Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Juni 2017 - X ZR 28/15

bei uns veröffentlicht am12.06.2017
vorgehend
Landgericht Bonn, 1 O 165/13, 11.04.2014
Oberlandesgericht Köln, 19 U 75/14, 27.02.2015

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
X ZR 28/15
vom
12. Juni 2017
in dem Rechtsstreit
ECLI:DE:BGH:2017:120617BXZR28.15.0

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Juni 2017 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richter Gröning, Dr. Grabinski und Hoffmann sowie die Richterin Dr. Kober-Dehm

beschlossen:
Auf die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 27. Februar 2015 wird dieses Urteil im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Beklagten zu 1 bis 7 zur Zahlung von mehr als 267.210,45 € zuzüglich Zinsen sowie zur Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten von mehr als 1.702,30 € zuzüglich Zinsen verurteilt worden sind. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens , an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 327.961,87 € festgesetzt.

Gründe:


I. Die Klägerin begehrt von den Beklagten, den Erben des am
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18. Dezember 1997 verstorbenen W. (Erblassers), einen Anteil an dem Verwertungserlös für verschiedene Grundstücke.
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Am 4. August 1994 verkaufte der Erblasser notariell beurkundet verschiedene Immobilienwerte an Grundstücken in P. zum Gesamtkaufpreis von 800.000 DM an die I. gesellschaft mbH & Co. KG (I. ), ohne zugleich die Auflassung zu erklären. Mit notariellem Vertrag vom 6. Oktober 1995 schenkte der Erblasser im Wege der Abtretung die Hälfte seines Kaufpreisanspruchs aus dem Grundstückskaufvertrag bis zu einer maximalen Höhe von 800.000 DM dem Traditionsverein P. e.V. Nachdem die I. Eigentümer eines der ihr verkauften Grundstücke wurde, zahlte sie im Jahre 2000 an die Beklagten 430.000 DM, wovon später der Klägerin die Hälfte als Rechtsnachfolgerin des Traditionsvereins P. e.V. zugute kam. Im Jahre 2007 verlangte die I. von den Beklagten zu 1 bis 7 (künftig: die Beklagten) klageweise unter anderem die Auflassung der weiteren im Grundstückskaufvertrag aufgeführten Grundstücke. Am 25. Oktober 2007 schlossen die Parteien einen Vertrag, in dem sich
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die Klägerin damit einverstanden erklärte, dass die Beklagten sich gegen die begehrte Auflassung der weiteren Grundstücke verteidigten und den Rücktritt von dem Grundstückskaufvertrag durchsetzten, und sich verpflichtete, sich hälftig an den dadurch entstehenden Prozesskosten zu beteiligen. Im Erfolgsfalle sollten die Grundstücke freihändig veräußert und die Klägerin an dem Veräußerungserlös entsprechend den Maßgaben beteiligt werden, wie sie im Schenkungsvertrag vom 6. Oktober 1995 für den Kaufpreisanspruch gegen die I. bestimmt worden waren. Aufgrund dieser Vereinbarung leistete die Klägerin für die jeweils zu erwartenden Kosten insgesamt 36.983,86 € an die Beklagten. Die Klage der I. gegen die Beklagten wurde mit Urteil des Ober4 landesgerichts Brandenburg vom 21. Oktober 2010 abgewiesen. Den Beklagten erwuchsen aus diesem Rechtsstreit Kostenerstattungsansprüche in Höhe von 60.315,62 €. Im Jahre 2011 begehrten die Beklagten von der I. klageweise - soweit möglich - das lastenfreie Eigentum (Löschung von Vormerkungen ) an den im Grundstückskaufvertrag aufgeführten Grundstücken sowie Wertersatz für die übrigen Grundstücke. Dieser Rechtsstreit wurde durch einen Vergleich beendet, nach dem die I. zum Ausgleich aller wechselseitigen Ansprüche an die Beklagten 650.000 € zahlte. Die Klägerin hat von den Beklagten zu 1 bis 7 die Hälfte der diesen er5 statteten Prozesskosten (30.157,81 €) sowie von sämtlichen Beklagten - einschließlich der Beklagten zu 8 - die Zahlung der Differenz zwischen dem mit der Schenkung vereinbarten Höchstbetrag von 800.000 DM und den bereits im Jahre 2000 erhaltenen 215.000 DM, mithin 299.105,75 € (≙ 585.000 DM) begehrt. Die Beklagten haben demgegenüber hilfsweise aufgerechnet mit einem Anspruch auf Rückerstattung der im Jahre 2000 geleisteten 215.000 DM, mit einem Anspruch auf hälftige Erstattung ihrer Rechtsanwaltskosten aus dem im Jahre 2011 gegen die I. angestrengten Rechtsstreit (LG Potsdam 1 O 302/11) in Höhe von 27.442,12 €, mit einem Anspruch auf hälftige Erstattung der Gerichtskosten für den Rechtsstreit vor dem Landgericht Potsdam mit dem Aktenzeichen 6 O 240/11 in Höhe von 1.414 € sowie mit einem Anspruch auf hälftige Erstattung von weiteren Prozessführungskosten in Höhe von 41.437,04 €. Das Landgericht hat die Klage aufgrund der Aufrechnungen abgewiesen.
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Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht der Klage gegen die Beklagten in Höhe von 297.368,29 € stattgegeben. Gegen die Nichtzulassung der Revision wenden sich die Beklagten mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde.
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II. Die zulässige Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet, soweit sie sich gegen die Zuerkennung eines Zahlungsanspruchs der Klägerin in Höhe von 299.105,75 € aus der Vereinbarung vom 25. Oktober 2007 sowie gegen die Aberkennung des zur Aufrechnung gestellten Anspruchs auf Erstattung von Gerichtskosten in Höhe von 1.414 € für den Rechtsstreit 6 O 240/11 wendet, da die Rechtssache insoweit weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert; von einer näheren Begründung wird abgesehen (§ 544 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 2 ZPO). III. Im Übrigen ist die Beschwerde begründet und führt gemäß § 544
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Abs. 7 ZPO wegen der Aberkennung des hilfsweise zur Aufrechnung gestellten Erstattungsanspruchs in Höhe von 27.442,12 € und wegen der Zuerkennung einer Forderung der Klägerin im Zusammenhang mit diesem Verfahren in Höhe von 2.715,71 € insoweit zur Aufhebung des Berufungsurteils. 1. In dem vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Tatbestand
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des erstinstanzlichen Urteils wird unter anderem die hilfsweise Aufrechnung der Beklagten mit einem Anspruch auf hälftige Erstattung von Rechtsanwaltskosten in Höhe von 27.442,12 € für den Rechtsstreit vor dem Landgericht Potsdam (Az.: 1 O 302/11) dargestellt. In den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils hingegen wird zur Berechnung der Klageforderung im Hinblick auf die hilfsweise zur Aufrechnung gestellten Positionen ausgeführt, der Klägerin stehe hinsichtlich dieses Verfahrens eine Forderung gegen die Beklagten in Höhe von 2.715,71 € zu.
2. Dies rügt die Nichtzulassungsbeschwerde mit Erfolg. Die angefoch10 tene Entscheidung verletzt in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).
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a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht unter anderem, das tatsächliche und rechtliche Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und auf seine sachlich-rechtliche und verfahrensrechtliche Entscheidungserheblichkeit zu prüfen (st. Rspr., BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91, BVerfGE 86, 133; BGH, Beschlüsse vom 15. April 2010 - Xa ZB 10/09, GRUR 2010, 950; vom 12. April 2011 - X ZB 1/10, GRUR 2011, 656; vom 16. Juni 2011 - X ZB 3/10, GRUR 2011, 851; vom 28. November 2012 - X ZB 6/11, GRUR 2013, 318 Rn. 9).
b) Mit der Annahme, der Klägerin (nicht den Beklagten) stehe hinsicht12 lich des genannten Verfahrens eine Forderung in Höhe von 2.715,71 € gegen die Beklagten zu, lässt das Berufungsgericht den von den Beklagten gehaltenen Vortrag zu den ihnen entstandenen außergerichtlichen Kosten, deren hälftige Erstattung sie hilfweise mit der Aufrechnung begehrt haben, ungeprüft. Die Annahme des Berufungsgerichts, nicht den Beklagten, sondern der
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Klägerin stehe aus dem vor dem Landgericht Potsdam geführten Rechtsstreit eine solche Forderung zu, beruht weder auf Feststellungen des Berufungsurteils oder des erstinstanzlichen Urteils noch auf wiedergegebenem Parteivortrag zu den Parteien in diesem Rechtsstreit entstandenen Kosten. Die Angabe im Berufungsurteil, der Betrag stehe der Klägerin "nach deren auch in der Berufungsverhandlung unwidersprochen gebliebener Darstellung" für dieses Verfahren zu, lässt eine Tatsachengrundlage nicht erkennen. Die Annahme, der Klägerin stehe eine Forderung aus diesem Verfahren in Höhe von 2.715,71 € zu, steht vielmehr in Widerspruch zu dem Vortrag der Beklagten, ihnen seien im Zusammenhang mit diesem Verfahren Rechtsanwaltskosten in Höhe von 54.884,23 € entstanden, deren hälftige Erstattung (= 27.442,12 €) die Klägerin schulde. Wenn das Berufungsgericht diesen Vortrag sowie die darauf gestützte Hilfsaufrechnung nicht berücksichtigt und statt dessen zu einem gänzlich anderen Ergebnis hinsichtlich der Kosten dieses Verfahrens gelangt, lässt dies nur den Schluss zu, dass es den Vortrag der Beklagten bei der Entscheidungsfindung nicht zur Kenntnis genommen hat. 3. Das Berufungsurteil ist demnach aufzuheben, soweit es die Beklag14 ten zu einer Zahlung von mehr als 267.210,45 € nebst Zinsen sowie zu einer Zahlung von vorgerichtlichen, den Streitfall betreffenden Rechtsanwaltskosten von mehr als 1.702,30 € nebst Zinsen verurteilt hat, die angefallen wären, wenn die Klägerin nur jene Hauptsumme beansprucht hätte. Der Zahlungsanspruch der Klägerin aus der Vereinbarung vom
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25. Oktober 2007 in Höhe von 299.105,75 € ist in Höhe der bereits vom Berufungsgericht berücksichtigten Prozesskosten von (5.199,47 + 36.237,57 =) 41.437,04 €, von denen die darauf geleistete Zahlung der Klägerin in Höhe von 36.983,86 €, jedoch nicht der vom Berufungsgericht als Forderung der Klägerin berücksichtigte Betrag von 2.715,71 € abzuziehen ist, durch Aufrechnung erloschen. Steht den Beklagten der weiterhin zur Aufrechnung gestellte Anspruch auf hälftige Erstattung von außergerichtlichen Kosten des Verfahrens vor dem Landgericht Potsdam 1 O 302/11 in Höhe von 27.442,12 € zu, verbleibt eine begründete Klageforderung in Höhe von 267.210,45 €.
Meier-Beck Richter am Bundesgerichtshof Gröning Grabinski kann wegen Urlaubsabwesenheit nicht unterschreiben. Meier-Beck
Hoffmann Kober-Dehm
Vorinstanzen:
LG Bonn, Entscheidung vom 11.04.2014 - 1 O 165/13 -
OLG Köln, Entscheidung vom 27.02.2015 - 19 U 75/14 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Juni 2017 - X ZR 28/15

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Juni 2017 - X ZR 28/15

Referenzen - Gesetze

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge
Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Juni 2017 - X ZR 28/15 zitiert 2 §§.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

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Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Apr. 2011 - X ZB 1/10

bei uns veröffentlicht am 12.04.2011

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS X ZB 1/10 vom 12. April 2011 in dem Rechtsbeschwerdeverfahren betreffend das deutsche Patent 197 57 493 Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja Modularer Fernseher PatG § 100 Abs. 3 Nr. 3; GG Art. 103 Abs

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS X ZB 3/10 vom 16. Juni 2011 in der Rechtsbeschwerdesache betreffend das Gebrauchsmuster 201 22 563 Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja Werkstück GebrMG § 18 Abs. 4; PatG § 100 Abs. 3 Nr. 3 Von ein

Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Nov. 2012 - X ZB 6/11

bei uns veröffentlicht am 28.11.2012

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS X ZB 6/11 vom 28. November 2012 in der Rechtsbeschwerdesache betreffend das deutsche Patent 102 49 336 Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja Sorbitol PatG § 100 Abs. 3 Nr. 3 Selbst wenn der Schwerpunk

Referenzen

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
X ZB 1/10
vom
12. April 2011
in dem Rechtsbeschwerdeverfahren
betreffend das deutsche Patent 197 57 493
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Modularer Fernseher
Hält das Patentgericht den Gegenstand eines mit dem Einspruch angegriffenen
Patents im Hinblick auf eine Entgegenhaltung für nahegelegt, die bereits im Erteilungsverfahren
berücksichtigt worden ist und in der Einspruchsbegründung
zwar angeführt, aber eher beiläufig behandelt wird, reicht es zur Wahrung des
Anspruchs auf rechtliches Gehör grundsätzlich aus, wenn dem Patentinhaber in
der mündlichen Verhandlung ein entsprechender Hinweis erteilt wird.
BGH, Beschluss vom 12. April 2011 - X ZB 1/10 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. April 2011 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, den Richter Keukenschrijver, die
Richterin Mühlens und die Richter Dr. Grabinski und Dr. Bacher

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 20. Senats (Technischen Beschwerdesenats) des Bundespatentgerichts vom 3. März 2010 wird auf Kosten der Patentinhaberin zurückgewiesen.
Der Beschwerdewert wird auf 50.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe:


1
I. Die Rechtsbeschwerdeführerin ist Inhaberin des deutschen Patents 197 57 493 (Streitpatents), das am 23. Dezember 1997 unter Inanspruchnahme der Priorität einer koreanischen Anmeldung vom 23. Dezember 1996 angemeldet worden ist. Das Streitpatent betrifft einen modularen Fernseher und ein Steuerungsverfahren dafür. Die Patentansprüche 1 und 2 lauten wie folgt: "1. Modularer Fernseher, der umfasst: - einen Mikrocomputer (4; 20) zur Steuerung von Funktionskarten (1219 ), die in dem modularen Fernseher angebracht sind, und zur Überprüfung , ob die Funktionskarten in Übereinstimmung mit abgespeicherten Modultypdaten angebracht sind, - einen Speicher (21), der mit dem Mikrocomputer verbunden ist, zum Speichern der Modultypdaten, welche den aktuell gewählten Modultyp kennzeichnen, und von Daten über funktionale Zustände des modularen Fernsehers und der darin enthaltenen Funktionskarten, - einen I²C-BUS (22), der die Komponenten des Fernsehers miteinander verbindet - eine Verbindungseinheit (23), über die eine externe Steuerungsvorrichtung (24) an den I²C-BUS angeschlossen werden kann, wobei mittels der externen Steuerungsvorrichtung Modultypdaten, welche den aktuell gewählten Modultyp kennzeichnen, eingegeben und in dem Speicher abgespeichert werden können.
2. Steuerungsverfahren für einen modularen Fernseher, das umfasst: - Speichern von Modultypdaten, welche einen gewählten Modultyp kennzeichnen, an einer bestimmten Adresse in einem Speicher (21), wobei - diese Daten mittels einer externen Steuerungsvorrichtung (24), die mit einem I²C-BUS (22) des Fernsehers verbunden ist, eingegeben werden , - Überprüfen, ob die in dem Fernseher angebrachten Funktionskarten (12-19) mit den gespeicherten Modultypdaten übereinstimmen, durch einen Mikroprozessor (4; 20) des Fernsehers, - wenn im vorgenannten Schritt Übereinstimmung festgestellt wurde, Durchführung von vorgegebenen Steuerungsroutinen zur Steuerung der angebrachten Funktionskarten (12-19) durch den Mikroprozessor (4; 20)."
2
Die weiteren Patentansprüche sind auf Patentanspruch 2 zurückbezogen.
3
Die Rechtsbeschwerdegegnerin hat gegen das Streitpatent Einspruch erhoben. Sie hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents beruhe nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Die Patentinhaberin hat das Schutzrecht in erster Linie in der erteilten Fassung und hilfsweise in geänderter Fassung verteidigt.
4
Das Patentgericht hat das Streitpatent mit der angefochtenen Entscheidung widerrufen. Dagegen richtet sich die nicht zugelassene Rechtsbeschwerde der Patentinhaberin, der die Einsprechende entgegentritt.
5
II. Das form- und fristgerecht eingelegte Rechtsmittel ist statthaft, weil die Patentinhaberin einen Zulassungsgrund im Sinne von § 100 Abs. 3 Nr. 3 PatG geltend macht. Es ist jedoch unbegründet. Das Patentgericht hat den Anspruch der Patentinhaberin auf rechtliches Gehör nicht verletzt.
6
1. Der Rechtsbeschwerdegrund des § 100 Abs. 3 Nr. 3 PatG trägt der Bedeutung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) für ein rechtsstaatliches Verfahren Rechnung, in dem jeder Verfahrensbeteiligte seine Rechte wirksam wahrnehmen kann. Dies setzt voraus, dass das Gericht das tatsächliche und rechtliche Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis nimmt und auf seine sachlich-rechtliche und verfahrensrechtliche Entscheidungserheblichkeit prüft und ferner keine Erkenntnisse verwertet, zu denen die Verfahrensbeteiligten sich nicht äußern konnten (BGH, Beschluss vom 27. Juni 2007 - X ZB 6/05, BGHZ 173, 47 Rn. 30 - Informationsübermittlungsverfahren II; Beschluss vom 22. September 2009 - Xa ZB 36/08, GRUR 2010, 87 Rn. 12 - Schwingungsdämpfer).
7
Unter dem zuletzt genannten Aspekt kommt eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG insbesondere dann in Betracht, wenn das Gericht bei seiner Entscheidung Tatsachen zu Grunde gelegt hat, zu denen ein Beteiligter nicht mehr Stellung nehmen konnte. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gebietet allerdings nicht, dass das Patentgericht darauf hinweist, welchen Offenbarungsgehalt es einer in der mündlichen Verhandlung erörterten Veröffentlichung entnimmt. Art. 103 Abs. 1 GG ist jedoch verletzt, wenn das Patentgericht die Patentfähigkeit unter Berufung auf eine zum Stand der Technik gehörende Veröffentlichung verneint, die der Einsprechende nur beiläufig in Zusammenhang mit einem (neben der fehlenden Patentfähigkeit) zusätzlich geltend gemachten Widerrufsgrund erwähnt hat, ohne zuvor den Patentinhaber darauf hinzuweisen, dass diese Veröffentlichung der Patentfähigkeit entgegenstehen könnte (BGH, Beschluss vom 8. September 2009 - X ZB 35/08, GRUR 2009, 1192 Rn. 16 - Polyolefinfolie).
8
2. Im Streitfall ist das Patentgericht den sich daraus ergebenden Anforderungen gerecht geworden.
9
a) Das Patentgericht war gehalten, die Patentinhaberin darauf hinzuweisen , dass der Gegenstand des Streitpatents durch die US-Patentschrift 5 274 455 nahegelegt sein könnte. Die Einsprechende hatte diese Entgegenhaltung zwar als Anlage D3 in das Verfahren eingeführt und auch im Zusammenhang mit dem Widerrufsgrund der fehlenden Patentfähigkeit erwähnt, ihre Argumentation aber im Wesentlichen auf andere Entgegenhaltungen gestützt.
10
Dieser Hinweispflicht hat das Patentgericht genügt, indem es, wie beide Beteiligten übereinstimmend vortragen, zu Beginn der mündlichen Verhandlung über den Einspruch darauf hingewiesen hat, dass es gegenüber der Entgegenhaltung D3 keine erfinderische Tätigkeit sehe.
11
b) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde war das Patentgericht nicht gehalten, einen Hinweis dieses Inhalts bereits vor der mündlichen Verhandlung zu erteilen.
12
Ein in der mündlichen Verhandlung erteilter Hinweis ist zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör allerdings nicht ausreichend, wenn der Beteiligte keine angemessene Möglichkeit hat, im Rahmen der Verhandlung zu dem Hinweis Stellung zu nehmen. Hat das Gericht in solchen Konstellationen den Hinweis nicht bereits in angemessenem zeitlichem Abstand vor der mündlichen Verhandlung erteilt, ist es von Verfassungs wegen gehalten, die Verhandlung zu vertagen oder dem Beteiligten ein Schriftsatzrecht einzuräumen (BVerfG, Beschluss vom 18. August 2010 - 1 BvR 3268/07, LKV 2010, 468 Rn. 28 ff.).
13
Diese Voraussetzungen lagen im Streitfall indes nicht vor. Die Patentinhaberin hatte in der mündlichen Verhandlung auch ohne einen schon im Vorfeld erteilten Hinweis ausreichend Gelegenheit, zum Offenbarungsgehalt der Entgegenhaltung D3 und den sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen für die Patentfähigkeit des Gegenstands des Streitpatents Stellung zu nehmen. Die genannte Entgegenhaltung wird in der Beschreibung des Streitpatents ausdrücklich erwähnt (Abs. 21) und ist ausweislich des Vermerks auf der ersten Seite der Streitpatentschrift im Erteilungsverfahren für die Beurteilung der Patentfähigkeit in Betracht gezogen worden. Auch die Einsprechende hat diese Veröffentlichung in ihrer Einspruchsbegründung als eine von vier Entgegenhaltungen aufgeführt. Vor diesem Hintergrund durfte das Patentgericht davon ausgehen , dass die Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung auch ohne vorherigen Hinweis zu dieser Entgegenhaltung Stellung nehmen kann. Besondere Umstände, die zu einer anderen Beurteilung führen könnten, sind nicht ersichtlich und werden auch von der Rechtsbeschwerde nicht geltend gemacht.
14
c) Ob die Einsprechende die Entgegenhaltung D3 zusammen mit der Einspruchsbegründung in Kopie zur Gerichtsakte gereicht hat und ob eine Abschrift davon an die Patentinhaberin übermittelt worden ist, bedarf keiner Aufklärung. Selbst wenn diese Entgegenhaltung anders als alle übrigen Veröffentlichungen , auf die die Einsprechende Bezug genommen hatte, nicht als Anlage eingereicht worden wäre, war die Patentinhaberin ohne weiteres in der Lage, auf diese Patentschrift zuzugreifen, sofern sie ihr nicht ohnehin noch aus dem Erteilungsverfahren zur Verfügung stand. Das Patentgericht brauchte sich vor diesem Hintergrund im Vorfeld der mündlichen Verhandlung nicht eigens zu vergewissern, ob der Patentinhaberin eine Kopie der Entgegenhaltung übermittelt worden war.
15
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 109 Abs. 1 Satz 2 PatG, die Festsetzung des Beschwerdewerts auf § 51 Abs. 1 GKG.
16
IV. Eine mündliche Verhandlung hat der Senat nicht für erforderlich gehalten (§ 107 Abs. 1 Halbsatz 2 PatG).
Meier-Beck Keukenschrijver Mühlens
Grabinski Bacher
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 03.03.2010 - 20 W(pat) 339/05 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
X ZB 3/10
vom
16. Juni 2011
in der Rechtsbeschwerdesache
betreffend das Gebrauchsmuster 201 22 563
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Werkstück
Von einer in einem gerichtlichen Hinweis geäußerten Rechtsauffassung darf
das Gericht in der Endentscheidung nur abweichen, wenn für die Verfahrensbeteiligten
- sei es durch den Verlauf der mündlichen Verhandlung, sei es durch
einen ausdrücklichen weiteren Hinweis des Gerichts - erkennbar wird, dass sich
entweder die Grundlage verändert hat, auf der das Gericht den ursprünglichen
Hinweis erteilt hat, oder dass das Gericht bei unveränderter Entscheidungsgrundlage
nunmehr eine andere rechtliche Beurteilung in Erwägung zieht als
den Beteiligten angekündigt.
BGH, Beschluss vom 16. Juni 2011 - X ZB 3/10 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Juni 2011 durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richterin Mühlens, die Richter
Gröning und Dr. Bacher sowie die Richterin Schuster

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin wird der am 27. April 2010 verkündete Beschluss des 35. Senats (Gebrauchsmuster -Beschwerdesenats) des Bundespatentgerichts aufgehoben. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Bundespatentgericht zurückverwiesen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 125.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe:


1
I. Die Antragsgegnerin ist Inhaberin des Gebrauchsmusters 201 22 563, das am 11. Mai 2006 in das beim Deutschen Patent- und Markenamt geführte Gebrauchsmusterregister eingetragen worden ist. Es betrifft ein Werkstück mit sehr hohen mechanischen Eigenschaften und umfasst zehn Schutzansprüche, von denen die Ansprüche 1 bis 3 nebengeordnet und die Schutzansprüche 4 bis 10 in unterschiedlichem Umfang auf die Nebenansprüche 1 bis 3 rückbezogen sind. Schutzanspruch 1 lautet wie folgt: "Werkstück mit sehr hohen mechanischen Eigenschaften, bestehend aus einem mit einer intermetallischen Legierungsverbindung beschichteten, tiefgezogenen Blechzuschnitt, der durch Zuschneiden eines gewalzten, insbesondere warmgewalzten Bandstahlblechs entstanden ist, wobei das Bandstahlblech mit einem Metall oder einer metallischen Legierung beschichtet ist, welche einen Schutz der Oberfläche und des Stahls sicherstellen, die intermetallische Legierungsverbindung aus einer Transformation der Beschichtung aus dem Metall oder der Metalllegierung vor oder nach dem Tiefziehen hervorgegangen ist, die intermetallische Legierungsverbindung an der Oberfläche durch die durch eine Temperaturerhöhung über 700° C realisierte Transformation gebildet ist und einen Schutz gegen die Korrosion und gegen die Entkohlung des Stahls sicherstellt sowie eine Schmierfunktion bewirkt, wobei das Metall oder die metallische Legierung der Beschichtung Zink oder eine Legierung auf der Basis von Zink ist."
2
Auf den Löschungsantrag der Antragstellerin hat die Gebrauchsmusterabteilung des Deutschen Patent- und Markenamts das Streitgebrauchsmuster gelöscht, soweit es über die Schutzansprüche 1 bis 9 gemäß Hilfsantrag vom 12. Juni 2008 hinausgeht. Gegen diesen Beschluss haben sowohl die Antragstellerin als auch die Antragsgegnerin Beschwerde eingelegt. Im Beschwerdeverfahren hat die Antragsgegnerin das Gebrauchsmuster hauptsächlich im Umfang der eingetragenen Schutzansprüche 1 bis 10, hilfsweise im Umfang der Schutzansprüche 1 bis 9 vom 21. Januar 2010 und weiter hilfsweise mit den Schutzansprüchen 1 bis 9 vom 12. Juni 2008 verteidigt.
3
Das Patentgericht hat mit Verfügung vom 11. Februar 2010 Verhandlungstermin auf den 27. April 2010 bestimmt. Die Ladung enthält folgenden Zusatz : "Auf Anordnung des Vorsitzenden werden die Beteiligten zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass der Senat aufgrund des bisherigen schriftsätzlichen Vorbringens dazu neigt, den von beiden Seiten angefochtenen Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts im Ergebnis zu bestätigen, d.h. derzeit ist mit einer Zurückweisung beider Beschwerden zu rechnen."
4
Das Patentgericht hat das Streitgebrauchsmuster in vollem Umfang gelöscht. Die Beschwerde der Antragsgegnerin hat es zurückgewiesen.
5
Hiergegen richtet sich die nicht zugelassene Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin , der die Antragstellerin entgegentritt.
6
II. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, da mit ihr der Beschwerdegrund der Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 18 Abs. 4 GebrMG i.V.m. § 100 Abs. 3 Nr. 3 PatG) geltend gemacht wird, und auch im Übrigen zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg, da der geltend gemachte Beschwerdegrund vorliegt.
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1. Das Patentgericht hat ausgeführt, dass die Gegenstände der Schutzansprüche 1 bis 3 nach Hauptantrag sowie der Schutzansprüche 1 bis 3 nach den Hilfsanträgen 1 und 2 mit Blick auf die europäische Patentanmeldung 971 044 (Anlage D1) und die japanische Patentanmeldung Sho 62-23975 (An- lage DJ, deutsche Übersetzung) nicht auf einem erfinderischen Schritt beruhten und deshalb nicht schutzfähig seien.
8
2. Die Rechtsbeschwerde sieht durch die Löschung des Gebrauchsmusters den Anspruch der Antragsgegnerin auf rechtliches Gehör verletzt. Aufgrund des schriftlichen Hinweises in der Terminsladung vom 11. Februar 2010 habe der Antragsgegnervertreter davon abgesehen, sechs bereits vorbereitete weitere Hilfsanträge und zusätzliche Unterlagen bei Gericht einzureichen. Der Vorsitzende des Gebrauchsmustersenats habe darüber hinaus in zwei Telefonaten mit dem Antragsgegnervertreter - eines der Telefongespräche habe einen Tag vor der mündlichen Verhandlung stattgefunden - und auch zu Beginn der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass der Senat die Zurückweisung beider Beschwerden beabsichtige. Eine sachliche Begründung dieser Sichtweise sei bei keinem der Gespräche und auch nicht zu Beginn der Verhandlung gegeben worden. Die Antragsgegnerin meint, sie sei durch diese Verfahrensweise gehindert gewesen, die vorbereiteten Hilfsanträge zur Verteidigung des Gebrauchsmusters zu stellen. Die auf die Verhandlung ergangene Entscheidung sei eine Überraschungsentscheidung und verletze ihren Anspruch auf rechtliches Gehör, da die Vorlage und Berücksichtigung der weiteren Hilfsanträge gegebenenfalls zu einer anderen Beurteilung der Schutzfähigkeit des Gebrauchsmusters geführt hätte.
9
3. Die Rüge ist begründet.
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a) Der Rechtsbeschwerdegrund des § 100 Abs. 3 Nr. 3 PatG trägt der Bedeutung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) für ein rechtsstaatliches Verfahren Rechnung, in dem jeder Verfahrensbeteiligte seine Rechte wirksam wahrnehmen kann. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gibt jedem Verfahrensbeteiligten das Recht, sich zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt zu äußern und dem Gericht seine Auffassung zu den erheblichen Rechtsfragen darzulegen. Das Gericht ist verpflichtet, das tatsächliche und rechtliche Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und auf seine sachlich-rechtliche und verfahrensrechtliche Entscheidungserheblichkeit zu prüfen. Es darf ferner keine Erkenntnisse verwerten, zu denen sich die Verfahrensbeteiligten nicht äußern konnten (st. Rspr., BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91, BVerfGE 86, 133; Beschluss vom 10. Februar 1995 - 2 BvR 893/93, NJW 1995, 2095; Beschluss vom 2. Mai 1995 - 1 BvR 2174/94, 1 BvR 2220/94, NJW 1995, 2095, 2096; BGH, Beschluss vom 27. Juni 2007 - X ZB 6/05, BGHZ 173, 47 - Informationsübermittlungsverfahren II; Beschluss vom 27. Februar 2008 - X ZB 10/07, GRUR RR 2008, 456 - Installiereinrichtung; Beschluss vom 22. September 2009 - Xa ZB 36/08, GRUR 2010, 87 - Schwingungsdämpfer; Beschluss vom 15. April 2010 - Xa ZB 10/09, GRUR 2010, 950 - Walzenformgebungsmaschine ; Beschluss vom 12. April 2011 - X ZB 1/10, zur Veröffentlichung vorgesehen - Modularer Fernseher). Das Gericht muss aber den Parteien nicht mitteilen, wie es den die Grundlage seiner Entscheidung bildenden Sachverhalt voraussichtlich würdigen wird (Senatsbeschluss vom 16. September 2008 - X ZB 29/07, GRUR 2009, 91 - Antennenhalter).
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b) Das Patentgericht ist von seiner vor der Entscheidung schriftlich und mündlich geäußerten vorläufigen Meinung ohne erneuten Hinweis abgewichen. Darin liegt unter den Umständen des Streitfalls eine Verletzung des Anspruchs der Antragsgegnerin auf rechtliches Gehör.
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aa) Das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 15. August 1996 - 2 BvR 2600/95, NJW 1996, 3202) hat eine Verletzung rechtlichen Gehörs an- genommen, wenn das Gericht einen rechtlichen Hinweis zu einer entscheidungserheblichen Frage erteilt und im Urteil entgegengesetzt entscheidet, ohne die Verfahrensbeteiligten auf die Änderung der rechtlichen Beurteilung hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben zu haben. In dem so entschiedenen Fall war für den Ausgang einer Zahlungsklage entscheidend, ob ein Zurückbehaltungsrecht geltend gemacht werden konnte. Nach dem vom Amtsgericht schriftlich erteilten Hinweis durfte der Kläger davon ausgehen, dass das Gericht die Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts durch den Beklagten als nicht zulässig ansehen würde. Das Amtsgericht hat jedoch seiner Entscheidung ohne erneuten Hinweis die entgegengesetzte Rechtsauffassung zugrunde gelegt. In einem weiteren vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall konnte der Beschwerdeführer im Hinblick auf eindeutig formulierte Ausführungen in einem Hinweisbeschluss des Oberlandesgerichts auf die Zulassung der Revision vertrauen (BVerfG, Beschluss vom 7. Oktober 2003 - 1 BvR 10/99, BVerfGE 108, 341).
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bb) In diesen Fällen war der gerichtliche Hinweis mit einer sachlichen Begründung versehen, die den Parteien die Ansicht des Gerichts zu einer konkreten Rechtsfrage vermittelt hat. Im Streitfall enthielten der schriftliche Ladungszusatz und - nach unangegriffenem Vorbringen der Rechtsbeschwerde - auch die (fern)mündlichen Hinweise keine inhaltlichen Ausführungen etwa dahingehend , welche Entgegenhaltungen in welchem Umfang der Schutzfähigkeit der Erfindung entgegenstünden und aus welchen Gründen dies der Fall sei. Beiden Beteiligten wurde lediglich mehrfach die Erfolglosigkeit des jeweiligen Rechtsmittels in Aussicht gestellt. Gleichwohl vermittelte der Hinweis, die Zurückweisung beider Beschwerden sei beabsichtigt, den Beteiligten die Meinung des Gerichts, die Vorinstanz habe jedenfalls im Ergebnis zutreffend entschieden und es sei nicht mit einer Beurteilung des Streitstoffs zu rechnen, nach der sich der Löschungsantrag als in vollem Umfang begründet oder insgesamt unbegründet darstellte. Die vollständige Löschung des Gebrauchsmusters war deshalb aus Sicht der Antragsgegnerin überraschend. Daran ändert nichts, dass das Patentgericht durch die sprachlich einschränkende Formulierung des Hinweises nur seine vorläufige Meinung kundgetan und nicht ausdrücklich einen bestimmten Prozessausgang als sicher dargestellt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Juli 2003 - I ZB 36/00, GRUR 2003, 901 - MAZ).
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cc) Von einer in einem gerichtlichen Hinweis geäußerten Rechtsauffassung , die - will sich das Gericht nicht dem Vorwurf der Voreingenommenheit aussetzen - stets eine vorläufige sein wird, darf das Gericht in der Endentscheidung nur abweichen, wenn für die Verfahrensbeteiligten - sei es durch den Verlauf der mündlichen Verhandlung, sei es durch einen ausdrücklichen weiteren Hinweis des Gerichts - erkennbar wird, dass sich entweder die Grundlage verändert hat, auf der das Gericht den ursprünglichen Hinweis erteilt hat, oder dass das Gericht bei unveränderter Entscheidungsgrundlage nunmehr eine andere rechtliche Beurteilung in Erwägung zieht als den Beteiligten angekündigt. Hinweise des Gerichts sollen einem fairen Verfahren und der Gewinnung des richtigen Prozessergebnisses dienen. Sie sind von den Verfahrensbeteiligten zu beachten, die die ihnen darin auferlegten Verpflichtungen oder Vorgaben erfüllen sollen, und von denen das Gericht erwartet, dass sie in der mündlichen Verhandlung keinen Vortrag halten, dessen es nach dem Hinweis des Gerichts nicht bedarf, um das nach der vorläufigen Auffassung des Gerichts erwartbare Verfahrensergebnis herbeizuführen. Die Verfahrensbeteiligten dürfen sich ihrerseits aber auch auf den gerichtlichen Hinweis verlassen, gleichgültig, ob er einmal oder mehrmals erteilt wird, ob er sachlich-rechtlichen Inhalts ist oder eine verfahrensrechtliche Vorgehensweise betrifft. Andernfalls wäre der Hinweis funktionslos oder gar irreführend.

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dd) Weder die Entscheidung des Patentgerichts noch die Niederschrift über die mündliche Verhandlung lassen erkennen, dass für die Antragsgegnerin erkennbar geworden ist, dass das Patentgericht an seiner vorläufigen Rechtsauffassung nicht festhalten wollte. Hierfür bringt auch die Antragstellerin nichts vor.
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Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass die Antragsgegnerin aufgrund des Hinweises von der Vorlage weiterer, bereits vorbereiteter Hilfsanträge abgesehen hat, die sie vorgelegt hätte, wenn ihr deutlich geworden wäre, dass das Patentgericht nunmehr die vollständige Löschung des Gebrauchsmusters erwog. Auch wenn sie gehalten war, ihren Vortrag auf alle relevanten sachlichen und rechtlichen Gesichtspunkte auszurichten, durfte sie damit rechnen , dass das Patentgericht - jedenfalls mangels Erteilung eines anderslautenden Hinweises - die Entscheidung wie angekündigt treffen würde.
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4. Die angefochtene Entscheidung ist in vollem Umfang aufzuheben, da die endgültige Fassung des Gebrauchsmusters erst feststeht bzw. seine vollständige oder teilweise Löschung erst ausgesprochen werden kann, wenn die Antragsgegnerin Gelegenheit erhalten hat, das Schutzrecht weiter eingeschränkt zu verteidigen und die (hilfsweise) verteidigten Fassungen der Schutzansprüche vom Patentgericht überprüft worden sind.

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III. Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf § 51 Abs. 1GKG. Eine mündliche Verhandlung hat der Senat nicht für erforderlich gehalten (§ 18 Abs. 4 Satz 2 GebrMG i.V.m. § 107 Abs. 1 Halbsatz 2 PatG).
Meier-Beck Mühlens Gröning Bacher Schuster
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 27.04.2010 - 35 W(pat) 458/08 -
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Bedeutung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) für ein rechtsstaatliches Verfahren Rechnung, in dem jeder Verfahrensbeteiligte seine Rechte wirksam wahrnehmen kann. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gibt jedem Verfahrensbeteiligten das Recht, sich zu dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt zu äußern und dem Gericht seine Auffassung zu den erheblichen Rechtsfragen darzulegen. Das Gericht ist verpflichtet, das tatsächliche und rechtliche Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und auf seine sachlich-rechtliche und verfahrensrechtliche Entscheidungserheblichkeit zu prüfen. Es darf ferner keine Erkenntnisse verwerten, zu denen sich die Verfahrensbeteiligten nicht äußern konnten (st. Rspr., BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91, BVerfGE 86, 133; Beschluss vom 10. Februar 1995 - 2 BvR 893/93, NJW 1995, 2095; Beschlüsse vom 2. Mai 1995 - 1 BvR 2174/94, 1 BvR 2220/94, NJW 1995, 2095, 2096; BGH, Beschluss vom 27. Juni 2007 - X ZB 6/05, BGHZ 173, 47 - Informationsübermittlungsverfahren II; Beschluss vom 27. Februar 2008 - X ZB 10/07, GRUR-RR 2008, 456 - Installiereinrichtung; Beschluss vom 22. September 2009 - Xa ZB 36/08, GRUR 2010, 87 - Schwingungsdämpfer; Beschluss vom 15. April 2010 - Xa ZB 10/09, GRUR 2010, 950 - Walzenformgebungsmaschine ; Beschluss vom 12. April 2011 - X ZB 1/10, GRUR 2011, 656 - Modularer Fernseher; Beschluss vom 16. Juni 2011 - X ZB 3/10, GRUR 2011, 851 - Werkstück).