Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Nov. 2012 - IX ZR 79/12

bei uns veröffentlicht am08.11.2012
vorgehend
Landgericht München I, 4 O 14453/10, 20.04.2011
Oberlandesgericht München, 15 U 2026/11, 29.02.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX ZR 79/12
vom
8. November 2012
in dem Rechtsstreit
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Richter Vill,
Prof. Dr. Gehrlein, die Richterin Lohmann, die Richter Dr. Fischer und Dr. Pape
am 8. November 2012

beschlossen:
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 29. Februar 2012 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Der Streitwert wird auf 104.610,07 € festgesetzt.

Gründe:


1
Die Beschwerde deckt keinen Zulassungsgrund auf.
2
1. Zu Unrecht rügt die Beschwerde unter Berufung auf Art. 103 Abs. 1 GG, das Berufungsgericht habe beweisbewehrtes Vorbringen des Klägers, wonach sich die Parteien durch die Gebührenvereinbarung vom 23. Januar 2007 auf ein Mindesthonorar von 200.000 € geeinigt hätten, nicht berücksichtigt.
3
Das Berufungsgericht hat dieses Vorbringen ersichtlich zur Kenntnis genommen und bei der Entscheidungsfindung gewürdigt. Mit Rücksicht auf dieses streitige Vorbringen des Klägers hat das Berufungsgericht einen Beweisbeschluss erlassen und die von dem Kläger benannten Zeuginnen vernommen. Auf der Grundlage der von den Zeuginnen gemachten Aussagen konnte das Berufungsgericht ausweislich seiner eingehenden tatrichterlichen, revisionsrechtlich hinzunehmenden Würdigung nicht die Überzeugung gewinnen, dass die Parteien eine Festlegung auf ein Mindesthonorar über 200.000 € getroffen hatten. Bei dieser Sachlage scheidet eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG aus.
4
2. Ebenso ohne Erfolg bleibt die auf Art. 103 Abs. 1 GG gestützte Rüge, das Berufungsgericht habe bei seiner rechtlichen Würdigung, wonach eine Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 Abs. 1 BGB) nicht vorliege, entscheidungserhebliches Vorbringen außer Acht gelassen.
5
Ausweislich des Tatbestandes in dem angefochtenen Urteil hat das Berufungsgericht das Vorbringen des Klägers über eine vermeintliche Täuschung seitens der Beklagten hinsichtlich ihrer kraft Erbgangs erworbenen Stellung als Alleineigentümerin des Gemäldes zur Kenntnis genommen. Insoweit ist das Berufungsgericht ersichtlich von einem erheblichen Bestreiten durch die Beklagte ausgegangen, die geltend gemacht hat, sich in der erbrechtlichen Rechtsnachfolge ihrer Eltern als Alleineigentümerin betrachtet zu haben. Soweit die Beschwerde meint, dieses Vorbringen habe in Anwendung von § 531 Abs. 2 ZPO nicht berücksichtigt werden dürfen, kann die Revision auf eine solche Rüge nicht gestützt werden (BGH, Urteil vom 13. Februar 2006 - II ZR 62/04, NJW-RR 2006, 760 Rn. 14).
6
3. Ebenfalls nicht begründet ist die weitere Rüge, das Berufungsurteil stelle eine unzulässige Überraschungsentscheidung dar, weil das Berufungsgericht von der Rechtsauffassung des Erstgerichts abgewichen sei, ohne einen entsprechenden Hinweis zu erteilen.
7
a) Zwar darf eine Partei darauf vertrauen, dass ein Berufungsgericht keine Überraschungsentscheidung trifft. Das Berufungsgericht muss daher eine in erster Instanz siegreiche Partei darauf hinweisen, wenn es der Beurteilung der Vorinstanz nicht folgen will und auf Grund seiner abweichenden Ansicht eine Ergänzung des Vorbringens oder einen Beweisantritt für erforderlich hält. Diese Voraussetzungen liegen jedoch regelmäßig nicht vor, wenn eine Partei in erster Instanz obsiegt hat, die dem zu Grunde liegende Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts als zentraler Streitpunkt zur Überprüfung durch das Berufungsgericht gestellt wird und das Berufungsgericht sich sodann der Auffassung des Berufungsklägers anschließt. Denn in diesem Fall muss die in erster Instanz erfolgreiche Partei von vornherein damit rechnen, dass das Berufungsgericht anderer Auffassung ist; seine dementsprechende Entscheidung kann im Grundsatz nicht überraschend sein. Das Berufungsgericht hat regelmäßig keinen Anlass zu der Annahme, trotz der in der Berufung zentral geführten Auseinandersetzung über den Streitpunkt bestehe noch Aufklärungsbedarf und müsse der Partei Gelegenheit zu weiterem Vortrag und Beweisantritt gegeben werden (BGH, Urteil vom 19. August 2010 - VII ZR 113/09, NJW 2010, 3089 Rn. 18).
8
b) So verhält es sich im Streitfall. Gegenstand der Berufung der Beklagten war allein die Frage, ob auf der Grundlage von § 313 Abs. 1 BGB eine Vertragsanpassung zu erfolgen hatte. Bei dieser Sachlage war ein rechtlicher Hinweis des Berufungsgerichts an den Kläger, der Auffassung der Beklagten als Berufungsklägerin folgen zu wollen, entbehrlich.
9
4. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen.
Vill Gehrlein Lohmann
Fischer Pape

Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 20.04.2011 - 4 O 14453/10 -
OLG München, Entscheidung vom 29.02.2012 - 15 U 2026/11 Rae -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Nov. 2012 - IX ZR 79/12

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Nov. 2012 - IX ZR 79/12

Referenzen - Gesetze

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Zivilprozessordnung - ZPO | § 531 Zurückgewiesene und neue Angriffs- und Verteidigungsmittel


(1) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszuge zu Recht zurückgewiesen worden sind, bleiben ausgeschlossen. (2) Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind nur zuzulassen, wenn sie1.einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 313 Störung der Geschäftsgrundlage


(1) Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kan
Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Nov. 2012 - IX ZR 79/12 zitiert 4 §§.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Zivilprozessordnung - ZPO | § 531 Zurückgewiesene und neue Angriffs- und Verteidigungsmittel


(1) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszuge zu Recht zurückgewiesen worden sind, bleiben ausgeschlossen. (2) Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind nur zuzulassen, wenn sie1.einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 313 Störung der Geschäftsgrundlage


(1) Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kan

Referenzen - Urteile

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Bundesgerichtshof Urteil, 13. Feb. 2006 - II ZR 62/04

bei uns veröffentlicht am 13.02.2006

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL II ZR 62/04 Verkündet am: 13. Februar 2006 Vondrasek Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR:

Referenzen

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.

(2) Einer Veränderung der Umstände steht es gleich, wenn wesentliche Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, sich als falsch herausstellen.

(3) Ist eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar, so kann der benachteiligte Teil vom Vertrag zurücktreten. An die Stelle des Rücktrittsrechts tritt für Dauerschuldverhältnisse das Recht zur Kündigung.

(1) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszuge zu Recht zurückgewiesen worden sind, bleiben ausgeschlossen.

(2) Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind nur zuzulassen, wenn sie

1.
einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht des ersten Rechtszuges erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist,
2.
infolge eines Verfahrensmangels im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht wurden oder
3.
im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden sind, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der Partei beruht.
Das Berufungsgericht kann die Glaubhaftmachung der Tatsachen verlangen, aus denen sich die Zulässigkeit der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel ergibt.

14
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann eine gegen § 531 Abs. 2 ZPO verstoßende Zulassung neuer Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit der Revision nicht gerügt werden (BGH, Beschl. v. 22. Januar 2004 - V ZR 187/03, WM 2004, 1499, 1500 f.; Urt. v. 2. April 2004 - V ZR 107/03, WM 2005, 141, 142; ebenso für eine unter Verstoß gegen § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO erfolgte neue Tatsachenfeststellung BGH, Urt. v. 9. März 2005 - VIII ZR 266/03, WM 2005, 1625, 1627, z.V. b. in BGHZ 162, 313). Von dieser Ansicht abzuweichen, besteht auch unter Berücksichtigung der im Schrifttum erhobenen Kritik (Musielak/Ball, ZPO 4. Aufl. § 531 Rdn. 24 f.) kein Anlass. Hat das Berufungsgericht neuen Tatsachenvortrag bei seiner Entscheidung berücksichtigt , kann das Ziel des § 531 ZPO, das Berufungsverfahren auf eine Fehlerkontrolle und -beseitigung in Bezug auf das erstinstanzliche Urteil zu beschränken und deshalb neuen Tatsachenvortrag nur in besonderen Ausnahmefällen zu berücksichtigen (Begr.RegE, BT-Drucks. 14/4722, S. 101), nicht mehr erreicht werden. Andererseits entspricht ein Urteil, das auf der Grundlage des gesamten Tatsachenvortrags der Parteien ergangen ist, der wahren Sach- und Rechtslage besser als eine Entscheidung, die einen Teil des Tatsachenvortrags aus Rechtsgründen nicht berücksichtigt. Deshalb erscheint es unangemessen, den neuen Tatsachenvortrag, ist er einmal zugelassen und verwertet, nachträglich wieder aus der Beurteilung auszuscheiden.

(1) Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.

(2) Einer Veränderung der Umstände steht es gleich, wenn wesentliche Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, sich als falsch herausstellen.

(3) Ist eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar, so kann der benachteiligte Teil vom Vertrag zurücktreten. An die Stelle des Rücktrittsrechts tritt für Dauerschuldverhältnisse das Recht zur Kündigung.