Bundesgerichtshof Beschluss, 17. März 2009 - VIII ZB 66/08

bei uns veröffentlicht am17.03.2009
vorgehend
Amtsgericht Lichtenberg, 8 C 297/07, 05.02.2008
Landgericht Berlin, 48 S 33/08, 17.07.2008

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VIII ZB 66/08
vom
17. März 2009
in dem Rechtsstreit
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. März 2009 durch den
Vorsitzenden Richter Ball, den Richter Dr. Wolst, die Richterinnen Hermanns
und Dr. Milger sowie den Richter Dr. Achilles

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss der Zivilkammer 48 des Landgerichts Berlin vom 17. Juli 2008 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Beschwerdewert: 4.408,66 €.

Gründe:

I.

1
Der Beklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Lichtenberg vom 5. Februar 2008 verurteilt worden, an die Klägerin 4.408,66 € nebst Zinsen zu zahlen. Gegen das ihm am 8. Februar 2008 zugestellte Urteil hat er am 7. März 2008 durch Schriftsatz seiner zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten vom gleichen Tage Berufung eingelegt. Diesen ist mit Rücksicht auf eine noch ausstehende Akteneinsicht über das für ihren Kanzleisitz zuständige Amtsgericht Erfurt eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 21. Mai 2008 bewilligt worden. Nachdem die Akten am 20. Mai 2008 immer noch nicht bei dem Amtsgericht Erfurt eingetroffen waren, haben sie mit einem an das Amts- gericht Lichtenberg zu dessen Geschäftsnummer gerichteten Schriftsatz vom 20. Mai 2008 beantragt, "die gewährte Fristverlängerung zur Berufungserwiderung" noch einmal um zwei Tage ab Eingang der Gerichtsakten bei dem Amtsgericht Erfurt zu verlängern. Diesen Antrag nebst einer Abschrift des an die Prozessbevollmächtigten der Klägerin wegen deren Zustimmung zur weiteren Fristverlängerung gerichteten Schreibens haben sie per Post an das Amtsgericht Lichtenberg und zugleich als Telefax an den Telefaxanschluss "Justizbehörde Mitte", den gemeinsamen Telefaxanschluss des Landgerichts Berlin und des Amtsgerichts Berlin Mitte, übersandt. Das Amtsgericht Lichtenberg hat den am 21. Mai 2008 bei ihm unmittelbar eingegangenen Verlängerungsantrag an das Berufungsgericht weitergeleitet, wo er am 23. Mai 2008 eingegangen ist.
2
Das Berufungsgericht hat die bei ihm am 23. Mai 2008 eingegangene Berufungsbegründung als verspätet angesehen und die Berufung mit dem angefochtenen Beschluss als unzulässig verworfen. Die daneben beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat das Berufungsgericht versagt, weil der Beklagte die Fristversäumung durch rechtzeitige Beantragung einer weiteren Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist hätte verhindern können und müssen. Dies habe er infolge der fehlerhaften Adressierung des Fristverlängerungsantrages versäumt, da der Antrag aus diesem Grunde erst nach Ablauf der Begründungsfrist bei dem Berufungsgericht eingegangen sei.

II.

3
Die statthafte Rechtsbeschwerde (§ 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) ist zulässig, weil die Rechtssache zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Sie hat auch in der Sache Erfolg. Das Berufungsgericht hätte die Berufung des Beklagten nicht als unzulässig verwerfen dürfen, weil der Antrag auf weitere Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist recht- zeitig eingegangen ist und der Beklagte das Rechtsmittel vor Ablauf der Zeitspanne , für die die weitere Fristverlängerung beantragt worden war, begründet hat (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Dezember 1995 - VII ZB 17/95, NJW 1996, 1350, unter II).
4
1. Das Berufungsgericht hat angenommen, der Fristverlängerungsantrag vom 20. Mai 2008 sei bei ihm wegen der unzutreffenden Adressierung nicht an diesem Tage, sondern erst am 23. Mai 2008 und damit nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist durch Eintreffen des Originals vom Amtsgericht Lichtenberg eingegangen. Dies beanstandet die Rechtsbeschwerde zutreffend als rechtsfehlerhaft.
5
a) Für den rechtzeitigen Eingang eines einzureichenden Schriftstücks ist entscheidend, ob es vor Fristablauf tatsächlich an das zur Entscheidung berufene Gericht gelangt ist (Senatsbeschluss vom 10. Juni 2003 - VIII ZB 126/02, NJW 2003, 3418, unter II 2). Das gilt entsprechend für den Eingang eines einzureichenden Schriftsatzes durch Telefax (BGH, Beschluss vom 10. Januar 1990 - XII ZB 141/89, NJW 1990, 990, unter II 2).
6
Das ist hier zwar für das Original des unmittelbar bei dem Amtsgericht Lichtenberg eingereichten Fristverlängerungsantrages zu verneinen, weil dieser erst am 23. Mai 2008 bei dem Landgericht Berlin eingegangen ist, nachdem das Amtsgericht Lichtenberg die falsche Adressierung erkannt und den Schriftsatz weitergeleitet hatte. Anders verhält es sich dagegen mit dem vorab durch Telefax übermittelten Fristverlängerungsantrag, der unter der angegebenen Telefaxnummer zur Posteingangsstelle der Justizbehörde Mitte I gelangt ist, bei der auch die für das Landgericht Berlin bestimmten Schriftstücke entgegengenommen werden. Zwar ist ein Schriftstück, das bei einer gemeinsamen Einlaufstelle für mehrere Gerichte eingeht, bei dem Gericht eingereicht, an das es gerichtet ist, da nur dieses Gericht durch den Eingang die zur Kenntnisverschaf- fung vom Inhalt des eingereichten Schriftstücks erforderliche tatsächliche Verfügungsgewalt erlangt (BGH, Beschluss vom 10. Januar 1990, aaO; BAG, NJW 2002, 845, 846 m.w.N.). Anders verhält es sich, wenn in solch einem Fall die Falschadressierung sogleich erkannt und der Schriftsatz deshalb unmittelbar an das zuständige Gericht weitergeleitet wird; in diesem Fall ist das Schriftstück trotz der Falschadressierung sogleich bei dem zuständigen anderen Gericht der gemeinsamen Einlaufstelle eingegangen (BGH, Beschluss vom 21. Oktober 1960 - V ZB 11/60, NJW 1961, 361; BAG, AnwBl 2001, 72). Angesichts der Offenkundigkeit der tatsächlich gemeinten Adressierung des Schriftstücks wandelt sich in diesem Fall ein zunächst gegebener Mitgewahrsam aller an der gemeinsamen Einlaufstelle beteiligten Gerichte umgehend in einen für den Zugang ausreichenden Alleingewahrsam des zuständigen Gerichts, so dass für eine einzuhaltende Frist auf den Zugang des Schriftstücks bei der gemeinsamen Einlaufstelle abzustellen ist (BGH, Beschluss vom 21. Juni 2004 - II ZB 18/03, FamRZ 2004, 1480, unter II 2). Entsprechendes gilt schließlich, wenn das bei einer gemeinsamen Einlaufstelle eingegangene Schriftstück überhaupt nicht adressiert ist. In diesem Fall besteht für das Personal der gemeinsamen Einlaufstelle von vornherein Anlass zu der Prüfung, welchem der angeschlossenen Gerichte das Schriftstück zugeordnet werden soll. Den für einen Zugang erforderlichen Alleingewahrsam erlangt hier sogleich das Gericht, für das das Schriftstück nach dem Ergebnis der vorzunehmenden Prüfung aufgrund seines Inhalts ersichtlich bestimmt ist (BGH, Beschluss vom 18. Februar 1997 - VI ZB 28/96, NJW-RR 1997, 892, unter II 1; vgl. ferner Beschluss vom 28. Januar 1992 - X ZB 17/91, NJW 1992, 1047, unter II).
7
b) Der letztgenannten Fallgestaltung steht der hier zu beurteilende Fall gleich. Nach seiner Adressierung war der Fristverlängerungsantrag für keines der an die Telefaxeingangsstelle angeschlossenen Gerichte bestimmt. Es war deshalb bei Eingang zu prüfen, ob der Schriftsatz an eines der angeschlosse- nen Gerichte auszufolgen oder an das Amtsgericht Lichtenberg weiterzuleiten war. Bei dieser Prüfung war wiederum sofort zu erkennen, dass es inhaltlich um die Verlängerung einer Frist in einem laufenden Berufungsverfahren ging, wobei in dem beigefügten Schreiben das Landgericht Berlin und das Aktenzeichen des Berufungsverfahrens angegeben waren. Es war mithin sofort erkennbar, dass das bei der gemeinsamen Telefaxeingangsstelle eingegangene Schriftstück dem Landgericht als Empfänger zuzuordnen war, so dass dieses mit dem Eingang den für eine wirksame Schriftsatzeinreichung erforderlichen Alleingewahrsam an dem Fristverlängerungsantrag erlangt hat.
8
2. Der Beklagte hat dadurch, dass sein Fristverlängerungsantrag rechtzeitig vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist an das hierüber zur Entscheidung berufene Landgericht Berlin gelangt ist, die Fristverlängerung rechtzeitig beantragt. Unschädlich ist, dass im Antrag selbst fälschlich von einer Verlängerung der Berufungserwiderungsfrist die Rede ist. Denn die Auslegung von Prozesshandlungen , die freier revisionsrechtlicher Nachprüfung unterliegt, hat sich an dem Grundsatz zu orientieren, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und dem recht verstandenen Interesse entspricht (Senatsbeschluss vom 10. Juni 2003, aaO m.w.N.). Danach kann es keinem Zweifel unterliegen, dass es dem Beklagten nur um eine weitere Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist gegangen ist.
9
Bei dieser Sachlage hätte das Landgericht die Berufung nur dann wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verwerfen dürfen, wenn der Antrag des Beklagten auf Verlängerung dieser Frist durch den Vorsitzenden der Berufungskammer abgelehnt worden wäre (BGH, Beschluss vom 5. April 2001 - VII ZB 37/00, NJW-RR 2001, 931, unter II; Beschluss vom 3. Februar 1988 - IVb ZB 19/88, NJW-RR 1988, 581, unter II). Die Entscheidung über diesen Antrag steht aber noch aus. Dem entsprechend stellt sich die Frage einer Fristversäumung und damit des Erfordernisses einer Wiedereinset- zung in den vorigen Stand erst, wenn die rechtzeitig beantragte Fristverlängerung abgelehnt werden sollte (BGH, Beschlüsse vom 5. April 2001 und vom 3. Februar 1988, aaO). Ball Dr. Wolst Hermanns Dr. Milger Dr. Achilles
Vorinstanzen:
AG Berlin-Lichtenberg, Entscheidung vom 05.02.2008 - 8 C 297/07 -
LG Berlin, Entscheidung vom 17.07.2008 - 48 S 33/08 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 17. März 2009 - VIII ZB 66/08

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 17. März 2009 - VIII ZB 66/08

Referenzen - Gesetze

Zivilprozessordnung - ZPO | § 574 Rechtsbeschwerde; Anschlussrechtsbeschwerde


(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

Zivilprozessordnung - ZPO | § 522 Zulässigkeitsprüfung; Zurückweisungsbeschluss


(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwer
Bundesgerichtshof Beschluss, 17. März 2009 - VIII ZB 66/08 zitiert 2 §§.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 574 Rechtsbeschwerde; Anschlussrechtsbeschwerde


(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

Zivilprozessordnung - ZPO | § 522 Zulässigkeitsprüfung; Zurückweisungsbeschluss


(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwer

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Bundesgerichtshof Beschluss, 17. März 2009 - VIII ZB 66/08 zitiert oder wird zitiert von 3 Urteil(en).

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(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.

(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass

1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,
3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und
4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten.

(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
II ZB 18/03
vom
21. Juni 2004
in dem Rechtsbeschwerdeverfahren
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 21. Juni 2004 durch
den Vorsitzenden Richter Dr. h.c. Röhricht und die Richter Prof. Dr. Goette,
Kraemer, Dr. Strohn und Caliebe

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Kläger wird der Beschluß der 3. Zivilkammer des Landgerichts Landau in der Pfalz vom 20. Mai 2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur Entscheidung über die Berufung und über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gründe:


I. Die Kläger sind die Erben des während des Berufungsverfahrens verstorbenen früheren Klägers D. H.. Sie begehren die Feststellung, daß der Beschluß des beklagten Sportvereins vom 21. Januar 2002 über den Ausschluß des Erblassers unwirksam war und dessen Mitgliedschaft beim Beklagten bis zu seinem Tode fortbestand.
Das Amtsgericht hat die gegen seinen Ausschluß und das ihm erteilte Hausverbot gerichtete Klage des Erblassers mit Urteil vom 22. November 2002 abgewiesen. Gegen diese ihm am 27. November 2002 zugestellte Entscheidung legte der frühere Kläger fristgerecht Berufung ein. Am Abend des 27. Januar 2003 warf sein Prozeßbevollmächtigter die an das zuständige Landgericht adressierte Berufungsbegründung in den gemeinsamen Nachtbriefkasten des Amts- und Landgerichts Landau ein. Der Schriftsatz befand sich mit für die Gerichtsvollzieherverteilungsstelle bestimmter Post in einem Sammelumschlag, der an die Gerichtsvollzieherverteilungsstelle adressiert war. Der Umschlag wurde am 28. Januar 2003 aus dem Nachtbriefkasten entnommen und ungeöffnet an die Gerichtsvollzieherverteilungsstelle übermittelt. Nachdem dort die für das Landgericht bestimmte Berufungsbegründung entdeckt worden war, wurde diese noch am gleichen Tag weitergeleitet.
Nachdem den Klägern der Eingang vom 28. Januar 2003 mitgeteilt worden war, haben sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und zur Begründung ausgeführt, die Berufungsbegründung sei fristgerecht am 27. Januar 2003 in den Nachtbriefkasten der gemeinsamen Annahmestelle gelangt , jedenfalls treffe sie aber an der Nichteinhaltung der Frist kein Verschulden.
Das Landgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Kläger.
II. 1. Die gem. § 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist auch im übrigen zulässig, weil die Siche-
rung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 ZPO).
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht auf einer Würdigung, die den Klägern den Zugang zu dem von der Zivilprozeßordnung eingeräumten Instanzenzug in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert. Dies verletzt den Anspruch der Kläger auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip, vgl. BVerfGE 69, 381, 385; 77, 275, 284; 88, 118, 123 f.; BVerfG NJW-RR 2002, 1004; aaO 1005; aaO 1007). Mit dem - fristgerechten - Einwurf der in dem Sammelbriefumschlag befindlichen Berufungsbegründung in den gemeinsamen Nachtbriefkasten des Amts- und Landgerichts wurde zumindest Mitgewahrsam des Berufungsgerichts an dem Briefumschlag nebst Inhalt begründet. Ein zur Entgegennahme von Schriftstücken für alle beteiligten Gerichte bestellter Beamter hätte somit beim Öffnen des Umschlags den Schriftsatz sogleich für das Berufungsgericht entgegengenommen, auch wenn der Sammelumschlag vor seiner Öffnung nicht erkennen ließ, daß er die an das Berufungsgericht adressierte Berufungsbegründungsschrift enthielt. Mit der Entgegennahme der Berufungsbegründung durch den Beamten der gemeinsamen Annahmestelle wäre aus dem Mitgewahrsam Alleingewahrsam des Berufungsgerichts geworden, mit der Folge , daß die Berufungsbegründungsfrist gewahrt gewesen wäre (BGH, Beschl. v. 21. Oktober 1960 - V ZB 11/60, NJW 1961, 361; BAG AnwBl. 2001, 72; s. auch Jauernig, ZZP 74, 199).
An der Rechtzeitigkeit des Eingangs der Berufungsbegründungsschrift durch die Einlegung in den Nachtbriefkasten ändert sich nicht etwa deshalb
etwas, weil hier innerhalb der Gerichtsverwaltung die Anweisung bestand, Eingänge der Gerichtsvollzieherverteilungsstelle ungeöffnet dem Nachtbriefkasten zu entnehmen und der zuständigen Sachbearbeiterin zu übergeben.
Der Gesetzgeber hat in der Zivilprozeßordnung und in den dort in Bezug genommenen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches verbindlich festgelegt , wie und innerhalb welcher Zeit in einem Zivilprozeß Rechtsmittel eingelegt werden können. Daran sind die Gerichte gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG). Die Frage der Fristwahrung hängt allein von den im Gesetz genannten objektiven Voraussetzungen ab. Sie kann nicht von der jeweiligen, auf internen Anordnungen der Gerichtsverwaltung beruhenden Organisation der Behandlung der in den gemeinsamen Nachtbriefkasten gelangten Sendungen abhängig gemacht werden. Die Entscheidung, ob eine Rechtsmittelfrist gewahrt ist oder nicht, ergäbe sich dann nämlich nicht mehr aus dem Gesetz allein, sondern hinge zusätzlich von - der Partei regelmäßig unbekannten und bei einzelnen Gerichten teilweise unterschiedlichen - internen Anordnungen über die Behandlung der eingegangenen Postsendungen ab. Die an dem gemeinsamen Nachtbriefkasten beteiligten Gerichte könnten, würde man den internen Anweisungen Beachtung schenken, den bereits mit dem Einwurf in den gemeinsamen Nachtbriefkasten begründeten (Mit-) Gewahrsam des zuständigen Gerichts dadurch vereiteln oder rückwirkend wieder beseitigen, daß sie die gemeinsame Annahmestelle "hinter" dem Nachtbriefkasten dergestalt organisieren , daß verschlossene Umschläge nicht zu öffnen sind (BAG aaO).
Eine Berechtigung oder gar eine Verpflichtung zu der hier gegebenen gerichtsinternen Anordnung über die Behandlung der an die Gerichtsvollzieherverteilungsstelle adressierten Postsendungen folgt entgegen der Ansicht
des Berufungsgerichts auch nicht daraus, daß in § 35 Nr. 1 GVO geregelt ist, daß die Gerichtsvollzieherverteilungsstelle den Zeitpunkt der Übergabe eines Auftrags auf dem Schriftstück zu vermerken hat. Damit wird lediglich eine Pflicht der Gerichtsvollzieherverteilungsstelle begründet. Wird Post für die Gerichtsvollzieherverteilungsstelle in den Nachtbriefkasten eingeworfen, der, da die Verteilungsstelle bei dem Amtsgericht eingerichtet ist, auch für den Einwurf dieser Post bestimmt ist, läßt sich der Regelung in § 35 Nr. 1 GVO nicht entnehmen , daß allein die Gerichtsvollzieherverteilungsstelle und nicht - auch - der Beamte, der zur Entgegennahme der Schriftstücke für alle an dem Nachtbriefkasten beteiligten Gerichte zuständig ist, seinerseits diese Post entgegennehmen und ihren Eingang bestätigen darf. Insofern unterscheidet sich der Fall von den den Entscheidungen BGH NJW 1994 aaO und BGH, Urt. v. 5. April 1990 - VII ZR 215/89, NJW 1990, 2822 zugrundeliegenden Fällen, da dort jeweils die Befugnis des Beamten, den Briefumschlag zu öffnen, aufgrund der nicht das Gericht betreffenden Adressierung des Umschlags ersichtlich nicht gegeben war.
Röhricht Goette Kraemer
Strohn Caliebe

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VII ZB 37/00
vom
5. April 2001
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
Wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist kann eine Berufung nicht als
unzulässig verworfen werden, bevor über einen Antrag auf Fristverlängerung entschieden
worden ist.
BGH, Beschluß vom 5. April 2001 - VII ZB 37/00 - Kammergericht
LG Berlin
Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. April 2001 durch den Vorsitzenden
Richter Prof. Dr. Ullmann und die Richter Prof. Dr. Thode, Dr. Haß,
Hausmann und Dr. Wiebel

beschlossen:
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluß des 27. Zivilsenats des Kammergerichts vom 26. September 2000 aufgehoben.

Gründe:

I.

Die Beklagte hat gegen das am 6. März 2000 zugestellte Urteil des Landgerichts am 7. April 2000 Berufung eingelegt. Am 4. Mai 2000 hat die Beklagte Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Zugleich hat sie den Antrag gestellt, die Begründungfrist "auf einen Monat nach Bekanntgabe der Wiedereinsetzungsentscheidung zu verlängern". Mit Beschluß vom 22. August 2000, der Beklagten zugegangen am 11. September 2000, hat das Berufungsgericht der Beklagten Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist gewährt. Am 22. September 2000 hat die Beklagte ihre Berufung begründet. Durch den angefochtenen Beschluß hat das Berufungsgericht die Berufung wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verworfen. Es hat ausgeführt, der Lauf der Begründungsfrist sei durch die Ver-
säumung der Berufungsfrist und das dadurch ausgelöste Wiedereinsetzungsverfahren nicht berührt worden. Das Fristverlängerungsgesuch vom 4. Mai 2000 habe sich ersichtlich nicht auf die am 8. Mai 2000 ablaufende Frist bezogen. Auch hätte es nur zu einer am 7. Juni 2000 ablaufenden Frist führen können , die durch die am 22. September 2000 eingegangene Begründung nicht eingehalten worden sei.

II.

Das Rechtsmittel hat Erfolg. Es ist allerdings richtig, daß der Lauf der Berufungsbegründungsfrist jedenfalls dann unberührt bleibt, wenn innerhalb der Frist weder das Rechtsmittel verworfen noch über den wegen der Fristversäumung gestellten Wiedereinsetzungsantrag entschieden wird (BGH, Beschluß vom 9. Januar 1989 - II ZB 11/88 BGHR ZPO § 238 Abs. 1 Satz 1 - Berufungsbegründungsfrist 1). Das Berufungsgericht hat aber nicht beachtet, daß die Berufung nur dann wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verworfen werden durfte, wenn der Antrag der Beklagten auf Verlängerung dieser Frist abgelehnt worden war (BGH, Beschluß vom 3. Februar 1988 - IVb ZB 19/88, NJW-RR 1988, 581). Zuständig dafür ist gemäß § 519 Abs. 2 Satz 3 ZPO der Vorsitzende. Den Akten ist nicht zu entnehmen, daß dieser über den Antrag auf Fristverlängerung entschieden hat. In dem Hinweis des Berufungsgerichts im Verwerfungsbeschluß, der Antrag der Beklagten hätte nur zu einer am 7. Juni 2000 ablaufenden Frist führen können, liegt nicht zugleich die Ablehnung der Verlängerung. Über den Verlängerungsantrag ist noch nicht entschieden worden. Das muß nachgeholt werden. In diesem Zusammenhang ist
darauf hinzuweisen, daß sich der Fristverlängerungsantrag vom 4. Mai 2000 nach seinem Wortlaut und nach den gesamten Umständen eindeutig auf die am 8. Mai 2000 ablaufende Berufungsbegründungsfrist bezog. Es ist nicht ersichtlich , warum eine Fristverlängerung nur bis zum 7. Juni 2000 hätte erfolgen können. Der Antrag auf Fristverlängerung nennt kein bestimmtes Datum. Dessen bedarf es auch nicht (MünchKomm/ZPO-Rimmelspacher § 519 Rdn. 14). Der Verlängerungsantrag ist auf die Bewilligung einer Frist gerichtet, die einen Monat nach Zugang der Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist endet. Nur wenn eine Fristverlängerung bis zum 22. September 2000 oder darüber hinaus abgelehnt wird, stellt sich die Frage der Wiedereinsetzung in den v origen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist. Ullmann Thode Haß Hausmann Wiebel