Bundesgerichtshof Urteil, 10. Jan. 2007 - 1 StR 530/06

bei uns veröffentlicht am10.01.2007

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 530/06
vom
10. Januar 2007
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
10. Januar 2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Dr. Kolz,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerinnen J. und Je. K. ,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin P. Ma. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bamberg vom 25. Juli 2006 mit den Feststellungen aufgehoben
a) soweit von einer Anordnung von Sicherungsverwahrung abgesehen ist;
b) zu Gunsten des Angeklagten im Strafausspruch. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


I.


1
Der Angeklagte hat über Jahre hinweg insbesondere seine beiden Töchter vielfach sexuell missbraucht. Die Taten zum Nachteil der 1987 geborenen Tochter J. beging er zunächst zwischen 1995 und 1998 in der Ehewohnung , aus der er dann auszog, und dann nochmals zwischen 2000 und 2001, als J. bei ihm in der Wohnung lebte. Die Taten zum Nachteil der 1995 ge- borenen Tochter Je. beging er zwischen 2003 und 2005 bei ihren regelmäßigen Besuchen bei ihm an den Wochenenden und in den Ferien. 2005 missbrauchte er außerdem zweimal die 1997 geborene P. Ma. , als diese ihre Freundin Je. jeweils bei einem der genannten Wochenendbesuchen begleitete und ebenfalls in der Wohnung des Angeklagten übernachtete.
2
Die Strafkammer, die unter Anwendung des Zweifelssatzes eine Mindestanzahl von 172 Fällen errechnet hat - davon zwei Fälle zum Nachteil von zwei Kindern -, hat den Angeklagten deshalb zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren (Einzelstrafen zweimal zwei Jahre, zweimal ein Jahr und neun Monate, 160 Mal ein Jahr, in den übrigen Fällen zwischen zehn und vier Monaten ) verurteilt.
3
Sicherungsverwahrung hat die Strafkammer nicht angeordnet. Allein hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft. Das auch vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg. Es führt zugleich zur Aufhebung des Strafausspruchs zu Gunsten des Angeklagten (§ 301 StPO).

II.


4
Die formalen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB liegen vor, wie dies die Strafkammer im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat. Sachverständig beraten hat sie darüber hinaus beim Angeklagten eine „Neigung zu sexuellem Kontakt mit Mädchen im Alter von 7 bis 14 Jahren“ festgestellt. Es liege bei ihm ein „eingeschliffenes Verhaltensmuster“ vor, seine sich über Jahre hinziehenden Taten seien „von steter Wiederholung, zum Teil auch von beinahe gewohn- heitsmäßiger Regelmäßigkeit geprägt“. Auf dieser Grundlage bejaht die Strafkammer rechtsfehlerfrei einen Hang i. S. d. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB.
5
Gleichwohl hat sie von der Anordnung von Sicherungsverwahrung abgesehen. Die Entscheidung gemäß § 66 Abs. 2 StGB liegt zwar im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters und ist deshalb der Kontrolle durch das Revisionsgericht nur sehr begrenzt zugänglich (vgl. nur BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 2). Die hier von der Strafkammer maßgeblich für die Ablehnung von Sicherungsverwahrung herangezogenen Gesichtspunkte gehen jedoch teilweise schon von einem rechtlich zu engen Ansatz aus und sind teilweise mit Erwägungen nicht ohne weiteres vereinbar, die die Strafkammer im Rahmen der Strafzumessung angestellt hat.
6
1. Die Strafkammer hält den Angeklagten trotz seines Hanges nicht „für die Allgemeinheit gefährlich“, die Taten seien nämlich „weitestgehend auf den familiären Bereich beschränkt“. Der Angeklagte habe sich nicht „auf die Suche“ nach Kindern gemacht.
7
a) Eine Gefahr für die Allgemeinheit besteht nicht nur, wenn eine unbestimmte Vielzahl noch nicht näher individualisierter Personen betroffen ist (vgl. Stree in Schönke/Schröder StGB 27. Aufl. § 66 Rdn. 35). Jeder Einzelne ist Mitglied der Allgemeinheit, wenn ihm schwerer Schaden droht (vgl. Tröndle/ Fischer StGB 54. Aufl. § 66 Rdn. 24). Dementsprechend genügt für eine Gefährlichkeit i. S. d. § 66 StGB, wenn vom Täter erhebliche rechtswidrige Taten nur gegen eine Einzelperson oder einen begr enzten Personenkreis - wie z. B. Familienangehörige - zu erwarten sind (vgl. Stree aaO; zum hinsichtlich des Begriffs der Allgemeinheit gleich zu behandelnden Fall des § 63 StGB vgl. BGHSt 26, 321; Stree aaO § 63 Rdn. 16 m.w.N.).

8
b) Im Übrigen verlangt die Prüfung von Sicherungsverwahrung eine Prognose, ob von dem Täter mit bestimmter Wahrscheinlichkeit weitere erhebliche Taten ernsthaft zu erwarten sind und er deshalb gefährlich für die - im dargelegten Sinne zu verstehende - Allgemeinheit ist (vgl. zusammenfassend Tröndle/Fischer aaO Rdn. 22 m.w.N). Diese Erwartung ergibt sich vielfach schon allein aus der - hier getroffenen - Feststellung eines Hanges (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 1 m.w.N.). Anderes kann gelten, wenn zwischen der letzten Hangtat und dem Urteil neue Umstände eingetreten sind, die die Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten entfallen lassen (vgl. BGHR aaO m.w.N.). Ausdrücklich festgestellt sind derartige Umstände nicht. Insbesondere wäre eine solche Annahme aber auch nicht mit der von der Strafkammer in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen getroffenen Feststellung vereinbar, beim Angeklagten liege ein „mittleres einschlägiges Rückfallrisiko“ vor.
9
Im Hinblick darauf, dass dies nicht näher ausgeführt ist, weist der Senat jedoch vorsorglich auch darauf hin, dass im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung eine allein abstrakte, auf statistische Wahrscheinlichkeiten gestützte Prognoseentscheidung nicht ausreichen würde (vgl. BGHSt 50, 121, 130 f. im Zusammenhang mit dem insoweit vergleichbaren § 66b StGB). Dies wird die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer zu beachten haben.
10
2. Unabhängig von alledem hat der Angeklagte aber nicht nur seine eigenen Töchter, sondern auch P. Ma. sexuell missbraucht. Dies spricht auch schon in tatsächlicher Hinsicht gegen die Annahme, der Angeklagte sei im Wesentlichen nur für seine eigenen Töchter gefährlich. Dies hat die Strafkammer im Ansatz auch nicht verkannt. Sie meint jedoch, diese Taten hätten in diesem Zusammenhang deshalb ein geringeres Gewicht, weil der Angeklagte „sichtlich die günstige Gelegenheit ausgenutzt (habe), die sich dadurch ergab, dass sich P. Ma. entschlossen hatte, nicht mehr am Abend nach Hause zurück zu kehren“. Jedoch ist die im Rahmen der Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten angestellte Erwägung, der Angeklagte habe „nicht etwa nur günstige Gelegenheiten ausgenutzt, sondern planvoll das …. Bett entfernt, um zu erreichen, dass … (außer Je. auch) … P. Ma. mit ihm in … demselben Bett schlafen“ musste, damit jedenfalls ohne nähere Erläuterung damit nicht ohne weiteres vereinbar.
11
3. Die Strafkammer meint, gegen die Notwendigkeit von Sicherungsverwahrung spreche auch, dass beim Angeklagten, wie dies auch in den Taten zum Ausdruck komme, „keinerlei aggressive oder auch nur nötigende Tendenzen“ vorlägen. Diese Erwägung hält rechtlicher Überprüfung nicht Stand.
12
a) Wäre der Angeklagte gewaltsam vorgegangen, hätte er nicht nur den Tatbestand des sexuellen Missbrauchs von Kindern erfüllt, sondern zugleich auch den Tatbestand der sexuellen Nötigung. Dass er dies nicht zusätzlich getan hat, kann ihm im Rahmen der Rechtsfolgenbestimmung bei einer Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern nicht zugute gehalten werden (vgl. BGH b. Miebach NStZ 1998, 132; Renzikowski in MüKom § 176 Rdn. 67; in vergleichbarem Sinne auch BGH, Urteil vom 21. März 2001 - 1 StR 32/01).
13
b) Darüber erscheint die Annahme, es lägen keinerlei nötigende Tendenzen vor, durch die im Rahmen der Strafzumessung angestellte, allerdings nicht konkretisierte Erwägung, zu Lasten des Angeklagten wirke sich der „erhebliche Druck“ aus, den er als Vater auf seine Töchter „ausgeübt“ habe, zumindest relativiert.
14
4. Nach alledem muss über die Anordnung von Sicherungsverwahrung neu befunden werden.
15
Im Hinblick auf erkennbare Bemühungen des Angeklagten, „von seinen Neigungen loszukommen“ - eine „Flucht in den Glauben“ ist ebenso festgestellt wie aufrichtige Reue des Angeklagten und seine von der Strafkammer offenbar für glaubhaft angesehene Ankündigung, sich einer Therapie unterziehen zu wollen - könnte auch zu prüfen sein, ob eine vorbehaltene Sicherungsverwahrung (§ 66a StGB) in Betracht kommt.

III.


16
Die Aufhebung des Urteils hinsichtlich der nicht angeordneten Sicherungsverwahrung führt hier zugleich zur Aufhebung des Strafausspruchs zu Gunsten des Angeklagten. Dies folgt aus den jedenfalls nicht ohne weiteres deckungsgleichen Erwägungen, die die Strafkammer zu identischen Gesichtspunkten bei der Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten und bei der Prüfung von Sicherungsverwahrung zu Gunsten des Angeklagten angestellt hat. Dies gilt für die Erwägungen im Zusammenhang mit den Taten zum Nachteil von P. Ma. (vgl. oben II. 2.) ebenso wie für die Erwägungen, die Taten ließen keinerlei nötigende Tendenzen erkennen, der Angeklagte hätte aber erheblichen Druck ausgeübt (vgl. oben II. 3. b).
Nack Wahl Boetticher Kolz Elf

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Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn

1.
die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 wegen mehrerer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 genannten Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und
2.
die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
Dies gilt auch, wenn im Anschluss an die Unterbringung nach § 63 noch eine daneben angeordnete Freiheitsstrafe ganz oder teilweise zu vollstrecken ist.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 32/01
vom
21. März 2001
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen zu 1.: sexueller Nötigung u.a.
zu 2.: Vergewaltigung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
21. März 2001, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Schluckebier,
Hebenstreit,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten P. ,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 1. August 2000 mit den Feststellungen aufgehoben
a) hinsichtlich des Angeklagten T. im Ausspruch über die Einzelstrafe wegen sexueller Nötigung und über die Gesamtfreiheitsstrafe ;
b) hinsichtlich des Angeklagten P. im Strafausspruch. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

I.

1. Folgendes ist festgestellt: Am 9. Februar 2000 hielten sich die Angeklagten und die Nebenklägerin Silke S. in der Wohnung des T. auf, nachdem diese ihn gebeten hatte , sie wegen eines Diskothekbesuchs abzuholen. Sie war mit T. gut bekannt , ohne daß sexuelle Kontakte bestanden hätten, P. , der T. begleitet hatte, kannte sie bis dahin nicht. T. nahm aus einer Wasserpfeife
mit Marihuana mehrere Züge, Silke S. nahm einen Zug. Ihr wurde davon "komisch", und sie setzte sich auf eine Couch. P. hob sie hoch und legte sie auf ein Bett, wo er begann ihre Hose auszuziehen. Sie wehrte sich, schrie und bat T. um Hilfe. Dieser hielt jedoch statt dessen ihre Handgelenke fest und sagte, daß P. doch nur "seinen Spaß" wolle. Als sie erneut schreien wollte, hielt ihr T. den Mund zu. P. hatte inzwischen ihren Unterkörper entblößt, drückte mit seinen Beinen ihre Beine auseinander und führte mir ihr ungeschützten Geschlechtsverkehr durch. T. hielt sie dabei nicht mehr fest, half ihr aber auch nicht, obwohl sie ihn darum "ständig anflehte". 2. Auf der Grundlage dieser Feststellungen wurden die Angeklagten wie folgt verurteilt:
a) Der Angeklagte T. wurde wegen sexueller Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, wobei der Strafrahmen des § 177 Abs. 1 StGB wegen akuten Drogenrauschs gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemildert wurde. Einen besonders schweren Fall gemäß § 177 Abs. 2 StGB lehnte die Strafkammer ab. Aus dieser Strafe und einer von ihr außerdem wegen einer Beleidigung verhängten Geldstrafe bildete die Strafkammer eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und einem Monat, die sie zur Bewährung aussetzte.
b) Der Angeklagte P. wurde wegen Vergewaltigung zu einer ebenfalls zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Das Regelbeispiel des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB sei erfüllt, ein besonders schwerer Fall im Sinne des § 177 Abs. 2 StGB liege aber nur vor, weil er den Geschlechtsverkehr ungeschützt ausgeübt habe.

II.

Die Revision der Staatsanwaltschaft zum Nachteil beider Angeklagter richtet sich nur gegen die jeweils wegen des Sexualdelikts verhängte Strafe. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg. A. Angeklagter T. 1. Die Auffassung der Strafkammer, ein Regelbeispiel gemäß § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB liege nicht vor, weil er selbst keine sexualbezogene Handlung vorgenommen hat, entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur NStZ 1999, 452, 453). 2. Hinsichtlich eines Regelbeispiels gemäß § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 StGB führt die Strafkammer aus:
a) Eine Mitwirkung an der Nötigungshandlung reiche jedenfalls dann aus, wenn sich der Täter die sexuellen Handlungen des anderen Täters zurechnen lassen müsse (§ 25 Abs. 2 StGB) und das konkrete gemeinschaftliche Vorgehen einem objektiven Betrachter den Eindruck erhöhter Schutzlosigkeit des Opfers vermittle. Hier lägen die Voraussetzungen von § 177 Abs. 2 Satz 2 StGB "insgesamt" nicht vor. Der Angeklagte habe nicht während der gesamten Tat gehandelt , die von ihm angewendete Gewalt sei "an der unteren Grenze ohne Verletzungsspuren" gewesen. Auch habe die Geschädigte, möglicherweise wegen des vorangegangenen Marihuanakonsums, "keinen kräftigen Widerstand geleistet". Ihre ständigen Bitten zeigten außerdem, daß sie sich vom Angeklagten Hilfe versprochen habe. Er habe ihr daher aus ihrer Sicht "nicht erhöhte Schutzlosigkeit vermittelt".

b) Die Strafkammer ist damit zunächst von einem zutreffenden rechtlichen Ansatz ausgegangen (vgl. oben II. A. 2 a). Nach dem Wortlaut und der Systematik des Gesetzes ist die in § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 StGB genannte "Tat, die von mehreren gemeinschaftlich begangen wird" nicht das in Nr. 1 angeführte Vollziehen des Beischlafs oder die Vornahme ähnlicher sexueller Handlungen; es genügt die gemeinschaftliche Begehung einer im Grundtatbestand des § 177 Abs. 1 StGB genannten Handlung. Zur Erfüllung des Regelbeispiels des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 StGB ist somit nicht erforderlich, daß alle Mittäter selbst sexuelle Handlungen am Tatopfer vornehmen oder an sich vornehmen lassen. Der gesteigerte Unrechtsgehalt dieses Regelbeispiels liegt hier in der verminderten Verteidigungsmöglichkeit des Opfers, das sich mehreren Angreifern gegenüber sieht, und in der erhöhten Gefährlichkeit sich gegenseitig stimulierender Täter (vgl. BTDrucks. 13/7324 S. 6; Lenckner/Perron in Schönke/Schröder StGB 26. Aufl. § 177 Rdn. 24; Lackner/Kühl StGB 23. Aufl. § 177 Rdn. 2; Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl. § 177 Rdn. 24a, 25 jew. m.w.N.).
c) Obwohl sich dies aus den Urteilsgründen nicht ausdrücklich ergibt, versteht der Senat die weiteren Ausführungen der Strafkammer (vgl. oben II. A. 2 a) dahin, daß sie zwar (zutreffend) davon ausgeht, daß die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Regelbeispiels gemäß § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 StGB vorliegen, sie aber dessen Indizwirkung für das Vorliegen eines besonders schweren Falles aus den von ihr angeführten Gründen als widerlegt ansieht. Auch insoweit geht die Strafkammer von einem zutreffenden rechtlichen Ansatz aus (vgl. nur BGHR StGB vor § 1/besonders schwerer Fall Verneinung 2; Stree in Schönke/Schröder aaO vor §§ 38 ff. Rdn. 44a jew. m.w.N.). Mehrere der von der Strafkammer in diesem Zusammenhang angestellten Erwägungen halten jedoch rechtlicher Überprüfung nicht stand:
Die Geschädigte sah sich zwei aktiv handelnden Tätern gegenüber. Es ist nicht ersichtlich, warum dies - entgegen der objektiven Lage - das Empfinden ihrer Schutzlosigkeit nicht vergrößert haben sollte. Insbesondere ergibt sich dies nicht daraus, daß sie T. s tändig um Hilfe "anflehte". Daß er ihr nicht half, nachdem er zuvor gegen sie aktiv tätig geworden war, war vielmehr objektiv ebenso wie aus ihrer Sicht geeignet, ihr die Aussichtslosigkeit ihrer Lage besonders deutlich vor Augen zu führen. Grundsätzlich kann zwar auch die geringe Intensität einer Tathandlung - trotz der Regelwirkung des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 StGB - gegen die Annahme eines besonders schweren Falles sprechen. Es ist in diesem Zusammenhang aber nicht tragfähig, dazu auf das Fehlen von Verletzungsspuren beim Opfer abzustellen. Denn das liefe darauf hinaus, dem Mittäter zugute zu halten, daß er nicht noch einen weiteren Tatbestand, den der Körperverletzung , verwirklicht hat. Ebenso wie die geringe Intensität der Tathandlung kann auch die geringe Intensität des Widerstands des Opfers bedeutsam sein. Die Erwägung, daß die Geschädigte keinen "kräftigen Widerstand" leistete, wird aber schon von den Feststellungen, wonach Silke S. sich "wehrte" und "schrie" und P. ihre Beine "auseinanderdrückte", zumindest nicht klar belegt. Jedenfalls deuten aber ihre ständigen Bitten um Hilfe darauf hin, daß etwaiger weniger intensiver Widerstand der Geschädigten nicht nur auf Marihuanakonsum zurückging, sondern auch auf die Erkenntnis der Aussichtslosigkeit ihrer Lage. Diese naheliegende Möglichkeit hat die Strafkammer nicht erkennbar in ihre Erwägungen einbezogen.
3. Schließlich ist auch die Annahme, der Angeklagte sei wegen akuten Drogenrauschs nur erheblich vermindert schuldfähig gewesen, nicht frei von Rechtsfehlern.
a) Hierzu ist festgestellt, der Angeklagte konsumiere regelmäßig Cannabis "wenn etwas da sei". Es liege bei ihm ein "bewußter Umgang mit Drogen" vor. Vor der Tat habe der Angeklagte "mehr als zwei" Züge aus der Wasserpfeife genommen und nach der Tat habe er Hunger gehabt und nochmals gegessen. Dies belege einen akuten Cannabisrausch, der seine Schuldfähigkeit erheblich vermindert habe.
b) Rauschgiftwirkungen können nur ausnahmsweise eine erhebliche Minderung der Schuldfähigkeit begründen, etwa bei schwersten Persönlichkeitsveränderungen infolge langjährigen Rauschgiftmißbrauchs, bei Beschaffungsdelikten unter starken Entzugserscheinungen und je nach den Umständen des Einzelfalls auch bei einem akuten Drogenrausch (st. Rspr., vgl. zuletzt BGH NStZ 2001, 83, 84 m.w.N.).
c) Ein solcher Rausch ist nicht belegt. Die Möglichkeit, daß er, zumal bei einem an sich erfahrenen Drogenkonsumenten, allein durch einige Züge aus der Wasserpfeife ausgelöst worden sein könnte, erscheint fernliegend und hätte daher eingehender Begründung bedurft. Zu weiterem Drogenkonsum des Angeklagten vor der Tat ist nichts festgestellt. Der Hunger des Angeklagten nach der Tat kann zwar auf Cannabiskonsum hindeuten (vgl. Täschner, Das Cannabisproblem 3. Aufl. S. 145; Geschwinde, Rauschdrogen 3. Aufl. Rdn. 106), belegt aber noch keinen akuten Rausch. Sonstige Symptome, die für einen akuten Drogenrausch sprechen könnten (vgl. hierzu allgemein BGH aaO 84 m.w.N.; zum Cannabisrausch vgl. Geschwinde aaO Rdn. 93 ff.; Maatz/Wille DRiZ 1993, 15, 18), sind nicht festgestellt. Damit fehlen schon die
notwendigen Anknüpfungstatsachen für die medizinisch-biologischen Voraussetzungen von § 21 StGB.
d) Darüber hinaus ist auch nicht dargelegt, warum ein etwaiger Rausch sich auf Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei der konkreten Tat ausgewirkt haben könnte. Derartige Darlegungen wären deshalb erforderlich gewesen, weil jedenfalls bei einem typischen ("mittleren") Cannabisrausch , der Bewußtsein und Orientierung unberührt läßt und allenfalls zu einer leichten Benommenheit führt (Geschwinde aaO Rdn. 100), das aktive Eingreifen in Geschehnisabläufe beim Berauschten nachläßt (Geschwinde aaO Rdn. 108).
e) Selbst wenn aber ein Rausch und daraus folgend eine Verminderung von Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit vorliegen sollte, fehlt es an der Darlegung , warum diese als erheblich anzusehen sei. Die Strafkammer schließt sich insoweit nur den "nachvollziehbaren" Ä ußerungen des Sachverständigen an. Ob eine Verminderung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit "erheblich" im Sinne des § 21 StGB ist, ist aber eine Rechtsfrage, die der Tatrichter ohne Bindung an Ä ußerungen von Sachverständigen in eigener Verantwortung zu beantworten hat. Hierbei fließen normative Gesichtspunkte ein. Entscheidend sind die Anforderungen, die die Rechtsordnung auch an einen berauschten Täter stellt (vgl. BGHSt 43, 66, 77; BGH NStZ-RR 1999, 295, 296 jew. m.w.N.). Diese Anforderungen sind um so höher, je schwerwiegender das in Rede stehende Delikt ist. Daß hier eine Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten in diesem Sinne erheblich gewesen wäre, versteht sich angesichts der Schwere der von ihm begangenen Tat jedenfalls nicht von selbst.
B. Angeklagter P. Es kann offen bleiben, ob die Annahme der Strafkammer, ein besonders schwerer Fall im Sinne des § 177 Abs. 2 StGB liege nur deshalb vor, weil der Angeklagte nicht nur das Regelbeispiel gemäß § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB erfüllt, sondern den Geschlechtsverkehr darüber hinaus auch noch ungeschützt durchgeführt habe, hier für sich genommen noch rechtlicher Überprüfung standhalten könnte. Jedenfalls hat die Strafkammer nicht erkennbar erwogen, daß der Angeklagte beide Regelbeispiele des § 177 Abs. 2 StGB erfüllt hat. Soweit das Urteil dahin zu verstehen sein sollte, daß die Erwägungen, derentwegen die Strafkammer beim Angeklagten T. trotz Vorliegens des Regelbeispiels gemäß § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 StGB abgelehnt hat, auch dem Angeklagten P. zugute kommen sollen, gilt entsprechend das, was der Senat insoweit hinsichtlich des Angeklagten T. ausgeführt hat. Das Verhalten des Angeklagten T. hat die Tat des Angeklagten P. ermöglicht oder jedenfalls wesentlich erleichtert. Dies hat der Angeklagte P. ausgenutzt. Obwohl die Strafkammer im Ergebnis hinsichtlich des Angeklagten P. einen besonders schweren Fall angenommen hat, kann der Senat - zumal die Mindeststrafe (§ 177 Abs. 2 Satz 1 StGB) verhängt ist - nicht ausschließen, daß der Strafausspruch auf den aufgezeigten Mängeln beruht. Die gleichzeitige Erfüllung mehrerer Regelbeispiele eines besonders schweren Falls wirkt sich jedenfalls dann strafschärfend aus, wenn hieraus auf eine erhöhte Vorwerfbarkeit zu schließen ist (vgl. G. Schäfer, Praxis der Strafzumessung, 2. Aufl. Rdn. 256a). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn, wie hier, der Unrechtskern des einen erfüllten Regelbeispiels (hier: Vergewaltigung) nicht in
innerem Zusammenhang mit dem Unrechtskern des darüber hinaus weiter erfüllten Regelbeispiels (hier: gemeinschaftliche Tatbegehung) steht. Schäfer Wahl Boetticher Schluckebier Hebenstreit

(1) Das Gericht kann im Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten, wenn

1.
jemand wegen einer der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Straftaten verurteilt wird,
2.
die übrigen Voraussetzungen des § 66 Absatz 3 erfüllt sind, soweit dieser nicht auf § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 verweist, und
3.
nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar, aber wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.

(2) Einen Vorbehalt im Sinne von Absatz 1 kann das Gericht auch aussprechen, wenn

1.
jemand zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren wegen eines oder mehrerer Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit, die sexuelle Selbstbestimmung, nach dem Achtundzwanzigsten Abschnitt oder nach den §§ 250, 251, auch in Verbindung mit § 252 oder § 255, verurteilt wird,
2.
die Voraussetzungen des § 66 nicht erfüllt sind und
3.
mit hinreichender Sicherheit feststellbar oder zumindest wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.

(3) Über die nach Absatz 1 oder 2 vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung kann das Gericht im ersten Rechtszug nur bis zur vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe entscheiden; dies gilt auch, wenn die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt war und der Strafrest vollstreckt wird. Das Gericht ordnet die Sicherungsverwahrung an, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat oder seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass von ihm erhebliche Straftaten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.