Bundesgerichtshof Beschluss, 11. März 2004 - VII ZB 27/03

bei uns veröffentlicht am11.03.2004

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VII ZB 27/03
vom
11. März 2004
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Die Reisekosten eines beim Prozeßgericht nicht zugelassenen und weder am Gerichtsort
noch am Geschäfts- oder Wohnort der Prozeßpartei ansässigen Prozeßbevollmächtigten
zur Terminswahrnehmung sind jedenfalls insoweit zu erstatten, als sie
sich im Rahmen der erstattungsfähigen Reisekosten halten, die angefallen wären,
wenn die Partei einen Prozeßbevollmächtigten entweder am Gerichtsort oder an ihrem
Geschäfts- oder Wohnort beauftragt hätte.
BGH, Beschluß vom 11. März 2004 - VII ZB 27/03 - OLG München
LG München I
Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. März 2004 durch den
Vorsitzenden Richter Dr. Dressler und die Richter Hausmann, Dr. Wiebel,
Prof. Dr. Kniffka und Bauner

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluß des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 6. Juni 2003 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen. Beschwerdewert: 506,04 €

Gründe:

I.

Die Beklagte hat unter anderem die jetzt noch streitigen Reisekosten ihrer Prozeßbevollmächtigten zu zwei Terminen vor dem Landgericht München I zur Kostenfestsetzung angemeldet. Die Klage ist gegen die Beklagte unter einer Anschrift in S. gerichtet; dort hat die Beklagte nach ihrem Vortrag eine Betriebsstätte. Die Prozeßbevollmächtigten der Beklagten sind in B. ansässig.
Das Landgericht hat die Festsetzung dieser Kosten abgelehnt. Das Oberlandesgericht hat die sofortige Beschwerde der Beklagten zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Beklagten.

II.

1. Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, Reisekosten auswärtiger, am Gerichtsort weder zugelassener noch ansässiger Prozeßbevollmächtigter seien grundsätzlich nicht zu erstatten, wenn die Prozeßbevollmächtigten ihre Kanzlei nicht in der Nähe der Partei hätten. Davon sei hier auszugehen, weil die Beklagte in größerer Entfernung von dem Kanzleisitz der Prozeßbevollmächtigten ansässig sei. In Betracht komme dann nur ein Anspruch auf Erstattung der Kosten einer fiktiven Informationsreise, sofern eine persönliche Information erforderlich gewesen sei. Das sei nicht anzunehmen. 2. Das hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
a) Die unterlegene Partei hat die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit diese zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren (§ 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dementsprechend sind Reisekosten zur Terminswahrnehmung eines Prozeßbevollmächtigten , der weder bei dem Prozeßgericht zugelassen noch am Gerichtsort ansässig ist, insoweit zu erstatten, als dessen Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war (§ 91 Abs. 2 Satz 1 zweiter Halbsatz ZPO). Ob diese Notwendigkeit gegeben war, bemißt sich danach , was eine vernünftige und kostenorientierte Partei als sachdienlich anse-
hen durfte (Zöller/Herget, ZPO, 24. Aufl. § 91 Rdn. 12; MünchKomm-Belz, ZPO, 2. Aufl., § 91 Rdn. 17). Eine nicht am Gerichtsort ansässige Partei ist in diesem Rahmen kostenrechtlich nicht darauf angewiesen, einen Rechtsanwalt am Ort des Prozeßgerichts mit ihrer Prozeßvertretung zu beauftragen. Vielmehr kann sie grundsätzlich die Kosten ihres Prozeßbevollmächtigten auch dann erstattet verlangen, wenn dieser bei dem Prozeßgericht nicht zugelassen und am Gerichtsort auch nicht ansässig ist. Das hat der Bundesgerichtshof wiederholt entschieden für den Fall, daß die Partei einen in ihrer Nähe ansässigen Rechtsanwalt beauftragt hat (BGH, Beschluß vom 16. Oktober 2002 - VIII ZB 30/02 - NJW 2003, 898, 900; BGH, Beschluß vom 11. November 2003 - VI ZB 41/03 - EBE/BGH 2004, 11). Ein tragender Grund hierfür ist zunächst die Annahme, daß ein persönliches mündliches Gespräch erforderlich und gewünscht ist. Damit hat es nicht sein Bewenden. Ebenso gewichtig ist, daß eine Partei ein berechtigtes Interesse haben kann, sich durch den Rechtsanwalt ihres Vertrauens auch vor auswärtigen Gerichten vertreten zu lassen. Dieser weitere Gesichtspunkt ist ein entscheidender Grund gewesen für die Änderung des Lokalisationsprinzips in § 78 ZPO (vgl. BT-Drucks. 12/4993, S. 43 und 53). Das Bundesverfassungsgericht hat seinerseits im Streit um die Singular- oder Simultanzulassung von Rechtsanwälten das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant, das auf Aktenkenntnis im konkreten Fall oder auch auf langjähriger Beratung und erfolgreicher begleitender Zusammenarbeit gründen könne, als einen rechtlich anzuerkennenden Vorteil aus der Sicht des Mandanten gewürdigt (BVerfG, Urteil vom 13. Dezember 2000 - 1 BvR 335/97 - BVerfGE 103, 1, 16). Nichts anderes kann bei der Entscheidung gelten, inwieweit die Kosten des beim Prozeßgericht nicht zugelassenen und am Gerichtsort nicht ansässigen Prozeßbevollmächtigten zu erstatten sind.
Hier ist ebenso wie dem Bedarf an persönlichem Kontakt auch dem Vertrauensverhältnis zwischen der Partei und dem von ihr ausgewählten Rechtsanwalt Rechnung zu tragen. Zu berücksichtigen ist im übrigen, daß einem Zivilprozeß in vielen Fällen vorgerichtliche Auseinandersetzungen vorausgehen. Auch von einer kostenbewußten Partei kann selbst im Interesse der erstattungspflichtigen Gegenpartei nicht erwartet werden, auf den mit der Sache bereits vertrauten Rechtsanwalt zu verzichten und einen neuen Prozeßbevollmächtigten am Gerichtsort zu beauftragen (BGH, Beschluß vom 16. Oktober 2002 aaO).
b) Nach diesen Grundsätzen sind die den Prozeßbevollmächtigten der Beklagten entstandenen Reisekosten in die Kostenfestsetzung einzubeziehen (zu einem vergleichbaren Sachverhalt siehe auch BGH, Beschluß vom 18. Dezember 2003 – I ZB 21/03, zur Veröffentlichung bestimmt). (1) Die Beklagte war kostenrechtlich nicht darauf beschränkt, in M. ansässige Prozeßbevollmächtigte zu beauftragen. Wie bereits das Landgericht zutreffend erkannt hat, hätte sie ohne kostenrechtliche Nachteile auch Rechtsanwälte aus S. auswählen können. Dann stand es der Beklagten erst recht frei, die in B. ansässigen Rechtsanwälte ihrer Wahl zu beauftragen. Deren Reisekosten nach M. mußten von vornherein geringer ausfallen als diejenigen von Kollegen aus dem viel weiter entfernten Ort, in welchem die Beklagte ansässig ist. Ob direkte mündliche Gespräche zwischen der Beklagten und ihren Prozeßbevollmächtigten stattgefunden haben, ist nicht entscheidend. Die Erstattung der Kosten von Prozeßbevollmächtigten, die in der Nähe der Partei ansässig sind, rechtfertigt sich aus der Annahme, daß in der Regel ein persönliches mündliches Gespräch gesucht wird und erforderlich ist. Die Erstattung der von
der Beklagten geltend gemachten Reisekosten ihrer Prozeßbevollmächtigten wiederum rechtfertigt sich daraus, daß aus der Entfernung zum Gerichtsort nur geringere Kosten entstehen konnten, als es bei Rechtsanwälten aus S. der Fall gewesen wäre. (2) Nicht begründet ist die Befürchtung des Beschwerdegerichts, am Ende könne eine Prozeßpartei jeden beliebigen Rechtsanwalt in der Bundesrepublik Deutschland mit nicht mehr hinnehmbaren Kostenfolgen auswählen. Die unterlegene Partei muß die Kosten tragen, die aus dem Auseinanderfallen von Gerichtsort einerseits und Geschäfts- oder Wohnort einer Prozeßpartei andererseits entstehen. Dementsprechend sind die Reisekosten eines an einem dritten Ort ansässigen Prozeßbevollmächtigten jedenfalls insoweit zu erstatten, als sie sich im Rahmen der Reisekosten halten, die angefallen wären, wenn die Partei einen Prozeßbevollmächtigten entweder am Gerichtsort oder an ihrem Geschäfts- oder Wohnort beauftragt hätte. Ob ausnahmsweise auch darüber hinausgehende Kosten aus der Beauftragung eines an einem dritten Ort ansässigen Prozeßbevollmächtigten zu erstatten sein können, kann offenbleiben. Die Beklagte hat mit Hinblick auf die Entfernung zum Gerichtsort nicht höhere, sondern niedrigere Reisekosten angemeldet als sie bei Prozeßbevollmächtigten aus S. angefallen wären. Reisekosten speziell aufgrund der Entfernung zwischen ihrer Betriebsstätte und dem Kanzleisitz ihrer Prozeßbevollmächtigten schließlich hat die Beklagte nicht geltend gemacht.

III.

Das Beschwerdegericht hat von seinem Standpunkt aus folgerichtig keine Feststellungen zur Höhe der entstandenen Reisekosten einschließlich der Abwesenheitsgelder getroffen. Im Rechtsbeschwerdeverfahren können diese Feststellungen nicht nachgeholt werden (§ 577 Abs. 2 Satz 4 ZPO i.V. mit § 559 ZPO). Der angefochtene Beschluß ist deshalb aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, damit es die nötigen Feststellungen nachholen kann. Dressler Hausmann Bauner Kniffka Wiebel

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 11. März 2004 - VII ZB 27/03

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 11. März 2004 - VII ZB 27/03

Referenzen - Gesetze

Zivilprozessordnung - ZPO | § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht


(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung um

Zivilprozessordnung - ZPO | § 577 Prüfung und Entscheidung der Rechtsbeschwerde


(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Rechtsbeschwerde a

Zivilprozessordnung - ZPO | § 559 Beschränkte Nachprüfung tatsächlicher Feststellungen


(1) Der Beurteilung des Revisionsgerichts unterliegt nur dasjenige Parteivorbringen, das aus dem Berufungsurteil oder dem Sitzungsprotokoll ersichtlich ist. Außerdem können nur die in § 551 Abs. 3 Nr. 2 Buchstabe b erwähnten Tatsachen berücksichtigt

Zivilprozessordnung - ZPO | § 78 Anwaltsprozess


(1) Vor den Landgerichten und Oberlandesgerichten müssen sich die Parteien durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen. Ist in einem Land auf Grund des § 8 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz ein oberstes Landesgericht errichtet, so m
Bundesgerichtshof Beschluss, 11. März 2004 - VII ZB 27/03 zitiert 5 §§.

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Referenzen

(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.

(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.

(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.

(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.

(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZB 41/03
vom
11. November 2003
in dem Kostenfestsetzungsverfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
Die Zuziehung eines am Wohn- oder Geschäftsort der auswärtigen Partei ansässigen
Rechtsanwalts ist auch dann regelmäßig als zur zweckentsprechenden
Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig im Sinne von § 91
Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz ZPO anzusehen, wenn ein Haftpflichtversicherer
Partei ist, der keine eigene Rechtsabteilung unterhält, sondern bei rechtlichen
Schwierigkeiten einen Hausanwalt an seinem Geschäftsort beauftragt (sog.
"Outsourcing").
BGH, Beschluß vom 11. November 2003 - VI ZB 41/03 - LG Dortmund
AG Unna
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. November 2003 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Müller und die Richter Dr. Greiner, Wellner, Pauge
und Stöhr

beschlossen:
Die Anschlußrechtsbeschwerde des Klägers wird zurückgewiesen.
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluß der 9. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund vom 11. April 2003 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Entscheidung , auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens , an das Landgericht zurückverwiesen.
Gegenstandswert: 140,07 G r ü n d e :

I.


Der Kläger hat die Beklagten nach einem Verkehrsunfall auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Der Beklagte zu 1) ist der Fahrer des am Unfall beteiligten weiteren Fahrzeugs. Die Beklagte zu 2), sein Haftpflichtversicherer,
unterhält keine eigene Rechtsabteilung. Sie hat einem an ihrem Geschäftssitz K. ansässigen Rechtsanwalt Hauptvollmacht erteilt. Den Termin zur mündlichen Verhandlung des Rechtsstreits vor dem Amtsgericht U. hat ein dort ansässiger Rechtsanwalt in Untervollmacht wahrgenommen. Nachdem der Kläger mit der Klage in vollem Umfang unterlegen war, haben die Beklagten Antrag auf Kostenfestsetzung gestellt und u.a. die Kosten ihres Unterbevollmächtigten geltend gemacht. Die Rechtspflegerin des Amtsgerichts hat diese Kosten in ihrem Kostenfestsetzungsbeschluß vom 22. Januar 2003 antragsgemäß in Höhe von ! " $#% &(') *% ,+-&/. 01 140,07 Januar 2003 zugestellt worden. Er hat am 13. Februar 2003 sofortige Beschwerde eingelegt, weil die Kosten des Unterbevollmächtigten nicht erstattungsfähig seien. Mit Beschluß vom 11. April 2003 hat das Landgericht den angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluß abgeändert; die geltend gemachten Kosten des Unterbevollmächtigten seien nicht erstattungsfähig, soweit sie ersparte Informationsko- 2 3 " 3 2 4 657 % 3 % 48 9 : ; 9 <# >=9? &@ AB 3# % C 9 sten von 20,- zugelassene Rechtsbeschwerde der Beklagten. Der Kläger hat Anschluß- # 2 3 rechtsbeschwerde eingelegt, mit der er sich gegen den Ansatz der 20,- das Beschwerdegericht wendet. Insoweit seien gewöhnliche Geschäftsunkosten betroffen, die nicht erstattungsfähig seien.

II.

1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen ausgeführt, die Kosten eines Unterbevollmächtigten seien zwar zu erstatten, soweit sie die durch seine Tätigkeit ersparten Reisekosten des Prozeßbevollmächtigten nicht wesentlich überstiegen. Voraussetzung dafür sei
aber, daß die Reisekosten des Hauptbevollmächtigten im Falle einer Terminswahrnehmung zu erstatten seien. Davon sei hier nicht auszugehen. Die Beklagte zu 2) benötige als Haftpflichtversicherer ausreichend geschultes Personal. Es könne ihr nicht erlaubt werden, den Aufwand für dieses Personal auf den Prozeßgegner abzuwälzen, indem sie sich ihrer Hausanwälte bediene und deren Kosten als Verkehrsanwälte erstattet verlange. Sie hätte bei solchem Personal ohne vorherige anwaltliche Beratung einen Anwalt beim Prozeßgericht beauftragen und unterrichten können. Die Beklagten seien deshalb so zu behandeln , als unterhalte die Beklagte zu 2) eine Rechtsabteilung. Die Berücksichtigung weitergehender Kosten eines Verkehrsanwalts komme nicht in Betracht ; sie seien nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig. Fiktive Reisekosten könnten nicht anerkannt werden. Der hier gegebene Routinefall aus dem alltäglichen Geschäftsbereich eines Haftpflichtversicherers habe keiner Begründung eines persönlichen Vertrauensverhältnisses durch persönliche Kontaktaufnahme mit einem Rechtsanwalt bedurft. Besondere Umstände, die eine Erstattungsfähigkeit der Kosten eines Hausanwaltes ausnahmsweise rechtfertigen könnten, seien nicht zu erkennen. 2. Diese Erwägungen halten einer Überprüfung nicht stand.
a) Das Beschwerdegericht ist allerdings von dem zutreffenden rechtlichen Ansatz ausgegangen, daß sich die Erstattung von Kosten, die einer Partei durch die Beauftragung eines unterbevollmächtigten Rechtsanwalts entstanden sind, der an Stelle des Hauptbevollmächtigten (§ 53 BRAGO) die Vertretung in der mündlichen Verhandlung übernommen hat, nach der allgemeinen Vorschrift des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO und nicht nach § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO und auch nicht nach § 91 Abs. 2 Satz 3 ZPO beurteilt (vgl. BGH, Beschluß vom 16. Oktober 2002 - VIII ZB 30/02 - NJW 2003, 898, 899).

b) Zu Unrecht meint das Beschwerdegericht jedoch, die den Beklagten durch die Beauftragung des Unterbevollmächtigten nach §§ 53, 26 BRAGO entstandenen Kosten seien schon deshalb zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung nicht notwendig gewesen, weil die Beklagte sich als Haftpflichtversicherer so behandeln lassen müsse, als ob sie eine eigene Rechtsabteilung hätte; dann hätte sie sich zur Geringhaltung der Prozeßkosten eines beim Prozeßgericht in U. ansässigen Rechtsanwalts als Hauptbevollmächtigten bedienen müssen. Sie könne deshalb neben den Kosten eines Rechtsanwalts am Sitz des Prozeßgerichts nur die für eine (fiktive) Ratserteilung seitens eines am Geschäftsort der Beklagten ansässigen Rechtsanwalts entstehenden Kosten in =9 E 9F Höhe von 20,- D 20 Abs. 1 BRAGO) erstattet verlangen. aa) Wie das Beschwerdegericht im Ausgangspunkt nicht verkennt, sind die Kosten eines - hier tatsächlich eingeschalteten - Unterbevollmächtigten, der für den am Wohn- oder Geschäftsort der Partei ansässigen Rechtsanwalt Termine beim Prozeßgericht wahrnimmt, nur dann notwendige Kosten der Rechtsverteidigung im Sinne von § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, soweit durch die Tätigkeit des Unterbevollmächtigten erstattungsfähige Reisekosten des Hauptbevollmächtigten nach § 28 BRAGO erspart werden, die ansonsten bei der Wahrnehmung des Termins durch den Hauptbevollmächtigten entstanden wären (vgl. BGH aaO; zustimmend u.a. Schütt MDR 2003, 236; Madert BGHReport 2003, 154, 155; Enders JurBüro 2003, 169 ff.). bb) Notwendige Voraussetzung für die Erstattung von Kosten des Unterbevollmächtigten ist demnach zunächst, daß die dem Hauptbevollmächtigten im Falle eigener Terminswahrnehmung zustehenden Reisekosten dem Grunde nach zu erstatten sind. Das hat das Beschwerdegericht rechtsfehlerhaft verneint.
Die Beauftragung des in K. ansässigen Hauptbevollmächtigten durch die Beklagten stellte eine Maßnahme zweckentsprechender Rechtsverteidigung im Sinne von § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 ZPO dar. Zu Unrecht meint das Beschwerdegericht , die Beklagten hätten sich zur Kostenersparnis eines am Ort des Prozeßgerichts in U. residierenden Rechtsanwalts als Hauptbevollmächtigten bedienen müssen. Die Beurteilung der Frage, ob aufgewendete Prozeßkosten zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig waren, hat sich daran auszurichten , ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei die die Kosten auslösende Maßnahme im damaligen Zeitpunkt (ex ante) als sachdienlich ansehen durfte. Dabei darf die Partei ihr berechtigtes Interesse verfolgen und die zur vollen Wahrnehmung ihrer Belange erforderlichen Schritte tun. Sie trifft lediglich die Obliegenheit, unter mehreren gleich gearteten Maßnahmen die kostengünstigere auszuwählen (vgl. BGH aaO 900). (a) Wie der Bundesgerichtshof (aaO) bereits näher dargelegt hat, stellt die Hinzuziehung eines in der Nähe ihres Wohn- oder Geschäftsorts ansässigen Rechtsanwalts durch eine an einem auswärtigen Gericht verklagte Partei grundsätzlich eine Maßnahme zweckentsprechender Rechtsverteidigung dar. (b) Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kann nach der Rechtsprechung allerdings dann eingreifen, wenn bereits zum Zeitpunkt der Beauftragung des Hauptbevollmächtigten feststeht, daß ein eingehendes Mandantengespräch für die Rechtsverteidigung nicht erforderlich sein wird. Auf diese Ausnahme will das Beschwerdegericht zurückgreifen, wenn es meint, der Beklagten zu 2) sei es zumutbar, eine eigene Rechtsabteilung zur Beurteilung der Aussichten der Rechtsverteidigung zu unterhalten. Die Voraussetzungen einer solchen Ausnahme liegen hier jedoch nicht vor. Wie der Bun-
desgerichtshof in der mehrfach erwähnten Entscheidung bereits näher dargelegt hat (aaO 901), kommt es u.a. bei gewerblichen Unternehmen mit einer eigenen Rechtsabteilung, die die Sache bearbeitet hat, in Betracht, daß ein eingehendes Mandantengespräch für die Prozeßführung nicht erforderlich wird. Demgegenüber unterhält die Beklagte zu 2) unstreitig keine eigene Rechtsabteilung , sondern überträgt deren Aufgaben zumindest zum Teil auf den auch hier als Hauptbevollmächtigten eingeschalteten Rechtsanwalt ("Outsourcing") und im übrigen auf ihre juristisch nicht geschulten Sachbearbeiter. Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts muß sich die Beklagte nicht so behandeln lassen, als ob sie eine eigene Rechtsabteilung hätte. Wenn das Beschwerdegericht meint, daß die Einrichtung einer solchen Abteilung bei Haftpflichtversicherern üblich und auch der Beklagten zu 2) zumutbar wäre, verkennt es, daß es im Rahmen des Kostenerstattungsrechts auf die tatsächliche Organisation eines Versicherers ankommt und nicht darauf, welche Organisation das Gericht für zweckmäßig hält. Für die gegenteilige Ansicht des Beschwerdegerichts enthält das Gesetz keine Ansatzpunkte. Wie der Bundesgerichtshof in der mehrfach angesprochenen Entscheidung dargelegt hat, ist die Beauftragung eines in der Nähe des Wohn- oder Geschäftsortes seiner Partei ansässigen Hauptbevollmächtigten nur dann keine Maßnahme der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung, wenn bei seiner Beauftragung feststeht , daß ein eingehendes Mandantengespräch für die Prozeßführung nicht erforderlich sein wird. Diese Ausnahme von dem gesetzlich geregelten Grundsatz ist bewußt eng gefaßt und läßt eine Ausweitung – wie sie das Beschwerdegericht vornehmen will – schon im Ansatz nicht zu. Bei dieser Sachlage kann es nicht darauf ankommen, daß die Kosten einer Rechtsabteilung nicht auf den unterliegenden Gegner abgewälzt werden können, während dieser die anderenfalls erforderlichen Kosten eines Rechts-
anwalts regelmäßig zu tragen hat. Das ist eine Folge der Organisation der Beklagten zu 2), die der Prozeßgegner hinzunehmen hat. Daß der Beklagte zu 1) als Privatperson ohnehin nicht verpflichtet war, einen Anwalt am Ort des Prozeßgerichts zu beauftragen, mag richtig sein. Solange die Beklagte zu 2) jedoch für den Beklagten zu 1) den Rechtsstreit betreibt , hat das Beschwerdegericht zu Recht auf deren Verhältnisse abgestellt (vgl. § 10 Abs. 5 AKB). 3. Das Beschwerdegericht hat, von seinem Standpunkt aus folgerichtig, keine Feststellungen zur Höhe der dem Hauptbevollmächtigten der Beklagten im Falle der Wahrnehmung des Termins beim Amtsgericht U. zustehenden Reisekosten getroffen. Im Rechtsbeschwerdeverfahren können diese Feststellungen nicht nachgeholt werden (§ 577 Abs. 2 Satz 4 ZPO i.V.m. § 559 ZPO). Der angefochtene Beschluß ist deshalb aufzuheben, soweit er zum Nachteil der Beklagten ergangen ist. Die Sache ist zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, um den Beklagten die Möglichkeit zu eröffnen , die Höhe der ersparten Reisekosten des Hauptbevollmächtigten glaubhaft zu machen (§ 577 Abs. 4 Satz 1, Abs. 5 ZPO). 4. Die Anschlußrechtsbeschwerde des Klägers ist statthaft und zulässig (§ 574 Abs. 4 Satz 1, 2 ZPO); einen Mindestwert des Gegenstands der Anschlußrechtsbeschwerde sieht das Gesetz nicht vor (vgl. für die Rechtsbeschwerde BGH, Beschlüsse vom 28. Mai 2003 - XII ZB 165/02 - NJW 2003, 2531 und vom 21. Mai 2003 - VIII ZB 133/02 – MDR 2003, 1130, jeweils m.w.N.). In der Sache kann die Anschlußrechtsbeschwerde nach den obigen Ausführungen zur Rechtsbeschwerde keinen Erfolg haben. Allerdings ist der Ansatz einer Ratsgebühr durch das Beschwerdegericht nicht gerechtfertigt. Wenn die erforderliche erneute Überprüfung durch das Be-
schwerdegericht ergibt, daß die Höhe der erstattungsfähigen ersparten Reisekosten des Hauptbevollmächtigten der Beklagten die Kosten des Unterbevollmächtigten der Beklagten nicht erreicht, war eine Terminsvertretung durch den Hauptbevollmächtigten die kostengünstigere Maßnahme. Eine Ratsgebühr wäre bei dieser Fallgestaltung nicht entstanden. Soweit die Einschaltung eines Unterbevollmächtigten kostengünstiger war, war eine gesondert abzurechnende Beratung durch den Hauptbevollmächtigten gleichfalls nicht veranlaßt (vgl. §§ 20 Abs. 1 Satz 1, 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO). In beiden Fällen übersteigen die erstattungsfähigen Kosten jedoch die G 7 IH 4 1 : : vom Beschwerdegericht in Ansatz gebrachten 20,- eschwerde bleibt deshalb ohne Erfolg und ist zurückzuweisen.
Müller Greiner Wellner Pauge Stöhr

(1) Vor den Landgerichten und Oberlandesgerichten müssen sich die Parteien durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen. Ist in einem Land auf Grund des § 8 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz ein oberstes Landesgericht errichtet, so müssen sich die Parteien vor diesem ebenfalls durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen. Vor dem Bundesgerichtshof müssen sich die Parteien durch einen bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt vertreten lassen.

(2) Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich als Beteiligte für die Nichtzulassungsbeschwerde durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.

(3) Diese Vorschriften sind auf das Verfahren vor einem beauftragten oder ersuchten Richter sowie auf Prozesshandlungen, die vor dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vorgenommen werden können, nicht anzuwenden.

(4) Ein Rechtsanwalt, der nach Maßgabe der Absätze 1 und 2 zur Vertretung berechtigt ist, kann sich selbst vertreten.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
I ZB 21/03
vom
18. Dezember 2003
in der Rechtsbeschwerdesache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ : nein
BGHR : ja
Auswärtiger Rechtsanwalt III
Die Reisekosten eines an einem dritten Ort (weder Gerichtsort noch Wohnoder
Geschäftsort der Partei) ansässigen Prozeßbevollmächtigten sind bis zur
Höhe der fiktiven Reisekosten eines am Wohn- oder Geschäftsort der Partei
ansässigen Rechtsanwalts erstattungsfähig, wenn dessen Beauftragung zur
zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung erforderlich gewesen
wäre.
BGH, Beschl. v. 18. Dezember 2003 - I ZB 21/03 - OLG Hamburg
LG Hamburg
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. Dezember 2003
durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Ullmann und die Richter Prof.
Dr. Bornkamm, Dr. Büscher, Dr. Schaffert und Dr. Bergmann

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Verfügungsbeklagten wird der Beschluß des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg, 8. Zivilsenat , vom 11. Juli 2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde wird auf 646,97 festgesetzt.

Gründe:


I. Die in Ulm ansässige Verfügungsbeklagte wurde von der Verfügungsklägerin vor dem Landgericht Hamburg in einem Verfahren der einstweiligen Verfügung auf Unterlassung einer Werbeaussage in Anspruch genommen. Das Landgericht Hamburg hob die mit Beschluß vom 18. November 2002 erlassene
einstweilige Verfügung auf den Widerspruch der Verfügungsbeklagten wieder auf. Der Verfügungsklägerin legte es die Kosten des Verfahrens auf.
Im Kostenfestsetzungsverfahren hat die Verfügungsbeklagte beantragt, unter anderem auch die Kosten der Reise ihrer Stuttgarter Prozeßbevollmächtigten zu dem Verhandlungstermin in Hamburg einschließlich eines Tage- und Abwesenheitsgeldes festzusetzen. Das Landgericht hat dem Antrag insoweit nicht entsprochen und ausgeführt, daß die von der Verfügungsbeklagten beantragten Reisekosten ihres Rechtsanwalts nicht erstattungsfähig seien, da der Anwalt seine Kanzlei nicht am Sitz der Partei, sondern an einem dritten Ort habe. Die sofortige Beschwerde der Verfügungsbeklagten ist ohne Erfolg geblieben. Das Beschwerdegericht hat es offengelassen, ob der Verfügungsbeklagten als einem gewerblichen Unternehmen mit eigener Rechtsabteilung nicht ohnehin die Zuziehung eines Rechtsanwalts am Prozeßgericht zumutbar gewesen wäre. Die Reisekosten seien jedenfalls deshalb nicht zu erstatten, weil die Verfügungsbeklagte durch die Auswahl eines Rechtsanwalts, der weder am Wohnoder Geschäftsort der Partei noch im Bezirk des Prozeßgerichts, also an einem dritten Ort, ansässig sei, gezeigt habe, daß sie eines unmittelbaren Kontaktes zu ihrem Prozeßbevollmächtigten nicht bedürfe. Daher komme auch die Erstattung fiktiver Reisekosten nicht in Betracht.
Hiergegen richtet sich die (zugelassene) Rechtsbeschwerde der Verfügungsbeklagten , mit der sie ihren Kostenfestsetzungsantrag hinsichtlich der Reisekosten und des Tage- und Abwesenheitsgeldes weiterverfolgt.
II. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
Die Erstattungsfähigkeit der im Streit befindlichen Reisekosten hängt davon ab, ob es für die Verfügungsbeklagte notwendig war, einen Rechtsanwalt mit der Prozeßvertretung zu beauftragen, der nicht am Ort des Prozeßgerichts in Hamburg ansässig ist (§ 91 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 ZPO). Hierzu sind weitere tatsächliche Feststellungen des Beschwerdegerichts erforderlich.
1. Die Erstattungsfähigkeit der geltend gemachten Reisekosten scheitert nicht schon daran, daß der Rechtsanwalt an einem dritten Ort residiert.

a) Eine Partei, die einen Rechtsstreit zu führen beabsichtigt oder selbst verklagt wird, wird in aller Regel einen Rechtsanwalt in der Nähe ihres Wohnoder Geschäftsorts aufsuchen, um dessen Rat in Anspruch zu nehmen, ihn gegebenenfalls zu beauftragen und für eine sachgemäße Information des Rechtsanwalts zu sorgen. Kann diese sachgerechte Information nur in einem persönlichen mündlichen Gespräch erfolgen, so ist die Zuziehung eines nicht bei dem Prozeßgericht zugelassenen, aber in der Nähe des Wohn- oder Geschäftsorts ansässigen Rechtsanwalts regelmäßig zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig (vgl. BGH, Beschl. v. 16.10.2002 - VIII ZB 30/02, NJW 2003, 898, 900).

b) Im vorliegenden Fall hat die Verfügungsbeklagte keinen in der Nähe ihres Geschäftsorts ansässigen Prozeßbevollmächtigten beauftragt. Die Reisekosten des an einem dritten Ort ansässigen Rechtsanwalts sind gleichwohl bis zur Höhe der fiktiven Reisekosten eines am Wohn- oder Geschäftsort der Partei ansässigen Rechtsanwalts erstattungsfähig, wenn dessen Beauftragung - was dem Regelfall entspricht - zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung erforderlich gewesen wäre. Denn darf bei einem Streitfall eine vernünftige und kostenbewußte Partei den für sie einfacheren und naheliegen-
den Weg wählen, einen an ihrem Wohn- oder Geschäftsort ansässigen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten zu beauftragen, ist sie, soweit dessen Reisekosten nicht überschritten werden, nicht daran gehindert, zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung einen an einem dritten Ort ansässigen Rechtsanwalt ihres Vertrauens zu beauftragen. Die Partei, die die Mühen auf sich nimmt, einen nicht in ihrer Nähe ansässigen Rechtsanwalt ihres Vertrauens aufzusuchen, wird hierfür sachliche Gründe haben. Schutzwürdige Belange der gegnerischen Partei, nicht mit zusätzlichen Kosten belastet zu werden, werden wegen der Begrenzung der Kostenerstattung auf die Reisekosten des am Wohn- oder Geschäftsorts ansässigen Rechtsanwalts nicht betroffen.
2. Ob die Reisekosten des in Stuttgart ansässigen Prozeßbevollmächtigten der Verfügungsbeklagten im Streitfall gleichwohl nicht erstattungsfähig sind, bedarf jedoch weiterer tatsächlicher Feststellungen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt es sich bei den Reisekosten eines Rechtsanwalts nicht um notwendige Kosten einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung, wenn schon im Zeitpunkt der Beauftragung des nicht am Gerichtsort ansässigen Rechtsanwalts feststand, daß ein eingehendes Mandantengespräch für die Prozeßführung nicht erforderlich sein würde. Dies ist unter anderem regelmäßig der Fall, wenn es sich bei der Partei um ein gewerbliches Unternehmen handelt, das über eine eigene, die Sache bearbeitende Rechtsabteilung verfügt (vgl. BGH, Beschl. v. 10.4.2003 - I ZB 36/02, GRUR 2003, 725, 726 = WRP 2003, 894 - Auswärtiger Rechtsanwalt II; Beschl. v. 9.10.2003 - VII ZB 45/02, Umdr. S. 4 f., m.w.N.). In diesen Fällen ist im allgemeinen davon auszugehen, daß der Rechtsstreit durch die sachkundigen Mitarbeiter der Rechtsabteilung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vorbereitet und die Partei daher in der Lage sein wird, einen am Sitz des Prozeßgerichts ansässigen Prozeßbevollmächtigten umfassend schriftlich zu instruieren.

Die Rechtsbeschwerde hat hierzu geltend gemacht, im Rahmen des Verfahrens der einstweiligen Verfügung seien Spezialfragen des Arzneimittelzulassungsrechts und der Arzneimittelsicherheit inzident streitentscheidend gewesen. Diese hätten eine persönliche Kontaktaufnahme erforderlich gemacht. Dazu hat das Beschwerdegericht von seinem Standpunkt folgerichtig keine Feststellungen getroffen. Diese wird es nachzuholen haben. Der Senat sieht sich nicht in der Lage, die Frage selbst zu beurteilen, ob im Streitfall eine umfassende schriftliche Information nicht ausreichte, sondern ein eingehendes persönliches Mandantengespräch zwischen der Verfügungsbeklagten und ihrem Rechtsanwalt erforderlich war, obwohl die Verfügungsbeklagte rechtskundiges Personal beschäftigte. Denn der Senat ist von den in § 577 Abs. 2 Satz 4, § 559 Abs. 1 Satz 2 ZPO geregelten Verfahrensrügen abgesehen in der Beurteilung
auf den vom Beschwerdegericht festgestellten Sachverhalt und den Inhalt der Sitzungsprotokolle beschränkt (§ 577 Abs. 2 Satz 4, § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Diesen läßt sich nichts dazu entnehmen, daß die Verfügungsbeklagte ihren Rechtsanwalt ausschließlich schriftlich unterrichten konnte.
Ullmann Bornkamm Büscher
Schaffert Bergmann

(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.

(2) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Parteien gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 575 Abs. 3 und § 574 Abs. 4 Satz 2 gerügt worden sind. § 559 gilt entsprechend.

(3) Ergibt die Begründung der angefochtenen Entscheidung zwar eine Rechtsverletzung, stellt die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen sich als richtig dar, so ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

(4) Wird die Rechtsbeschwerde für begründet erachtet, ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen. § 562 Abs. 2 gilt entsprechend. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(5) Das Rechtsbeschwerdegericht hat in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung der Entscheidung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist. § 563 Abs. 4 gilt entsprechend.

(6) Die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde ergeht durch Beschluss. § 564 gilt entsprechend. Im Übrigen kann von einer Begründung abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.

(1) Der Beurteilung des Revisionsgerichts unterliegt nur dasjenige Parteivorbringen, das aus dem Berufungsurteil oder dem Sitzungsprotokoll ersichtlich ist. Außerdem können nur die in § 551 Abs. 3 Nr. 2 Buchstabe b erwähnten Tatsachen berücksichtigt werden.

(2) Hat das Berufungsgericht festgestellt, dass eine tatsächliche Behauptung wahr oder nicht wahr sei, so ist diese Feststellung für das Revisionsgericht bindend, es sei denn, dass in Bezug auf die Feststellung ein zulässiger und begründeter Revisionsangriff erhoben ist.