Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Juli 2007 - IX ZB 233/05

bei uns veröffentlicht am05.07.2007
vorgehend
Amtsgericht Hannover, 906 IN 427/05, 23.06.2005
Landgericht Hannover, 20 T 45/05, 09.08.2005

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX ZB 233/05
vom
5. Juli 2007
in dem Verfahren auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Fischer, die Richter Raebel, Dr. Kayser, Cierniak und die Richterin
Lohmann
am 5. Juli 2007

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 20. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 9. August 2005 wird auf Kosten des Schuldners als unzulässig verworfen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 484.000 € festgesetzt.

Gründe:


1
Die Rechtsbeschwerde ist nach § 34 Abs. 2, §§ 6, 7 InsO statthaft. Sie ist jedoch unzulässig. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 ZPO).
2
Die Frage, ob der Schuldner seinen Wohnsitz nach Eingang des Insolvenzantrags rechtsmissbräuchlich verlegt hat, ist nicht entscheidungserheblich. Gleiches gilt für die Frage, ob der Schuldner auch nach seinem Umzug nach Frankreich noch den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen in Hannover hatte (Art. 3 Abs. 1 EuInsVO). Das Gericht des Mitgliedstaats, in dem der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt worden ist, bleibt für die Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zuständig, wenn der Schuldner nach Antragstellung, aber vor der Eröffnung den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats verlegt (EuGH NZI 2006, 153; BGH, Beschl. v. 9. Februar 2006 - IX ZB 418/02, NZI 2006, 297; v. 2. März 2006 - IX ZB 192/04, NZI 2006, 364).
3
im Auch Übrigen ist rechtlich erhebliches Vorbringen des Schuldners nicht übergangen worden (Art. 103 Abs. 1 GG). Der Schuldner hat erstmals im Beschwerdeverfahren behauptet, die Wohnung in Straßburg bereits am 1. Mai 2005 angemietet zu haben. Zuvor hatte er erklärt, seinen Wohnsitz - wie aus der Bescheinigung des Einwohnermeldeamts Hannover vom 9. Mai 2005 ersichtlich - am 13. Mai 2005 aufgegeben zu haben. Das Amtsgericht hat sich in seinem Vermerk vom 29. Juni 2005 mit dem Beschwerdevorbringen dahingehend auseinandergesetzt, das Anmieten einer Wohnung sei nicht gleichbedeutend mit der Verlegung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen des Schuldners. Dagegen ist aus Rechtsgründen nichts zu erinnern. Art. 103 Abs. 1 GG verlangt, dass das Gericht das wesentliche Vorbringen der Partei zur Kenntnis nimmt und bei der Entscheidung berücksichtigt, nicht jedoch, dass das Gericht diejenigen Schlussfolgerungen zieht, welche die Partei für richtig hält.
4
Das weitere Vorbringen des Schuldners, der 13. Mai 2005 sei nicht der Tag seines Auszugs aus der Familienwohnung in Hannover gewesen, sondern bei seiner am 9. Mai 2005 erfolgten Abmeldung von der zuständigen Beamtin eigenmächtig eingetragen worden, ist unerheblich. Das Insolvenzgericht Hannover wäre dann nicht für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zuständig gewesen , wenn der Schuldner bei Eingang des Insolvenzantrags am 2. Mai 2005 den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen bereits nach Straßburg verlegt hatte. Tatsachenvortrag des Schuldners, welcher diese Annahme stützen könnte, zeigt die Rechtsbeschwerde nicht auf. Die Stellungnahme des Schuldners vom 30. August 2005 ist erst nach Erlass des angefochtenen Beschlusses beim Beschwerdegericht eingegangen. Aus ihr ergibt sich im Übrigen, dass der Schuldner den Umzug nach Straßburg nach dem 2. Mai 2005 begonnen und erst am 10. Mai 2005 "endgültig abgeschlossen" hat. Selbst wenn der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners also allein durch seinen Hauptwohnsitz zu bestimmen gewesen wäre, war das Insolvenzgericht Hannover am 2. Mai 2005 noch zuständig gemäß Art. 3 Abs. 1 EuInsVO.
5
Dass dem Schuldner weder das Gutachten vom 23. Juni 2005 noch der Vermerk über die Nichtabhilfe vom 29. Juni 2005 bekannt gegeben worden ist, war verfahrensfehlerhaft, hat sich im Ergebnis aber nicht ausgewirkt. Auf das Gutachten kam es hinsichtlich der im Rechtsbeschwerdeverfahren allein noch streitigen Zuständigkeit des Insolvenzgerichts Hannover nicht an; zum Vermerk vom 29. Juni 2005 hat der Schuldner im Rechtsbeschwerdeverfahren nichts Rechtserhebliches vorgetragen. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 577 Abs. 6 Satz 3 ZPO abgesehen.
Fischer Raebel Kayser
Cierniak Lohmann

Vorinstanzen:
AG Hannover, Entscheidung vom 23.06.2005 - 906 IN 427/05 -4- -
LG Hannover, Entscheidung vom 09.08.2005 - 20 T 45/05 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Juli 2007 - IX ZB 233/05

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Juli 2007 - IX ZB 233/05

Referenzen - Gesetze

Zivilprozessordnung - ZPO | § 574 Rechtsbeschwerde; Anschlussrechtsbeschwerde


(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Zivilprozessordnung - ZPO | § 577 Prüfung und Entscheidung der Rechtsbeschwerde


(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Rechtsbeschwerde a

Insolvenzordnung - InsO | § 6 Sofortige Beschwerde


(1) Die Entscheidungen des Insolvenzgerichts unterliegen nur in den Fällen einem Rechtsmittel, in denen dieses Gesetz die sofortige Beschwerde vorsieht. Die sofortige Beschwerde ist bei dem Insolvenzgericht einzulegen. (2) Die Beschwerdefrist beginn
Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Juli 2007 - IX ZB 233/05 zitiert 6 §§.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 574 Rechtsbeschwerde; Anschlussrechtsbeschwerde


(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Zivilprozessordnung - ZPO | § 577 Prüfung und Entscheidung der Rechtsbeschwerde


(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Rechtsbeschwerde a

Insolvenzordnung - InsO | § 6 Sofortige Beschwerde


(1) Die Entscheidungen des Insolvenzgerichts unterliegen nur in den Fällen einem Rechtsmittel, in denen dieses Gesetz die sofortige Beschwerde vorsieht. Die sofortige Beschwerde ist bei dem Insolvenzgericht einzulegen. (2) Die Beschwerdefrist beginn

Insolvenzordnung - InsO | § 34 Rechtsmittel


(1) Wird die Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgelehnt, so steht dem Antragsteller und, wenn die Abweisung des Antrags nach § 26 erfolgt, dem Schuldner die sofortige Beschwerde zu. (2) Wird das Insolvenzverfahren eröffnet, so steht dem Schuldne

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Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Nov. 2003 - IX ZB 418/02

bei uns veröffentlicht am 27.11.2003

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS IX ZB 418/02 vom 27. November 2003 in dem Insolvenzeröffnungsverfahren Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein EuInsVO Art. 3 Abs. 1 Satz 1, Art. 43 Zu der Frage, ob das Gericht des Mitgliedstaats, in dem der Antrag auf

Referenzen

(1) Wird die Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgelehnt, so steht dem Antragsteller und, wenn die Abweisung des Antrags nach § 26 erfolgt, dem Schuldner die sofortige Beschwerde zu.

(2) Wird das Insolvenzverfahren eröffnet, so steht dem Schuldner die sofortige Beschwerde zu.

(3) Sobald eine Entscheidung, die den Eröffnungsbeschluß aufhebt, Rechtskraft erlangt hat, ist die Aufhebung des Verfahrens öffentlich bekanntzumachen. § 200 Abs. 2 Satz 2 gilt entsprechend. Die Wirkungen der Rechtshandlungen, die vom Insolvenzverwalter oder ihm gegenüber vorgenommen worden sind, werden durch die Aufhebung nicht berührt.

(1) Die Entscheidungen des Insolvenzgerichts unterliegen nur in den Fällen einem Rechtsmittel, in denen dieses Gesetz die sofortige Beschwerde vorsieht. Die sofortige Beschwerde ist bei dem Insolvenzgericht einzulegen.

(2) Die Beschwerdefrist beginnt mit der Verkündung der Entscheidung oder, wenn diese nicht verkündet wird, mit deren Zustellung.

(3) Die Entscheidung über die Beschwerde wird erst mit der Rechtskraft wirksam. Das Beschwerdegericht kann jedoch die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung anordnen.

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX ZB 418/02
vom
27. November 2003
in dem Insolvenzeröffnungsverfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
EuInsVO Art. 3 Abs. 1 Satz 1, Art. 43
Zu der Frage, ob das Gericht des Mitgliedstaats, in dem der Antrag auf Eröffnung
des Insolvenzverfahrens gestellt worden ist, für die Entscheidung über die Eröffnung
des Insolvenzverfahrens zuständig bleibt, wenn der Schuldner nach Antragstellung
, aber vor der Eröffnung den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen
in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats verlegt, oder ob das Gericht des anderen
Mitgliedstaats zuständig wird (Vorlage an den EuGH).
BGH, Beschluß vom 27. November 2003 - IX ZB 418/02 - LG Wuppertal
AG Wuppertal
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Kreft und die Richter Dr. Ganter, Raebel, Kayser und Dr. Bergmann
am 27. November 2003

beschlossen:
1. Das Verfahren wird ausgesetzt.
2. Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften wird zur Auslegung des Art. 3 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (ABl. EG Nr. L 160 vom 30. Juni 2000; im folgenden: EuInsVO) folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: "Bleibt das Gericht des Mitgliedstaats, bei dem der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt worden ist, für die Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zuständig , wenn der Schuldner nach Antragstellung, aber vor der Eröffnung den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats verlegt, oder wird das Gericht des anderen Mitgliedstaats zuständig?"

Gründe:


I.


Zur Beantwortung der vorstehenden Vorlagefrage, von der die Entscheidung des Rechtsstreits abhängt, ist Art. 3 EuInsVO auszulegen. Die Verordnung ist auf Art. 61c und Art. 67 Abs. 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (im folgenden: EG) gestützt und am 31. Mai 2002 in Kraft getreten. Sie gilt in den Mitgliedstaaten unmittelbar (Art. 47 EuInsVO). Da dem Senat die Auslegung nicht offenkundig erscheint, hat er eine Vorabentscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften einzuholen (Art. 68 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 234 EG).

II.


Im vorliegenden Rechtsstreit stellte die Schuldnerin, die in Form eines Einzelunternehmens einen Handel mit Telekommunikationsgeräten und Zubehör betrieb, am 6. Dezember 2001 den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. Der Betrieb der Schuldnerin war bei Antragstellung bereits geschlossen. Wesentliche Vermögensgegenstände, die für eine zukünftige Insolvenzmasse zu sichern gewesen wären, konnten nicht ermittelt werden. Das Insolvenzgericht lehnte mit Beschluß vom 10. April 2002 die Eröffnung des Verfahrens mangels Masse ab. Das dagegen gerichtete Rechtsmittel der Schuldnerin, mit dem sie unter Aufhebung des Beschlusses vom 10. April 2002 die Eröffnung des Verfahrens beantragte, wurde - nach Gewährung von Wiedereinsetzung - mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß
der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen als unzulässig zurückgewiesen wurde (Beschluß des Landgerichts vom 14. August 2002 i.V.m. dem Berichtigungsbeschluß vom 15. Oktober 2003). Mit der Rechtsbeschwerde begehrt die Schuldnerin die Aufhebung der Beschwerdeentscheidung und die Zurückverweisung der Sache zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht.

III.


Vor der Entscheidung über die Rechtsbeschwerde ist das Verfahren auszusetzen und eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu der im Beschlußtenor gestellten Frage einzuholen. Die Sachentscheidung im vorliegenden Verfahren ist abhängig von der Auslegung des Art. 3 EuInsVO.
1. Das Beschwerdegericht hat festgestellt, daß die Schuldnerin bereits am 1. April 2002 ihren Wohnsitz nach Spanien verlegt hat und dort leben und arbeiten will (Beschl. v. 14. August 2002, S. 3 Abs. 3). Diese Feststellung ist vom Rechtsbeschwerdegericht für die rechtliche Beurteilung in der Rechtsbeschwerdeinstanz zugrunde zu legen, § 577 Abs. 2 Satz 4 i.V.m. § 559 Abs. 2 ZPO (vgl. BGH, Beschl. v. 18. September 2003 - IX ZB 40/03, z.V.b.). Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, damit habe die Schuldnerin den Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen an ihrem spanischen Wohnsitz, so daß gemäß Art. 3 EuInsVO das für den (neuen) Wohnsitz der Schuldnerin zuständige spanische Gericht für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zuständig sei.
Die Rechtsbeschwerde meint dagegen, für die Beurteilung der Zuständig- keit sei auf den Zeitpunkt des Eröffnungsantrages abzustellen. Da die Schuldnerin zum Zeitpunkt der Antragstellung den Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen im Zuständigkeitsbereich des Amtsgerichts Wuppertal gehabt habe, seien die deutschen Gerichte für die Eröffnung zuständig.
2. Die EuInsVO ist am 31. Mai 2002 in Kraft getreten, Art. 47. Nach dem Wortlaut von Art. 43 Satz 1 EuInsVO ist sie nur auf solche Insolvenzverfahren anzuwenden, die nach ihrem Inkrafttreten eröffnet worden sind. Damit kann nicht gemeint sein, daß sämtliche Bestimmungen der EuInsVO nur auf nach dem 31. Mai 2002 bereits eröffnete Insolvenzverfahren anwendbar sind. Denn Art. 3 EuInsVO enthält gerade Regelungen darüber, welches Gericht für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zuständig ist. Gemäß Art. 43 Satz 1 EuInsVO sollen daher ersichtlich nur solche Insolvenzverfahren aus dem (zeitlichen ) Geltungsbereich der EuInsVO herausfallen, die schon vor deren Inkrafttreten eröffnet worden sind (vgl. auch Art. 44 Abs. 2 EuInsVO; vgl. ferner Virgos/Schmitt, in: Stoll, Vorschläge und Gutachten zur Umsetzung des EUÜbereinkommens über Insolvenzverfahren im deutschen Recht, S. 130 Nr. 304 des erläuternden Berichtes zu dem - insoweit wörtlich übereinstimmenden - EU-Übereinkommen über Insolvenzverfahren vom 23.11.1995; Duursma, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Europäische Insolvenzordnung, Art. 43 Rn. 2). Für die Beantwortung der Frage, ob ein Verfahren vor oder nach dem Inkrafttreten der EuInsVO eröffnet wurde, ist entsprechend Art. 16 Abs. 1 EuInsVO darauf abzustellen, wann die Entscheidung über die Verfahrenseröffnung wirksam geworden ist (Virgos/Schmitt aaO S. 131 Nr. 305; Duursma aaO Rn. 4). Wirksamkeit in diesem Sinne meint die Entfaltung von Wirkungen, die
mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verbunden sind (Duursma-Kepplinger /Chalupsky aaO Art. 16 Rn. 11; Duursma aaO Art. 43 Rn. 13).
Im vorliegenden Verfahren ist eine positive Eröffnungsentscheidung vor dem Inkrafttreten der EuInsVO nicht getroffen worden. Das Insolvenzgericht hat mit Beschluß vom 10. April 2002 lediglich die Eröffnung des Verfahrens mangels Masse abgelehnt. Aufgrund der dagegen gerichteten Rechtsmittel der Schuldnerin war das Eröffnungsverfahren im Zeitpunkt des Inkrafttretens der EuInsVO noch anhängig. Die mit einer Eröffnung des Verfahrens nach deutschem Insolvenzrecht verbundenen Wirkungen waren folglich vor dem Inkrafttreten der EuInsVO noch nicht eingetreten. Das Eröffnungsverfahren als solches fällt nicht in den Anwendungsbereich der EuInsVO, vgl. Art. 1 Abs. 1 (Duursma aaO Art. 43 Rn. 12).
3. Gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO sind für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat. Als Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen soll gemäß Erwägungsgrund 13 der Ort gelten, an dem der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht und damit für Dritte feststellbar ist. Bei einer natürlichen Person kommt als Anknüpfungspunkt sowohl der Wohnsitz als auch der Ort in Betracht , an dem sie ihrer selbständigen oder unselbständigen Tätigkeit nachgeht (vgl. Duursma-Kepplinger aaO § 3 Rn. 19 ff; Virgos/Schmitt aaO S. 60 Nr. 75). Im vorliegenden Verfahren hat die Schuldnerin nach den bindenden Feststellungen des Beschwerdegerichts sowohl ihren Wohnsitz als auch den Ort ihrer Tätigkeit nach Spanien verlegt. Nach beiden Anknüpfungskriterien liegt der Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen folglich nunmehr in Spanien. Ob
das Gericht eines Mitgliedstaats, das im Zeitpunkt des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO zuständig ist, für die Eröffnung zuständig bleibt, wenn der Schuldner vor der Eröffnung den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen in einen anderen Mitgliedstaat verlegt , regelt § 3 EuInsVO nicht ausdrücklich.

a) Für die Auffassung der Rechtsbeschwerde, daß die Zuständigkeit erhalten bleibt, könnte das im Erwägungsgrund 4 genannte Ziel sprechen, im Interesse eines ordnungsgemäßen Funktionierens des Binnenmarktes zu verhindern , daß es für die Beteiligten vorteilhafter ist, Vermögensgegenstände oder Rechtsstreitigkeiten von einem Mitgliedstaat in einen anderen zu verlagern , um auf diese Weise eine verbesserte Rechtsstellung anzustreben (sogenanntes "forum shopping").

b) Dagegen läßt sich entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde den Vorschriften des Art. 4 Abs. 1 und 2 EuInsVO, nach denen sich die Regelung, unter welchen Voraussetzungen das Verfahren eröffnet wird, nach dem Recht des Mitgliedstaats richtet, in dem das Verfahren eröffnet wird, nicht entnehmen, daß deshalb das bei Antragstellung zuständige Gericht für die Eröffnung zuständig bleiben muß. Bei einem Wechsel der Zuständigkeit wäre vielmehr gemäß Art. 4 Abs. 1 und 2 EuInsVO für die Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Recht des Mitgliedstaats anzuwenden, in dessen Gebiet das nunmehr zuständige Gericht seinen Sitz hat. Dasselbe gilt für die Befugnis , bereits ab dem Zeitpunkt des Eröffnungsantrages Sicherungsmaßnahmen anzuordnen (vgl. Art. 25 Abs. 1 Satz 4, Art. 38 EuInsVO sowie Erwägungsgrund 16). Auch diese Befugnis könnte mit dem Wechsel der Zuständigkeit übergehen.


c) Für die Ansicht des Beschwerdegerichts, daß auf die Zuständigkeit im Zeitpunkt der Eröffnungsentscheidung abzustellen ist, könnte angeführt werden , daß mit der Regelung des § 3 Abs. 1 EuInsVO, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens in dem Mitgliedstaat zu gestatten, in dem der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat, ein Hauptinsolvenzverfahren mit universaler Geltung und mit dem Ziel, das gesamte Vermögen des Schuldners zu erfassen, eröffnet werden soll (vgl. Erwägungsgrund 12). Neben diesem Hauptinsolvenzverfahren können unter den Voraussetzungen von Art. 3 Abs. 2 und 3 EuInsVO lediglich (beschränkte) Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet werden. Wenn mit der Verlegung des Mittelpunktes der hauptsächlichen Interessen des Schuldners eine Verbringung seines gesamten oder wesentlicher Teile seines Vermögens in den anderen Mitgliedstaat verbunden ist, kann beispielsweise die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens in diesem Mitgliedstaat sinnvoll sein. Verfügt der Schuldner wie im vorliegenden Fall im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung nicht über wesentliches Vermögen, kann der Schwerpunkt des Verfahrens nach der Eröffnung in dem Mitgliedstaat liegen , in den der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen verlegt hat, wenn wie etwa nach deutschem Recht das während des Insolvenzverfahrens erlangte Vermögen zur Insolvenzmasse gehört, § 35 InsO. Von Bedeutung kann ferner sein, daß es die Abwicklung des Insolvenzverfahrens erheblich erschweren kann, wenn sich der Schuldner nicht in dem Mitgliedstaat des Insolvenzgerichts aufhält. Bei natürlichen Personen wird in der Regel die Eröffnung eines Partikular- oder Sekundärinsolvenzverfahrens nicht in Betracht kommen. Ein solches Verfahren kann gemäß Art. 3 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 EuInsVO in einem anderen Mitgliedstaat, in dem der Schuldner nicht den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat, nur eröffnet
werden, wenn der Schuldner dort eine Niederlassung hat. Dies wird bei natürlichen Personen gewöhnlich nicht der Fall sein.

d) Die Vorlagefrage läßt sich nicht unter Heranziehung anderer europäischer Rechtsquellen, die Regelungen zur gerichtlichen Zuständigkeit enthalten , offenkundig beantworten. Die Frage, zu welchem Zeitpunkt die eine gerichtliche Zuständigkeit begründenden Tatsachen vorliegen müssen und ob bei einer Änderung die einmal gegebene Zuständigkeit fortdauert, ist weder in der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. Nr. L 12 vom 16. Januar 2001) noch in der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten (ABl. Nr. L 160 S. 19 vom 30. Juni 2000) geregelt (vgl. Schlosser, EU-Zivilprozeßrecht 2. Aufl. Art. 2 EuGVVO Rn. 7 sowie Art. 2 EuEheVO Rn. 5; Czernich/Tiefenthaler/Kodek, Europäisches Gerichtsstands - und Vollstreckungsrecht 2. Aufl. Art. 2 EuGVVO Rn. 4). Das Brüsseler Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968 (EuGVÜ) sowie das Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen , geschlossen in Lugano am 16. September 1988, enthalten gleichfalls keine diesbezüglichen Regelungen (vgl. Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht Art. 2 GVÜ Rn. 111).
Kreft Ganter Raebel
Kayser Bergmann

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.

(2) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Parteien gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 575 Abs. 3 und § 574 Abs. 4 Satz 2 gerügt worden sind. § 559 gilt entsprechend.

(3) Ergibt die Begründung der angefochtenen Entscheidung zwar eine Rechtsverletzung, stellt die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen sich als richtig dar, so ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

(4) Wird die Rechtsbeschwerde für begründet erachtet, ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen. § 562 Abs. 2 gilt entsprechend. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(5) Das Rechtsbeschwerdegericht hat in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung der Entscheidung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist. § 563 Abs. 4 gilt entsprechend.

(6) Die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde ergeht durch Beschluss. § 564 gilt entsprechend. Im Übrigen kann von einer Begründung abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.