Bundesgerichtshof Urteil, 09. Juli 2002 - 1 StR 93/02

bei uns veröffentlicht am09.07.2002

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 93/02
vom
9. Juli 2002
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. Juli 2002,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer
und die Richter am Bundesgerichtshof
Nack,
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Dr. Kolz,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten K. ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten J. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
I. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 29. November 2001 wird verworfen , soweit es den Angeklagten J. betrifft. Die Kosten dieses Rechtsmittels und die dem Angeklagten J. im Revisionsverfahren hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse. II. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das oben genannte Urteil, soweit es den Angeklagten K. betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben 1. in dem unter II. 3. der Urteilsgründe festgestellten Fall; 2. im gesamten Strafausspruch. Die weitergehende Revision wird verworfen. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten J. wegen unerlaubter Veräußerung von Betäubungsmitteln und wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten und den Angeklagten K. wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln sowie wegen versuchter Nötigung unter Einbeziehung einer Verurteilung aus einem anderen Verfahren zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat, verurteilt. Mit ihren auf die Sachrüge gestützten Revisionen beanstandet die Staatsanwaltschaft, daß beide Angeklagte im Fall II. 3. der Urteilsgründe statt wegen versuchter Nötigung wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung hätten verurteilt werden müssen und daß - insoweit wird die Revision vom Generalbundesanwalt vertreten - der Angeklagte K. im Fall II. 3. der Urteilsgründe nicht auch wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden ist. Die Rechtsmittel führen hinsichtlich des Angeklagten K. zur teilweisen Aufhebung des Schuldspruchs und zur Aufhebung des Strafausspruchs; im übrigen sind sie unbegründet. 1. Nach den Feststellungen wurden beide Angeklagte, die sich vor der Tatbegehung nicht kannten, bei einem Drogengeschäft am 14. August 2001 von dem Geschädigten Kl. in der Weise "gelinkt", daß dieser dem Angeklagten J. den restlichen Kaufpreis und dem Angeklagten K. restliches Kokain schuldig blieb. Zu Fall II. 3. stellt das Landgericht fest: Die Angeklagten suchten den Kl. gemeinsam auf, um - notfalls ge-
waltsam - ihre Restforderungen durchzusetzen. Mehr als das, was ihnen nach ihrer Beurteilung zustand, strebten sie dabei nicht an. Der Angeklagte K. drohte dem Kl. Schläge an, während der Angeklagte J. , um die Forderungen zu unterstreichen, ihm mit der Faust in das Gesicht schlug. Sodann zerschlug der Angeklagte J. eine Schnapsflasche und drückte, den Flaschenhals in der Hand haltend, die restliche Flasche mit dem scharfen Glasteil mit aller Kraft gegen die untere linke Gesichtshälfte des Kl. , so daû das Glas die Wange durchdrang und im Bereich des Jochbeins wieder austrat. Kl. blutete stark und versuchte zu fliehen. Die Angeklagten holten ihn wieder ein und schlugen beide auf ihn ein. Der Angeklagte K. zog dazu einen Ledergürtel aus seiner Hose und schlug auch damit mehrmals zu. Als Kl. weiter zu flüchten versuchte, verfolgten sie ihn erneut. Nachdem eine Frau aus dem Fenster gerufen hatte, sie werde die Polizei alarmieren, gaben die beiden Angeklagten ihre Tat auf und flohen. 2. Das Landgericht hat in dem Verhalten beider Angeklagter zu Recht mangels Absicht der unrechtmäûigen Bereicherung keine versuchte schwere räuberische Erpressung gesehen. Zwar stand den Angeklagten wegen Verstoûes gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) ein Anspruch weder auf den restlichen Kaufpreis noch auf das restliche Kokain zu. Ob sie berechtigt waren, von Kl. gemäû § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB Schadensersatz wegen Betrugs zu verlangen, wie der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs mit Beschluû vom 12. März 2002 - 3 StR 4/02 - (NStZ-RR 2002, 214) entschieden hat, braucht der Senat hier nicht zu entscheiden. Den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zufolge, an die der Senat gebunden ist, sind sie jedenfalls für die von ihnen erstrebte Bereicherung vom Bestehen solcher Ansprüche ausgegangen, so daû sie - worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hinweist - zumindest in einem Tatbestandsirrtum (§ 16 Abs. 1 Satz 2
StGB) handelten. Damit fehlte ihnen die Absicht einer unrechtmäûigen Bereicherung (vgl. BGH, Beschl. vom 11. Juli 2000 - 4 StR 232/00; BGH NStZ-RR 1999, 6). 3. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte K. habe sich nur der versuchten Nötigung, nicht aber tateinheitlich auch als Mittäter der von dem Angeklagten J. begangenen gefährlichen Körperverletzung strafbar gemacht, hält hingegen rechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Die von dem Landgericht zugrundegelegten Feststellungen ergeben, daû der Angeklagte diesen Straftatbestand bereits in der Form der gemeinschaftlichen Begehung (§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB) erfüllt hat (vgl. UA S. 13: "Beide Angeklagten schlugen dort ..."). Der Senat sieht sich allerdings an einer eigenen entsprechenden Ergänzung des Schuldspruchs gehindert, weil dieser erweiterte Schuldvorwurf von der Anklage nicht erfaût war und der Angeklagte auch in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht keinen entsprechenden Hinweis nach § 265 StPO erhalten hat, so daû er nicht rechtzeitig Gelegenheit hatte, sich in dieser weitergehenden Richtung zu verteidigen.
b) Nach den getroffenen Feststellungen ist zudem nicht erkennbar, warum dem Angeklagten K. der Einsatz der zersplitterten Glasflasche als gefährliche Körperverletzung gemäû § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB nicht zuzurechnen ist. Jeder Mittäter haftet zwar für das Handeln der anderen nur im Rahmen seines Vorsatzes, ist also für den Erfolg nur insoweit verantwortlich, als sein Wille reicht; ein Exzeû der anderen fällt ihm nicht zur Last (vgl. BGHSt 36, 231, 234; Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 25 Rdn. 8a). Jedoch werden Handlungen eines anderen Tatbeteiligten, mit denen nach den Umständen des Falles gerechnet werden muû, vom Willen des Mittäters umfaût, auch wenn er sie sich nicht besonders vorgestellt hat; ebenso ist er für jede Ausführungsart
einer von ihm gebilligten Straftat verantwortlich, wenn ihm die Handlungsweise seines Tatgenossen gleichgültig ist (BGH NJW 1973, 377; BGH GA 1985, 270). Der gemeinsame, die Anwendung erforderlicher Gewalt einschlieûende Plan und dessen konsequente und koordinierte Durchführung, bei der sich der Angeklagte K. aktiv - und zwar insbesondere noch nach dem Einsatz der zerbrochenen Flasche - an den Verletzungshandlungen beteiligte, legen nahe, daû der Angeklagte sich mit der konkreten Vorgehensweise des Mitangeklagten J. einverstanden erklärt hat oder sie ihm zumindest gleichgültig war.
c) Das Landgericht geht schlieûlich angesichts der Tatsache, daû der Angeklagte K. selbst mit einem Ledergürtel auf den Zeugen Kl. eingeschlagen hat, nicht auf die für den Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB unentbehrliche Frage ein, ob hier "ein Werkzeug nach seiner objektiven Beschaffenheit und der Art seiner Benutzung zu einem gefährlichen gemacht" worden ist. Je nach den Umständen - etwa bei Schlägen gegen besonders verletzliche oder empfindliche Organe und Körperteile - kann ein solcher Gürtel ein "gefährliches" Werkzeug sein. Zur Klärung dieser Frage bedurfte es hier daher näherer Feststellungen zu den objektiven und subjektiven Umständen des Tatgeschehens. Diese hat das Landgericht nicht getroffen.

d) Zu II. 3. der Urteilsgründe sind daher erneute tatrichterliche Feststellungen und Würdigungen geboten. Das bedingt auch die Aufhebung des Strafausspruchs. Schäfer Nack Wahl Boetticher Kolz

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 09. Juli 2002 - 1 StR 93/02

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 09. Juli 2002 - 1 StR 93/02

Referenzen - Gesetze

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 823 Schadensersatzpflicht


(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. (2) Di

Strafgesetzbuch - StGB | § 263 Betrug


(1) Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, daß er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 134 Gesetzliches Verbot


Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, ist nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt.

Strafprozeßordnung - StPO | § 265 Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes oder der Sachlage


(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gel
Bundesgerichtshof Urteil, 09. Juli 2002 - 1 StR 93/02 zitiert 6 §§.

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(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. (2) Di

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(1) Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, daß er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen

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(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gel

Strafgesetzbuch - StGB | § 224 Gefährliche Körperverletzung


(1) Wer die Körperverletzung 1. durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,2. mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,3. mittels eines hinterlistigen Überfalls,4. mit einem anderen Beteiligten gemeins

Referenzen - Urteile

Bundesgerichtshof Urteil, 09. Juli 2002 - 1 StR 93/02 zitiert oder wird zitiert von 2 Urteil(en).

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Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Juli 2000 - 4 StR 232/00

bei uns veröffentlicht am 11.07.2000

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 232/00 vom 11. Juli 2000 in der Strafsache gegen wegen Raubes u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 11. Juli 2000 gemäß §
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Urteil, 09. Juli 2002 - 1 StR 93/02.

Bundesgerichtshof Beschluss, 03. Dez. 2019 - 2 StR 490/19

bei uns veröffentlicht am 03.12.2019

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 StR 490/19 vom 3. Dezember 2019 in der Strafsache gegen wegen Diebstahls mit Waffen u.a. ECLI:DE:BGH:2019:031219B2STR490.19.0 Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nac

Referenzen

Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, ist nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt.

(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.

(1) Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, daß er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung von Urkundenfälschung oder Betrug verbunden hat,
2.
einen Vermögensverlust großen Ausmaßes herbeiführt oder in der Absicht handelt, durch die fortgesetzte Begehung von Betrug eine große Zahl von Menschen in die Gefahr des Verlustes von Vermögenswerten zu bringen,
3.
eine andere Person in wirtschaftliche Not bringt,
4.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger oder Europäischer Amtsträger mißbraucht oder
5.
einen Versicherungsfall vortäuscht, nachdem er oder ein anderer zu diesem Zweck eine Sache von bedeutendem Wert in Brand gesetzt oder durch eine Brandlegung ganz oder teilweise zerstört oder ein Schiff zum Sinken oder Stranden gebracht hat.

(4) § 243 Abs. 2 sowie die §§ 247 und 248a gelten entsprechend.

(5) Mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer den Betrug als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Straftaten nach den §§ 263 bis 264 oder 267 bis 269 verbunden hat, gewerbsmäßig begeht.

(6) Das Gericht kann Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).

(7) (weggefallen)

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 232/00
vom
11. Juli 2000
in der Strafsache
gegen
wegen Raubes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 11. Juli 2000
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 4. Februar 2000
a) im Schuldspruch hinsichtlich der Verurteilung wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in vier Fällen dahin geändert, daß die Worte "in nicht geringer Menge" entfallen,
b) mit den Feststellungen aufgehoben, aa) soweit der Angeklagte wegen versuchter räuberischer Erpressung und wegen räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Raub verurteilt worden ist, bb) in den Aussprüchen über die in den Fällen II 1 a bis d verhängten Einzelstrafen, die Gesamtfreiheitsstrafe und die Maßregel. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen, räuberischer Erpressung in zwei Fällen, davon einmal in Tateinheit mit Raub, sowie versuchter räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt, ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf von zwei Jahren keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Mit seiner Revision gegen dieses Urteil rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat auf die Sachrüge teilweise Erfolg; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Verurteilung wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
Nach den Feststellungen hat der Angeklagte in den Fällen II 1 a bis d der Urteilsgründe jeweils etwa 4 Gramm Heroin für jeweils 200.-- DM in "Bereicherungsabsicht" auf Kredit veräußert. Das Landgericht hat unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln "in nicht geringer Menge" deswegen angenommen , weil die Verkaufs-"Gewichtsmenge" jeweils mehr als 1 Gramm betragen habe (UA 7). Das ist rechtsfehlerhaft; denn Grundlage für die Bestimmung einer "nicht geringen Menge" beim unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (§ 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) ist nicht die Gewichtsmenge des Betäubungsmittels , sondern seine Wirkstoffmenge (vgl. Weber BtMG [1999] § 29 a Rdn. 62 ff.). Für Heroin beträgt der Grenzwert 1,5 g Heroinhydrochlorid
(BGHSt 32, 162). Da das Landgericht dem unerlaubten Handeltreiben jeweils eine nur "durchschnittlich gute" Qualität des Betäubungsmittels zugrundegelegt hat, ist zu Gunsten des Angeklagten davon auszugehen, daß dieser Grenzwert nicht erreicht wurde (vgl. dazu Weber aaO vor §§ 29 ff. Rdn. 517; Anhang E [S. 1007]). Die Worte "in nicht geringer Menge" müssen daher im Schuldspruch entfallen.
2. Soweit der Angeklagte wegen (gemeinschaftlicher) versuchter räuberischer Erpressung (Fall II 2 der Urteilsgründe) verurteilt wurde, hat das Urteil keinen Bestand, weil ein Erpressungsvorsatz des Angeklagten nicht rechtsfehlerfrei festgestellt ist und das Landgericht nicht geprüft hat, ob der Angeklagte vom (etwaigen) Erpressungsversuch mit strafbefreiender Wirkung zurückgetreten ist.
Nach den Feststellungen zu diesem Fall hat der Angeklagte gemeinsam mit zwei anderen "die Forderung" aus dem Verkauf des Heroins dadurch einzutreiben versucht, daß der "Schuldnerin" gedroht wurde, sie werde vom Balkon ihrer Wohnung im dritten Stock heruntergeworfen, wenn sie das Geld nicht bis zu einem bestimmten – einige Tage später liegenden – Zeitpunkt besorge. Da von ihr "jedenfalls an diesem Tag kein Geld zu erlangen war", beschlossen der Angeklagte und seine Mittäter, sich "auf anderem Wege Geld zu beschaffen" (UA 5).
Danach ist weder ausgeschlossen, daß sich der Angeklagte für die von ihm erstrebte Bereicherung eine Anspruchsgrundlage vorgestellt hat, die in Wirklichkeit nicht bestand (vgl. BGHSt 31, 145, 147; 33, 233: Nichtigkeit des Kaufvertrages), und er deshalb in einem Tatbestandsirrtum (§ 16 Abs. 1 Satz 1
StGB) handelte (s. BGH NStZ-RR 1999, 6; BGH, Beschluß vom 17. Juni 1999 - 4 StR 12/99), noch, daß er mit strafbefreiender Wirkung vom etwaigen Erpressungsversuch zurückgetreten ist (§ 24 Abs. 1 Satz 1 StGB). Für das erstere spricht - wie der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift an den Senat im einzelnen zutreffend ausgeführt hat -, daß das Landgericht in seiner rechtlichen Würdigung selbst darlegt, die Androhung von Gewalt habe der Durchsetzung eines "vermeintlichen Anspruchs" dienen sollen, für das letztere, daß die "Kundin" unbehelligt blieb. Allerdings genügte es für den Erpressungsvorsatz, daß der Angeklagte für möglich hielt und billigend in Kauf nahm, daß die Forderung nicht bestand oder von der Rechtsordnung nicht geschützt ist (vgl. BGH aaO). Entsprechende Feststellungen fehlen jedoch.
3. Im Falle II 3 der Urteilsgründe ([gemeinschaftlicher] Raub in Tateinheit mit [gemeinschaftlicher] räuberischer Erpressung) muß das Urteil aufgehoben werden, weil die Urteilsbegründung widersprüchlich ist.
Nach den Feststellungen wollten der Angeklagte und seine zwei Mittäter hier dem "Zeugen Sch. " gewaltsam Geld wegnehmen. In Ausführung dieses Vorhabens schlug einer der Mittäter Sch. mit der Faust auf den Mund, riß ihm zwei goldene Ketten vom Hals und nahm ihm weitere Wertgegenstände ab. Darüber hinaus "entwendeten die Täter" weitere Sachen aus seiner Kleidung. Sodann "schubsten" sie Sch. in den Pkw des Angeklagten, um mit ihm zur Sparkasse zu fahren, wo mit der dem Geschädigten abgenommenen EC-Karte Geld abgehoben werden sollte. Im Pkw "überlegte man es sich dann aber anders und gab dem Zeugen alle ihm abgenommenen Sachen mit Ausnahme der Telefonkarte und des Bargeldes zurück" (UA 5). Sch. wurde "mit den Worten (entlassen), daß er bis Sonntag ... 300,00 DM zu zahlen habe",
was dieser auch versprach. Er zahlte dann am Sonntag - aufgrund weiterer Drohung - 150 DM.
Danach erfolgten die Gewalt gegen Sch. und die Wegnahme seiner Sachen außerhalb des Pkw's des Angeklagten. In der rechtlichen Würdigung wird dagegen die (mit-)täterschaftliche Tatbeteiligung des Angeklagten entscheidend daraus hergeleitet, daß Sch. die Wertgegenstände unter Gewaltanwendung und der fortwirkenden Drohung, ihn erneut zu schlagen, im Pkw des Angeklagten weggenommen worden seien und der Angeklagte "durch die Zurverfügungstellung seines Pkw ... die Gewaltanwendung und die Drohung gegenüber dem Zeugen mitgetragen (habe)" (UA 8).
Dieser Widerspruch in den Urteilsgründen ist - wie die Revision zu Recht beanstandet - unauflöslich. Er muß zur Aufhebung des Urteils im Fall II 3 führen.
4. Als Folge der Urteilsaufhebung in den Fällen II 2 und 3 der Urteilsgründe entfallen die insoweit festgesetzten Einzelstrafen von einem Jahr (nicht: 12 Monaten; § 39 StGB) und einem Jahr und sechs Monaten (nicht: 18 Monaten) sowie die Gesamtstrafe und der Maßregelausspruch, für den die Art der Tatausführung in den Fällen II 2 und 3 der Urteilsgründe von maßgeblicher Bedeutung war (s. UA 12). Auch die Einzelstrafen in den Fällen II 1 a bis d müssen aufgehoben werden: Das Landgericht hat zwar die Strafen in den genannten Fällen (jeweils zwei Monate Freiheitsstrafe) zutreffend dem Strafrahmen des § 29 Abs. 1 BtMG entnommen (UA 10); die Strafen haben dennoch keinen Bestand, weil die Strafkammer es entgegen § 47 Abs. 1 StGB, § 267 Abs. 3 Satz 2 StPO unterlassen hat zu begründen, warum bei dem geständi-
gen, nicht einschlägig vorbestraften Angeklagten hier die Verhängung von Freiheitsstrafen unter sechs Monaten unerläßlich war (vgl. BGHR StGB § 47 Abs. 1 Umstände 2, 4). Die Strafe im Fall II 4 (ein Jahr Freiheitsstrafe) kann bestehen bleiben; sie wird von den Rechtsfehlern nicht berührt.
Meyer-Goßner Richter am BGH Maatz Kuckein ist wegen Urlaubs an der Unterzeichnung verhindert Meyer-Goßner Athing

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.

(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn

1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen,
2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder
3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.

(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.

(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.