie „schlicht in die ‚falsche Richtung’ gegangen sei und damals schon das eigentlich bei dem Beschuldigten bestehende Problem verkannt worden sei“ (UA S. 39).
5
2. Die Unterbringungsanordnung hat keinen Bestand, da die Gefährlichkeitsprognose nicht tragfähig begründet ist.
6
a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Diese Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 1. Oktober 2013 – 3 StR 311/13; vom 2. September 2015 – 2 StR 239/15; vom 3. Juni 2015 – 4 StR 167/15) und hat sich darauf zu erstrecken, ob und welche rechtswidrigen Taten von dem Beschuldigten infolge seines Zustandes drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (Häufigkeit, Rückfallfrequenz) und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Juli 2013 – 2 BvR 2957/12 Rn. 27).
7
Neben der sorgfältigen Prüfung der Anordnungsvoraussetzungen ist der Tatrichter auch verpflichtet, die wesentlichen Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2013 – 3 StR 311/13). Denn auf eine ausreichende Begründung zukünftiger Gefährlichkeit des Beschuldigten für die Allgemeinheit kann nicht verzichtet werden, selbst wenn dessen Gesundheitszustand durch eine längerfristige Behandlung gebessert werden könnte, da nur die Belange der öffentlichen Sicherheit – nicht aber die Bemühungen um die Gesundheit des Patienten – es rechtfertigen können , einen Menschen mit den Mitteln des Strafrechts auf unbestimmte Zeit einer Freiheitsentziehung zu unterwerfen (BGH aaO).
8
b) An einer nachvollziehbaren Darlegung der zukünftigen krankheitsbedingten Gefährlichkeit des Beschuldigten mangelt es dem angefochtenen Urteil.
9
aa) Auch wenn sich die Feststellung einer durch den Hang bereits indizierten Gefährlichkeit bei § 66 StGB von der auf einem der in § 20 StGB aufgeführten Zustände beruhenden Gefährlichkeit bei § 63 StGB unterscheidet, sind – nicht anders als bei § 66 StGB (vgl. dazu etwa BGH, Urteil vom 13. März 2013 – 2 StR 392/12) – auch (und insbesondere) für die im Rahmen des § 63 StGB anzustellende Gefährlichkeitsprognose etwaige Vortaten von besonderer Bedeutung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Februar 2004 – 2 BvR 2029/01, NJW 2004, 739, 743; Boetticher u.a., NStZ 2006, 537, 538, 541). So ist einerseits als ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten anzusehen, dass ein Täter trotz bestehenden Defekts über Jahre hinweg keine erheblichen Straftaten begangen hat (vgl. etwa BGH, Urteile vom 10. Dezember 2014 – 2 StR 170/14, NStZ-RR 2015, 72, 73; vom 8. Oktober 2015 – 4 StR 86/15 jeweils mwN). Andererseits kann sogar lange zurückliegenden Taten eine indizielle Bedeutung für die Gefährlichkeitsprognose zukommen, wenn sie in einem inneren Zusammenhang zu der festgestellten Erkrankung gestanden haben und deren Ursache nicht in anderen, nicht krankheitsbedingten Umständen zu finden ist (vgl. BGH, Urteil vom 11. August 2011 – 4 StR 267/11). Maßgeblich sind insofern insbesondere die individuell bedeutsamen Bedingungsfaktoren für die bisherige Delinquenz, deren Fortbestand, ihre fehlende Kompensation durch protektive Umstände und das Gewicht dieser Faktoren in zukünftigen Risikosituationen (vgl. BGH, Urteil vom 27. Oktober 2009 – 5 StR 296/09, NJW 2010, 245).
10
Ausgehend hiervon hätte es näherer Darlegungen bei der Gefährlichkeitsprognose dazu bedurft, ob und inwiefern die früher abgeurteilten Taten in Zusammenhang mit der nunmehr festgestellten Erkrankung des Beschuldigten stehen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 15. Juli 2015 – 4 StR 277/15; Boetticher u.a., NStZ 2006, 537, 541, 543; sowie BVerfG, Beschluss vom 12. Dezember 2013 – 2 BvR 1690/13). Hierfür reicht nicht aus, dass der Sachverständige – undihm folgend die Strafkammer – diese als „auffällig“ bezeichnete und auf schon längere Zeit vorliegende „paranoide Akzente“ verwies. Ein Zusammen- hang zwischen den Vortaten und der Erkrankung des Beschuldigten ist damit (noch) nicht – wie erforderlich: sicher – festgestellt (vgl. BGH, Urteil vom 11. August 2011 – 4 StR 267/11).
11
bb) Bleiben die früheren Taten außer Betracht, ist die Gefährlichkeitsprognose indes nicht hinreichend nachvollziehbar.
12
Insbesondere kann allein mit der im Allgemeinen erhöhten Kriminalitätsbelastung schizophren Erkrankter die Gefahrenprognose nicht begründet werden (BGH, Urteil vom 11. August 2011 – 4 StR 267/11; vgl. dazu auch BGH, Beschluss vom 17. Februar 2016 – 2 StR 545/15). Maßgeblich sind stattdessen die konkrete Krankheits- und Kriminalitätsentwicklung (BGH, Beschluss vom 17. Februar 2016 – 2 StR 545/15) sowie die auf die Person des Beschuldigten und seine konkrete Lebenssituation bezogenen Risikofaktoren, die eine individuelle krankheitsbedingte Disposition zur Begehung von Delikten jenseits der Anlasstaten belegen können (BGH, Urteil vom 11. August 2011 – 4 StR 267/11; zu situativen Risikofaktoren auch BGH, Beschluss vom 17. Februar 2016 – 2 StR 545/15).
13
Zur mit der Erkrankung des Beschuldigten in Verbindung stehenden Kriminalitätsentwicklung fehlen – wie ausgeführt – tragfähige Feststellungen. Soweit der Beschuldigte nach den Anlasstaten mehrmals in einen hochgradigen und nicht oder kaum mehr kontrollierbaren Erregungszustand geraten ist, ist es zu Tätlichkeiten nicht gekommen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 3. Juni 2015 – 4 StR 167/15). Auch waren die von ihm ausgesprochenen Bedrohungen nach den Feststellungen nicht geeignet, zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens zu führen (vgl. hierzu etwa BGH, Urteil vom 29. September 2015 – 1 StR 287/15, NJW 2016, 341, 342; Beschluss vom 18. Juli 2013 – 4 StR 168/13, NJW 2013, 3383, 3385: nahe liegende Gefahr der Verwirklichung).
14
Die Krankheitsgeschichte des Beschuldigten ist vom Landgericht – über die Unterbringung nach § 64 StGB hinaus – nur insoweit dargestellt worden, als ein Sachverständiger trotz einer dissozialen Persönlichkeitsstörung noch die „volle“ Schuldfähigkeit bejaht hat, einweiterer Sachverständiger – ebenfalls im März 2015 – dagegen eine paranoide Psychose und eine dissoziale Persönlichkeitsstörung angenommen hat, während der (dritte) in der Hauptverhandlung angehörte Sachverständige (nur) eine paranoide Psychose diagnostiziert hat. Angaben dazu, wann die Krankheit erstmals aufgefallen ist und wie sich die Symptomatik im Verlauf der Zeit entwickelt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Februar 2016 – 2 StR 545/15), fehlen. Da das Urteil abgesehen von dem Hinweis, dass sich für eine Persönlichkeitsstörung „keine Anhaltspunkte“ gefunden hätten (UA S. 39), zudem eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den früheren Gutachten ebenso vermissen lässt wie eine nähere Darstellung und Auseinandersetzung mit dem in Zusammenhang mit der Anordnung der Maß- regel nach § 64 StGB erstatteten Gutachten, ermöglicht das Urteil dem Senat nicht, die Entscheidung – wie erforderlich – nachzuvollziehen.
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin
19
Die Gefährlichkeitsprognose ist grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Urteils zu beziehen; nur mögliche positive Entwicklungen in der Zukunft haben dabei außen vor zu bleiben (vgl. BGH, Urteile vom 10. August 2005 – 2 StR 209/05, NStZ-RR 2005, 370, 371, und vom 17. Februar 2004 – 1 StR 437/03; vgl. auch BGH, Urteil vom 3. August 2017 – 4 StR 193/17 mwN).

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 193/17
vom
3. August 2017
in dem Straf- und Sicherungsverfahren
gegen
ECLI:DE:BGH:2017:030817U4STR193.17.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 3. August 2017, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof Roggenbuck, Richter am Bundesgerichtshof Cierniak, Bender, Dr. Feilcke als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof - in der Verhandlung -, Staatsanwalt - bei der Verkündung - als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 15. November 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat nach Verbindung eines Strafverfahrens und eines Sicherungsverfahrens gegen den Angeklagten bzw. Beschuldigten (im Folgenden : Beschuldigten) sowohl im Strafverfahren als auch im Sicherungsverfahren verhandelt. Es hat den Beschuldigten von dem mit der Anklageschrift vom 3. Juli 2014 erhobenen Vorwurf, eine andere Person mittels eines gefährlichen Werkzeugs misshandelt und tateinheitlich dazu versucht zu haben, einen anderen Menschen rechtswidrig mit Gewalt zu einer Handlung zu nötigen, wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen und den im Straf- und Sicherungsverfahren gestellten Antrag der Staatsanwaltschaft, den Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen, abgelehnt. Mit ihrer zu Ungunsten des Beschuldigten eingelegten, vom Generalbundesanwalt vertretenen Revision rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung sachlichen Rechts. Sie wendet sich dagegen, dass das Landgericht nicht die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet hat.

I.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der Beschuldigte leidet spätestens seit dem Jahr 2005 an einer chronifizierten paranoid-halluzinatorischen Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis (ICD-10 F 20.0). Von Mitte Dezember 2007 bis zum 24. Januar 2008 war er erstmals in stationärer psychiatrischer Behandlung. Danach lebte er unauffällig , bevor im Jahr 2013 aufgrund seiner psychischen Erkrankung schwere Wahnvorstellungen auftraten. Er fühlte sich von Geistern, die in seiner Wohnung leben würden, bedroht, beschimpft und sexuell missbraucht. Seinen Verfolgungs - und Vergiftungswahn projizierte er auf seine Nachbarn in einem Mehrfamilienhaus, die die Geister zu ihm schickten bzw. selbst böse Geister seien. Am 17. März 2013 sagte er zu einer Nachbarin, die er für den schlechten Zustand seiner schimmelbefallenen Wohnung verantwortlich machte: „I will kill you“. Die herbeigerufenen Polizeibeamten bedrohte er mit einem 20 cm langen Fleischermesser und äußerte: „Ich bringe jeden um, der sich mir nähert“. Ab dem 18. April 2013 war der Beschuldigte für vier Wochen in stationärer psychiatrischer Behandlung, die zu einer deutlichen Verbesserung der Symptomatik führte.
4
a) Im weiteren Verlauf kam es wieder zu ausgeprägten Krankheitserscheinungen und in der Folge zu der dem Beschuldigten mit Anklageschrift vom 3. Juli 2014 zur Last gelegten Tat:
5
Am Ostersonntag, dem 21. April 2014, klingelte der Beschuldigte bei seinem Wohnungsnachbarn V. und beschimpfte ihn, weil jener – was zutraf – den Flur nicht geputzt hatte. Er fasste V. an den Hals und schubste ihn zurück in die Wohnung, wobei er schrie, er sei „ein Schwein und eine Drecksau“ und müsse den Flur putzen. Mit einem mitgeführten, etwa vier cm dicken Stock schlug er V. und traf ihn u.a. am Arm. Es kam zu einem Gerangel; V. flüchtete auf die Straße. Der Beschuldigte, der völlig außer sich war und laut herumschrie, ließ ihn nicht wieder ins Haus. Die eintreffenden Polizeibeamten überwältigten den Beschuldigten mit Hilfe von Pfefferspray. Er wurde bis zum 2. Juni 2014 nach dem PsychKG untergebracht. Nach medikamentöser Behandlung war er nicht mehr fremdaggressiv, blieb aber krankheitsuneinsichtig, weshalb er seine Medikamente nach der Entlassung absetzte.
6
b) Zu den dem Beschuldigten mit der Antragsschrift im Sicherungsverfahren vom 18. Mai 2016 vorgeworfenen Taten hat das Landgericht im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
7
Im September 2014 zog der aus Kenia stammende O. in die frühere Wohnung des V. . Am 5. Februar 2015 lehnte sich der Beschuldigte aus dem Fenster und drohte dem vorbeigehenden O. , ihn zu töten. Auch als uniformierte Polizeibeamte erschienen, drohte er, O. abzustechen, weil der ein böser Geist sei, der ihm nach dem Leben trachte. Der Beschuldigte wurde bis zum 20. Februar 2015 nach dem PsychKG untergebracht und medikamentös behandelt.
8
Im März 2015 flammten seine Wahnvorstellungen wieder auf. Am 30. März 2015 klingelte der Beschuldigte gegen 23.30 Uhr an der Wohnungstür des O. . Er sagte zu seinem Nachbarn, er solle hier warten, heute werde er ihn umbringen. Dann lief er in seine Wohnung und holte ein 34 cm langes Mes- ser mit einer Klingenlänge von 20 cm. O. lief in seine Wohnung zurück und verschloss die Tür. Der Beschuldigte versuchte, die Tür gewaltsam zu öffnen, was ihm nicht gelang. Die Polizei erschien mit einem Sondereinsatzkommando und nahm den Beschuldigten in seiner Wohnung fest. Nachfolgend war er vom 31. März bis zum 28. April 2015 nach dem PsychKG untergebracht. Seine psychische Erkrankung war danach zunächst nicht mehr floride.
9
Ende 2015/Anfang 2016 kam es wieder zu Wahnvorstellungen. Am 20. Januar und am 4. Februar 2016 trat der Beschuldigte jeweils gegen die Wohnungstür des O. und beschädigte sie dadurch.
10
c) Das sachverständig beratene Landgericht hat hinsichtlich dieser festgestellten rechtswidrigen Taten die Schuldfähigkeit des Beschuldigten verneint, weil eine krankhafte seelische Störung im Sinne des § 20 StGB zu allen Tatzeitpunkten mit Sicherheit zum Ausschluss der Einsichtsfähigkeit geführt habe. Der Beschuldigte habe sich zu den Tatzeitpunkten seinem Wahnsystem entsprechend einer nicht beherrschbaren, von Nachbarn ausgehenden Gefahr ausgesetzt gewähnt und sich „zur Wehr gesetzt“.
11
d) Nach den Anlasstaten schlug der Beschuldigte am 18. April 2016 mehrmals mit einer Axt gegen die Wohnungstür des O. , weil er glaubte, O. beeinflusse seine Träume und verabreiche ihm Sprays, „um ihn schwul zu machen“. Der Beschuldigte äußerte, wenn der Nachbar da gewesen wäre, wäre es gefährlich geworden. Nach diesem Vorfall wurde der Beschuldigte zunächst nach dem PsychKG und dann bis zur Urteilsverkündung einstweilig untergebracht.
12
2. Das Landgericht hat die Anlasstaten als gefährliche Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Nötigung (21. April 2014), Bedrohung (5. Februar 2015), Bedrohung in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung (30./31. März 2015) und Sachbeschädigung (20. Januar und 4. Februar 2016) gewertet. Die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus ist nicht angeordnet worden. Es fehle bereits ein ausreichend hoher Wahrscheinlichkeitsgrad für die Begehung erheblicher rechtswidriger Taten gegen die körperliche Unversehrtheit oder das Leben beliebiger Nachbarn. Auch wäre die Anordnung nicht verhältnismäßig.

II.


13
1. Soweit sich die Staatsanwaltschaft in ihrer Revisionsbegründung in Bezug auf das Strafverfahren nicht gegen den Freispruch, sondern nur gegen die Nichtanordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wendet, liegt eine wirksame Rechtsmittelbeschränkung auf die unterbliebene Maßregelanordnung nicht vor. Die Aufspaltung des Urteils in seinen freisprechenden Teil und die unterbliebene Maßregelanordnung ist hier nicht möglich, weil die Feststellungen zum Tatgeschehen und zur Motivation des Beschuldigten mit denjenigen zur Schuldunfähigkeit, die zugleich Unterbau des Freispruchs und Voraussetzung der Unterbringung nach § 63 StGB ist, in einem untrennbaren Zusammenhang stehen (BGH, Urteil vom 30. November 2011 – 1 StR 341/11).
14
2. Das Urteil hält materiell-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
15
Die Ablehnung der Maßregelanordnung gemäß § 63 StGB begegnet durchgreifenden Bedenken.
16
a) Das Landgericht ist zwar im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen, dass der maßgebliche Zeitpunkt für die Prognoseentscheidung des Tatrichters derjenige der Hauptverhandlung ist (vgl. BGH, Urteile vom 3. November 1977 – 1 StR 417/77, NJW 1978, 599; vom 17. Februar 2004 – 1 StR 437/03; vom 10. August 2005 – 2 StR 209/05, StraFo 2005, 472). Dies bedeutet aber nicht, dass die Gefährlichkeitsprognose nur bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung zu stellen ist; sie muss vielmehr einen längeren Zeitraum in den Blick nehmen. Daher muss auch in Fällen, in denen auf Grund einer zwischenzeitlichen Behandlung – etwa, wie hier, während der Unterbringung nach dem PsychKG und der einstweiligen Unterbringung – im Urteilszeitpunkt eine Stabilisierung des Krankheitsbildes eingetreten ist, im Interesse der öffentlichen Sicherheit bei der Prognoseentscheidung der Umstand in die Abwägung einbezogen werden, dass in späterer, aber absehbarer Zeit mit einer erneuten Verschlechterung des Gesundheitszustandes und der Wahrscheinlichkeit erneuter rechtswidriger Taten zu rechnen ist (BGH, Urteil vom 30. August 1988 – 1 StR 358/88, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 6).
17
Dies hat das Landgericht verkannt und den Beurteilungszeitraum rechtsfehlerhaft verkürzt. Es hat die Gefährlichkeitsprognose allein deshalb verneint, weil bei dem jetzigen Gesundheitszustand des Beschuldigten, der bei (derzeit) ausreichender Medikation und entsprechender Betreuung eine retardierte, devote Haltung einnehme, keine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Begehung von erheblichen Straftaten bestehe (UA S. 27). Hingegen hat es die gutachterliche Stellungnahme des Sachverständigen, die gegen eine längerfristige Stabi- lisierung der psychischen Erkrankung des Beschuldigten spricht, bei Beurteilung seiner Gefährlichkeit außer Acht gelassen.
18
Der Sachverständige Dr. M. , dem die Strafkammer aufgrund eigener Überzeugungsbildung gefolgt ist (UA S. 24, 26), hat zur Prognose ausgeführt, dass die aktuelle Gesundheitssituation des Beschuldigten nicht günstig sei, da sein Zustandsbild fortdauernd bestehe und er keine Mitwirkungsbereitschaft bei der Behandlung seiner Erkrankung zeige. So sei die Einnahme von Medikamenten nur im klinischen Umfeld erfolgt. Hinzu komme, dass der Beschuldigte auf die erforderliche Gabe wirksamer Neuroleptika stark reagiere. Sein Wahnsystem flaue unter Medikamentengabe zwar ab, es komme aber als Nebenwirkung zu einem roboterhaften Auftreten des Beschuldigten; sein gesamter Gedankenfluss sei verlangsamt und er könne sich nicht allein versorgen. Der Beschuldigte habe kein soziales Umfeld, insbesondere keine Wohnung mehr und werde in eine Obdachlosigkeit geraten. Seine Tabletten werde er ohne das beschützende Umfeld nicht weiter einnehmen. Deshalb sei es sicher, dass das Wahnsystem bald wieder anspringe. Da er bei florider Psychotik aggressiv sei, sei dann zu befürchten, dass es zu ähnlichen wie den hier verfahrensgegenständlichen Taten komme. In den letzten zwei Jahren zeige sich zudem eine deutliche Zunahme seiner Aggressivität und eine zunehmende Gefährlichkeit seiner Handlungen.
19
Diese Ausführungen des Sachverständigen sind mit einer positiven Gefahrprognose nicht in Einklang zu bringen. Vielmehr besteht danach die naheliegende Gefahr, dass mit dem Abklingen des bisherigen Behandlungserfolgs – wie sich auch bereits nach früheren Unterbringungen nach dem PsychKG gezeigt hat – in absehbarer Zeit mit erneuten Wahnvorstellungen und damit verbunden rechtswidrigen Taten gerechnet werden muss. Dies hätte das Landgericht bei seiner Abwägung zur Gefahrprognose berücksichtigen müssen.
20
b) Auch die Erwägungen, die das Landgericht zur Verhältnismäßigkeit der Anordnung der Maßregel angestellt hat, vermögen die Entscheidung nicht zu tragen. Außerstrafrechtliche Sicherungssysteme, um der Gefährlichkeit des Beschuldigten entgegenzuwirken, hier die vom Landgericht angeführten Maßnahmen der Betreuung mit den Möglichkeiten des Bürgerlichen Gesetzbuchs, der Depotgabe von Psychopharmaka und der Unterbringung in einem betreuten Wohnen, stehen der Anordnung der Maßregel nicht entgegen (BGH, Urteile vom 23. Juni 1993 – 3 StR 260/93, BGHR StGB § 63 Beweiswürdigung 1; vom 25. Februar 2010 – 4 StR 596/09, juris Rn. 16). Solche täterschonenden Mittel – ihreWirksamkeit vorausgesetzt – erlangen Bedeutung erst für die Frage, ob die Vollstreckung der Unterbringung gemäß § 67b StGB zur Bewährung ausgesetzt werden kann (BGH, Urteile vom 20. Februar 2008 – 5 StR 575/07, juris Rn. 14; vom 11. Dezember 2008 – 3 StR 469/08, NStZ 2009, 260 f.).
21
c) Hinzu kommt hier, dass die Strafkammer die Wirksamkeit der von ihr aufgezeigten Möglichkeiten zu einer Reduzierung der Gefährlichkeit des Beschuldigten nicht mit Tatsachen belegt hat. Das Urteil verhält sich nicht zu der Frage, wie eine ausreichende Medikation des krankheitsuneinsichtigen Beschuldigten sichergestellt werden soll. Der Umstellung auf eine Depotmedikation könnten die anderen Erkrankungen des Beschuldigten entgegenstehen (UA S. 21). Bezüglich der Aufnahme des Beschuldigten in einem betreuten Wohnen war zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung nichts veranlasst. Dafür, dass allein die auf Anregung der Strafkammer erfolgte Einrichtung einer vorläufigen Betreuung die Gefährlichkeit des Beschuldigten ausräumen würde, ist nach den bisherigen Feststellungen nichts ersichtlich.
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak Bender Feilcke

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 195/18
vom
11. Oktober 2018
in der Strafsache
gegen
wegen Verdachts des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:111018U4STR195.18.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. Oktober 2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible,
Richter am Bundesgerichtshof Cierniak, Dr. Franke, Bender, Dr. Quentin als beisitzende Richter,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Detmold vom 15. Dezember 2017 wird verworfen.
2. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.


2
Mit der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage vom 10. Mai 2017 wurde dem Angeklagten zur Last gelegt, in der Nacht vom 20. auf den 21. November 2015 an dem abgestellten Pkw des Lebensgefährten seiner Mutter die Bremsschläuche auf beiden Seiten vollständig durchtrennt zu haben. Damit habe er erreichen wollen, dass der Geschädigte und wahrscheinlich auch die Mutter des Angeklagten bei der Teilnahme am Straßenverkehr infolge des Versagens der Bremsen einen schweren Unfall erleiden und versterben. Zumindest habe er dieses Risiko einkalkuliert und gebilligt. Als der Geschädigte zusammen mit der Mutter des Angeklagten am Abend des 21. November 2015 seinen Pkw in Betrieb genommen habe, sei es ihm auf abschüssiger Strecke gerade noch gelungen, das Fahrzeug vor dem Erreichen der Einmündung zu einer vielbefahrenen Straße durch das Anziehen der Handbremse zum Stehen zu bringen.

II.


3
Das Landgericht hat die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen :
4
1. Der Angeklagte leidet seit dem Jahr 1997 an einer Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie. In der Zeit vom 30. September bis zum 30. Dezember 1997 und in der Zeit vom 18. November 2002 bis zum 4. Februar 2003 war er deshalb stationär untergebracht. Mit Hilfe eines Betreuers und bei regelmäßiger Medikamenteneinnahme gelang es ihm in der Folge seinen Gesundheitszustand zu stabilisieren. Er fasste beruflich Fuß und führte zehn Jahre ein unauffälliges Leben.
5
Im Jahr 2013 glaubte der Angeklagte ohne Medikamente leben zu können und setzte deren Einnahme ab. Auch hielt er die Betreuung nicht mehr für erforderlich. In der Folge litt er unter formalen Denkstörungen und einer Beeinträchtigung der Impulskontrolle. Er hatte Wahnideen mit akustischen und optischen Halluzinationen. Hinzu kamen affektive Symptome wie Angst, Irritabilität und Dysphorie. Im Frühjahr 2015 verschärfte sich die Situation. Als sich seine Mutter am 11. Mai 2015 weigerte, den Angeklagten weiter finanziell zu unterstützen , reagierte er hierauf krankheitsbedingt verzweifelt und gereizt. Er beschimpfte sie als "Schlampe" und drohte ihrem Lebensgefährten mit dem Tode.
6
Am 27. Mai 2015 begab sich der Angeklagte erneut zur Wohnung seiner Mutter, um Geld zu fordern. Als er nicht eingelassen wurde, trat und schlug er so lange gegen die Wohnungseingangstür, bis Nachbarn die Polizei riefen. Die Geschädigten erwirkten daraufhin am 28. Mai 2015 gegen ihn ein Kontaktverbot. Der Angeklagte konnte dies in seinem psychotischen Zustand nicht verstehen und suchte immer wieder die Wohnung der Geschädigten auf. Dabei warf er Steine gegen die Wohnungsfenster und beschimpfte den Lebensgefährten seiner Mutter. Ein gegen ihn festgesetztes Ordnungsgeld führte zu keiner Veränderung.
7
2. Zur Anlasstat hat das Landgericht das Folgende festgestellt:
8
Am Abend des 20. November 2015 fühlte sich der Angeklagte einsam und verlassen. In seinem psychotischen Erleben machte er dafür die Geschädigten verantwortlich. Von "imperativen Stimmen überwältigt" glaubte er, "ein Zeichen setzen" zu müssen. Um dies zu erreichen, durchtrennte er in der Nacht vom 20. auf den 21. November 2015 an dem auf der Straße abgestellten Pkw des Lebensgefährten seiner Mutter mit einem mitgebrachten Seitenschneider auf beiden Seiten die Bremsschläuche. Dabei war ihm die naheliegende Gefahr bewusst, dass es bei der nächsten Benutzung des Pkw im Straßenverkehr zu einem Verkehrsunfall kommen könnte, falls es nicht gelänge, das Fahrzeug rechtzeitig zum Stehen zu bringen. Dem Angeklagten war auch klar, dass die Geschädigten hierbei verletzt werden könnten. Dies nahm er "zumindest billigend in Kauf". Zu einer Steuerung seines Verhaltens war er in diesem Moment krankheitsbedingt nicht in der Lage.
9
Am Abend des 21. November 2015 traten die Mutter des Angeklagten und deren Lebensgefährte eine Fahrt mit dem Pkw an. Der Geschädigte startete das Fahrzeug und fuhr in eine "leicht abschüssige Straße" ein. Als er vor der Einmündung zu einer zu diesem Zeitpunkt viel befahrenen bevorrechtigten Hauptstraße bremsen wollte, stellte er fest, dass die Bremsen nicht reagierten. In dieser "konkret bedrohlichen Situation" zog er die Handbremse an und konnte so das sich bei dieser "Notbremsung" quer zur Fahrbahn stellende Fahrzeug kurz vor der Hauptstraße anhalten. Dadurch wurde ein Unfall mit dem dortigen fließenden Verkehr gerade noch vermieden.
10
3. Nachdem der Angeklagte am 23. November 2015 eine Sachbearbeiterin der Agentur für Arbeit in D. beleidigt und bedroht hatte, wurde er am selben Tage mit der Diagnose einer psychischen Dekompensation bei bestehender paranoider Schizophrenie in einer psychiatrischen Klinik untergebracht. Anschließend ließ er sich dort freiwillig bis zum 24. März 2016 stationär behandeln. Außerdem wurde ihm eine Betreuerin bestellt. Seit dem 1. März 2017 befindet er sich in einer Wohngruppe und geht bereits ab 2016 einer Vollzeitbeschäftigung nach.
11
4. Das Landgericht hat die Tat des Angeklagten als gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 1 StGB und versuchte vorsätzliche Körperverletzung gemäß §§ 223, 22, 23 StGB bewertet. Ein bedingter Tötungsvorsatz lasse sich nicht sicher feststellen. Denn der Angeklagte habe nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht mit einem tödlichen Verlauf des von ihm für möglich gehaltenen Unfalls rechnen müssen. Ein solcher Unfall sei bei dem alsbald zu erkennenden Bremsversagen in einem Wohngebiet mit den dort gefahrenen Geschwindigkeiten nicht zu befürchten gewesen. Der Verbrechenstatbestand des § 315b Abs. 3 i.V.m. § 315 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a StGB liege nicht vor, weil die bloße billigende Inkaufnahme eines für möglich gehaltenen Unfalls für die Annahme eines Handelns in der Absicht, einen Unfall herbei zu führen, nicht ausreiche.
12
Für seine Tat könne der Angeklagte nicht bestraft werden, weil er aufgrund einer krankhaften seelischen Störung (vollständige Aufhebung der Steuerungsfähigkeit durch eine wahnhafte Fixierung in der akuten Phase einer paranoiden Schizophrenie) schuldunfähig gewesen sei.
13
Eine Unterbringung nach § 63 StGB sei nicht anzuordnen, weil derzeit nicht zu erwarten sei, dass der Angeklagte aufgrund seiner Erkrankung weitere erhebliche rechtswidrige Taten begehen werde und deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei.

III.


14
Die gegen das gesamte Urteil gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg. Sowohl der Freispruch als auch die Ablehnung einer Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB halten revisionsrechtlicher Überprüfung stand.
15
1. Das Landgericht hat in Übereinstimmung mit dem angehörten Sachverständigen rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Angeklagte bei der Begehung der ihm zur Last gelegten Tat aufgrund einer krankhaften seelischen Störung schuldunfähig gewesen ist und deshalb freizusprechen war. Einwände hiergegen hat die Staatsanwaltschaft nicht erhoben.
16
2. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Strafkammer auch ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für eine Unterbringung des Angeklagten nach § 63 StGB nicht vorliegen. Zwar hat der Angeklagte mit dem Durchtrennen der Bremsschläuche und dem dadurch verursachten "Beinahe-Unfall" (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Juli 2011 – 4 StR 340/11, BGHR StGB § 315b Abs. 1 Gefährdung 6; Beschluss vom 4. September1995 – 4 StR 471/95, NJW 1996, 329 f.) im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 1 StGB und damit eine rechtswidrige Tat im Sinne des § 63 Satz 1 StGB begangen, deren Strafbarkeit – anders als die von der Strafkammer zugleich angenommenen versuchten Körperverletzungen (§ 223 Abs. 2 StGB), bei denen es schon an den Verfolgungsvoraussetzungen des § 230 Abs. 1 Satz 1 StGB fehlt – allein an der festgestellten Schuldunfähigkeit scheitert (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 1982 – 4 StR 472/82, BGHSt 31, 132, 133 f.), doch kann ihm eine seine Unterbringung rechtfertigende Gefährlichkeitsprognose nicht gestellt werden.
17
a) Eine Unterbringung nach § 63 Satz 1 StGB kommt nur dann in Betracht , wenn eine Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Dabei muss es sich um Taten handeln, die zumindest dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sind (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juli 2018 – 3 StR 174/18, Rn. 12 mwN). Zudem ist eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades erforderlich (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Mai 2018 – 1 StR 36/18, Rn. 25; Urteil vom 21. Februar 2017 – 1 StR 618/16, BGHR StGB § 63 Beweiswürdigung 2; Beschluss vom 16. Januar 2013 – 4 StR 520/12, NStZ-RR 2013, 141, 142 mwN). Die zu stellende Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat zu entwickeln (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12, NStZ 2013, 424 mwN). Dabei sind neben der konkreten Krankheits- und Kriminalitätsentwicklung auch die auf die Person des Täters und seine konkrete Le- benssituation bezogenen Risikofaktoren, die eine individuelle krankheitsbedingte Disposition zur Begehung von Straftaten jenseits der Anlasstaten belegen können, einzustellen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2016 - 1 StR 594/16, NStZ-RR 2017, 76, 77; Beschluss vom 7. Juni 2016 - 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306 f. mwN).
18
b) Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe gerecht.
19
aa) Dass das Landgericht zu Unrecht einen zumindest bedingten Tötungsvorsatz verneint und die Anlasstat deshalb mit zu geringem Gewicht in seine Gefährlichkeitsprognose eingestellt hat, ist nicht zu besorgen. Denn die zugrunde liegende Beweiswürdigung weist keinen auf die Sachrüge zu beachtenden Rechtsfehler auf (zum revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstab vgl. BGH, Urteil vom 6. September 2018 – 4 StR 87/18, Rn. 18; Urteil vom 14. Oktober 1952 – 2 StR 306/52, BGHSt 3, 213, 215; st. Rspr.).
20
(1) Die Annahme der Strafkammer, die festgestellten tatsächlichen Verhältnisse (schnelle Bemerkbarkeit der Funktionsuntüchtigkeit der Bremsen in einem Wohngebiet bei den dort gefahrenen Geschwindigkeiten), ließen einen sicheren Schluss auf das Fürmöglichhalten eines tödlichen Unfalls und dessen billigende Inkaufnahme seitens des dies bestreitenden Angeklagten nicht zu, verstößt nicht gegen gesicherte Erfahrungssätze. Vielmehr handelt es sich um eine mögliche Schlussfolgerung, die vom Revisionsgericht hinzunehmen ist (vgl. BGH, Urteil vom 6. September 2018 – 4 StR 87/18, Rn. 18; Urteil vom 9. Februar 1957 – 2 StR 508/56, BGHSt 10, 208, 210; st. Rspr.).
21
(2) Eine auf die Sachrüge hin zu beachtende Lücke in der Beweiswürdigung liegt nicht vor. Dies wäre nur dann der Fall, wenn sich die Strafkammer mit tatsächlich vorhandenen Anhaltspunkten für eine naheliegende andere Ge- schehensvariante als die von ihr angenommene nicht auseinandergesetzt hätte (vgl. BGH, Urteil vom 21. März 2018 – 2 StR 408/17, Rn. 7 mwN). Grundlage für die revisionsgerichtliche Beurteilung ist dabei allein das tatrichterliche Urteil (vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 – 4 StR 371/13, Rn. 16 mwN). Danach erweisen sich die Urteilsgründe nicht als lückenhaft. Dass es naheliegender Weise zu tödlich verlaufenden Kollisionen mit Fußgängern oder Fahrradfahrern hätte kommen können, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Konkrete Feststellungen, die auf ein beachtliches Fußgänger- oder Fahrradfahreraufkommen im tatortnahen Bereich schließen lassen, fehlen. Die Annahme, dass die Strafkammer die Einmündung zu der Vorfahrtsstraße und den "leicht abschüssigen" Verlauf der auf diese zulaufenden Straße nicht im Blick gehabt haben könnte, liegt fern. Soweit eine hinreichende Aufklärung tatsächlicher Verhältnisse vermisst wird, ist dies ein Mangel, der unter den hier gegebenen Umständen mit der Aufklärungsrüge geltend zu machen gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 – 4 StR 371/13, Rn. 16 mwN).
22
bb) Ebenso ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Strafkammer eine Absicht zur Herbeiführung eines Unglücksfalls gemäß § 315 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a StGB für nicht belegt erachtet und die Anlasstat deshalb nur als Vergehen nach § 315b Abs. 1 Nr. 1 StGB bewertet hat. Absicht im Sinne des § 315 Abs. 3 StGB ist zielgerichtetes Wollen. Sie ist nur dann gegeben, wenn es dem Täter darauf ankam, den in Nummer 1 Buchst. a der Vorschrift beschriebenen Erfolg herbeizuführen (vgl. BGH, Beschluss vom 4. September 1995 – 4 StR 471/95, NJW 1996, 329, 330; MünchKommStGB/Pegel, 2. Aufl., § 315 Rn. 88). Dass dem Angeklagten, wie die Strafkammer rechtsfehlerfrei festgestellt hat, die Möglichkeit eines Unfalls infolge der Manipulation an den Bremsen bewusst war, reicht für die Annahme einer solchen Absicht nicht aus.
23
cc) Auch die Annahme des Landgerichts, es bestehe keine Wahrscheinlichkeit höheren Grades, dass der Angeklagte aufgrund der bei ihm vorliegenden psychischen Erkrankung in Zukunft weitere erhebliche Straftaten begehen wird, ist rechtsfehlerfrei begründet.
24
(1) Die sachverständig beratene Strafkammer hat ihre Ablehnung einer Gefährlichkeitsprognose auf die uneingeschränkte Krankheits- und Behandlungseinsicht des Angeklagten, seine Akzeptanz der mit seiner Erkrankung verbundenen Leistungsgrenzen, die erfolgte Adaption noch vorhandener Halluzinationen und Denkstörungen, seine zuverlässige Wahrnehmung von Terminen in der gemeindepsychiatrischen Ambulanz, seinen "momentan" stabilen Gesundheitszustand bei zuverlässiger Medikamenteneinnahme, sein gefestigtes und zur Gewährung von Hilfe bereites soziales Umfeld (betreute Wohngruppe, Vollzeitbeschäftigung , gesetzliche Betreuerin), seinen respektvollen Umgang mit seiner Mutter und seine Straffreiheit seit November 2015 gestützt. Auch weise er keine Persönlichkeitsstörung auf, neige nicht zu Gewalttätigkeiten und sei nicht dissozial. Alle angeführten Aspekte werden belegt. Damit hat das Landgericht die konkrete Krankheits- und Kriminalitätsentwicklung bei dem Angeklagten in den Blick genommen und auch auf die Person des Täters und seine konkrete Lebenssituation bezogene Risikofaktoren angeführt. Danach liegen mehrere prognosegünstige Umstände vor, die trotz fortbestehender Grunderkrankung für eine positive Persönlichkeitsentwicklung sprechen. Dass die Strafkammer mit Rücksicht hierauf die stationären Aufenthalte des Angeklagten in psychiatrischen Einrichtungen in den Jahren 2002 bis 2004 nicht nochmals ausdrücklich angeführt hat, stellt mit Blick auf den Zeitablauf und die langjährige Straffreiheit des Angeklagten keinen Erörterungsmangel dar.
25
(2) Dabei hat die Strafkammer ihren Beurteilungszeitraum nicht unzulässig verkürzt. Zwar trifft es zu, dass bei der auf den Zeitpunkt der Entscheidung zu stellenden Gefährlichkeitsprognose (vgl. BGH, Urteil vom 3. August 2017 – 4 StR 193/17, StraFo 2017, 426; Urteil vom 10. August 2005 – 2 StR 209/05, NStZ-RR 2005, 370, 371) auch abzusehende zukünftige Entwicklungen in den Blick zu nehmen und in die Erwägungen einzustellen sind. Zwischenzeitlich erzielte Behandlungserfolge und eingetretene Stabilisierungen können daher die Annahme einer die Unterbringung rechtfertigenden Gefährlichkeitsprognose nicht hindern, wenn mit einer Verschlechterung der Verhältnisse und in der Folge mit erneuten rechtswidrigen Taten zu rechnen ist (vgl. BGH, Urteil vom 3. August 2017 – 4 StR 193/17, StraFo 2017, 426; Urteil vom 30. August 1988 – 1 StR 358/88, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 6). Eine solche Fallkonstellation ist hier aber nicht gegeben. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass es bei dem Angeklagten in absehbarer Zukunft zu einer Destabilisierung kommen kann, lassen sich den Urteilsgründen nicht entnehmen, sodass auch kein Anlass bestand , auf diese Frage näher einzugehen. Die dafür von der Revision angeführten Gesichtspunkte (Abbruch der Medikation im Jahr 2013 trotz engmaschiger Betreuung nach 2003) drängten dies mit Rücksicht auf die vielfältigen Veränderungen bei dem Angeklagten nach der Anlasstat nicht auf.
26
(3) Schließlich hat das Landgericht – entgegen der Auffassung der Revision – auch nicht verkannt, dass es für die Entscheidung, ob eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus anzuordnen ist, nicht darauf ankommt , ob die von dem Täter (aktuell noch) ausgehende Gefahr für die Allgemeinheit durch eine konsequente medizinische Behandlung oder andere Maßnahmen außerhalb des Maßregelvollzugs abgewendet werden kann. Ein derartiges täterschonendes Mittel würde erst bei der Frage der Aussetzung der Vollstreckung der Maßregel zur Bewährung Bedeutung erlangen können (vgl. BGH, Urteil vom 3. August 2017 – 4 StR 193/17, StraFo 2017, 426; Urteil vom 31. Mai 2012 – 3 StR 99/12, Rn. 10; Urteil vom 20. Februar 2008 – 5 StR 575/07, Rn. 14; Urteil vom 23. Februar 2000 – 3 StR 595/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 28). Eine solche fortbestehende Gefahr hat das Landgericht nicht angenommen. Vielmehr ist es zu dem Ergebnis gelangt, dass dem Angeklagten aufgrund seiner persönlichen Entwicklung und der Veränderung seines Umfeldes schon keine eine Unterbringung nach § 63 StGB mehr rechtfertigende Gefährlichkeitsprognose gestellt werden kann. Dass es dabei als einen von vielen prognosegünstigen Faktoren auch die bereits wirksame Hilfe durch die inzwischen eingesetzte Betreuerin herangezogen hat, ist nicht rechtsfehlerhaft (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Januar 2000 – 4 StR 609/99).
Sost-Scheible Cierniak Franke
Bender Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 193/17
vom
3. August 2017
in dem Straf- und Sicherungsverfahren
gegen
ECLI:DE:BGH:2017:030817U4STR193.17.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 3. August 2017, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof Roggenbuck, Richter am Bundesgerichtshof Cierniak, Bender, Dr. Feilcke als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof - in der Verhandlung -, Staatsanwalt - bei der Verkündung - als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 15. November 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat nach Verbindung eines Strafverfahrens und eines Sicherungsverfahrens gegen den Angeklagten bzw. Beschuldigten (im Folgenden : Beschuldigten) sowohl im Strafverfahren als auch im Sicherungsverfahren verhandelt. Es hat den Beschuldigten von dem mit der Anklageschrift vom 3. Juli 2014 erhobenen Vorwurf, eine andere Person mittels eines gefährlichen Werkzeugs misshandelt und tateinheitlich dazu versucht zu haben, einen anderen Menschen rechtswidrig mit Gewalt zu einer Handlung zu nötigen, wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen und den im Straf- und Sicherungsverfahren gestellten Antrag der Staatsanwaltschaft, den Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen, abgelehnt. Mit ihrer zu Ungunsten des Beschuldigten eingelegten, vom Generalbundesanwalt vertretenen Revision rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung sachlichen Rechts. Sie wendet sich dagegen, dass das Landgericht nicht die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet hat.

I.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der Beschuldigte leidet spätestens seit dem Jahr 2005 an einer chronifizierten paranoid-halluzinatorischen Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis (ICD-10 F 20.0). Von Mitte Dezember 2007 bis zum 24. Januar 2008 war er erstmals in stationärer psychiatrischer Behandlung. Danach lebte er unauffällig , bevor im Jahr 2013 aufgrund seiner psychischen Erkrankung schwere Wahnvorstellungen auftraten. Er fühlte sich von Geistern, die in seiner Wohnung leben würden, bedroht, beschimpft und sexuell missbraucht. Seinen Verfolgungs - und Vergiftungswahn projizierte er auf seine Nachbarn in einem Mehrfamilienhaus, die die Geister zu ihm schickten bzw. selbst böse Geister seien. Am 17. März 2013 sagte er zu einer Nachbarin, die er für den schlechten Zustand seiner schimmelbefallenen Wohnung verantwortlich machte: „I will kill you“. Die herbeigerufenen Polizeibeamten bedrohte er mit einem 20 cm langen Fleischermesser und äußerte: „Ich bringe jeden um, der sich mir nähert“. Ab dem 18. April 2013 war der Beschuldigte für vier Wochen in stationärer psychiatrischer Behandlung, die zu einer deutlichen Verbesserung der Symptomatik führte.
4
a) Im weiteren Verlauf kam es wieder zu ausgeprägten Krankheitserscheinungen und in der Folge zu der dem Beschuldigten mit Anklageschrift vom 3. Juli 2014 zur Last gelegten Tat:
5
Am Ostersonntag, dem 21. April 2014, klingelte der Beschuldigte bei seinem Wohnungsnachbarn V. und beschimpfte ihn, weil jener – was zutraf – den Flur nicht geputzt hatte. Er fasste V. an den Hals und schubste ihn zurück in die Wohnung, wobei er schrie, er sei „ein Schwein und eine Drecksau“ und müsse den Flur putzen. Mit einem mitgeführten, etwa vier cm dicken Stock schlug er V. und traf ihn u.a. am Arm. Es kam zu einem Gerangel; V. flüchtete auf die Straße. Der Beschuldigte, der völlig außer sich war und laut herumschrie, ließ ihn nicht wieder ins Haus. Die eintreffenden Polizeibeamten überwältigten den Beschuldigten mit Hilfe von Pfefferspray. Er wurde bis zum 2. Juni 2014 nach dem PsychKG untergebracht. Nach medikamentöser Behandlung war er nicht mehr fremdaggressiv, blieb aber krankheitsuneinsichtig, weshalb er seine Medikamente nach der Entlassung absetzte.
6
b) Zu den dem Beschuldigten mit der Antragsschrift im Sicherungsverfahren vom 18. Mai 2016 vorgeworfenen Taten hat das Landgericht im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
7
Im September 2014 zog der aus Kenia stammende O. in die frühere Wohnung des V. . Am 5. Februar 2015 lehnte sich der Beschuldigte aus dem Fenster und drohte dem vorbeigehenden O. , ihn zu töten. Auch als uniformierte Polizeibeamte erschienen, drohte er, O. abzustechen, weil der ein böser Geist sei, der ihm nach dem Leben trachte. Der Beschuldigte wurde bis zum 20. Februar 2015 nach dem PsychKG untergebracht und medikamentös behandelt.
8
Im März 2015 flammten seine Wahnvorstellungen wieder auf. Am 30. März 2015 klingelte der Beschuldigte gegen 23.30 Uhr an der Wohnungstür des O. . Er sagte zu seinem Nachbarn, er solle hier warten, heute werde er ihn umbringen. Dann lief er in seine Wohnung und holte ein 34 cm langes Mes- ser mit einer Klingenlänge von 20 cm. O. lief in seine Wohnung zurück und verschloss die Tür. Der Beschuldigte versuchte, die Tür gewaltsam zu öffnen, was ihm nicht gelang. Die Polizei erschien mit einem Sondereinsatzkommando und nahm den Beschuldigten in seiner Wohnung fest. Nachfolgend war er vom 31. März bis zum 28. April 2015 nach dem PsychKG untergebracht. Seine psychische Erkrankung war danach zunächst nicht mehr floride.
9
Ende 2015/Anfang 2016 kam es wieder zu Wahnvorstellungen. Am 20. Januar und am 4. Februar 2016 trat der Beschuldigte jeweils gegen die Wohnungstür des O. und beschädigte sie dadurch.
10
c) Das sachverständig beratene Landgericht hat hinsichtlich dieser festgestellten rechtswidrigen Taten die Schuldfähigkeit des Beschuldigten verneint, weil eine krankhafte seelische Störung im Sinne des § 20 StGB zu allen Tatzeitpunkten mit Sicherheit zum Ausschluss der Einsichtsfähigkeit geführt habe. Der Beschuldigte habe sich zu den Tatzeitpunkten seinem Wahnsystem entsprechend einer nicht beherrschbaren, von Nachbarn ausgehenden Gefahr ausgesetzt gewähnt und sich „zur Wehr gesetzt“.
11
d) Nach den Anlasstaten schlug der Beschuldigte am 18. April 2016 mehrmals mit einer Axt gegen die Wohnungstür des O. , weil er glaubte, O. beeinflusse seine Träume und verabreiche ihm Sprays, „um ihn schwul zu machen“. Der Beschuldigte äußerte, wenn der Nachbar da gewesen wäre, wäre es gefährlich geworden. Nach diesem Vorfall wurde der Beschuldigte zunächst nach dem PsychKG und dann bis zur Urteilsverkündung einstweilig untergebracht.
12
2. Das Landgericht hat die Anlasstaten als gefährliche Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Nötigung (21. April 2014), Bedrohung (5. Februar 2015), Bedrohung in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung (30./31. März 2015) und Sachbeschädigung (20. Januar und 4. Februar 2016) gewertet. Die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus ist nicht angeordnet worden. Es fehle bereits ein ausreichend hoher Wahrscheinlichkeitsgrad für die Begehung erheblicher rechtswidriger Taten gegen die körperliche Unversehrtheit oder das Leben beliebiger Nachbarn. Auch wäre die Anordnung nicht verhältnismäßig.

II.


13
1. Soweit sich die Staatsanwaltschaft in ihrer Revisionsbegründung in Bezug auf das Strafverfahren nicht gegen den Freispruch, sondern nur gegen die Nichtanordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wendet, liegt eine wirksame Rechtsmittelbeschränkung auf die unterbliebene Maßregelanordnung nicht vor. Die Aufspaltung des Urteils in seinen freisprechenden Teil und die unterbliebene Maßregelanordnung ist hier nicht möglich, weil die Feststellungen zum Tatgeschehen und zur Motivation des Beschuldigten mit denjenigen zur Schuldunfähigkeit, die zugleich Unterbau des Freispruchs und Voraussetzung der Unterbringung nach § 63 StGB ist, in einem untrennbaren Zusammenhang stehen (BGH, Urteil vom 30. November 2011 – 1 StR 341/11).
14
2. Das Urteil hält materiell-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
15
Die Ablehnung der Maßregelanordnung gemäß § 63 StGB begegnet durchgreifenden Bedenken.
16
a) Das Landgericht ist zwar im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen, dass der maßgebliche Zeitpunkt für die Prognoseentscheidung des Tatrichters derjenige der Hauptverhandlung ist (vgl. BGH, Urteile vom 3. November 1977 – 1 StR 417/77, NJW 1978, 599; vom 17. Februar 2004 – 1 StR 437/03; vom 10. August 2005 – 2 StR 209/05, StraFo 2005, 472). Dies bedeutet aber nicht, dass die Gefährlichkeitsprognose nur bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung zu stellen ist; sie muss vielmehr einen längeren Zeitraum in den Blick nehmen. Daher muss auch in Fällen, in denen auf Grund einer zwischenzeitlichen Behandlung – etwa, wie hier, während der Unterbringung nach dem PsychKG und der einstweiligen Unterbringung – im Urteilszeitpunkt eine Stabilisierung des Krankheitsbildes eingetreten ist, im Interesse der öffentlichen Sicherheit bei der Prognoseentscheidung der Umstand in die Abwägung einbezogen werden, dass in späterer, aber absehbarer Zeit mit einer erneuten Verschlechterung des Gesundheitszustandes und der Wahrscheinlichkeit erneuter rechtswidriger Taten zu rechnen ist (BGH, Urteil vom 30. August 1988 – 1 StR 358/88, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 6).
17
Dies hat das Landgericht verkannt und den Beurteilungszeitraum rechtsfehlerhaft verkürzt. Es hat die Gefährlichkeitsprognose allein deshalb verneint, weil bei dem jetzigen Gesundheitszustand des Beschuldigten, der bei (derzeit) ausreichender Medikation und entsprechender Betreuung eine retardierte, devote Haltung einnehme, keine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Begehung von erheblichen Straftaten bestehe (UA S. 27). Hingegen hat es die gutachterliche Stellungnahme des Sachverständigen, die gegen eine längerfristige Stabi- lisierung der psychischen Erkrankung des Beschuldigten spricht, bei Beurteilung seiner Gefährlichkeit außer Acht gelassen.
18
Der Sachverständige Dr. M. , dem die Strafkammer aufgrund eigener Überzeugungsbildung gefolgt ist (UA S. 24, 26), hat zur Prognose ausgeführt, dass die aktuelle Gesundheitssituation des Beschuldigten nicht günstig sei, da sein Zustandsbild fortdauernd bestehe und er keine Mitwirkungsbereitschaft bei der Behandlung seiner Erkrankung zeige. So sei die Einnahme von Medikamenten nur im klinischen Umfeld erfolgt. Hinzu komme, dass der Beschuldigte auf die erforderliche Gabe wirksamer Neuroleptika stark reagiere. Sein Wahnsystem flaue unter Medikamentengabe zwar ab, es komme aber als Nebenwirkung zu einem roboterhaften Auftreten des Beschuldigten; sein gesamter Gedankenfluss sei verlangsamt und er könne sich nicht allein versorgen. Der Beschuldigte habe kein soziales Umfeld, insbesondere keine Wohnung mehr und werde in eine Obdachlosigkeit geraten. Seine Tabletten werde er ohne das beschützende Umfeld nicht weiter einnehmen. Deshalb sei es sicher, dass das Wahnsystem bald wieder anspringe. Da er bei florider Psychotik aggressiv sei, sei dann zu befürchten, dass es zu ähnlichen wie den hier verfahrensgegenständlichen Taten komme. In den letzten zwei Jahren zeige sich zudem eine deutliche Zunahme seiner Aggressivität und eine zunehmende Gefährlichkeit seiner Handlungen.
19
Diese Ausführungen des Sachverständigen sind mit einer positiven Gefahrprognose nicht in Einklang zu bringen. Vielmehr besteht danach die naheliegende Gefahr, dass mit dem Abklingen des bisherigen Behandlungserfolgs – wie sich auch bereits nach früheren Unterbringungen nach dem PsychKG gezeigt hat – in absehbarer Zeit mit erneuten Wahnvorstellungen und damit verbunden rechtswidrigen Taten gerechnet werden muss. Dies hätte das Landgericht bei seiner Abwägung zur Gefahrprognose berücksichtigen müssen.
20
b) Auch die Erwägungen, die das Landgericht zur Verhältnismäßigkeit der Anordnung der Maßregel angestellt hat, vermögen die Entscheidung nicht zu tragen. Außerstrafrechtliche Sicherungssysteme, um der Gefährlichkeit des Beschuldigten entgegenzuwirken, hier die vom Landgericht angeführten Maßnahmen der Betreuung mit den Möglichkeiten des Bürgerlichen Gesetzbuchs, der Depotgabe von Psychopharmaka und der Unterbringung in einem betreuten Wohnen, stehen der Anordnung der Maßregel nicht entgegen (BGH, Urteile vom 23. Juni 1993 – 3 StR 260/93, BGHR StGB § 63 Beweiswürdigung 1; vom 25. Februar 2010 – 4 StR 596/09, juris Rn. 16). Solche täterschonenden Mittel – ihreWirksamkeit vorausgesetzt – erlangen Bedeutung erst für die Frage, ob die Vollstreckung der Unterbringung gemäß § 67b StGB zur Bewährung ausgesetzt werden kann (BGH, Urteile vom 20. Februar 2008 – 5 StR 575/07, juris Rn. 14; vom 11. Dezember 2008 – 3 StR 469/08, NStZ 2009, 260 f.).
21
c) Hinzu kommt hier, dass die Strafkammer die Wirksamkeit der von ihr aufgezeigten Möglichkeiten zu einer Reduzierung der Gefährlichkeit des Beschuldigten nicht mit Tatsachen belegt hat. Das Urteil verhält sich nicht zu der Frage, wie eine ausreichende Medikation des krankheitsuneinsichtigen Beschuldigten sichergestellt werden soll. Der Umstellung auf eine Depotmedikation könnten die anderen Erkrankungen des Beschuldigten entgegenstehen (UA S. 21). Bezüglich der Aufnahme des Beschuldigten in einem betreuten Wohnen war zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung nichts veranlasst. Dafür, dass allein die auf Anregung der Strafkammer erfolgte Einrichtung einer vorläufigen Betreuung die Gefährlichkeit des Beschuldigten ausräumen würde, ist nach den bisherigen Feststellungen nichts ersichtlich.
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak Bender Feilcke

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

(1) Wer im Straßenverkehr

1.
ein Fahrzeug führt, obwohl er
a)
infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel oder
b)
infolge geistiger oder körperlicher Mängel
nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen, oder
2.
grob verkehrswidrig und rücksichtslos
a)
die Vorfahrt nicht beachtet,
b)
falsch überholt oder sonst bei Überholvorgängen falsch fährt,
c)
an Fußgängerüberwegen falsch fährt,
d)
an unübersichtlichen Stellen, an Straßenkreuzungen, Straßeneinmündungen oder Bahnübergängen zu schnell fährt,
e)
an unübersichtlichen Stellen nicht die rechte Seite der Fahrbahn einhält,
f)
auf Autobahnen oder Kraftfahrstraßen wendet, rückwärts oder entgegen der Fahrtrichtung fährt oder dies versucht oder
g)
haltende oder liegengebliebene Fahrzeuge nicht auf ausreichende Entfernung kenntlich macht, obwohl das zur Sicherung des Verkehrs erforderlich ist,
und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist der Versuch strafbar.

(3) Wer in den Fällen des Absatzes 1

1.
die Gefahr fahrlässig verursacht oder
2.
fahrlässig handelt und die Gefahr fahrlässig verursacht,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 469/17
vom
15. März 2018
in der Strafsache
gegen
wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:150318B4STR469.17.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 15. März 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bremen vom 31. März 2017
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der fahrlässigen Körperverletzung in Tateinheit mit fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs und des unerlaubten Entfernens vom Unfallort schuldig ist,
b) im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben und
c) im Maßregelausspruch dahin ergänzt, dass der Führerschein des Angeklagten eingezogen wird.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Körperverletzung in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs und wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Des Weiteren hat es dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen und für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis eine Sperre von drei Jahren festgesetzt. Hiergegen richtet sich die auf mehrere Verfahrensbeanstandungen und die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
Nach den Feststellungen befuhr der Angeklagte am 10. Juni 2016 um 12.33 Uhr in B. mit einem Pkw Opel Astra die linke von zwei Geradeausspuren der J. -Allee in Richtung der Kreuzung J. -/K. -Allee. Im Bereich dieser Kreuzung ist die J. -Allee neben den beiden Geradeausspuren mit einer Links- und einer Rechtsabbiegespur ausgebaut. Als sich der Angeklagte mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit der Kreuzung näherte, zeigten alle Ampeln der dort befindlichen Lichtzeichenanlage Rotlicht. Auf den beiden Geradeausspuren standen jeweils mehrere Fahrzeuge, darunter ein Mercedes-Benz Sprinter und jeweils ein VW Transporter, vor der Haltelinie. Während sich auf der Rechtsabbiegespur ebenfalls ein Pkw befand, war die Linksabbiegespur frei. Der Angeklagte, der die Kreuzung in Geradeausrichtung passieren, sich aber nicht hinter den auf den Geradeausspuren haltenden Fahrzeugen einreihen wollte, wechselte auf die freie Linksabbiegespur und verlangsamte zunächst wegen des unverändert andauernden Rotlichts seine Geschwindigkeit. Er hatte vor, die im Geradeausverkehr haltenden Fahrzeuge links zu überholen, anschließend im Kreuzungsbereich auf eine der Geradeausspuren zurückzuwechseln und auf diese Weise vor den haltenden Fahrzeugen die Kreuzung zu überqueren. Obwohl sämtliche Ampeln der Lichtzeichenanlage weiterhin Rotlicht zeigten, beschleunigte der Angeklagte, der – nicht ausschließbar – irrtümlich davon ausging, einen Wechsel des Ampellichts von Rot auf Gelb-Rot wahrgenommen zu haben, einige Meter hinter dem letzten der auf der linken Geradeausspur stehenden Fahrzeuge mit deutlich wahrnehmbar aufheulendem Motor und fuhr bei Rotlicht mit einer Geschwindigkeit von 40 bis 60 km/h über die Haltelinie in die Kreuzung ein, wo er mit dem damals 13-jährigen Nebenkläger kollidierte. Dieser war gerade im Begriff, als Radfahrer auf der Fußgänger- und Radwegefurt die J. -Allee aus Sicht des Angeklagten von rechts kommend bei Grünlicht zu überqueren. Der Angeklagte hatte den Nebenkläger aufgrund der Beeinträchtigung der Sicht durch die vor der Lichtzeichenanlage haltenden Fahrzeuge erst ca. eine Sekunde vor dem Überfahren der Haltelinie wahrgenommen, die Kollision aber – ebenso wie der Nebenkläger – durch Abbremsen oder Ausweichen nicht mehr verhindern können. Bei dem Zusammenstoß wurde das Vorderrad des Fahrrads durch das rechte vordere Eck des Pkw erfasst, wodurch der Nebenkläger herumgeschleudert wurde, mit dem Oberkörper auf die Motorhaube geriet und nach Anprall mit Kopf und Oberkörper schließlich ca. 12 bis 14 Meter durch die Luft geschleudert wurde.
3
Der Angeklagte überquerte die Kreuzung, hielt dort an und begab sich zu Fuß zurück zur Unfallstelle. Als er von hinzukommenden Personen als Fahrer erkannt wurde und sich Vorwürfen und Beschimpfungen ausgesetzt sah, entschied er sich, die Unfallstelle zu verlassen, ohne das Eintreffen der von Dritten alarmierten Rettungskräfte abzuwarten oder sonst seine Identität zu offenbaren. Er ging zurück zum Fahrzeug und fuhr davon. In der Folgezeit versteckte der Angeklagte das Tatfahrzeug und bemühte sich, es vom Eigentümer zu erwerben und an einen Abnehmer außerhalb B. s zu veräußern.
4
Der Nebenkläger erlitt durch die Kollision lebensgefährliche Verletzungen , insbesondere eine Hirnblutung, die eine operative Versorgung und mehrmonatige stationäre Behandlung erforderlich machten. Derzeit leidet er noch an Sensibilitätsstörungen in den Beinen, einem unsicheren Gang sowie durch den Unfall ausgelösten Angst- und Konzentrationsstörungen.

II.


5
1. Die Verurteilung wegen tateinheitlich begangener vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Auf der Grundlage der vom Landgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hat sich der Angeklagte (lediglich) der fahrlässigen Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315c Abs. 1 Nr. 2a, Abs. 3 Nr. 2 StGB in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung schuldig gemacht.
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a) Indem der Angeklagte in der festgestellten Weise trotz Rotlichts in die Kreuzung fuhr und mit dem vorrangberechtigten Radfahrer zusammenstieß, hat er fahrlässig den Tatbestand der Straßenverkehrsgefährdung in der Begehungsvariante des § 315c Abs. 1 Nr. 2a, Abs. 3 Nr. 2 StGB verwirklicht. Eine Vorfahrtsverletzung im Sinne des § 315c Abs. 1 Nr. 2a StGB begeht auch, wer bei Rotlicht in eine Kreuzung einfährt und dadurch den bevorrechtigten Querverkehr beeinträchtigt (vgl. OLG Düsseldorf, VRS 91, 358, 359; OLG Karlsruhe, VRS 107, 292, 293; König in LK-StGB, 12. Aufl., § 315c Rn. 72). Da der Ange- klagte um seines schnelleren Fortkommens willen bewusst auf die Rotlicht zeigende Ampel zufuhr und sich daher zu ganz besonderer Sorgfalt bei der Beobachtung der Ampelschaltung veranlasst sehen musste, steht entgegen der Ansicht der Revision die grobe Verkehrswidrigkeit seines Verhaltens außer Frage (vgl. Ernemann in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, 3. Aufl., § 315c Rn. 12 mwN).
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b) Dagegen erfüllt die Fahrweise des Angeklagten weder die tatbestandlichen Voraussetzungen eines vorsätzlichen falschen Überholens nach § 315c Abs. 1 Nr. 2b, Abs. 3 Nr. 1 StGB noch liegt eine fahrlässige Gefährdung des Straßenverkehrs in der Tatbestandsalternative des § 315c Abs. 1 Nr. 2d, Abs. 3 Nr. 2 StGB vor.
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aa) Überholen im Sinne der Strafvorschrift des § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB meint das Vorbeifahren von hinten an sich in derselben Richtung bewegenden oder verkehrsbedingt haltenden Fahrzeugen auf derselben Fahrbahn oder unter Benutzung von Flächen, die mit der Fahrbahn nach den örtlichen Gegebenheiten einen einheitlichen Straßenraum bilden (vgl. BGH, Beschluss vom 15. September 2016 – 4 StR 90/16, BGHSt 61, 249). Ein falsches Fahren beim Überholen ist gegeben, wenn der Täter eine der in § 5 StVO normierten Regeln verletzt oder einen anderweitigen Verkehrsverstoß begeht, der das Überholen als solches gefährlicher macht, sodass ein innerer Zusammenhang zwischen dem Verkehrsverstoß und der spezifischen Gefahrenlage des Überholens besteht (vgl. BGH, Beschluss vom 22. November 2016 – 4 StR 501/16, NZV 2017, 135, 136 mwN). Unbeschadet des Umstands, dass ein solches Verhalten nicht gegen § 5 StVO verstößt (vgl. OLG Düsseldorf, VRS 91, 144), kann ein falsches Überholen daher darin liegen, dass der Täter unter Missachtung der auf einer Abbiegespur durch Zeichen 297 nach Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO getroffenen Anordnung über die einzuhaltende Fahrtrichtung überholt. Ob den Urteilsfeststellungen aus der Bezeichnung als Linksabbiegespur hinreichend deutlich entnommen werden kann, dass die vom Angeklagten zum Überholen genutzte Fahrspur mit Zeichen 297 nach Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO markiert war, kann indes dahinstehen. Denn der Annahme einer vorsätzlichen Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315c Abs. 1 Nr. 2b, Abs. 3 Nr. 1 StGB steht jedenfalls entgegen, dass sich in der Gefährdung und Schädigung des Nebenklägers kein Risiko verwirklichte, das sich gerade aus der Nichtbeachtung der durch eine entsprechende Fahrbahnmarkierung getroffenen Anordnung zur Fahrtrichtung ergab.
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Der Tatbestand des § 315c Abs. 1 StGB setzt voraus, dass die unter eine der verschiedenen Begehungsvarianten zu subsumierende Tathandlung zu einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert geführt hat. Wie dem Wortlaut der Norm („und dadurch“) zu entnehmen ist, muss ein innerer Zusammenhang zwi- schen der herbeigeführten Gefahr und den mit den verschiedenen Tatbestandsalternativen typischerweise verbundenen Risiken in der Weise bestehen, dass sich in der eingetretenen Gefahrenlage gerade das spezifische Risiko der Tathandlung verwirklicht hat (vgl. BGH, Beschluss vom 21. November 2006 – 4 StR 459/06, NStZ 2007, 222; Urteil vom 3. Oktober 1974 – 4 StR 427/74, VRS 48, 28; BayObLG, VRS 64, 371 und VRS 61, 212; OLG Hamm, VRS 41, 40; König, aaO, Rn. 113, 183; Ernemann, aaO, Rn. 23; Pegel in Müko-StGB, 2. Aufl., § 315c Rn. 103 ff.). Dass der Gefahrenerfolg nur gelegentlich der Tathandlung des § 315c Abs. 1 StGB eintritt, reicht dagegen nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 21. November 2006 – 4 StR 459/06, aaO).
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Bei dem festgestellten Unfallgeschehen fehlt es an dem erforderlichen Gefahrverwirklichungszusammenhang, weil die zu dem Körperschaden führende Gefährdung des Nebenklägers durch das Einfahren in die Kreuzung unabhängig davon eingetreten ist, in welcher Fahrtrichtung der Angeklagte im Kreuzungsbereich seine Fahrt fortsetzen wollte. Der Zusammenstoß hätte sich bei einem Überholen unter Einhaltung des Richtungsgebots in gleicher Weise ereignet.
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bb) Die an die Regelung des § 3 Abs. 1 StVO anknüpfende Begehungsalternative des § 315c Abs. 1 Nr. 2d StGB verwirklicht unter anderem, wer an Straßenkreuzungen die nach der konkreten Verkehrslage gebotene Geschwindigkeit überschreitet. Dies ist etwa der Fall, wenn der Fahrzeugführer vor der Straßenkreuzung so schnell fährt, dass er seinen straßenverkehrsrechtlichen Pflichten im Kreuzungsbereich nicht mehr entsprechen kann (vgl. BGH, Urteil vom 3. Oktober 1974 – 4 StR 427/74, aaO; BayObLG, VRS 61, 212; König, aaO, Rn. 110). Ob auch das bloße Einfahren in eine Kreuzung unter Missachtung eines Haltegebots als zu schnelles Fahren erfasst werden kann, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Denn einem sich allein aus einer Vorfahrtsverletzung ergebenden Fahren mit nicht angepasster Geschwindigkeit käme angesichts der ohnehin erfüllten Tatbestandsvariante des § 315c Abs. 1 Nr. 2a StGB keine eigenständige unrechtsteigernde Bedeutung zu. Der Unrechtsgehalt der Tat wird vielmehr durch § 315c Abs. 1 Nr. 2a StGB vollständig mit der Folge erfasst, dass § 315c Abs. 1 Nr. 2d StGB hinter § 315c Abs. 1 Nr. 2a StGB zurückträte.
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cc) Aus denselben Erwägungen wird das Überholen unter fahrlässiger Nichtbeachtung des Rotlichts hier nicht als fahrlässig falsches Überholen gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB erfasst.
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2. Der Angeklagte hat sich hinsichtlich des Unfalls mithin wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315c Abs. 1 Nr. 2a, Abs. 3 Nr. 2 StGB in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung strafbar gemacht. Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend. § 265 StPO steht nicht entgegen, da sich der Angeklagte gegen den geänderten Schuldvorwurf nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können. Die Änderung des Schuldspruchs führt, da die Strafkammer bei der Bemessung der Einzelstrafe ausdrücklich strafschärfend berücksichtigt hat, dass der Angeklagte mehr als nur eine der unterschiedlichen Tatalternativen des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB verwirklicht habe , zur Aufhebung der an sich maßvoll bemessenen Einzelstrafe von zwei Jahren und vier Monaten. Der Senat hebt auch die für das unerlaubte Verlassen des Unfallorts verhängte Einzelstrafe auf, um dem neuen Tatrichter eine aufeinander abgestimmte Strafzumessung zu ermöglichen.
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Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Versuch, sich selbst durch Beseitigung von Tatspuren der Strafverfolgung zu entziehen, nicht strafschärfend gewertet werden darf, selbst wenn die Spurenbeseitigung umsichtig oder kaltblütig vorgenommen wird. Anders kann es sich dann verhalten, wenn der Täter neues Unrecht schafft oder mit seinem Verhalten weiter gehende Ziele verfolgt, die ein ungünstiges Licht auf ihn werfen (vgl. BGH, Urteil vom 27. Januar 2011 – 2 StR 493/10, NStZ 2011, 512; Beschlüsse vom 9. Juli 1996 – 1 StR 338/96, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Nachtatverhalten 1; vom 10. Februar 1994 – 1 StR 850/93, StV 1995, 131).
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3. Die im angefochtenen Urteil unterbliebene Einziehung des Führerscheins (§ 69 Abs. 3 Satz 2 StGB) holt der Senat nach (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Juli 2001 – 2 StR 210/01).
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4. Da kein Grund für die Zuständigkeit des Schwurgerichts mehr besteht, verweist der Senat die Sache in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 3 StPO an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurück (vgl. BGH, Urteil vom 7. September 1994 – 2 StR 264/94, NJW 1994, 3304, 3305; MeyerGoßner in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 354 Rn. 42).
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aa) Ein falsches Fahren bei einem Überholvorgang liegt vor, wenn der Täter eine der in § 5 StVO normierten Regeln verletzt oder einen anderweitigen Verkehrsverstoß begeht, der das Überholen als solches gefährlicher macht, sodass ein innerer Zusammenhang zwischen dem Verkehrsverstoß und der spezifischen Gefahrenlage des Überholens besteht (vgl. BayObLG, Beschluss vom 19. Februar 1993 – 2 St RR 244/92, DAR 1993, 269, 271; Urteil vom 7. Februar 1968 – 1 b St 404/67, VRS 35, 280, 282; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20. April 1989 – 5 Ss 86/89, VRS 77, 280, 281; Urteil vom 28. Juli 1981 – 2 Ss 433/81, VRS 62, 44, 46; König in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 315c Rn. 96, 99 f.; Sternberg-Lieben/Hecker in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 315c Rn. 18; Ernemann in: SSW-StGB, 2. Aufl., § 315c Rn. 16).

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.