Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Jan. 2010 - 5 StR 169/09

bei uns veröffentlicht am28.01.2010

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung : ja
Mangelhaft protokolliertes Selbstleseverfahren.
BGH, Beschluss vom 28. Januar 2010 - 5 StR 169/09
LGHamburg-

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 28. Januar 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. Januar 2010

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten O. wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 16. Oktober 2008, soweit es diesen Angeklagten betrifft, gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in Tateinheit mit Beihilfe zur Untreue unter Einbeziehung der durch Urteil des Landgerichts Lübeck vom 14. Dezember 2004 verhängten Einzelstrafen und Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Auf die Vollstreckung dieser Gesamtfreiheitsstrafe hat das Landgericht für erbrachte Bewährungsauflagen drei Monate angerechnet. Das Landgericht hat den Angeklagten ferner wegen Beihilfe zur Untreue in zwei Fällen zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts und beanstandet das Verfahren. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
2
1. Gegenstand der Verurteilung sind Kreditaufnahmen im Interesse des Angeklagten für Grundstücksgeschäfte zum Nachteil des Kreditgebers, der V. L. (Elbe) eG, im Fall 1. tateinheitlich mit einem als Betrug ausgeurteilten Verkauf eines Grundstücks. Das Landgericht hat seine Beweise in großem Umfang durch Urkunden im Selbstleseverfahren erhoben (vgl. auch Senatsbeschluss vom heutigen Tage hinsichtlich des Mitangeklagten Ba. O. ). Die vom Angeklagten wegen Verletzung der § 249 Abs. 2 Satz 1 und 3, § 261 StPO erhobene Inbegriffsrüge greift hinsichtlich zahlreicher Urkunden aus der „Urkundenliste 3“ durch.
3
2. Der Vorsitzende der Wirtschaftsstrafkammer hat in der Hauptverhandlung vom 1. Juli 2008 angeordnet, dass mit den Tatvorwürfen gegen den Angeklagten im Zusammenhang stehende 162 Urkunden der Urkundenliste 3 gemäß § 249 Abs. 2 StPO im Wege des Selbstleseverfahrens in die Hauptverhandlung eingeführt werden. Das Hauptverhandlungsprotokoll enthält keinen Eintrag über den Abschluss des Selbstleseverfahrens. Eine nach Eingang der Revisionsbegründung vom Vorsitzenden erstrebte Berichtigung des Protokolls hinsichtlich des von ihm sicher erinnerten, indes nicht protokollierten Abschlusses des Selbstleseverfahrens am 8. Juli 2008 kam nicht zustande, weil sich die Protokollführerin daran nicht mehr erinnert hat (S. 2 der dienstlichen Erklärung des Vorsitzenden vom 3. März 2009; Sachakte Bl. 8723).
4
3. Bei dieser Sachlage bleibt das unberichtigt gebliebene Protokoll für die Entscheidung des Senats maßgeblich (BGHR StPO § 249 Abs. 2 Selbstleseverfahren 2; BGH wistra 2010, 31, 32). Es ist davon auszugehen, dass nicht, wie für eine Verwertung der Urkunden gemäß § 261 StPO erforderlich, in der Hauptverhandlung festgestellt worden ist, dass Berufsrichter und Schöffen von dem Wortlaut der 162 Urkunden der Urkundenliste 3 Kenntnis genommen haben. Eine Widersprüchlichkeit des Protokolls, die gestattet hätte , hiervon nach Freibeweis abzuweichen, liegt nicht vor. Hierzu brauchte insbesondere die Revision nichts Weitergehendes vorzutragen (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
5
a) Das vom Großen Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs in BGHSt 51, 298 im Wege verfassungsgerichtlich gebilligter Rechtsfortbildung (BVerfG NJW 2009, 1469) eingeführte Protokollberichtigungsverfahren, das geeignet ist, einer auf den Inhalt des Protokolls gegründeten Verfahrensrüge nach Revisionseinlegung die Erfolgsaussicht zu entziehen, hätte auch die hier vom Vorsitzenden erstrebte Protokollberichtigung hinsichtlich des Abschlusses des Selbstleseverfahrens erfasst. Leitsätze und Gründe des Beschlusses des Großen Senats für Strafsachen und der dessen Rechtsauffassung billigende Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts enthalten keine Einschränkungen auf bestimmte Fallkonstellationen. Der Große Senat stellt vielmehr auf die Vorteile des neuen Protokollberichtigungsverfahrens ab (aaO S. 308 Tz. 37), wozu gerade auch eine Begrenzung der bisherigen immer stärker ausgeweiteten Rechtsprechung zur Lückenhaftigkeit des Protokolls gehöre, der – jedenfalls in Grenzfällen – hinreichend klare und verlässliche Konturen fehlen (aaO S. 313 f. Tz. 56). Ferner sei eine Beibehaltung der bisherigen Rechtsprechung unter dem Aspekt, die Tatgerichte zum Einhalten der Vorschriften über die Protokollführung anzuhalten , nicht geboten (aaO S. 314 Tz. 57). Diese Erwägungen gelten ersichtlich für alle Varianten einer Protokollberichtigung. Der – nicht tragend geäußerten – Rechtsauffassung des 2. Strafsenats, eine Protokollberichtigung sei hinsichtlich des Selbstleseverfahrens gemäß § 249 Abs. 2 StPO ausgeschlossen (NJW 2009, 2836, 2837, zur Aufnahme in BGHSt bestimmt), ist lediglich zu entnehmen, dass die als Abschluss des Selbstleseverfahrens vorgeschriebene Feststellung der Kenntnisnahme vom Wortlaut der Urkunden auf diesem Wege nicht nachholbar ist. Hinsichtlich der tatsächlich erfolgten entsprechenden Feststellung des Vorsitzenden in der Hauptverhandlung, die lediglich versehentlich nicht protokolliert wurde, bleibt die Protokollberichtigung zulässig.
6
b) Der Senat entnimmt dem Beschluss des Großen Senats für Strafsachen (BGHSt aaO) eine substantielle Änderung des Strafverfahrensrechts dahingehend, dass Protokollmängel in erster Linie im Protokollberichtigungsverfahren zu beseitigen sind (vgl. auch BVerfG aaO S. 1472). So hat der Große Senat betont, dass auch die Revisionsgerichte dem Prinzip der Wahr- heit verpflichtet seien und ihrer Kognition den wahren Sachverhalt zugrunde zu legen haben (aaO S. 309 Tz. 42). Dessen Ermittlung setze besonders hohe Anforderungen an die Sorgfalt bei der hier infrage stehenden Berichtigung voraus (aaO S. 315 Tz. 59), wobei eine rechtlich verbindliche Form der Protokollberichtigung (aaO S. 316 f. Tz. 61 bis 65) eine zusätzliche Gewähr für die Richtigkeit der nachträglichen Änderung der Sitzungsniederschrift biete , was der Sicherung der Effektivität des Rechtsmittels der Revision diene (aaO S. 315 Tz. 60). Grundlage der Berichtigung sei die sichere Erinnerung der Urkundspersonen (aaO S. 316 Tz. 62; vgl. auch BVerfG aaO S. 1471).
7
Aus diesen grundlegenden Erwägungen hat die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zwar nicht den Schluss gezogen, dass aus der Lückenhaftigkeit des Protokolls dessen teilweise gegebene Unverbindlichkeit – mit der Folge möglichen Freibeweisverfahrens über den Verfahrensablauf unter geringeren Anforderungen als im die Verfahrenswahrheit sichernden Protokollberichtigungsverfahren (vgl. BGH StV 2004, 297, 298 m.w.N.) – nicht weiter gefolgert werden könne (vgl. BGH GS aaO S. 313 f. Tz. 56; BGH wistra 2010, 31, 32 und BGH, Beschluss vom 11. November 2009 – 5 StR 460/08 Tz. 6; vgl. auch BVerfG NJW 2009, 1469, 1471 f.). Indes hat der Strafkammervorsitzende hier zu Recht das Protokollberichtigungsverfahren nach Eingang einer hierauf bezogenen Revisionsbegründung durch Nachfrage bei der verantwortlichen Protokollführerin eingeleitet; es ist wegen Erinnerungsmangels dieser Urkundsperson nicht weiter durchführbar. Daneben dürfte eine offensichtliche Lückenhaftigkeit des Protokolls, die abweichende Feststellungen im Freibeweisverfahren zuließe, nunmehr lediglich in Fällen krasser Widersprüchlichkeit des Protokollinhalts in sich angenommen werden.
8
Die Grundlage und die Erfolgsaussicht der Verfahrensrüge des Angeklagten sind – vor der Entscheidung des Revisionsgerichts – einem neu geschaffenen Zwischenverfahren unter Beteiligung des Angeklagten überantwortet (vgl. BGH GS aaO S. 316 f. Tz. 61 bis 65). Es kann dabei keinen Un- terschied machen, ob die Position des Angeklagten in diesem Verfahren durch einen die Protokollberichtigung ablehnenden Gerichtsbeschluss oder bereits dadurch bestätigt worden ist, dass – wie hier – schon die weitere Durchführung des Berichtigungsverfahrens wegen fehlender Erinnerung einer Urkundsperson an den im Protokoll vermissten Verfahrensvorgang scheitert. Damit ist für das Revisionsgericht der unveränderte Protokollinhalt grundsätzlich verbindlich. Nur die Gründe einer Berichtigungsentscheidung – nicht aber deren Versagung – unterlägen im Rahmen der erhobenen Verfahrensrüge der Prüfung durch das Revisionsgericht (BGH GS aaO S. 317 Tz. 65). Für eine weitergehende Schmälerung der Position des Angeklagten im Protokollberichtigungsverfahren besteht keine Rechtfertigung (vgl. BVerfG NJW 2009, 1469, 1470, 1472).
9
c) Zwar hat das Landgericht zwei von Verteidigern gestellte Beweisanträge mit Beschlüssen vom 7. August 2008 mit dem Hinweis auf die Einführung der Urkunden, deren Verlesung begehrt worden ist, zurückgewiesen. Dieser Umstand begründet im Fall gescheiterter Protokollberichtigung – wie hier – aber keine offensichtliche Lücke des Protokolls, die das Revisionsgericht berechtigt, im Freibeweisverfahren auf dienstliche Erklärungen der Berufsrichter und Schöffen hinsichtlich des Abschlusses des Selbstleseverfahrens zurückzugreifen (vgl. BGH, Beschluss vom 11. November 2009 – 5 StR 460/08 Tz. 6 m.w.N.). Das Landgericht nimmt in den Beschlüssen nämlich nicht auf ein tatsächliches – indes nicht protokolliertes – Verfahrensgeschehen Bezug, sondern auf seine eigene Wertung, dass das Selbstleseverfahren durchgeführt worden sei. Dies beinhaltet wegen der Zweistufigkeit jenes Verfahrens aber noch keinen Hinweis im Ausmaß der Offensichtlichkeit auch auf den tatsächlich erklärten Abschluss des Selbstleseverfahrens (vgl. auch BGHR StPO § 249 Abs. 2 Selbstleseverfahren 2). Nach alledem war die Revision auch nicht etwa verpflichtet, diese Vorgänge vorzutragen (vgl. BVerfGE 112, 185, 213).
10
4. Auf dem zulässig gerügten Verfahrensverstoß beruht auch das angefochtene Urteil.
11
a) Das Landgericht hat seine Überzeugung auf Urkunden gestützt, die es – schon nach dem Inhalt des Urteils – aufgrund des Selbstleseverfahrens eingeführt hat (vgl. BGH NStZ 2004, 279). So führt das Landgericht zum Fall 2 beweiswürdigend aus: „Die Feststellungen der Kammer zum Verkauf der Grundstücke in Hannover und Ahrensburg und zu der Einbindung des Angeklagten O. in die Finanzierung W. s werden demgegenüber von den glaubhaften Angaben des Zeugen W. , die durch den Inhalt von im Wege der Selbstlesung eingeführten Urkunden bestätigt werden, getragen“ (UA S. 291). „… die Angaben des Zeugen W. werden durch den Inhalt der im Wege der Selbstlesung eingeführten Urkunden bestätigt. Hiernach hat der Zeuge W. den Kreditantrag bei der V. L. erst am 25.10.2004 und damit nach Abschluss des Kaufvertrages unterschrieben“ (UA S. 292). „In Bezug auf den Anlass der Darlehensvereinbarung zwischen W. und dem Angeklagten im Oktober 2005 werden die Angaben W. s durch die Kontostände der GGS und O. s, die über die Selbstlesung der Kontounterlagen zum Gegenstand der Beweisaufnahme gemacht worden sind, bestätigt. Hiernach wurde der Vertrag just in dem Moment abgeschlossen , in dem O. einen unabweisbaren Liquiditätsbedarf hatte“ (UA S. 293).
12
b) Das Landgericht hat ferner Urkunden verwertet, zu denen es beweiswürdigend festgestellt hat, dass diese nicht im Wege des Vorhalts und der Erklärung der vernommenen Person hierzu eingeführt worden sein können (vgl. BGHR StPO § 249 Abs. 1 Verlesung, unterbliebene 1). Hierbei handelt es sich um die Urkunden Nr. 57, 58 und 96 der Urkundenliste Nr. 3, die die Kontenentwicklungen des Mitangeklagten P. und des Grundstückskäufers B. – den Fall 1 betreffend – zum Gegenstand haben. Das Landgericht hat hierzu im Zusammenhang mit einer Täuschungshandlung zum Nachteil B. s ausgeführt: „… Hinsichtlich der tatsächlich erzielten monatlichen Einnahmen aus den erworbenen Grundstücken hat der Angeklagte P. zunächst ohne nähere Erläuterung lediglich pauschal angegeben , diese hätten tatsächlich bei 15.000 € gelegen und dementsprechend die monatliche Belastung aus der Darlehensaufnahme abgedeckt. Auf Vorhalt der Kontounterlagen P. s und B. s, denen zufolge keine entsprechenden Einnahmen erzielt wurden und P. stattdessen monatlich 7.500 €, die aus anderen Quellen stammten, an B. überwies, hat der Angeklagte P. erklärt, hierüber nichts zu wissen. Nach kurzer Überlegung hat er dann ergänzt, er habe hinsichtlich der Mieteinnahmen einfach ‚keine Erinnerung mehr’“ (UA S. 274). „Dafür, dass B. s Irrtum über die Ertragskraft des Grundstücks durch die geschilderten Äußerungen P. s verursacht wurde, spricht auch, dass P. zunächst auch in seiner Einlassung behauptet hat, aus dem Grundstück tatsächliche monatliche Einnahmen in Höhe von 15.000 € erzielt zu haben. Erst auf Vorhalt der entgegenstehenden Kontounterlagen hat der Angeklagte dann wenig überzeugend erklärt, doch keine genaue Erinnerung mehr zu haben. Dafür, dass P. zumindest nach dem Kaufvertragsschluss sehr wohl noch in Erinnerung hatte , den Geschädigten B. mit angeblich zu erzielenden Einnahmen in Höhe von 15.000 € in die Irre geführt zu haben, sprechen vor allem auch seine in der Folge des Vertragsschlusses vorgenommenen monatlichen Überweisungen in Höhe von jeweils 7.500 €, durch die bei B. die Fehlvorstellung erzeugt wurde, alles sei in Ordnung“ (UA S. 286).
13
Gleiches gilt für einen Kreditantrag des Zeugen B. vom 11. November 2004 (Urkunde Nr. 99). Hierzu hat das Landgericht ausgeführt : „Gegen die Glaubhaftigkeit der entscheidenden Angaben B. s sprach auch nicht, dass er nach Unterzeichnung des notariellen Kaufvertrages am 01.11.2004 an der weiteren Durchführung des Kaufvertrages mitwirkte , insbesondere, indem er am 11.11.2004 zu einem Banktermin bei der V. L. erschien, um einen Kreditantrag zu unterzeichnen, und indem er darüber hinaus auch einer späteren Änderung des notariellen Vertrages im Hinblick auf die Übernahme von Grundpfandrechten zustimmte.
Zwar hat der Zeuge B. auf den Vorhalt dieses Verhaltens nach Ansicht der Kammer wenig überzeugend und ausweichend geantwortet. Hinsichtlich seiner Unterschrift bei der Bank hat er ohne weitere Begründung erklärt, seiner Ansicht nach noch keinen verbindlichen Kreditantrag gestellt zu haben. Zur Änderung des notariellen Vertrages hat er monoton geäußert, er habe zugestimmt, um seine Ruhe zu haben“ (UA S. 288).
14
Hinsichtlich der Bewilligung und Valutierung einer Grundschuld über 2 Mio. € hat das Landgericht (UA S. 138, 141 und 184) einen Vermögensnachteil der Kreditgeberin betreffende Wertungen getroffen und hierzu (UA S. 275) beweiswürdigend ausgeführt: „O. s Behauptung, er sei hinsichtlich des P. -Kredites von Beginn an von einer ordnungsgemäßen Sicherung ausgegangen, lässt sich nicht mit den von ihm nicht in Abrede genommenen objektiven Umständen vereinbaren, wonach die Bewilligung der Grundschuld in Höhe von 2 Mio. € auf dem Grundstück Hannover-Ahlem durch die P. (August 2004) erst nach Beginn der Valutierung (Juli 2004) erfolgte, bzw. der Antrag auf Eintragung der Grundschuld sogar erst drei Monate danach gestellt wurde und keine Sicherungszweckerklärung in Bezug auf den P. -Kredit vorlag. Der Angeklagte hat hierzu gar keine Stellung genommen und sich stereotyp darauf zurückgezogen, als Kreditnehmer sei die Besicherung letztlich nicht seine Sache gewesen“. Hieraus folgt, dass weder P. noch der Angeklagte insoweit Erklärungen abgegeben haben.
15
c) Durch den Revisionsvortrag (Schriftsatz des Verteidigers Rechtsanwalt L. S. 183 bis 218) ist ferner bewiesen, dass im Fall 3 die Unterzeichnung eines vorausgefüllten Überweisungsformulars über die volle Kreditsumme in Höhe von 800.000 € durch N. nur durch Verwertung dieser Urkunde belegt sein kann. Die hierzu in der Hauptverhandlung – übereinstimmend nach Revisionsvortrag und Urteil – vernommene Verhörsperson konnte Gegenteiliges nicht bekundet haben, weil N. in jener Vernehmung keine Erinnerung an die Höhe des überwiesenen Betrages hatte. Das Landgericht hat hierzu ausgeführt: „Neben der Unterzeich- nung des Kreditantrags leistete N. auf Geheiß O. am s 14.03.2005 noch eine zweite Unterschrift, die für das Gelingen von O. s Plan von entscheidender Bedeutung war: N. unterschrieb ein vorausgefülltes Überweisungsformular über die volle Kreditsumme in Höhe von 800.000 €, demzufolge die V. L. angewiesen wurde, den Geldbetrag – im Widerspruch zu den im Kaufvertrag vereinbarten Modalitäten – direkt auf das bei der V. L. eingerichtete Konto der A. O. zu transferieren“ (UA S. 198).
16
d) Das Landgericht hat zur Bonität des Angeklagten, der von ihm beherrschten Gesellschaften G. und P. und zur Einkommenssituation des Angeklagten Feststellungen getroffen und hierbei auf den Einkommensteuerbescheid 1998, der einer „näheren Analyse“ unterzogen worden sei (UA S. 114), abgestellt und ferner auf – wie die Revision vorträgt – umfassende Einkommensteuererklärungen (UA S. 136). Die Vermögenslage der Gesellschaften des Angeklagten wird hinsichtlich zahlreicher Einzelheiten „ausweislich“ deren Jahresabschlüsse für die Jahre 2002 und 2003 dargestellt (UA S. 136 f.). Diese komplexen Urkunden sind schon – jenseits des Revisionsvortrags, dass sie niemandem vorgehalten worden seien – für eine Einführung in die Hauptverhandlung durch Erklärung auf einen Vorhalt ungeeignet (vgl. BGHR StPO § 249 Abs. 2 Selbstleseverfahren 2 m.w.N.).
17
e) Das Landgericht hat schließlich auch in seiner Gesamtwürdigung dem Urkundenbeweis einen hohen Wert zugemessen (UA S. 302). Der Senat sieht sich deshalb – im Gegensatz zur Auffassung des Generalbundesanwalts – gehindert, ein Beruhen des Urteils auf – weitgehend dem Urteil selbst zu entnehmenden – Schlüssen aus Urkunden auszuschließen, deren Einführung in die Hauptverhandlung an verfahrensrechtlichen Defiziten krankte (vgl. BGH NJW 2009, 2836, 2837).
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Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Jan. 2010 - 5 StR 169/09

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Jan. 2010 - 5 StR 169/09

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 344 Revisionsbegründung


(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

Strafprozeßordnung - StPO | § 274 Beweiskraft des Protokolls


Die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen den diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt des Protokolls ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.
Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Jan. 2010 - 5 StR 169/09 zitiert 6 §§.

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Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

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Die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen den diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt des Protokolls ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

Strafprozeßordnung - StPO | § 249 Führung des Urkundenbeweises durch Verlesung; Selbstleseverfahren


(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind. (2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen

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(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.

Die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen den diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt des Protokolls ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.

5 StR 460/08

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 11. November 2009
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. November
2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Prof. Dr. König
alsbeisitzendeRichter,
Bundesanwalt
alsVertreterderBundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt P.
alsVerteidiger,
Rechtsanwältin M.
alsVertreterinderNebenklägerin,
Justizangestellte
alsUrkundsbeamtinderGeschäftsstelle,

beschlossen:
Dem Großen Senat für Strafsachen wird gemäß § 132 Abs. 2 GVG folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt: Begründet die fortdauernde Abwesenheit des nach § 247 StPO während einer Zeugenvernehmung entfernten Angeklagten bei der Verhandlung über die Entlassung des Zeugen den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO? G r ü n d e
1
Das Landgericht hat gegen den Angeklagten – unter Freisprechung im Übrigen – wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verhängt und ihn unter Einbeziehung der (in den Urteilsgründen nicht mitgeteilten) Einzelstrafen aus einer rechtskräftigen Verurteilung (zu zwei Jahren und sechs Monaten Gesamtfreiheitsstrafe) zu einer neuen Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der auf eine Verfahrensrüge und auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision.
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1. Der Senat möchte – dem entsprechenden Beschlussantrag des Generalbundesanwalts folgend – das Urteil auf die Sachrüge im Gesamtstrafausspruch wegen fehlender Angabe der Höhe der einbezogenen Einzelstrafen aufheben und die weitergehende Revision verwerfen. Die Verfahrensvoraussetzung eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses sieht er als erfüllt an; bei den unrichtigen Angaben zur eröffneten Anklage in der schriftlichen Fassung handelt es sich, wie die Anhörung der beteiligten Richter eindeutig erweist, um ein Fassungsversehen. Zum Schuld- und Strafausspruch hält das angefochtene Urteil sachlichrechtlicher Prüfung stand. Der Senat hält auch die auf Verletzung des § 247 StPO gestützte Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 5 StPO für unbegründet. So kann der Senat aber nach Durchführung des Anfrageverfahrens nicht ohne Vorlage an den Großen Senat für Strafsachen gemäß § 132 Abs. 2 GVG entscheiden.
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2. Mit der Rüge beanstandet die Revision die fortdauernde Abwesenheit des Angeklagten während der Verhandlung über die Vereidigung und Entlassung der gemäß § 247 Satz 2 StPO in seiner Abwesenheit zeugenschaftlich vernommenen Nebenklägerin. Während die Beanstandung hinsichtlich der Verhandlung über die Vereidigung der kindlichen Zeugin offensichtlich unbegründet ist (BGH bei Holtz MDR 1978, 460; BGHR StPO § 247 Abwesenheit 1; BGHSt 51, 81), gilt dies nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht bezogen auf die Verhandlung über die Entlassung der Zeugin.
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3. Der Senat hält die Rüge für zulässig und das Sachvorbringen der Revision hierzu nach dem Protokoll für erwiesen.
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a) Eine Beanstandung der in fortdauernder Abwesenheit des Angeklagten getroffenen Entlassungsentscheidung des Vorsitzenden nach § 238 Abs. 2 StPO entsprechend dem zunehmend ausgeweiteten Verständnis von dieser Norm als einem einer Revisionsrüge notwendig vorgeschalteten Zwischenrechtsbehelf (Schneider in KK 6. Aufl. § 238 Rdn. 33 ff.; Mosbacher JR 2007, 387) ist von der Rechtsprechung bislang nicht als Voraussetzung für eine Rüge nach § 338 Nr. 5 StPO wegen gesetzwidriger Abwesenheit des Angeklagten bei der Entlassungsverhandlung verlangt worden. Mangelnder Vortrag des Angeklagten hierzu berührt daher – entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts in seinem Beschlussverwerfungsantrag – nicht die Vollständigkeit des Vortrags im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Wollte man die Statthaftigkeit der hier in Frage stehenden Verfahrensrüge von diesem Zwischenrechtsbehelf abhängig machen, wäre ein solches Erfordernis seinerseits im Verfahren nach § 132 GVG zu klären.
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b) Das Protokoll ist zur Frage der Wiederzulassung des Angeklagten zur Hauptverhandlung nach Vernehmung der kindlichen Zeugin nicht etwa derart lückenhaft, dass zur Frage der Abwesenheit des Angeklagten nach Abschluss ihrer Aussage ein etwa zulässiges Freibeweisverfahren (vgl. BGHSt 51, 298, 308, 314) veranlasst wäre, das der Rüge die Grundlage entziehen könnte. Zur Begründung nimmt der Senat auf seinen Anfragebeschluss in dieser Sache vom 10. März 2009 (StV 2009, 342 m. Anm. Eisenberg ) Bezug.
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4. In Abkehr von bisheriger Rechtsprechung (BGHR StPO § 247 Abwesenheit 1, 14, 15; § 338 Nr. 5 Angeklagter 23; BGH NStZ 2007, 352) rechnet der Senat die Verhandlung über die Entlassung eines nach § 247 StPO in Abwesenheit des Angeklagten vernommenen Zeugen zu dessen Vernehmung. Er sieht demnach die Abwesenheit des Angeklagten von diesem Verfahrensabschnitt als von § 247 StPO gedeckt und nicht den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO begründend an.
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a) Wortlaut und Wortsinn des § 247 StPO erlauben es und legen es sogar nahe, unter „Vernehmung“ eines Zeugen nicht nur dessen Aussage und Befragung zu verstehen, sondern auch die damit eng und unmittelbar zusammenhängenden Verfahrensvorgänge seines Aufrufs (vgl. § 243 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 StPO), seiner Belehrung (§§ 57, 52 Abs. 3 Satz 1 StPO), seiner (etwaigen) Vereidigung, eingeschlossen eine Entscheidung hierüber, und seiner Entlassung (§ 248 StPO) dazu zu rechnen. Entsprechend ist der Begriff der „Vernehmung“ in der Vorschrift des § 58a Abs. 1 Satz 1 StPO über die Vernehmungsaufzeichnung (vgl. Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. § 58a Rdn. 4) und namentlich in Vorschriften zur Anwesenheit bei Vernehmungen zu verstehen, so zur Beiordnung eines anwaltlichen Beistands „für die Dauer der Vernehmung“ in § 68b Abs. 1 Satz 1 StPO (vgl. Meyer-Goßner aaO § 68b Rdn. 5) und gleichermaßen zu den Anwesenheitsrechten bei richterlichen Vernehmungen in § 168c StPO. In § 251 Abs. 4 Satz 3 StPO wird die Vereidigung des Zeugen ersichtlich der „Vernehmung“ zugeordnet.
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Soweit § 59 Abs. 2 Satz 1 StPO (entsprechend § 79 Abs. 2 StPO) die (eigentliche) Vernehmung und die Vereidigung des Zeugen voneinander trennt, ergibt sich hieraus (entgegen BGHSt 26, 218, 219) nichts anderes. Die Formulierung erklärt sich aus dem spezifischen Regelungsgegenstand über die Abfolge im Sinne des Nacheides. Ähnliches gilt für die Vorschriften über die (anfängliche) Zeugenbelehrung (§ 52 Abs. 3 Satz 1, § 57 Satz 1 StPO), die – wie auch die Bestimmungen über die (abschließende) Zeugenentlassung (§ 248 StPO) – die sachliche Abfolge während einer Vernehmung verdeutlichen. Eine einengende Begriffsdefinition kann daraus nicht abgeleitet werden.
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Nach diesem Verständnis des Vernehmungsbegriffs kann das nicht seltene, namentlich in Fällen des § 247 Satz 2 StPO erstrebenswerte Ziel ohne weiteres erreicht werden, jegliche Begegnung des zu schützenden Zeugen mit dem entfernten Angeklagten zu vermeiden. Im Übrigen erwähnt § 247 Satz 4 StPO über die Unterrichtungspflicht betreffend die Zeugenaussage hinaus eine sonstige Verhandlung in – vorausgesetzt ordnungsgemäßer – Abwesenheit.
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b) Eine Abwesenheit des Angeklagten bei den vor der Zeugenaussage und -befragung erfolgenden Verfahrensvorgängen des Zeugenaufrufs und der Zeugenbelehrung wird – durch den Bundesgerichtshof soweit ersichtlich bislang unbeanstandet – häufig praktiziert. Abweichend beurteilt die bisherige Rechtsprechung hingegen die der Aussage und Befragung nachfolgenden Verfahrensvorgänge der Vereidigung und Entlassung des Zeugen. Mit diesem – partiell – engen Verständnis, die letztgenannten Vorgänge vom Vernehmungsbegriff des § 247 StPO auszunehmen, erstreckt sie den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO – ungeachtet der selbstverständlichen Fälle einer formal mangelhaften Entfernung des Angeklagten oder eines sachlich unzulänglich oder unvertretbar begründeten Entfernungsbeschlusses nach § 247 StPO – im Interesse einer Teilhabe des Angeklagten an wesentlichen Verfahrensabläufen auf dessen fortdauernde Entfernung von den Verfahrensvorgängen der Vereidigung oder Nichtvereidigung des Zeugen sowie seiner Entlassung. Hinsichtlich der Vereidigung, der nach Abschaffung der Regelvereidigung freilich nur mehr untergeordnete Bedeutung zukommen dürfte (vgl. BGHSt 51, 81), wurde dem Angeklagten zur Wahrung der Chance auf Beeinflussung der Vereidigungsentscheidung durch vorherige Anhörung bei fortdauernder Abwesenheit von der Verhandlung über die Vereidigung der absolute Revisionsgrund zugebilligt (vgl. BGHSt 26, 218, 220; vgl. zur Vermeidung der Konfrontation bei Nichtvereidigung BGH NJW 2004, 1187; insoweit in BGHSt 49, 25 nicht abgedruckt). Für den – fraglos wesentlichen – Vorgang der erfolgten Vereidigung musste sich die Rechtsprechung in Fällen unerlässlichen Getrennthaltens des Angeklagten von dem zu vereidigenden Zeugen allerdings mit einer vorgeblich erweiternden Auslegung des § 247 StPO behelfen (vgl. BGHSt 37, 48, 49 f.; BGH NStZ 1985, 136; vgl. auch Meyer-Goßner in Festschrift für Pfeiffer 1988 S. 311, 322). Bezüglich der Entlassung konnte der eigentliche Entlassungsvorgang demgegenüber als unwesentlicher Teil der Hauptverhandlung gewertet werden, so dass insoweit für eine etwa gebotene ausnahmslose Trennung keine Probleme entstanden (vgl. BGH NJW 2004, 1187, insoweit in BGHSt 49, 25 nicht abgedruckt

).


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Nicht zur Vernehmung im Sinne des § 247 StPO gerechnet, indes grundsätzlich (vgl. aber BGHR StPO § 247 Abwesenheit 18, 20, 23) als wesentlicher Teil der Hauptverhandlung gewertet wird bislang die Verhandlung über die Entlassung des Zeugen (vgl. BGHR StPO § 247 Abwesenheit 1; BGH NJW 1986, 267; vgl. auch BGH NStZ 2000, 440; BGH, Beschlüsse vom 10. August 1995 – 5 StR 272/95 und vom 15. Dezember 1999 – 1 StR 614/99; zur Vermeidung persönlicher Konfrontation insoweit BGHSt 22, 289, 296 f.). So wird die Chance des Angeklagten zu effektiver Einflussnahme auf die Befragung des Zeugen, sei es durch Wahrnehmung seines eigenen Fragerechts, sei es durch den Verteidiger, wenn dieser nach Unterrichtung gemäß § 247 Satz 4 StPO von seinem Mandanten detaillierter informiert worden ist, mit dem absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO abgesichert. Er soll zur Anwendung kommen, wenn der Zeuge bereits vor Wiederzulassung und Information des Angeklagten entlassen worden ist (vgl. BGHR StPO § 247 Abwesenheit 1 und 15).
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c) Der Senat hält die Rechtsprechung zur Erstreckung des absoluten Revisionsgrundes in den genannten Fällen, hier bezogen auf den Fall der fortdauernden Abwesenheit des Angeklagten während der Verhandlung über die Entlassung des Zeugen, nicht für überzeugend und möchte sie ändern. In seinem Anfragebeschluss hat er hierfür eine noch etwas weitergehende Lösung gefunden (im Anschluss an Basdorf in Festschrift für Salger 1995 S. 203). Er hat sich für ein Verständnis vom Begriff der Vernehmung ausgesprochen , wie er nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei Rügen nach § 338 Nr. 6 StPO anerkannt ist, mit denen ein zu weit gehender Ausschluss der Öffentlichkeit beanstandet wird, der gemäß § 171a bis § 172 GVG für die Dauer einer Vernehmung erfolgt war. Danach wird „die Vernehmung“ im Sinne des entsprechenden Verfahrensabschnitts verstanden ; hierzu rechnen alle Verfahrensvorgänge, die mit der eigentlichen Vernehmung eng in Zusammenhang stehen oder sich aus ihr entwickeln (BGH NJW 1996, 2663, insoweit in BGHSt 42, 158 nicht abgedruckt; BGH NJW 2003, 2761, insoweit in BGHSt 48, 268 nicht abgedruckt; BGH, Beschluss vom 20. Juli 2004 – 4 StR 254/04).
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Diese Auffassung, welcher der Senat – ungeachtet unterschiedlicher Wertigkeit von Angeklagten- und Öffentlichkeitspräsenz und abweichenden Wortlauts der Ausschließungsnormen – unverändert zuneigt, erfasst über den weiter verstandenen Vernehmungsbegriff (oben 4. a) hinaus vor allem auch andere Beweiserhebungen, namentlich Urkundenverlesungen oder Augenscheinseinnahmen , die in engem inhaltlichen Zusammenhang mit der Zeugenvernehmung stehen und sich – wie bei der Vorlage von Schriftstücken oder sonstigen Beweismitteln durch den Zeugen zur Untermauerung seiner Aussage – oftmals unmittelbar daraus ergeben. Die bisherige Rechtsprechung gestattet solche Beweiserhebungen ohne weiteres unter fortdau- erndem Ausschluss der Öffentlichkeit von der Vernehmung (BGHR GVG § 171b Abs. 1 Augenschein 1), nicht indes in Abwesenheit des während der Vernehmung entfernten Angeklagten (BGHR StPO § 247 Abwesenheit 4, 5, 25; § 338 Nr. 5 Angeklagter 3; weitere Nachweise im Anfragebeschluss; vgl. zur Durchbrechung im Sonderfall des Augenscheins am Körper des Zeugen BGHR StPO § 247 Abwesenheit 30).
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Im Übrigen hat die Rechtsprechung unsystematisch und eher beiläufig eine Gleichbehandlung der Angeklagtenabwesenheit mit dem Öffentlichkeitsausschluss bereits für Fälle gebilligt, in denen die Verhandlung über den Ausschluss der Öffentlichkeit in Abwesenheit des Angeklagten erfolgte (BGHR StPO § 247 Abwesenheit 11; insoweit nicht abgedruckt in BGHSt 39, 326; BGH NJW 1979, 276; vgl. auch BGHR StPO § 247 Abwesenheit 12, 13). Für seine Überzeugung, dass der Angeklagte gegen Informationsdefizite auch im Bereich anderweitiger Beweiserhebungen über einen relativen Revisionsgrund ausreichend geschützt ist, verweist der Senat auf seine Anfragebeschlüsse vom 10. März 2009 in dieser Sache und im Parallelverfahren 5 StR 530/08 (StV 2009, 226; vgl. zur Heilung bei Augenscheinseinnahme in Abwesenheit des Angeklagten das Senatsurteil vom heutigen Tage im Parallelverfahren ; zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt).
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5. Für den vorliegenden Fall der Abwesenheit des Angeklagten bei der Entlassungsverhandlung geht der Senat insoweit lediglich von einer etwas engeren Auslegung des Vernehmungsbegriffs, als von ihm noch dem Anfragebeschluss zugrunde gelegt, aus (oben 4. a). Auch dementsprechend zu judizieren, ist der Senat indes nach dem Ergebnis des Anfrageverfahrens gehindert. Lediglich der 1. Strafsenat hat seine Auffassung aufgegeben, wohingegen der 2., 3. und 4. Strafsenat an ihrer Rechtsprechung zur Anwendung des absoluten Revisionsgrundes des § 338 Nr. 5 StPO bei Abwesenheit des Angeklagten von der Entlassungsverhandlung nach Abwesenheitsvernehmung gemäß § 247 StPO festhalten.
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a) Der Senat sieht durch die Abwesenheit des Angeklagten von der Verhandlung über die Entlassung der gemäß § 247 StPO in seiner Abwesenheit vernommenen Zeugin den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO nicht als erfüllt an, da die Abwesenheit weiterhin von § 247 StPO gedeckt war. Die Voraussetzungen für einen in dieser Fallkonstellation möglichen relativen Revisionsgrund wegen Verletzung des Fragerechts des Angeklagten sind vorliegend nicht gegeben.
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Mit Rücksicht auf eine effektive Wahrung des Fragerechts des Angeklagten ist es allerdings – unabhängig von der Frage der Weite des Vernehmungsbegriffs in § 247 StPO – verfahrensfehlerhaft, wenn der Vorsitzende, wie hier, den Angeklagten erst nach Entlassung der in seiner Abwesenheit vernommenen Zeugin über den Inhalt ihrer Aussage unterrichtet. Gleichwohl erscheint es nicht gerechtfertigt, eine durch solches Vorgehen möglicherweise verursachte Beeinträchtigung des Fragerechts des Angeklagten von vornherein durch Eingreifen des absoluten Revisionsgrundes des § 338 Nr. 5 StPO zu schützen.
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Durch dieses Verständnis der einschlägigen Vorschriften wird in der Sache das Verteidigungsrecht des Angeklagten nicht beeinträchtigt. Nicht die Teilnahmemöglichkeit an dem Formalakt der Entlassungsentscheidung (§ 248 Satz 2 StPO) ist hierfür wesentlich. Es ist vielmehr geboten, dem Angeklagten einen weitestgehenden verfahrensrechtlichen Ausgleich seiner durch die Abwesenheit entstandenen Informationslücke hinsichtlich des durch die Zeugenvernehmung hinzugetretenen Verfahrensstoffes zu verschaffen. Dies erfordert eine frühestmögliche Unterrichtung im Sinne des § 247 Satz 4 StPO und die Einräumung der Möglichkeit, das eigene Fragerecht oder das des Verteidigers nachholen zu können. Diese Rechte des Angeklagten sind mit Hilfe relativer Revisionsgründe abzusichern. Danach entfällt jedes Bedürfnis, unter Annahme eines absoluten Revisionsgrundes wegen Nichtmitwirkung an einem effektivem Verteidigungshandeln lediglich vorgelagerten Formalakt ein ansonsten fehlerfreies Urteil aufheben zu müssen.
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aa) So ist es zunächst auch Aufgabe des Verteidigers – der in einschlägigen Fällen stets amtieren wird (vgl. § 140 Abs. 2 StPO) –, solch verspäteter Unterrichtung des Angeklagten beizeiten entgegenzutreten. Er ist gehalten, auf eine effektive Wahrnehmbarkeit des eigenen Fragerechts seines Mandanten in dessen Interesse zu achten. Nicht selten wird er überdies an einer Unterrichtung des Angeklagten auch deswegen interessiert sein, weil er hierdurch intern eine Reaktion seines Mandanten herbeiführen kann, um gegebenenfalls weitere eigene Fragen an den Zeugen zu richten.
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Vor diesem Hintergrund wird sich der Verteidiger veranlasst sehen, eine wegen Vernachlässigung des Fragerechts sachwidrig verfrühte Entlassungsanordnung des Vorsitzenden nach § 238 Abs. 2 StPO zu beanstanden und so die Grundlage für eine Unterrichtung des Angeklagten vor der Entlassung des Zeugen zu schaffen. Dieser Interessenlage entspringt ersichtlich auch der – durchaus neue – Ansatz des Generalbundesanwalts, in Fällen der vorliegenden Art die Revisibilität des gerügten, auf die vorzeitige Zeugenentlassung bezogenen Vorsitzendenverhaltens von einem bereits in der Hauptverhandlung erhobenen entsprechenden Einwand abhängig zu machen.
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bb) Will der Angeklagte den in seiner Abwesenheit vernommenen Zeugen nach Unterrichtung über den Inhalt seiner Aussage selbst befragen, so ist ihm das zu gestatten. Gleiches gilt für Fragen des in dieser Situation durch seinen Mandanten ergänzend informierten Verteidigers. Ist der Zeuge sachwidrig zuvor entlassen worden, so ist er vom Gericht zu der durch die verfrühte Entlassung vereitelten ergänzenden Befragung – die notfalls zur gebotenen Schonung des Zeugen wieder in vorübergehender Abwesenheit des nach § 247 StPO zu entfernenden Angeklagten erfolgen darf – alsbald erneut vorzuladen. Die ohne Rücksicht auf das Fragerecht des Angeklagten erfolgte verfahrensfehlerhafte vorzeitige Entlassung des Zeugen hindert das Gericht, den Angeklagten auf den Weg des Beweis- oder Beweisermittlungsantrags zu verweisen, wenn er eine erneute Vorladung des Zeugen durchzusetzen wünscht. Solches entspräche nur nach ordnungsgemäßer Entlassung des Zeugen erst nach Unterrichtung des Angeklagten dem Verfahrensrecht (vgl. Fischer in KK 6. Aufl. § 244 Rdn. 70; BGHR StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag 16; § 244 Abs. 2 Aussageentstehung 1; BGH NJW 1986, 267; vgl. auch BGHR StPO § 248 Entlassung 1).
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cc) Zwar weisen die Antwortbeschlüsse des 2. und 3. Strafsenats zutreffend auf damit zusammenhängende, denkbare Verfahrenserschwernisse hin. Jedoch geht es dem Senat nicht darum, eine vorzeitige Zeugenentlassung zum Standard zu machen, sondern um die Art der Fehlerkorrektur. Die vom Senat befürwortete Eröffnung einer effektiven Heilungsmöglichkeit in Bezug auf das beeinträchtigte Fragerecht des unzulänglich informierten Angeklagten auf dessen Verlangen bietet dabei einen sachgerechten und hinreichenden Ausgleich für das erlittene Verfahrensdefizit. Sie ist im Lichte der Gebote eines wirksamen Zeugen- und Opferschutzes sowie der zügigen Verfahrensförderung allemal vorzugswürdig gegenüber einer uneingeschränkten Aufhebung des Urteils wegen des absoluten Revisionsgrundes, für den eine konkrete Beeinträchtigung des Fragerechts nicht einmal dargetan sein muss.
24
Allein diese Verfahrensweise steht im Übrigen im Einklang mit der Rechtsprechung, die bei einem ausdrücklichen Verzicht des Angeklagten auf eine weitere Zeugenbefragung keinen wesentlichen Verfahrensvorgang in der Verhandlung über die Entlassung des Zeugen sieht (vgl. BGHR StPO § 247 Abwesenheit 18, 20, 23). Konsequent sollte diese – für das vom Senat für zutreffend erachtete Ergebnis als Begründung gleichfalls tragfähige – Auffassung aber generell für die Entlassungsverhandlung gelten und nicht nur für jenen Ausnahmefall, in dem dann freilich auch der relative Revisionsgrund von vornherein abgeschnitten wäre.
25
b) In den relevanten Fällen kann mithin im Revisionsverfahren erfolgreich gerügt werden, dass das Fragerecht des Angeklagten (oder seines Verteidigers ) durch Verweigerung der erneuten Vorladung eines während der Abwesenheit des Angeklagten vernommenen Zeugen, über dessen Aussage er erst nach dessen Entlassung unterrichtet wurde, verletzt worden ist, weil dem Angeklagten eine bestimmte zulässige Frage versagt wurde und das Urteil auf diesem Verstoß beruht. Im Falle der Heilung der verfrühten Entlassung durch nochmalige Vorladung des Zeugen wird allerdings nicht allein die Verhinderung sofortiger Befragung mit der Revision beanstandet werden können (vgl. Eisenberg StV 2009, 344, 345); Verzögerungsmomente können auch bei vollständig verfahrensfehlerfreiem Verhandlungsablauf ohne weiteres eintreten. Freilich wird, jedenfalls sofern die Verhinderung einer zulässigen Frage belegt werden kann, auch gerügt werden können, dass das Gericht die berechtigte Beanstandung des Verteidigers zurückgewiesen hat, der Zeuge möge nicht vor Unterrichtung des Angeklagten entlassen werden.
26
Bei einer solchen Verfahrensweise wird auch das Gewicht der durch die betreffenden Maßnahmen jeweils berührten Rechte des Angeklagten in ausgewogener Weise berücksichtigt. Der Gesetzgeber hat die grundlegende Beschneidung des Anwesenheitsrechts des Angeklagten mit § 247 StPO in weitem Maße dem tatgerichtlichen Ermessen überantwortet (BGHSt 22, 18, 20 f.; BGHR StPO § 247 Satz 2 Begründungserfordernis 1 und 2). Hierdurch bleibt der Angeklagte oftmals von den ganz entscheidenden, ihn belastenden Passagen der Hauptverhandlung ausgeschlossen (Basdorf in Festschrift für Salger 1995 S. 203, 206). Eine unzulängliche Unterrichtung des Angeklagten ist nur unter außerordentlich engen Voraussetzungen, insbesondere bezogen auf inhaltliche Mängel, über einen relativen Revisionsgrund zu beanstanden (vgl. BGHR StPO § 247 Satz 4 Unterrichtung 8; Meyer-Goßner aaO § 247 Rdn. 15 bis 17, 22; Diemer in KK 6. Aufl. § 247 Rdn. 16c). Nicht einmal die das Informationsrecht des Angeklagten besser gewährleistende Videoübertragung der Verfahrensvorgänge während seiner Abwesenheit (vgl.
BGHSt 51, 180) soll über einen relativen Revisionsgrund durchsetzbar sein (vgl. BGH NStZ 2009, 582).
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c) Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht angemessen, die Position des (lediglich) verspätet unterrichteten Angeklagten gemäß der bisherigen Rechtsprechung durch den absoluten Revisionsgrund ohne Rücksicht darauf zu verstärken, ob er von seinem Fragerecht überhaupt Gebrauch machen wollte. Eine Reduktion des absoluten Revisionsgrundes durch eine sachgerechte Auslegung des Begriffs der Vernehmung in § 247 StPO, wie sie der Senat für angezeigt hält (vgl. zu entsprechender Tendenz schon BGHR StPO § 247 Abwesenheit 14, 20), würde dieses Missverhältnis beseitigen.
Basdorf Brause Schaal Schneider König

(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.