Bundesgerichtshof Urteil, 18. März 2009 - 1 StR 549/08

bei uns veröffentlicht am18.03.2009

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 549/08
vom
18. März 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
18. März 2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Hebenstreit,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Sander,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklage,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers wird das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 2. Mai 2008 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des Mordes in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Nach der Anklage lag ihm zur Last, zu einem nicht genau feststellbaren Zeitpunkt zwischen dem 21. Februar 2007 gegen 18.00 Uhr und dem 22. Februar 2007 gegen 15.00 Uhr seinen Onkel K. H. aus Habgier und heimtückisch erdrosselt zu haben.
2
Gegen diesen Freispruch richten sich die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklage, mit denen sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügen. Die Rechtsmittel, die vom Generalbundesanwalt vertreten werden, haben mit der Sachrüge Erfolg. Auf die Verfahrensrügen kommt es daher nicht mehr an.

I.


3
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
4
Der wegen Diebstahls und Betrugs vorbestrafte arbeitslose Angeklagte, der seit seiner Jugend Kampf- und Ausdauersportarten betreibt, befand sich seit Jahren in finanziellen Schwierigkeiten. Im Februar 2007 lebte er mit seiner Frau, die sich von ihm trennen wollte, und seinem kleinen Sohn in einem Motel in Straubing. An regelmäßigen Einkünften hatten sie nur das Erziehungs- und Kindergeld, das für die Deckung ihrer Lebenshaltungskosten - der Angeklagte hatte neben dem Motelzimmer auch einen Mietwagen (einen schwarzen Audi A3) zu zahlen - nicht ausreichte. In dieser Zeit hatte der Angeklagte engen Kontakt zu seinem in Bogen wohnenden Onkel, dem 48 Jahre alt gewordenen K. H. , dem späteren Opfer der Tat. Er besuchte ihn zu Hause, fuhr ihn zum Einkaufen und ging gelegentlich mit ihm aus. Außerdem stellte er den Kontakt zu einem Gebrauchtwagenhändler her, der K. H. s Auto, das durch einen Unfall beschädigt worden und nicht mehr fahrtauglich war, kaufen wollte. Am Nachmittag des 21. Februar 2007 war der Angeklagte bei seinem Onkel in Bogen zu Besuch. Gegen 17.00 Uhr holte der Gebrauchtwagenhändler das Auto bei K. H. ab und zahlte diesem 2.700,-- Euro in bar, davon 2.500,-- Euro in fünf 500-Euro-Scheinen. Das letzte Lebenszeichen, das zweifelsfrei K. H. zugeordnet werden konnte, war eine SMS mit persönlichem Inhalt, die dieser um 18.50 Uhr an die Lebensgefährtin seines Bruders verschickte.
5
Am späten Nachmittag des folgenden Tages, dem 22. Februar 2007, zahlte der Angeklagte einen Teil seiner Schulden zurück. So überbrachte er dem Zeugen M. einen Umschlag, in dem sich ein 500-Euro-Schein und ein 100-Euro-Schein befanden. Das Geld hatte er sich von diesem mit dem Versprechen geliehen, es umgehend wieder zurück zu zahlen. An dieses Versprechen hatte er sich jedoch nicht gehalten und der Zeuge M. hatte ihn zuletzt massiv zur Rückzahlung des Darlehens gedrängt. Gegen 16.30 Uhr zahlte er mit weiteren zwei 500-Euro-Scheinen zudem einen Teil seiner MotelRechnung , nachdem er auch hier bereits mehrfach zur Zahlung aufgefordert worden war. Am 23. Februar 2007 zahlte er noch 500,-- Euro auf seinem Konto bei der Postbank ein.
6
An diesem Tag fiel erstmals auch das Verschwinden von K. H. auf. Sein Bruder, der Zeuge F. H. , und dessen Lebensgefährtin, die Zeugin E. W. , konnten ihn nicht mehr erreichen. Sein Mobiltelefon war ausgeschaltet und auch zuhause konnte er nicht mehr angetroffen werden. Im Rahmen ihrer Suche befragten F. H. und E. W. auch den Angeklagten nach dem Verbleib von K. H. . Dieser gab dabei an, dass er nicht wisse, wo dieser sei. Am 25. Februar 2007 fand eine Aussprache zwischen diesen Personen auf dem „Bogenberg“ statt, in deren Verlauf der Angeklagte von F. H. und E. W. erneut zu dem Verbleib von K. H. befragt wurde. Dabei gab der Angeklagte unter anderem an, dass er am späten Vormittag des 22. Februar 2007 bei K. H. zu Besuch gewesen sei und ihn zum Einkaufen gefahren habe. Als er den Onkel danach verlassen habe , sei dieser noch am Leben gewesen.
7
Am 26. Februar 2007 gegen 14.30 Uhr fand eine Feldarbeiterin die Leiche K. H. s zwischen Strohballen auf einem Feld nahe der Bundesstraße B 8 in Straubing Lerchenhaid. An der Vorderseite seines Halses fand sich eine nahezu waagrecht verlaufende Strangfurche. Bei der anschließenden Obduktion wurde zudem an der Vorderseite der Halswirbelsäule eine klaffende Spaltbildung festgestellt. Als Todesursache wurde daraufhin ein zentrales Regulationsversagen infolge Strangulation im Sinne des Drosselns ermittelt, wobei die Einwirkung von hinten mit einer Überstreckung des Kopfes erfolgte. Geldbörse, Handy und Schlüsselbund von K. H. waren ebenso verschwunden wie die 2.700,-- Euro, die er anlässlich des Verkaufs seines Autos erhalten hatte.
8
2. Der gegen den Angeklagten sprechende Tatverdacht beruht auf folgenden Erkenntnissen:
9
a) Der Angeklagte, der sich in finanziellen Schwierigkeiten befand, gab am Nachmittag des 22. Februar und am 23. Februar 2007 insgesamt einen Betrag von 2.100,-- Euro aus, wobei er mit vier 500-Euro-Scheinen und einem 100-Euro-Schein zahlte. Einer der von dem Angeklagten verauslagten 500Euro -Scheine konnte von der Polizei sichergestellt werden. Bei einem Vergleich der Seriennummer dieses Scheines mit den Seriennummern von fünf weiteren 500-Euro-Scheinen, die bei dem Bruder des Gebrauchtwagenhändlers sichergestellt werden konnten und die, wie die an K. H. übergebenen und nach dessen Tod verschwundenen Geldscheine, aus einem Autoverkauf in Wuppertal stammten, konnte festgestellt werden, dass alle diese Scheine aus einer Serie stammten, die im Jahr 2004 an die Filiale der Deutschen Bundesbank in Mainz ausgegeben worden waren.
10
b) Zur Herkunft des von ihm am 22. und 23. Februar 2007 verausgabten Geldes bei seiner Beschuldigtenvernehmung befragt, gab der Angeklagte an, dass ein Teil davon von einem spanischen Boxtrainer stamme, den er an dem Wochenende vor dem 2. Februar 2007 in einem Hotel in München getroffen habe und von dem er 2.800,-- Euro in bar erhalten habe. Den anderen Teil des Geldes habe er von seinen Konten in der Schweiz abgehoben. Bei den anschließenden polizeilichen Ermittlungen stellte sich heraus, dass der Angeklagte im Februar 2007 und davor keine Guthaben auf seinen Konten in der Schweiz hatte. Der spanische Boxtrainer konnte ebenfalls nicht ermittelt werden. Anfragen der Polizei in dem Hotel in München, bei verschiedenen spanischen Boxverbänden und unter der von dem Angeklagten bezeichneten Wohnadresse in Spanien verliefen negativ. Die von dem Angeklagten angegebene E-Mail-Adresse des Trainers war früher einmal existent, aber seit dem 27. Februar 2007 nicht mehr gültig.
11
c) Bei der Auswertung der Telefonverbindungsdaten wurde festgestellt, dass das Handy des Opfers am 22. Februar 2007 um 12.42 Uhr in dem Funkzellenbereich „Straubing Alburg“ eingebucht war, in dem sich auch der Leichenfundort befindet. Kurz zuvor um 12.25 Uhr fand ein Telefongespräch mit dem Handy des Opfers, das sich zu diesem Zeitpunkt in einem Funkzellenbereich im Norden von Straubing befand, und dem Handy des Bruders des Angeklagten statt. Da K. H. kaum Kontakt zu dem Bruder des Angeklagten gehabt hatte, war der Angeklagte, der in seiner Beschuldigtenvernehmung zudem angegeben hatte, um die Mittagszeit des 22. Februar 2007 bei K. H. gewesen zu sein, als potentieller Anrufer in Betracht gekommen, zumal sein eigenes Handy zum Zeitpunkt des Telefonanrufs bei seinem Bruder um 12.25 Uhr kein Gesprächsguthaben mehr aufwies und deshalb bereits um 11.24 Uhr ein Telefonanruf auf dem Handy des Opfers nicht mehr zustande gekommen war.
12
d) Bei der kriminaltechnischen Untersuchung der Opferbekleidung wurde schließlich in der rechten Gesäßtasche der Hose eine DNA-Mischspur festge- stellt, die in sechs Merkmalen mit dem Erbgut des Angeklagten identisch war. An der linken Schulterinnenseite der Jacke des Opfers wurde zudem eine stark ausgeprägte DNA-Spur nachgewiesen, die der Ehefrau des Angeklagten zugeordnet werden konnte.
13
3. Das Landgericht hat den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.
14
a) Im Rahmen seiner umfangreichen Beweiswürdigung hat es insbesondere dargelegt, dass es nicht feststehe, dass sich der Angeklagte das von ihm am 22. und 23. Februar 2007 verauslagte Geld gewaltsam oder gar durch die Tötung seines Onkels verschafft habe. So könnte es ihm von diesem auch freiwillig überlassen worden sein, beispielsweise im Wege eines Verwandtendarlehens oder durch Betrug. Der Angeklagte sei einschlägig vorbestraft und habe in der Vergangenheit immer wieder Vermögensvorteile durch Versprechungen erlangt, die er glaubhaft vorgetragen, aber letztlich nicht gehalten habe.
15
b) Dass der Angeklagte bei der Polizei behauptete, dass er das Geld nicht von dem Tatopfer erhalten habe, sondern dass dieses teilweise von einem spanischen Boxtrainer, dessen Existenz in der Beweisaufnahme nicht nachgewiesen werden konnte, bzw. von seinen Konten in der Schweiz stammen würde , die jedoch nach den Erkenntnissen aus der Hauptverhandlung im Februar 2007 und davor keine Guthaben aufwiesen, sieht das Landgericht nicht als ein für die Annahme der Schuld des Angeklagten ausreichendes Indiz an. Es sei nämlich nicht auszuschließen, dass der Angeklagte bei seiner polizeilichen Vernehmung zu einer Lüge gegriffen habe, nachdem ihm die Erlangung des von ihm verauslagten Geldes von der Polizei als Mordmotiv vorgehalten worden sei, um sich nicht selbst einem Verdacht auszusetzen.

16
c) Nach den Ausführungen des Landgerichts sei es auch „nicht ausschließbar zutreffend“, dass das Opfer, wie dies der Angeklagte anlässlich einer Aussprache mit F. H. am 25. Februar 2007 behauptet habe, den Anruf am 22. Februar 2007 um 12.25 Uhr auf das Handy des Bruders des Angeklagten noch selbst getätigt habe. Bedingung hierfür sei, dass der Angeklagte - entgegen seinen eigenen Angaben gegenüber F. H. und der Polizei - nicht durchgängig vom Vormittag bis zum Nachmittag des 22. Februar 2007 bei K. H. in Bogen gewesen sein könne. Als Erklärung für die abweichende Einlassung des Angeklagten führt das Landgericht an, dass er damit möglicherweise einen Besuch am Morgen des 22. Februar 2007 bei E. W. habe verschleiern wollen, indem er insbesondere einen Besuch bei dem Tatopfer nur deshalb behauptet habe, „um entstehende Zeitlücken“ zu füllen. Auch wenn anhand der erhobenen Verbindungsdaten feststehe, dass K. H. niemals die Handynummer des Angeklagten benutzt habe, könne nicht ausgeschlossen werden, dass K. H. dennoch über die Rufnummer des Bruders des Angeklagten verfügt habe. Der Angeklagte soll nämlich gegenüber F. H. und E. W. behauptet haben, dass er K. H. einmal mit dem Handy seines Bruders angerufen habe, so dass es bei dieser Gelegenheit - im Fall der Richtigkeit dieser Angaben - zu einer Übertragung der Rufnummer gekommen sein könnte. Eine nähere Aufklärung sei in diesem Punkt aber nicht zu erzielen gewesen, weil K. H. s Handy nicht mehr zur Auswertung zur Verfügung gestanden habe.
17
d) Das Landgericht hat weiterhin ausgeführt, dass es auch keine sonstigen „tragfähigen“ Erkenntnisse für die Täterschaft des Angeklagten gebe. Eine bei der kriminaltechnischen Untersuchung in der rechten Gesäßtasche der Hose des Opfers festgestellte DNA-Mischspur sei zwar in sechs Merkmalen mit dem Erbgut des Angeklagten identisch. Nach den Ausführungen des Sachverständigen sei diese Mischspur aber auch als eine Kombination aus der DNA von bis zu vier Personen oder als eine indirekte Antragung durch das Opfer selbst denkbar. Eine an der linken Schulterinnenseite der Jacke des Opfers stark ausgeprägte DNA-Spur, die der Ehefrau des Angeklagten zugeordnet werden konnte, könnte entweder direkt anlässlich eines Besuchs des Angeklagten und seiner Familie bei K. H. am Faschingssonntag, dem 18. Februar 2007, oder indirekt durch den Angeklagten selbst angetragen worden sein, ohne dass dies aber in Bezug zu der konkreten Tat stehen müsse.
18
e) Das Landgericht hat schließlich dargelegt, dass eine zusammenfassende Würdigung aller Beweise und Indizien zu dem Ergebnis führen würde, dass erhebliche Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten verbleiben würden, da seine Einlassung im Wesentlichen stimmig sei, ein unmittelbarer Tatnachweis fehle und die vorhandenen Beweisanzeichen mehrdeutig und „mit real fundierten Argumenten zu Gunsten des Angeklagten interpretierbar“ seien.

II.


19
Die Beweiswürdigung hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
20
Spricht das Gericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders würdigt oder Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten überwunden hätte. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgeht, etwa hinsichtlich des Umfangs und der Bedeutung des Zweifelssatzes, wenn sie lückenhaft ist, wenn sie widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt werden (Senat, Urt. vom 22. Mai 2007 - 1 StR 582/06; BGH NJW 2005, 1727; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 25 und 33).
21
Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
22
1. In der Beweiswürdigung selbst muss der Tatrichter sich mit allen festgestellten Indizien auseinandersetzen, die geeignet sind, das Beweisergebnis zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen. Dabei muss sich aus den Urteilsgründen selbst ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung einbezogen wurden. Denn die Indizien können in ihrer Gesamtheit dem Gericht die entsprechende Überzeugung vermitteln, auch wenn eine Mehrzahl von Beweisanzeichen jeweils für sich allein nicht zum Nachweis der Täterschaft eines Angeklagten ausreicht (BGH NStZ-RR 2003, 369, 370 m.w.N.).
23
Diesen Anforderungen genügt die vom Landgericht vorgenommene Gesamtwürdigung der für und gegen den Angeklagten sprechenden Indizien nicht.
24
a) Bereits die in diesem Zusammenhang gewählte Formulierung des Landgerichts, wonach die vorhandenen Beweisanzeichen mehrdeutig und „mit real fundierten Argumenten zu Gunsten des Angeklagten interpretierbar“ seien, lässt nicht erkennen, inwieweit das Landgericht die vorhandenen gewichtigen belastenden Indizien tatsächlich im Zusammenhang gewürdigt hat.
25
b) Die Urteilsgründe lassen zudem besorgen, dass das Landgericht die betreffenden Beweisanzeichen nur isoliert bewertet und nicht in die erforderliche Gesamtwürdigung eingestellt hat. Das Landgericht stellt die - sich in Teilbereichen widersprechenden - Angaben des Angeklagten gegenüber der Polizei bzw. gegenüber F. H. und E. W. nicht im Zusammenhang dar, sondern legt seiner Beweiswürdigung jeweils nur die einzelnen von dem Angeklagten genannten Tatsachen zugrunde und überprüft diese nacheinander auf ihre Glaubhaftigkeit. Die den Angeklagten belastenden Umstände würdigt es dabei nur isoliert im Kontext der jeweiligen Tatsachenbehauptung des Angeklagten und erörtert diese lediglich auf die Frage hin, ob sie dazu geeignet sind, die Angaben des Angeklagten zu widerlegen. Dabei kommt das Landgericht jeweils zu dem Ergebnis, dass auch Deutungen dieser einzelnen Beweisanzeichen möglich sind, die den Angeklagten nicht belasten würden.
26
Diese Vorgehensweise legt die Annahme nahe, dass das Landgericht den Zweifelsgrundsatz rechtsfehlerhaft schon auf einzelne Indiztatsachen angewandt und so den Blick dafür verloren hat, dass auch Indizien, die einzeln nebeneinander stehen, aber jeweils für sich einen Hinweis auf die Täterschaft des Angeklagten enthalten, zwar nicht quantitativ, wovon das Landgericht zutreffend ausgeht, aber doch in ihrer Gesamtheit die Überzeugung des Tatrichters von dessen Schuld begründen können (vgl. BGH NStZ-RR 2000, 45). Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass das Landgericht diese und wei- tere Indizien, die es aufgrund der von ihm in den Raum gestellten Deutungsmöglichkeiten als nicht ausreichend erachtet hat, um die Angaben des Angeklagten in ihren jeweiligen Einzelheiten zu widerlegen, bei der Gesamtwürdigung rechtsfehlerhaft nicht berücksichtigt hat, obwohl ihnen im Zusammenhang mit den übrigen belastenden Indizien ein belastender Beweiswert zukommen kann (vgl. BGH, Urt. vom 29. August 2007 - 2 StR 284/07).
27
2. Eine ausführliche Gesamtwürdigung war im vorliegenden Fall auch gerade deshalb erforderlich, weil das Landgericht seine Überzeugung, wonach die Einlassung des Angeklagten „im Wesentlichen stimmig“ sei und die „vorhandenen Beweisanzeichen mehrdeutig und zu Gunsten des Angeklagten interpretierbar“ seien, durchgängig auf Deutungsmöglichkeiten stützt, die als eher fern liegend betrachtet werden müssen.
28
a) Der Senat verkennt dabei nicht, dass es die Aufgabe des Tatrichters ist, die Bedeutung und das Gewicht der einzelnen be- und entlastenden Indizien in einer Gesamtwürdigung des Beweisergebnisses zu bewerten (BGH NStZ 2008, 146, 147). Allein, dass ein bestimmtes Ergebnis dabei nicht fern liegt, schließt nicht aus, dass der Tatrichter im Einzelfall auch rechtsfehlerfrei zu einem anderen Ergebnis kommen kann (BGH, Urt. vom 3. Juni 2008 - 1 StR 59/08 m.w.N.). Verwirft er jedoch die nahe liegenden Deutungsmöglichkeiten und führt zur Begründung seiner Zweifel an der Täterschaft eines Angeklagten nur Schlussfolgerungen an, für die es nach der Beweisaufnahme entweder keine tatsächlichen Anhaltspunkte gibt oder die als eher fern liegend zu betrachten sind, so muss er im Rahmen der Gesamtwürdigung erkennbar erwägen, dass er sich dieser besonderen Konstellation bewusst war. Anderenfalls kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass der Tatrichter überspannte Anforderungen an seine Überzeugungsbildung gestellt hat.

29
b) Im vorliegenden Fall ist das Landgericht in seiner Beweiswürdigung mehrfach von Hypothesen ausgegangen, für die es nach der Beweisaufnahme keine oder nur unzureichende Anhaltspunkte gab und die damit eher fern liegend waren.
30
aa) So erörtert die Kammer in Bezug auf die Herkunft der von dem Angeklagten verausgabten 500-Euro-Scheine, dass er diese möglicherweise durch ein Verwandtendarlehen oder - worauf seine Vorstrafen hindeuten könnten - durch einen Betrug von dem Getöteten bekommen haben könnte, obwohl der Angeklagte dies nicht einmal selbst behauptet hat.
31
bb) Das Landgericht hält es zudem auf der Grundlage der Aussage des Zeugen S. , eines Nachbarn des Getöteten, nicht für ausgeschlossen, dass dieser am Vormittag des 22. Februar 2007 von einem unbekannten Audifahrer abgeholt worden sein könnte. Der Zeuge S. hatte nach den Ausführungen des Landgerichts berichtet, dass in der Zeit von 10.15 Uhr bis 10.45 Uhr ein dunkelblauer Audi A3 oder A4 vor dem Wohnhaus des Opfers gestanden habe, in dem ein ihm unbekannter Mann gesessen und im Handschuhfach gekramt habe. Das Fahrzeug sei dann eine zeitlang weg gewesen und habe gegen 12.30 Uhr erneut vor dem Wohnhaus des Getöteten gestanden. Die Schlussfolgerung, die von der Kammer aus dieser Beobachtung gezogen wird, nämlich dass das Opfer noch am 22. Februar 2007 mit einem unbekannten Mann unterwegs gewesen sein könnte, ist vor dem Hintergrund des übrigen Beweisergebnisses ebenfalls als eher fern liegend anzusehen. Der Angeklagte fuhr zu dieser Zeit ein Fahrzeug, wie es von dem Zeugen S. beschrieben wurde, nämlich einen schwarzen Audi A 3, den er erst am 21. Februar 2007 angemietet hatte. Nach den mitgeteilten Telefonverbindungs- daten befand sich sein Handy um 11.01 Uhr zudem in dem Funkzellenbereich, in dem auch das Wohnhaus des Opfers liegt. Diese Feststellungen deuten darauf hin, dass es sich bei dem unbekannten Fahrer um den Angeklagten gehandelt haben könnte, ohne dass diese Möglichkeit von dem Landgericht bei seiner Würdigung in Betracht gezogen wird.
32
cc) Auch in Bezug auf den Telefonanruf von dem Handy des Getöteten auf das Handy des Bruders des Angeklagten ist die Kammer von einer eher fern liegenden Hypothese ausgegangen. So erwägt sie, dass der Getötete diesen Anruf selbst getätigt haben könnte, weil nicht auszuschließen sei, dass der Angeklagte, wie er dies gegenüber den Zeugen H. und W. angegeben haben soll, einmal in der Vergangenheit mit dem Handy seines Bruders bei dem Getöteten angerufen habe, so dass bei dieser Gelegenheit die Telefonnummer übertragen worden sein könnte. Vor dem Hintergrund, dass der Getötete , was nach den erhobenen Telefonverbindungsdaten feststeht, bis zu seinem Tod nicht einmal auf dem Handy des Angeklagten angerufen hatte, obwohl er zu diesem seit Januar 2007 in wesentlich engerem Kontakt stand, als zu dessen Bruder, sind die Erwägungen der Kammer zu der Person des Anrufers damit ebenfalls als fern liegend anzusehen. Dies gilt vor allem auch deshalb, weil nach den Feststellungen der Kammer das Prepaid-Handy des Angeklagten zum Zeitpunkt des fraglichen Telefonanrufs kein Guthaben mehr aufwies und er damit, wie ein gescheiterter Anrufversuch um 11.24 Uhr zeigt, nicht mehr telefonieren konnte. Dies legt letztlich die Schlussfolgerung nahe, dass es sich bei der Person des Anrufers um den Angeklagten gehandelt haben könnte, der mit dem Handy des Getöteten seinen Bruder anrief und der sich zum Zeitpunkt der letzten Funkzellenaufschaltung des Handys des Opfers somit im Funkzellenbereich des späteren Leichenfundorts aufhielt.
33
dd) Aus den dargelegten Umständen wird somit ersichtlich, dass das Landgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung in mehrfacher Hinsicht trotz des Vorliegens gewichtiger Indizien, die eine Täterschaft des Angeklagten nahe legen, von Deutungsmöglichkeiten ausgegangen ist, die aufgrund des Beweisergebnisses als eher fern liegend zu betrachten sind. Bei der Gesamtabwägung hätte es deshalb erkennbar erwägen müssen, dass es sich dieser besonderen Beweissituation bewusst war, und darlegen müssen, dass es sich dennoch nicht in der Lage sah, bestehende Zweifel an der Schuld des Angeklagten zu überwinden. Da es dies nicht getan hat, ist nicht auszuschließen, dass es überspannte Anforderungen an die eigene Überzeugungsbildung gestellt hat, die sich in rechtsfehlerhafter Weise zu Gunsten des Angeklagten ausgewirkt haben.
34
3. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist zudem lückenhaft. Nach den Feststellungen teilte der Angeklagte am 25. Februar 2007 anlässlich einer Aussprache auf dem „Bogenberg“, bei der auch der Bruder des Angeklagten zugegen war, den Zeugen F. H. und E. W. mit, dass er am späten Vormittag des 22. Februar 2007 bei dem Tatopfer gewesen und mit ihm zum Einkaufen gefahren sei. In derselben Unterredung gab der Angeklagte hiervon abweichend an, dass er sich um die Mittagszeit bei seinem Bruder aufgehalten habe. In diesem Zusammenhang erwähnte er auch den Anruf, der von dem Handy des Getöteten auf dem Handy seines Bruders eingegangen sei. Sein Bruder habe das Handy an ihn, den Angeklagten weitergereicht, und K. H. habe ihn gefragt, ob er Zeit habe, was er zu diesem Zeitpunkt verneint habe. Erst am Nachmittag habe er den Getöteten dann doch besucht. In diesem Zusammenhang erörtert die Kammer nicht, dass es sich bei diesen Angaben des Angeklagten zu dem Telefonanruf um eine Vorwegverteidigung gehandelt haben könnte, die darauf gerichtet war, einen Tatumstand, der bislang nur ihm bekannt war und von dem er befürchten musste, dass er zu seiner Überführung dienen könnte, schon im Vorfeld zu entkräften. Solches Täterwissen könnte den Schluss auf die Täterschaft begründen, so dass der Tatrichter in Fällen dieser Art gehalten ist, die Umstände des Vorbringens einer möglicherweise falschen Alibibehauptung besonders darzulegen und sich mit diesen im Einzelnen, insbesondere was die Entstehungsgeschichte und den Anlass der konkreten Äußerung angeht, im Einzelnen auseinanderzusetzen (vgl. BGH NStZ 1999, 423, 424). Auch diesen Anforderungen an eine lückenlose Beweiswürdigung wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Das Landgericht gibt lediglich die Äußerungen des Angeklagten bei der Aussprache am „Bogenberg“ wieder. Was im Verlauf des Gesprächs letztendlich den Anlass dazu gab, dass der Angeklagte nicht nur den Anruf des Getöteten auf dem Handy seines Bruders preisgab, sondern darüber hinaus sich nunmehr auch abweichend von seinen ursprünglichen Angaben dahingehend äußerte, dass er über die Mittagszeit nicht bei dem Getöteten gewesen sei, sondern sich in Gesellschaft seines Bruders befunden habe, bleibt unerörtert. Dies wäre aber erforderlich gewesen. Es ist nämlich durchaus vorstellbar, dass sich der Angeklagte aufgrund einer Äußerung F. H. s darüber bewusst wurde, dass bei der Suche nach dem Getöteten auch dessen Handyverbindungsdaten ausgewertet werden könnten und dass sich dabei der Anruf auf dem Handy seines Bruders als auffällig erweisen könnte. Das Landgericht wäre deshalb gehalten gewesen, sich eingehend mit den Einzelheiten des Gesprächsverlaufs auseinanderzusetzen, so dass die Beweiswürdigung in diesem Punkt lückenhaft und damit ebenfalls rechtsfehlerhaft ist.
35
4. Im Übrigen wird zur weiteren Begründung auf die Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 21. Oktober 2008 Bezug genommen.

III.


36
Die Sache muss somit neu verhandelt und entschieden werden. Einer Entscheidung über die von der Staatsanwaltschaft eingelegte sofortige Beschwerde gegen die im Urteil bewilligte Entschädigung für die erlittene Untersuchungshaft bedurfte es daher nicht mehr.
Nack Wahl Hebenstreit
Jäger Sander

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 18. März 2009 - 1 StR 549/08

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 18. März 2009 - 1 StR 549/08

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Lastenausgleichsgesetz - LAG

Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.
Bundesgerichtshof Urteil, 18. März 2009 - 1 StR 549/08 zitiert 4 §§.

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Lastenausgleichsgesetz - LAG

Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

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als Verteidigerinnen,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenkläger H. C. , E. C. und
M. W. ,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers T. M. ,
die Nebenklägerin M. W. persönlich,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 21. April 2006 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine Schwurgerichtskammer des Landgerichts Stuttgart zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des Mordes und des zweifachen Mordversuchs freigesprochen. Nach der Anklage lag ihm zur Last, am 7. Oktober 2004 die Sparkassenfiliale in S. ausgeraubt und dabei eine Sparkassenkundin erschossen und deren Ehemann sowie einen Sparkassenangestellten lebensgefährlich verletzt zu haben. Von seiner Täterschaft konnte sich das Landgericht nicht überzeugen.
2
Mit ihren Revisionen rügen die Staatsanwaltschaft und die Nebenkläger die Verletzung materiellen und formellen Rechts. Die Rechtsmittel, die vom Generalbundesanwalt vertreten werden, haben mit der Sachrüge Erfolg, da die dem Freispruch zugrunde liegende Beweiswürdigung Rechtsmängel aufweist. Auf die Verfahrensrügen kommt es nicht mehr an.

I.

3
1. Das Landgericht hat festgestellt:
4
Am 7. Oktober 2004 versah in der Sparkassenfiliale S. der Bankkaufmann T. M. den Dienst. Während der von 12.00 Uhr bis 14.00 Uhr dauernden Mittagspause nahm T. M. eine Verabredung in N. mit Kollegen anderer Filialen wahr. Zwischen 13.46 Uhr und spätestens 13.54 Uhr kehrte er in die Filiale S. zurück. Unter nicht näher geklärten Umständen wurde er dort vor 13.56 Uhr von einem unmaskierten und mit einer Pistole bewaffneten Mann gezwungen, im Kassenraum den Banktresor zu öffnen und Geldscheine sowie Münzgeld im Werte von 33.514 € herauszugeben. Anschließend musste sich T. M. in dem benachbarten Beratungsraum hinknien und erhielt von dem Täter mit einem stumpfkantigen Gegenstand bis zu zwölf wuchtige Schläge auf den Kopf, die zu einem lebensgefährlichen Schädel-Hirn-Trauma mit einer handtellergroßen Trümmerfraktur des Schädeldachs und zu Trümmerfrakturen im Bereich der Augenhöhlen sowie Kontasionen des Hirngewebes führten.
5
Um 13.55 Uhr betraten die Eheleute C. die Sparkassenfiliale, um ein Bankgeschäft zu erledigen. Vom Kundenschalterraum aus hörten sie Stöhngeräusche , ohne jemand zu sehen. Mit den Worten "Schnell raus, hier stimmt was nicht" zog H. C. seine Ehefrau in den Windfang und wollte mit ihr die Bank verlassen. Noch bevor sie die Eingangstür erreicht hatten, kam ein Mann aus dem Beratungsraum und drängte sie mit vorgehaltener Pistole zurück in den Kundenschalterraum. Er drückte den Zeugen H. C. bäuchlings über die Sitzfläche eines Stuhles, setzte die Pistole im Nacken des Zeugen an und drückte ab. Das Projektil drang im linken Nackenbereich ein und trat unterhalb des linken Unterkiefers wieder aus. Nunmehr richtete der Täter die Waffe gegen G. C. und gab von vorn zwei Schüsse auf deren Kopf ab mit der Folge, dass G. C. innerhalb weniger Sekunden verstarb. Der Täter flüchtete mit der Beute. Die Verletzungen des T. M. und des H. C. waren lebensgefährlich. Beide überlebten nach Notoperationen, wobei T. M. bis zum 16. Oktober 2004 in ein künstliches Koma versetzt wurde.
6
2. Auf den Angeklagten fiel der Tatverdacht insbesondere aufgrund folgender Erkenntnisse:
7
a) Die beiden die Tat überlebenden Geschädigten T. M. und H. C. haben den Angeklagten als Täter bezeichnet.
8
b) Der Angeklagte fuhr im Tatzeitraum mit seinem Kraftfahrzeug in der Nähe des Tatorts.
9
c) Der Angeklagte befand sich in finanziellen Schwierigkeiten. Am Nachmittag des Tattages zahlte er bei der Volksbankfiliale S. 10.000 € ein, darunter 14 Scheine im Wert von je 500 € - die Tatbeute enthielt 15 Scheine in diesem Wert. Am folgenden Tag zahlte seine Lebensgefährtin dort weitere 4.600 € ein. Bei Durchsuchungen seines Anwesens wurden ca. 20.000 € sichergestellt.
10
d) Im Kniekehlenbereich des Fahrersitzes des von dem Angeklagten benutzten Fahrzeugs wurde eine Blutantragung gesichert, deren molekulargenetische Untersuchung ein DNA-Teilmuster ergab, welches mit einem Häufigkeitswert von 1:10.130 mit den Merkmalen des Geschädigten M. übereinstimmt.
11
e) In einem alten Steinbruch von S. wurde im weiteren Verlauf des Tattages ein Feuer entzündet, das eine starke schwarze Rauchsäule entfaltete. Im Brandschutt dieser Feuerstelle wurden Adressaufkleber des Angeklag- ten, diesem zuzuordnende Rundhölzer und - etwa 13 Monate nach diesem Brand - eine Kautschukmischung aus einem Produkt des französischen Stiefelherstellers Le Chameau sichergestellt. Der Angeklagte hatte zweimal ein paar Gummistiefel dieser Marke gekauft und trug am Tattag Stiefel. Zwei am Tatort gesicherte Schuhabdruckfragmente wurden von einem Gummistiefel der Marke Le Chameau verursacht.
12
3. Das Landgericht hat sich gleichwohl von der Täterschaft des Angeklagten nicht zu überzeugen vermocht.
13
Hinsichtlich des Zeugen M. bestünden wegen der erheblichen Verletzungen im Gehirnbereich Bedenken an der Aussagetüchtigkeit. Der Zeuge C. habe unmittelbar nach der Tat gegenüber verschiedenen Zeugen lediglich geäußert, der Täter habe dem Angeklagten ähnlich gesehen. Die finanzielle Situation des Angeklagten sei nicht ganz aussichtslos gewesen. Hinsichtlich der Blutspur im Fahrzeug des Angeklagten liege das Analyseergebnis im Bereich der unteren Nachweisgrenze; insbesondere sei nicht nachvollziehbar, dass angesichts des äußerst blutigen Geschehens in der Sparkasse in dem nichtgereinigten Fahrzeug des Angeklagten keine weiteren Blutspuren gefunden wurden. Es bestünden aus zeitlichen Gründen erhebliche Zweifel daran, dass es dem Angeklagten überhaupt möglich war, das Feuer in dem Steinbruch zu entzünden. Darüber hinaus lasse sich nicht feststellen, dass die im Brandschutt gefundenen Gegenstände auch tatsächlich aus dem Brand des Tattages stammen.
14
Im Übrigen bestünden ernsthafte Zweifel daran, dass es dem Angeklagten in zeitlicher Hinsicht möglich war, die Tat zu begehen. Die Kammer hält die Angabe des Zeugen B. für glaubhaft, er habe den Angeklagten um genau 13.54 Uhr mit seinem Fahrzeug ca. 100 Meter von der Sparkasse entfernt in die H. straße einbiegen und ortsauswärts fahren sehen. Da die Eheleute C. die Sparkasse um 13.55 Uhr betreten hätten, hätte um 13.54 Uhr - auch wenn die Tat zum Nachteil des Zeugen M. in nicht mehr als eineinhalb Minuten begangen werden konnte - der Täter sich bereits in der Sparkasse befinden müssen.
15
Schließlich gebe es Hinweise auf andere Täter. Die Zeugin G. habe gegen 12.30 Uhr, als T. M. die Sparkasse bereits verlassen gehabt und der Angeklagte sich noch zuhause befunden hätte, eine männliche Stimme aus dem Bankinneren gehört. Im Tatzeitraum habe vor der Sparkasse ein dunkelfarbenes Fahrzeug gestanden, das keinem der in der Hauptverhandlung gehörten Zeugen zugeordnet werden konnte.

II.

16
Die Beweiswürdigung hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
17
1. Spricht das Gericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Daran ändert sich nicht einmal dann etwas, wenn eine vom Tatrichter getroffene Feststellung "lebensfremd" erscheinen mag. Es gibt im Strafprozess keinen Beweis des ersten Anscheins, der nicht auf der Gewissheit des Richters, sondern auf der Wahrscheinlichkeit eines Geschehensablaufs beruht.
18
Demgegenüber ist eine Beweiswürdigung etwa dann rechtsfehlerhaft, wenn sie schon von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgeht, z.B. hinsichtlich des Umfangs und der Bedeutung des Zweifelssatzes, wenn sie lückenhaft ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht erörtert, wenn sie wider- sprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Verfahrenssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt sind (st. Rspr., vgl. etwa BGH NJW 2005, 1727; BGH NStZ-RR 2003, 371; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 33, jew. m.w.N.).
19
2. Das Landgericht hat umfänglich und detailliert eine Vielzahl den Angeklagten belastender Indizien sowie die ihn entlastenden Umstände aufgelistet und gewürdigt. Die Abwägungen werden gleichwohl den vorstehenden Grundsätzen in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht. Die Strafkammer hat bei der Gesamtwürdigung wichtige belastende Indizien nicht hinreichend einbezogen, denen sie für sich gesehen keinen "zwingenden" Beweiswert beigemessen hat (Buchst. a). Sie sieht erhebliche konkrete Verdachtsmomente aufgrund nicht tragfähiger Hypothesen und bloß denktheoretischer Möglichkeiten als entwertet an (Buchst. b). Einzelne belastende Beweisanzeichen hat sie überhaupt nicht erörtert (Buchst. c). Schließlich liegen Erörterungsmängel hinsichtlich entlastender Beweismittel vor (Buchst. d).
20
a) Die Strafkammer hatte zu prüfen, ob die beiden die Tat überlebenden Opfer, H. C. und T. M. den Angeklagten überzeugungskräftig als Täter identifiziert haben. Sie kam - sachverständig beraten - jeweils zu dem Ergebnis, dass sie wegen verbleibender Zweifel nicht feststellen könne, die Zeugen hätten den Angeklagten "sicher" als Täter erkannt. Sie hat damit zwei wesentliche Beweisanzeichen für die Täteridentifikation einzeln unter Zugrundelegung des Zweifelssatzes als letztlich nicht überzeugend erachtet. Der Zweifelssatz, der eine Entscheidungs- und keine Beweisregel ist, darf jedoch nicht auf einzelne Indiztatsachen angewendet werden, sondern kann erst bei der Gesamtbetrachtung zum Tragen kommen (vgl. BGH NStZ 2001, 609 m.w.N.). Es ist deshalb zu besorgen, dass die Kammer nicht hinreichend be- dacht hat, dass diese wichtigen Indizien, auch wenn sie sie - einzeln für sich betrachtet - nicht zum Nachweis der Täterschaft für ausreichend zu erachten vermochte, doch mit ihrem verbleibenden erheblichen Beweiswert in der Gesamtheit aller belastenden Indizien dem Gericht die entsprechende Überzeugung vermitteln könnten (st. Rspr., vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2, 20 m.w.N.). Gerade angesichts der Häufung und gegenseitigen Durchdringung der den Angeklagten belastenden Umstände erscheint es möglich, dass die Kammer bei einer sachgerechten Gesamtschau die Überzeugung von der Täterschaft gewonnen hätte. Der formelhafte Hinweis, nach einer "Auseinandersetzung mit allen für den Tathergang wesentlichen Umständen und Indizien" verblieben vernünftige Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten, vermag die gebotene Gesamtwürdigung unter Gewichtung der einzelnen Beweise nicht zu ersetzen (vgl. BGH NStZ 1998, 475).
21
b) Das Landgericht lässt der molekulargenetisch untersuchten Blutspur aus dem Fahrzeug des Angeklagten insbesondere deshalb "allenfalls Indizwirkung" zukommen, weil weder an den Kleidungsstücken des Angeklagten noch in seinem Fahrzeug weitere entsprechende Blutspuren festgestellt wurden. Die Kammer stellt ihre Erwägung unter den Vorbehalt, dass die betroffenen Kleidungsstücke des Angeklagten gewaschen oder beseitigt worden sein könnten. Entgegen ihrer Ankündigung (UA S. 97) ist sie auf diesen Vorbehalt aber nicht mehr eingegangen. Der Senat kann daher aufgrund dieser Lücke der Urteilsfeststellungen nicht prüfen, ob diese von der Strafkammer selbst als wesentlich angesehene Möglichkeit mit rechtsfehlerfreier Begründung ausgeschlossen wurde. Im Übrigen ändert die Tatsache, dass keine weiteren Blutspuren festgestellt wurden, grundsätzlich nichts an dem Beweiswert der tatsächlich gefundenen Spur mit ihrem molekulargenetisch festgestellten Aussagewert.
22
Weiterhin hat das Landgericht den Beweiswert des nach der Tat in einem Steinbruch abgebrannten Feuers in Frage gestellt, weil aus zeitlichen Gründen erhebliche Zweifel daran bestünden, dass es dem Angeklagten möglich gewesen sein könnte, das Feuer zu entzünden. Die Kammer hat sich jedoch bei dieser eher nachrangigen Frage den Blick dafür verstellt, dass in dem Brandschutt tatsächlich sowohl Reste von Gegenständen des Angeklagten als auch Reste eines Jagdgummistiefels der Marke Le Chameau gefunden wurden. Nimmt man hinzu, dass der Angeklagte zweimal ein Paar dieser wenig verbreiteten Stiefel erworben hatte, am Tattage Stiefel trug und dass die am Tatort gefundenen Abdruckfragmente von einem Stiefel der Marke Le Chameau stammen, wird auch hier deutlich, dass gerade in der Kombination dieser einzelnen Fakten ein besonderer Beweiswert liegt. Dem hat die Kammer nicht hinreichend Rechnung getragen, indem sie isoliert auf die Einzelindizien abgestellt hat. Wenn die Kammer im Übrigen angesichts des Umstandes, dass die Stiefelreste erst 13 Monate nach der Tat an der Brandstelle gefunden wurden, die Gefahr einer Manipulation durch Dritte in Rechnung stellt, wird nicht erkennbar, warum es sich dabei um mehr als eine nur theoretische Erwägung handeln könnte, die keinen realen Anknüpfungspunkt hat. Die Kammer stellt selbst fest (UA S. 166), dass der Stiefel verbrannt worden war, bevor die Öffentlichkeit über die Bedeutung von Stiefeln der Marke Le Chameau für das vorliegende Verfahren erfahren hatte.
23
c) Die Beweiswürdigung weist zudem Lücken auf.
24
Allerdings können und müssen die Gründe auch eines freisprechenden Urteils nicht jeden irgendwie beweiserheblichen Umstand ausdrücklich würdigen. Das Maß der gebotenen Darlegung hängt von der jeweiligen Beweislage und insoweit von den Umständen des Einzelfalles ab. Dieser kann so beschaffen sein, dass sich die Erörterung bestimmter einzelner Beweisumstände erüb- rigt. Um einen solchen Fall handelt es sich hier aber nicht. Das Tatgericht hat vielmehr auf Freispruch erkannt, obwohl eine Fülle erheblicher Belastungsindizien vorlag. Bei solcher Sachlage muss es in seine Beweiswürdigung und deren Darlegung alle wesentlichen für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände und Erwägungen einbeziehen und in einer Gesamtwürdigung betrachten (vgl. BGH NStZ-RR 2002, 338 m.w.N.). Dem wird das angefochtene Urteil trotz der umfangreichen Beweiserwägungen nicht gerecht:
25
Die Würdigung der Belastungsindizien erstreckt sich zum einen nicht auf den Umstand, dass der Angeklagte nach mehreren mit Nachdruck ausgesprochenen Mahnungen des Filialleiters der Volksbank selbst davon ausging, bis spätestens zu dem von ihm als "Endtermin" angesehenen 7. Oktober 2004 - dem Tattag - eine größere Summe einzahlen zu müssen.
26
Darüber hinaus ist nicht erkennbar in die Beweiswürdigung einbezogen, dass die Tatbeute 15 Scheine im Wert von je 500 € enthielt und der Angeklagte bei der Volksbank 14 Scheine in diesem Wert eingezahlt hat. Der Angeklagte will das eingezahlte Geld in nebenher durchgeführten Schwarzgeldgeschäften - Verkauf von Wild und Ausschlachtungsarbeiten auf einer staatlichen Liegenschaft - verdient haben. Es erscheint nicht ohne weiteres plausibel, dass er aus diesen Geschäften weit überwiegend allein 500-Euro-Scheine erlangt hat.
27
Nicht erörtert ist auch - gerade vor dem Hintergrund der von der Strafkammer erörterten These, ein Fremder hätte die Bank überfallen können -, dass es dem nicht maskierten Täter darum ging, die in der Bank anwesenden Personen zu töten, und er zu diesem Zweck sogar die Eheleute C. vom Eingangsbereich zurück in den Kundenraum drängte, um sie dort geradezu hinrichtungsartig zu töten. Dies legt den erörterungsbedürftigen Schluss sehr nahe, dass die Opfer den Täter gekannt haben und dieser von seiner Identifizierung ausgehen musste, wenn sie am Leben blieben.
28
d) Von der Zuverlässigkeit der Aussage des Alibizeugen B. - dem zentralen Entlastungsbeweismittel - hat sich das Landgericht in einer für den Senat nicht nachprüfbaren Weise vorschnell überzeugt. Daher hat es auch dessen Zeitangabe bei der Abwägung mit den übrigen Beweisanzeichen rechtsfehlerhaft als bereits feststehend behandelt.
29
aa) Das Landgericht hält die Angabe des Zeugen B. für glaubhaft, er habe den Angeklagten mit seinem Fahrzeug um exakt 13.54 Uhr gesehen, als dieser - aus der L. gasse kommend - nach rechts stadtauswärts abgebogen sei. Die Zeitangabe habe der Zeuge deshalb so präzise machen können, weil er dabei von seinem Hofeingangsbereich aus auf die katholische Kirchturmuhr gesehen habe, die er immer kontrolliere. Wäre diese Zeitangabe des Zeugen auf die Minute genau zuverlässig, dann wäre es - wie das Landgericht ausgehend von dieser Prämisse zu Recht folgert - dem Angeklagten in der Tat zeitlich nicht möglich gewesen, vor dem Eintreffen der Eheleute C. um 13.55 Uhr die Bank zu betreten und es wäre auch ausgeschlossen, dass der Angeklagte zu dem davor liegenden Zeitpunkt, als der Bankangestellte M. die Bank betrat, schon an der Bank gewesen sein konnte.
30
bb) Von dem Blick auf die Kirchturmuhr hat der Zeuge in der Hauptverhandlung berichtet, jedoch ergibt sich aus dem Urteil nicht, wie er sich dazu bei seinen polizeilichen Vernehmungen geäußert hatte. Das Landgericht bewertet die Aussageentstehung jedenfalls dahin, dass "keine gravierenden Widersprüche hinsichtlich seiner Angaben in der Hauptverhandlung und bei seinen polizeilichen Vernehmungen" vorhanden seien.
31
Ob diese Bewertung zutrifft, kann der Senat anhand der Urteilsausführungen (vgl. UA S. 144 ff.) nicht überprüfen: Bei seiner ersten Befragung am 8. Oktober 2004 (dem Tag nach der Tat) hatte der Zeuge offenbar nur bekundet , er sei "kurz vor zwei" losgefahren; dass er den Angeklagten zuvor gesehen habe, scheint er nicht erwähnt zu haben ("Ansonsten sei ihm im Bereich der Sparkasse nichts aufgefallen."). Bei der zweiten Vernehmung, am Vormittag des 9. Oktober 2004, berichtete er davon, den Angeklagten "fünf bis sechs Minuten vor 14.00 Uhr" gesehen zu haben. Bei seiner dritten Vernehmung, am Nachmittag dieses Tages, präzisierte er den Zeitpunkt auf 13.54 Uhr. Unklar bleibt danach, ob, wann und wie der Zeuge bei diesen polizeilichen Vernehmungen seine Erinnerung mit dem Blick auf die Kirchturmuhr begründet oder den Zeitpunkt, zu dem er den Angeklagten sah, gar anderweitig rekonstruiert hat (etwa allein durch den mitgeteilten Blick auf die Küchenuhr um 13.45 Uhr).
32
cc) Bei der zentralen Bedeutung der Aussage des Entlastungszeugen B. hätte die Aussageentstehung - offenbar von einer zunächst vagen zu einer schließlich ganz präzisen Zeitangabe - näherer Wiedergabe und Erörterung bedurft. Es erscheint nämlich eher fern liegend, dass der zeitnah zur Tat vernommene Zeuge eine derart markante Besonderheit - wie den Kontrollblick auf die Kirchturmuhr - zunächst nicht erwähnt, obwohl es schon bei der ersten Befragung auf minutengenaue Zeitangaben angekommen war. Danach kommt ernsthaft in Betracht, dass der Zeuge, der sich darauf festgelegt hat, dass der Angeklagte nicht der Täter sein könne (UA S. 147), sich nicht konkret an die Uhrzeit erinnert, sondern diesen Zeitpunkt lediglich rekonstruiert hat.
33
Wegen dieses Erörterungsmangels besorgt der Senat, dass das Landgericht die - möglicherweise nur scheinbar präzise - Zeitangabe des Zeugen B. allein aufgrund dessen eigener Aussage, also vorschnell und damit rechtsfehlerhaft , als feststehenden zeitlichen Fixpunkt im Beweisgebäude angesehen hat. Die Frage, ob die Zeitangabe des Zeugen B. zur Überzeugung des Landgerichts zuverlässig war, durfte vielmehr erst im Rahmen der abschließenden Gesamtschau mit den übrigen Beweisanzeichen beantwortet werden. Wäre dies geschehen, dann ist nicht auszuschließen, dass die Alibibekundung des Zeugen B. als nicht hinreichend zuverlässig eingestuft worden wäre. In diesem Fall wäre es dem Angeklagten zeitlich doch möglich gewesen, die Tat zu begehen.

III.

34
Da diese sachlich-rechtlichen Mängel bereits zur Aufhebung führen, kommt es auf die übrigen Beanstandungen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger nicht an.

IV.

35
Mit der Aufhebung des Urteils entfällt der an den Freispruch anknüpfende Ausspruch über die Entschädigung des Angeklagten für erlittene Strafverfolgungsmaßnahmen , sodass die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegenstandslos ist.

V.

36
Die Sache muss somit neu verhandelt und entschieden werden. Der Senat verweist sie gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 (2. Alt.) StPO an ein anderes Landgericht zurück. Nack Wahl Boetticher Kolz Elf

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 284/07
vom
29. August 2007
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen Mordes u. a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 29. August
2007, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Bode
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Otten,
Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt und
Rechtsanwalt
als Verteidiger der Angeklagten zu 1.,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten zu 2.,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten zu 3.,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 27. Oktober 2006 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagten W. und L. vom Vorwurf des gemeinschaftlichen Mordes und den Angeklagten R. vom Vorwurf der versuchten Strafvereitelung freigesprochen. Dagegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihren auf die Sachrüge gestützten Revisionen. Die Rechtsmittel haben Erfolg.

I.

2
1. Die Staatsanwaltschaft hatte den Angeklagten W. und L. vorgeworfen , am 16. April 2005 nach 11.59 Uhr entsprechend einem gemeinsamen Tatplan den Ehemann der Angeklagten W. , E. W. , mit dem in einem alkoholischen Getränk aufgelösten Schlafmittel Diazepam sediert und in der Folgezeit durch massive Gewalteinwirkung gegen den Schildknorpel am Hals getötet zu haben. Am Nachmittag des 17. April 2005 sei der Leichnam dann in einer Lagerhalle der vom Opfer betriebenen Firma zerteilt, in Plastiksä- cke und Folie verpackt und mit mindestens drei weiteren Personen, darunter dem gesondert verfolgten We. , in der Nacht vom 17. auf den 18. April 2005 in den Main geworfen worden. Der Angeklagte R. habe dem Angeklagten L. in der Folgezeit ein falsches Alibi für den Abend und die Nacht vom 17. auf den 18. April 2005 gegeben, um ihn vor Strafverfolgung zu schützen.
3
2. Die Strafkammer hat Folgendes festgestellt: Das Tatopfer, E. W. , befasste sich mit dem Vertrieb osteuropäischer Waren. Es kam regelmäßig zu Konflikten mit Geschäftspartnern und Konkurrenten. In seiner Ehe kriselte es, weil er eine intime Dauerbeziehung mit seiner Bürokraft unterhielt und weitere außereheliche sexuelle Kontakte gehabt hatte. Die finanzielle Situation der vom Opfer geleiteten Firma war angespannt. E. W. beauftragte den Angeklagten L. gelegentlich mit Tätigkeiten im Vertrieb seiner Firma und beschäftigte dessen langjährigen Freund, den gesondert Verfolgten We. , als Lageristen.
4
Am Morgen des 15. April 2005 wurde auf dem Geschäftscomputer des E. W. ein Schreiben an zwei Rechtsanwälte erstellt, wonach er „in den letzten Tagen von meiner Frau W. mit dem Mord oder körperlicher Gewalt von ihren angeblichen und unbekannten `Freunden` bedroht“ worden sei. Der Verbleib dieses Schreibens konnte nicht geklärt werden. Am Vormittag des 16. April 2005 kam es zwischen den Eheleuten W. zum Streit. Wo das Opfer die Nacht verbrachte, ließ sich nicht feststellen. Am Sonntag, dem 17. April 2005, telefonierte E. W. um 12.31 Uhr von den Lagerräumen seiner Firma in der A. -O. -Straße aus mit einer Frau B.. Bis 15.58 Uhr versuchte er von dort aus mehrfach, We. telefonisch zu erreichen. Um 14.42 Uhr und um 15.18 Uhr war auch das Handy des Angeklagten L. in der dortigen Funkzelle eingeloggt. We. war um 17.20 Uhr von einer Reise in die Ukraine zurückgekehrt. Der Angeklagte L. holte We. vom Bus- bahnhof in F. ab und fuhr in den Bereich der Funkzelle A. - S. Straße/A. d. K. , in dem sich sowohl die Privaträume des Opfers und als auch weitere Lagerräume seiner Firma befanden. Um 18.19 Uhr war auch das Handy des Opfers hier eingeloggt. Um 20.20 Uhr wurde mit dem Handy des Opfers ein 23-minütiges Gespräch mit den Eltern der Angeklagten W. geführt, wobei es in einer Funkzelle im Bereich K. eingeloggt war.
5
Das leicht alkoholisierte Opfer wurde mit ca. 4 bis 6 Tabletten Diazepam sediert und sodann durch Gewalteinwirkung gegen den Hals getötet. Der Todeszeitpunkt lag höchstens 24 Stunden vor Beginn der Obduktion am 18. April 2005 um 16.45 Uhr. Nach der Tötung wurde der Leichnam in mindestens fünf Stücke zerteilt, die einzeln in Folien verpackt und in der Nacht zwischen ca. 23 Uhr und 8.30 Uhr morgens von der Schleusenbrücke O. in den Main geworfen wurden. Am 18. April 2005 wurde der Unterkörper mit den Beinen gefunden; die weiteren Leichenteile bis auf den rechten Arm des Opfers wurden bis zum 3. Mai 2005 geborgen. An diesem Tag wurde das Opfer anhand seiner Fingerabdrücke identifiziert.
6
Die Angeklagte W. hatte keine Vermisstenanzeige erstattet. Sie hatte am 20. April 2005 auf dem Geschäftscomputer ein Schreiben an die Postbank gefertigt, in dem sie um Zuteilung neuer PINs für das Geschäftskonto und ihre Privatkonten bat. Im Schlüsselkasten in der Ehewohnung befand sich der Schlüsselbund des Opfers mit Auto-, Wohnungs- und Büroschlüsseln. Bei Durchsuchungen der Wohnung des Opfers, der Büro- und Lagerräume und der Wohnung des Angeklagten L. wurden keine Hinweise auf die Tat gefunden. In den Lagerräumen in der A. -S. -Straße wurde eine vermutlich dem We. gehörende Sporttasche gefunden, in der sich Diazepam-Tabletten befanden , desgleichen waren Diazepam-Tabletten in der Wohnung des Angeklagten L. . An der angebrochenen Packung aus der Sporttasche wurden DNA- Spuren vom Angeklagten L. und von We. gesichert. An der Außenseite des Sackes, in dem der Oberkörper des Opfers verpackt war, befand sich an zwei kurzen Klebestreifen DNA-Material der Angeklagten W. . Auffällige Kunststofffasern wurden sowohl an der Verpackung des Unterkörpers des Opfers , am Unterkörper selbst, in dessen Jeep und in der Lagerhalle in der A. - O. -Straße gefunden. Die Angeklagten wurden am 14. Juni 2005 festgenommen ; We. hat sich in die Ukraine abgesetzt. Der Angeklagte L. bat den Angeklagten R. , ihm für den Abend des 17. April 2005 ein falsches Alibi zu geben, wobei er ihm zusicherte, nichts mit der Tat zu tun zu haben.
7
3. Das Landgericht hat zwar gewisse, die Angeklagten W. und L. belastende Indizien gesehen. Insgesamt hat es fünfzehn Indizien im Einzelnen geprüft. Diese reichten aber nach Ansicht des Tatrichters weder allein noch zusammen aus, die Angeklagten der Tat zu überführen, insbesondere habe keine geschlossene Indizienkette festgestellt werden können. Daran ändere sich auch nichts dadurch, dass die Angeklagten im Ermittlungsverfahren unzureichende oder widerlegte Angaben gemacht hätten. Es sei nicht möglich festzustellen, wer das Opfer wo, wann genau und warum getötet habe. Indizien für einen gemeinsamen Tatplan fehlten. Sowohl die Angeklagten W. und L. als auch We. hätten Motiv und Gelegenheit gehabt, das Opfer allein oder gemeinsam mit anderen zu töten, auch eine Tatbegehung durch Dritte sei nicht auszuschließen. Da der Täter unbekannt geblieben sei, könne auch zu Lasten des Angeklagten R. nicht angenommen werden, dass er versucht habe, zu Unrecht die Bestrafung des Angeklagten L. als (Mit-)Täter eines Mordes zu verhindern.

II.

8
Die Freisprüche halten sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.
9
1. Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei oder sieht er von einer weiterreichenden Verurteilung ab, weil er Zweifel an dessen Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Dieses hat insoweit nur zu beurteilen, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt worden sind (st. Rspr.; vgl. BGH NStZ-RR 2005, 147; 2004, 238). Aus den Urteilsgründen muss sich auch ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (st. Rspr.; vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2, 11; Beweiswürdigung, unzureichende 1; BGH NStZ 1983, 133; 2002, 48; BGH NStZ-RR 2000, 45; 2004, 238).
10
a) Den Urteilsfeststellungen ist nicht zu entnehmen, dass das Landgericht im vorliegenden Fall tatsächlich eine Gesamtwürdigung aller Indizien vorgenommen hat. Auf UA S. 20 wird nur als Ergebnis mitgeteilt, dass auch eine Gesamtwürdigung der Indizien nicht zur Überführung der Angeklagten ausreiche. Inwieweit das Landgericht alle oder mehrere Indizien im Zusammenhang gewürdigt hat, wird daraus nicht ersichtlich. Auf UA S. 34 hat das Landgericht zwar die Gesamtwürdigung der Indizien als gesonderten Punkt 16 nach der Würdigung von 15 Einzelindizien in die Urteilsgründe eingestellt. Auch hier wird jedoch nur das Ergebnis der Gesamtwürdigung praktisch wortgleich mit den Ausführungen UA S. 20 wiedergegeben, anschließend setzen sich die Urteils- gründe mit möglichen Motiven der Täter auseinander. Angesichts der Fülle der Indizien und ihrem zum Teil durchaus gewichtigen belastenden Charakter lässt die zusammenfassende Wertung hier nicht erkennen, ob wirklich alle einzelnen belastenden Indizien im Zusammenhang mit den anderen gesehen worden sind. Hinzu kommt, dass das Landgericht zahlreichen Indizien wegen möglicher unverfänglicher Erklärungen allein keinen Beweiswert beigemessen hat. Es steht daher zu besorgen, dass es diese Indizien bei der Gesamtwürdigung nicht berücksichtigt hat, obwohl ihnen im Zusammenhang mit anderen belastenden Indizien durchaus ein belastender Beweiswert zukommen kann.
11
b) Es ist weiter zu besorgen, dass das Landgericht bei der Beurteilung des Beweiswerts der Gesamtheit der Indizien von falschen Voraussetzungen ausgegangen ist und zu hohe Anforderungen gestellt hat, indem es zur Überführung der Angeklagten eine „geschlossene Indizienkette“ verlangt hat. Auch Indizien, die einzeln nebeneinander stehen, aber jeweils für sich einen Hinweis auf die Täterschaft des Angeklagten enthalten, können in ihrer Gesamtheit die Überzeugung des Tatrichters von dessen Schuld begründen.
12
c) Die Schwurgerichtskammer hat nur eine Täterschaft der Angeklagten W. und L. geprüft und sich dadurch möglicherweise den Blick dafür verstellt, dass die festgestellten belastenden Indizien unter Zugrundelegung des Zweifelsgrundsatzes jedenfalls Beihilfehandlungen belegen könnten. Eine Verurteilung wegen Beihilfe kann auch dann er folgen, wenn der eigentliche Täter unbekannt bleibt. Ausreichend ist, dass die Tat als solche und die Beihilfehandlungen feststehen. Das Landgericht hätte sich deshalb auch unter diesem Gesichtspunkt mit den festgestellten Indizien auseinandersetzen müssen.
13
d) Auf die von der Revisionsführerin gerügte fehlerhafte bzw. unvollständige Würdigung von Einzelindizien kommt es danach nicht mehr an.
14
2. Der Freispruch des Angeklagten R. hat schon deshalb keinen Bestand , weil das Landgericht, worauf die Revisionsführerin zutreffend hingewiesen hat, die Möglichkeit nicht erörtert hat, dass der Angeklagte einen untauglichen Versuch unternommen haben könnte, den Angeklagten L. vor Strafe zu bewahren, wenn er bei seiner Aussage die Täterschaft des L. oder dessen Beteiligung an der Tat für möglich hielt und eine Strafvereitelung billigend in Kauf nahm. Das Landgericht hat im Übrigen auch im Zusammenhang mit dem Vorwurf der versuchten Strafvereitelung andere Varianten als eine (mit-)täterschaftliche Beteiligung des L. an der Tat nicht geprüft. RiBGH Dr. Bode ist Ri'inBGH Dr. Otten Rothfuß wegen Urlaubsabwesen- ist wegen Krankheit heit an der Unterschrifts- an der Unterschriftsleistung verhindert. leistung verhindert. Rothfuß Rothfuß Fischer Roggenbuck

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 59/08
vom
3. Juni 2008
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 3. Juni 2008,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Dr. Graf,
Prof. Dr. Sander,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwälte und aus München
als Verteidiger,
Rechtsanwalt aus Friedberg
als Vertreter des Nebenklägers,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 12. Oktober 2007 wird verworfen. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Der Angeklagte wurde wegen versuchten Totschlags in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt.
2
Seine auf die näher ausgeführte Sachrüge gestützte Revision bleibt erfolglos.

I.


3
Die Strafkammer hat festgestellt:
4
Der Angeklagte ist Vater des am 4. März 2006 geborenen D. , eines sehr unruhigen Kindes, das viel schrie. Ende August/Anfang September 2006 war der Angeklagte weitgehend allein für die Versorgung des Kindes verantwortlich. Mit dieser Aufgabe war er überfordert. Er behandelte das Kind „zunehmend gereizt und aggressiv“. Zu einem nicht exakt feststellbaren Zeitpunkt innerhalb dieses Zeitraumes packte der Angeklagte das schreiende Kind am Brustkorb und schüttelte es, um es zum Schweigen zu bringen, so heftig in „sagittaler Richtung“, dass der Kopf nach vorne und hinten schlug und wegen der noch schwachen Nackenmuskulatur erst in der Extremposition, also Brust und Nacken, abgebremst wurde. Es kam zum Abriss so genannter Brückenvenen zwischen Schädelkalotte und Gehirn. Dies führte zu subduralen Blutungen und zu beidseits flächenhaften mehrschichtigen Netzhauteinblutungen.
5
Unabhängig davon hatte der Angeklagte das Kind auch wiederholt in den Oberarm, die Wange und das Gesäß gebissen, was zu entsprechenden Spuren an dessen Körper führte. Weitere Spuren am Körper des Kindes im Bereich der Gesäßfalte/Steißbeinregion sowie unterhalb beider Schlüsselbeine waren vom Angeklagten durch stumpfe Gewalteinwirkung hervorgerufen worden (wegen dieser Taten wurde das Verfahren eingestellt, da sie neben den abgeurteilten Taten nicht ins Gewicht fielen). Der Angeklagte versuchte, gegenüber der Mutter des Kindes diese Spuren sowohl als „Knutschflecken“ als auch als von der Katze verursacht zu verharmlosen. Die Mutter ging aber wegen dieser Verletzungsspuren zur Polizei, die eine Untersuchung in der Rechtsmedizin veranlasste. Dort fiel der ungewöhnliche Umfang des Kopfes des Kindes auf und es wurde sofort in die Kinderklinik verbracht, wo sein Leben - nur - durch zahlreiche intensivmedizinische Maßnahmen gerettet werden konnte. Im Rahmen dieser Untersuchungen wurde anhand entsprechender Spuren im Körper des Kindes festgestellt, dass es auch schon vor Ende August/Anfang September in ähnlicher Weise und mit ähnlichen Folgen wie dort geschüttelt worden sein muss (zur Erfahrung, dass wiederholte Tathandlungen in diesem Zusammenhang nicht selten sind vgl. auch Schneiders/Schröder: Das Schütteltrauma - eine häufig unbekannte Form der Kindesmisshandlung, Kriminalistik 2005, 734, 735). Zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung vor dem Landgericht war eine bestimmte Hirnfunktion des Kindes noch gestört. Ob dauerhaft geistige oder motorische Retardierungen zurückbleiben werden, war noch nicht absehbar.

II.


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1. Die Feststellungen zum äußeren Geschehensablauf sind nicht zu beanstanden. Der näheren Ausführung bedarf dies nur insoweit, als die Revision die Täterschaft des Angeklagten hinsichtlich des ersten Schüttelns nicht für rechtsfehlerfrei festgestellt hält.
7
a) Dem liegt folgendes zu Grunde: Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung keine Angaben zur Sache gemacht und im Ermittlungsverfahren jedes Fehlverhalten bestritten. Auch mit sachverständiger Hilfe konnte die Strafkammer - nahe liegend - nicht exakt feststellen, an welchem Tag der Angeklagte das Kind erstmals so heftig geschüttelt hatte, dass die geschilderten Folgen auftraten. Festzustellen war nur, dass das Kind mindestens vier Wochen alt war, als ihm diese Verletzungen zugefügt wurden und dass die Verletzungen schon mindestens vier Wochen alt waren, als sie entdeckt wurden. Da das Kind am 6. März 2006 geboren wurde und ab dem 8. September 2006 in der Kinderklinik untersucht und behandelt wurde, hat demnach das erste Schütteln frühestens Anfang April 2006 und spätestens Mitte August 2006 stattgefunden. Der Angeklagte wohnte jedoch erst ab Ende April 2006 mit dem Kind in derselben Wohnung. Daher geht die Strafkammer davon aus, dass die erste Tat nicht vor diesem Zeitpunkt begangen wurde.
8
b) Die Revision meint, die Annahme der Täterschaft des Angeklagten sei ein Zirkelschluss. Ein Tatzeitpunkt vor Ende April 2006 sei medizinisch nicht auszuschließen. Der Angeklagte habe aber erst ab Ende April 2006 Gelegenheit zur Tat gehabt. Das Gericht habe sich mit der Möglichkeit, dass die Tat schon vorher begangen worden sei, der Angeklagte also nicht der Täter sei, gedanklich nicht auseinandergesetzt. Soweit die Strafkammer, so die Revision ergänzend in der Hauptverhandlung vor dem Senat, geprüft und verneint habe, ob andere Personen als der Angeklagte als Täter in Betracht kämen, bezöge sich dies (ebenfalls) nur auf den Zeitraum ab Ende April 2006. Dies bekräftige, dass die Strafkammer den möglichen Tatzeitraum rechtsfehlerhaft zum Nachteil des Angeklagten verkürzt habe.
9
c) Der Senat sieht keinen Rechtsfehler.
10
Das Kind lebte bis Ende April 2006 in der Wohnung des früheren Ehemannes der Mutter, R. , dann zogen Mutter und Kind mit dem Angeklagten zusammen. Die Strafkammer hat jedoch, ohne insoweit eine zeitliche Einschränkung vorzunehmen, geprüft, ob der frühere Ehemann oder - sämtliche - andere Personen, die mit dem Kind schon in der Wohnung des früheren Ehemannes Kontakt hatten, als Täter in Betracht kommen. Ihre Prüfung beschränkt sich daher offensichtlich nicht auf den Zeitraum, ab dem das Kind nicht mehr in der Wohnung des früheren Ehemannes lebte. Dass die Strafkammer diese Personen rechtsfehlerhaft als Täter ausgeschlossen hätte, ist weder konkret behauptet noch sonst ersichtlich. Mit anderen Personen als denen, deren mögliche Täterschaft die Strafkammer geprüft hat, hatte das Kind, so ergeben die Urteilsgründe, zu keinem Zeitpunkt Kontakt. Auch diese Feststellungen, gegen die die Revision ebenfalls keine konkreten Einwendungen erhebt, sind rechtsfehlerfrei. Wenn also eine andere Person als der Angeklagte Täter des ersten Schüttelns sein sollte, müsste es ein Unbekannter gewesen sein, zu dem das Kind im Übrigen keinen Kontakt hatte. Es ist jedoch weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten einen Sachverhalt zu unterstellen, für dessen Vorliegen sich keine konkreten Anhaltspunkte ergeben haben (NJW 2007, 2274; NStZ-RR 2005, 147; 2003, 371 ; NStZ 2004, 35, 36 m.w.N.). Dementsprechend war auch eine ausdrückliche Erörterung der aufgezeigten fern liegenden und bloß theoretischen Möglichkeit nicht geboten.
11
2. Auch der - bedingte - Tötungsvorsatz ist rechtsfehlerfrei bejaht.
12
Der Senat verkennt nicht, dass nach forensischer Erfahrung in „Schüttelfällen“ ein derartiger Vorsatz vielfach nicht festzustellen ist (vgl. zusammenfassend Schneider in NStZ 2004, 202, 203 m.w.N.; vgl. auch Schneiders/Schröder aaO m.w.N. in Fußn. 9). Allein dass ein bestimmtes Ergebnis nicht fern liegt, schließt jedoch nicht aus, dass der Tatrichter im Einzelfall auch rechtsfehlerfrei zu einem anderen Ergebnis kommen kann (vgl. BGH, Urt. vom 12. Juni 2007 - 1 StR 73/07; zum Tötungsvorsatz beim Schütteltrauma vgl. BGH, Urt. vom 7. Dezember 1999 - 1 StR 538/99). Hier stützt die Strafkammer die Annahme eines Tötungsvorsatzes nicht allein auf das - wie sich die Strafkammer nach sachverständiger Beratung und Demonstration überzeugt hat - vorliegend „äußerst heftige“ und „sehr schnelle“ Schütteln, sondern auch etwa darauf, dass der Angeklagte wiederholt und von unterschiedlichen Personen darauf hingewiesen worden war, dass man bei Kindern „ganz besonders auf den Kopf achten müsse, nachdem diese ihren Kopf noch nicht selbst halten könnten“, und dass „so ein Genick schnell gebrochen sei“. Diese und weitere für und gegen einen Tötungsvorsatz, auch hinsichtlich des erforderlichen voluntativen Vorsatzelements (vgl. zusammenfassend Schneider aaO m.w.N.), sprechende Gesichtspunkte, wie sie sich etwa aus den Feststellungen zum sonstigen Verhalten des Angeklagten gegenüber dem Kind ergeben, hat die Strafkammer sorgfältig gegeneinander abgewogen. Hinsichtlich des zweiten Schüttelns hat sie auch erwogen (und verneint), ob der letztlich nicht tödliche Ausgang des ersten Schüttelns gegen einen (bedingten) Tötungsvorsatz beim zweiten Schütteln sprechen könnte. Es ist insgesamt nicht ersichtlich, dass das von ihr gefundene Ergebnis auf widersprüchlicher, lückenhafter oder unklarer Grundlage beruhte, gegen Denk- oder Erfahrungssätze verstieße oder sonst die dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung gezogenen rechtlichen Grenzen überschritte.
13
3. Der Generalbundesanwalt weist zutreffend darauf hin, dass die Strafkammer nicht geprüft hat, ob (jeweils) ein strafbefreiender Rücktritt (§ 24 StGB) vorliegen könnte. Ein den Bestand des Urteils gefährdender durchgreifender Mangel liegt deshalb jedoch nicht vor.
14
a) Ein strafbefreiender freiwilliger Rücktritt käme allerdings schon im Ansatz nicht in Betracht, wenn die Tat(en) fehlgeschlagen wäre(n). Dies ist der Fall, wenn entweder der Erfolgseintritt objektiv nicht mehr möglich ist und der Täter dies erkennt oder wenn der Täter den Erfolgseintritt jedenfalls nicht mehr für möglich hält (st. Rspr., vgl. nur BGHSt 39, 221, 228 m.w.N.).
15
b) Es ist den Urteilsgründen jedoch nicht zu entnehmen, dass die Strafkammer (jeweils) von einem fehlgeschlagen Versuch ausgegangen wäre.

16
Allerdings stellt sie Erwägungen darüber an, wie lange genau der Angeklagte das Kind geschüttelt hat. Sachverständig beraten geht sie davon aus, dass - auch angesichts des Gewichts des Kindes - ein Erwachsener das Kind so heftig wie festgestellt zehn oder maximal 20 Sekunden geschüttelt haben kann, danach würde er ermüden und könnte nicht länger schütteln. „Zu Gunsten des Angeklagten“, so die Strafkammer, gehe sie davon aus, dass er zehn Sekunden geschüttelt habe, offenbar weil er dann ermüdet gewesen sei. Wenn mit alledem zum Ausdruck gebracht sein sollte, es läge ein fehlgeschlagener Versuch vor, weil der Angeklagte das Kind so lange geschüttelt habe, wie er konnte, bestünden allerdings Bedenken. Ein Versuch ist (unter anderem) dann nicht gescheitert, wenn sie der Täter zwar auf der Stelle kurzfristig nicht fortsetzen kann, ihm dies aber ohne nennenswerte zeitliche Zäsur möglich bleibt (BGH, Beschl. vom 27. November 2002 - 1 StR 462/02 m.w.N. = NStZ-RR 2003, 199 ; BGHSt aaO m.w.N.). Dass ein junger, zur Tatzeit 22 oder 23 Jahre alter Mann, selbst wenn er wegen Ermüdung einen Säugling nicht länger als zehn oder 20 Sekunden schütteln kann, nicht alsbald wieder so zu Kräften käme, dass er weiter schütteln könnte, wenn er dies will, versteht sich jedenfalls nicht von selbst. Im Übrigen ist jedenfalls im zweiten Fall der Versuch schon deshalb nicht fehlgeschlagen, weil das Kind ohne die späteren intensivmedizinischen Maßnahmen an den Folgen des Schüttelns gestorben wäre. Der Senat versteht die Urteilsgründe jedoch nicht so, dass die Strafkammer deshalb den Rücktritt nicht prüft, weil sie die Versuche wegen Ermüdung als endgültig gescheitert ansehen würde. Abgesehen davon, dass dies nicht ausdrücklich ausgeführt ist, spricht gegen diese Annahme insbesondere, dass die Strafkammer in diesem Zusammenhang die von ihr als wesentlich angesehene Frage in den Mittelpunkt stellt, ob der Angeklagte nach zehn oder erst nach 20 Sekunden ermüdet war, was - allenfalls - für die Frage der Intensität der Handlung bedeut- sam sein mag, für die Frage eines gescheiterten Versuchs aber bedeutungslos ist.
17
Im Übrigen bemerkt der Senat in diesem Zusammenhang, dass es jedenfalls nicht ausgeschlossen erscheint, dass der Täter in derartigen Fällen zu schütteln aufhört, weil das Kind still geworden ist und er deshalb sein eigentliches Ziel erreicht hat: „Das Fatale bei dem Schütteltrauma ist, dass der von dem Täter/der Täterin intendierte Erfolg, dass der Säugling endlich aufhört zu schreien, aufgrund der Schädigungen sofort eintritt“ (Schneiders/Schröder aaO 735). Die unterbliebene Erörterung dieser Möglichkeit durch die Strafkammer stellt jedoch keine den Bestand des Urteils gefährdende Lücke dar, weil die (etwaige) Feststellung, der Angeklagte habe zu Schütteln aufgehört, weil das Kind nicht mehr geschrien hat, keine notwendigen - zumal nicht den Angeklagten entlastende - Schlüsse darüber ergibt, welche Vorstellungen er über die bisherigen Folgen des Schüttelns hatte.
18
c) Liegt kein fehlgeschlagener Versuch vor, so kommt es hinsichtlich des Rücktritts darauf an, ob ein unbeendeter oder ein beendeter Versuch vorliegt. Dies richtet sich nach der Vorstellung, die der Täter zu dem Zeitpunkt hat, zu dem er auf die ihm mögliche Weiterführung der Tat verzichtet („Rücktrittshorizont“ ; st. Rspr. seit BGHSt 33, 295 ff. unter Hinweis auf BGHSt 31, 170). Geht er davon aus, sein bisheriges Handeln reiche nicht aus, den Erfolg der Tat herbeizuführen , so läge ein unbeendeter Versuch vor; für einen strafbefreienden Rücktritt genügt dann freiwilliges Nichtweiterhandeln (§ 24 Abs. 1 Satz 1, 1. Alternative StGB). Glaubt er dagegen, sein bisheriges Verhalten werde zum Erfolg der Tat führen - oder macht er sich überhaupt keine Vorstellungen hierüber (vgl. BGHSt 40, 304, 306) - so liegt ein beendeter Versuch vor. Strafbefreiender Rücktritt verlangt dann, dass er erfolgreiche Bemühungen entfaltet, um den drohenden Eintritt des (schädlichen) Erfolgs seiner Tat zu verhindern (§ 24 Abs. 1 Satz 1, 2. Alternative StGB).
19
d) Ein auf erfolgreichen Rettungsbemühungen beruhender Rücktritt (vom beendeten Versuch) liegt offensichtlich nicht vor.
20
e) Grundvoraussetzung für die Annahme eines strafbefreienden Rücktritts wäre daher, dass der Angeklagte nach dem Schütteln geglaubt hätte, tödliche Folgen würden schon allein deshalb ausbleiben, weil er nicht weiter schüttelte. Hiervon brauchte die Strafkammer nicht auszugehen:
21
Der Angeklagte wusste nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen beim Schütteln, dass dieses tödliche Folgen haben konnte, und nahm dies billigend in Kauf.
22
In tatsächlicher Hinsicht unterscheidet sich eine solche Gewalthandlung von vielen anderen Gewalthandlungen insoweit, als ihre Auswirkungen nicht ohne weiteres äußerlich erkennbar sind; ebenso wenig muss der tödliche Erfolg in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der todesverursachenden Handlung stehen, sondern er kann - wie es hier ohne die Rettungsmaßnahmen der Fall gewesen wäre - auch etliche Tage später noch eintreten. Unter diesen Umständen ist nicht ersichtlich, an welche realen Gesichtspunkte die Annahme anknüpfen könnte, der Angeklagte habe bei Beendigung des Schüttelns geglaubt , dass die von ihm beim Schütteln noch für möglich gehaltenen Folgen jetzt doch nicht eintreten sollten. Auch er selbst hat sich weder innerhalb noch außerhalb des Verfahrens je in diesem Sinne geäußert. Bei einer solchen Beweislage sind präzise Feststellungen über eine sogenannte innere Tatsache - also darüber, was der Angeklagte, ohne dies erkennbar werden zu lassen, geglaubt oder nicht geglaubt hat - offenbar nicht möglich.
23
Allerdings ist der Zweifelssatz auch auf das Vorliegen von Rücktrittsvoraussetzungen anzuwenden, wenn bei einer Gesamtbeurteilung der Tatsachen keine eindeutigen Feststellungen getroffen werden können. Jedoch ist es - auch - in diesem Zusammenhang nicht zulässig, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für die es keinerlei konkrete Anhaltspunkte gibt (st. Rspr. vgl. d. N. oben II 1 c; speziell zum Rücktritt vgl. BGH, Urt. vom 13. März 2008 - 4 StR 610/07; vgl. hierzu zusammenfassend auch Leipold/Beukelmann NJW-Spezial 2008, 281). All dies führt auch bei einem (wie hier) schweigenden beziehungsweise pauschal bestreitenden Angeklagten nicht zu einer mit dem Schuldprinzip kollidierenden Beweislastumkehr, sondern ist notwendige Folge der Verpflichtung des Gerichts, gemäß § 261 StPO seine Überzeugung aus dem Gang der Hauptverhandlung zu schöpfen (vgl. BVerfG, Beschl. vom 8. November 2006 - 2 BvR 1378/06; BGH NJW 2007, 2274).
24
Kann aber eine Vorstellungsänderung des Angeklagten als auf nichts gestützte und daher nur denktheoretische Möglichkeit schon im Ansatz nicht tragfähige Grundlage ihn begünstigender Schlussfolgerungen sein, so brauchte die Strafkammer diese Möglichkeit auch nicht ausdrücklich zu erörtern.
25
4. Auch im Übrigen ist der Schuldspruch rechtsfehlerfrei.
26
5. Ebenso hält auch der Strafausspruch rechtlicher Überprüfung Stand. Anzumerken ist insoweit nur folgendes: Die Strafkammer führt näher aus, dass gegen den Angeklagten 1997 ein Verfahren wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gemäß § 45 JGG behandelt wurde (eingetragen im Erziehungsregister gem. § 60 Abs. 1 Nr. 7 BZRG) und dass er in einem weiteren Verfahren wegen Sachbeschädigung 2002 vom Jugendrichter verwarnt wurde (eingetragen im Erziehungsregister gem. § 60 Abs. 1 Nr. 2 BZRG). Weitere Vorahndungen gibt es nicht. Ausweislich der Urteilsgründe sind diese Feststellungen auf einen mehrere Monate vor der Hauptverhandlung erhobenen Auszug aus dem Bundeszentralregister gestützt. Da der Angeklagte aber zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung bereits das 24. Lebensjahr vollendet hatte, waren die genannten Eintragungen im Erziehungsregister gemäß § 63 Abs. 1 und 2 BZRG bereits entfernt und durften gemäß § 63 Abs. 4 BZRG i.V.m. § 51 Abs. 1 BZRG nicht mehr zum Nachteil des Angeklagten verwendet werden (BGHR BZRG § 60 Erziehungsregister 1 m.w.N.; § 63 Verwertung 1). Nachdem die Strafkammer jedoch diese Vorahndungen ausschließlich unter der Überschrift „Strafmilderungsgründe“ bewertet und dort ausführt, dass sie „allesamt noch dem Jugendrecht unterfielen, nicht einschlägig (sind) und … bereits längere Zeit zurück(liegen)“, kann der Senat ausschließen, dass sich der aufgezeigte Mangel zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat. Der Senat hat daher zu der andernfalls nahe liegenden Prüfung, ob die Strafe als angemessen i.S.d. § 354 Abs. 1a StPO anzusehen ist, keine Veranlassung.
Herr RiBGH Dr. Boetticher befindet sich in Urlaub und ist deshalb an der Unterschrift gehindert. Nack Wahl Nack Graf Sander