Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Feb. 2012 - V ZB 4/12

bei uns veröffentlicht am14.02.2012
vorgehend
Amtsgericht Neu-Ulm, XIV 13/11, 13.12.2011
Landgericht Memmingen, 42 T 1942/11, 15.12.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 4/12
vom
14. Februar 2012
in der Zurückschiebungshaftsache
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Februar 2012 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richterin Dr. Stresemann, den Richter
Dr. Czub und die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland

beschlossen:
Die Vollziehung der mit Beschluss des Amtsgerichts Neu-Ulm vom 13. Dezember 2011 angeordneten und mit Beschluss des Landgerichts Memmingen vom 15. Dezember 2011 aufrechterhaltenen Sicherungshaft wird einstweilen eingestellt.

Gründe:

1
Der in entsprechender Anwendung des § 64 Abs. 3 FamFG statthafte Aussetzungsantrag (vgl. nur Senat, Beschluss vom 1. Juli 2011 - V ZB 141/11, InfAuslR 2011, 399 mwN) hat in der Sache Erfolg. Bei der gebotenen summarischen Prüfung ist davon auszugehen, dass die Rechtsbeschwerde Erfolg haben wird, da die Haftanordnung und die Entscheidung über die Beschwerde den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.
2
1. Die Haftanordnung erscheint bereits deshalb rechtswidrig, weil sich weder aus der Akte noch aus dem Protokoll der Anhörung des Betroffenen ergibt, dass diesem der Haftantrag der Beteiligten zu 2 vor dem Anhörungstermin ausgehändigt worden ist. Die Bekanntgabe des Haftantrags ist jedoch notwendige Voraussetzung für die ausreichende Gewährung rechtlichen Gehörs, da andernfalls nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Betroffene nicht in der Lage war, sich zu sämtlichen Angaben der Behörde zu äußern (Senat, Beschluss vom 21. Juli 2011 - V ZB 141/11, FGPrax 2011, 257, 258 Rn. 9).
3
2. Dem Haftantrag fehlten zudem die nach § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 FamFG vorgeschriebenen Angaben über die erforderliche Dauer der Haft bis zur Zurückschiebung des Betroffenen. Allgemeine Angaben, welche Maßnahmen zur Durchführung der Zurückschiebung möglicherweise in Betracht kommen könnten, genügen nicht. Die Begründung der Erforderlichkeit der Dauer der beantragten Freiheitsentziehung muss vielmehr auf die Maßnahmen für die Zurückschiebung des Ausländers bezogen sein und Ausführungen dazu enthalten , dass und in welchen Zeiträumen Zurückschiebungen in die im konkreten Fall in Betracht kommenden Zielstaaten üblicherweise möglich sind (vgl. Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2011 - V ZB 311/10, Rn. 13, juris). Soweit Rückübernahmeabkommen mit diesen Staaten bestehen (hier die Abkommen der Bundesrepublik Deutschland mit der Republik Österreich vom 16. Dezember 1997, BGBl. II 1998, 80, und der Republik Kosovo vom 21. April 2010, BGBl. II 259), sind die für die Erledigung der Ersuchen um Rückübernahme des Ausländers durchzuführenden Maßnahmen und der dafür üblicherweise benötigte Zeitraum in dem Haftantrag darzustellen. Das alles ist hier nicht geschehen.
4
3. Schließlich ist das Verfassungsgebot zur Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) auch dadurch verletzt worden, dass das Beschwerdegericht bereits zwei Tage nach der Haftanordnung über die noch im Termin vor dem Amtsgericht, unmittelbar im Anschluss an die Haftanordnung erhobene Beschwerde entschieden hat, ohne eine für die Begründung des Rechtsmittels angemessene Zeit zuzuwarten. Die Beschwerde rügt zu Recht, dass das Beschwerdegericht mit dieser Verfahrensweise dem Betroffenen faktisch die Möglichkeit genommen habe, sein Rechtsmittel zu begründen, weil der ebenfalls zwei Tage nach der Inhaftierung für ihn tätig gewordene Rechtsanwalt im Beschwerdeverfahren nichts mehr bewirken konnte.
5
Maßgebend für Art. 103 Abs. 1 GG ist der Gedanke, dass ein Verfahrensbeteiligter Gelegenheit haben muss, durch seinen Vortrag die Willensbildung des Gerichts zu beeinflussen. Das Gericht muss bei der Anwendung des Rechts ein Ausmaß an Gehör eröffnen, das sachangemessen ist, um dem Erfordernis eines wirkungsvollen Rechtsschutzes gerecht zu werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 2.Juni 2010 - 1 BvR 448/06, Rn. 15, juris).
6
Diesem Gebot handelt ein Gericht zuwider, wenn es eine Beschwerde schon vor Ablauf einer gesetzlich bestimmten Begründungsfrist oder - wenn eine solche Frist nicht bestimmt ist - vor Verstreichen einer für die Begründung des Rechtsmittels angemessenen Zeitspanne zurückweist. Auch wenn sich ein anwaltlich nicht vertretener Betroffene nicht ausdrücklich die Begründung seiner Beschwerde vorbehalten hat (zur Wartepflicht des Gerichts in diesen Fällen: BVerfG, NJW 2009, 1582, 1583), darf das Beschwerdegericht das Rechtsmittel erst dann zurückweisen, wenn eine von ihm gesetzte Frist für die Begründung verstrichen ist oder es eine für dessen Begründung angemessene Zeit zugewartet hat. Das war hier nicht der Fall. Krüger Stresemann Czub Brückner Weinland
Vorinstanzen:
AG Neu-Ulm, Entscheidung vom 13.12.2011 - XIV 13/11 -
LG Memmingen, Entscheidung vom 15.12.2011 - 42 T 1942/11 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Feb. 2012 - V ZB 4/12

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Feb. 2012 - V ZB 4/12

Referenzen - Gesetze

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 417 Antrag


(1) Die Freiheitsentziehung darf das Gericht nur auf Antrag der zuständigen Verwaltungsbehörde anordnen. (2) Der Antrag ist zu begründen. Die Begründung hat folgende Tatsachen zu enthalten:1.die Identität des Betroffenen,2.den gewöhnlichen Aufent

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 64 Einlegung der Beschwerde


(1) Die Beschwerde ist bei dem Gericht einzulegen, dessen Beschluss angefochten wird. Anträge auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für eine beabsichtigte Beschwerde sind bei dem Gericht einzulegen, dessen Beschluss angefochten werden soll. (
Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Feb. 2012 - V ZB 4/12 zitiert 3 §§.

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(1) Die Beschwerde ist bei dem Gericht einzulegen, dessen Beschluss angefochten wird. Anträge auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für eine beabsichtigte Beschwerde sind bei dem Gericht einzulegen, dessen Beschluss angefochten werden soll.

(2) Die Beschwerde wird durch Einreichung einer Beschwerdeschrift oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle eingelegt. Die Einlegung der Beschwerde zur Niederschrift der Geschäftsstelle ist in Ehesachen und in Familienstreitsachen ausgeschlossen. Die Beschwerde muss die Bezeichnung des angefochtenen Beschlusses sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt wird. Sie ist von dem Beschwerdeführer oder seinem Bevollmächtigten zu unterzeichnen.

(3) Das Beschwerdegericht kann vor der Entscheidung eine einstweilige Anordnung erlassen; es kann insbesondere anordnen, dass die Vollziehung des angefochtenen Beschlusses auszusetzen ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 141/11
vom
1. Juli 2011
in der Abschiebungshaftsache
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 1. Juli 2011 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Dr. Lemke und
Prof. Dr. Schmidt-Räntsch, die Richterin Dr. Stresemann und den Richter
Dr. Czub

beschlossen:
Die Vollziehung der mit Beschluss des Amtsgerichts Rathenow vom 7. April 2011 angeordneten und mit Beschluss der 12. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam vom 20. April 2011 aufrechterhaltenen Sicherungshaft wird einstweilen eingestellt.

Gründe:

I.

1
Der Betroffene, ein vietnamesischer Staatsangehöriger, reiste am 6. März 2009 ohne erforderliche Einreisepapiere erstmals in das Bundesgebiet ein. Sein Asylantrag wurde - bestandskräftig - als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen. Einem Termin zur Vorführung bei Vertretern der vietnamesischen Botschaft blieb er unentschuldigt fern. Spätestens seit dem 20. Juni 2010 ist er "unbekannt" verzogen gewesen.
2
Aufgrund einer Fahndungsausschreibung wurde der Betroffene am 6. April 2011 durch die Polizei festgenommen. Auf Antrag der beteiligten Behörde von demselben Tag hat das Amtsgericht am 7. April 2011 gegen den Betroffenen die Haft zur Sicherung der Abschiebung für die Dauer von drei Monaten und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet. Die Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde, mit der der Betroffene auch die einstweilige Aussetzung der Vollziehung der Sicherungshaft beantragt.

II.

3
Nach Ansicht des Beschwerdegerichts ist der Haftantrag zulässig und begründet. Es lägen die in § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 5 AufenthG genannten Haftgründe vor.

III.

4
1. Der Aussetzungsantrag ist in entsprechender Anwendung von § 64 Abs. 3 FamFG statthaft (st. Rspr., siehe nur Senat, Beschluss vom 18. August 2010 - V ZB 211/10, InfAuslR 2010, 440).
5
2. Er ist auch begründet. Bei der gebotenen summarischen Prüfung ist davon auszugehen, dass die Rechtsbeschwerde Erfolg haben wird, weil die Haftanordnung und die Entscheidung des Beschwerdegerichts den Anspruch des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt haben dürften.
6
3. Die Haftanordnung erscheint jedenfalls deshalb rechtswidrig, weil der Betroffene ausweislich des Protokolls über seine Anhörung vor dem Amtsgericht erst zu Beginn der Anhörung "mit dem Antrag der Ausländerbehörde vom heutigen Tage vertraut gemacht" und ihm der Antrag nicht ausgehändigt worden ist. Er war deshalb nicht in der Lage, zu der Begründung des Haftantrags ausreichend Stellung zu nehmen.
7
a) Der Zeitpunkt, zu dem das Gericht des ersten Rechtszugs dem Betroffenen nach § 23 Abs. 2 FamFG den Haftantrag der beteiligten Behörde zuzuleiten hat, bestimmt sich einerseits danach, was zu der dem Richter im Freiheitsentziehungsverfahren obliegenden Sachaufklärung erforderlich ist, andererseits danach, was den Betroffenen in die Lage versetzt, das ihm von Verfassungs wegen zukommende rechtliche Gehör auch effektiv wahrzunehmen. Ist der Betroffene ohne vorherige Kenntnis des Antragsinhalts nicht in der Lage, zur Sachaufklärung beizutragen und seine Rechte wahrzunehmen, muss ihm der Antrag vor der Anhörung übermittelt werden; dagegen genügt die Eröffnung des Haftantrags zu Beginn der Anhörung, wenn dieser einen einfachen, überschaubaren Sachverhalt betrifft, zu dem der Betroffene auch unter Berücksichtigung einer etwaigen Überraschung ohne weiteres auskunftsfähig ist (Senat, Beschluss vom 4. März 2010 - V ZB 222/09, BGHZ 184, 323, 330 Rn. 16 mwN).
8
b) Ob dieser zweite Fall hier vorliegt, ist zweifelhaft. Den Zweifeln braucht jedoch nicht nachgegangen zu werden. Denn dem Protokoll über die Anhörung ist nicht zu entnehmen, dass der Haftantrag dem Betroffenen übersetzt und damit der gesamte Antragsinhalt bekannt gegeben worden ist. Eine solche Bekanntgabe ist jedoch Voraussetzung für die ausreichende Gewährung rechtlichen Gehörs. Anderenfalls - und so liegt es hier - kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Betroffene nicht in der Lage war, sich zu sämtlichen Angaben der beteiligten Behörde (vgl. § 417 Abs. 2 FamFG) zu äußern.
9
4. Nach dem Akteninhalt ist dem Betroffenen der Haftantrag auch nicht später ausgehändigt worden. Die Akteneinsicht, durch die er Kenntnis von dem vollständigen Antrag hätte erlangen können, ist seinem damaligen Verfahrensbevollmächtigten erst im Laufe der Anhörung vor dem Beschwerdegericht angeboten worden. Dass dieser sich darauf nicht eingelassen hat, ist verständlich und kann dem Betroffenen nicht zum Nachteil gereichen. Denn das Beschwerdegericht wollte nach dem Protokoll der Anhörung nicht etwa Akteneinsicht und dem Betroffenen eine Frist zur Stellungnahme gewähren, sondern - wie geschehen - sogleich am Schluss der Anhörung eine Entscheidung treffen. Dass diese Verfahrensweise insbesondere angesichts des Umstands, dass der Haftantrag zunächst dem Betroffenen hätte übersetzt werden müssen, dessen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs eklatant verletzt hat, liegt auf der Hand.
10
5. Das Fehlen der ordnungsgemäßen Anhörung des Betroffenen in beiden Vorinstanzen drückt der gleichwohl angeordneten und aufrechterhaltenen Haft den Makel einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung auf (vgl. Senat, Beschluss vom 4. März 2010 - V ZB 184/09, FGPrax 2010, 152, 154 Rn. 16). Daher ist die weitere Vollziehung der Haftanordnung auszusetzen.
Krüger Lemke Schmidt-Räntsch Stresemann Czub
Vorinstanzen:
AG Rathenow, Entscheidung vom 07.04.2011 - 7 XIV V 4/11 -
LG Potsdam, Entscheidung vom 20.04.2011 - 12 T 196/11 -
9
4. Nach dem Akteninhalt ist dem Betroffenen der Haftantrag auch nicht später ausgehändigt worden. Die Akteneinsicht, durch die er Kenntnis von dem vollständigen Antrag hätte erlangen können, ist seinem damaligen Verfahrensbevollmächtigten erst im Laufe der Anhörung vor dem Beschwerdegericht angeboten worden. Dass dieser sich darauf nicht eingelassen hat, ist verständlich und kann dem Betroffenen nicht zum Nachteil gereichen. Denn das Beschwerdegericht wollte nach dem Protokoll der Anhörung nicht etwa Akteneinsicht und dem Betroffenen eine Frist zur Stellungnahme gewähren, sondern - wie geschehen - sogleich am Schluss der Anhörung eine Entscheidung treffen. Dass diese Verfahrensweise insbesondere angesichts des Umstands, dass der Haftantrag zunächst dem Betroffenen hätte übersetzt werden müssen, dessen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs eklatant verletzt hat, liegt auf der Hand.

(1) Die Freiheitsentziehung darf das Gericht nur auf Antrag der zuständigen Verwaltungsbehörde anordnen.

(2) Der Antrag ist zu begründen. Die Begründung hat folgende Tatsachen zu enthalten:

1.
die Identität des Betroffenen,
2.
den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Betroffenen,
3.
die Erforderlichkeit der Freiheitsentziehung,
4.
die erforderliche Dauer der Freiheitsentziehung sowie
5.
in Verfahren der Abschiebungs-, Zurückschiebungs- und Zurückweisungshaft die Verlassenspflicht des Betroffenen sowie die Voraussetzungen und die Durchführbarkeit der Abschiebung, Zurückschiebung und Zurückweisung.
Die Behörde soll in Verfahren der Abschiebungshaft mit der Antragstellung die Akte des Betroffenen vorlegen.

(3) Tatsachen nach Absatz 2 Satz 2 können bis zum Ende der letzten Tatsacheninstanz ergänzt werden.

13
aa) Die Begründung des Haftantrags muss auf den konkreten Fall zugeschnitten sein; Leerformeln und Textbausteine genügen nicht. Der Gesetzgeber hat sich nämlich - abweichend von dem Vorschlag der Bundesregierung, die es auch für Abschiebungshaftsachen bei den Anforderungen des § 23 Abs. 1 Satz 2 FamFG bewenden lassen wollte (Entwurfsbegründung zum FGG-ReformG in BT-Drucks. 16/6308 S. 291) - bewusst dafür entschieden, an die Begründung eines Haftantrags strengere Anforderungen zu stellen und der Behörde mit dem heutigen § 417 Abs. 2 Satz 2 FamFG vorzuschreiben, zu welchen Punkten sich der Haftantrag zu verhalten hat (Beschlussempfehlung zum FGG-ReformG in BT-Drucks. 16/9733 S. 299). Damit will der Gesetzgeber erreichen, dass dem Gericht schon durch den Antrag selbst eine hinreichende Tatsachengrundlage für die Einleitung weiterer Ermittlungen bzw. für seine Entscheidung zugänglich wird (Beschlussempfehlung zum FGG-ReformG, aaO; Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, FGPrax 2010, 210, 211 Rn. 14). Auch gibt eine solche Darlegung dem Betroffenen eine Grundlage für seine Verteidigung gegen den Haftantrag (vgl. Senat, Beschluss vom 22. Juli 2010 – V ZB 28/10, NVwZ 2010, 1511, 1512 Rn. 12). Danach bestimmen sich Inhalt und Umfang der notwendigen Darlegungen. Sie dürfen knapp gehalten sein, müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte des Falls ansprechen (vgl. Senat, Beschluss vom 15. September 2011 - V ZB 123/11, Rn. 9, juris). Hinsichtlich der Durchführbarkeit der Abschiebung sind auf das Land bezogene Ausführungen erforderlich, in das der Betroffene abgeschoben werden soll. Anzugeben ist, ob und innerhalb welchen Zeitraums Abschiebungen in das betreffende Land üblicherweise möglich sind.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.