Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Feb. 2010 - 4 StR 586/09

bei uns veröffentlicht am16.02.2010

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 586/09
vom
16. Februar 2010
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts - zu 3. auf dessen Antrag hin - und des
Beschwerdeführers am 16. Februar 2010 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 21. Juli 2009 im Rechtsfolgenausspruch
a) mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Vollstreckung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
b) dahin ergänzt, dass der Führerschein des Beschuldigten eingezogen wird.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, der versuchten gefährlichen Körperverletzung und der Nötigung wegen nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit freigesprochen und - neben einer Maßregel nach §§ 69, 69a StGB - seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die hiergegen vom Angeklagten eingelegte Revision hat mit der Sachrüge Erfolg, soweit die Unterbringung des Angeklagten nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts beschloss der Angeklagte im Vorfeld des Besuchs des damaligen US-Präsidentschaftskandidaten Barak Obama in Berlin “durch eine medienwirksame Aktion ein Zeichen gegen die Ungerechtigkeit in der Welt zu setzen und hierdurch die Politiker aufzurütteln“. Hierzu brachte er im Kofferraum seines Pkws einen Verschluss an, den er vom Fahrersitz aus öffnen konnte, kaufte 70 Liter rote Farbe und füllte diese - mit Wasser verdünnt - in den Kofferraum. Anschließend fuhr er in Richtung „Großer Stern“ in Berlin. In dessen Nähe umfuhr der Angeklagte eine Absperrung auf dem Fußweg und fuhr mit 50 km/h auf den Zeugen G. zu, dessen Aufgabe es war, an einer weiteren Absperrung berechtigte Fahrzeuge durchzulassen. Der Zeuge wich „schnell“ zur Seite aus und der Angeklagte durchbrach in einem Abstand von zehn Zentimetern zu dem Zeugen die Absperrung, wobei er dessen Verletzung als ein „notwendiges Opfer … für das von ihm verfolgte höhere Ziel“ billigend in Kauf nahm. Anschließend öffnete der Angeklagte - während der Fahrt - den im Kofferraum seines Fahrzeugs angebrachten Verschluss und verteilte im Kreis fahrend die Farbe auf der Straße. Sodann hielt er an und ließ sich widerstandslos festnehmen.
3
Der Angeklagte befand sich während der Vorbereitung und Ausführung der Tat - wie die sachverständig beratene Strafkammer festgestellt hat - in einer noch andauernden akuten manischen Phase seiner bipolaren affektiven Störung , aufgrund derer sein Steuerungsvermögen jedenfalls erheblich eingeschränkt , nicht ausschließbar aber auch aufgehoben war. Die Strafkammer bewertete das Verhalten des Angeklagten als versuchte gefährliche Körperverletzung , vorsätzlichen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr und Nötigung.
4
2. Dem Angeklagten die Aussetzung der Vollstreckung der Maßregel zur Bewährung zu versagen, hält der sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht stand.
5
Die Anordnung der Maßregel selbst weist allerdings keinen Rechtsfehler auf. Insbesondere sind die jedenfalls erheblich verminderte, möglicherweise auch aufgehobene Schuldfähigkeit des Angeklagten und seine künftige Gefährlichkeit infolge seines Zustandes hinreichend belegt. Auch handelt es sich bei den - ohne medizinische Behandlung - zu erwartenden „ähnlichen Delikten“ jedenfalls insofern um erhebliche Taten im Sinne des § 63 StGB, als sie der im angefochtenen Urteil festgestellten (versuchten) gefährlichen Körperverletzung oder dem vorsätzlichen Eingriff in den Straßenverkehr entsprechen.
6
Jedoch ist nach § 67b Abs. 1 Satz 1 StGB die Aussetzung des Vollzugs der Unterbringung geboten, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen , dass der Zweck der Maßregel auch ohne deren Vollzug erreicht werden kann. Bei dieser Prüfung sind zwar auch die vom Landgericht allein herangezogenen Umstände zu berücksichtigen, nämlich dass der Angeklagte keine Krankheitseinsicht zeigt und sich weigert, die Medikamente einzunehmen, die eine „schnelle Linderung der krankheitsbedingten Symptome“ herbeiführen würden. Jedoch hätte die Strafkammer erörtern müssen, ob sich die vom Ange- klagten ausgehende Gefahr insbesondere durch die Begründung eines Betreuungsverhältnisses nach §§ 1896 ff. BGB (vgl. BGH, Urt. vom 23. Mai 2000 - 1 StR 56/00, NStZ 2000, 470, 471) und/oder durch geeignete Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht (§§ 67b Abs. 2, 68b StGB; vgl. dazu BGH, Beschl. vom 25. April 2001 - 1 StR 68/01 - und Urteile vom 11. Juni 1987 - 4 StR 227/87 - und vom 12. Juni 2001 - 1 StR 574/00) abwenden oder jedenfalls so stark abschwächen lässt, dass ein Verzicht auf den Vollzug der Maßregel gewagt werden kann. Denn die damit verbundenen Überwachungsmöglichkeiten und das dem Beschuldigten zu verdeutlichende Risiko, bei Nichterfüllung solcher Weisungen mit dem Vollzug der Unterbringung rechnen zu müssen, können geeignet sein, die vom Sachverständigen und der Strafkammer angeführten Voraussetzungen einer erfolgversprechenden ambulanten Therapie herbeizuführen (vgl. BGH, Urt. vom 12. Juni 2001 - 1 StR 574/00 - und Urt. vom 27. März 2007 - 1 StR 48/07, NStZ 2007, 465 jeweils m.w.N.). Hierzu bestand vorliegend schon deshalb Anlass, weil - was die Strafkammer ebenfalls nicht erörtert - sich der Angeklagte trotz seines Zustandes bis zur Begehung der verfahrensgegenständlichen Tat straffrei geführt hat und auch danach ohne weitere relevante Auffälligkeiten zunächst auf freiem Fuß verblieben ist (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Mai 2009 - 4 StR 148/09 m.w.N.).
Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Mutzbauer

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Feb. 2010 - 4 StR 586/09

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Feb. 2010 - 4 StR 586/09

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und

Strafgesetzbuch - StGB | § 69 Entziehung der Fahrerlaubnis


(1) Wird jemand wegen einer rechtswidrigen Tat, die er bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil seine

Strafgesetzbuch - StGB | § 69a Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis


(1) Entzieht das Gericht die Fahrerlaubnis, so bestimmt es zugleich, daß für die Dauer von sechs Monaten bis zu fünf Jahren keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden darf (Sperre). Die Sperre kann für immer angeordnet werden, wenn zu erwarten ist, daß
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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


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Strafgesetzbuch - StGB | § 67b Aussetzung zugleich mit der Anordnung


(1) Ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt an, so setzt es zugleich deren Vollstreckung zur Bewährung aus, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, daß der Zweck der Maßrege

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Wird jemand wegen einer rechtswidrigen Tat, die er bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil seine Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so entzieht ihm das Gericht die Fahrerlaubnis, wenn sich aus der Tat ergibt, daß er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Einer weiteren Prüfung nach § 62 bedarf es nicht.

(2) Ist die rechtswidrige Tat in den Fällen des Absatzes 1 ein Vergehen

1.
der Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c),
1a.
des verbotenen Kraftfahrzeugrennens (§ 315d),
2.
der Trunkenheit im Verkehr (§ 316),
3.
des unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142), obwohl der Täter weiß oder wissen kann, daß bei dem Unfall ein Mensch getötet oder nicht unerheblich verletzt worden oder an fremden Sachen bedeutender Schaden entstanden ist, oder
4.
des Vollrausches (§ 323a), der sich auf eine der Taten nach den Nummern 1 bis 3 bezieht,
so ist der Täter in der Regel als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen.

(3) Die Fahrerlaubnis erlischt mit der Rechtskraft des Urteils. Ein von einer deutschen Behörde ausgestellter Führerschein wird im Urteil eingezogen.

(1) Entzieht das Gericht die Fahrerlaubnis, so bestimmt es zugleich, daß für die Dauer von sechs Monaten bis zu fünf Jahren keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden darf (Sperre). Die Sperre kann für immer angeordnet werden, wenn zu erwarten ist, daß die gesetzliche Höchstfrist zur Abwehr der von dem Täter drohenden Gefahr nicht ausreicht. Hat der Täter keine Fahrerlaubnis, so wird nur die Sperre angeordnet.

(2) Das Gericht kann von der Sperre bestimmte Arten von Kraftfahrzeugen ausnehmen, wenn besondere Umstände die Annahme rechtfertigen, daß der Zweck der Maßregel dadurch nicht gefährdet wird.

(3) Das Mindestmaß der Sperre beträgt ein Jahr, wenn gegen den Täter in den letzten drei Jahren vor der Tat bereits einmal eine Sperre angeordnet worden ist.

(4) War dem Täter die Fahrerlaubnis wegen der Tat vorläufig entzogen (§ 111a der Strafprozeßordnung), so verkürzt sich das Mindestmaß der Sperre um die Zeit, in der die vorläufige Entziehung wirksam war. Es darf jedoch drei Monate nicht unterschreiten.

(5) Die Sperre beginnt mit der Rechtskraft des Urteils. In die Frist wird die Zeit einer wegen der Tat angeordneten vorläufigen Entziehung eingerechnet, soweit sie nach Verkündung des Urteils verstrichen ist, in dem die der Maßregel zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.

(6) Im Sinne der Absätze 4 und 5 steht der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis die Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 94 der Strafprozeßordnung) gleich.

(7) Ergibt sich Grund zu der Annahme, daß der Täter zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr ungeeignet ist, so kann das Gericht die Sperre vorzeitig aufheben. Die Aufhebung ist frühestens zulässig, wenn die Sperre drei Monate, in den Fällen des Absatzes 3 ein Jahr gedauert hat; Absatz 5 Satz 2 und Absatz 6 gelten entsprechend.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

(1) Ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt an, so setzt es zugleich deren Vollstreckung zur Bewährung aus, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, daß der Zweck der Maßregel auch dadurch erreicht werden kann. Die Aussetzung unterbleibt, wenn der Täter noch Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, die gleichzeitig mit der Maßregel verhängt und nicht zur Bewährung ausgesetzt wird.

(2) Mit der Aussetzung tritt Führungsaufsicht ein.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 56/00
vom
23. Mai 2000
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 23. Mai 2000,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Maul
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Granderath,
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Schluckebier,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 2. November 1999 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Vollstreckung der Unterbringung des Beschuldigten nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Beschuldigten, die das Urteil - ausgenommen die Feststellungen zum Tatgeschehen - mit der Sachrüge angreift, hat teilweise Erfolg. 1. Die Unterbringung des Beschuldigten gemäß § 63 StGB hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Die Gefährlichkeitsprognose setzt zwar grundsätzlich eine Gesamtwürdigung der Person und des Vorlebens des Beschuldigten, insbesondere seiner bisherigen Straftaten voraus (BGHSt 27, 246, 248; BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 12). Insoweit weist das angefochtene Urteil Mängel auf, worauf der Ge-
neralbundesanwalt zutreffend hinweist; allerdings betrafen die wegen Schuldunfähigkeit eingestellten Vorverfahren, soweit das dem landgerichtlichen Urteil überhaupt zu entnehmen ist, nur geringfügige Gesetzesverletzungen, die für die Frage einer Unterbringung ohne Bedeutung gewesen wären. Folgerichtig hat das Landgericht daher nur die Anlaßtat des vorliegenden Verfahrens zur Grundlage seiner Prognoseentscheidung in bezug auf die zukünftige Gefährlichkeit des Beschuldigten gemacht; dagegen sind grundsätzlich rechtliche Einwände nicht zu erheben (vgl. BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 12). Insoweit hat das Landgericht in dem fortbestehenden Wahn des Beschuldigten ein eindeutiges Indiz dafür gesehen, daß ohne eine weitere effektive Behandlung jederzeit wieder mit erheblichen Straftaten des Beschuldigten zu rechnen ist. Damit ist das Landgericht zunächst von einem zutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen; die bloße Möglichkeit, daß von dem Beschuldigten in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten seien, worauf die psychiatrische Sachverständige abgehoben hat, wäre nicht ausreichend gewesen (BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 26). In tatsächlicher Hinsicht ist die Erwartung künftiger erheblicher Straftaten ausreichend belegt. Nach dem Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen liegt beim Beschuldigten eine sich zunehmend chronifizierende paranoid-halluzinatorische Schizophrenie vor, die zu einem derart ausgeprägten Wahnsystem geführt hat, daß der Beschuldigte den Wahn als Realität erlebt und demgemäß auch Erlebnisse in diesem Wahnsystem interpretiert. Kern dieses Wahnsystems ist, daß in demHaus A. straße in L. , wo der Beschuldigte wohnt, Raub, Raubmord und Kindsmord durch Mitbewohner an der Tagesordnung seien und dort auch seine leibliche Tochter festgehalten werde.
Demgemäß hat der Beschuldigte auch der Sachverständigen berichtet, er sei mit seinem Angriff lediglich einem jungen Mädchen zu Hilfe gekommen, das gefangen gehalten, vergewaltigt und zur Prostitution gezwungen worden sei; er habe den Hilferuf des Mädchens gehört, und es sei auch geschossen worden, so daß er den später Geschädigten aufgefordert habe, seine Waffe abzugeben. Bei einem derart konkret ausgeprägten, mit anhaltenden akustischen Halluzinationen verbundenen Wahnsystem, das den Beschuldigten unter einen ständigen Handlungsdruck setzt, ist daher die Gefahr sich daraus entwickelnder Straftaten zutreffend bejaht worden; es kann nicht entscheidend darauf ankommen, daß es in der Vergangenheit zu wesentlichen Straftaten trotz der bereits seit 1974 bestehenden Erkrankung noch nicht gekommen ist. Die infolge des bestehenden Wahnsystems zu erwartenden vergleichbaren Taten wären auch erheblich. Das Tatopfer erlitt durch den Angriff des Beschuldigten eine Schulterprellung, ein HWS-Schleudertrauma, eine Schädelprellung sowie Kontusionen des linken Jochbeins und der linken Orbita. Auf Grund der Verletzungen war eine ambulante Behandlung in einem Krankenhaus erforderlich; der Verletzte mußte eine Schanzsche-Krawatte tragen und sich schließlich zur weiteren Behandlung für zweieinhalb Monate in eine Rehabilitationsklinik begeben. Sowohl diese Tat wie zu erwartende vergleichbare Taten sind vom Landgericht daher zu Recht als erheblich eingestuft worden. 2. Die Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung nach § 67b Abs. 1 StGB hat das Landgericht wegen fehlender Therapiemotivation abgelehnt. Der Beschuldigte habe sich bisher geweigert, sich die erforderlichen Medikamente verabreichen zu lassen; soweit er in der Hauptverhandlung eingelenkt habe, bestünden an der Ernsthaftigkeit des Anerbietens erhebliche Zweifel. Diese
Erwägungen tragen die Ablehnung der Aussetzung nicht. Nach den Feststellungen war der Beschuldigte zum Zeitpunkt, als das landgerichtliche Urteil erging , aufgrund eines Unterbringungsbeschlusses des Amtsgerichts - Vormundschaftsgericht - Landshut gemäß dem Bayerischen Unterbringungsgesetz seit 7. Mai 1999 stationär im Bezirkskrankenhaus Landshut untergebracht. Das Urteil macht keine Ausführungen dazu, welchen Erfolg die dortige Therapie hatte, für welchen Zeitraum sie vorgesehen war und welche Folgerungen hieraus für die Beantwortung der Frage zu ziehen sind, ob die Vollstreckung der Maßregel zur Bewährung ausgesetzt werden kann (vgl. BGHR StGB § 67b Abs. 1 besondere Umstände 5). Eine anderweitige Unterbringung kann ein besonderer Umstand im Sinne des § 67 Abs. 1 Satz 1 StGB sein (BGHSt 34, 313, 316; BGHR StGB § 67b Abs. 1 besondere Umstände 3). Daneben wäre auch die Möglichkeit einer Betreuung außerhalb einer stationären Unterbringung zu
erörtern gewesen. So könnte die Möglichkeit bestehen, daß sein Betreuer den Beschuldigten mit gerichtlicher Genehmigung in einem Heim oder einer Einrichtung betreuten Wohnens unterbringt, wo auch die regelmäßige Einnahme der erforderlichen Medikamente gewährleistet wird. Maul Granderath Wahl Boetticher Schluckebier

(1) Ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt an, so setzt es zugleich deren Vollstreckung zur Bewährung aus, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, daß der Zweck der Maßregel auch dadurch erreicht werden kann. Die Aussetzung unterbleibt, wenn der Täter noch Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, die gleichzeitig mit der Maßregel verhängt und nicht zur Bewährung ausgesetzt wird.

(2) Mit der Aussetzung tritt Führungsaufsicht ein.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 68/01
vom
25. April 2001
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. April 2001 beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 6. November 2000 aufgehoben; die Feststellungen zum äußeren Sachverhalt bleiben jedoch aufrechterhalten. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Sachbeschädigung zu einer Geldstrafe verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Angeklagten führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des Schuld- und Straf- sowie des Maßregelausspruchs (§ 349 Abs. 4 StPO). Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Sachverhalt werden jedoch aufrechterhalten (§ 349 Abs. 2 StPO). Nach den Feststellungen leidet der Angeklagte an einer Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie. Diese geistige Erkrankung hat zur Folge,
daß der Angeklagte sich “zu Gewalttätigkeiten hinreißen läßt, wenn er sich subjektiv bedroht fühlt”. Nach den Darlegungen des Sachverständigen Dr. B. , denen die Strafkammer folgt, sei dieses Verhalten “subjektiv folgerichtig , aber nicht nachvollziehbar. Aus diesem Grunde bejahe er zwar die Steuerungsfähigkeit, halte jedoch die Einsichtsfähigkeit nicht in vollem Umfang für gegeben ... Insgesamt halte er die Einsichtsfähigkeit im Sinne von § 21 StGB für eingeschränkt, aber nicht für aufgehoben”. Der Angeklagte komme bei “einer medikamentösen Behandlung ... ohne Konflikte mit der Gesellschaft zurecht”. Da der Angeklagte aber keine Krankheitseinsicht habe, lehne dieser es ab, freiwillig die erforderlichen Medikamente einzunehmen. Deshalb sei zum jetzigen Zeitpunkt eine stationäre Behandlung des Angeklagten erforderlich, um weitere psychotische Schübe zu vermeiden, die sonst wieder zu Aggressivitäten führten. 1. Diese Ausführungen des Landgerichts reichen nicht aus, um die Anwendung des § 21 StGB auf eine verminderte Einsichtsfähigkeit stützen zu können. Eine verminderte Einsichtsfähigkeit ist strafrechtlich erst dann von Bedeutung , wenn sie das Fehlen der Einsicht zur Folge hat (BGHR StGB § 21 Einsichtsfähigkeit 6). Der Täter, der trotz generell gegebener verminderter Einsichtsfähigkeit im konkreten Fall die Einsicht in das Unrecht seiner Tat gehabt hat, ist voll schuldfähig (BGHSt 21, 27, 28; 34, 22, 25 ff.). Fehlt dem Täter die Unrechtseinsicht und kann ihm ihr Fehlen auch nicht vorgeworfen werden, dann hat er ohne Schuld (§ 20 StGB) gehandelt mit der Folge, daß eine Bestrafung ausscheidet (vgl. BGHR StGB § 20 Einsichtsfähigkeit 2, 3). Die Urteilsgründe lassen befürchten, daß die Strafkammer diesen rechtlichen Ausgangspunkt nicht zutreffend gesehen hat. Dies führt zur Aufhebung des Schuld- und Rechtsfolgenausspruchs. Eine zu Unrecht bejahte Anwendung
des § 21 StGB würde für sich alleine genommen den Angeklagten zwar nicht beschweren, die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus müßte dann aber entfallen (vgl. BGH NStZ-RR 1999, 207). Im übrigen sprechen die Feststellungen eher dafür, daß die Steuerungsfähigkeit eingeschränkt gewesen sein könnte. 2. Vorsorglich weist der Senat zum Maßregelausspruch darauf hin, daß der Erörterung bedurft hätte, ob der Zweck der Maßregel nicht auch durch Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung mit der Weisung, sich der - erfolgversprechenden - medikamentösen Behandlung zu unterziehen, erreicht werden kann. Nach § 67b Abs. 2 StGB tritt mit der Aussetzung der Vollstreckung der Unterbringung Führungsaufsicht ein und der Angeklagte erhält einen Bewährungshelfer (§ 68a StGB). Wenn dies auch für sich allein kein besonderer Umstand im Sinne des § 67b Abs. 1 StGB ist (BGH, Urteil vom 16.03.93 – 1 StR 888/92 – in NStZ 1993, 395 nicht abgedruckt), so war doch zu prüfen, ob nicht die damit gegebenen Überwachungsmöglichkeiten und die dem Angeklagten zu verdeutlichende Konsequenz, daß er bei Nichterfüllung der Weisungen (§ 68b StGB) mit dem Vollzug der Unterbringung zu rechnen habe, eine hinreichende Gewähr dafür bieten, daß der Angeklagte sich einer (soweit notwendig) ambulanten medikamentösen Behandlung unterzieht, und ob damit nicht die Erwartung gerechtfertigt ist, daß der Zweck der Maßregel auch ohne Vollzug der Unterbringung erreicht werden kann (BGHR StGB § 67b Gesamtwürdigung 1 = StV 1988, 104 m.w.N.; BGHR StGB § 67b I Besondere Umstände 2 = NStZ 1988, 309; vgl. auch Tröndle/Fischer 50. Aufl. StGB § 67b Rdn. 3; Stree in Schönke/Schröder 26. Aufl. StGB § 67b Rdn. 6).
Darüber hinaus wird auch zu prüfen sein, ob eine Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung deshalb erfolgen kann, weil eine Unterbringung aufgrund eines Unterbringungsbeschlusses des Vormundschaftsgerichts in Betracht kommt. Eine anderweitige Unterbringung kann ein besonderer Umstand im Sinne des § 67 Abs. 1 Satz 1 StGB sein, der es rechtfertigen kann, die Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus auszusetzen (BGHSt 34, 313, 316; BGHR StGB § 67b Abs. 1 besondere Umstände 3, 5; BGH StV 2000, 613). Schäfer Nack Boetticher Schluckebier Schaal

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 574/00
vom
12. Juni 2001
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
12. Juni 2001, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Nack
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Schluckebier,
Hebenstreit,
Schaal,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 10. August 2000 insoweit mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, als die Aussetzung der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zur Bewährung versagt worden ist. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB angeordnet. Anlaßtaten sind zwei Fälle der Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten (§ 126 Abs. 1 Nr. 6 StGB). Die Revision der Beschuldigten rügt die Verletzung förmlichen und sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel ist im wesentlichen unbegründet. Jedoch kann das angefochtene Urteil insoweit keinen Bestand haben, als die Strafkammer davon abgesehen hat, die Vollstreckung der Maßregel gemäß § 67b StGB zur Bewährung auszusetzen.
I. Verfahrensrügen
1. Das Landgericht hat den gegen die Sachverständige F. gerichteten Befangenheitsantrag ohne Rechtsfehler abgelehnt.

a) Daß die Sachverständige bereits in der Vergangenheit mehrere für die Beschuldigte ungünstige Gutachten über die Frage der Schuldfähigkeit erstellt hatte, schafft für sich genommen keinen Ablehnungsgrund (vgl. dazu BGHSt 8, 226, 232; 41, 206, 212; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 74 Rdn. 7).

b) Auf die Behauptung, die Sachverständige habe bereits vor der Hauptverhandlung gegenüber der Beschuldigten geäußert, sie müsse sich auf eine sehr lange Zeit in der Psychiatrie einstellen, kann die Revisionsrüge nicht gestützt werden. Wenn es um die Beurteilung der Ablehnung von Sachverständigen geht, ist das Revisionsgericht an die Tatsachen gebunden, die der Tatrichter seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat. Eigene Ermittlungen kommen - anders als bei der Richterablehnung - nicht in Betracht. Das Revisionsgericht entscheidet als Rechtsfrage, ob das Landgericht über das Ablehnungsgesuch ohne Verfahrensfehler und mit ausreichender Begründung befunden hat (BGHR StPO § 74 I 1 Befangenheit 4 = NStZ 1999, 632). Dieses ist in seinem Beschluß aber rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, die Sachverständige habe zutreffend erklärt, die behauptete Ä ußerung nicht abgegeben zu haben.

c) Soweit die Sachverständige sowohl bei der schriftlichen als auch bei der mündlichen Erstattung des Gutachtens zu Unrecht davon ausgegangen
sein soll, die Beschuldigte habe eine Mituntergebrachte mit einem Messer angegriffen , kann das Ablehnungsgesuch auf diesen Sachverhalt schon deshalb nicht gestützt werden, weil er erstmals mit der Revisionsbegründung vorgetragen worden ist.
2. Die Rüge, § 244 Abs. 4 StPO sei verletzt, bleibt erfolglos. Das Landgericht hat den Beweisantrag der Beschuldigten, einen weiteren Sachverständigen zum Beweis der Tatsache anzuhören, daß von ihr keine weiteren erheblichen Taten zu befürchten und die Voraussetzungen für die Aussetzung einer Maßregel nach § 67b StGB gegeben seien, mit der Begründung abgelehnt, das Gegenteil der behaupteten Tatsache sei durch das Gutachten der gehörten Sachverständigen bereits erwiesen. Die Revision ist der Auffassung, daß ein weiterer Sachverständiger hätte vernommen werden müssen, weil die Sachverständige F. lediglich schematisch ihre früheren Gutachten wiederholt und zu den Voraussetzungen einer Aussetzung nach § 67b StGB keinerlei Ausführungen gemacht habe und weil die Frage der Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt besonders schwierig sei und die Anhörung eines weiteren Sachverständigen gebiete.

a) Die Rüge ist insoweit unzulässig, als der vollständige Inhalt der schriftlichen Sachverständigengutachten nicht mitgeteilt wird, obwohl diese lediglich schematisch wiederholt worden sein sollen.

b) Fehl geht auch der Hinweis, die Sachverständige habe sich nicht zu einer Aussetzung der Unterbringung nach § 67b StGB geäußert. Was die Sachverständige hierzu bekundet hat, steht nicht fest. Die Rekonstruktion der Beweisaufnahme ist dem Revisionsgericht grundsätzlich versagt.


c) Ein Ausnahmefall, in dem § 244 Abs. 2 StPO die Hinzuziehung eines zusätzlichen Gutachters erfordert, ist hier nicht gegeben.
II. Sachrüge
Die Revision hat mit der Sachrüge lediglich teilweise Erfolg.
1. Die Feststellungen zu den Anlaßtaten weisen keinen Rechtsfehler auf.
2. Das Landgericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, daß im Sinne der §§ 20, 21 StGB die Steuerungsfähigkeit der Beschuldigten bei Begehung der Anlaßtaten mit Sicherheit aufgehoben war, weil bei ihr eine paranoidhalluzinatorische Schizophrenie vorlag.
3. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Überprüfung stand.

a) Die Ausführungen der Strafkammer verdeutlichen hinreichend, daß die Einschränkung der Schuldfähigkeit auf einem länger andauernden, nicht nur vorübergehenden Defekt beruht. Die Schizophrenie der Beschuldigten ist seit 1989 deutlich erkennbar. Es “bestehen ausgeprägte inhaltliche Denkstörungen in Form von Verfolgungsideen, etwa ... abgehört und verfolgt zu werden. Desweiteren bestehen psychotische Ich-Störungen in Form von Fremdbeeinflussungserleben und Wahnideen etwa des Inhalts, sie handle im Auftrag von prominenten Politikern”. Daneben berichtet die Beschuldigte “über akusti-
sche Halluzinationen in Form von Stimmenhören und die Entgegennahme von Botschaften über eine Piepsanlage”. Das Wahnsystem “war im April 2000 noch deutlich”.

b) Bei der Gefährlichkeitsprognose hat die Kammer in dem fortbestehenden Wahn der Beschuldigten ein gewichtiges Indiz dafür gesehen, daß ohne eine weitere effektive Behandlung jederzeit wieder mit erheblichen rechtswidrigen Taten der Beschuldigten zu rechnen ist. Damit ist das Landgericht von einem zutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen (vgl. BGH NStZ 2000, 470). In tatsächlicher Hinsicht ist die Erwartung künftiger erheblicher rechtswidriger Taten ausreichend belegt. Die Einnahme des Medikaments Risperidon, das die Beschuldigte während ihres jetzigen stationären Aufenthalts erhält, hat zu einer Besserung ihres Zustands geführt; aber “unbehandelt geht von der Beschuldigten weiterhin die Gefahr erheblicher rechtswidriger Taten aus”.

c) Die aufgeworfene Frage, ob das Fehlen von Darlegungen zu den Ä ußerungen eines Sachverständigen im Hinblick auf die zwingende Verfahrensvorschrift des § 415 Abs. 5 StPO (BGH StV 1999, 470; vgl. zur vergleichbaren Vorschrift des § 246a StPO: BGHR StPO § 246a Satz 1 Sicherungsverwahrung 2; BGH bei Holtz MDR 1990, 97; NStZ-RR 1998, 206) einen auf die Sachrüge zu beachtenden Begründungsmangel darstellt, kann hier dahinstehen. Der Senat vermag den Urteilsgründen noch ausreichend zu entnehmen, daß die Sachverständige angehört worden ist und die Beschuldigte maßnahmespezifisch untersucht hat. So hat die Beschuldigte “der Sachverständigen F. gegenüber ... eine Bombendrohung eingeräumt” (UA S. 20) und es wird festgestellt , daß ein im schriftlichen Gutachten wiedergegebener Vorfall nicht zum Nachteil der Beschuldigten berücksichtigt wurde, weil “ihn die Beschuldigte
bestreitet und die Sachverständige (bei dem Vorfall) nicht zugegen war” (UA S. 26).
Auch genügen die Ausführungen hier noch der tatrichterlichen Begründungspflicht. Schließt sich der Tatrichter der Beurteilung eines Sachverständigen an, muß er entweder die eigenen Erwägungen oder aber die Anknüpfungstatsachen und die Ausführungen des Sachverständigen in einer Weise wiedergeben , die dem Revisionsgericht die rechtliche Nachprüfung ermöglicht (vgl. KK-Engelhardt StPO 4. Aufl. § 267 Rdn. 16 m.w.N.). Dieser Darlegungspflicht ist die Kammer noch ausreichend nachgekommen.
4. Die Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung nach § 67b Abs. 1 StGB hat das Landgericht insbesondere wegen fehlender Therapiemotivation abgelehnt. Die Beschuldigte habe sich bisher geweigert, sich die erforderlichen Medikamente verabreichen zu lassen. Diese Erwägungen sind lückenhaft. Nicht erörtert wurde nämlich, ob der Zweck der Maßregel nicht auch dadurch erreicht werden kann, daß der Beschuldigten zugleich mit dem Urteil (§ 268a Abs. 2 StPO) die Weisung erteilt wird, sich der - erfolgversprechenden - medikamentösen Behandlung zu unterziehen.
Weiterhin erörtert das Landgericht selbst, daß im Rahmen eines "betreuten Wohnens" oder einer "Nachsorgeeinrichtung" die ambulante Behandlung der Beschuldigten ausreichend sichergestellt werden könnte, verdeutlicht aber nicht hinreichend, weshalb diese Möglichkeiten hier nicht ergriffen werden können.
Es war auch zu beachten, daß nach § 67b Abs. 2 StGB mit der Aussetzung der Vollstreckung der Unterbringung Führungsaufsicht eintritt und die Beschuldigte einen Bewährungshelfer erhält (§ 68a StGB). Wenn dies auch für sich allein kein besonderer Umstand im Sinne des § 67b Abs. 1 StGB ist (BGH, Urteil vom 16.03.93 – 1 StR 888/92 – in NStZ 1993, 395 nicht abgedruckt), so war doch zu prüfen, ob nicht die damit gegebenen Überwachungsmöglichkeiten und das der Beschuldigten zu verdeutlichende Risiko, daß sie bei Nichterfüllung anzuordnender Weisungen (§ 68b StGB) mit dem Vollzug der Unterbringung zu rechnen habe, eine hinreichende Gewähr dafür bieten, daß die Beschuldigte sich einer (soweit notwendig) ambulanten medikamentösen Behandlung unterzieht, und ob damit nicht die Erwartung gerechtfertigt ist, daß der Zweck der Maßregel auch ohne Vollzug der Unterbringung erreicht werden kann (BGHR StGB § 67b Gesamtwürdigung 1 = StV 1988, 104 m.w.N.; BGHR StGB § 67b I Besondere Umstände 2 = NStZ 1988, 309; vgl. auch Tröndle/- Fischer 50. Aufl. StGB § 67b Rdn. 3; Stree in Schönke/Schröder 26. Aufl. StGB § 67b Rdn. 6).
Der Senat kann - zumal im Hinblick auf die Art der zu erwartenden rechtswidrigen Taten - deshalb nicht sicher ausschließen, daß bei Beachtung dieser Umstände die Unterbringung zur Bewährung ausgesetzt worden wäre.
Nack Wahl Schluckebier Hebenstreit Schaal

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 48/07
vom
27. März 2007
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
27. März 2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Kolz,
Hebenstreit,
Dr. Graf,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Beschuldigten gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 5. Oktober 2006 wird verworfen. Der Beschuldigte trägt die Kosten seines Rechtsmittels.

Von Rechts wegen

Gründe:


1
Der heute neunundsechzigjährige Beschuldigte leidet in Folge einer paranoiden Schizophrenie (ICD-10 F20.0) an einer ausgeprägten Wahnsymptomatik. Nach den Feststellungen des Landgerichts verletzte der Beschuldigte den Zeugen F. M. mittels eines Maurerhammers und verwirklichte so den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung (§§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB), handelte aber mangels Einsichtsfähigkeit aufgrund seiner krankhaften seelischen Störung ohne Schuld (§ 20 StGB). Das Landgericht hat die Unterbringung des Betroffenen in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) angeordnet; die - sofortige - Aussetzung von deren Vollstreckung zur Bewährung (§ 67b StGB) hat sie versagt.
2
Die Feststellungen der Strafkammer zur Anlasstat sind rechtsfehlerfrei, wie auch die Anordnung der Maßnahme. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus steht insbesondere nicht außer Verhältnis zur Anlasstat, zu erwartenden Taten sowie zu der vom Beschuldigten ausgehenden Gefahr. Dass der Angriff des Beschuldigten auf den Geschädigten letztlich glimpflich verlief, war lediglich dem geschickten Abwehrverhalten des Geschädigten und dessen Flucht zu verdanken. Die gezielte Bereitstellung des Maurerhammers als Kampfgerät und das des Öfteren beim Beschuldigten beobachtete Beisichtragen eines Messers "zu Verteidigungszwecken" lassen ohne die Unterbringung in der Zukunft Taten mit schwerwiegenden Folgen befürchten.
3
Ebenso hat das Landgericht die Aussetzung der Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung nach § 67b Abs. 1 StGB rechtsfehlerfrei abgelehnt. Besondere Umstände, die die Erwartung rechtfertigen könnten, auch bei Aussetzung der Unterbringung könne der Zweck der Maßregel erreicht werden, waren nach den Feststellungen der Strafkammer zum Urteilszeitpunkt nicht ersichtlich. Der Beschuldigte war zur ambulanten Behandlung nicht bereit. Die Einnahme von Medikamenten verweigerte er auch seit seiner vorläufigen Unterbringung. Er hatte keinerlei Einsicht in die Notwendigkeit einer psychiatrischen Behandlung.
4
Zwar können dem Beschuldigten im Falle der Aussetzung der Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung zugleich mit dem Urteil Weisungen erteilt werden (§ 268a Abs. 2 StPO), etwa sich einer medikamentösen Behandlung zu unterziehen oder sich im Rahmen eines "betreuten Wohnens" oder in einer "Nachsorgeeinrichtung" ambulant behandeln zu lassen. Außerdem tritt nach § 67b Abs. 2 StGB mit der Aussetzung der Vollstreckung der Unterbringung Führungsaufsicht ein. Dann wird der Beschuldigte zugleich einem Bewährungshelfer unterstellt (§ 68a StGB). Für sich genommen begründen diese rechtlichen Möglichkeiten noch nicht die Voraussetzungen des § 67b Abs. 1 StGB (vgl. BGH RuP 2002, 192; BGH, Urteil vom 16. März 1993 - 1 StR 888/92 - in NStZ 1993, 395 insoweit nicht abgedruckt), sondern nur dann, wenn die damit gegebenen Überwachungsmöglichkeiten und das dem Beschuldigten zu verdeutlichende Risiko, bei Nichterfüllung anzuordnender Weisungen (§ 68b StGB) mit dem Vollzug der Unterbringung rechnen zu müssen, im konkreten Fall tatsächlich eine hinreichende Gewähr dafür bieten, der Beschuldigte werde sich einer ambulanten medikamentösen Behandlung unterziehen, so dass die Erwartung gerechtfertigt ist, der Zweck der Maßregel werde auch ohne Vollzug der Unterbringung erreicht werden (vgl. BGHR StGB § 67b Gesamtwürdigung 1; BGH NStZ 1988, 309, 310; vgl. auch Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 67b Rdn. 3; Stree in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 67b Rdn. 6). Angesicht der verfestigten Wahnvorstellungen des Beschuldigten und seiner damit argumentativ eng verknüpften entschiedenen Weigerung, sich - insbesondere medikamentös - behandeln zu lassen, lag - zum Zeitpunkt des landgerichtlichen Urteils - die Annahme, allein gerichtliche Weisungen oder Anordnungen eines Bewährungshelfers könnten beim Beschuldigten einen Gesinnungswandel herbeiführen , jedoch fern. Näherer Erörterung in den Urteilsgründen bedurfte dies daher nicht.
5
Die weniger stigmatisierende und schon deshalb regelmäßig für einen Beschuldigten günstigere Unterbringung nach Landesgesetzen, hier gemäß Art. 1 Abs. 1 Satz 1 des Bayerischen Unterbringungsgesetzes, ist zwar grundsätzlich eine Alternative zur strafrechtlichen Unterbringung (BGHSt 34, 313, 316 ff.). Gegenstand einer strafprozessualen Anordnung, einer Bewährungsauflage, kann dies jedoch - im Hinblick auf die landesrechtlichen Zuständigkeiten zur Anordnung der Maßnahme - nicht sein. Entsprechendes gilt für eine zivilrechtliche Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB durch den Betreuer mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts gemäß § 1906 Abs. 2 BGB (vgl. BGHR StGB § 67b Abs. 1 Besondere Umstände 3 [Unterbringung durch den Vormund ]), die dann auch das Recht umfasst, den notwendigen ärztlichen Maßnahmen entgegenstehenden Willen des Betreuten zu überwinden (vgl. BGHZ 166, 141, 148 ff.). Die Vollstreckung einer strafprozessualen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 67b StGB auszusetzen - oder gar von deren Anordnung abzusehen - kommt in entsprechenden Fällen deshalb nur in Betracht, wenn eine alternative Maßnahme von der hierfür zuständigen Stelle bereits angeordnet ist und ein nahtloser Übergang so gewährleistet ist. Im vorliegenden Fall war diese Voraussetzung zum Urteilszeitpunkt nicht gegeben. Allerdings werden die genannten Alternativen in Zukunft im Rahmen der gemäß § 67e StGB gebotenen Überprüfung der Maßregel zur Gewährleistung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in Erwägung zu ziehen, unter Umständen sogar geboten sein. Hierzu werden wegen der unterschiedlichen Rechtsgrundlagen und der darauf beruhenden auseinander gehenden Kompetenzzuweisungen Absprachen mit den für die jeweiligen Anordnungen zuständigen Stellen und Personen notwendig sein. Der Grundsatz der Subsidiarität des Vollzugs der landesrechtlichen Unterbringung gemäß Art. 1 Abs. 2 des Bayerischen Unterbringungsgesetzes steht bei entsprechender Abstimmung des Vorgehens nicht entgegen. Entsprechendes in die Wege zu leiten, ist im vorliegenden Fall primär Sache der Justiz, als dem staatlichen Bereich, der den kranken schuldunfähigen Beschuldigten - bereits mit der vorläufigen Unterbringung gemäß § 126a StPO - in Obhut nahm und damit auch dafür verantwortlich ist, dass das mit der Maßnahme der Unterbringung des schuldunfähigen Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus verbundene Übel minimiert wird (BGH, Beschluss vom 28. September 2006 - 1 StR 410/06).
Herr RiBGH Dr. Wahl befindet sich in Urlaub und ist deshalb an der Unterschrift gehindert. Nack Nack Kolz Hebenstreit Graf

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 148/09
vom
26. Mai 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts - zu 3. auf dessen Antrag hin - und des
Beschwerdeführers am 26. Mai 2009 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 25. November 2008 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Vollstreckung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der vorsätzlichen Körperverletzung sowie der Beleidigung und der Sachbeschädigung jeweils in zwei Fällen wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die hiergegen vom Angeklagten eingelegte Revision hat mit einer Verfahrens- und der Sachrüge in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Dem Angeklagten die Aussetzung der Vollstreckung der Maßregel zur Bewährung zu versagen, hält bereits der sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht stand.
3
Die Anordnung der Maßregel selbst weist allerdings keinen Rechtsfehler auf. Insbesondere sind die Schuldunfähigkeit des Angeklagten und seine künftige Gefährlichkeit infolge seines Zustandes (Vorliegen von Schwachsinn sowie einer „organischen Persönlichkeitsstörung“ als Folge eines Verkehrsunfalls mit Schädigung der Hirnsubstanz) hinreichend belegt. Auch handelt es sich bei den - nach den von der Strafkammer für überzeugend erachteten Ausführungen des Sachverständigen - mit „hoher Sicherheit“ zu erwartenden „ähnlichen Delikten“ jedenfalls insofern um erhebliche Taten im Sinne des § 63 StGB, als sie der im angefochtenen Urteil festgestellten Körperverletzung entsprechen (vgl. BGH, Urteil vom 17. Februar 2004 - 1 StR 437/03).
4
Jedoch ist nach § 67b Abs. 1 Satz 1 StGB die Aussetzung des Vollzugs der Unterbringung geboten, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen , dass der Zweck der Maßregel auch ohne deren Vollzug erreicht werden kann. Bei dieser Prüfung sind zwar auch die vom Landgericht herangezogenen Umstände zu berücksichtigen, nämlich dass der Angeklagte keine Krankheitseinsicht zeigt, eine Therapie ablehnt (vgl. BGH, Beschluss vom 15. November 2001 - 4 StR 385/01) und nicht gewillt ist, sein derzeitiges soziales Umfeld zu verlassen. Jedoch hätte die Strafkammer erörtern müssen, ob sich die vom Angeklagten ausgehende Gefahr insbesondere durch die Begründung eines Betreuungsverhältnisses nach §§ 1896 ff. BGB (vgl. BGH NStZ 2002, 367; BGH NStZ-RR 1997, 290 f.) und durch geeignete Weisungen im Rahmen der Bewährung (§ 268a Abs. 2 StPO) und der mit ihr verbundenen Führungsaufsicht (§§ 67b Abs. 2, 68b StGB) abwenden oder jedenfalls so stark abschwächen lässt, dass ein Verzicht auf den Vollzug der Maßregel gewagt werden kann. Denn die damit verbundenen Überwachungsmöglichkeiten und das dem Angeklagten zu verdeutlichende Risiko, bei Nichterfüllung solcher Weisungen mit dem Vollzug der Unterbringung rechnen zu müssen, können geeignet sein, die vom Sachverständigen und der Strafkammer angeführten Voraussetzungen einer erfolgversprechenden ambulanten Therapie herbeizuführen, zumal der Angeklagte zur Einhaltung solcher Regeln bereit ist, die seinen Interessen dienen (UA 12; vgl. auch BGH NStZ 2007, 465 m.w.N.). Dies gilt umso mehr, als sich der Angeklagte trotz seines Zustandes bis zur Begehung der verfahrensgegenständlichen Taten weitgehend straffrei geführt hat und auch danach ohne weitere relevante Auffälligkeiten auf freiem Fuß verblieben ist (vgl. BGH NStZ 2002, 367; BGH NStZ-RR 1997, 290 f.).
5
2. Im selben Umfang hat auch die Verfahrensrüge Erfolg, mit der der Beschwerdeführer die Ablehnung des Beweisantrags auf Vernehmung des Zeugen L. beanstandet. Dies führt zur Aufhebung der vom Landgericht zur Aussetzung der Maßregel zur Bewährung getroffenen Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO).
6
a) Zwar ist es zulässig, im Frei- oder Strengbeweisverfahren zu klären, ob Gründe für die Ablehnung eines Beweisantrags vorliegen (vgl. MeyerGoßner StPO 51. Aufl. § 244 Rdn. 7). Das Landgericht durfte daher den Angeklagten zu der von seinem Verteidiger aufgestellten Behauptung anhören, dass der Zeuge L. „aus eigener Wahrnehmung“ über das Verhältnis des Angeklagten zu den Dorfbewohnern und die ständigen Provokationen und Hänse- leien des Angeklagten durch einige Gemeindemitglieder berichten kann. Aufgrund der Mitteilung des Angeklagten, „dass der Zeuge das nur aus Erzählungen der Mutter und des Angeklagten weiß“, war das Landgericht jedoch nicht berechtigt, die Beweisbehauptung des Verteidigers entgegen ihrem eindeutigen Wortlaut dahin zu verstehen, der Zeuge könne lediglich über Berichte des Angeklagten und seiner Mutter über Provokationen der Dorfbewohner Angaben machen und durfte es den Beweisantrag nicht mit der Begründung ablehnen, die so verstandene Beweisbehauptung könne als wahr behandelt werden. Die Strafkammer hat damit unbeachtet gelassen, dass dem Verteidiger ein selbstständiges und vom Willen des Angeklagten unabhängiges Beweisantragsrecht zusteht, mit dem er - hier auf Grund des Schreibens des Zeugen L. vom 11. August 2008 - mögliche, sich mit dem Vorbringen des Angeklagten nicht notwendigerweise deckende Behauptungen unter Beweis stellen kann (vgl. Fischer in KK StPO 6. Aufl. § 244 Rdn. 73, 97). Das Landgericht hat zudem den zulässigen Rahmen der Auslegung eines Beweisantrags (dazu Meyer-Goßner aaO Rdn. 39) überschritten und die Beweisbehauptung nicht mehr ohne jede Einengung, Verschiebung oder sonstige Änderung als wahr behandelt (vgl. Meyer-Goßner aaO Rdn. 71 m.w.N.), weil es im Urteil „keinerlei Anhaltspunkte“ dafür als gegeben erachtet, dass der Angeklagte von der Dorfgemeinschaft ausgegrenzt werde (UA 9), und feststellt, dass der Angeklagte nur in einer solchen „wahnhaften Vorstellung gefangen“ sei (UA 6) und er sich selbst „ins Abseits gestellt“ habe (UA 10).
7
b) Auch auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil indes nur, soweit die Vollstreckung der Unterbringung des Angeklagten in der psychiatrischen Anstalt nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde. Nach den Feststellungen und Ausführungen der Strafkammer war für die Anordnung der Unterbringung nämlich die auf den Zustand des Angeklagten zurückzuführende erhebliche Störung seiner Impulskontrolle sowie der Fähigkeit, angemessene Lösungen für konflikthafte soziale Situationen zu finden, maßgeblich (UA 12). Ob solche Konflikte auf die „wahnhafte Vorstellung“ des Angeklagten, von der Dorfgemeinschaft seines Heimatortes missachtet und ausgegrenzt zu werden, oder auf Provokationen von Gemeindemitgliedern zurückzuführen waren, hatte demgegenüber ersichtlich allein Bedeutung bei der Prüfung der Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung. Waren die tatauslösenden Konflikte nicht auf wahnhafte Vorstellungen des Angeklagten, sondern in erheblicher Weise auf Provokationen von Dorfbewohnern zurückzuführen, so könnte ein im Rahmen des Betreuungsverhältnisses veranlasster Wechsel des Aufenthaltsorts des Angeklagten der Gefahr erneuter Rechtsverstöße maßgeblich entgegenwirken. Dies liegt umso näher , als der Zeuge L. in dem im Zusammenhang mit dem Beweisantrag seines Verteidigers in die Hauptverhandlung eingeführten Schreiben vom 11. August 2008 dargelegt hat, dass der Angeklagte in der Vergangenheit bereits gezeigt hat, dass in einer ihn akzeptierenden Umgebung solche Konflikte nicht entstanden sind oder jedenfalls nicht zu rechtswidrigen Taten durch den Angeklagten geführt haben.
Tepperwien Maatz Athing
Franke Mutzbauer