Bundesgerichtshof Beschluss, 15. März 2006 - IV ZR 182/05

bei uns veröffentlicht am15.03.2006
vorgehend
Landgericht Trier, 11 O 428/97, 09.03.2004
Oberlandesgericht Koblenz, 10 U 440/04, 08.07.2005

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV ZR 182/05
vom
15. März 2006
in dem Rechtsstreit
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno und die Richter Dr. Schlichting, Seiffert, Wendt
und Dr. Franke
am 15. März 2006

beschlossen:
Auf die Beschwerde des Klägers wird die Revision gegen das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 8. Juli 2005 zugelassen.
Das vorbezeichnete Urteil wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: 36.959,65 €

Gründe:


1
I. 1. Der Kläger begehrt von der Beklagten Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung. Er ist der Auffassung, wegen ver- schiedener gesundheitlicher Beeinträchtigungen liege bei ihm eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit von mindestens 50% vor.
2
Das a) Landgericht hat dazu durch Einholung mehrerer schriftlicher Sachverständigengutachten Beweis erhoben. Schriftliche Gutachten haben der Orthopäde Prof. Dr. S. , der Neurologe Prof. Dr. K. (unter Einschluss eines neurophysiologischen Zusatzgutachtens) sowie der Neurochirurg Prof. Dr. E. erstattet. Sämtliche Gutachten kamen zu dem Ergebnis, beim Kläger liege bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit nicht vor. Bei dieser Beurteilung blieben die Sachverständigen auch in vom Landgericht auf entsprechende Einwände des Klägers eingeholten ergänzenden schriftlichen Stellungnahmen. Der Kläger beantragte , die Sachverständigen zu laden, damit sie in der mündlichen Verhandlung von ihm befragt werden könnten. Ferner lehnte er den Sachverständigen Prof. Dr. S. wegen Besorgnis der Befangenheit ab, blieb damit jedoch erfolglos. Auf seine Anregung hin wurde vom Landgericht ergänzend ein berufs- bzw. arbeitsmedizinisches Gutachten des Dr. K. eingeholt, das ebenfalls zu einer sicher unter 50% liegenden Berufsunfähigkeit gelangte. Das Landgericht wies die Klage daraufhin als unbegründet ab, ohne die Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung persönlich anzuhören. Der Kläger habe nicht bewiesen, dass er in dem von ihm ausgeübten Beruf zu mindestens 50% berufsunfähig sei.
3
b) Gegen dieses Urteil legte der Kläger Berufung ein und beanstandete insbesondere, das Landgericht habe entgegen seinen Anträgen die Sachverständigen nicht zur mündlichen Verhandlung geladen, so dass er sie zu ihrem Gutachten nicht habe befragen können. Nach Be- weisaufnahme durch Anhörung des arbeitsmedizinischen Sachverständigen Dr. K. hat das Berufungsgericht das Rechtsmittel zurückgewiesen , da der Eintritt bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit nicht bewiesen sei. Dies habe auch der Sachverständige Dr. K. in seinem schriftlichen Gutachten sowie in seiner Anhörung vor dem Senat in Übereinstimmung mit den anderen Gutachten bestätigt. Konkrete Anhaltspunkte , die Anlass geben könnten, an der Richtigkeit der anderen Gutachten zu zweifeln, sei nicht vorhanden.
4
2. Mit seiner Beschwerde beanstandet der Kläger unter anderem die unterbliebene Anhörung der Sachverständigen Prof. Dr. S. , Prof. Dr. K. sowie Prof. Dr. E. und rügt insoweit die Verletzung seines Grundrechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Mit den Anträgen auf Anhörung der Sachverständigen habe er jeweils konkrete Fragen an diese verbunden. Zwar habe das Landgericht , statt diesen Anträgen nachzugehen, ein berufs- und arbeitsmedizinisches Gutachten von Dr. K. eingeholt. Damit habe sich jedoch allenfalls sein Antrag auf Vernehmung von Prof. Dr. K. erledigt, weil das arbeitsmedizinische Gutachten dem Gericht die Kenntnisse vermitteln sollte, die Prof. Dr. K. nicht hatte. Für alle anderen Anhörungsanträge gelte dies nicht. Da der Kläger in der Berufungsinstanz das Übergehen seiner Anhörungsanträge gerügt und diese allesamt wiederholt habe, hätte das Berufungsgericht ihnen auch nachgehen müssen. Entscheidungserheblich sei insbesondere der Antrag auf Anhörung des orthopädischen Gutachters Prof. Dr. S. gewesen.

5
II. Die zulässige Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist begründet. Mit Erfolg macht die Nichtzulassungsbeschwerde geltend , dass das Berufungsgericht verfahrensfehlerhaft von einer mündlichen Anhörung von Sachverständigen abgesehen hat. Es hat damit den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt.
6
1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es für die Frage, ob die Ladung eines Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung des von ihm erstatteten Gutachtens geboten ist, nicht darauf an, ob das Gericht noch Erläuterungsbedarf sieht oder ob gar zu erwarten ist, dass der Gutachter seine Auffassung ändert. Die Parteien haben zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs nach §§ 397, 402 ZPO einen Anspruch darauf, dass sie dem Sachverständigen die Fragen, die sie zur Aufklärung der Sache für erforderlich halten, in mündlichen Anhörung stellen können. Dieses Antragsrecht der Parteien besteht unabhängig von § 411 Abs. 3 ZPO (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Mai 2005 - VI ZR 245/04 - VersR 2005, 1555 unter 2 a m.w.N.; BGHZ 6, 398, 400 f.; 24, 9, 14 und ständig). Hat das Landgericht einem rechtzeitig gestellten Antrag auf Ladung eines Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung nicht entsprochen, so muss das Berufungsgericht dem im zweiten Rechtszug wiederholten Antrag stattgeben (BGH, Urteil vom 24 Oktober 1995 - VI ZR 13/95 - VersR 1996, 211 f.). Dabei kann von der Partei, die einen Antrag auf Ladung des Sachverständigen stellt, nicht verlangt werden, dass sie die Fragen, die sie an den Sachverständigen zu richten beabsichtigt, im Voraus konkret formuliert. Es genügt, wenn sie allgemein angibt, in welcher Richtung sie durch ihre Fragen eine weitere Aufklärung herbeizuführen wünscht (BGHZ 24, 9, 14).

7
2. Danach begegnet es schon in Bezug auf den orthopädischen Sachverständigen Prof. Dr. S. durchgreifenden rechtlichen Bedenken , dass das Berufungsgericht von dessen persönlicher Anhörung in der mündlichen Verhandlung abgesehen hat.
8
Der Kläger hatte im ersten Rechtszug rechtzeitig die Ladung des Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens vom 13. September 1999 beantragt; dieser Antrag war auch nach Eingang der ergänzenden Stellungnahme dieses Sachverständigen vom 21. Februar 2000 nicht schon dadurch erledigt, dass der Kläger diesen Sachverständigen in der Zwischenzeit wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt hatte. Da also schon das Landgericht den Sachverständigen hätte laden müssen, das Verfahren in erster Instanz mithin fehlerhaft war, war das Berufungsgericht an die Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil nicht gebunden und hätte seinerseits den Sachverständigen laden müssen. Gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO hätte es die aufgrund des Gutachtens getroffenen Feststellungen seiner Entscheidung nicht zu Grunde legen dürfen. Der Auffassung der Beschwerdeerwiderung, nach - wenn auch erfolgloser - Ablehnung des Sachverständigen Prof. Dr. S. durch den Kläger habe das Berufungsgericht nicht mehr davon ausgehen müssen, dass er die ihm obliegende Beweisführung weiterhin auf ein Gutachten dieses Sachverständigen habe stützen wollen, kann nicht gefolgt werden. Zwar kann in einem bestimmten Prozessverhalten einer Partei nach den Umständen des Falles auch eine stillschweigende Erklärung gesehen werden, sich - nunmehr - in Bezug auf ein Sachverständigengutachten mit einer schriftlichen Erläuterung zufrieden geben zu wollen (vgl. BGH, Urteil vom 24. Oktober 1995 aaO). Im vorliegenden Fall hatte der Kläger jedoch im Berufungsrechtszug hatte der Kläger jedoch im Berufungsrechtszug nicht nur die unterbliebene Anhörung des Sachverständigen im ersten Rechtszug gerügt, sondern seine dahingehenden Anträge ausdrücklich wiederholt. Da das Gutachten wegen der erfolglos gebliebenen Ablehnung des Sachverständigen auch Grundlage für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit des Klägers geblieben war, musste diesem um so mehr daran gelegen sein, das für ihn ungünstige Ergebnis des Gutachtens durch eine Anhörung des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung zu erschüttern.
9
3. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Klärung zu einer anderen Beurteilung des Falles gekommen wäre, war das Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dieses wird bei der neuen Verhandlung und Entscheidung unter Berücksichtigung der Ausführungen des Sach- verständigen Prof. Dr. S. erwägen müssen, ob ergänzend auch eine persönliche Anhörung der Sachverständigen Prof. Dr. K. und Prof. Dr. E. geboten ist.
Terno Dr. Schlichting Wendt
Felsch Dr. Franke
Vorinstanzen:
LG Trier, Entscheidung vom 09.03.2004 - 11 O 428/97 -
OLG Koblenz, Entscheidung vom 08.07.2005 - 10 U 440/04 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 15. März 2006 - IV ZR 182/05

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 15. März 2006 - IV ZR 182/05

Referenzen - Gesetze

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Zivilprozessordnung - ZPO | § 544 Nichtzulassungsbeschwerde


(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde). (2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn1.der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Eur

Zivilprozessordnung - ZPO | § 411 Schriftliches Gutachten


(1) Wird schriftliche Begutachtung angeordnet, setzt das Gericht dem Sachverständigen eine Frist, innerhalb derer er das von ihm unterschriebene Gutachten zu übermitteln hat. (2) Versäumt ein zur Erstattung des Gutachtens verpflichteter Sachverst

Zivilprozessordnung - ZPO | § 402 Anwendbarkeit der Vorschriften für Zeugen


Für den Beweis durch Sachverständige gelten die Vorschriften über den Beweis durch Zeugen entsprechend, insoweit nicht in den nachfolgenden Paragraphen abweichende Vorschriften enthalten sind.
Bundesgerichtshof Beschluss, 15. März 2006 - IV ZR 182/05 zitiert 6 §§.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

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(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde). (2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn1.der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Eur

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(1) Wird schriftliche Begutachtung angeordnet, setzt das Gericht dem Sachverständigen eine Frist, innerhalb derer er das von ihm unterschriebene Gutachten zu übermitteln hat. (2) Versäumt ein zur Erstattung des Gutachtens verpflichteter Sachverst

Zivilprozessordnung - ZPO | § 402 Anwendbarkeit der Vorschriften für Zeugen


Für den Beweis durch Sachverständige gelten die Vorschriften über den Beweis durch Zeugen entsprechend, insoweit nicht in den nachfolgenden Paragraphen abweichende Vorschriften enthalten sind.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 397 Fragerecht der Parteien


(1) Die Parteien sind berechtigt, dem Zeugen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache oder der Verhältnisse des Zeugen für dienlich erachten. (2) Der Vorsitzende kann den Parteien gestatten und hat ihren Anwälten auf

Referenzen - Urteile

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(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).

(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn

1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder
2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.

(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.

(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.

(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.

(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.

(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.

(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.

(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Die Parteien sind berechtigt, dem Zeugen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache oder der Verhältnisse des Zeugen für dienlich erachten.

(2) Der Vorsitzende kann den Parteien gestatten und hat ihren Anwälten auf Verlangen zu gestatten, an den Zeugen unmittelbar Fragen zu richten.

(3) Zweifel über die Zulässigkeit einer Frage entscheidet das Gericht.

Für den Beweis durch Sachverständige gelten die Vorschriften über den Beweis durch Zeugen entsprechend, insoweit nicht in den nachfolgenden Paragraphen abweichende Vorschriften enthalten sind.

(1) Wird schriftliche Begutachtung angeordnet, setzt das Gericht dem Sachverständigen eine Frist, innerhalb derer er das von ihm unterschriebene Gutachten zu übermitteln hat.

(2) Versäumt ein zur Erstattung des Gutachtens verpflichteter Sachverständiger die Frist, so soll gegen ihn ein Ordnungsgeld festgesetzt werden. Das Ordnungsgeld muss vorher unter Setzung einer Nachfrist angedroht werden. Im Falle wiederholter Fristversäumnis kann das Ordnungsgeld in der gleichen Weise noch einmal festgesetzt werden. Das einzelne Ordnungsgeld darf 3 000 Euro nicht übersteigen. § 409 Abs. 2 gilt entsprechend.

(3) Das Gericht kann das Erscheinen des Sachverständigen anordnen, damit er das schriftliche Gutachten erläutere. Das Gericht kann auch eine schriftliche Erläuterung oder Ergänzung des Gutachtens anordnen.

(4) Die Parteien haben dem Gericht innerhalb eines angemessenen Zeitraums ihre Einwendungen gegen das Gutachten, die Begutachtung betreffende Anträge und Ergänzungsfragen zu dem schriftlichen Gutachten mitzuteilen. Das Gericht kann ihnen hierfür eine Frist setzen; § 296 Abs. 1, 4 gilt entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZR 245/04
vom
10. Mai 2005
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Hat das Erstgericht dem rechtzeitig gestellten Antrag einer Partei auf erstmalige
mündliche Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen nicht entsprochen, kann die
Bindung des Berufungsgerichts an die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten
Tatsachen entfallen. Ist dies der Fall, muß das Berufungsgericht dem in zweiter
Instanz wiederholten Antrag auf Ladung des Sachverständigen stattgeben.
BGH, Beschluß vom 10. Mai 2005 - VI ZR 245/04 - OLG Saarbrücken
LG Saarbrücken
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Mai 2005 durch die Vorsitzende
Richterin Dr. Müller und die Richter Dr. Greiner, Wellner, Pauge und
Stöhr

beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 28. Juli 2004 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gegenstandswert: 40.903,35 €

Gründe:


1. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Die angefochtene Entscheidung verletzt den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG. Einer Zulassung der Revision bedarf es nicht (vgl. BGH, Beschluß vom 5. April 2005 - VIII ZR 160/04 - zur Veröffentlichung bestimmt).
2. Mit Erfolg macht die Nichtzulassungsbeschwerde geltend, daß das Berufungsgericht verfahrensfehlerhaft von einer mündlichen Befragung der gerichtlichen Sachverständigen abgesehen hat.
a) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kommt es für die Frage , ob die Ladung eines Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung des von ihm erstatteten Gutachtens geboten ist, nicht darauf an, ob das Gericht noch Erläuterungsbedarf sieht oder ob gar zu erwarten ist, daß der Gutachter seine Auffassung ändert. Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats hat die Partei zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs nach §§ 397, 402 ZPO einen Anspruch darauf, daß sie dem Sachverständigen die Fragen, die sie zur Aufklärung der Sache für erforderlich hält, zur mündlichen Beantwortung vorlegen kann (vgl. u.a. Senatsurteile vom 17. Dezember 1996 - VI ZR 50/96 - VersR 1997, 509 ff.; vom 7. Oktober 1997 - VI ZR 252/96 - VersR 1998, 342; vom 22. Mai 2001 - VI ZR 268/00 - VersR 2002, 120, 121 f.). Dieses Antragsrecht besteht unabhängig von § 411 Abs. 3 ZPO (st. Rspr., vgl. BGHZ 6, 398, 400 f.; 24, 9, 14; Senatsurteile vom 24. Oktober 1995 - VI ZR 13/95 - VersR 1996, 211, 212; vom 17. Dezember 1996 - VI ZR 50/96 - aaO und vom 7. Oktober 1997 - VI ZR 252/96 - VersR 1998, 342, 343 und vom 29. Oktober 2002 - VI ZR 353/01 - VersR 2003, 926). Hat das Landgericht einem rechtzeitig gestellten Antrag auf Ladung eines Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens nicht entsprochen, so muß das Berufungsgericht dem im zweiten Rechtszug wiederholten Antrag stattgeben (Senatsurteil vom 24. Oktober 1995 - VI ZR 13/95 - aaO). Dabei kann von der Partei , die einen Antrag auf Ladung des Sachverständigen stellt, nicht verlangt werden, daß sie die Fragen, die sie an den Sachverständigen zu richten beabsichtigt , im voraus konkret formuliert. Es genügt, wenn sie allgemein angibt, in welcher Richtung sie durch ihre Fragen eine weitere Aufklärung herbeizuführen wünscht (BGHZ 24, 9, 14 f.).

b) Diesen Anforderungen genügte das Vorbringen des Klägers. Mit Recht verweist die Nichtzulassungsbeschwerde darauf, daß der Kläger im ersten Rechtszug mehrfach die Ladung des Sachverständigen Prof. Dr. H. zur Erläuterung seines Gutachtens beantragt hat. Der erste Antrag ist unmittelbar nach Eingang des schriftlichen Gutachtens gestellt worden. Mit Beweisbeschluß vom 26. August 2002 hat das Landgericht den Sachverständigen um eine ergänzende gutachterliche Stellungnahme zur postoperativen Behandlung gebeten. Nach Eingang der Stellungnahme vom 18. November 2002 hat der Kläger mit Schriftsatz vom 13. Dezember 2002 eine Reihe von Fragen gestellt und erneut beantragt, den Sachverständigen nach seiner (schriftlichen) Stellungnahme zur mündlichen Erläuterung seiner Begutachtung zu laden, wobei er darauf hingewiesen hat, daß dieser Antrag nur dann aufrechterhalten werde, wenn nach der Ergänzung des Gutachtens bzw. einer weiteren Ergänzung noch Fragen blieben. Das Landgericht hat dem Sachverständigen die vom Kläger gestellten Fragen durch Auflagen- und Beweisbeschluß vom 20. Januar 2003 teilweise vorgelegt und ihn dazu um eine weitere Stellungnahme gebeten. Die erbetene ergänzende Stellungnahme ist unter dem 10. März 2003 erfolgt. Daraufhin hat das Landgericht den Parteien mit Verfügung vom 9. April 2003, zugestellt am 22. April 2003, eine Frist zur Stellungnahme von drei Wochen gesetzt. Am 8. Mai 2003, also nur 16 Tage nach Zustellung dieser Verfügung, hat das Landgericht Termin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung auf den 22. Mai 2003 anberaumt, ohne den Sachverständigen zu laden. Mit Schriftsatz vom 6. Mai 2003, bei Gericht eingegangen am 9. Mai 2003, hat der Kläger erneut beantragt, den Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens sowie seines Ergänzungsgutachtens zu laden. Dem hat das Landgericht nicht entsprochen. Am 22. Mai 2003 ist zum letzten Mal mündlich verhandelt worden. Mit Urteil vom 26. Juni 2003 hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Mit der Berufung hat der Kläger u.a. die Verletzung von §§ 397, 402 ZPO gerügt und
erneut beantragt, den Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung seiner Begutachtung zu laden. Diesem Antrag hat das Berufungsgericht nicht stattgegeben.
c) Schon das Landgericht hätte den Sachverständigen laden müssen. War mithin das Verfahren in erster Instanz verfahrensfehlerhaft, so war das Berufungsgericht an die Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil nicht gebunden. Es hätte seinerseits den Sachverständigen laden müssen. Die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zum Recht der Partei auf mündliche Anhörung des medizinischen Sachverständigen haben auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses (Zivilprozeßreformgesetz - ZPO-RG) vom 27. Juli 2001 (BGBl. I 1887) ihre Gültigkeit behalten. Das Berufungsgericht durfte die auf Grund des Gutachtens getroffenen Feststellungen seiner Entscheidung nicht zugrunde legen. Zwar ist ein Berufungsgericht nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 1 ZPO grundsätzlich an die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen gebunden. Diese Bindung entfällt aber, wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit entscheidungserheblicher Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 ZPO). Dabei können sich konkrete Anhaltspunkte auch aus Fehlern ergeben, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind (vgl. Senatsurteil vom 8. Juni 2004 - VI ZR 199/03 - VersR 2004, 1177, 1178, zur Veröffentlichung in BGHZ 159, 245 bestimmt; BGH, Urteile vom 12. März 2004 - V ZR 257/03 - WM 2004, 845, 846, zur Veröffentlichung in BGHZ 158, 269 bestimmt und vom 19. März 2004 - V ZR 104/03 - zur Veröffentlichung in BGHZ 158, 295 bestimmt; Begründung des Regierungsentwurfs BT-Drucks. 14/4722, S. 100; MünchKommZPO/Aktualisierungsband-Rimmelspacher , aaO, § 529 Rdn. 12; Rimmelspacher, NJW-Sonderheft aaO, 11, 15; derselbe, NJW 2002, 1897, 1901; Stackmann, NJW 2003, 169, 171). Wurden
Tatsachenfeststellungen auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens getroffen, kann auch die Unvollständigkeit des Gutachtens Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Feststellungen wecken (vgl. Senatsurteile vom 15. Juli 2003 - VI ZR 361/02 - NJW 2003, 3480, 3481 und vom 8. Juni 2004 - VI ZR 230/03 - VersR 2004, 1477, zur Veröffentlichung in BGHZ 159, 254 bestimmt ; Musielak/Ball, aaO, § 529 Rdn. 18; Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 24. Aufl., § 529 Rdn. 9).
d) Hiernach begründeten im Streitfall konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Vollständigkeit der Feststellungen. Das Landgericht hat den Sachverständigen nicht zur mündlichen Erläuterung seines Gutachtens geladen, obwohl der Kläger dies mehrfach beantragt hatte. Das Recht der Partei, den Sachverständigen persönlich zu hören und diesem auch selbst Fragen zu stellen, bezieht sich auf medizinische Fragen, die für die Entscheidung erheblich sind und für die Erläuterungsbedarf geltend gemacht wird (vgl. OLG Oldenburg, NJWRR 1999, 178, 179). Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts bedarf der Antrag auf Ladung des Sachverständigen keiner besonderen Begründung. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn der Sachverständige nicht nur ein Erstgutachten, sondern - wie im Streitfall - ein Ergänzungsgutachten erstattet hat. Beschränkungen des Antragsrechts ergeben sich nur aus den Gesichtspunkten des Rechtsmißbrauchs und der Prozeßverschleppung (Senatsurteil vom 29. Oktober 2002 - VI ZR 353/01 - aaO). Das Vorliegen eines solchen Ausnahmefalles nimmt ersichtlich auch das Berufungsgericht nicht an. Ist dem Antrag in erster Instanz nicht entsprochen worden, bedarf es in zweiter Instanz entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch keiner Darlegung dazu, weshalb die unterbliebene Anhörung für die angefochtene Entscheidung ursächlich gewesen sei.
3. Da nicht ausgeschlossen werden kann, daß das Berufungsgericht bei der gebotenen Klärung zu einer anderen Beurteilung des Falles gekommen wäre , war das Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dieses wird bei der neuen Verhandlung und Entscheidung auch das weitere Vorbringen des Klägers im Revisionsrechtszug zu berücksichtigen haben.
Müller Greiner Wellner Pauge Stöhr