Bundesgerichtshof Urteil, 19. Okt. 2011 - 2 StR 305/11

bei uns veröffentlicht am19.10.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 305/11
vom
19. Oktober 2011
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19. Oktober
2011, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Schmitt,
Dr. Berger,
Prof. Dr. Krehl,
Dr. Eschelbach,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gießen vom 15. März 2011 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit darin die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet wurde. Die Maßregel entfällt.
Die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Dagegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten, die in der Revisionshauptverhandlung mit Zustimmung des Generalbundesanwalts auf den Maßregelausspruch beschränkt wurde. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts beging der Angeklagte am 26. August 1982 in A. , am 15. September 1982 in L. , am 25. Februar 1985 in M. , am 3. Juli 1989 in B. und am 28. Au- gust 1989 in H. jeweils einen Banküberfall unter Drohung mit einer Scheinwaffe und versuchte am 10. Oktober 1989 in E. eine weitere derartige Tat. Er wurde wegen der ersten beiden Verbrechen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren, wegen der dritten Tat zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und wegen der letzten dieser Taten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten sowie zur anschließenden Unterbringung in der Sicherungsverwahrung verurteilt. Es kam ferner zu zwei Verurteilungen wegen Betäubungsmitteldelikten. Ab Juni 2003 wurde die Sicherungsverwahrung des Angeklagten vollzogen; seine Entlassung aus dem Maßregelvollzug erfolgte am 5. Mai 2010. Der Angeklagte konnte danach nicht im Berufsleben Fuß fassen. Nachdem auch seine alkoholkranke Lebensgefährtin in finanzielle Schwierigkeiten geriet, entschloss sich der Angeklagte erneut dazu, eine Bank zu überfallen.
3
2. Der Angeklagte ging wieder nach dem gewohnten Muster vor.
4
a) Am 19. Oktober 2010 fuhr er nach G. , trank sich in einer Gaststätte Mut an, erwarb - wie in allen Fällen zuvor - in einem Kaufhaus eine Spielzeugpistole und beging gegen 13.00 Uhr einen Überfall auf die Filiale der S. - Bank. Dort bedrohte er die Bankmitarbeiter Ma. , O. und Bu. sowie eine Kundin, die Zeugin R. . Er erklärte dabei: „Dies ist ein Überfall“, hielt die Scheinwaffe in Richtung der Bankangestellten Ma. sowie der Zeugin R. und forderte die Herausgabe von Bargeld. Da seine Aufforderung zu- nächst nicht ernst genommen wurde, sagte er: „Wenn Sie mir kein Geld geben, muss ich die Frau erschießen“. Damit war die Zeugin O. gemeint,doch be- zog die Zeugin R. die Drohung auf sich, verspürte Todesangst und geriet in Panik. Der Angeklagte erzwang schließlich die Herausgabe von 3.000 Euro Bargeld. Die Zeugin R. hat das Geschehen bis heute nicht verarbeitet und wagt es kaum noch, alleine in die Stadt zu gehen.
5
b) Nachdem die Beute aus dem Überfall in G. rasch verbraucht war, fuhr der Angeklagte nach Ha. und traf dort den Sohn seiner Lebensgefährtin ebenfalls in desolaten wirtschaftlichen Verhältnissen an. Daraufhin entschloss er sich abermals zu einem Banküberfall, zumal er glaubte, dass es darauf „nicht mehr ankomme“. Am 26. Oktober 2010 fuhr er nach E. , trank in einer Gaststätte zur Beruhigung Bier, erwarb in einem Kaufhaus wieder eine Spielzeugpistole und suchte gegen 14.15 Uhr die Filiale der C. bank in der Innenstadt auf. Er begab sich zum Kassenschalter, richtete den Lauf der halb in seiner Jackentasche verdeckten Spielzeugpistole auf die BankangestellteRa. und erklärte: „Das ist ein Überfall“. Die Zeugin Ra. nahm dies zunächst nicht ernst und lachte ihrer Kollegin Ge. zu, die aber schon einen Alarmknopf drückte. Der Aufforderung des Angeklagten, das Bargeld herauszugeben, widerstand die Zeugin Ra. zunächst mit der Bemerkung, dass dies wegen einer Ausgabesperre nicht rasch möglich sei. Sie versuchte den Angeklagten in ein Gespräch zu verwickeln. Der hinzu kommende Bankangestellte K. wurde vom Angeklagten ebenfalls in Schach gehalten. Da die Herausgabe von Geld auf sich warten ließ und Kunden die Bank betraten, betonte der Angeklagte: „Wenn nicht gleich Geld kommt, muss ich von der Waffe Gebrauch machen“. Die Zeugin Ra. holte daraufhin 600 Euro in Papiergeld und Münzrollen hervor, steckte dieses Geld in eine Plastiktasche und übergab es dem Angeklagten , der mit der Beute floh.
6
3. Das Landgericht hat die Taten als schwere räuberische Erpressung in zwei Fällen bewertet und den Angeklagten zu Einzelstrafen von je fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt, die es zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten zusammengezogen hat. Ferner hat es nach § 66 Abs. 1 StGB in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Es hat ausgeführt, der Angeklagte sei wegen eines Hanges zur Begehung gleicharti- ger Taten im Sinne der §§ 253, 255, 250 Abs. 1 Nr. 1 b StGB, für die aufgrund des eingeschliffenen Verhaltensmusters eine hohe Rückfallgefahr bestehe, für die Allgemeinheit gefährlich. Die Maßregelanordnung sei verhältnismäßig, da durch künftige Taten gleicher Art erhebliche psychische Beeinträchtigungen von Bankangestellten und Kunden zu befürchten seien.

II.

7
Die Revision des Angeklagten ist wirksam auf den Maßregelausspruch beschränkt worden (vgl. schon BGH, Urteil vom 27. Januar 1955 - 4 StR 594/54, BGHSt 7, 101, 102 f.). Sie ist begründet, denn der Maßregelausspruch kann keinen Bestand haben.
8
Das Landgericht hat an sich rechtsfehlerfrei die formellen und materiellen Voraussetzungen nach § 66 Abs. 1 StGB a.F. bejaht. Die Änderung der Norm durch das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I S. 2300), das am 1. Januar 2011 in Kraft getreten ist, ergibt auch unter Beachtung des Meistbegünstigungsprinzips aus Art. 316e Abs. 2 EGStGB keine andere Bewertung zugunsten des Angeklagten. Jedoch sind beide Fassungen des § 66 Abs. 1 StGB nach der Feststellung des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil vom 4. Mai 2011 derzeit wegen Verstoßes gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 104 Abs. 1 GG verfassungswidrig; die Vorschrift gilt vorläufig nur unter eingeschränkten Voraussetzungen weiter (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09 u.a., NJW 2011, 1931, 1945).
9
Die Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts bildet in der Übergangszeit die Rechtsgrundlage für Eingriffsmaßnahmen (vgl. Bethge in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 2011, § 31 Rn. 227) in das Freiheitsrecht des Angeklagten. Sie tritt dabei vorläufig an die Stelle eines Ge- setzes im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Satz 3, 104 Abs. 1 GG (krit. Hillgruber JZ 2011, 861, 863) und enthält eine außerordentliche Eingriffsermächtigung, die eng auszulegen ist.
10
Während der Dauer der Weitergeltung von § 66 Abs. 1 StGB muss der Tatsache Rechnung getragen werden, dass es sich bei der Sicherungsverwahrung um einen verfassungswidrigen Eingriff in das Freiheitsrecht handelt. Der hohe Wert dieses Grundrechts beschränkt das übergangsweise zulässige Eingriffsspektrum. Danach dürfen Eingriffe nur soweit reichen, wie sie unerlässlich sind, um die Ordnung des betroffenen Lebensbereichs aufrechtzuerhalten. Die Sicherungsverwahrung darf derzeit nur nach Maßgabe einer besonders strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung angewandt werden. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird ihre Anordnung in der Regel nur verhält- nismäßig sein, „wenn eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder in dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist“ (BVerfG aaO).Danach sind erhöhte Anforderungen sowohl an die Konkretisierung der Rückfallprognose als auch an den Wert der gefährdeten Rechtsgüter zu stellen (vgl. BGH, Beschluss vom 2. August 2011 - 3 StR 208/11; Beschluss vom 4. August 2011 - 3 StR 235/11; Beschluss vom 13. September 2011 - 5 StR 189/11; s.a. Senat, Urteil vom 7. Juli 2011 - 2 StR 184/11). Im Hinblick auf die Eigenschaft der Maßregel als Sicherungsmittel kommt es bei der auf den Einzelfall bezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung, anders als bei der gesetzgeberischen Vorbewertung durch den Katalog tauglicher Vor- und Anlasstaten, prinzipiell nicht auf die Bezeichnung des Straftatbestands an, dessen Verletzung für die Zukunft droht, auch nicht auf den durch gesetzliche Strafrahmen im Voraus gewichteten Schuldumfang, sondern auf die Bedeutung des vor Rückfalltaten des Angeklagten zu schützenden Rechtsguts , ferner auf den Grad der Wahrscheinlichkeit einer künftigen Rechtsgutsverletzung und gegebenenfalls auf die mögliche Verletzungsintensität.
11
Der Grad der Wahrscheinlichkeit gleichartiger Rückfalltaten ist im vorliegenden Fall vom Landgericht rechtsfehlerfrei als hoch eingeschätzt worden. Die von dem Angeklagten ausgehenden Gefahren rechtfertigen es unter den besonderen Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten der Weitergeltungsanordnung allerdings nicht, gegen ihn die Sicherungsverwahrung anzuordnen.
12
Der Staat hat die Aufgabe, die Rechtsgüter potentieller Tatopfer vor Verletzungen durch Straftaten zu schützen. Je existentieller die betroffenen Güter für den Einzelnen sind, desto intensiver muss der staatliche Schutz vor Beeinträchtigungen sein (vgl. BVerfG, Urteil vom 5. Februar 2004 - 2 BvR 2029/01, BVerfGE 109, 133, 186). Für die Anwendung des § 66 StGB sind aufgrund der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts als zu schützende Rechtsgüter das Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG), die körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) und die sexuelle Selbstbestimmung potenzieller Tatopfer (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG) von Bedeutung. Die Gewichtung dieser Rechtsgüter durch das Bundesverfassungsgericht ist bei der strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung einer Maßregelanordnung in der Übergangszeit zu beachten. Danach reichen etwa Betäubungsmitteldelikte regelmäßig nicht als Maßregelanlass aus (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juli 2011 - 2 StR 184/11; Beschluss vom 11. August 2011 - 4 StR 279/11); andererseits genügen schwerer sexueller Missbrauch von Kindern (vgl. BGH, Beschluss vom 2. August 2011 - 3 StR 208/11; Beschluss vom 11. August 2011 - 3 StR 221/11) oder Vergewaltigung (vgl. BGH, Urteil vom 4. August 2011 - 3 StR 175/11).
13
Raubdelikte im Sinne des zwanzigsten Abschnitts des Strafgesetzbuchs (vgl. § 66 Abs. 1 Nr. 2 StGB n.F.) können schwere Gewalttaten im Sinne der Weitergeltungsanordnung sein. Das gilt aber nicht ausnahmslos. Einfacher Raub oder räuberische Erpressung unter Anwendung von physischer Gewalt gegen Personen, schwerer oder besonders schwerer Raub sowie schwere oder besonders schwere räuberische Erpressung unter Anwendung von physischer Gewalt oder Einsatz objektiv gefährlicher Tatmittel zählen unzweifelhaft zu den „schweren Gewalttaten“. Werden dagegen zur Tatbegehung ausschließlich Drohungen ausgesprochen, die der Täter tatsächlich nicht realisieren will, und ist angesichts objektiv ungefährlicher Tatmittel keinesfalls mit einer Gewalteskalation zu rechnen, die Leib oder Leben von Opfern konkret gefährdet, dann wird durch zukünftige Taten kein Rechtsgut bedroht, dessen Schutz die Anwendung der verfassungswidrigen Norm auch in der Übergangszeit rechtfertigen könnte. Verbrechen nach § 250 Abs. 1 Nr. 1 b StGB stellen, wenn aufgrund konkreter Umstände mit hoher Wahrscheinlichkeit allein der Einsatz objektiv ungefährlicher Scheinwaffen zu erwarten ist, daher für sich genommen in der Regel keine ausreichend schweren Prognosetaten für die Anordnung der Sicherungsverwahrung aufgrund der Weitergeltungsanordnung dar. Eine allein psychische Beeinträchtigung reicht in der Regel nicht aus.
14
Der Senat schließt im vorliegenden Einzelfall mit Blick auf die stets gleichartigen Vor- und Anlasstaten des Angeklagten eine hohe Wahrscheinlichkeit der konkreten Gefährdung von Leib oder Leben künftiger Tatopfer durch vergleichbare Rückfalltaten aus. Der Angeklagte hatte bei allen Vor- und Anlasstaten stets die Anwendung von Gewalt angedroht, diese aber nie angewendet oder dies auch nur versucht. Die von ihm verwendeten Mittel waren durchweg objektiv ungefährliche Spielzeugpistolen. Es gibt derzeit keine konkreten Hinweise darauf, dass künftige Rückfalltaten vom Angeklagten mit größerem Gewaltpotential begangen werden könnten als die bisherigen Taten. Deshalb ist die Maßregelanordnung nach dem Maßstab des Übergangsrechts hier unverhältnismäßig und muss entfallen.
15
Rechtsprechung anderer Senate (vgl. BGH, Beschluss vom 27. September 2011 - 4 StR 362/11) steht dem nicht entgegen. Soweit im Beschluss des 3. Strafsenats vom 4. August 2011 - 3 StR 235/11 - eine andere Wertung anklingt, war diese für die dortige Entscheidung nicht tragend. Fischer Schmitt Berger Herr RiBGH Prof. Dr. Krehl ist wegen Erholungsurlaub an der Unterschriftsleistung gehindert. Fischer Eschelbach

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(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

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(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn 1. jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die a) sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die per
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(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

(1) Die Vorschriften über die Sicherungsverwahrung in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I S. 2300) sind nur anzuwenden, wenn die Tat oder mindestens eine der Taten, wegen deren Begehung die Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden soll, nach dem 31. Dezember 2010 begangen worden ist. In allen anderen Fällen ist das bisherige Recht anzuwenden, soweit in den Absätzen 2 und 3 sowie in Artikel 316f Absatz 2 und 3 nichts anderes bestimmt ist.

(2) Sind die Taten, wegen deren Begehung die Sicherungsverwahrung nach § 66 des Strafgesetzbuches angeordnet werden soll, vor dem 1. Januar 2011 begangen worden und ist der Täter deswegen noch nicht rechtskräftig verurteilt worden, so ist § 66 des Strafgesetzbuches in der seit dem 1. Januar 2011 geltenden Fassung anzuwenden, wenn diese gegenüber dem bisherigen Recht das mildere Gesetz ist.

(3) Eine nach § 66 des Strafgesetzbuches vor dem 1. Januar 2011 rechtskräftig angeordnete Sicherungsverwahrung erklärt das Gericht für erledigt, wenn die Anordnung ausschließlich auf Taten beruht, die nach § 66 des Strafgesetzbuches in der seit dem 1. Januar 2011 geltenden Fassung nicht mehr Grundlage für eine solche Anordnung sein können. Das Gericht kann, soweit dies zur Durchführung von Entlassungsvorbereitungen geboten ist, als Zeitpunkt der Erledigung spätestens den 1. Juli 2011 festlegen. Zuständig für die Entscheidungen nach den Sätzen 1 und 2 ist das nach den §§ 454, 462a Absatz 1 der Strafprozessordnung zuständige Gericht. Für das Verfahren ist § 454 Absatz 1, 3 und 4 der Strafprozessordnung entsprechend anzuwenden; die Vollstreckungsbehörde übersendet die Akten unverzüglich an die Staatsanwaltschaft des zuständigen Gerichtes, die diese umgehend dem Gericht zur Entscheidung übergibt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug tritt Führungsaufsicht ein.

(4) § 1 des Therapieunterbringungsgesetzes vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I S. 2300, 2305) ist unter den dortigen sonstigen Voraussetzungen auch dann anzuwenden, wenn der Betroffene noch nicht in Sicherungsverwahrung untergebracht, gegen ihn aber bereits Sicherungsverwahrung im ersten Rechtszug angeordnet war und aufgrund einer vor dem 4. Mai 2011 ergangenen Revisionsentscheidung festgestellt wurde, dass die Sicherungsverwahrung ausschließlich deshalb nicht rechtskräftig angeordnet werden konnte, weil ein zu berücksichtigendes Verbot rückwirkender Verschärfungen im Recht der Sicherungsverwahrung dem entgegenstand, ohne dass es dabei auf den Grad der Gefährlichkeit des Betroffenen für die Allgemeinheit angekommen wäre.

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden.

(2) Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entscheiden. Bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Polizei darf aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam halten. Das Nähere ist gesetzlich zu regeln.

(3) Jeder wegen des Verdachtes einer strafbaren Handlung vorläufig Festgenommene ist spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorzuführen, der ihm die Gründe der Festnahme mitzuteilen, ihn zu vernehmen und ihm Gelegenheit zu Einwendungen zu geben hat. Der Richter hat unverzüglich entweder einen mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehl zu erlassen oder die Freilassung anzuordnen.

(4) Von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung ist unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 208/11
vom
2. August 2011
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
2. August 2011 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 10. Februar 2011 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in acht Fällen, sexuellen Missbrauch eines Kindes in zwei Fällen und wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt, Tatwerkzeuge eingezogen und die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die auf die allgemeine Sachrüge sowie eine Einzelbeanstan- dung gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.
2
Während der Schuld- und Strafausspruch rechtsfehlerfrei sind, hält die Maßregelanordnung rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
3
1. Ohne Erfolg rügt die Revision allerdings, die Anordnung verstoße gegen das Verbot der doppelten Bestrafung (Art. 103 Abs. 3 GG), weil der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seiner Entscheidung vom 17. Dezember 2009 (NStZ 2010, 263) die Sicherungsverwahrung als Strafe eingeordnet habe; eine solche dürfe neben der erkannten Freiheitsstrafe nicht mehr verhängt werden.
4
Diese Einordnung der Sicherungsverwahrung hat der Gerichtshof im Zusammenhang mit der Erörterung getroffen, ob die nachträglich angeordnete Sicherungsverwahrung (§ 66b StGB, § 7 Abs. 2 JGG) sowie die nachträgliche Entfristung der erstmals angeordneten Sicherungsverwahrung (§ 67d Abs. 3 StGB) gegen das Verbot rückwirkender Straferhöhung (Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK) verstoßen. Sie hat keine Bedeutung für die gleichzeitige Verhängung von Strafe und Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB (vgl. EGMR, Urteil vom 21. Oktober 2010 - Nr. 24478/03 G. ./. Deutschland - sowie Urteile vom 9. Juni 2011 - Nr. 30493/04 S. ./. Deutschland - und 31047/04 und 43386/08 M. ./. Deutschland; vgl. schon BVerfG, Beschluss vom 27. September 1995 - 2 BvR 1734/90, NStZ-RR 1996, 122).
5
2. Hingegen bestehen gegen die Annahme eines Hangs im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF durchgreifende Bedenken. Dieses Merkmal verlangt nach der ständigen Rechtsprechung einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag (BGH, Urteil vom 17. Dezember 2009 - 3 StR 399/09). Das Vorliegen eines solchen Hangs hat der Tatrichter unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner Taten maßgebenden Umstände darzulegen (BGH, Beschluss vom 27. September 1994 - 4 StR 528/94, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 8). Diese Würdigung bedarf in den Fällen von § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StGB, bei denen Vortaten und Vorverbüßungen fehlen, besonderer Sorgfalt. In diese Würdigung ist auch einzubeziehen, wenn sich der Täter über längere Zeiträume straflos verhalten hat (vgl. BGH, Urteil vom 15. Februar 2011 - 1 StR 645/10, NStZ-RR 2011, 204).
6
An dieser sorgfältigen Gesamtwürdigung fehlt es vorliegend. Es hätte der Würdigung auch all der Umstände bedurft, die das Landgericht (ausschließlich ) zur Begründung seiner Überzeugung angeführt hat, warum die bei dem Angeklagten festgestellte "homosexuelle Hauptströmung" mit einer "Präferenz auf vorpubertierende Jungen" nicht zu einer Einschränkung der Steuerungsfähigkeit geführt hat. Die Strafkammer hat dabei darauf abgestellt, dass der Angeklagte zwar in den Jahren 1978, 1981, 1983, 1986 und 1994 immer wieder bestraft wurde, indes nach seiner letzten Entlassung aus dem Strafvollzug im Frühjahr 1997 beruflich einen Abschluss erlangte, wieder über längere Phasen hinweg arbeitete sowie mehrere Jahre eine auch sexuell erfüllte Beziehung zu einer erwachsenen Frau hatte. Auch nach deren Beendigung im Jahr 2003 habe er sich weitere sechs Jahre straffrei verhalten. Dies belege, dass der Angeklagte grundsätzlich zu normgerechtem Verhalten fähig sei. Diese Umstände, die das Landgericht - insoweit rechtsfehlerfrei - bei der Entscheidung über die Schuldfähigkeit des Angeklagten erwogen hat, hätten auch bei der über einen Hang nach § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB der Erörterung bedurft.
7
3. Zudem lassen die Urteilsgründe nicht erkennen, dass sich das Landgericht bei der auf § 66 Abs. 2 StGB gestützten Anordnung der Sicherungsverwahrung des ihm dabei eingeräumten Ermessens bewusst war (vgl. BGH, Beschluss vom 11. September 2003 - 3 StR 481/02, NStZ 2004, 438). Dass das Landgericht eine Ermessensentscheidung getroffen hat, wird nicht ausdrücklich angesprochen. Der Senat kann dies - entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts - auch dem Zusammenhang der Urteilsgründe nicht sicher entnehmen. Die Erwägungen des Landgerichts zur möglicherweise eintretenden Haltungsänderung des Angeklagten während des Strafvollzugs befinden sich in dem Abschnitt der Urteilsgründe, der sich mit der Gefährlichkeit des Angeklagten befasst. Sie schließen auch sprachlogisch ("Dabei ist …") an die Darlegung der Gefahrenprognose an. Die dabei neben anderen zitierte Entscheidung (BGH, Urteil vom 19. Juli 2005 - 4 StR 184/05, NStZ-RR 2005, 337) betrifft die Frage, unter welchen (außergewöhnlichen) Umständen bei der Prognose ausnahmsweise auf den Zeitpunkt der Entlassung abgestellt werden kann.
8
Das Revisionsgericht kann die fehlende Ermessensentscheidung nicht ersetzen; sie ist dem neuen Tatrichter vorbehalten (BGH, Beschluss vom 21. August 2003 - 3 StR 251/03, NStZ-RR 2004, 12).
9
4. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
10
Durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365/09 u.a., NJW 2011, 1931) sind u.a. die hier anzuwendenden Be- stimmungen über die Sicherungsverwahrung als mit Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG i.V.m. Art. 104 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt worden. Das Bundesverfassungsgericht hat aber angeordnet, dass die Vorschriften bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber - längstens bis 31. Mai 2013 - nach Maßgabe der Gründe seiner Entscheidung weiter anwendbar bleiben. Danach bedarf es wegen der derzeit verfassungswidrigen Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung einer "strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung", wenn sie gleichwohl angeordnet werden soll. In der Regel wird die Anordnung nur verhältnismäßig sein, wenn "eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist" (BVerfG aaO Rn. 172).
11
Der Senat versteht die vom Bundesverfassungsgericht geforderte "strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung" dahin, dass bei beiden Elementen der Gefährlichkeit - mithin der Erheblichkeit weiterer Straftaten und der Wahrscheinlichkeit ihrer Begehung (vgl. auch BGH, Beschluss vom 25. Mai 2011 - 4 StR 164/11) - ein gegenüber der bisherigen Rechtsanwendung strengerer Maßstab anzulegen ist. Hierzu im Einzelnen:
12
a) Hinsichtlich der Erheblichkeit weiterer Straftaten kommen regelmäßig nur "schwere Gewalt- oder Sexualstraftaten" in Betracht. Hierin liegt, ansonsten wäre die genannte Maßgabe ohne Inhalt, eine Einschränkung gegenüber den Taten, die nach bisher geltendem Recht Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung darstellen. Dies gilt sowohl für die Straftatenkataloge als auch für die Beschreibung der Taten, auf die sich der Hang beziehen muss. Nicht alle "erheblichen Straftaten", durch welche die Opfer "seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden" (vgl. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF bzw. § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB), sind auch "schwere Gewalt- oder Sexualstrafta- ten" im Sinne der Maßgabe des Bundesverfassungsgerichts zur Weitergeltung von § 66 StGB.
13
Nach Ansicht des Senats sind Fälle des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern (§ 176a Abs. 2 StGB) wegen der dafür angedrohten Mindeststrafe von zwei Jahren sowie der für die Tatopfer damit regelmäßig verbundenen psychischen Auswirkungen grundsätzlich als "schwere Sexualstraftaten" im vorstehenden Sinn anzusehen.
14
b) Die Wahrscheinlichkeit der Begehung solcher Taten muss "aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten" sein. Auch dies stellt höhere Anforderungen als die bislang vom Gesetz als Beurteilungsgrundlage für die Gefährlichkeitsprognose geforderte "Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten". Der neue Tatrichter wird, sofern er erneut zur Feststellung eines Hangs gelangt, die Gefährlichkeit aus konkreten Umständen herleiten und sich dabei insbesondere auch damit auseinandersetzen müssen, dass sich der Angeklagte über einen langen Zeitraum straffrei verhalten hat. VRiBGH Becker befindet Pfister Schäfer sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Pfister Mayer Menges
5 StR 189/11

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 13. September 2011
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. September 2011

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 3. Januar 2011 nach § 349 Abs. 4 StPO im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in 13 Fällen sowie sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf Fällen, jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg.
2
1. In der Zeit von Ende 2000 bis Anfang 2010 nahm der Angeklagte an vier Kindern – zwei Jungen und zwei Mädchen – im Alter zwischen sechs und 13 Jahren, die in seinem Haushalt lebten und ihm zur Betreuung anvertraut waren, unterschiedlich intensive Sexualhandlungen vor.
3
Das Landgericht hat die Voraussetzungen für eine Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 und 3 Satz 2 StGB aF angenommen. Die formellen Voraussetzungen der Vorschrift seien erfüllt, darüber hinaus weise der Angeklagte auch den notwendigen Hang zu erheblichen Straftaten auf, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, weshalb er für die Allgemeinheit gefährlich sei.
4
2. Die Revision des Angeklagten bleibt zum Schuld- und Strafausspruch ohne Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO).
5
a) Das gilt auch für die Verfahrensrüge, die erkennende Jugendschutzkammer sei mit nur zwei Berufsrichtern nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen (§ 76 Abs. 2 Satz 1 GVG, § 338 Nr. 1 StPO).
6
aa) Die Staatsanwaltschaft hatte gegen den Beschwerdeführer zwei Anklagen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in insgesamt mehr als 100 Fällen zum Nachteil der vier Kinder erhoben. Beide Anklagen wurden durch die Jugendschutzkammer verbunden und unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen; es wurden die reduzierte Gerichtsbesetzung nach § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG angeordnet und zunächst sieben Hauptverhandlungstermine anberaumt. Ein Besetzungseinwand nach § 222b StPO wurde nicht erhoben.
7
Weder Anklageschriften noch Eröffnungsbeschluss setzten sich mit einer möglichen Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung auseinander. Ein entsprechender rechtlicher Hinweis nach § 265 Abs. 2 StPO erging erst am siebten Hauptverhandlungstag, nachdem am vorherigen Verhandlungstag die Schlussvorträge gehalten worden waren, ohne jeweils auf eine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung einzugehen, und dem Angeklagten das letzte Wort erteilt worden war. Die Strafkammer beraumte weitere fünf Hauptverhandlungstage an und bestellte einen Sachverständigen zur Exploration des Angeklagten.
8
bb) Gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG hat die große Strafkammer die Entscheidung, dass sie die Hauptverhandlung in reduzierter Besetzung durchführt, bei der Eröffnung des Hauptverfahrens zu treffen. Eine Besetzungsentscheidung kann grundsätzlich nicht mehr geändert werden, wenn sie im Zeitpunkt ihres Erlasses gesetzesgemäß war; eine nachträglich eingetretene Änderung des Umfangs oder der Schwierigkeit der Sache ist deshalb regelmäßig nicht geeignet, eine der geänderten Verfahrenslage angepasste neue Besetzungsentscheidung zu veranlassen (vgl. BGH, Urteil vom 23. Dezember 1998 – 3 StR 343/98, BGHSt 44, 328, 333, und Beschlüsse vom 14. August 2003 – 3 StR 199/03, NJW 2003, 3644, 3645, und vom 29. Januar 2009 – 3 StR 567/08, BGHSt 53, 169). Hierdurch wird – de lege lata auch im Einklang mit § 6a StPO – sichergestellt, dass Verfahrensbeteiligte nicht durch entsprechende Antragstellungen nach einer einmal gefassten Besetzungsentscheidung Einfluss auf die Schwierigkeit und den Umfang der Sache und damit auf die Bestimmung des gesetzlichen Richters nehmen können (vgl. BGH, Urteil vom 23. Dezember 1998 aaO).
9
Nur ausnahmsweise kann der Grundsatz der Unabänderlichkeit der Besetzungsentscheidung durchbrochen werden. Solches regelt § 222b StPO bei einem begründeten Besetzungseinwand (vgl. dazu insbesondere BGH, Beschluss vom 29. Januar 2009 – 3 StR 567/08, BGHSt 53, 169) oder § 76 Abs. 2 Satz 2 GVG für Fälle der Zurückverweisung einer Sache durch das Revisionsgericht. Die Besetzungsentscheidung kann schließlich vom Gericht – vor Eintritt in die Hauptverhandlung – korrigiert werden, wenn sie nach dem Stand der Beschlussfassung sachlich gänzlich unvertretbar und damit objektiv willkürlich getroffen worden war (vgl. BGH, Beschluss vom 31.
August 2010 – 5 StR 159/10, BGHR GVG § 76 Abs. 2 Besetzungsbeschluss

8).


10
cc) Das Revisionsvorbringen muss danach erfolglos bleiben. Zwar wird der mit der Anordnung der Sicherungsverwahrung verbundene besonders tiefe Eingriff in die Grundrechte eines Angeklagten es in der Regel – im Gleichklang mit der gesetzlich zwingenden Besetzung der Schwurgerichtskammer mit drei Berufsrichtern und mit § 74f Abs. 3 GVG – angezeigt erscheinen lassen, bei Entscheidungen nach § 66 StGB von der Möglichkeit der Besetzungsreduktion abzusehen und wegen ihrer strukturellen Überlegenheit in einer Dreierbesetzung zu verhandeln (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juli 2010 – 5 StR 555/09, BGHR GVG § 76 Abs. 2 Beurteilungsspielraum 4; Rieß in Festschrift Schöch [2010], S. 895, 912; Heß/Wenske, DRiZ 2010, 262, 268 und ferner Begründung zu Artikel 1 Ziffer 4 des Entwurfs eines Gesetzes über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung vom 5. September 2011, BT-Drucks. 17/6905). Die Rüge bleibt hier aber wegen des fehlenden Besetzungseinwands nach § 222b StPO präkludiert. Die mögliche Anordnung der Sicherungsverwahrung war angesichts der Vielzahl und Schwere der angeklagten Taten und ihrer Begehung zum Nachteil mehrerer Kinder für alle Verfahrensbeteiligten ungeachtet fehlender Ausführungen in der Anklageschrift und im Eröffnungsbeschluss ersichtlich auch nicht etwa fernliegend; neue Vorwürfe, etwa im Wege einer weiteren Verfahrensverbindung, sind nicht Verfahrensgegenstand geworden. Der Senat kann es deshalb dahinstehen lassen, ob – mit dem Revisionsvorbringen – eine derart veränderte Verfahrenslage während laufender Hauptverhandlung überhaupt eine nachträgliche Korrektur der ursprünglichen Besetzungsentscheidung ermöglichen, etwa über eine unerlässliche Aussetzung der Hauptverhandlung nach § 265 Abs. 3 StPO erzwingen kann.
11
b) Einer Entscheidung über die von der Revision ebenfalls beanstandete Verletzung des § 265 StPO bedarf es bei der hier gegebenen Verfahrenskonstellation nicht.
12
Die Voraussetzungen des § 265 Abs. 3 StPO lagen mangels veränderter Tatsachengrundlage (oben a) nicht vor. Zu prüfen bleibt, ob für das Landgericht etwa ein zwingender Anlass für eine Verfahrensaussetzung in mindestens entsprechender Anwendung des § 265 Abs. 4 StPO bestanden hätte – was anschließend einen Neubeginn der Hauptverhandlung nach Änderung der Besetzungsentscheidung nach § 76 Abs. 2 GVG nahegelegt hätte (nach den Grundsätzen von BGH, Beschluss vom 31. August 2010 – 5 StR 159/10, BGHR GVG § 76 Abs. 2 Besetzungsbeschluss 8; vgl. ferner § 76 Abs. 5 Alternative 2 GVG-E in der Fassung des Entwurfs eines Gesetzes über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung vom 5. September 2011, BT-Drucks. 17/6905). Dafür mögen das Gewicht und der späte Zeitpunkt des Hinweises nach § 265 Abs. 2 StPO sprechen, dagegen freilich der Umstand, dass auch die Revision keinen konkreten Aufklärungsmangel – etwa im Wege einer Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO) – durch die späte Erstreckung der Hauptverhandlung auf die Zuziehung eines Sachverständigen nach § 246a StPO oder ein konkretes Verteidigungsdefizit durch unzureichende Vorbereitung vorbringt. Die Frage kann letztlich offen bleiben.
13
Gegenstand der nach Ablehnung des Aussetzungsantrags der Verteidigung fortgesetzten Beweisaufnahme war hier allein noch die Frage der Anordnung der Sicherungsverwahrung. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte, dass Schuld- und Strafausspruch durch das Ergebnis der fortgeführten Hauptverhandlung zum Nachteil des Angeklagten beeinflusst worden wären. Deshalb und mit Blick auf den Schutzzweck des § 265 StPO ist ein über die Aufhebung des Maßregelausspruchs hinausreichender Erfolg der Verfahrensrüge auszuschließen; dieser wird hier indes schon durch die Sachrüge erreicht (vgl. nachfolgend 3).
14
Nichts anderes gilt im Blick auf den Umstand, dass die Verfahrensrüge naheliegend jedenfalls mit der Stoßrichtung hätte Erfolg haben müssen, die Strafkammer habe in rechtsfehlerhafter Weise den Aussetzungsantrag des Beschwerdeführers in der Besetzung außerhalb der Hauptverhandlung beschieden. Auch insoweit bleiben die Belange des Angeklagten durch den Erfolg der Sachrüge umfassend gewahrt.
15
3. Die Begründung des Maßregelausspruchs hält – insbesondere unter Berücksichtigung der Maßgaben der durch das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 4. Mai 2011 (NJW 2011, 1931 ff.) erlassenen Weitergeltungsanordnung zu § 66 Abs. 2 StGB aF – sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand.
16
a) Das sachverständig beratene Landgericht nimmt – insoweit nachvollziehbar – an, dass sich beim Angeklagten über einen langen Zeitraum hinweg eine pädophile Störung verfestigt habe und an verschiedenen Kindern beiderlei Geschlechts ausgelebt worden sei. Der Angeklagte gehe mit seiner pädophilen Störung „unehrlich“ um, was prognostisch ungünstig einzuschätzen sei. Angesichts des breiten Spektrums der Geschädigten bestehe im Hinblick auf eine ohnehin anzunehmende verhältnismäßig hohe Rückfallrate bei wegen Kindesmissbrauchs verurteilten unbehandelten Tätern bei dem Angeklagten ein noch ungleich höheres Risikopotential und damit eine „nicht unerhebliche Gefahr für weitere Straftaten vergleichbarer Art“ (UA S. 32). Mit Blick auf das Streben des Angeklagten, „sich mit Kindern zu umgeben und diese zu missbrauchen“, hat die Strafkammer „nach Abwägung aller Umstände die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung für notwendig und unumgänglich erachtet“ (UA S.

32).


17
b) Die Ausführungen zur Gefährlichkeit lassen besorgen, dass die Strafkammer, dem Sachverständigen folgend, den unehrlichen Umgang des Angeklagten mit seiner pädophilen Störung aus seinem Bestreiten der Taten geschlossen, damit aber die Grenzen zulässigen Verteidigungsverhaltens des Angeklagten verkannt hat (vgl. dazu BGH, Urteil vom 16. September 1992 – 2 StR 277/92, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 4). Zulässiges Verteidigungsverhalten darf nicht hang- oder gefahrbegründend verwertet werden (vgl. BGH, Beschluss vom 5. April 2011 – 3 StR 12/11, StV 2011, 482 mwN). Wenn der Angeklagte die Taten leugnet („unehrlicher Umgang“), ist dies grundsätzlich zulässiges Verteidigungsverhalten (vgl. BGH, Beschluss vom 25. April 1990 – 3 StR 85/90, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 8). Zudem begegnet schon die Formulierung einer – lediglich – „nicht unerheblichen“ Gefahr für weitere Straftaten vergleichbarer Art Bedenken.
18
c) Die Urteilsgründe lassen überdies nicht hinreichend deutlich erkennen, dass und aus welchen Gründen von der Ermessensbefugnis nach § 66 Abs. 2 und 3 Satz 2 StGB aF Gebrauch gemacht wurde.
19
aa) Das Tatgericht muss im Rahmen der Ermessensausübung erkennbar auch diejenigen Umstände erwägen, die gegen die Anordnung der Maßregel sprechen können. Das gilt vor allem für den gesetzgeberischen Zweck der Vorschrift, dem Tatgericht die Möglichkeit zu geben, sich ungeachtet der festgestellten Gefährlichkeit des Täters zum Zeitpunkt der Urteilsfällung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich dieser die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt. Damit soll dem Ausnahmecharakter der Vorschriften des § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StGB aF Rechnung getragen werden, der sich daraus ergibt, dass eine frühere Verurteilung und eine frühere Strafverbüßung nicht vorausgesetzt werden. Die Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs sowie die mit dem Fortschreiten des Lebensalters erfahrungsgemäß eintretenden Haltungsänderungen sind deshalb wichtige Kriterien, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Rahmen der Ermessensentscheidung regelmäßig zu berücksichtigen sind (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 4. August 2009 – 1 StR 300/09, NStZ 2010, 270, 271 f. mwN; ferner BGH, Beschlüsse vom 5. April 2011 – 3 StR 12/11, aaO, und vom 25. Mai 2011 – 4 StR 164/11).
20
bb) Einer Überprüfung an diesem Maßstab hält die Begründung des angefochtenen Urteils bislang nicht stand. Die möglichen Auswirkungen eines langjährigen Strafvollzugs auf den 49 Jahre alten Angeklagten hat die Strafkammer bei ihrer Ermessensausübung unerörtert gelassen. Das Tatgericht hat sich damit nicht nur den Blick auf mögliche, mit dem fortschreitenden Lebensalter einhergehende Verhaltensänderungen beim Angeklagten verstellt, sondern auch darauf, dass sich nunmehr durch den erstmaligen Vollzug einer längeren Freiheitsstrafe die Möglichkeit einer langfristigen Therapie bietet. Auch aus der Tatsache, dass sich der Angeklagte bereits im Jahre 2003 einem – mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellten – Ermittlungsverfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern ausgesetzt sah und ihn dies nicht von dem „weiteren Vollzug“ gleich gelagerterHandlungen abgehalten hat, kann nicht zwingend auf die Wirkungslosigkeit des Strafvollzugs geschlossen werden.
21
d) Das neue Tatgericht wird – naheliegend nunmehr in der Besetzung mit drei Berufsrichtern (§ 76 Abs. 2 Satz 2 GVG) – bei seiner Entscheidung über den Maßregelausspruch die Maßgaben des vorstehend genannten Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (aaO) zu beachten haben. Danach gelten die hier anzuwendenden und als verfassungswidrig erklärten Vorschriften über die Sicherungsverwahrung zeitlich bis zum 31. Mai 2013 begrenzt fort. Der Senat entnimmt der hierfür verfassungsrechtlich notwendigen „strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung“ (BVerfG aaO, S. 1946 Rn. 172) in Übereinstimmung mit dem 3. Strafsenat (vgl. BGH, Urteil vom 4. August 2011 – 3 StR 175/11) das Erfordernis eines strengen Maßstabs sowohl bei der Erheblichkeit zu erwartender Straftaten als auch bei der Wahrscheinlichkeit ihrer Begehung. Ein solcher erfordert jedenfalls, dass die Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist (vgl. BGH aaO; ferner Urteil vom 7. Juli 2011 – 5 StR 192/11 – und Beschluss vom 25. Mai 2011 – 4 StR 164/11).
Basdorf Brause Schaal Schneider Bellay

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 184/11
vom
7. Juli 2011
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
6. Juli 2011 in der Sitzung am 7. Juli 2011, an denen teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Dr. Berger,
Prof. Dr. Krehl,
Dr. Eschelbach,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Mainz vom 5. November 2010 wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten in einem ersten Urteil wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Aufgrund einer auf die Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung beschränkten Revision der Staatsanwaltschaft hat der Senat dieses Urteil aufgehoben, soweit von der Anordnung der Maßregel abgesehen wurde. Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht erneut ausgesprochen, dass der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Anordnung der Maßregel zurückgewiesen wird. Hiergegen richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft, die auf eine Verfahrensrüge sowie die Sachbeschwerde gestützt ist. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

2
Nach den bindend gewordenen Feststellungen zur Anlasstat hatte der frühere Mitangeklagte T. von dem Geschädigten S. die Zahlung von 5.000 Euro als „Strafe“ dafür gefordert, dass dieser Wohnungen, welche die Lebensgefährtin des T. angemietet hatte, um sie Prostituierten als „Ter- minwohnungen“ anzubieten, Dritten gegenüber als unrentabel bezeichnet hatte. Der Zahlungsforderung hatte T. mit der Bemerkung Nachdruck verliehen , dass er S. „mit dem Schädel an die Wand schlagen“ werde, „dass das Blut spritzt“. Am 17. August 2008 sollte die Geldübergabe erfolgen. Der vielfach vorbestrafte Angeklagte begleitete T. zur Gaststätte von S. , wobei er zwei Taschenmesser und einen Teleskopschlagstock mit sich führte und eine Weste mit dem Emblem des Motorradclubs Hell´s Angels trug. Spätestens auf dem Weg zu der Gaststätte erfuhr der Angeklagte von der unberechtigten Zahlungsforderung und der Drohung durch T. gegenüber S. . Bei der polizeilich überwachten Geldübergabe wurden T. und der Angeklagte verhaftet.
3
Das Landgericht hat festgestellt, dass die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung vorliegen. Es hat jedoch ausgeführt, es könne nicht feststellen, dass der Angeklagte im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB in der zum Urteilszeitpunkt geltenden Fassung infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, für die Allgemeinheit gefährlich ist. Dabei ist das Gericht den Ausführungen der Sachverständigen Dr. K. gefolgt. Danach liege bei dem Angeklagten zwar eine akzentuierte Persönlichkeit mit dissozialen Zügen vor, die aber nicht als dissoziale Persönlichkeitsstörung einzustufen sei und auch keine Psychopathie nach dem Konzept von Hare darstelle. In der Haft wegen früherer Straftaten habe er mit Erfolg ein Antiaggressionstraining absolviert. Es sei auch eine Nachreifung der Persönlichkeit eingetreten. Früher unter Alkohol- oder Drogeneinfluss begangene aggressive Durchbrüche spielten nun keine Rolle mehr. Der Angeklagte habe erkannt, dass seine früheren Körperverletzungstaten im Kneipenmilieu sinnlos gewesen seien und bereue nun die Verletzung der Opfer. Jüngere Betäubungsmitteldelikte des Angeklagten seien von anderer Bedeutung als die vorher begangenen Gewaltdelikte, die nun nicht mehr zu erwarten seien. Anders zu bewerten seien geplante Taten im kriminellen Milieu. Insoweit sei dem Angeklagten zwar eine Problematik bewusst, aber er distanziere sich bisher nicht von dem Motorradclub. Immerhin sei aber eine Veränderung in seinem Verhalten auch während der Haft zu verzeichnen. Er habe einen stabilen Familiensinn und zeige eine darauf bezogene Lebensführung. Insgesamt könne nicht von einer persönlichkeitsgebundenen Bereitschaft zur Begehung von erheblichen Straftaten ausgegangen werden. Die versuchte schwere räuberische Erpressung sei ein Vermögensdelikt, die auch durch die bloße Drohung mit Gewalt begangen werden könne, ohne dass es zu einer Gewaltanwendung und der Verletzung von Opfern kommen müsse. Hintergrund dieser Tat und der vorangegangenen, auf Gewinnerzielung gerichteten Betäubungsmitteldelikte seien Schulden des Angeklagten gewesen. Der früher auch vorhandene übermäßige Alkohol- und Drogenkonsum spiele keine Rolle mehr.

II.

4
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen dieses Urteil ist unbegründet.
5
1. Die Verfahrensrüge hat keinen Erfolg.
6
Ihr liegt zu Grunde, dass die Staatsanwaltschaft den Hilfsbeweisantrag gestellt hatte, zum Beweis der Tatsache, dass der Angeklagte sich nach der letzten Haftentlassung weiterhin in einem kriminellen Umfeld bewege, in dem die Begehung von Gewalttaten zum Selbstverständnis der Gruppe gehöre, die Vernehmung des für Rockerkriminalität zuständigen Kriminaloberkommissars als Zeuge durchzuführen. Das Landgericht hat den Beweisantrag im Urteil mit Hinweis darauf abgelehnt, dass die Strafkammer von derselben Tatsacheneinschätzung ausgehe und der Befund offenkundig sei. Die Beschwerdeführerin hält dies für rechtsfehlerhaft, nachdem die vernommenen Sachverständigen milieubedingte Straftaten des Angeklagten wegen der Zugehörigkeit zu den Hell´s Angels für wahrscheinlich erachtet hatten.
7
Die Rüge ist unbegründet. Die Annahme von Allgemeinkundigkeit der behaupteten Tatsache ist rechtlich unbedenklich. Eine Verkennung der Zielrichtung des Antrags der Staatsanwaltschaft liegt nicht vor. Das Landgericht hat nicht übersehen, dass „die Begehung von Gewalttaten zum Selbstverständnis“ des Motorradclubs Hell´s Angels gehört und die Zugehörigkeit des Angeklagten zu diesem Umfeld ein Risikofaktor für die künftige Begehung von Straftaten durch den Angeklagten ist. Das Landgericht ist demnach von denselben Tatsachen ausgegangen wie die Beschwerdeführerin; es hat sie nur anders bewertet.
8
2. Die Sachrüge ist ebenfalls unbegründet.
9
a) Dabei ist zu berücksichtigen, dass § 66 StGB nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5. April 2011 - 2 BvR 2333/08, 2 BvR 2365/09, 2 BvR 571/10, 2 BvR 740/10, 2 BvR 1152/10 - (NJW 2011, 1931 ff.) verfassungswidrig ist. Er gilt vorläufig bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber, längstens bis zum 31. Mai 2013 weiter. Während der Dauer seiner Weitergeltung muss der Tatsache Rechnung getragen werden, dass es sich bei der Sicherungsverwahrung in ihrer derzeitigen Ausgestaltung um einen verfassungs- widrigen Eingriff in das Freiheitsrecht handelt. Der hohe Wert dieses Grundrechts beschränkt das übergangsweise zulässige Eingriffsspektrum. Danach dürfen Eingriffe nur soweit reichen, wie sie unerlässlich sind, um die Ordnung des betroffenen Lebensbereichs aufrechtzuerhalten. Die Sicherungsverwahrung darf nur nach Maßgabe einer besonderen Verhältnismäßigkeitsprüfung angewandt werden. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die Anforderungen an die Gefahrprognose und die gefährdeten Rechtsgüter. In der Regel wird der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei einer Anordnung der Sicherungsverwahrung nur gewahrt sein, wenn eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder in dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist. Insoweit gilt in der Übergangszeit ein strengerer Verhältnismäßigkeitsmaßstab als bisher (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juli 2011 - 5 StR 192/11).
10
b) Jedenfalls nach diesem Maßstab ist es ausgeschlossen, dass das angefochtene Urteil auf einem Rechtsfehler beruht.
11
Gemäß § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB a.F. muss die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergeben, dass er infolge eines Hangs zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, für die Allgemeinheit gefährlich ist. Dies wäre bei einer Gefahr der Wiederholung solcher Körperverletzungstaten, wie sie der Angeklagte in der Vergangenheit mit schweren Verletzungsfolgen für die Opfer begangen hatte, der Fall, sofern ein Hang zu derartigen Taten noch als gegenwärtiger Zustand festzustellen wäre (vgl. BGHSt 50, 188, 196). Insoweit hat das Landgericht aber im Einklang mit den Ausführungen der Sachverständigen ausgeführt, solche Körperverletzungen infolge impulsiver Durchbrüche und vor dem Hintergrund eines damaligen Substanzmissbrauchs seien nicht mehr zu erwarten.
12
Rechtlich bedenklich kann die weitere Überlegung des Landgerichts erscheinen , dass die nach dem Jahr 1998 begangenen Taten des Angeklagten nicht mehr auf aggressive Impulsdurchbrüche zurückzuführen seien, sondern dabei handele es sich um „Straftaten, zu denen sich der Angeklagte bewusst entschlossen“ habe. Dies stünde der Annahme eines Hangs nicht entgegen; gerade vorausgeplante Taten können auf einen Hang zurückzuführen sein. Das Landgericht hat jedoch bei seiner Überlegung zugleich einen Bezug zu Art und Schwere der Delikte, die vom Angeklagten wahrscheinlich in Zukunft zu erwar- ten sind, dahin hergestellt, die „Integration in die kriminelle Subkultur“ ergebe noch keine „fest verwurzelte Neigung“ des Angeklagten, „sich auf `kriminelle Weise´ Geld oder andere Wertgegenstände zumeist mittels Gewaltanwendung oder Drohung zu verschaffen“. Dagegen ist rechtlich nichts zu erinnern. Die Straftaten, für deren künftige Begehung durch den Angeklagten nach Ansicht des Landgerichts ein Hang und eine Wahrscheinlichkeit besteht, besitzen nicht die erforderliche Erheblichkeit zur Anordnung der Sicherungsverwahrung nach dem Übergangsrecht; für schwerere Delikte besteht hingegen keine hinreichende Wahrscheinlichkeit.
13
Der Hang im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB muss sich auf „erhebli- che“ Straftaten beziehen (Fischer, StGB 58. Aufl. § 66 Rn. 30; LK/Rissing-van Saan StGB 12. Aufl. § 66 Rn. 143 ff.; Stree/Kinzig in Schönke/Schröder StGB 28. Aufl. § 66 Rn. 29). Was darunter zu verstehen sein soll, ist im Gesetzestext nicht nach Deliktsgruppen bestimmt. Insbesondere ist dies auch dadurch geschehen , dass unter den erheblichen Straftaten „namentlich“ solche zu verste- hen seien, „durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird“ (vgl. BGHSt 24, 153, 154). Während nach der anfänglichen Fassung des Gesetzes die Anordnung der Sicherungsverwahrung auch bei Tätern in Betracht gekommen war, von denen vorwiegend kleinere Diebstähle oder Betrügereien zu erwarten waren, sollte nach der Neufassung die Maßregelanordnung bei Tätern, die zu derartigen und zu ähnlichen Taten neigen, welche die öffentliche Sicherheit nicht schwerwiegend stören, vermieden werden. Im Rahmen der jüngeren Reformen (vgl. dazu Boetticher in: Festschrift für Widmaier, 2008, S. 871, 881 ff.; Schöch in: Festschrift für Roxin, 2011, Bd. 2, S. 1193, 1196 ff.) wurde der Cha- rakter der Sicherungsverwahrung als „letzte Notmaßnahme der Kriminalpolitik“ (BT-Drucks. V/4094 S. 19) zur Verhinderung besonders schwerer Kriminalität weiter betont. Dies gilt für die nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5. April 2011 bestehende Rechtslage in der Übergangszeit erst recht. Demgemäß darf ein Täter, dessen Hang sich nur auf die Begehung von Straftaten der leichten oder allenfalls mittleren Kriminalität richtet, nicht in Sicherungsverwahrung genommen werden. Die Annahme, ein Angeklagter sei ein Hangtäter , setzt allerdings nicht voraus, dass die Straftaten, aus denen diese Eigenschaft abgeleitet wird, gleichartig sind oder sich gegen dasselbe Rechtsgut richten. Es ist andererseits selbstverständlich, dass bei Straftaten verschiedener Art der Nachweis ihrer für einen kriminellen Hang und für die Gefährlichkeit des Täters kennzeichnenden Bedeutung einer besonders sorgfältigen Begründung bedarf (vgl. BGHSt 16, 296, 297; BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 10). Diese hat das Landgericht abgegeben. Hierbei hat es die für einen Hang des Angeklagten sprechenden Umstände durchaus gesehen, aber im Einzelnen dargelegt, weshalb es ein dauerhaft stabiles Verhaltensmuster nicht annehmen kann.
14
Betäubungsmitteldelikte, deren künftige Begehung durch den Angeklagten im Umfeld der Hell´s Angels möglich erscheinen, sind nach dem im Sinne der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts zu § 66 StGB geltenden Maßstab kein ausreichender Grund zu der Annahme, der Angeklagte habe einen Hang zur Begehung erheblicher Straftaten. Durch Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, auch in nicht geringer Menge, wird zwar das Rechtsgut der Volksgesundheit verletzt oder gefährdet (vgl. BGHSt 38, 339, 342 f.). Das reicht aber, soweit jedenfalls keine besonderen Umstände hinzutreten, die den Betäubungsmittelhandel für Leib oder Leben Anderer im Einzelfall konkret gefährlich erscheinen lassen, nach dem derzeit geltenden Verhältnismäßigkeitsmaßstab nicht zur Anordnung der Sicherungsverwahrung aus. Gleiches gilt erst recht für ein Fahren ohne Fahrerlaubnis durch den Angeklagten mit seinem Motorrad. Zwar hat der Angeklagte einen Hang hierzu, jedoch wiegt ein solches Vergehen schon nach bisherigem Recht nicht schwer genug (vgl. BGHSt 19, 98, 99).
15
Das Landgericht hat schließlich nicht übersehen, dass es sich bei der versuchten schweren räuberischen Erpressung um ein Vermögensdelikt mit einer Droh- und Gewaltkomponente handelte. Weil diese Tat jedoch von dem Angeklagten nur im Sinne einer sukzessiven Mittäterschaft aufgrund eines spontanen Entschlusses zur Mitwirkung an der von dem Mittäter T. bereits begonnenen Tat gefördert wurde und es nicht zu einer Gewaltanwendung gekommen ist, begegnet es keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, diese Tat nicht als ausreichendes Symptom für einen Hang zur Begehung erheblicher Straftaten anzusehen. Dafür war es nach Ansicht des Landgerichts von Bedeutung, dass eine räuberische Erpressung auch mit einer bloßen Drohung begangen werden kann. Einen Symptomcharakter der Tat für ein hangbedingtes Raubdelikt, das mit einer Anwendung von Gewalt mit schweren Verletzungsfolgen für die Opfer verbunden ist, musste es aus der Anlasstat für die Maßregelprüfung nicht entnehmen.
16
Auch im Übrigen ist es nicht zu beanstanden, dass das Landgericht die Mitgliedschaft zu dem Motorradclub Hell´s Angels den äußeren Umständen zugeordnet hat, bei denen es sich nicht um ein die Persönlichkeit des Ange- klagten bestimmendes Element handele. Seiner „Integration in die kriminelle Subkultur“ ist nicht schon als solcher zu entnehmen, dass deshalb ein „Hang“ des Angeklagten zur Begehung schwerer Straftaten bestehe. Dies gilt jedenfalls dann, wenn nicht zugleich eine Neigung zur Tatbegehung dauerhaft oder sogar irreversibel (vgl. NK/Böllinger/Pollähne StGB 3. Aufl. § 66 Rn. 90) im Persönlichkeitsgefüge des Täters verankert ist. Eine solche Verankerung hat das Landgericht aber mit seinem Hinweis auf die festgestellten Veränderungen in der Persönlichkeit und im Verhalten des Angeklagten ausgeschlossen. Fischer Appl Berger Krehl Eschelbach

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 184/11
vom
7. Juli 2011
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
6. Juli 2011 in der Sitzung am 7. Juli 2011, an denen teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Dr. Berger,
Prof. Dr. Krehl,
Dr. Eschelbach,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Mainz vom 5. November 2010 wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten in einem ersten Urteil wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Aufgrund einer auf die Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung beschränkten Revision der Staatsanwaltschaft hat der Senat dieses Urteil aufgehoben, soweit von der Anordnung der Maßregel abgesehen wurde. Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht erneut ausgesprochen, dass der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Anordnung der Maßregel zurückgewiesen wird. Hiergegen richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft, die auf eine Verfahrensrüge sowie die Sachbeschwerde gestützt ist. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

2
Nach den bindend gewordenen Feststellungen zur Anlasstat hatte der frühere Mitangeklagte T. von dem Geschädigten S. die Zahlung von 5.000 Euro als „Strafe“ dafür gefordert, dass dieser Wohnungen, welche die Lebensgefährtin des T. angemietet hatte, um sie Prostituierten als „Ter- minwohnungen“ anzubieten, Dritten gegenüber als unrentabel bezeichnet hatte. Der Zahlungsforderung hatte T. mit der Bemerkung Nachdruck verliehen , dass er S. „mit dem Schädel an die Wand schlagen“ werde, „dass das Blut spritzt“. Am 17. August 2008 sollte die Geldübergabe erfolgen. Der vielfach vorbestrafte Angeklagte begleitete T. zur Gaststätte von S. , wobei er zwei Taschenmesser und einen Teleskopschlagstock mit sich führte und eine Weste mit dem Emblem des Motorradclubs Hell´s Angels trug. Spätestens auf dem Weg zu der Gaststätte erfuhr der Angeklagte von der unberechtigten Zahlungsforderung und der Drohung durch T. gegenüber S. . Bei der polizeilich überwachten Geldübergabe wurden T. und der Angeklagte verhaftet.
3
Das Landgericht hat festgestellt, dass die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung vorliegen. Es hat jedoch ausgeführt, es könne nicht feststellen, dass der Angeklagte im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB in der zum Urteilszeitpunkt geltenden Fassung infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, für die Allgemeinheit gefährlich ist. Dabei ist das Gericht den Ausführungen der Sachverständigen Dr. K. gefolgt. Danach liege bei dem Angeklagten zwar eine akzentuierte Persönlichkeit mit dissozialen Zügen vor, die aber nicht als dissoziale Persönlichkeitsstörung einzustufen sei und auch keine Psychopathie nach dem Konzept von Hare darstelle. In der Haft wegen früherer Straftaten habe er mit Erfolg ein Antiaggressionstraining absolviert. Es sei auch eine Nachreifung der Persönlichkeit eingetreten. Früher unter Alkohol- oder Drogeneinfluss begangene aggressive Durchbrüche spielten nun keine Rolle mehr. Der Angeklagte habe erkannt, dass seine früheren Körperverletzungstaten im Kneipenmilieu sinnlos gewesen seien und bereue nun die Verletzung der Opfer. Jüngere Betäubungsmitteldelikte des Angeklagten seien von anderer Bedeutung als die vorher begangenen Gewaltdelikte, die nun nicht mehr zu erwarten seien. Anders zu bewerten seien geplante Taten im kriminellen Milieu. Insoweit sei dem Angeklagten zwar eine Problematik bewusst, aber er distanziere sich bisher nicht von dem Motorradclub. Immerhin sei aber eine Veränderung in seinem Verhalten auch während der Haft zu verzeichnen. Er habe einen stabilen Familiensinn und zeige eine darauf bezogene Lebensführung. Insgesamt könne nicht von einer persönlichkeitsgebundenen Bereitschaft zur Begehung von erheblichen Straftaten ausgegangen werden. Die versuchte schwere räuberische Erpressung sei ein Vermögensdelikt, die auch durch die bloße Drohung mit Gewalt begangen werden könne, ohne dass es zu einer Gewaltanwendung und der Verletzung von Opfern kommen müsse. Hintergrund dieser Tat und der vorangegangenen, auf Gewinnerzielung gerichteten Betäubungsmitteldelikte seien Schulden des Angeklagten gewesen. Der früher auch vorhandene übermäßige Alkohol- und Drogenkonsum spiele keine Rolle mehr.

II.

4
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen dieses Urteil ist unbegründet.
5
1. Die Verfahrensrüge hat keinen Erfolg.
6
Ihr liegt zu Grunde, dass die Staatsanwaltschaft den Hilfsbeweisantrag gestellt hatte, zum Beweis der Tatsache, dass der Angeklagte sich nach der letzten Haftentlassung weiterhin in einem kriminellen Umfeld bewege, in dem die Begehung von Gewalttaten zum Selbstverständnis der Gruppe gehöre, die Vernehmung des für Rockerkriminalität zuständigen Kriminaloberkommissars als Zeuge durchzuführen. Das Landgericht hat den Beweisantrag im Urteil mit Hinweis darauf abgelehnt, dass die Strafkammer von derselben Tatsacheneinschätzung ausgehe und der Befund offenkundig sei. Die Beschwerdeführerin hält dies für rechtsfehlerhaft, nachdem die vernommenen Sachverständigen milieubedingte Straftaten des Angeklagten wegen der Zugehörigkeit zu den Hell´s Angels für wahrscheinlich erachtet hatten.
7
Die Rüge ist unbegründet. Die Annahme von Allgemeinkundigkeit der behaupteten Tatsache ist rechtlich unbedenklich. Eine Verkennung der Zielrichtung des Antrags der Staatsanwaltschaft liegt nicht vor. Das Landgericht hat nicht übersehen, dass „die Begehung von Gewalttaten zum Selbstverständnis“ des Motorradclubs Hell´s Angels gehört und die Zugehörigkeit des Angeklagten zu diesem Umfeld ein Risikofaktor für die künftige Begehung von Straftaten durch den Angeklagten ist. Das Landgericht ist demnach von denselben Tatsachen ausgegangen wie die Beschwerdeführerin; es hat sie nur anders bewertet.
8
2. Die Sachrüge ist ebenfalls unbegründet.
9
a) Dabei ist zu berücksichtigen, dass § 66 StGB nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5. April 2011 - 2 BvR 2333/08, 2 BvR 2365/09, 2 BvR 571/10, 2 BvR 740/10, 2 BvR 1152/10 - (NJW 2011, 1931 ff.) verfassungswidrig ist. Er gilt vorläufig bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber, längstens bis zum 31. Mai 2013 weiter. Während der Dauer seiner Weitergeltung muss der Tatsache Rechnung getragen werden, dass es sich bei der Sicherungsverwahrung in ihrer derzeitigen Ausgestaltung um einen verfassungs- widrigen Eingriff in das Freiheitsrecht handelt. Der hohe Wert dieses Grundrechts beschränkt das übergangsweise zulässige Eingriffsspektrum. Danach dürfen Eingriffe nur soweit reichen, wie sie unerlässlich sind, um die Ordnung des betroffenen Lebensbereichs aufrechtzuerhalten. Die Sicherungsverwahrung darf nur nach Maßgabe einer besonderen Verhältnismäßigkeitsprüfung angewandt werden. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die Anforderungen an die Gefahrprognose und die gefährdeten Rechtsgüter. In der Regel wird der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei einer Anordnung der Sicherungsverwahrung nur gewahrt sein, wenn eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder in dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist. Insoweit gilt in der Übergangszeit ein strengerer Verhältnismäßigkeitsmaßstab als bisher (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juli 2011 - 5 StR 192/11).
10
b) Jedenfalls nach diesem Maßstab ist es ausgeschlossen, dass das angefochtene Urteil auf einem Rechtsfehler beruht.
11
Gemäß § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB a.F. muss die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergeben, dass er infolge eines Hangs zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, für die Allgemeinheit gefährlich ist. Dies wäre bei einer Gefahr der Wiederholung solcher Körperverletzungstaten, wie sie der Angeklagte in der Vergangenheit mit schweren Verletzungsfolgen für die Opfer begangen hatte, der Fall, sofern ein Hang zu derartigen Taten noch als gegenwärtiger Zustand festzustellen wäre (vgl. BGHSt 50, 188, 196). Insoweit hat das Landgericht aber im Einklang mit den Ausführungen der Sachverständigen ausgeführt, solche Körperverletzungen infolge impulsiver Durchbrüche und vor dem Hintergrund eines damaligen Substanzmissbrauchs seien nicht mehr zu erwarten.
12
Rechtlich bedenklich kann die weitere Überlegung des Landgerichts erscheinen , dass die nach dem Jahr 1998 begangenen Taten des Angeklagten nicht mehr auf aggressive Impulsdurchbrüche zurückzuführen seien, sondern dabei handele es sich um „Straftaten, zu denen sich der Angeklagte bewusst entschlossen“ habe. Dies stünde der Annahme eines Hangs nicht entgegen; gerade vorausgeplante Taten können auf einen Hang zurückzuführen sein. Das Landgericht hat jedoch bei seiner Überlegung zugleich einen Bezug zu Art und Schwere der Delikte, die vom Angeklagten wahrscheinlich in Zukunft zu erwar- ten sind, dahin hergestellt, die „Integration in die kriminelle Subkultur“ ergebe noch keine „fest verwurzelte Neigung“ des Angeklagten, „sich auf `kriminelle Weise´ Geld oder andere Wertgegenstände zumeist mittels Gewaltanwendung oder Drohung zu verschaffen“. Dagegen ist rechtlich nichts zu erinnern. Die Straftaten, für deren künftige Begehung durch den Angeklagten nach Ansicht des Landgerichts ein Hang und eine Wahrscheinlichkeit besteht, besitzen nicht die erforderliche Erheblichkeit zur Anordnung der Sicherungsverwahrung nach dem Übergangsrecht; für schwerere Delikte besteht hingegen keine hinreichende Wahrscheinlichkeit.
13
Der Hang im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB muss sich auf „erhebli- che“ Straftaten beziehen (Fischer, StGB 58. Aufl. § 66 Rn. 30; LK/Rissing-van Saan StGB 12. Aufl. § 66 Rn. 143 ff.; Stree/Kinzig in Schönke/Schröder StGB 28. Aufl. § 66 Rn. 29). Was darunter zu verstehen sein soll, ist im Gesetzestext nicht nach Deliktsgruppen bestimmt. Insbesondere ist dies auch dadurch geschehen , dass unter den erheblichen Straftaten „namentlich“ solche zu verste- hen seien, „durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird“ (vgl. BGHSt 24, 153, 154). Während nach der anfänglichen Fassung des Gesetzes die Anordnung der Sicherungsverwahrung auch bei Tätern in Betracht gekommen war, von denen vorwiegend kleinere Diebstähle oder Betrügereien zu erwarten waren, sollte nach der Neufassung die Maßregelanordnung bei Tätern, die zu derartigen und zu ähnlichen Taten neigen, welche die öffentliche Sicherheit nicht schwerwiegend stören, vermieden werden. Im Rahmen der jüngeren Reformen (vgl. dazu Boetticher in: Festschrift für Widmaier, 2008, S. 871, 881 ff.; Schöch in: Festschrift für Roxin, 2011, Bd. 2, S. 1193, 1196 ff.) wurde der Cha- rakter der Sicherungsverwahrung als „letzte Notmaßnahme der Kriminalpolitik“ (BT-Drucks. V/4094 S. 19) zur Verhinderung besonders schwerer Kriminalität weiter betont. Dies gilt für die nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5. April 2011 bestehende Rechtslage in der Übergangszeit erst recht. Demgemäß darf ein Täter, dessen Hang sich nur auf die Begehung von Straftaten der leichten oder allenfalls mittleren Kriminalität richtet, nicht in Sicherungsverwahrung genommen werden. Die Annahme, ein Angeklagter sei ein Hangtäter , setzt allerdings nicht voraus, dass die Straftaten, aus denen diese Eigenschaft abgeleitet wird, gleichartig sind oder sich gegen dasselbe Rechtsgut richten. Es ist andererseits selbstverständlich, dass bei Straftaten verschiedener Art der Nachweis ihrer für einen kriminellen Hang und für die Gefährlichkeit des Täters kennzeichnenden Bedeutung einer besonders sorgfältigen Begründung bedarf (vgl. BGHSt 16, 296, 297; BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 10). Diese hat das Landgericht abgegeben. Hierbei hat es die für einen Hang des Angeklagten sprechenden Umstände durchaus gesehen, aber im Einzelnen dargelegt, weshalb es ein dauerhaft stabiles Verhaltensmuster nicht annehmen kann.
14
Betäubungsmitteldelikte, deren künftige Begehung durch den Angeklagten im Umfeld der Hell´s Angels möglich erscheinen, sind nach dem im Sinne der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts zu § 66 StGB geltenden Maßstab kein ausreichender Grund zu der Annahme, der Angeklagte habe einen Hang zur Begehung erheblicher Straftaten. Durch Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, auch in nicht geringer Menge, wird zwar das Rechtsgut der Volksgesundheit verletzt oder gefährdet (vgl. BGHSt 38, 339, 342 f.). Das reicht aber, soweit jedenfalls keine besonderen Umstände hinzutreten, die den Betäubungsmittelhandel für Leib oder Leben Anderer im Einzelfall konkret gefährlich erscheinen lassen, nach dem derzeit geltenden Verhältnismäßigkeitsmaßstab nicht zur Anordnung der Sicherungsverwahrung aus. Gleiches gilt erst recht für ein Fahren ohne Fahrerlaubnis durch den Angeklagten mit seinem Motorrad. Zwar hat der Angeklagte einen Hang hierzu, jedoch wiegt ein solches Vergehen schon nach bisherigem Recht nicht schwer genug (vgl. BGHSt 19, 98, 99).
15
Das Landgericht hat schließlich nicht übersehen, dass es sich bei der versuchten schweren räuberischen Erpressung um ein Vermögensdelikt mit einer Droh- und Gewaltkomponente handelte. Weil diese Tat jedoch von dem Angeklagten nur im Sinne einer sukzessiven Mittäterschaft aufgrund eines spontanen Entschlusses zur Mitwirkung an der von dem Mittäter T. bereits begonnenen Tat gefördert wurde und es nicht zu einer Gewaltanwendung gekommen ist, begegnet es keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, diese Tat nicht als ausreichendes Symptom für einen Hang zur Begehung erheblicher Straftaten anzusehen. Dafür war es nach Ansicht des Landgerichts von Bedeutung, dass eine räuberische Erpressung auch mit einer bloßen Drohung begangen werden kann. Einen Symptomcharakter der Tat für ein hangbedingtes Raubdelikt, das mit einer Anwendung von Gewalt mit schweren Verletzungsfolgen für die Opfer verbunden ist, musste es aus der Anlasstat für die Maßregelprüfung nicht entnehmen.
16
Auch im Übrigen ist es nicht zu beanstanden, dass das Landgericht die Mitgliedschaft zu dem Motorradclub Hell´s Angels den äußeren Umständen zugeordnet hat, bei denen es sich nicht um ein die Persönlichkeit des Ange- klagten bestimmendes Element handele. Seiner „Integration in die kriminelle Subkultur“ ist nicht schon als solcher zu entnehmen, dass deshalb ein „Hang“ des Angeklagten zur Begehung schwerer Straftaten bestehe. Dies gilt jedenfalls dann, wenn nicht zugleich eine Neigung zur Tatbegehung dauerhaft oder sogar irreversibel (vgl. NK/Böllinger/Pollähne StGB 3. Aufl. § 66 Rn. 90) im Persönlichkeitsgefüge des Täters verankert ist. Eine solche Verankerung hat das Landgericht aber mit seinem Hinweis auf die festgestellten Veränderungen in der Persönlichkeit und im Verhalten des Angeklagten ausgeschlossen. Fischer Appl Berger Krehl Eschelbach

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 279/11
vom
11. August 2011
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u. a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 11. August 2011 gemäß § 349 Abs.
2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 18. Januar 2011
a) aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist; die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung entfällt;
b) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit Wertersatzverfall in Höhe von 83.600 € ange- ordnet worden ist. 2. Im Umfang der Aufhebung des Wertersatzverfalls wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision des Angeklagten hat den aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Erfolg, im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Überprüfung des Urteils deckt zum Strafausspruch keinen Rechts3 fehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Die Strafkammer hat die Anwendung des § 31 BtMG bereits deshalb zu Recht abgelehnt, weil nach den Feststellungen ein Aufklärungserfolg nicht eingetreten ist. Der Angeklagte hat lediglich den Vornamen seines Abnehmers aus Essen angeben können, wodurch „vielver- sprechende“ polizeiliche Ermittlungen in Gang gesetzt wurden. Damit ist ein Aufklärungserfolg nicht erzielt worden. Es genügt nicht, wenn der Täter nur Ermittlungsansätze aufgezeigt hat, erforderlich ist vielmehr, dass eine Aufdeckung erfolgt ist. Dafür müsste der Abnehmer zumindest so genau ermittelt worden sein, dass er zur Festnahme hätte ausgeschrieben werden können (vgl. BGH, Urteil vom 16. Februar 2000 – 2 StR 532/99, StV 2000, 318; Franke /Wienroeder, BtMG, 3. Aufl., § 31 Rn. 15 jeweils m.w.N.).
3
2. Die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung kann aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 20. Juni 2011 keinen Bestand haben, da – anders als zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung – das Bundesverfassungsgericht durch Urteil vom 4. Mai 2011 § 66 StGB in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I S. 2300) für unvereinbar mit Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 104 Abs. 1 Grundgesetz erklärt hat und die Vorschrift bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber, längstens bis zum 31. Mai 2013 nur nach Maßgabe einer strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung angewandt werden darf.
4
3. Auch die Anordnung des Wertersatzverfalls begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Der von der Strafkammer angenommene Wert des Erlangten im Sinne von § 73 Abs. 1, § 73a StGB in Höhe von 83.600 € erschließt sich aus den Urteilsgründen nicht. Eine nachvollziehbare Darstellung ist jedoch erforderlich, um dem Senat die Prüfung zu ermöglichen, ob das Landgericht den Betrag zutreffend errechnet hat. Der neue Tatrichter wird zu bedenken haben , dass gemäß § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB über die Anordnung des Verfalls nach tatrichterlichem Ermessen zu entscheiden ist, soweit der Wert des Erlangten im Vermögen des Betroffenen nicht mehr vorhanden ist; auf eine unbillige Härte kommt es dabei nicht an. Mutzbauer Roggenbuck Cierniak Franke RiBGH Bender ist infolge Urlaubs ortsabwesend und daher an der Unterschriftsleistung gehindert. Mutzbauer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 208/11
vom
2. August 2011
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
2. August 2011 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 10. Februar 2011 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in acht Fällen, sexuellen Missbrauch eines Kindes in zwei Fällen und wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt, Tatwerkzeuge eingezogen und die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die auf die allgemeine Sachrüge sowie eine Einzelbeanstan- dung gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.
2
Während der Schuld- und Strafausspruch rechtsfehlerfrei sind, hält die Maßregelanordnung rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
3
1. Ohne Erfolg rügt die Revision allerdings, die Anordnung verstoße gegen das Verbot der doppelten Bestrafung (Art. 103 Abs. 3 GG), weil der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seiner Entscheidung vom 17. Dezember 2009 (NStZ 2010, 263) die Sicherungsverwahrung als Strafe eingeordnet habe; eine solche dürfe neben der erkannten Freiheitsstrafe nicht mehr verhängt werden.
4
Diese Einordnung der Sicherungsverwahrung hat der Gerichtshof im Zusammenhang mit der Erörterung getroffen, ob die nachträglich angeordnete Sicherungsverwahrung (§ 66b StGB, § 7 Abs. 2 JGG) sowie die nachträgliche Entfristung der erstmals angeordneten Sicherungsverwahrung (§ 67d Abs. 3 StGB) gegen das Verbot rückwirkender Straferhöhung (Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK) verstoßen. Sie hat keine Bedeutung für die gleichzeitige Verhängung von Strafe und Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB (vgl. EGMR, Urteil vom 21. Oktober 2010 - Nr. 24478/03 G. ./. Deutschland - sowie Urteile vom 9. Juni 2011 - Nr. 30493/04 S. ./. Deutschland - und 31047/04 und 43386/08 M. ./. Deutschland; vgl. schon BVerfG, Beschluss vom 27. September 1995 - 2 BvR 1734/90, NStZ-RR 1996, 122).
5
2. Hingegen bestehen gegen die Annahme eines Hangs im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF durchgreifende Bedenken. Dieses Merkmal verlangt nach der ständigen Rechtsprechung einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag (BGH, Urteil vom 17. Dezember 2009 - 3 StR 399/09). Das Vorliegen eines solchen Hangs hat der Tatrichter unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner Taten maßgebenden Umstände darzulegen (BGH, Beschluss vom 27. September 1994 - 4 StR 528/94, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 8). Diese Würdigung bedarf in den Fällen von § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StGB, bei denen Vortaten und Vorverbüßungen fehlen, besonderer Sorgfalt. In diese Würdigung ist auch einzubeziehen, wenn sich der Täter über längere Zeiträume straflos verhalten hat (vgl. BGH, Urteil vom 15. Februar 2011 - 1 StR 645/10, NStZ-RR 2011, 204).
6
An dieser sorgfältigen Gesamtwürdigung fehlt es vorliegend. Es hätte der Würdigung auch all der Umstände bedurft, die das Landgericht (ausschließlich ) zur Begründung seiner Überzeugung angeführt hat, warum die bei dem Angeklagten festgestellte "homosexuelle Hauptströmung" mit einer "Präferenz auf vorpubertierende Jungen" nicht zu einer Einschränkung der Steuerungsfähigkeit geführt hat. Die Strafkammer hat dabei darauf abgestellt, dass der Angeklagte zwar in den Jahren 1978, 1981, 1983, 1986 und 1994 immer wieder bestraft wurde, indes nach seiner letzten Entlassung aus dem Strafvollzug im Frühjahr 1997 beruflich einen Abschluss erlangte, wieder über längere Phasen hinweg arbeitete sowie mehrere Jahre eine auch sexuell erfüllte Beziehung zu einer erwachsenen Frau hatte. Auch nach deren Beendigung im Jahr 2003 habe er sich weitere sechs Jahre straffrei verhalten. Dies belege, dass der Angeklagte grundsätzlich zu normgerechtem Verhalten fähig sei. Diese Umstände, die das Landgericht - insoweit rechtsfehlerfrei - bei der Entscheidung über die Schuldfähigkeit des Angeklagten erwogen hat, hätten auch bei der über einen Hang nach § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB der Erörterung bedurft.
7
3. Zudem lassen die Urteilsgründe nicht erkennen, dass sich das Landgericht bei der auf § 66 Abs. 2 StGB gestützten Anordnung der Sicherungsverwahrung des ihm dabei eingeräumten Ermessens bewusst war (vgl. BGH, Beschluss vom 11. September 2003 - 3 StR 481/02, NStZ 2004, 438). Dass das Landgericht eine Ermessensentscheidung getroffen hat, wird nicht ausdrücklich angesprochen. Der Senat kann dies - entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts - auch dem Zusammenhang der Urteilsgründe nicht sicher entnehmen. Die Erwägungen des Landgerichts zur möglicherweise eintretenden Haltungsänderung des Angeklagten während des Strafvollzugs befinden sich in dem Abschnitt der Urteilsgründe, der sich mit der Gefährlichkeit des Angeklagten befasst. Sie schließen auch sprachlogisch ("Dabei ist …") an die Darlegung der Gefahrenprognose an. Die dabei neben anderen zitierte Entscheidung (BGH, Urteil vom 19. Juli 2005 - 4 StR 184/05, NStZ-RR 2005, 337) betrifft die Frage, unter welchen (außergewöhnlichen) Umständen bei der Prognose ausnahmsweise auf den Zeitpunkt der Entlassung abgestellt werden kann.
8
Das Revisionsgericht kann die fehlende Ermessensentscheidung nicht ersetzen; sie ist dem neuen Tatrichter vorbehalten (BGH, Beschluss vom 21. August 2003 - 3 StR 251/03, NStZ-RR 2004, 12).
9
4. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
10
Durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365/09 u.a., NJW 2011, 1931) sind u.a. die hier anzuwendenden Be- stimmungen über die Sicherungsverwahrung als mit Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG i.V.m. Art. 104 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt worden. Das Bundesverfassungsgericht hat aber angeordnet, dass die Vorschriften bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber - längstens bis 31. Mai 2013 - nach Maßgabe der Gründe seiner Entscheidung weiter anwendbar bleiben. Danach bedarf es wegen der derzeit verfassungswidrigen Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung einer "strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung", wenn sie gleichwohl angeordnet werden soll. In der Regel wird die Anordnung nur verhältnismäßig sein, wenn "eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist" (BVerfG aaO Rn. 172).
11
Der Senat versteht die vom Bundesverfassungsgericht geforderte "strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung" dahin, dass bei beiden Elementen der Gefährlichkeit - mithin der Erheblichkeit weiterer Straftaten und der Wahrscheinlichkeit ihrer Begehung (vgl. auch BGH, Beschluss vom 25. Mai 2011 - 4 StR 164/11) - ein gegenüber der bisherigen Rechtsanwendung strengerer Maßstab anzulegen ist. Hierzu im Einzelnen:
12
a) Hinsichtlich der Erheblichkeit weiterer Straftaten kommen regelmäßig nur "schwere Gewalt- oder Sexualstraftaten" in Betracht. Hierin liegt, ansonsten wäre die genannte Maßgabe ohne Inhalt, eine Einschränkung gegenüber den Taten, die nach bisher geltendem Recht Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung darstellen. Dies gilt sowohl für die Straftatenkataloge als auch für die Beschreibung der Taten, auf die sich der Hang beziehen muss. Nicht alle "erheblichen Straftaten", durch welche die Opfer "seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden" (vgl. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF bzw. § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB), sind auch "schwere Gewalt- oder Sexualstrafta- ten" im Sinne der Maßgabe des Bundesverfassungsgerichts zur Weitergeltung von § 66 StGB.
13
Nach Ansicht des Senats sind Fälle des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern (§ 176a Abs. 2 StGB) wegen der dafür angedrohten Mindeststrafe von zwei Jahren sowie der für die Tatopfer damit regelmäßig verbundenen psychischen Auswirkungen grundsätzlich als "schwere Sexualstraftaten" im vorstehenden Sinn anzusehen.
14
b) Die Wahrscheinlichkeit der Begehung solcher Taten muss "aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten" sein. Auch dies stellt höhere Anforderungen als die bislang vom Gesetz als Beurteilungsgrundlage für die Gefährlichkeitsprognose geforderte "Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten". Der neue Tatrichter wird, sofern er erneut zur Feststellung eines Hangs gelangt, die Gefährlichkeit aus konkreten Umständen herleiten und sich dabei insbesondere auch damit auseinandersetzen müssen, dass sich der Angeklagte über einen langen Zeitraum straffrei verhalten hat. VRiBGH Becker befindet Pfister Schäfer sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Pfister Mayer Menges

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 221/11
vom
11. August 2011
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 1. a) und zu 2. auf dessen Antrag -
am 11. August 2011 gemäß § 154 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 349 Abs. 2 und 4
StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bückeburg vom 1. Dezember 2010 wird
a) das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte im Fall II.
C) Tat 9 der Urteilsgründe wegen sexuellen Missbrauchs eines Jugendlichen verurteilt worden ist; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last;
b) das vorbezeichnete Urteil im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte - des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in sechs Fällen, in einem Falle in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, - des sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen, - des sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person und - des sexuellen Missbrauchs eines Jugendlichen schuldig ist.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen - schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in sechs Fällen, in einem Falle in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, - sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen und - sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt und gegen ihn die Sicherungsverwahrung angeordnet. Die auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.
2
1. Auf Antrag des Generalbundesanwalts stellt der Senat das Verfahren im Falle II. C) Tat 9 der Urteilsgründe gemäß § 154 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO ein, denn die Feststellungen tragen nicht den Schuldspruch wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen (§ 182 Abs. 2 Nr. 1 StGB aF). Danach ist nicht auszuschließen, dass der Angeklagte bei der Tatbegehung aufgrund zuvor genossenen Alkohols "in seiner Einsichts- und Steuerungsfähigkeit noch erheblich vermindert war". Ist indes die Fähigkeit des Täters, das Unrecht seiner Tat einzusehen , erheblich vermindert, so kommt es für die Beurteilung seiner Schuldfähigkeit entscheidend darauf an, ob ihm deswegen diese Einsicht fehlt oder ob er gleichwohl über sie verfügt. Hat der Täter nicht die Einsicht in das Unerlaubte seines Handelns und kann ihm dies auch nicht vorgeworfen werden, so handelt er nach § 17 Satz 1 StGB ohne Schuld (BGH, Beschluss vom 1. März 2011 - 3 StR 450/10; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 21 Rn. 3 mwN). Das Landgericht stellt aber weder fest, dass der Angeklagte das Unerlaubte seines Handelns ungeachtet der erheblichen Beeinträchtigung seiner Einsichtsfähigkeit erkannte , noch, dass ihm diese Einsicht aus vorwerfbaren Gründen fehlte.
3
Die Einstellung führt zu der in der Entscheidungsformel enthaltenen Änderung des Schuldspruchs. Die ausgesprochene Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren hat gleichwohl Bestand. Angesichts der verbleibenden zwölf Einzelfreiheitsstrafen - unter anderem sechs Jahre und sechs Monate, sechs Jahre, dreimal vier Jahre sowie drei Jahre - kann der Senat ausschließen, dass das Landgericht die Gesamtstrafe bei Wegfall der für diese Tat verhängten Freiheitsstrafe von acht Monaten milder bemessen hätte.
4
2. Auch im Falle II. B) Tat 7 der Urteilsgründe hat der Schuldspruch wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen (§ 182 Abs. 2 Nr. 1 StGB aF) keinen Bestand. Dazu, ob der hier Geschädigte auf Grund altersbedingter Unreife außerstande war, eine verantwortliche Entscheidung über die Duldung der sexuellen Handlungen des Angeklagten zu treffen (vgl. Fischer aaO § 182 Rn. 12), verhält sich das Urteil nicht. Nach den Feststellungen führte der Angeklagte sein Glied vielmehr unter Ausnutzung des Umstands in den After des Geschädigten ein, dass dieser nach Alkoholgenuss eingeschlafen war.
5
Die rechtsfehlerfreien Feststellungen tragen insoweit jedoch eine Verurteilung des Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person (§ 179 Abs. 1 Nr. 1 StGB). Der Senat ändert deshalb den Schuldspruch entsprechend ab. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, da sich der Angeklagte, der diesen Tatvorwurf eingeräumt hat, bei dessen zutreffender rechtlicher Bewertung nicht anders hätte verteidigen können. Mit Blick auf den im Vergleich zu § 182 Abs. 2 StGB aF höheren Strafrahmen des § 179 Abs. 1 StGB ist auszuschließen, dass das Landgericht bei zutreffender rechtlicher Würdigung auf eine geringere Einzel- und Gesamtstrafe erkannt hätte.
6
3. Die weitergehende Revision ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
7
a) Insbesondere ist die Anordnung der Sicherungsverwahrung auch auf der Grundlage der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365/09 u.a., NJW 2011, 1931) nicht zu beanstanden. Ohne Rechtsfehler geht das Landgericht davon aus, dass der Angeklagte eine ausgeprägte , tief verwurzelte Neigung zum Geschlechtsverkehr mit Kindern und Jugendlichen hat, der er nun über mehrere Jahre hinweg mit sich steigernder Intensität und Gewaltbereitschaft nachgegangen ist. Sachverständig beraten kommt es zu dem Ergebnis, dass der Angeklagte mit hoher Wahrscheinlichkeit weiterhin sexuelle Praktiken wie Oral- und Analverkehr mit männlichen Kindern und Jugendlichen ausüben und diese dadurch seelisch und auch körperlich schädigen wird. Danach begründen konkrete, aus Person und Verhalten des Angeklagten abzuleitende Umstände die Gefahr, dass er weitere, auch schwere Sexualstraftaten im Sinne der Maßgabe des Bundesverfassungsgerichts zur Weitergeltung von § 66 StGB begehen wird. Nach Ansicht des Senats ist sexueller Missbrauch eines Kindes nach § 176a Abs. 2 StGB wegen der dafür an- gedrohten Mindeststrafe von zwei Jahren sowie der für die Tatopfer damit regelmäßig verbundenen erheblichen psychischen Auswirkungen grundsätzlich als "schwere Sexualstraftat" im vorbezeichneten Sinne anzusehen (vgl. BGH, Urteil vom 4. August 2011 - 3 StR 175/11 zu Taten nach § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB).
8
b) Ebenso wenig ist die vom Landgericht im Rahmen seiner Ermessensentscheidung (§ 66 Abs. 2 und 3 StGB) angestellte Erwägung zu beanstanden, auch der - überhaupt erstmalige - Vollzug einer Freiheitsstrafe von elf Jahren lasse beim Angeklagten keine durchgreifende, die Sicherungsverwahrung entbehrlich machende Haltungsänderung erwarten. Ohne Rechtsfehler schließt das Landgericht aus der Entwicklung der Einlassungen des Angeklagten, dass sein (Teil-)Geständnis und die Bekundung von Therapiebereitschaft bislang eher prozesstaktischer Motivation entsprangen. Sind zum Zeitpunkt der Aburteilung positive Veränderungen durch den nachfolgenden Strafvollzug zwar denkbar, aber nicht sicher zu erwarten, so muss die Prüfung, ob der Zweck der Maßregel die Unterbringung (noch) erfordert, dem späteren Verfahren nach § 67c Abs. 1 StGB vorbehalten bleiben (Fischer aaO § 66 Rn. 36).
Schäfer Pfister von Lienen Mayer Menges

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
3 StR 175/11
vom
4. August 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 4. August
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Dr. Schäfer,
Mayer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Menges
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt (GL)
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Aurich vom 25. Januar 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist
b) sowie zu Gunsten des Angeklagten im Strafausspruch. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten und der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in drei Fällen sowie wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung und Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt.
2
Die hiergegen gerichtete, auf zwei Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft ist auf die Nichtanordnung der Maßregel der Sicherungsverwahrung beschränkt. Zwar hat die Staatsanwaltschaft am Ende ihrer Ausführungen die (uneingeschränkte) Aufhebung des Urteils und die Zurückverweisung der Sache an eine andere Strafkammer zur erneuten Verhandlung beantragt. Dies steht jedoch mit dem übrigen Inhalt der Revisionsbegründungsschrift nicht in Einklang. Daraus ergibt sich, dass die Revisionsführerin das Urteil nur deshalb für fehlerhaft hält, weil das Landgericht von der Anordnung der Sicherungsverwahrung zu Unrecht abgesehen habe. Somit widersprechen sich Revisionsantrag und Inhalt der Revisionsbegründung. In einem solchen Fall ist nach ständiger Rechtsprechung das Angriffsziel des Rechtsmittels durch Auslegung zu ermitteln. Nach dem insoweit maßgeblichen und hier eindeutigen Sinn der Revisionsbegründung ist deshalb allein die Nichtanordnung der Maßregel angefochten und das Urteil im Übrigen vom Rechtsmittelangriff ausgenommen. Der Senat bemerkt jedoch, dass, zumal bei einer Revision der Staatsanwaltschaft, der Revisionsantrag deckungsgleich mit dem Inhalt der Revisionsbegründung sein sollte. Das Revisionsverfahren wird unnötig belastet, wenn der Umfang der Anfechtung erst durch Auslegung ermittelt werden muss (BGH, Urteil vom 7. Mai 2009 - 3 StR 122/09 mwN).
3
Die Beschränkung der Revision ist indes unwirksam, soweit der Strafausspruch vom Rechtsmittelangriff ausgenommen wird. Dieser steht hier in einem nicht trennbaren Zusammenhang mit der Maßregelanordnung.
4
Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel führt auf die Sachrüge zur Aufhebung der Entscheidung über die Sicherungsverwahrung und - insoweit nur zu Gunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) - des gesamten Strafausspruchs. Auf die Verfahrensrügen kommt es deshalb nicht an.
5
1. Gegenstand der Verurteilung sind vier Taten des Angeklagten zum Nachteil seiner früheren Lebensgefährtin.
6
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts zwang der Angeklagte die Nebenklägerin in der Nacht zum 5. Mai 2009 durch erhebliche, zum Verlust von Zähnen führende Gewalt zuerst zum Oralverkehr und sodann zum Geschlechtsverkehr. Am Abend des Vortages hatte die Nebenklägerin dem Angeklagten mitgeteilt, die Beziehung zu ihm beenden zu wollen, und ihn aufgefordert , spätestens am nächsten Tag ihre Wohnung zu verlassen.
7
b) Nachdem es im Dezember 2009 zu einer Versöhnung und erneutem Zusammenleben gekommen war, trennte sich die Nebenklägerin Anfang Mai 2010 ein weiteres Mal vom Angeklagten. Dieser "passte" sie daraufhin Ende Mai / Anfang Juni in den Abendstunden auf einem Spaziergang "ab" und zwang sie unter Todesdrohungen und Einsatz einfacher körperlicher Gewalt in einem Waldstück zum Geschlechtsverkehr.
8
c) Am 24. Juli 2010 überraschte der Angeklagte die Nebenklägerin erneut auf einem Abendspaziergang. Er zwang sie, indem er sie bis zur Luftnot würgte und mit dem Tod bedrohte, zur Herausgabe ihres Mobiltelefons und verbrachte sie auf den Rücksitz ihres Autos.
9
d) Im Anschluss daran fuhr der Angeklagte mit ihr zu seiner Wohnung. Dort schlug er sie mehrfach ins Gesicht, zerrte an ihren Haaren, riss ihren Kopf nach hinten und nötigte sie damit zum Oralverkehr. Sodann zwang er sie mit weiteren Schlägen, sich auszuziehen und sich selbst zu befriedigen, was der Angeklagte mit einer Kamera filmte. Danach nötigte er die Nebenklägerin mit Gewalt insgesamt zweimal zum Geschlechtsverkehr.
10
2. Das Landgericht hat hierfür Einzelstrafen von vier Jahren, drei Jahren und sechs Monaten, neun Monaten sowie von sechs Jahren verhängt und dar- aus eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten gebildet. Von der Anordnung der Sicherungsverwahrung hat es abgesehen und dazu ausgeführt: Es bestehe aufgrund der dissozialen Persönlichkeitsstörung des Angeklagten zwar eine eher hohe Rückfallgefahr, indes könne bei dem Angeklagten ein Hang zu erheblichen Straftaten (§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF) nicht festgestellt werden. Die dissoziale Persönlichkeitsstörung weise keine sadistischen Anteile auf; die Merkmale der "Psychopathy" seien nur im "unteren Bereich" zu bejahen; antisoziale Denkstile seien beim Angeklagten nicht festzustellen ; eine progrediente Entwicklung der Straftaten sei nicht zu erkennen; zwischen den früheren Straftaten lägen teilweise lange Zeitabschnitte; es könne "bei keiner der Vergewaltigungstaten festgestellt werden, dass der Angeklagte nicht lediglich sich ihm bietende Gelegenheiten zu sexuellen Handlungen wahrgenommen" habe.
11
3. Die Begründung, mit der das Landgericht beim Angeklagten einen Hang zu erheblichen Straftaten verneint hat, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Sie geht in Teilen von falschen Maßstäben aus oder steht im Widerspruch zu den Feststellungen.
12
a) Das Landgericht hat das Fehlen sadistischer Anteile in der Persönlichkeitsstörung des Angeklagten fehlerhaft bewertet. Nach ständiger Rechtsprechung kommt es auf die Ursache für die fest eingewurzelte Neigung zu Straftaten nicht an (BGH, Urteil vom 12. Dezember 1979 - 3 StR 436/79, NJW 1980, 1055 mwN). Ein Hang zur Begehung von erheblichen, gewalttätigen Sexualdelikten kann auch dann vorliegen, wenn der Täter in der Verletzung oder Demütigung seines Opfers nicht die hauptsächliche Quelle der Erregung oder der Befriedigung findet (vgl. zum Sadismus Elsner/Leygraf in Kröber u.a., Handbuch der forensischen Psychiatrie Bd. 2, 1. Aufl., S. 472, 485).
13
b) Entgegen der Auffassung des Landgerichts verläuft die Kriminalitätsentwicklung des Angeklagten nach den getroffenen Feststellungen durchaus progredient. Unzutreffend ist zudem die Einschätzung, es habe sich bei den Straftaten des Angeklagten jeweils um Gelegenheitstaten gehandelt.
14
Die Vergewaltigung, die der Angeklagte im Alter von 23 Jahren zum Nachteil der Ehefrau eines Freundes begangen hatte und wegen der er 1985 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt worden war, war zwar noch eine Spontantat. Dagegen hat der Angeklagte im Jahr 2003 die Vergewaltigung und Körperverletzung seiner damaligen Ehefrau, für die 2004 eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren gegen ihn verhängt worden ist, begangen , nachdem er sein Opfer mittels einer Finte ins Haus gelockt hatte. Die Tat zog sich zudem über einen längeren Zeitraum hin und war von einer besonderen Erniedrigung geprägt. Die nunmehr abgeurteilten Taten zeigen sowohl in der Intensität der Gewaltausübung als auch der abgenötigten Handlungen eine weitere Steigerung. Zudem verkürzten sich die Abstände zwischen den Übergriffen deutlich. Zwei von ihnen beruhten zuletzt auf planvollem Vorgehen des Angeklagten.
15
4. Die Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit die Anordnung der Sicherungsverwahrung abgelehnt worden ist, führt hier auch zur Aufhebung des Strafausspruches. Denn es lässt sich nicht ausschließen, dass die Einzelstrafen und die Gesamtstrafe niedriger ausgefallen wären, wenn das Landgericht zugleich auf Sicherungsverwahrung erkannt hätte (vgl. BGH, Urteil vom 12. Dezember 1979 - 3 StR 436/79, NJW 1980, 1055 mwN; Urteil vom 3. Februar 2011 - 3 StR 466/10, NStZ-RR 2011, 172).
16
5. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
17
a) Durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365/09 u.a., NJW 2011, 1931) sind u.a. die hier anzuwendenden Bestimmungen über die Sicherungsverwahrung als mit Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG i.V.m. Art. 104 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt worden. Das Bundesverfassungsgericht hat aber angeordnet, dass die Vorschriften bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber - längstens bis 31. Mai 2013 - nach Maßgabe der Gründe seiner Entscheidung weiter anwendbar bleiben. Danach bedarf es wegen der derzeit verfassungswidrigen Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung einer "strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung", wenn sie gleichwohl angeordnet werden soll. In der Regel wird die Anordnung nur verhältnismäßig sein, wenn "eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist" (BVerfG aaO Rn. 172).
18
Der Senat versteht die vom Bundesverfassungsgericht geforderte "strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung" dahin, dass bei beiden Elementen der Gefährlichkeit - mithin der Erheblichkeit weiterer Straftaten und der Wahrscheinlichkeit ihrer Begehung (vgl. auch BGH, Beschluss vom 25. Mai 2011 - 4 StR 164/11) - ein gegenüber der bisherigen Rechtsanwendung strengerer Maßstab anzulegen ist. Hierzu im Einzelnen:
19
(1) Hinsichtlich der Erheblichkeit weiterer Straftaten kommen regelmäßig nur "schwere Gewalt- oder Sexualstraftaten" in Betracht. Hierin liegt, ansonsten wäre die genannte Maßgabe ohne Inhalt, eine Einschränkung gegenüber den Taten, die nach bisher geltendem Recht Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung darstellen. Dies gilt sowohl für die Straftatenkataloge als auch für die Beschreibung der Taten, auf die sich der Hang beziehen muss. Nicht alle "erheblichen Straftaten", durch welche die Opfer "seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden" (vgl. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF bzw. § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB), sind auch "schwere Gewalt- oder Sexualstraftaten" im Sinne der Maßgabe des Bundesverfassungsgerichts zur Weitergeltung von § 66 StGB.
20
Nach Ansicht des Senats sind Vergewaltigungen (§ 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB) wegen der dafür im Regelfall angedrohten Mindeststrafe von zwei Jahren sowie der für die Tatopfer damit regelmäßig verbundenen psychischen Auswirkungen grundsätzlich als "schwere Sexualstraftaten" im vorstehenden Sinn anzusehen.
21
(2) Die Wahrscheinlichkeit der Begehung solcher Taten muss "aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten" sein. Auch dies stellt höhere Anforderungen als die bislang vom Gesetz als Beurteilungsgrundlage für die Gefährlichkeitsprognose geforderte "Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten". Das Landgericht hat - aus seiner Sicht folgerichtig - zur Gefahrenprognose lediglich ausgeführt, die Rückfallgefahr sei "eher hoch" und die Gefährlichkeit des Angeklagten würde "bejaht". Solche verkürzten Darlegungen würden selbst den hergebrachten Anforderungen nicht genügen. Der neue Tatrichter wird ggf. die Gefährlichkeit aus konkreten Umständen herleiten und sich dabei insbesondere damit auseinandersetzen müssen , dass die Taten des Angeklagten aus dem situativen Zusammenhang einer Beziehungskrise begangen worden und zwischen den abgeurteilten Taten und den früheren Vergewaltigungen Zeiträume von fünfeinhalb bzw. 19 Jahre verstrichen sind.
22
b) Die Anordnung der Sicherungsverwahrung könnte, sofern der neue Tatrichter einen Hang zu erheblichen Straftaten und eine auf ihm beruhende Gefährlichkeit des Angeklagten bejahen sollte, nur auf § 66 Abs. 2 oder Abs. 3 Satz 2 StGB aF gestützt werden. § 66 Abs. 1 StGB aF kommt als Grundlage dafür nicht in Betracht, da die Verurteilung des Angeklagten wegen Vergewaltigung aus dem Jahr 1985 auf Grund der eingetretenen "Rückfallverjährung" (§ 66 Abs. 4 Satz 3 StGB aF) als Vorverurteilung ausscheidet und deshalb die formelle Voraussetzung einer zweiten Vorstrafe fehlt.
23
c) Die Anordnung läge sodann im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters. Dieser soll die Möglichkeit haben, sich ungeachtet der festgestellten hangbedingten Gefährlichkeit des Angeklagten zum Zeitpunkt der Urteilsfällung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich der Täter schon die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt. Damit wird dem Ausnahmecharakter der Vorschrift Rechnung getragen, der sich daraus ergibt, dass § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StGB - im Gegensatz zu Absatz 1 der Vorschrift - eine frühere Verurteilung und eine frühere Strafverbüßung des Täters nicht voraussetzen. Die maßgeblichen Gründe für seine Ermessensentscheidung muss der Tatrichter nachvollziehbar darlegen, um dem Revisionsgericht die Nachprüfung der Ermessensentscheidung zu ermöglichen (Urteil vom 3. Februar 2011 - 3 StR 466/10, NStZ-RR 2011, 172 mwN).
VRiBGH Becker befindet Pfister Schäfer sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Pfister
Mayer Menges

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 362/11
vom
27. September 2011
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 27. September 2011 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 28. Februar 2011 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Rechtmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Der Angeklagte war durch Urteil des Landgerichts vom 19. Mai 2008 wegen schwerer räuberischer Erpressung und wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt worden. Das Landgericht hatte ferner die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt und in der Sicherungsverwahrung mit der Maßgabe angeordnet, dass zunächst die Unterbringung in der Entziehungsanstalt zu vollziehen sei. Auf die mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründete Revision des Angeklagten hatte der Senat dieses Urteil mit Beschluss vom 28. April 2009 im gesamten Maßregelausspruch mit den Feststellungen aufgehoben , die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen und die weiter gehende Revision als unbegründet verworfen.
2
Das Landgericht hat gegenüber dem Angeklagten nunmehr auf der Grundlage des in Rechtskraft erwachsenen Schuld- und Strafausspruchs die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Dagegen wendet sich die Revision des Angeklagten; er rügt die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


3
1. Nach den bindend gewordenen Feststellungen zu den Anlasstaten kamen der Angeklagte und der gesondert verfolgte Mittäter F. unmittelbar nach Verbüßung der Strafe aus dem Urteil vom 23. Januar 2002 im Februar 2007 überein, durch Überfälle auf Geschäfte Bargeld zu erlangen. In Ausführung dieses Tatentschlusses betrat der Angeklagte am 9. März 2007, einem Freitag, mit Sonnenbrille und Kapuze maskiert das Ladengeschäft der Geschädigten G. , die dort u.a. eine Lottoannahmestelle betrieb, in deren Kasse die Täter an diesem Tag einen hohen Geldbetrag vermuteten. F. wartete währenddessen abfahrbereit in einem Fahrzeug in der Nähe. Da die Geschädigte die Forderung des Angeklagten nach Herausgabe des Geldes zunächst nicht ernst nahm, zog dieser eine ungeladene Schreckschusspistole hervor, richtete sie auf die Geschädigte und täuschte ein Durchladen vor. Die verängstigte Zeugin, die die Pistole für eine echte Schusswaffe hielt, begann zu schreien und schubste den Angeklagten mehrfach in Richtung des Ausgangs vor sich her, wobei sie sich bei einem der kraftvollen Stöße einen Finger brach. Der von der Gegenwehr überraschte Angeklagte floh ohne Beute und entfernte sich gemeinsam mit dem gesondert verfolgten F. in dem Fahrzeug vom Tatort. Kurze Zeit später fassten der Angeklagte und F. den Plan zum Überfall auf ein Bettengeschäft, da der Angeklagte von einer dort tätigen Auszubildenden erfahren hatte, dass an einem bestimmten Tag ein Kunde wahrscheinlich einen Bareinkauf in Höhe von 10.000 € tätigen würde. Während der gesondert verfolgte F. absprachegemäß in der Nähe in einem Pkw wartete, betrat der Angeklagte, der in seiner Kleidung erneut die ungeladene Schreckschusspistole mit sich führte, den Geschäftsraum und forderte von dem dort beschäftigten Zeugen B. die Herausgabe von Bargeld. Als dieser erwiderte , er habe nur wenig Geld in der Kasse, deutete der Angeklagte mit einer Handbewegung an, eine Waffe aus seiner Jacke hervorzuholen, und äußerte: „Machen Sie die Kasse auf, ichwill das sehen, oder soll ich erst meine Pistole rausholen?“ Der ZeugeB. sah lediglich, dass der Angeklagte einen Ge- genstand in der Tasche mit sich führte, den er aber nicht identifizieren konnte. Eine weitere Zeugin sah den Griff der Pistole und hielt diese für echt. Nach Öffnung der Kassenschublade legte der Zeuge B. entsprechend der Aufforderung des Angeklagten alle Geldscheine auf einen Tresen. Der Angeklagte nahm das Geld, insgesamt etwa 1.150 € und entfernte sich.
4
Das Landgericht hat Einzelstrafen von drei Jahren (Tat 1) und von vier Jahren sechs Monaten (Tat 2) verhängt.
5
2. Zur Vorbelastung des mehrfach und auch einschlägig strafrechtlich in Erscheinung getretenen Angeklagten hat die Strafkammer u.a. folgendes festgestellt :
6
2001 wurde der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Nach den damaligen Feststellungen hatte er zum Jahreswechsel 1999/2000 mit einem fünfzig Zentimeter langen und zwei Zentimeter dicken Bambusstab aus nichtigem Anlass auf sein Opfer eingeschlagen , ihm CS-Gas ins Gesicht gesprüht und es mit einem einer Machete ähnlichen Messer bedroht. Ferner hatte er zwei Bekannte aufgefordert, sich mit Stahlkappen versehene Schuhe anzuziehen und auf das Opfer einzutreten, was diese auch getan hatten. Wegen schwerer räuberischer Erpressung in Tatein- heit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen wurde der Angeklagte am 23. Januar 2002 unter Einbeziehung der zuvor erwähnten Bewährungsstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Um sein Opfer zur Hergabe von Geld als Rückzahlung angeblicher Schulden zu veranlassen , hatte er gemeinsam mit Mittätern u.a. zunächst mehrfach mit einem metallenen Baseballschläger, dann mit einem solchen aus Holz, auf die Arme seines Opfers eingeschlagen. Als das Geräusch brechender Knochen zu hören gewesen war, hatte er dem Geschädigten nach entsprechender Ankündigung weitere kräftige Schläge auf dessen Beine versetzt. Sodann hatte er den Kopf seines knienden Opfers hochgerissen und diesem mit einem mitgebrachten Messer unvermittelt in eine Wange und die Stirn geschnitten. Nachdem der Geschädigte noch längere Zeit der Einwirkung des Angeklagten ausgesetzt gewesen war, war es ihm gelungen, von seiner Freundin 250 € zu erhalten, die er an den Angeklagten weitergegeben hatte, der daraufhin von ihm abgelassen hatte. Das Langgericht verhängte in diesem Tatkomplex eine Einsatzstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten.
7
3. Das Landgericht hat die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 3 Satz 1 und 2 StGB bejaht und, insoweit durch einen Psychiater und einen Psychologen sachverständig beraten, auch die materiellen Voraussetzungen für die Anordnung als erfüllt angesehen. Von dem Angeklagten seien weiterhin schwerwiegende Straftaten zu erwarten. Soziale Kompetenzen seien bei ihm nicht ansatzweise ausgeprägt, weshalb er aggressive und wenig durchdachte Konfliktlösungen bevorzuge, was auch die zahlreichen Disziplinarverstöße in der Strafhaft belegten. Mangels Fähigkeit zur Empathie bagatellisiere er die Folgen seiner Taten für die Opfer. Nicht zuletzt wegen seiner Bereitschaft zur Gewalt habe er im Straftätermilieu Anerkennung erfahren und ein Selbstverständnis als Krimineller entwickelt, weshalb er sich in einem sozial akzeptierten Leben nicht bestätigt sehe. Ferner besitze er ein übertriebenes Selbstwertgefühl , seine Persönlichkeit weise narzisstische Züge auf, die jedoch noch nicht die Schwere einer antisozialen bzw. dissozialen Störung angenommen hätten. Er nutze zwischenmenschliche Beziehungen zur Erlangung eigener Vorteile und gehe dabei hochmanipulativ vor. Die Anlasstaten seien symptomatisch für seine verbrecherische Neigung, die Delinquenzentwicklung des Angeklagten sei gleichermaßen durch eine hohe Tatfrequenz und eine hohe Rückfallgeschwindigkeit gekennzeichnet. Es sei daher von einem eingeschliffenen Verhaltensmuster auszugehen.

II.


8
Die Begründung, mit der das Landgericht einen Hang zu erheblichen Straftaten bejaht hat, hält unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 – 2 BvR 2365/09 u.a.; NJW 2011, 1931) rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
9
1. Gemäß § 66 Abs. 3 Satz 1 und 2 i.V.m. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB a.F. muss die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergeben, dass er infolge eines Hangs zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder durch die schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, für die Allgemeinheit gefährlich ist. Nach der genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bedarf es wegen der derzeit verfassungswidrigen Ausgestaltung der Si- cherungsverwahrung einer „strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung“, wenn sie gleichwohl angeordnet werden soll. Die Anordnung wird danach „in der Regel“ nur verhältnismäßig sein, wenn „eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 aaO, Tz. 172). Die darin liegende Einschränkung im Vergleich zu den nach bisherigem Recht geltenden Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung betrifft die Straftatenkataloge und die konkrete Beschreibung der Taten, auf die sich der Hang beziehen muss. Nicht alle „erheblichen Straftaten“, durch welche die Op- fer „seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden (vgl. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB a.F. bzw. § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB), sind auch „schwere Gewalt- oder Sexualstraftaten“ im Sinne der Anordnung des Bundesverfassungsgerichts zur Weitergeltung von § 66 StGB (BGH, Beschluss vom 2. August 2011 – 3 StR 208/11, Tz. 12). Ob die vom Bundesverfassungsgericht geforderte besonders strenge Prüfung der Verhältnismäßigkeit dazu führt, hinsichtlich der Taten, deren künftige Begehung durch den Täter als möglich erscheint, bestimmte Deliktsgruppen oder Begehungsweisen ohne Hinzutreten besonderer Umstände generell als nicht ausreichend für die Anordnung der Maßregel anzusehen (dies bejahend BGH, Urteil vom 7. Juli 2011 – 2 StR 184/11, Tz. 14, für Verstöße gegen das BtMG ohne konkrete Gefährdung von Leib oder Leben Dritter; verneinend BGH, Beschluss vom 4. August 2011 – 3 StR 235/11, Tz. 6, für schwere räuberische Erpressungen im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB), kann im vorliegenden Fall offen bleiben. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung kann hier schon deshalb keinen Bestand haben, weil sich das Landgericht bei der Beurteilung der Erheblichkeit der zu erwartenden Straftaten den Blick für die Besonderheiten des Falles verstellt hat. Daher kann auch dahinstehen, ob hinsichtlich des zweiten Elements der Gefährlichkeit, also der Wahrscheinlichkeit der Begehung einer erheblichen Straftat, ebenfalls ein gegenüber der bisherigen Rechtsanwendung strengerer Maßstab anzulegen ist (vgl. BGH, Urteil vom 4. August 2011 – 3 StR 175/11, Tz. 18; Beschluss vom 4. August 2011 – 3 StR 235/11, Tz. 5).
10
2. Nach den getroffenen Feststellungen ließ sich der Angeklagte im Fall II. 1 der Urteilsgründe durch verhältnismäßig geringe Gegenwehr der Geschädigten G. von der weiteren Tatausführung abhalten. Nachdem diese zu schreien begonnen und den Angeklagten durch mehrere kraftvolle Stöße in Richtung Ausgangstür geschubst hatte, setzte er die Tatausführung nicht etwa durch Anwendung von Gewalt fort, sondern entfernte sich ohne Beute sofort vom Tatort und ergriff mit seinem Mittäter die Flucht. Im Fall III. 2 der Urteilsgründe beließ es der Angeklagte zunächst bei drohenden Worten, um die Herausgabe von Bargeld zu erreichen, und sodann bei einer angedeuteten Handbewegung , die darauf schließen ließ, dass er in seiner Jacke eine Waffe mit sich führte. Lediglich die hinzutretende Zeugin W. sah den Griff der in der Jacke steckenden Waffe und hielt sie für echt. Die Strafkammer hat sich in ihrer Beurteilung des Hangs des Angeklagten zur Begehung erheblicher Straftaten den Sachverständigen angeschlossen, die u.a. maßgeblich darauf abgestellt haben, diesen kennzeichne – neben einer Reihe von Persönlichkeitsdefiziten wie der mangelnden Fähigkeit zur Empathie und einer hohen Rückfallgeschwindigkeit – die Bereitschaft zu aggressiven Konfliktlösungen sowie zu körperlicher Gewalt, mit der er im Straftätermilieu zu imponieren versuche und auch tatsächlich Anerkennung erfahre, weshalb er sich in einem sozial akzeptierten Leben nicht bestätigt sehe. Diese Erwägung nimmt nicht ausreichend in den Blick, dass die Tatausführung in den beiden abgeurteilten Fällen der schweren räuberischen Erpressung nicht durch die Anwendung von Gewalt gegen die Opfer gekennzeichnet war. Auch unter Berücksichtigung der einschlägigen Vorverurteilung, die eine räuberische Erpressung mit Ausübung erheblicher Gewalt gegenüber dem Tatopfer betrifft, erweist sich die Annahme der Strafkammer, beim Angeklagten bestehe die Gefahr weiterer schwerer Gewalttaten im Sinne der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts, als nicht tragfähig. Der Tatrichter hat das Vorliegen des Hangs unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner Taten maßgeblichen Umstände darzulegen (Senatsbeschluss vom 27. September 1994 – 4 StR 528/94, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 8). Daher hätten die Unterschiede in der jeweiligen Tatausführung hier besonderer Erörterung bedurft.

III.


11
Der Senat kann nicht ausschließen, dass der neue Tatrichter, der die Gesamtwürdigung – mit sachverständiger Hilfe – unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände erneut vornehmen muss, Tatsachen feststellt, die auch bei Beachtung der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Anordnung der Sicherungsverwahrung rechtfertigen können.
Ernemann Roggenbuck Franke
Bender Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 235/11
vom
4. August 2011
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 1., 2. b) und 3. auf dessen Antrag -
am 4. August 2011 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 StPO einstimmig

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 11. März 2011 aufgehoben
a) im Ausspruch über die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung sowie
b) mit den zugehörigen Feststellungen, soweit das Landgericht von der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat.
2. a) Die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung entfällt.

b) Im übrigen Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Von der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hat es abgesehen. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
Nach den Feststellungen des Landgerichts begab sich der zur Tatzeit zweiundzwanzigjährige, in vollem Umfang geständige Angeklagte, der an einer dissozialen Persönlichkeitsstörung und einer Polytoxikomanie leidet, vor dem 1. Januar 2011 innerhalb weniger Wochen zweimal in die Filiale einer deutschen Großbank und erzwang dort unter Vorhalt einer ungeladenen Schreckschusspistole die Herausgabe von mehreren tausend Euro.
3
1. Die Überprüfung des Schuld- und Strafausspruchs hat aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift dargelegten Gründen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
4
2. Die vom Landgericht nach § 66 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 3 StGB in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung angeordnete Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung hält bereits für sich betrachtet sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand; denn sie erweist sich nach Maßgabe der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09 u.a., NJW 2011, 1931) als nicht mehr verhältnismäßig.
5
a) Nach der genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bedarf es wegen der derzeit verfassungswidrigen Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung einer "strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung", wenn sie gleichwohl angeordnet werden soll. Die Anordnung wird "in der Regel" nur verhältnismäßig sein, wenn "eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist" (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09 u.a., NJW 2011, 1931 Rn. 172). Diese vom Bundesverfassungsgericht geforderte "strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung" ist dahin zu verstehen, dass bei beiden Elementen der Gefährlichkeit - mithin der Erheblichkeit weiterer Straftaten und der Wahrscheinlichkeit ihrer Begehung (vgl. auch BGH, Beschluss vom 25. Mai 2011 - 4 StR 164/11) - ein gegenüber der bisherigen Rechtsanwendung strengerer Maßstab anzulegen ist (vgl. im Einzelnen BGH, Urteil vom 4. August 2011 - 3 StR 175/11).
6
b) Zwar sind schwere räuberische Erpressungen im Sinne der §§ 249, 250 Abs. 1, §§ 253, 255 StGB wegen der dafür angedrohten Mindeststrafe von drei Jahren und den für die Tatopfer damit regelmäßig verbundenen psychischen Auswirkungen grundsätzlich als ausreichend "schwere Straftaten" im vorstehenden Sinn anzusehen (vgl. für Straftaten nach § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB BGH, Urteil vom 4. August 2011 - 3 StR 175/11). Dies gilt auch dann, wenn der Täter - wie hier - die Voraussetzungen des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB dadurch verwirklicht, dass er bei einem Banküberfall mit einer ungeladenen Schreckschusspistole droht.
7
c) Jedoch verstößt die Anordnung der Sicherungsverwahrung gleichwohl bei angemessener Berücksichtigung der konkreten Umstände des vorliegenden Falles mit Blick auf die Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung durch den Gesetzgeber, die einen Verstoß gegen das verfassungsrechtlich verbürgte Abstandsgebot begründet (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09 u.a., NJW 2011, 1931 Rn. 172), gegen das Übermaßverbot. Dabei ist neben Art und Gewicht der vom Landgericht prognostizierten Straftaten insbesondere das noch junge Alter des Angeklagten von Belang. Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung stellt für den bei Tatbegehung erst 22 Jahre alten Angeklagten einen besonders belastenden Eingriff dar. Bereits nach der früheren fachgerichtlichen Rechtsprechung war die Anordnung der Sicherungsverwahrung bei derart jungen Tätern zwar nicht ausgeschlossen; sie kam jedoch nur in Ausnahmefällen in Betracht (BGH, Beschluss vom 5. Oktober 1988 - 3 StR 406/88, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Gefährlichkeit 1; Beschluss vom 6. August 1997 - 2 StR 199/97, juris Rn. 13). In Ermangelung einer umfassend als Gesamtkonzept ausgestalteten Regelung der Sicherungsverwahrung kann derzeit nicht davon ausgegangen werden, dass die Anordnung der Sicherungsverwahrung eine erhöhte Resozialisierungschance des Angeklagten bewirkt (zu den Defiziten beim Zugang zu sozialtherapeutischen Anstalten aus dem regulären Strafvollzug vgl. BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09 u.a., NJW 2011, 1931 Rn. 121). Zu beachten ist schließlich der Ausnahmecharakter des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB, der eine frühere Verurteilung und eine frühere Strafverbüßung des Täters nicht voraussetzt.
8
d) Der Senat schließt aus, dass ein neues Tatgericht Tatsachen feststellen könnte, die bei Beachtung der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Anordnung der Sicherungsverwahrung rechtfertigen könnten. Er entscheidet deshalb selbst in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO dahin, dass die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung entfällt.
9
3. Auch die Ablehnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt begegnet durchgreifenden sachlichrechtlichen Bedenken.
10
a) Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift hierzu ausgeführt : "Die Strafkammer hat diese Entscheidung unter Bezugnahme auf die Ausführungen des in der Hauptverhandlung gehörten psychiatrischen Sachverständigen - die jedoch insoweit nicht näher mitgeteilt werden - damit begründet, dass 'trotz des Substanzmittelkonsums' des Angeklagten , der in den Monaten vor den beiden in Rede stehenden Taten vermehrt Alkohol trank und auch Kokain konsumierte (UA S. 3 bis 5, 15 f.)‚ 'die Feststellung eines Hanges im Sinne von § 64 StGB' nicht 'mit hinreichender Sicherheit zu treffen' sei (UA S. 17 f.). Diese äußerst knappen Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht die Voraussetzungen eines Hanges gemäß § 64 S[atz] 1 StGB verkannt hat. Ein solcher ist nicht nur - wovon die Strafkammer möglicherweise ausgegangen ist - im Falle einer chronischen, auf körperlicher Sucht beruhenden (erheblichen) Abhängigkeit zu bejahen; vielmehr genügt bereits eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, wobei noch keine physische Abhängigkeit bestehen muss (BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 5, Senat Beschluss vom 13. Juni 2007 - 3 StR 194/07; Beschluss vom 13. Januar 2011 - 3 StR 429/10 Rdnr. 4; Fischer[, StGB, 58. Aufl. 2011,] § 64 Rdnr. 9 m.w.N.). Dass eine derartige Neigung beim Angeklagten besteht , liegt nach den getroffenen Feststellungen nahe, denn nach der Einschätzung des Sachverständigen, die sich die Strafkammer zu eigen gemacht hat, hat der Angeklagte zur Tatzeit im Hinblick auf Alkohol und Kokain eine 'Polytoxikomanie (F 19.2)' - mithin ein psychisch bedingtes Abhängigkeitssyndrom - entwickelt (UA S. 15, 23). Mit diesem Umstand hätte sich das Tatgericht bei der Frage des Hanges nach § 64 StGB zwingend auseinandersetzen müssen. … Außerdem hält die sachverständig beratene Strafkammer die in § 64 StGB normierten Anordnungsvoraussetzungen für nicht gegeben, weil 'eine kausale Verknüpfung zwischen dem Alkohol- und Drogenkonsum und den aktuell zu beurteilenden Taten' nicht 'eindeutig herzustellen' sei (UA S. 18). Auch dies stellt keine ausreichende Begründung dar. Ihr kann nicht entnommen werden, ob sich die Strafkammer bewusst war, dass der symptomatische Zusammenhang zwischen der Tatbegehung und dem Hang i.S.d. § 64 S[atz] 1 StGB auch dann zu bejahen ist, wenn der Hang zum Rauschmittelgenuss - neben anderen Umständen - mit dazu beigetragen hat, dass der Täter erhebliche rechtswidrige Taten begangen hat. Der Zusammenhang kann daher nicht allein deswegen verneint werden, weil außer der Sucht noch weitere Persönlichkeitsmängel - etwa die vorliegend bei dem Angeklagten zusätzlich zu seiner Polytoxikomanie diagnostizierte dissoziale Persönlichkeitsstörung (UA S. 15) - eine Disposition für die Begehung von Straftaten begründen (BGH, Beschluss vom 9. Juni 2009 - 4 StR 164/09 Rdnr. 12 m.w.N.). Dass die festgestellte Polytoxikomanie des Angeklagten für die in Rede stehenden Banküberfälle zumindest mitursächlich gewesen sein kann, ist hier jedenfalls nicht auszuschließen, denn er nutzte die erbeuteten Geldmittel in beiden Fällen jeweils - neben der Erfüllung von Verbindlichkeiten für Hotelkosten u.ä. - für seinen Alkohol- und Kokainkonsum (UA S. 11, 13). Mithin steht zu besorgen, dass das Landgericht auch das Vorliegen des symptomatischen Zusammenhangs zwischen Hang und Anlasstaten i.S.v. § 64 S[atz] 1 StGB von zu engen Voraussetzungen abhängig gemacht hat."
11
Dem schließt sich der Senat an.
12
b) Aus den vom Generalbundesanwalt im Einzelnen dargelegten Gründen scheiden die übrigen Voraussetzungen für die Anordnung einer Unterbringung nach § 64 StGB nicht von vorneherein aus. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung gemäß § 358 Abs. 2 Satz 3 StPO nicht (BGH, Urteil vom 10. April 1990 - 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5 ff.; Urteil vom 7. Oktober 1992 - 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362 ff.). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen. Über die Anordnung der Maßregel muss deshalb neu verhandelt und entschieden werden ; hierzu werden unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) neue Feststellungen zu treffen sein.
13
c) Der Strafausspruch wird durch die rechtsfehlerhafte Ablehnung der Maßregel nicht berührt und kann daher bestehen bleiben. Es ist auszuschließen , dass das Tatgericht bei Anordnung der Unterbringung auf niedrigere Einzelstrafen oder eine geringere Gesamtstrafe erkannt hätte.
VRiBGH Becker befindet sich Pfister Schäfer im Urlaub und ist deshalb an der Unterschriftsleistung gehindert. Pfister Mayer Menges