Bundesgerichtshof Urteil, 22. Mai 2019 - 2 StR 530/18

bei uns veröffentlicht am22.05.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 530/18
vom
22. Mai 2019
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
ECLI:DE:BGH:2019:220519U2STR530.18.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 8. Mai 2019 in der Sitzung am 22. Mai 2019, an denen teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Appl als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Eschelbach, Zeng, Dr. Grube, Schmidt,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung, Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof bei der Verkündung als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt in der Verhandlung als Verteidiger des Angeklagten,
Rechtsanwältin in der Verhandlung als Vertreterin der Nebenkläger,
Amtsinspektorin in der Verhandlung, Amtsinspektorin bei der Verkündung als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 27. April 2018 werden verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägern hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hatte den Angeklagten durch ein erstes Urteil wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren und drei Monaten verurteilt. Der Senat hat dieses Urteil auf die Revision der Nebenkläger durch Urteil vom 7. Juni 2017 − 2 StR 474/16 (NStZ 2018, 93 f. mit Anm. Engländer) mit den Feststellungen aufgehoben. Durch Beschluss vom gleichen Tage (NStZ-RR 2017, 368 f.) hat er das genannte Urteil auf die Revision des Angeklagten im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben. Nach Zurückverweisung der Sache hat das Landgericht den Angeklagten nunmehr wegen Mordes zu einer Freiheitsstrafe von dreizehn Jahren verurteilt. Dagegen richten sich die Revision des Angeklagten und die wirksam auf den Strafausspruch beschränk- te, zum Nachteil des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft jeweils mit der Sachrüge. Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg.

I.

2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Am 16. August 2015 trainierte der damals 22-jährige Angeklagte, der in den Tag hineinlebte und Arbeitslosengeld II bezog, in einem Fitnesscenter in M. . Anschließend trank er dort acht Flaschen Bier zu je 0,5 l und ließ die Zeche anschreiben, weil er kaum noch über Bargeld verfügte. Gegen 19.30 Uhr wollte er an einer Tankstelle einen Kasten Bier kaufen, konnte aber den Preis von 20,50 Euro nicht aufbringen. Sein Versuch, Geld an einem Automaten abzuheben , schlug mangels Deckung fehl. Daher erwarb er mit restlichem Bargeld fünf Flaschen Bier zu je 0,5 l, die er zuhause konsumierte. Im weiteren Verlauf des Abends entschloss er sich dazu, von seinem Wohnort in M. nach

W.

zu fahren, um dort Betäubungsmittel zu erwerben. Über den Nachrichtendienst WhatsApp versuchte er vergeblich, Bekannte zu kontaktieren, von denen er sich Hilfe bei der Drogenbeschaffung erhoffte.
4
Gegen 22.20 Uhr erschien auf Bestellung des Angeklagten das spätere Tatopfer Z. mit seinem Taxi. Der Angeklagte steckte sich ein Küchenmesser in den Hosenbund und stieg in das Taxi, obwohl er nur noch über 2,75 Euro Bargeld verfügte und wusste, dass er mit seiner Bankkarte kein Geld abheben konnte. Zu welchem Zweck er das Messer mitführte, vermochte das Landgericht nicht festzustellen.
5
Kurz nach 23.00 Uhr kam das Taxi am Marktplatz in W. an, wo der Fahrer Z. den Fahrpreis in Höhe von 89,90 Euro verlangte. Der Angeklagte bot ihm an, die Forderung bargeldlos zu begleichen, was Z. jedoch ablehnte. Darauf begab sich der Angeklagte zu der K. am Marktplatz und fragte am Bankautomaten den Stand seines Kontos ab, das sich mit 2,94 Euro im Soll befand. Gleichwohl versuchte er erfolglos, 200 Euro abzuheben. Sodann setzte er sich wieder auf den Beifahrersitz des Taxis, berichtete dem Taxifahrer, in der Sparkasse kein Geld bekommen zu haben und bot diesem an, seinen Personalausweis zu hinterlassen und den Fahrpreis am nächsten Tag zu bezahlen. Dies lehnte Z. ab. In diesem Moment erschien der Taxifahrer O. am Marktplatz. Der Angeklagte winkte diesen heran und erkundigte sich, ob bei seinem Taxiunternehmen bargeldlos bezahlt werden könne , was O. verneinte. Der Angeklagte bat O. , einen weiteren ihm bekannten Taxifahrer zu kontaktieren, damit dieser für ihn bürge; der weitere Taxifahrer war aber nicht erreichbar. Schließlich empfahl O. seinem Kollegen Z. , mit dem Angeklagten zur Polizei zu fahren, um dessen Personalien feststellen zu lassen ; alternativ solle er mit dem Angeklagten zu einer Tankstelle fahren, wo dieser mit der Bankkarte Geld beschaffen solle. Dann entfernte sich O. . Z. fuhr los, hielt aber nach wenigen Metern wieder an, um die Situation erneut mit dem Angeklagten zu besprechen.
6
Der Angeklagte fasste nun spontan den Entschluss, den Taxifahrer mit dem bisher verborgenen Küchenmesser anzugreifen. Ein Motiv dafür vermochte das Landgericht nicht festzustellen. Der Angeklagte zog das Messer aus dem Hosenbund und versetzte Z. eine Reihe von Stich- und Schnittverletzungen im Gesicht, am Hals und am Oberkörper, um diesen zu töten. Der Geschädigte hatte nicht mit einem Angriff auf sein Leben gerechnet. Er erlitt zwanzig Stich- und Schnittverletzungen, wobei ihm unter anderem die linke Schlüsselbeinschlagader durchtrennt wurde. Es gelang ihm zwar noch, die Fahrertür zu öffnen , aus dem Taxi auszusteigen und um Hilfe zu rufen; dann aber brach er zusammen und verstarb alsbald, während der Angeklagte zu Fuß floh.
7
2. Das Landgericht hat die Tat als heimtückisch begangenen Mord gewertet. Die Arg- und Wehrlosigkeit des Taxifahrers habe der Angeklagte bewusst zu der mit direktem Tötungsvorsatz begangenen Tat ausgenutzt. Zwar leide er nicht ausschließbar an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung und habe spontan gehandelt. Jedoch habe die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers angesichts der Tatsituation derart auf der Hand gelegen, dass der Angeklagte sie auch in sein Bewusstsein aufgenommen habe. Weder seine Alkoholisierung , noch sein spontaner Tatentschluss oder die Persönlichkeitsstörung gäben Anlass zu einer anderen Bewertung des Ausnutzungsbewusstseins. Die Persönlichkeitsstörung habe jedoch im Zusammenwirken mit der Alkoholisierung bei einer Blutalkoholkonzentration von maximal 2,45 Promille zur Tatzeit nicht ausschließbar eine erhebliche Beeinträchtigung des Hemmungsvermögens zur Folge gehabt, welche die Anwendung von § 21 StGB rechtfertige.

II.

8
Die Revision des Angeklagten ist unbegründet. Schuld- und Strafausspruch weisen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Dies gilt auch für die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe die Arg- und Wehrlosigkeit des Angeklagten bewusst zu dessen Tötung ausgenutzt und daher das Tatopfer im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB heimtückisch getötet.
9
1. Für das bewusste Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit genügt es, dass der Täter diese in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Arglosigkeit gegenüber einem Angriff auf Leib und Leben schutzlosen Menschen zu überraschen. Das Ausnutzungsbewusstsein kann im Einzelfall bereits aus dem objektiven Bild des Geschehens abgeleitet werden, wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter zur Tatzeit auf der Hand liegt (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juli 2018 − 5 StR 580/17, NStZ 2019, 26, 27). Das gilt in objektiv klaren Fällen selbst dann, wenn der Täter die Tat einer raschen Eingebung folgend begangen hat (vgl. BGH, Urteil vom 31. Juli 2014 – 4 StR 147/14, StraFo 2014, 433 f.; Urteil vom 29. Januar 2015 – 4 StR 433/14, NStZ 2015, 392, 393). Bei erhaltener Fähigkeit zur Unrechtseinsicht ist auch die Fähigkeit des Täters, die Tatsituation in ihrem Bedeutungsgehalt für das Opfer realistisch wahrzunehmen und einzuschätzen, im Regelfall nicht beeinträchtigt. Anders kann es zwar bei heftigen Gemütsbewegungen liegen, jedoch sprechen auch eine Spontaneität des Tatentschlusses sowie eine affektive Erregung des Angeklagten nicht zwingend gegen ein bewusstes Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers. Maßgeblich sind die in der Tatsituation bestehenden tatsächlichen Auswirkungen des psychischen Zustands des Täters auf seine Erkenntnisfähigkeit (vgl. Senat, Urteil vom 11. Juni 2014 – 2 StR 117/14, NStZ 2014, 639).
10
2. Bei der Beurteilung der subjektiven Voraussetzungen der Heimtücke handelt es sich um eine vom Tatgericht zu bewertende Tatfrage, die nur in eingeschränktem Maß der revisionsgerichtlichen Kontrolle zugänglich ist (vgl. BGH, Urteil vom 11. Dezember 2012 − 5 StR 438/12, NStZ 2013, 232, 233; Urteil vom 29. Januar 2015 − 4 StR 433/14, NStZ 2015, 392, 393). Die Nachprüfung ergibt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten.
11
Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass auch die Beeinträchtigungen des Angeklagten durch eine Persönlichkeitsstörung und seine Alkoholisierung jedenfalls die kognitiven Fähigkeiten nicht erheblich beeinflusst hatten.
Dagegen ist rechtlich nichts zu erinnern. Die Strafkammer hat angesichts des Verhaltens des Angeklagten vor der Tat bei seinen verschiedenen Versuchen, das Zahlungsproblem auszuräumen, rechtsfehlerfrei angenommen, die Alkoholisierung des Angeklagten habe sich nicht auf seine Unrechtseinsicht ausgewirkt. Einen schwerwiegenden Affekt hat sie vor allem mangels charakteristischen Affektauf- und -abbaus verneint. Schließlich hat die Strafkammer festgestellt , die zur Tatzeit gegebene kombinierte Persönlichkeitsstörung des Angeklagten habe sich nicht auf sein Bewusstsein, sondern nur auf das Hemmungsvermögen ausgewirkt.

III.

12
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist ebenfalls unbegründet. Die Anwendung des § 21 StGB durch das Landgericht ist rechtlich nicht zu beanstanden.
13
1. Die Einordnung des psychischen Befundes beim Angeklagten zur Tatzeit als eine nicht ausschließbare schwere andere seelische Abartigkeit ist rechtsfehlerfrei.
14
a) Bei der „Persönlichkeitsstörung“ handelt es sich um einen Oberbegriff zu verschiedenen Varianten, die unterschiedliches Gewicht haben. Diese reichen von einer Vielzahl normalpsychologisch wirkender Ausprägungen des Empfindens und Verhaltens bis zu einer abnormen Persönlichkeit, deren Störungsgrad Krankheitswert zukommt. Gelangt der Sachverständige zur Diagnose einer kombinierten Persönlichkeitsstörung, ist dies noch nicht mit der „schweren anderen seelischen Abartigkeit“ in § 20 StGB gleichzusetzen. Vielmehr sind der Ausprägungsgrad der Störung und der Einfluss auf die soziale Anpassungsfä- higkeit entscheidend für die Beurteilung der Schuldfähigkeit (vgl. BGH, Urteil vom 21. Januar 2004 – 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45, 52).
15
Das Landgericht ist der Einschätzung der psychiatrischen Sachverständigen gefolgt, bei dem Angeklagten habe sich das Bild einer emotionalinstabilen Persönlichkeitsstörung mit dominant paranoiden, schizoiden und dissozialen Wesenszügen sowie narzisstischen Merkmalen ergeben. Die Sachverständige hat weiter erläutert, der Angeklagte neige zu Jähzorn, wenn er auf Ablehnung , Versagung, Beleidigung oder Provokation stoße. Es bestehe eine ausgeprägte Störung der Affektregulation mit der Folge von kognitiven Verzerrungen , aus denen sich Impulshandlungen ergäben. Aus psychiatrischer Sicht sei von einem Grenzfall auszugehen, bei dem das Vorliegen des Eingangsmerkmals der schweren anderen seelischen Abartigkeit jedenfalls nicht auszuschließen sei. Die Störung weise eine Beziehung zur Tat auf, weil diese vor dem Hintergrund eines neurotischen Konflikts infolge der Zurückweisung des Angeklagten durch die Personen begangen wurde, mit denen er Kontakt aufnehmen wollte, ferner, weil die Tat abrupt und ohne Sicherungstendenzen sowie in einer affektiven Erregung begangen worden sei. Die Alkoholisierung bei einem Blutalkoholgehalt von bis zu 2,45 Promille zur Tatzeit komme als konstellativer Faktor hinzu.
16
b) Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht auf dieser Grundlage das Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB jedenfalls nicht sicher ausschließen konnte.
17
Im Anschluss an die psychiatrische Literatur nennt die Rechtsprechung verschiedene Voraussetzungen für eine schwere andere seelische Abartigkeit, unter anderem das Hervorgehen der Tat aus neurotischen Konflikten, eine konflikthafte Zuspitzung und emotionale Labilisierung in der Zeit vor der Tat, ein abrupter Tatablauf, das Vorliegen konstellativer Faktoren, wie Alkoholisierung, Ermüdung und affektive Erregung. Als gegenläufige Indizien können im Einzelfall eine Tatvorbereitung, planmäßiges Vorgehen, die Fähigkeit zu warten, ein komplexer Handlungsablauf, eine Vorsorge gegen Entdeckung, die Möglichkeit anderen Verhaltens unter vergleichbaren Umständen oder das Hervorgehen des Delikts aus dissozialen Charakterzügen in Betracht kommen (vgl. BGH, Urteil vom 21. Januar 2004 – 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45, 53). Die Kriterien müssen im Einzelfall nicht sämtlich vorliegen, sie können auch über längere Zeitspannen hinweg variieren. Zudem können sie sehr unterschiedliches Gewicht haben. Maßgebend ist daher eine Gesamtschau aller wesentlichen Umstände des Einzelfalls.
18
Nach den Urteilsgründen hat das sachverständig beratene Landgericht eine solche Gesamtwürdigung anhand anerkannter Maßstäbe vorgenommen. So ist seine Annahme, festgestellte frühere Aggressionshandlungen des Angeklagten und die abzuurteilende Tat ließen prinzipiell ein durchgehendes Verhaltensmuster erkennen, rechtlich nicht zu beanstanden. Das Landgericht hat dabei nicht übersehen, dass die früheren Aggressionsdurchbrüche andere Ursachen hatten.
19
Wenn die Beschwerdeführerin beanstandet, das Landgericht habe nicht gewürdigt, dass der Angeklagte die Tat vorher konstelliert habe, weil das Mitführen des Messers keinem anderen Zweck gedient haben könne, als dem Einsatz gegen Menschen, setzt sie letztlich ihre eigene Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des Tatgerichts. Dieses konnte den Grund für das Mitführen des Messers durch den Angeklagten nicht feststellen und hat rechtsfehlerfrei erläutert, warum ihm eine solche sichere Feststellung nicht möglich war.
20
Auch dass der Angeklagte vor der Tat Krafttraining betrieben, danach in emotional unauffälliger Weise mit Bekannten Kontakt aufgenommen hatte, der Geschädigte ihm anschließend freundlich begegnete und der Zeuge O.
keine emotionalen Auffälligkeiten bemerkt hatte, steht der Annahme des Landgerichts , der stark alkoholisierte Angeklagte habe die Tat nach dem erneuten Anhalten des Taxis in einer dann plötzlich aufwallenden affektiven Erregung abrupt begangen, von Rechts wegen nicht entgegen. Der nach dem erneuten Anhalten des Taxis spontan getroffene Tatentschluss korrespondiert mit der festgestellten Neigung des Angeklagten zu irrational erscheinender, auf plötzlichem Jähzorn beruhender Aggressivität.
21
Das Ausbleiben von Gewalthandlungen des Angeklagten während der vorläufigen Unterbringung nach der Tat schließt, wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 7. Juni 2017 – 2 StR 474/16 (NStZ-RR 2017, 368, 369) ausgeführt hat, das Vorliegen einer erheblichen Persönlichkeitsstörung bei der Tatbegehung nicht aus.
22
2. Ob die Steuerungsfähigkeit wegen des Vorliegens einer schweren anderen seelischen Abartigkeit bei Begehung der Tat „erheblich“ im Sinne des § 21 StGB vermindert war, ist eine Rechtsfrage, die der Tatrichter in eigener Verantwortung unter wertender Betrachtung der Gesamtumstände zu beantworten hat (vgl. BGH, Urteil vom 21. Januar 2004 – 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45, 53). Es ist kein „Zirkelschluss“, wenn das Landgericht dem Vorliegen einer „schweren“ anderenseelischen Abartigkeit einen Hinweis auf deren Erheblichkeit im Sinne von § 21 StGB entnommen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Februar 2001 – 5 StR 3/01, StraFo 2001, 249 f.). Wird nämlich eine „schwere“ andere seelische Abartigkeit im Sinne von § 20 StGB festgestellt, die nicht bei jeder Persönlichkeitsstörung vorliegt und nur in Betracht kommt, wenn Symptome von beträchtlichem Gewicht vorliegen, deren Folgen den Täter vergleichbar schwer belasten oder einengen, wie krankhafte seelische Störungen, liegt es nahe, der konkreten Ausprägung der Persönlichkeitsstörung im Einzelfall auch die Wirkung einer „erheblichen“ Verminderungder Schuldfähigkeit beizumessen (vgl. BGH, Urteil vom 4. März 1996 − 5 StR 524/95, NStZ 1996, 318; Beschluss vom 22. August 2001 − 1 StR 316/01, StV 2002, 17 f.).
Appl Eschelbach Zeng Grube Schmidt

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2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren und drei Monaten verurteilt. Hiergegen richten sich die Revisionen der Nebenkläger, die mit der Sachrüge geltend machen, das Landgericht habe zu Unrecht eine Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes abgelehnt. Die Rechtsmittel sind begründet.

I.

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1. Nach den Feststellungen des Landgerichts trainierte der Angeklagte am 16. August 2015 in einem Fitnesscenter in M. . Anschließend trank er dort acht Flaschen Bier und ließ die Zeche anschreiben. Gegen 19.30 Uhr wollte er an einer Tankstelle einen Kasten Bier kaufen, hatte aber nur zehn Euro zur Verfügung. Der Versuch, an einem Bankautomaten Geld abzuheben, misslang mangels Guthabens. Daher kaufte der Angeklagte fünf Flaschen Bier und hatte danach noch 2,75 Euro Bargeld übrig. Gleichwohl wollte er später nachW. fahren, um sich dort Amphetamin zu beschaffen. Er versuchte Bekannte zu erreichen, um sich von ihnen die notwendigen Mittel zu verschaffen, was aber misslang. Um 21.55 Uhr bestellte er telefonisch ein Taxi, obwohl er wusste , dass er den Fahrpreis nicht zahlen konnte. Er steckte sich ein Küchenmesser mit einer Klingenlänge von 15 cm in den Hosenbund, weil er den Taxifahrer damit bedrohen und berauben wollte. Mit der Beute hätte er den Drogenkauf finanzieren und durch den Überfall zugleich der Geltendmachung der Fahrpreisforderung durch den Taxifahrer entgehen können.
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Gegen 22.20 Uhr fuhr Z. den Angeklagten mit seinem Taxi nach W. . Unterwegs verwarf der Angeklagte den Gedanken an einen Raubüberfall. Bei Fahrtende am Marktplatz in W. verlangte Z. die Zahlung des Fahrpreises in Höhe von 89,90 Euro. Der Angeklagte erklärte, dass er nicht bar zahlen könne und bot eine Zahlung mit Bank- oder Kreditkarte an. Da Z. dies ablehnte, täuschte der Angeklagte vor, in einer Filiale der Kreissparkasse Geld abheben zu wollen. Dabei wusste er, dass er am Bankautomaten kein Geld erlangen konnte. Er wollte den Aufenthalt in der Sparkassenfiliale benutzen, um über seine Situation nachzudenken. Dort verfiel er auf den Gedanken, den Taxifahrer zu einer Stundung zu veranlassen und nahm wieder auf dem Beifahrersitz Platz. Der Angeklagte erklärte ihm, dass er am Geldautomaten kein Geld habe abheben können, und schlug ihm vor, seinen Personalausweis zurückzulassen und den Fahrpreis am nächsten Tag zu bezahlen. Alsbald erschien der Taxifahrer O. am Marktplatz. Z. winkte ihn herbei. Der Angeklagte bat O. , den er kannte, darum, einen anderen Taxifahrer zu benachrichtigen, damit dieser für ihn bürge. Der weitere Taxifahrer war aber nicht erreichbar. O. empfahl darauf seinem Kollegen Z. , mit dem Angeklagten zur Polizei zu fahren, um dessen Personalien feststellen zu lassen; alternativ solle er mit dem Angeklagten zu einer Tankstelle fahren, wo dieser mit der Bankkarte Geld beschaffen solle. Dann entfernte sich O. , weil ein Fahrgast erschien. Z. fuhr los, hielt aber nach wenigen Metern wieder an, um die Situation erneut mit dem Angeklagten zu besprechen. Dieser wollte auf keinen Fall zur Polizei gebracht werden, weil er eine dortige Strafanzeige des Taxifahrers gegen ihn wegen Betrugs befürchtete. Unter dem Einfluss seiner Alkoholisierung geriet er in einen affektiven Erregungszustand. Er zog das Küchenmesser und stach auf Z. ein, wobei er dessen Tod billigend in Kauf nahm. Dieser wurde von dem Angriff überrascht. Bereits der erste Stich traf ihn in den Hals. Weitere Stiche konnte Z. zunächst abwehren, indem er den Arm des Angeklagten packte, der sich aber losriss und ihm weitere Verletzungen zufügte. Z. öffnete die Fahrertür und fiel mit dem Oberkörper rückwärts aus dem Taxi. Der Angeklagte stach auch danach weiter auf ihn ein. Er brachte ihm insgesamt zwanzig Stich- und Schnittverletzungen bei. Z. richtete sich noch einmal neben dem Taxi auf und rief um Hilfe. Der Angeklagte floh deshalb zu Fuß vom Tatort, wo Z. kurz darauf verblutete. Bereits der erste Stich in den Hals hatte ihn tödlich getroffen.
4
Bei der Begehung der Tat war das Hemmungsvermögen des Angeklagten aufgrund eines hochgradigen Affekts erheblich vermindert.
5
2. Das Landgericht hat die Tat als Totschlag gewertet und dazu ausgeführt , der Angeklagte habe Z. zumindest mit bedingtem Tötungsvorsatz getötet. Dies sei aber wegen seiner affektiven Erregung und Alkoholisierung nicht in dem Bewusstsein geschehen, dessen Arg- und Wehrlosigkeit zur Tatbegehung auszunutzen; deshalb sei das Mordmerkmal der Heimtücke nicht erfüllt. Dem Angeklagten sei es auch allein darum gegangen, die Fahrt zur Polizei zu verhindern. Daher sei die Tötung des Taxifahrers nicht aus Habgier erfolgt. Eine Tötung aufgrund der Absicht, eine andere Straftat zu verdecken, habe ebenfalls nicht vorgelegen, weil ihr objektiv kein Betrug vorausgegangen sei; denn der Angeklagte habe sich der Fahrpreisforderung nicht endgültig entziehen wollen. Zudem habe der Angeklagte, der schließlich von dem Zeugen O. erkannt worden sei, seine Identität nicht mehr durch die Tötung des Taxifahrers verdecken können. Ein Mord aus sonst niedrigen Beweggründen sei auszuschließen, weil sich der Angeklagte bei der Tötungshandlung nicht der Umstände bewusst gewesen sei, die seine Beweggründe als niedrig erscheinen lassen.

II.

6
Die Revisionen der Nebenkläger, die auf eine Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes gemäß § 211 Abs. 2 StGB abzielen, sind begründet.
7
1. Die Verneinung eines Mordes zur Verdeckung einer anderen Straftat begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
8
a) Das Landgericht hat mit nicht tragfähiger Begründung eine zu verdeckende Vortat des Betruges verneint.
9
Bereits bei dem Abschluss eines Beförderungsvertrags bei Fahrtantritt hat der Angeklagte den Tatbestand des Betruges erfüllt. Durch Herbeirufen des Taxis und Aufnahme als Fahrgast verpflichtete er sich konkludent dazu, anschließend den bei Fahrtende fälligen Fahrpreis zu zahlen (vgl. BGH, Urteil vom 30. August 1973 – 4 StR 410/73, BGHSt 25, 224, 226). Dabei wusste er, dass er die Forderung nicht sogleich erfüllen konnte, was er wegen des dann noch vorhandenen Raubentschlusses auch nicht vorhatte. Durch Verschweigen dieser Tatsachen lag bei Fahrantritt ein Eingehungsbetrug vor.
10
Die Tatsache, dass der Angeklagte zugleich den Vorsatz zur anschließenden Beraubung des Taxifahrers gefasst hatte, womit er - neben der Beschaffung von Geld für den Amphetaminerwerb - auch der Geltendmachung der Fahrpreisforderung durch den Taxifahrer bei Fahrtende entgehen wollte, ändert ebenfalls nichts an der vorherigen Vollendung eines Eingehungsbetruges. Dieser Vorsatz zu einer späteren Tat mit weitergehendem Ziel schließt den Vorsatz zur Täuschung des Taxifahrers über die fehlende Fähigkeit und Bereitschaft zur Fahrpreiszahlung bei Fahrantritt nicht aus, die Aufgabe dieses Raubvorsatzes während der Fahrt lässt den bei Eingehung des Beförderungsvertrags bereits umgesetzten Betrugsvorsatz nicht nachträglich entfallen.
11
b) Auch die Hilfserwägung des Landgerichts, der Angeklagte habe den Taxifahrer nicht in der Absicht zur Verdeckung des Betruges getötet, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
12
Allerdings scheidet eine Tötung zur Verdeckung einer Straftat aus, wenn diese bereits vollständig aufgedeckt ist und der Täter dies weiß. Es kommt jedoch nicht darauf an, ob die vorangegangene Straftat oder seine Tatbeteiligung daran schon objektiv aufgedeckt waren oder ob objektiv von dem Opfer eine Aufdeckung zu befürchten war, solange der Täter nur meint, zur Verdeckung dieser Straftat den Zeugen töten zu müssen. Auch nach Bekanntwerden der Vortat kann der Täter eines Tötungsverbrechens deshalb noch in Verdeckungsabsicht handeln, wenn er zwar weiß, dass er verdächtigt wird, die genauen Tatumstände aber noch nicht in einem die Strafverfolgung sicherstellenden Umfang aufgedeckt sind. Glaubt er, mit der Tötung eine günstige Beweisposition aufrechterhalten oder seine Lage verbessern zu können, reicht dies für die Annahme von Verdeckungsabsicht aus (vgl. BGH, Urteil vom 1. Februar 2005 – 1 StR 327/04, BGHSt 50, 11, 14; Urteil vom 17. Mai 2011 – 1 StR 50/11, BGHSt 56, 239, 244).
13
Diese Möglichkeit hat das Landgericht nicht lückenlos ausgeschlossen. Der Angeklagte wollte nicht zur Polizei gebracht werden, weil er mit einer dortigen Strafanzeige durch den Taxifahrer Z. wegen Betruges und dabei mit der Aufdeckung der Tat durch den unmittelbaren Tatzeugen rechnete. Dem Vorliegen von Verdeckungsabsicht steht es insoweit nicht unbedingt entgegen, dass seine Anwesenheit im Taxi sowie die aktuelle Zahlungsunfähigkeit auch dem Zeugen O. bekannt geworden war.
14
c) Entgegen der weiteren Annahme des Landgerichts steht auch die psychische Situation des Angeklagten zurzeit des Tatentschlusses zur Tötung des Taxifahrers nicht notwendig der Annahme von Verdeckungsabsicht entgegen. Das Mordmerkmal kann selbst bei einem in einer Augenblickssituation in affektiver Erregung gefassten Tötungsentschluss gegeben sein. Verdeckungsabsicht erfordert nämlich keine Überlegung des Täters im Sinne eines abwägenden Reflektierens über die eigenen Ziele. Es genügt, dass er die „Verdeckungslage“ gleichsam „aufeinen Blick erfasst“ (BGH, Urteil vom 3. Juli 2007 – 1 StR 3/07 Rn. 39, insoweit in BGHSt 51, 367 nicht abgedruckt). Dies hat das Landgericht nicht in einer lückenlosen Gesamtschau aller Umstände erörtert.
15
Der Angeklagte hatte die sich bis zur Tötung des Taxifahrers immer weiter zuspitzende Situation, dass er mit einer bei sofortiger Fälligkeit unerfüllbaren Fahrpreisforderung konfrontiert werden würde, bereits vor dem Entschluss zur Tötung des Taxifahrers vorhergesehen. Es ändert nichts an diesem Befund, dass er den Tatentschluss zur Beraubung des Taxifahrers während der Fahrt aufgegeben hatte. Bei einer Gesamtwürdigung der Umstände wären auch die Phasen des Nachdenkens des Angeklagten über seine Situation in den Blick zu nehmen gewesen. Dies hat das Landgericht versäumt.
16
Hinsichtlich der Auswirkung einer affektiven Erregung auf das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht ist auch zu berücksichtigen, dass eine affektive Erregung bei den meisten Tötungsdelikten den Normalfall darstellt und für Verdeckungstötungen typisch ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat ein solcher Erregungszustand auch aus normativen Gründen im Regelfall keinen Einfluss auf die Verdeckungsabsicht (vgl. BGH, Urteil vom 23. Dezember 1998 – 3 StR 319/98, NJW 1999, 1039, 1041). Dies hat das Landgericht nicht bedacht.
17
d) Dem Vorliegen von Verdeckungsabsicht könnte allerdings die Feststellung des Landgerichts entgegenstehen, dass der Angeklagte „zumindest“ mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt hat. In der Rechtsprechung ist zwar anerkannt, dass auch der mit bedingtem Tötungsvorsatz handelnde Täter in Verdeckungsabsicht handeln kann (vgl. BGH, Urteil vom 23. November 1995 – 1 StR 475/95, BGHSt 41, 358, 359 ff.). Dies ist jedoch nur der Fall, wenn nicht gerade der Tod des Opfers zu dessen Ausschaltung als Zeuge wegen der zu verdeckenden Vortat das Ziel der Handlung ist, sondern die Verdeckungshandlung mit einem anderen Ziel vorgenommen wird, wobei der Täter die Möglichkeit des Todes des Opfers in Betracht zieht und billigend in Kauf nimmt (vgl. Senat, Beschluss vom 4. August 2010 – 2 StR 239/10, NStZ 2011, 34). Besteht die Möglichkeit einer Verdeckung von Tat oder Täterschaft aus der Sicht des Täters allein in der Beseitigung dieses Zeugen, kann Verdeckungsabsicht nur bei absichtlicher Tötung des Opfers angenommen werden.
18
Das Landgericht hat aber lediglich bedingten Tötungsvorsatz von fahrlässigem Handeln abgegrenzt. Es hat nicht erklärt, warum es nicht von Tötungsabsicht ausgegangen ist. Diese kommt in Betracht, weil der Angeklagte den Taxifahrer mit einem für diesen überraschenden ersten Stich in den Hals getroffen hat, der schon für sich genommen tödlich wirkte. Auch die Zahl der weiteren Tathandlungen und deren Fortsetzung trotz der anschließenden Abwehrreaktion des Opfers und dessen Hinausfallen aus der geöffneten Fahrertür spricht für direkten Tötungsvorsatz. Die Alkoholisierung und affektive Erregung des Angeklagten könnten dagegen sprechen. Jedoch hat das Landgericht die Gesamtumstände nicht abgewogen.
19
2. Auch die Ablehnung eines heimtückisch begangenen Mordes gemäß § 211 Abs. 2 StGB ist rechtlich zu beanstanden.
20
Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die objektiven Voraussetzungen des Mordmerkmals gegeben sind. Seine Überlegungen dazu, dass dem Angeklagten die Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers zur Begehung der Tötung nicht bewusst gewesen sei, erweisen sich als lückenhaft.
21
Für das im Rahmen des Mordmerkmals der Heimtücke erforderliche Bewusstsein der Ausnutzung von Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers genügt es, wenn der Täter diese Umstände in dem Sinn erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen. Das gilt im Einzelfall selbst dann, wenn der Täter die Tat einer raschen Eingebung folgend begangen hat. Anders kann es zwar bei affektiven Durchbrüchen liegen. Für die Annahme der subjektiven Seite des Heimtückemords kommt es aber nicht auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB an, sondern darauf, welche tatsächlichen Auswirkungen die affektive Erregung auf die Erkenntnisfähigkeit des Angeklagten in der Tatsituation und auf sein Bewusstsein hatte (vgl. Senat, Urteil vom 30. April 2003 – 2 StR 503/02, NStZ 2003, 535 f.). Das bedarf einer genauen Prüfung anhand aller Umstände des Einzelfalls.
22
Auch insoweit bleiben die Erörterungen des Landgerichts im Urteil lückenhaft. Es hat in seine Prüfung nicht erkennbar einbezogen, dass der Angeklagte das Messer zunächst mitgeführt hatte, um den Taxifahrer überraschend zu berauben. Wenngleich der Angeklagte den Gedanken an einen Raub zurzeit der Tötungshandlungen aufgegeben hatte, war doch seine Überlegung , den Geschädigten mit dem Einsatz des Messers zu überraschen, bereits vor seinem Tatentschluss zur Tötung des Taxifahrers vorhanden gewesen. Dies hätte als Indiz für ein Ausnutzungsbewusstsein im Sinne des Mordmerkmals berücksichtigt werden müssen. Auch wäre zu beachten gewesen, dass die zurzeit der Tötungshandlung vorliegende Konfrontation mit der aktuell unerfüll- baren Fahrpreisforderung sich bis zum Tatentschluss zur Tötung des Taxifahrers zugespitzt hatte und von Anfang an vorhersehbar war.
23
3. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Sollte der neue Tatrichter wieder eine Tötung in Verdeckungsabsicht verneinen, wird er die Handlungsantriebe des Angeklagten genauer als bisher auch unter dem Blickwinkel sonst niedriger Beweggründe zu prüfen haben.
Krehl Eschelbach Zeng Richterin am BGH Dr. Bartel ist an der Unterschriftsleistung gehindert. Krehl Grube

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 580/17
vom
4. Juli 2018
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:040718U5STR580.17.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 4. Juli 2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Sander, Dr. Berger. Prof. Dr. Mosbacher, Köhler als beisitzende Richter,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwältin A. als Verteidigerin,
Rechtsanwalt H. als Vertreter des Nebenklägers K. ,
Rechtsanwalt W. als Vertreter der Nebenklägerin Ha. ,
Amtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 29. Mai 2017 mit Ausnahme der Feststellungen zu den äußeren Tatgeschehen aufgehoben.
2. Auf die Revision der Nebenklägerin wird das genannte Urteil mit den zugehörigen Feststellungen betreffend Tat 1 der Urteilsgründe und im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben; ausgenommen sind die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen.
3. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen wenden sich der Angeklagte und die Neben- klägerin mit ihren auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revisionen. Der Angeklagte beanstandet zudem das Verfahren. Beide Rechtsmittel haben mit der Sachrüge im tenorierten Umfang Erfolg.

I.


1. Nach den Feststellungen des Landgerichts wartete der Angeklagte am
2
Vormittag des 19. September 2016 vor der Dienstzimmertür der Nebenklägerin Ha. im Bezirksamt N. auf eine Gelegenheit, deren Zimmer zu betreten und die Nebenklägerin mit einem Kampfmesser zu töten, das er in einem Rucksack mitsichführte. Die Nebenklägerin, die deutsch mit russischem Akzent spricht, war die für den Angeklagten zuständige Mitarbeiterin der Abteilung Sozialangelegenheiten. Sie war mit Anträgen des Angeklagten auf Zuweisung eines Einzelzimmers in einer Wohnungsloseneinrichtung befasst. Einige Tage zuvor hatte sie ihm mitgeteilt, dass sie bislang keinen Erfolg bei der Suche nach einem Einzelzimmer für ihn gehabt habe.
Als die Nebenklägerin ihre Zimmertür öffnete, trat der Angeklagte an sie
3
heran und führte mit dem Messer einen wuchtigen Hieb in Richtung ihres Halses aus. Er verfehlte sein Ziel jedoch, möglicherweise weil er nicht so schnell mit einer Gelegenheit zum Angriff auf die Nebenklägerin gerechnet und sich noch nicht vollständig auf die Tatausführung eingestellt hatte, und versetzte der Nebenklägerin stattdessen mit der Hand oder dem Messer lediglich einen kräftigen Stoß gegen die linke Schulter.
Verfolgt vom Angeklagten, der ihr tödliche Stiche zufügen wollte, floh die
4
Nebenklägerin in einen angrenzenden Büroraum. Dort stach der Angeklagte mit bedingtem Tötungsvorsatz auf den Behördenmitarbeiter S. ein, der sich ihm in den Weg gestellt hatte, und fügte ihm eine 3 cm tiefe und 7 cm lange Verletzung am Oberkörper zu. Da der Angeklagte die Nebenklägerin nicht mehr erblicken konnte, wandte er sich zur Flucht. Im Treppenhaus begegnete er zwei herbeieilenden Wachmännern. Dem spontanen Entschluss folgend, auch den Sicherheitsdienstmitarbeiter K. zu töten, schlug er mit dem Messer auf diesen ein und verletzte ihn am rechten Unterarm. K. flüchtete, ohne dass der Angeklagte ihm nachsetzte.
5
2. Bei diesen Taten handelte der Angeklagte nach Einschätzung des sachverständig beratenen Landgerichts infolge einer bei ihm bestehenden wahnhaften Störung jeweils im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit. Die Wahrnehmung des Angeklagten sei in krankheitswertiger, wahnhaft übersteigerter Weise durch eine Abneigung gegen Ausländer und dadurch stark eingeengt gewesen, dass er sich durch den Staat vernachlässigt und benachteiligt fühlte. Bei dem Angriff auf die Nebenklägerin habe er wahnhaft ange- nommen, diese sei „keine Deutsche und (habe) sich nicht genügend um seine Wohnsituation gekümmert“. Wahnbedingt habe sich der Angeklagte von der Nebenklägerin getäuscht und benachteiligt gefühlt und angenommen, sie als vermeintliche Ausländerin habe ihm schaden wollen. Daher sei er in seinem Wahnsystem davon ausgegangen, sie bestrafen zu müssen.
3. Das Landgericht hat die Taten zum Nachteil des Geschädigten
6
S. (Tat 2) und des Nebenklägers K. (Tat 3) rechtlich jeweils als gefährliche Körperverletzung und die Tat zum Nachteil der Nebenklägerin Ha. (Tat 1) als versuchten Totschlag gewürdigt. Die Mordmerkmale der sonstigen niedrigen Beweggründe und der Heimtücke hat es nicht als erfüllt angesehen. Ausländerhass sowie Wut und Verärgerung über seine Wohnsituation und die mangelnde Abhilfe durch die Nebenklägerin seien zwar aus objektiver Sicht als niedrig einzustufen, jedoch habe dem Angeklagten infolge der bei ihm bestehenden wahnhaften Störung die Fähigkeit gefehlt, diese Antriebe zutreffend zu bewerten. Für das Mordmerkmal der Heimtücke fehle es am erforderlichen Ausnutzungsbewusstsein. Der Angeklagte sei von der sich ihm bietenden Gelegenheit zum Angriff auf die Nebenklägerin überrascht gewesen und habe deren Arg- und Wehrlosigkeit nicht in sein Bewusstsein aufgenommen.

II.


7
Die Revision des Angeklagten führt auf die Sachrüge hin zur Aufhebung des Urteils im tenorierten Umfang.
8
1. Die erhobene Verfahrensbeanstandung hat aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Erfolg.
2. Die Annahme verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB), die den An9 geklagten im Hinblick auf die angeordnete Unterbringung nach § 63 StGB beschwert , hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Urteilsgründe belegen nicht, dass der Angeklagte bei Begehung der Taten infolge einer wahnhaften Störung in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt war.

a) Die Annahme verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) setzt voraus,
10
dass die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten infolge eines den Eingangsmerkmalen des § 20 StGB zuzuordnenden psychischen Defekts erheblich vermindert war. Wahnhafte Störungen können sich zwar bei akuten psychotischen Phasen erheblich auf die Schuldfähig- keit – insbesondere das Einsichtsvermögen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. Dezember 2013 – 2 StR 534/13; vom 16. Mai 2012 – 3 StR 33/12) – auswirken ; standen Tatmotiv und -handlung aber nicht in einer direkten Beziehung zum Wahnthema, ist allein aus der Diagnose einer wahnhaften Störung regelmäßig noch keine Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit herzuleiten (BGH, Urteil vom 25. Februar 2015 – 2 StR 495/13).
11
Um die revisionsgerichtliche Nachprüfung dieser Voraussetzungen zu ermöglichen, hat das Tatgericht die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Schlussfolgerungen des psychiatrischen Sachverständigen mitzuteilen und sich erkennbar selbst mit ihnen auseinanderzusetzen. Erforderlich ist insoweit insbesondere stets eine konkretisierende Darstellung, in welcher Weise sich die näher festgestellte psychische Störung auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf seine Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (vgl. BGH, Urteil vom 9. August 2017 – 1 StR 63/17; Beschluss vom 16. März 2017 – 4 StR 11/17).

b) Diesen Anforderungen werden die Urteilgründe nicht gerecht.
12
aa) Auf der Grundlage der Ausführungen der Schwurgerichtskammer
13
kann der Senat schon die Diagnose einer im Sinne des § 21 StGB relevanten wahnhaften Störung nicht nachvollziehen, da die zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen und Schlussfolgerungen des Sachverständigen unzureichend dargestellt sind.
So nimmt das Landgericht im Rahmen seiner Schuldfähigkeitsprüfung
14
bei der Schilderung der Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen Bezug auf Konflikte des Angeklagten in der Vergangenheit, die auf eine wahnhafte Verarbeitung zwischenmenschlicher Interaktionen hindeuteten. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit diesen Vorkommnissen, die das Landgericht – ohne hierzu Einzelheiten zu schildern – lediglich in den Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen mitteilt, fehlt jedoch ebenso wie nähere Darlegungen zu der sachverständigen Wertung, hierin komme eine krankheitswertige Störung zum Ausdruck. Unabhängig von der Frage, unter welchen Umständen Ausländerhass als wahnhafte Störung gewertet oder zu einer solchen beitragen kann, sind weder die lediglich schlaglichthaft angeführte „negative Einstellung“ des Angeklagten zu „Ausländern“ noch die Gesichtspunkte, dass der Angeklagte in seiner polizeilichen Beschuldigtenvernehmung einen verwirrten Eindruck gemacht, sich verärgert über die Nebenklägerin Ha. gezeigt und die Verantwortung für seine Lebenssituation auf andere abgeschoben habe (UA S. 20) – selbst in der Zusammenschau – geeignet, die Diagnose einer wahnhaften Störung, der für die Beurteilung der Schuldfähigkeit Bedeutung zukommt, zu belegen (vgl. auch BGH, Urteil vom 11. November 2015 – 5 StR 259/15).
bb) Die Urteilsgründe lassen auch nicht ausreichend erkennen, dass die
15
Begehung der drei Taten auch auf die beim Angeklagten festgestellte wahnhafte Störung zurückzuführen ist.
Schon für Tat 1 fehlt eine konkret auf die Tatsituation bezogene Begrün16 dung dafür, dass der Angeklagte der Nebenklägerin nicht lediglich aus Verärgerung über ihr Verhalten ihm gegenüber – ohne maßgeblichen Einfluss wahnhafter Vorstellungen – nach dem Leben trachtete. Die bloße Feststellung, der Angeklagte habe im Wahn gehandelt (UA S. 7 unten), in der Nebenklägerin seien „beide wahnbesetzten Themen zusammengekommen“ (UAS. 16 und 22) und
der Angeklagte sei der Auffassung gewesen, sie bestrafen zu „müssen“ (UA S. 22 oben), genügt den genannten Darstellungsanforderungen nicht. Für die Taten 2 und 3 mangelt es an jeglicher Erörterung dazu, inwiefern sich die angenommene Wahnstörung beim Vorgehen des Angeklagten gegen den weiteren Behördenmitarbeiter S. (Tat 2) und sodann gegen den Wachmann K. (Tat 3) auf dessen Schuldfähigkeit ausgewirkt hat. Hinweise auf psychotische Situationsverkennungen sind in den Urteilsfeststellungen zu diesen Geschehen nicht vorhanden.
17
3. Da der Senat nicht gänzlich ausschließen kann, dass in einer neuen Hauptverhandlung weitere Feststellungen getroffen werden, die eine Schuldunfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten belegen, hat auch der Schuldspruch keinen Bestand. Die aufgezeigten Mängel führen zur Aufhebung der getroffenen Feststellungen. Von der Aufhebung nicht betroffen (vgl. § 353 Abs. 2 StPO) sind indes die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Geschehen der Taten. Das neue Tatgericht kann – naheliegend unter Heranziehung eines anderen psychiatrischen Sachverständigen – ergänzende, hierzu nicht in Widerspruch tretende Feststellungen treffen.

III.


18
Die Revision der Nebenklägerin hat ebenfalls Erfolg. Der Schuldspruch des Angeklagten wegen versuchten Totschlags (Tat 1) hält rechtlicher Prüfung nicht stand, da die Schwurgerichtskammer das Vorliegen von Mordmerkmalen nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen hat.
1. Das Rechtsmittel ist zulässig erhoben. Die Revisionsbegründung der
19
Nebenklägerin lässt – trotz des irreführenden (Haupt-)Antrags dahin, das angefochtene Urteil „im Rechtsfolgenausspruch“ aufzuheben – insbesondere aufgrund der Sachausführungen eindeutig erkennen, dass mit der Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Mordes anstelle des für Tat 1 erfolgten Schuldspruchs wegen versuchten Totschlags ein im Rahmen der durch § 400 Abs. 1 StPO beschränkten Rechtsmittelbefugnis der Nebenklage statthaftes Rechtsmittelziel verfolgt wird (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2018 – 1 StR 351/17 mwN).
20
2. Die Schwurgerichtskammer hat das Vorliegen der Mordmerkmale der niedrigen Beweggründe und der Heimtücke nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen.
21
a) Ausgerichtet an den Maßstäben der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2018 – 1 StR 351/17 mwN) hat das Landgericht die festgestellten handlungsleitenden Tötungsmotive des Angeklagten bei der Begehung von Tat 1 – nämlich „Ausländerhass“ sowie „Wut und Verärgerung über seine Wohnsituation“ – in objektiver Hinsicht rechtsfehlerfrei als niedrig bewertet. Mit der Begründung, dem Angeklagten habe bei seinem Handeln aus wahnhaften Motiven – insbesondere habe er sich von der Nebenklägerin getäuscht und benachteiligt gefühlt – die Fähigkeit gefehlt, diese Tatantriebe zutreffend zu bewerten, hat es jedoch insoweit die subjektiven Voraussetzungen für nicht gegeben erachtet.
Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die oben darge22 legten Fehler bei der Schuldfähigkeitsprüfung (vgl. oben II.2) wirken sich dahin
aus, dass die mit dem beim Angeklagten bestehenden „Wahnsystem“ begründete Verneinung eines Handelns aus niedrigen Beweggründen keinen Bestand haben kann.

b) Die Verneinung heimtückischer Tatbegehung ist ebenfalls nicht trag23 fähig begründet. Die Beweiswürdigung der Schwurgerichtskammer zum fehlenden Ausnutzungsbewusstsein des Angeklagten hält – auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 12. April 2018 – 4 StR 336/17 mwN) – rechtlicher Prüfung nicht stand. Sie weist eine Lücke auf und ist widersprüchlich.
24
Für das Vorliegen von Ausnutzungsbewusstsein genügt es, wenn der Täter die die Heimtücke begründenden Umstände nicht nur in einer äußerlichen Weise wahrgenommen, sondern in dem Sinne in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst hat, dass ihm bewusst geworden ist, einen durch seine Arglosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 15. November 2017 – 5 StR 338/17, NStZ-RR 2018, 45, 47 mwN). Das Ausnutzungsbewusstsein kann bereits dem objektiven Bild des Geschehens entnommen werden, wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter auf der Hand liegt (BGH, Beschluss vom 30. Juli 2013 – 2 StR 5/13, NStZ 2013, 709, 710).
25
Die Schwurgerichtskammer hat sich hier nicht vom Vorliegen eines Ausnutzungsbewusstseins des Angeklagten zu überzeugen vermocht, weil sie nicht hat ausschließen können, dass sich für den Angeklagten vor dem Dienstzimmer der Nebenklägerin früher, als von ihm erwartet, und damit überraschend die Gelegenheit zur Tat bot. Daher geht sie davon aus, dass der Angeklagte eine Erleichterung seines Angriffs durch die Arg- und Wehrlosigkeit der Nebenklägerin nicht in sein Bewusstsein aufgenommen hatte. Hierfür spreche, dass der Angeklagte das Messer noch habe aus dem Rucksack nehmen müssen und der Angriff „wenig erfolgreich“ verlaufen sei.
26
aa) Diese Würdigung ist lückenhaft. Die Schwurgerichtskammer hat bei ihrer Beweiswürdigung die Planung der Tat durch den Angeklagten nicht erkennbar in den Blick genommen. Nach den Feststellungen betrat der Angeklagte am Tattag das Dienstgebäude des Bezirksamts N. bewaffnet mit einem Kampfmesser zu dem Zweck, der Nebenklägerin vor ihrem Dienstzimmer aufzulauern und sie bei einer sich bietenden Gelegenheit zu töten. Bestandteil dieses Vorhabens war ersichtlich, dass die Nebenklägerin in ihrer Arbeitsumgebung nicht mit einem Messerangriff auf ihr Leben rechnen würde und sich infolgedessen nicht effektiv hiergegen würde wehren können.
Zutreffend weist die Schwurgerichtskammer zwar darauf hin, dass Aus27 nutzungsbewusstsein weder längere Überlegung noch planvolles Vorgehen voraussetzt. Jedoch hätte die Erwägung des Landgerichts, es spreche gegen ein Ausnutzungsbewusstsein des Angeklagten, dass sich ihm die Gelegenheit zur Tat gleichsam überraschend geboten habe, im Kontext des vom Angeklagten zuvor gefassten und sodann auch verwirklichten Tatplans gewürdigt werden müssen. Mit der von Beginn an auf ein heimtückisches Vorgehen abzielenden Tatplanung des Angeklagten und dem Umstand, dass er sodann entsprechend dieser Planung gegen die Nebenklägerin vorging, hätte sich das Landgericht auseinandersetzen müssen (vgl. BGH, Urteile vom 15. November 2017 – 5 StR 338/17, NStZ-RR 2018, 45 Rn. 15 aE; vom 7. Juni 2017 – 2StR 474/16, NStZ 2018, 93, 94 f.). Der Umstand, dass der Angeklagte im
öffentlich zugänglichen Bereich des Bezirksamts nicht mit schon gezogenem Messer auf die Nebenklägerin wartete, sowie das Scheitern des Tötungsvorhabens sprechen nicht gegen ein Ausnutzungsbewusstsein des Angeklagten bei Ausführung der Tat.
28
bb) Schließlich steht die Beweiswürdigung zum Ausnutzungsbewusstsein in Widerspruch zu der im Rahmen der Verneinung aufgehobener Schuldfähigkeit angeführten Erwägung, der Angeklagte sei bei den Taten in der Lage gewesen , situationsadäquat zu handeln und die „günstige Gelegenheit“ zu nutzen (UA S. 22, 3. Absatz). Denn „situationsadäquat“ im Sinne des vom Angeklagten gefassten Tatplans war der sofortige, für die Nebenklägerin überraschende Angriff. Die Gelegenheit hierzu war deshalb „günstig“, weil der Angeklagte den Angriff tatplangemäß unter Nutzung dieses Überraschungsmoments ausführen konnte.
3. Die Rechtsfehler führen zur Aufhebung des Schuldspruchs im Fall 1
29
der Urteilsgründe und des Gesamtstrafenausspruchs. Die vom Rechtsfehler nicht betroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO) und um solche ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen.
Mutzbauer Sander Berger
Mosbacher Köhler

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 S t R 1 4 7 / 1 4
vom
31. Juli 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 31. Juli 2014,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer,
Bender,
Dr. Quentin,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin T. ,
Rechtsanwältin
als Vertreterin des Nebenklägers L. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 21. November 2013 werden verworfen. 2. Die Rechtsmittelführer haben die Kosten ihrer Revisionen zu tragen. Ferner werden dem Angeklagten die durch sein Rechtsmittel verursachten notwendigen Auslagen der Nebenkläger auferlegt. Die Staatskasse hat auch die durch das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft verursachten notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags in Tateinheit mit vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt sowie Maßregeln nach §§ 69, 69a StGB angeordnet. Gegen das Urteil richten sich die Rechtsmittel des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft jeweils mit der Sachrüge. Sie haben keinen Erfolg.

I.


2
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen fuhr der Angeklagte am 17. Januar 2013 mit dem von ihm gesteuerten Pkw mit mindestens 90 km/h gegen einen Baum, um sich selbst zu töten. Hierbei nahm er billigend in Kauf, dass seine Ehefrau, die neben ihm in dem Fahrzeug saß, an den Folgen der Kollision versterben könnte. Während der Angeklagte schwer verletzt überlebte, verstarb seine Ehefrau kurze Zeit später an den bei dem Aufprall erlittenen Verletzungen.
3
Das Landgericht hat den Sachverhalt als Totschlag in Tateinheit mit vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr bewertet. Es ist der Auffassung , dass das Mordmerkmal der Heimtücke nicht vorliege, da Zweifel daran bestünden, dass der Angeklagte die objektiv gegebene Arg- und Wehrlosigkeit seiner Ehefrau bewusst zur Tatbegehung ausgenutzt habe. Denn er habe nicht ausschließbar den Tatentschluss in einer psychischen Ausnahmesituation spontan gefasst. Niedrige Beweggründe seien nicht gegeben, weil der Angeklagte - jedenfalls nicht ausschließbar - aus Verzweiflung über seine Lebenssituation (u.a. vieljährige Arbeitslosigkeit, finanzielle Probleme) und aus Angst vor einer endgültigen Trennung von seiner von ihm geliebten Ehefrau, der drohenden Trennung von seinen Kindern und dem Verlust des ihm seit vielen Jahren vertrauten Familienlebens gehandelt habe.

II.


4
Das Rechtsmittel des Angeklagten hat keinen Erfolg.
5
Insbesondere weist die Beweiswürdigung zum Vorsatz des Angeklagten hinsichtlich der Tötung seiner Ehefrau keinen Rechtsfehler auf. Auch ein Verstoß gegen den in-dubio-Grundsatz liegt aus den vom Generalbundesanwalt in der Antragsschrift vom 16. Mai 2014 dargelegten Gründen nicht vor.

III.


6
Der vom Generalbundesanwalt nicht vertretenen Revision der Staatsanwaltschaft , die eine Verurteilung des Angeklagten wegen - heimtückischen - Mordes erstrebt, bleibt der Erfolg ebenfalls versagt. Ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts in der Zuschrift vom 16. Mai 2014 bemerkt der Senat:
7
a) Für das bewusste Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit genügt es, dass der Täter diese in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 12. Februar 2009 - 4 StR 529/08, NStZ 2009, 264; vom 19. Oktober 2011 - 1 StR 273/11 [juris Rn. 24]; vom 11. Dezember 2012 - 5 StR 438/12, NStZ 2013, 232, 233). Dieses Ausnutzungsbewusstsein kann bereits aus dem objektiven Bild des Geschehens entnommen werden, wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter auf der Hand liegt (BGH, Beschluss vom 30. Juli 2013 - 2 StR 5/13, NStZ 2013, 709, 710). Das gilt in objektiv klaren Fällen bei einem psychisch normal disponierten Täter selbst dann, wenn er die Tat einer raschen Eingebung folgend begangen hat (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 2008 - 5 StR 189/08, NStZ 2009, 30, 31). Denn bei erhaltener Einsichtsfähigkeit ist die Fähigkeit des Täters, die Tatsituation in ihrem Bedeutungsgehalt für das Opfer realistisch wahrzunehmen und einzuschätzen, im Regelfall nicht beeinträchtigt (BGH, Urteile vom 27. Februar 2008 - 2 StR 603/07, NStZ 2008, 510, 511 f.; vom 10. Februar 2010 - 2 StR 391/09, NStZ-RR 2010, 175, 176; Beschluss vom 24. November 2009 - 1 StR 520/09, StV 2010, 287, 289 jeweils mwN).
8
Anders kann es jedoch bei "Augenblickstaten", insbesondere bei affektiven Durchbrüchen oder sonstigen heftigen Gemütsbewegungen sein (BGH, Urteil vom 17. September 2008 - 5 StR 189/08, NStZ 2009, 30, 31). Wenn auch nicht jeder dieser Zustände einen Täter daran hindert, die Bedeutung der Argund Wehrlosigkeit des Opfers für die Tatbegehung zu erkennen, so kann doch insbesondere die Spontanität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das Ausnutzungsbewusstsein gefehlt hat (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2012 - 5 StR 438/12, NStZ 2013, 232, 233; Beschlüsse vom 29. November 2011 - 3 StR 326/11, NStZ 2012, 270, 271; vom 4. Mai 2011 - 5 StR 65/11, NStZ 2011, 634; vom 24. April 2012 - 5 StR 95/12, NStZ 2012, 693, 694 jeweils mwN).
9
Hierbei handelt es sich um eine vom Tatgericht zu bewertende Tatfrage (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2012 - 5 StR 438/12, NStZ 2013, 232, 233; Beschluss vom 4. Mai 2011 - 5 StR 65/11, NStZ 2011, 634, 635 jeweils mwN).
10
b) Daran gemessen ist die Ablehnung des Mordmerkmals der Heimtücke durch das Landgericht aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
11
Das Schwurgericht hat nicht verkannt, dass nach der Rechtsprechung allein auf Grund der von ihm zugunsten des Angeklagten angenommenen erheblichen Einschränkung des Steuerungsvermögens nicht ohne Weiteres auf das Fehlen des Ausnutzungsbewusstseins geschlossen werden darf (vgl. BGH, Urteil vom 27. Februar 2008 - 2 StR 603/07, NStZ 2008, 510; Beschluss vom 4. Mai 2011 - 5 StR 65/11, NStZ 2011, 634 mwN). Wenn es aber gleichwohl angesichts der besonderen äußeren und inneren Umstände der Tat unter Berücksichtigung des Vor- sowie des Nachtatgeschehens eine sichere Überzeugung vom Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen der Heimtücke nicht zu gewinnen vermochte, so hält sich dies im Rahmen der dem Tatrichter vorbehaltenen Würdigung und ist vom Revisionsgericht hinzunehmen.
12
Auch zeigt die Revision der Staatsanwaltschaft keine durchgreifenden Lücken, Widersprüche oder sonstige Rechtsfehler in der tatrichterlichen Beweiswürdigung auf. Richtig ist zwar, dass der Zweifelssatz nicht bedeutet, dass das Gericht von der dem Angeklagten jeweils (denkbar) günstigsten Fallgestaltung auch dann ausgehen muss, wenn hierfür keine Anhaltspunkte bestehen. Vorliegend bestand aber für das Landgericht selbst nach Ausschöpfung aller Aufklärungsmöglichkeiten die Möglichkeit, dass entweder ein das Ausnutzungsbewusstsein nicht in Frage stellender "Bilanzselbstmord" oder aber eine spontane, ungeplante Umsetzung latent vorhandener Suizidabsichten gegeben war, die zu einer psychischen Ausnahmesituation mit einer "ausgeprägten Einengung des Bewusstseinsinhalts" (UA S. 48) und damit zum Fehlen des Ausnutzungsbewusstseins geführt hat. Überzogene Anforderungen an die Überzeugungsbildung hat das Landgericht dabei nicht gestellt. Vielmehr ist es rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass es der Zweifelssatz in einem solchen Fall gebietet, von der für den Angeklagten günstigeren Konstellation auszugehen (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Mai 2001 - 2 StR 123/01, StV 2001, 666,

667).


13
Ebenso wenig ist es aus Rechtsgründen zu beanstanden, dass das Schwurgericht einerseits davon ausgegangen ist, dass der Angeklagte wusste, dass sich seine Ehefrau neben ihm in dem Fahrzeug befand und er deren Tod billigend in Kauf nahm sowie ihre Gefährdung sogar beabsichtigte, es aber andererseits angenommen hat, der Angeklagte habe deren Arg- und Wehrlosigkeit bei der Tatbegehung nicht bewusst ausgenutzt. Hierin liegt insbesondere kein zu einem Rechtsfehler führender Widerspruch, sondern die vom Tatrichter zu verantwortende Schlussfolgerung, dass der Angeklagte zu Wahrnehmungen zwar fähig war und er aufgrund dieser eine Entscheidung (billigendes Inkaufnehmen des Todes) traf, ihm eine darüber hinausgehende "Bedeutungskenntnis" aber gefehlt hat und er sich infolgedessen nicht bewusst gewesen ist, die Arg- und Wehrlosigkeit seines Opfers auszunutzen (vgl. BGH, Urteil vom 13. August 1997 - 3 StR 189/97, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 26).
Sost-Scheible Roggenbuck Mutzbauer Bender Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 433/14
vom
29. Januar 2015
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 29. Januar
2015, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Franke,
Bender,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt und
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 23. April 2014 werden verworfen.
2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Nebenkläger hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die hierdurch dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr sowie wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und drei Monaten verurteilt. Ferner hat es die Entziehung der Fahrerlaubnis, die Einziehung des Führerscheins und eine Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis von drei Jahren angeordnet. Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten mit der Sachrüge; der Angeklagte macht ferner die Verletzung formellen Rechts geltend. Keines der Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
Am 22. Mai 2013 traf der Angeklagte kurz nach 13 Uhr auf der Straße den späteren Geschädigten M. , der drei Monate zuvor versucht hatte, in dem vom Vater des Angeklagten betriebenen Lebensmittelgeschäft eine Flasche Wodka zu stehlen. Der Angeklagte, der damals in dem Lebensmittelgeschäft an der Kasse tätig war, und M. , dem nach dem Diebstahlsversuch die Flucht gelungen war, erkannten einander wieder. Der Angeklagte fasste M. an den Schultern und forderte ihn auf, stehen zu bleiben bis die Polizei eintreffe. Der Geschädigte empfand die Situation als bedrohlich ; er stieß den Angeklagten zurück und entfernte sich rasch. Daraufhin stieg der unter einer „starken affektiven Anspannung“ stehende Angeklagte in seinen Pkw, um M. zu folgen; er wollte ihn nicht (erneut) entkommen lassen und fuhr in die Richtung los, in die sich M. entfernt hatte. Kurze Zeit später sah er den auf dem rechten Bürgersteig in Fahrtrichtung des Angeklagten gehenden M. , der zu diesem Zeitpunkt Ohrhörer trug und nicht mehr mit einem Auftauchen und einem Angriff seitens des Angeklagten rechnete. Als der Angeklagte den Geschädigten erkannte, entschloss er sich spontan, ihm einen „Denkzettel“ zu verpassen; er wollte M. anfahren, um ihn „für den Ladendiebstahl zur Rechenschaft zu ziehen“. Der Angeklagte lenkte sein Fahrzeug auf den Gehsteig, wo er M. mit einer Geschwindigkeit von ca. 40 km/h von hinten erfasste. Dem Angeklagten war dabei bewusst, dass der Geschädigte sich bei diesem Vorgehen verletzen und möglicherweise zu Tode kommen könnte; damit fand er sich ab. Er bezog jedoch – schon aufgrund der Schnelligkeit des Geschehens – nicht in seine Überlegungen ein, dass der ihm den Rücken zuwendende Geschädigte dem Angriff gegenüber arg- und wehrlos war. M. wurde durch den Anstoß in den Kniekehlen getroffen, prallte auf die Motorhaube und die Windschutzscheibe des Fahrzeugs, schlug dort mit dem Kopf auf und wurde schließlich nach rechts in eine Böschung geschleudert. Er erlitt hierdurch unter anderem eine Kalottenfraktur und eine Hirnblutung, die zwar abstrakt, jedoch nicht konkret lebensbedrohlich waren.
4
Nach der Kollision kam der Pkw des Angeklagten zunächst annähernd oder ganz zum Stillstand, bevor der Angeklagte beschleunigte und zum Geschäft seines Vaters fuhr. Die Entfernung zwischen dem Ort der ersten Begegnung des Angeklagten und M. und dem Kollisionsort betrug etwa 350 m.
5
2. Das Schwurgericht hat das Anfahren des Geschädigten als versuchten Totschlag (§ 212 Abs. 1, §§ 22, 23 StGB) in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 5 StGB) und mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3, § 315 Abs. 3 Nr. 1a StGB) gewertet. Hingegen liege kein versuchter Mord vor; niedrige Beweggründe seien schon objektiv nicht gegeben, an einer heimtückischen Tötung fehle es aus subjektiven Gründen. Das Weiterfahren nach der Kollision erfülle den Tatbestand des unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142 Abs. 1 StGB).

II.


6
Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg.
7
1. Es begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass das Schwurgericht den Angeklagten nicht – wie von der Staatsanwaltschaft mit ihrem Rechtsmittel erstrebt – wegen eines heimtückisch begangenen Mordversuchs verurteilt hat. Die hierzu vom Schwurgericht getroffenen Feststellungen und die diesen zugrunde liegende Beweiswürdigung weisen – entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft – keinen Rechtsfehler auf.
8
a) Insbesondere liegen – worauf auch der Generalbundesanwalt zutreffend verweist – keine widersprüchlichen Feststellungen vor.
9
Denn der Angeklagte, der zunächst den Geschädigten aufgefordert hatte stehen zu bleiben und bis zum Eintreffen der Polizei zu warten, beabsichtigte bei Aufnahme der Fahrt zunächst nur, den Geschädigten nicht entkommen zu lassen, sondern ihn zu stellen und für den Ladendiebstahl zur Rechenschaft zu ziehen. Einen Willen, den Geschädigten zu verletzen oder gar zu töten, hat das Schwurgericht für diesen Zeitraum (ausdrücklich) nicht festgestellt. Wenn es sodann ausführt, dass der Angeklagte im Zeitpunkt des Erkennens des Ge- schädigten auf dem Gehsteig den Entschluss fasste, diesem einen „Denkzettel“ zu verpassen und anzufahren, um ihn „in dieserForm für den Ladendiebstahl zur Rechenschaft zu ziehen“, so liegt darin im Hinblick auf die vielfältigen Mög- lichkeiten, jemanden zur Rechenschaft zu ziehen, kein Widerspruch zu den vorherigen Feststellungen.
10
b) Auch die Beweiswürdigung des Schwurgerichts hält revisionsgerichtlicher Überprüfung stand.
11
aa) Die Annahme einer „starken affektiven Erregung“ des Angeklagten zur Tatzeit hat die Strafkammer hinreichend mit Tatsachen belegt.
12
Denn sie übernimmt hierzu ersichtlich die Ausführungen des psychiatri- schen Sachverständigen zu der von diesem als „nachvollziehbar“ bezeichneten affektiven Anspannung des Angeklagten aufgrund des vorangegangenen Konflikts mit dem Nebenkläger sowie der starken Identifikation des Angeklagten mit seiner Familie und der hohen Wertigkeit der Tätigkeit in dem Lebensmittelgeschäft seines Vaters für den Angeklagten. Es ist ferner durch Zeugenvernehmungen im Zusammenhang mit anderen Ladendiebstählen in der Vergangenheit zu der Überzeugung gelangt, dass dem Angeklagten übertriebene Reaktionen auf solche Taten – auch mit verbal und körperlich aggressivem Verhalten – „nicht wesensfremd“ sind. Schließlich hat das Schwurgericht in Bezug auf die psychische Verfassung des Angeklagten bei dem Tötungsversuch auch bedacht , dass es nach der kurz zuvor handgreiflich verlaufenen offenen Konfrontation zwischen dem Angeklagten und dem Geschädigten diesem (erneut) gelungen war, zu fliehen. Damit hat die auch insofern sachverständig beratene Strafkammer entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft nicht offen gelassen, auf welche Tatsachen sie die Feststellung der „starken affektiven Erregung“ des Angeklagten stützt.
13
bb) Auch die Ablehnung des Mordmerkmals der Heimtücke durch das Landgericht begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
14
(1) Für das im Rahmen des Heimtückemerkmals des § 211 Abs. 2 StGB erforderliche bewusste Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit genügt es, dass der Täter diese in ihrer Bedeutung für die Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (BGH, Urteile vom 31. Juli 2014 – 4 StR 147/14, NStZ 2015, 30, 31; vom 12. Februar 2009 – 4 StR 529/08, NStZ 2009, 264; vom 11. Dezember 2012 – 5 StR 438/12, NStZ 2013, 232, 233). Das gilt in objektiv klaren Fällen bei einem psychisch normal disponierten Täter selbst dann, wenn er die Tat einer raschen Eingebung folgend begangen hat (BGH, Urteil vom 31. Juli 2014 – 4 StR 147/14, NStZ 2015, 30, 31 mwN). Anders kann es jedoch bei „Augen- blickstaten“, insbesondere bei affektiven Durchbrüchen oder sonstigen heftigen Gemütsbewegungen sein (BGH, Urteile vom 31. Juli 2014, aaO; vom 17. September 2008 – 5 StR 189/08, NStZ 2009, 30, 31); auch kann die Spontanität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das Ausnutzungsbewusstsein gefehlt hat (BGH, Urteil vom 31. Juli 2014, aaO; Urteil vom 11. Dezember 2012 – 5 StR 438/12, NStZ 2013, 232, 233 mwN).
15
(2) Daran gemessen ist die Ablehnung des Mordmerkmals der Heimtücke durch das Landgericht aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
16
Bei der Beurteilung der subjektiven Voraussetzungen der Heimtücke handelt es sich um eine vom Tatgericht zu bewertende Tatfrage (BGH, Urteil vom 31. Juli 2014, aaO; Urteil vom 11. Dezember 2012 – 5 StR 438/12, NStZ 2013, 232, 233 mwN). Die für deren Beantwortung maßgeblichen – oben dargestellten – Grundsätze hat das Schwurgericht nicht verkannt, insbesondere nicht den Umstand, dass affektive Erregung und Ausnutzungsbewusstsein einander nicht prinzipiell ausschließen (BGH, Beschluss vom 2. Dezember 1957 – GSSt 3/57, BGHSt 11, 139). Es hat sich im Rahmen seiner rechtlichen Würdigung zudem nicht allein auf die starke affektive Erregung, in der sich der Angeklagte befand, gestützt, sondern daneben maßgeblich auf den spontanen Tatentschluss sowie den schnellen Geschehensablauf abgestellt, zumal die Annäherung des Angeklagten mit seinem Fahrzeug von hinten durch die Ver- folgung des Geschädigten bedingt, aber von ihm nicht gezielt gewählt worden war. Wenn das Schwurgericht angesichts dieser äußeren und inneren Umstände der Tat unter Berücksichtigung des Vorgeschehens eine sichere Überzeugung vom Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen der Heimtücke nicht zu gewinnen vermochte, sondern – unter Bezugnahme auf die Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen – zu der Auffassung gelangte, dass die Arg- und Wehrlosigkeit des Geschädigten für die Tat des Angeklagten nicht von Bedeutung war und er diese nicht bewusst ausgenutzt hat, so hält sich dies im Rahmen der dem Tatrichter vorbehaltenen Würdigung und ist vom Revisionsgericht hinzunehmen. Ferner stellt es keinen Widerspruch dar, dass die Strafkammer das Ausnutzungsbewusstsein im Rahmen des Heimtückemerkmals des § 211 Abs. 2 StGB verneint, aber bedingten Vorsatz hinsichtlich der Tötung des Geschädigten bejaht hat (vgl. Senat, Urteil vom 31. Juli 2014 – 4 StR 147/14, NStZ 2015, 30, 31).
17
2. Auch im Übrigen weist das Urteil keinen den Angeklagten begünstigenden Rechtsfehler auf.
18
Die Ablehnung niedriger Beweggründe hält sich ebenfalls innerhalb des dem Tatrichter zustehenden Beurteilungsspielraums (vgl. zu diesem etwa BGH, Urteile vom 8. März 2012 – 4 StR 498/11, NStZ 2012, 441, 442; vom 12. Juni 2013 – 5 StR 129/13, NStZ 2013, 524, 525; Beschluss vom 25. Oktober 2010 – 1 StR 57/10, NStZ-RR 2011, 7, 8 jeweils mwN). Zwar liegt dieses Mordmerk- mal bei einem Akt der Selbstjustiz nicht fern (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2010 – 2 StR 391/09, NStZ-RR 2010, 175, 176; MüKoStGB/Schneider, 2. Aufl., § 211 Rn. 89 mwN). Angesichts des – namentlich vom maßgeblichen subjektiven Standpunkt des Angeklagten – durch schuldhaftes Vorverhalten des Opfers gesetzten Tatanlasses, des sich spontan steigernden Ablaufs sowie der Vor- satzform („Denkzettel“) und der psychischen Verfassung des Angeklagten weist die Ablehnung niedriger Beweggründe keinen Rechtsfehler auf (vgl. auch BGH, Urteil vom 18. Mai 2010 – 5 StR 115/10; ferner BGH, Urteil vom 10. Mai 2005 – 1 StR 30/05).

III.


19
Die Revision des Angeklagten ist ebenfalls erfolglos.
20
1. Die Rüge, das Schwurgericht habe bei der Zurückweisung eines Hilfsbeweisantrages gegen Verfahrensrecht verstoßen, ist jedenfalls unbegründet. Ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts in der Antragsschrift vom 26. September 2014 bemerkt der Senat hierzu:
21
a) Das Schwurgericht hat den Hilfsbeweisantrag auf Einholung eines Gutachtens insbesondere zum Beweis der Tatsache, dass eine Kollisionsgeschwindigkeit eines Pkw Suzuki Swift von 40 – 45 km/h mit einer männlichen Person zwischen 20 und 35 Jahren grundsätzlich nicht bzw. allenfalls in 2 % der Fälle geeignet ist, tödliche Verletzungen herbeizuführen, ohne Rechtsfehler als aus tatsächlichen Gründen bedeutungslos zurückgewiesen (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO).
22
Denn ohne Bedeutung ist eine Tatsache dann, wenn auf der Grundlage des bisherigen Beweisergebnisses ein Zusammenhang zwischen ihr und der abzuurteilenden Tat nicht besteht oder wenn sie trotz eines solchen Zusammenhangs nicht geeignet ist, die Entscheidung irgendwie zu beeinflussen, etwa weil sie nur einen möglichen Schluss zulässt, den das Gericht nicht ziehen will (vgl. die Nachweise bei Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 244 Rn. 54, 56). Dies hat das Schwurgericht hinsichtlich der unter Beweis gestellten Wahrscheinlichkeitsaussagen rechtsfehlerfrei mit der Begründung bejaht, eine lediglich statistisch begründete Wahrscheinlichkeit des Todeseintritts bei einer PkwFußgänger -Kollision (jeder Art) stehe der Annahme nicht entgegen, dass im vorliegenden Fall die konkrete Tathandlung (Anfahren einer unvorbereiteten Person auf dem Gehweg von hinten mit erheblicher Geschwindigkeit) objektiv (sehr) gefährlich war und zu schweren und – auch vom Vorsatz umfassten – tödlichen Verletzungen des Fußgängers führen konnte. Vorsatz bedeutet nicht, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges für wahrscheinlich oder gar überwiegend wahrscheinlich hält, sondern dass er seinen Eintritt für möglich hält und sich damit abfindet; bewusste Fahrlässigkeit liegt dagegen vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft – nicht nur vage – darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten (vgl. BGH, Urteil vom 4. November 1988 – 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 9 f.; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/ Schuster, StGB, 29. Aufl., § 15 Rn. 76 mwN). Dies hat das Schwurgericht auch vor dem Hintergrund, dass es zum konkreten Unfallgeschehen bereits eine Rechtsmedizinerin, einen Biomechaniker und einen Unfallanalytiker angehört hatte, die sich – teilweise – auch zu statistischen Werten für das Todesrisiko bei Pkw-Fußgänger-Kollisionen geäußert haben, nicht verkannt, weshalb es den Hilfsbeweisantrag als aus tatsächlichen Gründen bedeutungslos ablehnen durfte.
23
b) Entgegen der Auffassung der Revision war das Schwurgericht nicht verpflichtet, aufgrund der Stellung der Hilfsbeweisanträge erneut in die Beweisaufnahme einzutreten (vgl. BGH, Beschluss vom 24. August 2007 – 2 StR 322/07, NStZ 2008, 116; Scheffler, NStZ 1989, 158; Meyer-Goßner/ Schmitt, aaO, § 244 Rn. 44a mwN).
24
2. Der Sachrüge bleibt ebenfalls der Erfolg versagt.
25
a) Die Beweiswürdigung des Schwurgerichts weist keinen Rechtsfehler auf.
26
Insbesondere hat die Strafkammer in ausreichender Weise belegt, warum sie einen Tötungsvorsatz des Angeklagten bejaht hat. Dass sie dabei – auch und gerade unter Berücksichtigung der psychischen Verfassung des Angeklagten – zu dem Ergebnis gekommen ist, dass der „Denkzettel“, den der Angeklagte dem Nebenkläger verpassen wollte, mit der Billigung dessen Todes verbunden war, hält sich innerhalb der dem Tatrichter vorbehaltenen Würdigung und ist vom Revisionsgericht hinzunehmen. Auch stellt es – wie schon oben ausgeführt – keinen Widerspruch dar, dass die Strafkammer das Ausnutzungsbewusstsein im Rahmen des Heimtückemerkmals des § 211 Abs. 2 StGB verneint , aber bedingten Vorsatz hinsichtlich der Tötung des Geschädigten angenommen hat (vgl. Senat, Urteil vom 31. Juli 2014 – 4 StR 147/14, NStZ 2015, 30, 31).
27
b) Das Schwurgericht hat ferner ohne Rechtsfehler die Anwendung von § 46a StGB abgelehnt.
28
Diese erfordert unter anderem, dass der Angeklagte die Verantwortung für die begangene Straftat übernimmt (BGH, Beschluss vom 12. Juli 2011 – 1 StR 265/11; Urteile vom 4. Dezember 2014 – 4 StR 213/14; vom 19. De- zember 2002 – 1 StR 405/02, BGHSt 48, 134, 139, 141; vom 12. Januar2012 – 4 StR 290/11, NStZ 2012, 439, 440; vom 8. August 2012 – 2 StR 526/11, NStZ 2013, 33, 34).
29
Das hat das Landgericht rechtsfehlerfrei verneint. Denn der Angeklagte hatte sowohl im Rahmen seiner Vernehmungen im Ermittlungsverfahren als auch in dem Entschuldigungsschreiben vom 26. Juli 2013 an den Geschädigten angegeben, an seinem Fahrzeug sei ein Reifen geplatzt, weshalb er die Kontrolle über den Pkw verloren habe; in der Hauptverhandlung hat sich der Angeklagte – über die Entschuldigung beim Nebenkläger hinaus – lediglich dahin eingelassen, er habe niemanden verletzen oder töten wollen und dies auch nicht billigend in Kauf genommen. Eine Übernahme von Verantwortung in dem oben genannten Sinn musste das Landgericht hierin nicht sehen, da der Angeklagte durch die Darstellung eines Unglücks bzw. unverschuldeten Unfalls trotz der über die Rechtsanwälte erfolgten Zahlungsvereinbarung und deren Erfüllung sowie der Entschuldigung die Rolle des Geschädigten als Opfer einer vorsätzlichen Straftat gerade nicht anerkannt und sie in Bezug zu seinem eigenen Verhalten gesetzt hat (vgl. auch BGH, Urteil vom 23. Mai 2013 – 4 StR 109/13, NStZ-RR 2013, 240; Beschluss vom 25. Juni 2008 – 2 StR 217/08, NStZ-RR 2008, 304). Darauf, dass der Geschädigte die Entschuldigung des Angeklagten angenommen hat, kommt es nicht entscheidend an (BGH, Beschluss vom 25. Juni 2008 – 2 StR 217/08, NStZ-RR 2008, 304).

IV.


30
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1 und Abs. 2 StPO. Die dem Nebenkläger infolge der zuungunsten des Angeklagten eingelegten und ohne Erfolg gebliebenen Revision der Staatsanwaltschaft entstandenen Auslagen hat dieser selbst zu tragen.
Mutzbauer Roggenbuck Franke
Bender Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 S t R 1 1 7 / 1 4
vom
11. Juni 2014
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. Juni 2014,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof Dr. Fischer,
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Krehl,
Dr. Eschelbach,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
Richter am Bundesgerichtshof
Zeng,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 12. Dezember 2013 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels sowie die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Mit ihrer Revision beanstandet die Nebenklägerin, dass eine Verurteilung wegen versuchten Mordes unterblieben ist. Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision hat Erfolg.

I.

2
1. Der heute 56-jährige Angeklagte und die später geschädigte Zeugin M. bezogen im Jahr 2008 eine gemeinsame Wohnung. Nachdem der Angeklagte wiederholt Kontakte zu anderen Frauen unterhalten und zuletzt ein Wochenende mit seiner Arbeitskollegin S. verbracht hatte, warf ihn die Zeugin M. im Juli 2012 aus der Wohnung. Nach wenigen Tagen nahm sie ihn je- doch wieder auf, allerdings mit der Maßgabe, sich schnellstmöglichst eine andere Unterkunft zu suchen. Da der Angeklagte keine entsprechenden Bemühungen entfaltete, verwies sie ihn im August 2012 endgültig aus der ehemals gemeinsamen Wohnung. Gleichwohl unterhielten beide fortan ein freundschaftliches Verhältnis. Der Angeklagte nutzte weiterhin die zur Wohnung der Zeugin gehörende Garage, und beide tranken mehrmals die Woche gemeinsam Kaffee.
3
Am Tattag, den 7. Februar 2013, war der Angeklagte dazu entschlossen, sich umzubringen. Schon Tage zuvor hatte er Vorbereitungen wegen der Auflösung seines Haushalts getroffen. Nach Beendigung seiner Arbeit als Paketzusteller fuhr er zur Wohnung der Zeugin M. und hielt sich dort zunächst in der Garage auf. Er trug noch immer seine Arbeitskleidung, in der sich seine üblichen Arbeitsutensilien, u.a. ein Paketscanner und ein Cuttermesser, befanden. Gegen 17.00 Uhr erschien die Geschädigte. Beide gingen ins Haus, tranken im Wohnzimmer gemeinsam einen Kaffee und unterhielten sich über alltägliche Dinge. Schließlich bat die Zeugin den Angeklagten zu gehen, weil sie sich hinlegen wollte. Der Angeklagte verließ daraufhin das Wohnzimmer, und die Geschädigte begleitete ihn - hinter ihm hergehend - zur Tür. Einer von beiden betätigte beim Betreten des Flurs den Lichtschalter, der jedoch regelmäßig nur verzögert die Deckenbeleuchtung im Flur auslöste. Als der Angeklagte etwa die Mitte des Flurs erreicht hatte, der zu diesem Zeitpunkt nur durch das aus dem Wohnzimmer einfallende Licht beleuchtet war, zog er, einem spontanen Entschluss folgend, hervorgerufen durch den erneuten Verweis aus der ehemals gemeinsamen Wohnung, für die Geschädigte nicht sichtbar, den Paketscanner aus seiner Arbeitsweste, drehte sich um und schlug ihr damit wortlos auf den Kopf. Die Geschädigte wurde von dem plötzlichen Angriff überrascht und konnte zunächst nicht abwehrend reagieren. Nach weiteren Schlägen auf den Kopf ging sie zu Boden. Der Angeklagte kniete sich auf die Geschädigte, würgte sie und drückte ihr mit einem Knie auf die Kehle. Anschließend schnitt er ihr mit dem Cuttermesser mehrmals in den Hals sowie in den Kopf. Es gelang der Geschädigten indes, den Angeklagten wegzustoßen und in das Wohnzimmer zu flüchten. Der Angeklagte folgte ihr, setzte sich erneut auf sie und schlug mit dem Scanner solange auf die Geschädigte ein, bis diese das Bewusstsein verlor.
4
Der Angeklagte verließ die Wohnung um 18.15 Uhr und schrieb in der Folgezeit per E-Mail sowohl an seine Arbeitskollegin S. wie an seine Chefin jeweils einen Abschiedsbrief. Anschließend traf er sich mit der Zeugin S. . Er händigte ihre einige seiner Arbeitsutensilien aus und fuhr anschließend gegen 19.50 Uhr in suizidaler Absicht gegen einen Brückenpfeiler. Er überlebte schwer verletzt.
5
Die Geschädigte erlitt lebensgefährliche Verletzungen, musste mehrfach operiert werden und befand sich rund ein halbes Jahr lang in stationärer Behandlung. Sie leidet bis heute an Depressionen und Angstzuständen sowie an ständigen Kopfschmerzen, einem Druckgefühl im Kopf sowie einer linksseitigen Zungenlähmung verbunden mit Sprach- und Essstörungen. Zwei ihrer Finger sind taub und ihr rechter Arm ist nur eingeschränkt funktionsfähig. Die Geschädigte ist nur drei Stunden täglich körperlich belastbar und bis auf weiteres arbeitsunfähig.
6
2. Das Landgericht hat die Tat als versuchten Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gewertet. Das Vorliegen der Voraussetzungen eines Heimtückemords hat es verneint. Zwar habe sich das Tatopfer keines Angriffs des Angeklagten versehen und sei infolgedessen arg- und wehrlos ge- wesen. Der Angeklagte habe die Arg- und Wehrlosigkeit seines Opfers aber nicht bewusst zu dessen Tötung ausgenutzt.

II.

7
1. Die Erwägungen des Landgerichts, mit denen es ein Ausnutzungsbewusstsein des Angeklagten verneint hat, sind nicht frei von Rechtsfehlern.
8
a) Schon die Ausgangsüberlegung des Landgerichts, es spreche gegen ein Ausnutzungsbewusstsein des Angeklagten, dass er die Geschädigte nicht in den Flur „gelockt“ und damit ihre Arg- und Wehrlosigkeit nicht gezielt herbeige- führt habe, ist rechtsfehlerhaft. Für das bewusste Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit genügt es, dass der Täter sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Täter die Arglosigkeit herbeiführt oder bestärkt (vgl. BGH, Urteil vom 10. März 2006 - 2 StR 561/05, NStZ 2006, 338, 339); worauf die Arglosigkeit des Angegriffenen beruht, ist ohne Belang (vgl. BGH, Urteil vom 18. Oktober 2007 - 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93,

94).

9
b) Die Urteilsgründe werden aber auch den Anforderungen an eine lückenlose und widerspruchsfreie Beweiswürdigung nicht gerecht.
10
Soweit darauf abgestellt wird, der Angeklagte habe, weil er vorausgegangen sei, die Verhältnisse hinter sich - insbesondere den Abstand zur Geschädigten und deren Möglichkeiten abwehrend zu reagieren bzw. auszuweichen - gar nicht beobachten und in sein Bewusstsein aufnehmen können, hat das Landgericht erkennbar nicht bedacht, dass es sich um einen lediglich zwei Meter langen und einen Meter breiten Flur handelte, auf dessen Seite zudem eine Kommode stand. Auch war der Angeklagte zum Zeitpunkt des ersten An- griffs auf die Geschädigte erst in der Mitte des Flurs angelangt. Weshalb es für das Ausnutzungsbewusstsein des Angeklagten von Belang sein sollte,dass er - worauf das Landgericht ergänzend abgestellt hat - sich nicht sicher sein konnte , den ersten Angriff gegen die Geschädigte noch bei fehlender Deckenbeleuchtung im Flur führen zu können, erschließt sich nicht.
11
Auch die Spontanität des Tatentschlusses sowie die affektive Erregung des Angeklagten sprechen entgegen der Annahme des Landgerichts nicht ohne Weiteres gegen ein bewusstes Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit der Geschädigten. Zwar kann die Spontanität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass dem Täter das Ausnutzungsbewusstsein fehlte (BGH Beschluss vom 29. November 2011 - 3 StR 326/11, NStZ 2012, 270, 271; Urteil vom 20. Januar 2005 - 4 StR 491/04, NStZ 2005, 691, 692). Maßgeblich sind aber die in der Tatsituation bestehenden tatsächlichen Auswirkungen des psychischen Zustands des Täters auf seine Erkenntnisfähigkeit.
12
Die insoweit erforderlichen Erwägungen sind dem angefochtenen Urteil in seinem Gesamtzusammenhang schon nicht widerspruchsfrei zu entnehmen. Während das Landgericht bei Prüfung der subjektiven Seite des Heimtückemords davon ausgegangen ist, der Angeklagte habe auf Grund seiner affektiven Erregung und seiner Persönlichkeit in der Zeit zwischen dem spontanen Tatentschluss und der Durchführung der Tat nicht in sein Bewusstsein aufnehmen können, dass er die Arg- und Wehrlosigkeit der Geschädigten ausnutzen werde, hat es bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten eine entsprechende Einengung des Bewusstseins und insbesondere Einengung seines Wahrnehmungsfeldes nicht feststellen können. Es ist vielmehr von einer für ein vergleichbares Gewaltdelikt typischen und im normal-psychologischen Bereich liegenden affektiven Erregung des Angeklagten ausgegangen.
13
Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung zu einer Verurteilung wegen Heimtückemords gekommen wäre. Dies führt zur Aufhebung des Urteils auch, soweit der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden ist. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.
14
2. Im Übrigen weist der Senat noch auf Folgendes hin:
15
Bedenklich sind, was entsprechend §§ 301, 401 Abs. 3 Satz 1 StPO zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen ist (vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober 1986 - 3 StR 377/86; Beschluss vom 21. Februar 2013 - 3 StR 496/12), die Ausführungen des Landgerichts zur Anwendung des § 21 StGB. Das Gericht hat eine erhebliche Minderung der Steuerungsfähigkeit und insbesondere das Vorliegen eines schuldrelevanten Affekts ausgeschlossen. Dabei hat es zwar berücksichtigt, dass sich bei dem Angeklagten durch die wiederholten „Rausschmisse“ aus der ehemals gemeinsamen Wohnung gegen sich selbst gerich- tete Aggressionen aufgebaut hatten und dass es im Tatzeitpunkt nach dem nunmehr dritten Wohnungsverweis zu einer Umkehr dieser aggressiven Impulse gekommen war. Nicht bedacht hat es aber, dass der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt gleichwohl dazu entschlossen war, auch sich selbst zu töten, was zudem den Schluss nahe legt, dass er sich in einer psychischen Ausnahmesituation befunden hat. Fischer Krehl Eschelbach Ott Zeng
5 StR 438/12

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 11. Dezember 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. Dezember
2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Schaal,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Dölp,
Richter Prof. Dr. König
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenkläger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 23. April 2012 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dadurch den Nebenklägern entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Hiergegen richtet sich dessen mit der Sachrüge geführte Revision. Dem Rechtsmittel bleibt der Erfolg versagt.
2
1. Das Landgericht hat – zum Anlass der Tat im Wesentlichen auf der Basis der Einlassung des Angeklagten – folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
Der Angeklagte lebte mit der später von ihm getöteten H. – unterbrochen durch Haftzeiten des Angeklagten – seit 2002 zusammen. Nach frühzeitigem Missbrauch von Alkohol und Betäubungsmitteln beschränkte sich sein Rauschmittelkonsum zwischen 2009 und 2011 auf Alkohol , wobei er, Vorgaben seiner die Beziehung dominierenden Lebensgefährtin folgend, nicht mehr als vier bis fünf halbe Liter Bier am Tag trank. Die Alkoholreglementierung war mitunter Anlass für Streitigkeiten, im Rahmen derer H. gegenüber dem Angeklagten auch gelegentlich handgreif- lich wurde. Der Angeklagte verübte hingegen bei diesen und anderen Auseinandersetzungen niemals Gewalt gegen seine Lebensgefährtin.
4
Am Abend des 23. September 2011 hatte der Angeklagte die ihm zugebilligte Alkoholmenge bereits konsumiert. Gleichwohl fragte H. , ob er noch zwei Bier haben wolle, was er bejahte. Sie holte von einer Tankstelle zwei Flaschen Bier, von denen der Angeklagte trank. Es kam zu sexuellen Handlungen. Nach deren Abschluss erzählte sie dem Angeklagten, dass sie beim Bierholen ihren früheren Dealer für Flunitrazepam getroffen habe. Sie werde noch einmal losgehen, um für sich und ihn „Flunis“ zu holen. Der mittelgradig alkoholisierte Angeklagte (maximale Blutalkoholkonzentrati- on 1,74 ‰) reagierte enttäuscht. Er hatte geglaubt, seine Lebensgefährtin, die früher Heroin und rauschmittelhaltige Medikamente konsumiert hatte, habe ihr Suchtproblem überwunden. Er machte ihr Vorhaltungen. Im Zuge des sich anschließenden Streits wurde H. immer aggressiver und schlug den Angeklagten gegen den Mund.
5
Für H. war der Streit nun beendet. Sie wollte am Ange- klagten vorbeigehen. „Dabei rechnete sie mit keinem Angriff auf ihr Leben, insbesondere weil der Angeklagte auch bei vorangegangenen Streitigkeiten sie weder geschlagen hatte noch anderweitig gewalttätig gegen sie vorgegangen war. Dies erkannte der Angeklagte trotz seiner alkoholischen Beein- flussung und nutzte es zur Tatbegehung aus“ (UA S. 12). Erergriff ein Küchenmesser , packte H. , umklammerte sie mit einem Arm um den Hals, zog sie an sich heran und versetzte ihr neun kraftvoll geführte Messerstiche in die Brust. Danach lockerte er seinen Griff und stach ihr fünfmal in den Rücken. Sie sank zu Boden. Um ihren Tod sicher herbeizuführen , würgte der Angeklagte sie am Hals. Sie verstarb binnen weniger Minuten an den Folgen multipler Stichverletzungen in der linken Lunge.
6
Der Angeklagte reinigte einen Teil der Küche und die Handflächen der Getöteten. Dann fesselte er sie mit einer Kinderstrumpfhose an den Armen und mit den Streifen eines zuvor zerrissenen Geschirrtuchs an den Beinen, um einen Überfall vorzutäuschen. Er zog sich saubere Kleidung an. Seine verschmutzte Kleidung und die zur Reinigung verwendeten Gegenstände packte er in einen Plastikmüllsack, den er im Müllcontainer eines Baumarkts entsorgte. Gegen 22 Uhr verließ er die Wohnung endgültig und begab sich in die Innenstadt von Leipzig. Den ein Jahr acht Monate alten gemeinsamen Sohn ließ er schlafend in der Wohnung zurück.
7
Um sich ein Alibi zu verschaffen, versuchte er im weiteren Verlauf der Nacht, die Polizei durch entsprechende Anrufe zu einer Nachschau in der Wohnung zu veranlassen. Nachdem dies fehlgeschlagen war, täuschte er einen Einbruch in einem Autohaus vor und wurde kurzzeitig festgenommen. Gegen 5.50 Uhr begab er sich wieder in die Wohnung. Er alarmierte die Poli- zei, weil er „seine Frau“ blutüberströmt und gefesselt vorgefunden habe. Den Polizeibeamten warf er vor, nicht auf seine Anrufe reagiert und deshalb das Versterben seiner Lebensgefährtin mitverschuldet zu haben. Auch gegenüber eintreffenden Hilfskräften verhielt er sich aggressiv.
8
2. Die Verurteilung des in seiner Schuldfähigkeit nicht relevant beeinträchtigten Angeklagten wegen Mordes (§ 211 StGB) hält rechtlicher Prüfung stand. Der Erörterung bedarf nur die Annahme des Mordmerkmals der Heimtücke sowie des hierauf bezogenen Ausnutzungsbewusstseins. Sie weist keine durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
9
a) Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Argund Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt; wesentlich ist, dass der Mörder sein keinen Angriff erwartendes, mithin argloses Opfer in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren, wobei für die Beurteilung die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs maßgebend ist (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 17. September 2008 – 5 StR 189/08, NStZ 2009, 30, 31 mwN).
10
Das Schwurgericht ist davon ausgegangen, dasssich H. keines erheblichen Angriffs auf ihre körperliche Unversehrtheit oder gar auf ihr Leben versah, als sie versuchte, an dem Angeklagten vorbeizugehen. Es leitet dies – trotz des vorangegangenen Streits mit der diesen aus Opfersicht „abschließenden“ Ohrfeige – ausdem Umstand ab, dass der Angeklagte im Verlauf der langjährigen Beziehung niemals gegen seine Lebensgefährtin gewalttätig geworden war, obwohl diese ihrerseits mitunter zugeschlagen hatte. Ferner stützt es sich auf das Ergebnis des rechtsmedizinischen Sachverständigengutachtens , wonach außer einer oberflächlichen Schnittverletzung an der Kuppe des rechten Ringfingers keine Verletzungen an der Getöteten festgestellt wurden, die darauf hindeuten könnten, dass diese noch die Möglichkeit hatte, die Stiche etwa durch instinktives Hochreißen der Arme abzuwehren.
11
Dies lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Nach ständiger Rechtsprechung können Arg- und Wehrlosigkeit auch dann gegeben sein, wenn der Tat eine feindselige Auseinandersetzung vorausgeht, das Opfer aber gleichwohl nicht mit einer Tätlichkeit rechnet (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Mai 2011 – 5 StR 65/11, NStZ 2011, 634; Urteil vom 6. September 2012 – 3 StR 171/12 mwN). Für seine Würdigung durfte und musste das Schwur- gericht dabei den bisherigen Verlauf der Beziehung heranziehen (vgl. etwa BGH, Urteil vom 20. Januar 2005 – 4 StR 491/04, NStZ 2005, 691, 692), in deren Rahmen der Angeklagte Handgreiflichkeiten seiner Lebensgefährtin niemals „mit gleicher Münze“ vergolten hatte. Der hieraus in Verbindung mit den rechtsmedizinischen Befunden abgeleitete Schluss, diese habe sich im Zeitpunkt des Angriffs in Sicherheit gewogen und den Angriff auf ihr Leben allenfalls im letzten, eine Gegenwehr nicht mehr zulassenden Augenblick erkannt, erscheint naheliegend, jedenfalls aber möglich, und ist deshalb vom Revisionsgericht hinzunehmen. „Zwingend“ muss er entgegen der Auffas- sung der Revision nicht sein. Gleichfalls wäre, anders als die Verteidigung meint, angesichts von fünf Stichverletzungen mit einer Tiefe von jeweils acht Zentimetern (UA S. 27) nicht zu beanstanden, dass die Schwurgerichtskam- mer direkten Tötungsvorsatz auch für den Fall als gegeben ansieht, dass der Angeklagte seine Lebensgefährtin – für sich genommen nicht tödlich wirkend – zuerst in den Rücken gestochen hat.
12
b) Voraussetzung heimtückischer Begehungsweise ist weiter, dass der Täter die von ihm erkannte Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tatbegehung ausnutzt. Dafür genügt es, wenn er die die Heimtücke begründenden Umstände nicht nur in einer äußerlichen Weise wahrgenommen, sondern in dem Sinne in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst hat, dass ihm bewusst geworden ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 10. Februar 2010 – 2 StR 391/09, NStZ-RR 2010, 175, 176, Beschluss vom 4. Mai 2011 – 5 StR 65/11, aaO S. 635, je mwN). Dabei kann die Spontaneität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das Ausnutzungsbewusstsein fehlte (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 2008 – 5 StR 189/08, aaO mwN). Andererseits hindert nicht jede affektive Erregung oder heftige Gemütsbewegung einen Täter daran, die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tat zu erkennen; dies ist vielmehr eine vom Tatgericht zu bewertende Tatfrage (vgl. BGH, Urteile vom 25. November 2004 – 5 StR 401/04, vom 20. Januar 2004 – 4 StR 491/04, aaO, vom 17. September 2008 – 5 StR 189/08, aaO, und vom 10. Februar 2010 – 2 StR 391/09, aaO, Beschluss vom 4. Mai 2011 – 5 StR 65/11, aaO).
13
Diese Grundsätze hat das Landgericht nicht verkannt. Sachverständig beraten hat es einen die Erkenntnisfähigkeit in Frage stellenden tiefgreifenden Erregungszustand insbesondere mit Blick auf das komplexe und sehr zielgerichtete Nachtatverhalten des Angeklagten verneint. Die mittelgradige Alkoholisierung des außerordentlich trinkgewöhnten Angeklagten hat es dabei bedacht. An das psychiatrische Gutachten anknüpfend ist es zu dem Er- gebnis gelangt, dass der einsichtsfähige Angeklagte die schutzlose Lage des keinen Arg hegenden Opfers zutreffend erfasst und ausgenutzt hat.
14
Trotz nicht ganz unmissverständlicher, ersichtlich als Hilfserwägungen zu verstehender Ausführungen des Landgerichts (UA S. 32 f., 37, 48) ist den Feststellungen (UA S. 12) noch hinreichend deutlich zu entnehmen, dass der Angeklagte den Angriff von hinten begangen, also die neun Stiche in die Brust hinter seiner Lebensgefährtin stehend und diese umklammernd vollführt hat, um ihr nach Lockerung des Griffs dann die fünf Stiche in den Rücken zu versetzen. Auf dieser, die Ergebnisse der rechtsmedizinischen Befunde in eigener Würdigung bewertender Grundlage liegt die Schlussfolgerung des Landgerichts besonders nahe, der Angeklagte habe mit Ausnutzungsbewusstsein gehandelt. Das Gleiche würde gelten, wenn der Angeklagte entsprechend dem vom rechtsmedizinischen Sachverständigen angenommenen Verlauf (UA S. 32) seiner Lebensgefährtin zunächst von hinten die Stiche in den Rücken versetzt, sie dann – weiter hinter ihr stehend – an sich herangezogen und ihr die tödlichen Stiche in die Brust versetzt hat. Bei einem derartigen Vorgehen drängt sich auf, dass der Täter den Überraschungscharakter seines Angriffs bewusst ausgenützt hat, ohne dass es etwa des gezielten Herbeiführens eines Hinterhalts bedürfte (vgl. BGH, Urteil vom 27. Juni 2006 – 1StR 113/06, NStZ 2006, 502, 503).
15
Nichts wesentlich anderes ergäbe sich, wenn man die vom Landgericht im Wege einer Hilfserwägung erörterte (UA S. 32 f.) Variante zugrunde legte, dass der Angeklagte seiner Lebensgefährtin vor ihr stehend zunächst die Stiche in die Brust und ihr danach die Stiche in den Rücken versetzt hat. Es handelte sich um eine mit einem Blick zu erfassende Situation; zudem wird ein Angreifer, schon um Schreie und Widerstand möglichst zu vermeiden , stets bestrebt sein, ein Überraschungsmoment auszunützen. Dass die Lebensgefährtin des Angeklagten namentlich in Anbetracht des bisherigen Verlaufs der Beziehung ungeachtet ihres aggressiven Verhaltens nicht mit einem körperlichen Angriff von Seiten des Angeklagten rechnete, ist hinrei- chend schlüssig belegt. Ferner ist die Tat von außergewöhnlichem Vernichtungswillen geprägt, der die Grenzen eines tödlichen Spontanangriffs deutlich überschreitet, und ist das Nachtatverhalten insofern besonders gestaltet, als es sich nicht nur wegen des Zurücklassens des schlafenden Kleinkindes bei der blutigen Leiche der Mutter als hochgradig verwerflich darstellt, sondern auch als überaus kalkuliert und kontrolliert auf Täuschung ausgerichtet. Jedenfalls angesichts dieser besonderen Fallgestaltung kann der Senat die dem Urteil ausreichend zu entnehmende Hilfsüberlegung des Landgerichts hinnehmen, dass der Angeklagte ungeachtet seiner Intoxikation und Erregung die Arglosigkeit des Opfers auch für den weniger wahrscheinlichen Fall eines Angriffs von vorn in sein Vorstellungsbild aufgenommen hat. Damit ist insgesamt von Rechts wegen nichts dagegen zu erinnern, dass das sachverständig beratene Tatgericht unter den hier gegebenen Vorzeichen davon ausgegangen ist, der in seinen kognitiven Fähigkeiten nicht relevant beeinträchtigte Täter habe den Bedeutungsgehalt der tatsächlichen Lage zu Beginn seines tödlichen Angriffs zutreffend eingeschätzt (vgl. auch BGH, Urteile vom 27. Februar 2008 – 2 StR 603/07, NStZ 2008, 510, 511 f., und vom 10. Februar 2010 – 2 StR 391/09, aaO).
Basdorf Schaal Schneider Dölp König

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 433/14
vom
29. Januar 2015
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 29. Januar
2015, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Franke,
Bender,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt und
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 23. April 2014 werden verworfen.
2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Nebenkläger hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die hierdurch dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr sowie wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und drei Monaten verurteilt. Ferner hat es die Entziehung der Fahrerlaubnis, die Einziehung des Führerscheins und eine Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis von drei Jahren angeordnet. Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten mit der Sachrüge; der Angeklagte macht ferner die Verletzung formellen Rechts geltend. Keines der Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
Am 22. Mai 2013 traf der Angeklagte kurz nach 13 Uhr auf der Straße den späteren Geschädigten M. , der drei Monate zuvor versucht hatte, in dem vom Vater des Angeklagten betriebenen Lebensmittelgeschäft eine Flasche Wodka zu stehlen. Der Angeklagte, der damals in dem Lebensmittelgeschäft an der Kasse tätig war, und M. , dem nach dem Diebstahlsversuch die Flucht gelungen war, erkannten einander wieder. Der Angeklagte fasste M. an den Schultern und forderte ihn auf, stehen zu bleiben bis die Polizei eintreffe. Der Geschädigte empfand die Situation als bedrohlich ; er stieß den Angeklagten zurück und entfernte sich rasch. Daraufhin stieg der unter einer „starken affektiven Anspannung“ stehende Angeklagte in seinen Pkw, um M. zu folgen; er wollte ihn nicht (erneut) entkommen lassen und fuhr in die Richtung los, in die sich M. entfernt hatte. Kurze Zeit später sah er den auf dem rechten Bürgersteig in Fahrtrichtung des Angeklagten gehenden M. , der zu diesem Zeitpunkt Ohrhörer trug und nicht mehr mit einem Auftauchen und einem Angriff seitens des Angeklagten rechnete. Als der Angeklagte den Geschädigten erkannte, entschloss er sich spontan, ihm einen „Denkzettel“ zu verpassen; er wollte M. anfahren, um ihn „für den Ladendiebstahl zur Rechenschaft zu ziehen“. Der Angeklagte lenkte sein Fahrzeug auf den Gehsteig, wo er M. mit einer Geschwindigkeit von ca. 40 km/h von hinten erfasste. Dem Angeklagten war dabei bewusst, dass der Geschädigte sich bei diesem Vorgehen verletzen und möglicherweise zu Tode kommen könnte; damit fand er sich ab. Er bezog jedoch – schon aufgrund der Schnelligkeit des Geschehens – nicht in seine Überlegungen ein, dass der ihm den Rücken zuwendende Geschädigte dem Angriff gegenüber arg- und wehrlos war. M. wurde durch den Anstoß in den Kniekehlen getroffen, prallte auf die Motorhaube und die Windschutzscheibe des Fahrzeugs, schlug dort mit dem Kopf auf und wurde schließlich nach rechts in eine Böschung geschleudert. Er erlitt hierdurch unter anderem eine Kalottenfraktur und eine Hirnblutung, die zwar abstrakt, jedoch nicht konkret lebensbedrohlich waren.
4
Nach der Kollision kam der Pkw des Angeklagten zunächst annähernd oder ganz zum Stillstand, bevor der Angeklagte beschleunigte und zum Geschäft seines Vaters fuhr. Die Entfernung zwischen dem Ort der ersten Begegnung des Angeklagten und M. und dem Kollisionsort betrug etwa 350 m.
5
2. Das Schwurgericht hat das Anfahren des Geschädigten als versuchten Totschlag (§ 212 Abs. 1, §§ 22, 23 StGB) in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 5 StGB) und mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3, § 315 Abs. 3 Nr. 1a StGB) gewertet. Hingegen liege kein versuchter Mord vor; niedrige Beweggründe seien schon objektiv nicht gegeben, an einer heimtückischen Tötung fehle es aus subjektiven Gründen. Das Weiterfahren nach der Kollision erfülle den Tatbestand des unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142 Abs. 1 StGB).

II.


6
Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg.
7
1. Es begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass das Schwurgericht den Angeklagten nicht – wie von der Staatsanwaltschaft mit ihrem Rechtsmittel erstrebt – wegen eines heimtückisch begangenen Mordversuchs verurteilt hat. Die hierzu vom Schwurgericht getroffenen Feststellungen und die diesen zugrunde liegende Beweiswürdigung weisen – entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft – keinen Rechtsfehler auf.
8
a) Insbesondere liegen – worauf auch der Generalbundesanwalt zutreffend verweist – keine widersprüchlichen Feststellungen vor.
9
Denn der Angeklagte, der zunächst den Geschädigten aufgefordert hatte stehen zu bleiben und bis zum Eintreffen der Polizei zu warten, beabsichtigte bei Aufnahme der Fahrt zunächst nur, den Geschädigten nicht entkommen zu lassen, sondern ihn zu stellen und für den Ladendiebstahl zur Rechenschaft zu ziehen. Einen Willen, den Geschädigten zu verletzen oder gar zu töten, hat das Schwurgericht für diesen Zeitraum (ausdrücklich) nicht festgestellt. Wenn es sodann ausführt, dass der Angeklagte im Zeitpunkt des Erkennens des Ge- schädigten auf dem Gehsteig den Entschluss fasste, diesem einen „Denkzettel“ zu verpassen und anzufahren, um ihn „in dieserForm für den Ladendiebstahl zur Rechenschaft zu ziehen“, so liegt darin im Hinblick auf die vielfältigen Mög- lichkeiten, jemanden zur Rechenschaft zu ziehen, kein Widerspruch zu den vorherigen Feststellungen.
10
b) Auch die Beweiswürdigung des Schwurgerichts hält revisionsgerichtlicher Überprüfung stand.
11
aa) Die Annahme einer „starken affektiven Erregung“ des Angeklagten zur Tatzeit hat die Strafkammer hinreichend mit Tatsachen belegt.
12
Denn sie übernimmt hierzu ersichtlich die Ausführungen des psychiatri- schen Sachverständigen zu der von diesem als „nachvollziehbar“ bezeichneten affektiven Anspannung des Angeklagten aufgrund des vorangegangenen Konflikts mit dem Nebenkläger sowie der starken Identifikation des Angeklagten mit seiner Familie und der hohen Wertigkeit der Tätigkeit in dem Lebensmittelgeschäft seines Vaters für den Angeklagten. Es ist ferner durch Zeugenvernehmungen im Zusammenhang mit anderen Ladendiebstählen in der Vergangenheit zu der Überzeugung gelangt, dass dem Angeklagten übertriebene Reaktionen auf solche Taten – auch mit verbal und körperlich aggressivem Verhalten – „nicht wesensfremd“ sind. Schließlich hat das Schwurgericht in Bezug auf die psychische Verfassung des Angeklagten bei dem Tötungsversuch auch bedacht , dass es nach der kurz zuvor handgreiflich verlaufenen offenen Konfrontation zwischen dem Angeklagten und dem Geschädigten diesem (erneut) gelungen war, zu fliehen. Damit hat die auch insofern sachverständig beratene Strafkammer entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft nicht offen gelassen, auf welche Tatsachen sie die Feststellung der „starken affektiven Erregung“ des Angeklagten stützt.
13
bb) Auch die Ablehnung des Mordmerkmals der Heimtücke durch das Landgericht begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
14
(1) Für das im Rahmen des Heimtückemerkmals des § 211 Abs. 2 StGB erforderliche bewusste Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit genügt es, dass der Täter diese in ihrer Bedeutung für die Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (BGH, Urteile vom 31. Juli 2014 – 4 StR 147/14, NStZ 2015, 30, 31; vom 12. Februar 2009 – 4 StR 529/08, NStZ 2009, 264; vom 11. Dezember 2012 – 5 StR 438/12, NStZ 2013, 232, 233). Das gilt in objektiv klaren Fällen bei einem psychisch normal disponierten Täter selbst dann, wenn er die Tat einer raschen Eingebung folgend begangen hat (BGH, Urteil vom 31. Juli 2014 – 4 StR 147/14, NStZ 2015, 30, 31 mwN). Anders kann es jedoch bei „Augen- blickstaten“, insbesondere bei affektiven Durchbrüchen oder sonstigen heftigen Gemütsbewegungen sein (BGH, Urteile vom 31. Juli 2014, aaO; vom 17. September 2008 – 5 StR 189/08, NStZ 2009, 30, 31); auch kann die Spontanität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das Ausnutzungsbewusstsein gefehlt hat (BGH, Urteil vom 31. Juli 2014, aaO; Urteil vom 11. Dezember 2012 – 5 StR 438/12, NStZ 2013, 232, 233 mwN).
15
(2) Daran gemessen ist die Ablehnung des Mordmerkmals der Heimtücke durch das Landgericht aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
16
Bei der Beurteilung der subjektiven Voraussetzungen der Heimtücke handelt es sich um eine vom Tatgericht zu bewertende Tatfrage (BGH, Urteil vom 31. Juli 2014, aaO; Urteil vom 11. Dezember 2012 – 5 StR 438/12, NStZ 2013, 232, 233 mwN). Die für deren Beantwortung maßgeblichen – oben dargestellten – Grundsätze hat das Schwurgericht nicht verkannt, insbesondere nicht den Umstand, dass affektive Erregung und Ausnutzungsbewusstsein einander nicht prinzipiell ausschließen (BGH, Beschluss vom 2. Dezember 1957 – GSSt 3/57, BGHSt 11, 139). Es hat sich im Rahmen seiner rechtlichen Würdigung zudem nicht allein auf die starke affektive Erregung, in der sich der Angeklagte befand, gestützt, sondern daneben maßgeblich auf den spontanen Tatentschluss sowie den schnellen Geschehensablauf abgestellt, zumal die Annäherung des Angeklagten mit seinem Fahrzeug von hinten durch die Ver- folgung des Geschädigten bedingt, aber von ihm nicht gezielt gewählt worden war. Wenn das Schwurgericht angesichts dieser äußeren und inneren Umstände der Tat unter Berücksichtigung des Vorgeschehens eine sichere Überzeugung vom Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen der Heimtücke nicht zu gewinnen vermochte, sondern – unter Bezugnahme auf die Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen – zu der Auffassung gelangte, dass die Arg- und Wehrlosigkeit des Geschädigten für die Tat des Angeklagten nicht von Bedeutung war und er diese nicht bewusst ausgenutzt hat, so hält sich dies im Rahmen der dem Tatrichter vorbehaltenen Würdigung und ist vom Revisionsgericht hinzunehmen. Ferner stellt es keinen Widerspruch dar, dass die Strafkammer das Ausnutzungsbewusstsein im Rahmen des Heimtückemerkmals des § 211 Abs. 2 StGB verneint, aber bedingten Vorsatz hinsichtlich der Tötung des Geschädigten bejaht hat (vgl. Senat, Urteil vom 31. Juli 2014 – 4 StR 147/14, NStZ 2015, 30, 31).
17
2. Auch im Übrigen weist das Urteil keinen den Angeklagten begünstigenden Rechtsfehler auf.
18
Die Ablehnung niedriger Beweggründe hält sich ebenfalls innerhalb des dem Tatrichter zustehenden Beurteilungsspielraums (vgl. zu diesem etwa BGH, Urteile vom 8. März 2012 – 4 StR 498/11, NStZ 2012, 441, 442; vom 12. Juni 2013 – 5 StR 129/13, NStZ 2013, 524, 525; Beschluss vom 25. Oktober 2010 – 1 StR 57/10, NStZ-RR 2011, 7, 8 jeweils mwN). Zwar liegt dieses Mordmerk- mal bei einem Akt der Selbstjustiz nicht fern (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2010 – 2 StR 391/09, NStZ-RR 2010, 175, 176; MüKoStGB/Schneider, 2. Aufl., § 211 Rn. 89 mwN). Angesichts des – namentlich vom maßgeblichen subjektiven Standpunkt des Angeklagten – durch schuldhaftes Vorverhalten des Opfers gesetzten Tatanlasses, des sich spontan steigernden Ablaufs sowie der Vor- satzform („Denkzettel“) und der psychischen Verfassung des Angeklagten weist die Ablehnung niedriger Beweggründe keinen Rechtsfehler auf (vgl. auch BGH, Urteil vom 18. Mai 2010 – 5 StR 115/10; ferner BGH, Urteil vom 10. Mai 2005 – 1 StR 30/05).

III.


19
Die Revision des Angeklagten ist ebenfalls erfolglos.
20
1. Die Rüge, das Schwurgericht habe bei der Zurückweisung eines Hilfsbeweisantrages gegen Verfahrensrecht verstoßen, ist jedenfalls unbegründet. Ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts in der Antragsschrift vom 26. September 2014 bemerkt der Senat hierzu:
21
a) Das Schwurgericht hat den Hilfsbeweisantrag auf Einholung eines Gutachtens insbesondere zum Beweis der Tatsache, dass eine Kollisionsgeschwindigkeit eines Pkw Suzuki Swift von 40 – 45 km/h mit einer männlichen Person zwischen 20 und 35 Jahren grundsätzlich nicht bzw. allenfalls in 2 % der Fälle geeignet ist, tödliche Verletzungen herbeizuführen, ohne Rechtsfehler als aus tatsächlichen Gründen bedeutungslos zurückgewiesen (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO).
22
Denn ohne Bedeutung ist eine Tatsache dann, wenn auf der Grundlage des bisherigen Beweisergebnisses ein Zusammenhang zwischen ihr und der abzuurteilenden Tat nicht besteht oder wenn sie trotz eines solchen Zusammenhangs nicht geeignet ist, die Entscheidung irgendwie zu beeinflussen, etwa weil sie nur einen möglichen Schluss zulässt, den das Gericht nicht ziehen will (vgl. die Nachweise bei Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 244 Rn. 54, 56). Dies hat das Schwurgericht hinsichtlich der unter Beweis gestellten Wahrscheinlichkeitsaussagen rechtsfehlerfrei mit der Begründung bejaht, eine lediglich statistisch begründete Wahrscheinlichkeit des Todeseintritts bei einer PkwFußgänger -Kollision (jeder Art) stehe der Annahme nicht entgegen, dass im vorliegenden Fall die konkrete Tathandlung (Anfahren einer unvorbereiteten Person auf dem Gehweg von hinten mit erheblicher Geschwindigkeit) objektiv (sehr) gefährlich war und zu schweren und – auch vom Vorsatz umfassten – tödlichen Verletzungen des Fußgängers führen konnte. Vorsatz bedeutet nicht, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges für wahrscheinlich oder gar überwiegend wahrscheinlich hält, sondern dass er seinen Eintritt für möglich hält und sich damit abfindet; bewusste Fahrlässigkeit liegt dagegen vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft – nicht nur vage – darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten (vgl. BGH, Urteil vom 4. November 1988 – 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 9 f.; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/ Schuster, StGB, 29. Aufl., § 15 Rn. 76 mwN). Dies hat das Schwurgericht auch vor dem Hintergrund, dass es zum konkreten Unfallgeschehen bereits eine Rechtsmedizinerin, einen Biomechaniker und einen Unfallanalytiker angehört hatte, die sich – teilweise – auch zu statistischen Werten für das Todesrisiko bei Pkw-Fußgänger-Kollisionen geäußert haben, nicht verkannt, weshalb es den Hilfsbeweisantrag als aus tatsächlichen Gründen bedeutungslos ablehnen durfte.
23
b) Entgegen der Auffassung der Revision war das Schwurgericht nicht verpflichtet, aufgrund der Stellung der Hilfsbeweisanträge erneut in die Beweisaufnahme einzutreten (vgl. BGH, Beschluss vom 24. August 2007 – 2 StR 322/07, NStZ 2008, 116; Scheffler, NStZ 1989, 158; Meyer-Goßner/ Schmitt, aaO, § 244 Rn. 44a mwN).
24
2. Der Sachrüge bleibt ebenfalls der Erfolg versagt.
25
a) Die Beweiswürdigung des Schwurgerichts weist keinen Rechtsfehler auf.
26
Insbesondere hat die Strafkammer in ausreichender Weise belegt, warum sie einen Tötungsvorsatz des Angeklagten bejaht hat. Dass sie dabei – auch und gerade unter Berücksichtigung der psychischen Verfassung des Angeklagten – zu dem Ergebnis gekommen ist, dass der „Denkzettel“, den der Angeklagte dem Nebenkläger verpassen wollte, mit der Billigung dessen Todes verbunden war, hält sich innerhalb der dem Tatrichter vorbehaltenen Würdigung und ist vom Revisionsgericht hinzunehmen. Auch stellt es – wie schon oben ausgeführt – keinen Widerspruch dar, dass die Strafkammer das Ausnutzungsbewusstsein im Rahmen des Heimtückemerkmals des § 211 Abs. 2 StGB verneint , aber bedingten Vorsatz hinsichtlich der Tötung des Geschädigten angenommen hat (vgl. Senat, Urteil vom 31. Juli 2014 – 4 StR 147/14, NStZ 2015, 30, 31).
27
b) Das Schwurgericht hat ferner ohne Rechtsfehler die Anwendung von § 46a StGB abgelehnt.
28
Diese erfordert unter anderem, dass der Angeklagte die Verantwortung für die begangene Straftat übernimmt (BGH, Beschluss vom 12. Juli 2011 – 1 StR 265/11; Urteile vom 4. Dezember 2014 – 4 StR 213/14; vom 19. De- zember 2002 – 1 StR 405/02, BGHSt 48, 134, 139, 141; vom 12. Januar2012 – 4 StR 290/11, NStZ 2012, 439, 440; vom 8. August 2012 – 2 StR 526/11, NStZ 2013, 33, 34).
29
Das hat das Landgericht rechtsfehlerfrei verneint. Denn der Angeklagte hatte sowohl im Rahmen seiner Vernehmungen im Ermittlungsverfahren als auch in dem Entschuldigungsschreiben vom 26. Juli 2013 an den Geschädigten angegeben, an seinem Fahrzeug sei ein Reifen geplatzt, weshalb er die Kontrolle über den Pkw verloren habe; in der Hauptverhandlung hat sich der Angeklagte – über die Entschuldigung beim Nebenkläger hinaus – lediglich dahin eingelassen, er habe niemanden verletzen oder töten wollen und dies auch nicht billigend in Kauf genommen. Eine Übernahme von Verantwortung in dem oben genannten Sinn musste das Landgericht hierin nicht sehen, da der Angeklagte durch die Darstellung eines Unglücks bzw. unverschuldeten Unfalls trotz der über die Rechtsanwälte erfolgten Zahlungsvereinbarung und deren Erfüllung sowie der Entschuldigung die Rolle des Geschädigten als Opfer einer vorsätzlichen Straftat gerade nicht anerkannt und sie in Bezug zu seinem eigenen Verhalten gesetzt hat (vgl. auch BGH, Urteil vom 23. Mai 2013 – 4 StR 109/13, NStZ-RR 2013, 240; Beschluss vom 25. Juni 2008 – 2 StR 217/08, NStZ-RR 2008, 304). Darauf, dass der Geschädigte die Entschuldigung des Angeklagten angenommen hat, kommt es nicht entscheidend an (BGH, Beschluss vom 25. Juni 2008 – 2 StR 217/08, NStZ-RR 2008, 304).

IV.


30
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1 und Abs. 2 StPO. Die dem Nebenkläger infolge der zuungunsten des Angeklagten eingelegten und ohne Erfolg gebliebenen Revision der Staatsanwaltschaft entstandenen Auslagen hat dieser selbst zu tragen.
Mutzbauer Roggenbuck Franke
Bender Quentin

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung ja
Zur Beurteilung des Schweregrads einer anderen seelischen Abartigkeit (hier
„dissoziale und schizoide Persönlichkeitsstörung“) und der Erheblichkeit der
Einschränkung der Steuerungsfähigkeit bei der Tat (Fortführung von BGHSt
37, 397).
BGH, Urteil vom 21. Januar 2004 - 1 StR 346/03 – LG Stuttgart

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 346/03
vom
21. Januar 2004
in der Strafsache
gegen
wegen erpresserischen Menschenraubs u. a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. Januar
2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Schluckebier,
Hebenstreit,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 8. April 2003 wird verworfen. 2. Die Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels sowie die durch dieses Rechtsmittel entstandenen notwendigen Ausla- gen der Nebenklägerin zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen räuberischen Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Angeklagten. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

Die Überprüfung des Schuldspruchs aufgrund der Sachrüge hat keinen die Angeklagte belastenden Rechtsfehler ergeben.

II.

Die Beschwerdeführerin deckt mit ihrem Revisionsvorbringen auch im Strafausspruch keinen Rechtsfehler auf. Näherer Erörterung bedarf allerdings die Rüge, die Angeklagte leide unter einer schweren Persönlichkeitsstörung
und habe sowohl bei dem verfahrensgegenständlichen räuberischen Diebstahl im Oktober 2001 als auch beim erpresserischen Menschenraub im Juli 2002 unter einem so starken Motivationsdruck gestanden, daß sie für beide Taten - anders als vom Landgericht angenommen - strafrechtlich nicht voll verantwortlich gewesen sei. 1. Die sachverständig beratene Strafkammer hat zur Persönlichkeitsentwicklung der Angeklagten und zum Tatgeschehen folgende Feststellungen getroffen :
a) Die Angeklagte, deren Eltern aus Kroatien stammen, wuchs in Deutschland gemeinsam mit einer Schwester auf. Sie hatte trotz durchschnittlicher Begabung bereits früh Probleme in der Grundschule. Nachdem sie die zweite Klasse wiederholen mußte, kam sie in die Sonderschule. Diese verließ sie im Jahre 1988 nach der 9. Klasse ohne Abschluß und besuchte danach ein Jahr eine Hauswirtschaftsschule. Die Kammer hat zu Gunsten der Angeklagten als wahr unterstellt, sie sei von ihrem Vater seit ihrem siebten Lebensjahr bis kurz vor ihrer Verhaftung immer wieder sexuell mißbraucht und regelmäßig geschlagen worden. Ab dem zehnten Lebensjahr unternahm sie mehrere Suizidversuche. Im Jugendalter wurde sie dreimal in stationäre psychiatrische Behandlung nach Kroatien gebracht, wurde allerdings nach wenigen Tagen wieder entlassen, ohne daß eine klare Diagnose gestellt werden konnte. Es wurden ihr Antidepressiva und regelmäßig ein Schmerzmittel verschrieben. Sie konsumierte außerdem seit dem 14. Lebensjahr in erheblichem Umfang Alkohol , ohne daß sich jedoch eine Suchtproblematik herausgebildet hätte. Gelegentlich konsumierte die Angeklagte auch Haschisch. Im Jahre 1991 heiratete die Angeklagte. Aus der Ehe gingen zwei Kinder im Alter von nunmehr elf und sechs Jahren hervor. Nach der Heirat arbeitete
sie halbtags als Textilverkäuferin; später übte sie verschiedene Tätigkeiten aus, zuletzt war sie in einem Fitneß-Studio tätig, wo sie rund 500 Euro im Monat verdiente. Etwa Mitte der neunziger Jahre spitzten sich ihre persönlichen Probleme zu. Sie praktizierte einen gehobenen Lebensstil, der nicht ihren bescheidenen finanziellen Verhältnissen entsprach, unter anderem mit häufigen Urlauben, teurer Kleidung für sich und ihre Kinder und häufigem Ausgehen mit Einladungen von Freunden. Diesen Lebensstil konnte sie nur durch zahlreiche Vermögensstraftaten finanzieren. Deshalb wurde sie am 24. Mai 1995 u. a. wegen Diebstahls in vier Fällen sowie wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit Betrug in 104 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren bei Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Die Strafe wurde 1999 erlassen. Am 23. Mai 2000 wurde sie wegen Betrugs in zehn Fällen in Tateinheit mit Urkundenfälschung in neun Fällen und wegen Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Strafe wurde nochmals zur Bewährung ausgesetzt. Im Jahr 1999 lernte sie während eines Urlaubs in Tunesien einen Tunesier kennen, der Mitglied einer sektenartigen Bewegung war, in der sich die Angeklagte aufgehoben fühlte. Seit 2000 leben die Eheleute getrennt.
b) Der räuberische Diebstahl Im Oktober 2001 betrat die Angeklagte gegen Mittag ein Schreibwarengeschäft mit Lottoannahmestelle und ließ sich einschließen. Sie entnahm der Lottokasse Bargeld in Höhe von mindestens 1.200 DM und packte drei Plastiktüten mit rund 320 Schachteln Zigaretten ein. Als die Ladenbesitzerin nach der Pause das Geschäftslokal betrat, gab die Angeklagte vor, versehentlich eingeschlossen worden zu sein. Die Ladenbesitzerin wollte die Angeklagte einschließen und die Polizei benachrichtigen. Dies verhinderte die Angeklagte
mit einem kräftigen Stoß, bei der die Frau zu Boden ging. Sie forderte nach einem Faustschlag von ihr das Mobilteil des Telefons, das sie in die Tasche steckte. Dann flüchtete sie. Die Angeklagte konnte aufgrund von Fingerabdrükken ermittelt und am 12. März 2002 festgenommen werden. Nach einem über ihren Verteidiger abgegebenen Geständnis wurde sie am 26. März 2002 wieder auf freien Fuß gesetzt. Die Angeklagte rechnete wegen dieser Tat mit einer erheblichen Freiheitsstrafe ohne Bewährung und befürchtete den Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung aus einer früheren Verurteilung. Außerdem hatte sie Probleme mit ihrem Vater, der sich im Jahre 2001 von ihrer Mutter getrennt hatte und seitdem bei ihr der Wohnung wohnte. Die Probleme trieben einem Höhepunkt zu, als der Vater den Wunsch äußerte, mit ihrer Tochter ein Wochenende allein im Schwarzwald zu verbringen. Die Kammer hat zu Gunsten der Angeklagten angenommen, sie habe befürchtet, der Vater könne sich auch an ihrer Tochter vergehen. Um den Problemen zu entgehen, faßte die Angeklagte den Plan, Deutschland zu verlassen und in Tunesien eine neue Existenz aufzubauen. Nach der Entlassung aus der Untersuchungshaft feierte sie dort aufwendig die Verlobung mit dem Tunesier, obwohl sie noch verheiratet war. Sie versprach dem Verlobten, dem gegenüber sie sich als wohlhabend ausgab, daß sie im Juli 2002 mit ihren Kindern endgültig zu ihm nach Tunesien ziehen werde. Dabei werde sie einen großen Geldbetrag mitbringen, mit dem man dort gemeinsam ein Mietwagenunternehmen aufbauen könne.
c) Die Kindesentführung
Anfang Juli 2002 faßte die Angeklagte den Entschluß, sich die Mittel zur Durchführung ihrer Tunesien-Pläne durch eine Kindesentführung mit Lösegeldforderung zu beschaffen. Als Erpressungsopfer erschien ihr hierfür die als wohlhabend geltende Familie R. geeignet, die nach ihren Informationen in der Lage sein würde, einen größeren Geldbetrag auch kurzfristig besorgen zu können. Der Plan der Angeklagten ging dahin, die 7jährige Tochter J. auf dem Schulweg in ihre Gewalt zu bringen und für ihre Freilassung ein "Löse- ! " # %$ &' ( &' *)+ , - ' . 0/1& geld" von 250.000 dem Geld sofort nach Tunesien absetzen. Zur Vorbereitung der Tat observierte die Angeklagte ab Anfang Juli 2002 die Verhaltensgewohnheiten der Familie R. . Insbesondere erforschte sie durch zahlreiche Anrufe, bei denen sie sich nicht meldete, zu welchem Zeitpunkt sich die Mitglieder der Familie zu Hause aufhielten. Zur Durchführung der Tat, die zunächst für den 12. Juli 2002 geplant war, kaufte sie einen gebrauchten Pkw BMW der 7er-Klasse. Da sie das Fahrzeug mit nach Tunesien mitnehmen wollte, ließ sie das Fahrzeug mit Ausfuhrkennzeichen zu. Am gleichen Tag buchte sie unter ihrem eigenen Namen zwei Flugreisen für den 12. Juli 2002 von Stuttgart nach Tunesien. Als Passagiere gab sie ihren Sohn und eine Person namens E. an. Sie war auf unbekannte Weise in Besitz eines Personalausweises mit diesem Namen gelangt und wollte unter diesem Namen nach Tunesien reisen. Am 10. Juli 2002 suchte sie ihre Cousine und deren Ehemann auf und teilte diesen mit, sie habe die Absicht nach Tunesien auszuwandern. Beide erklärten sich bereit, das Fahrzeug nach Tunesien zu überführen und die Tochter der Angeklagten mitzunehmen. Am 12. Juli 2002 gab sich die Angeklagte gegenüber der Sekretärin der Schule, in der J. in die erste Klasse ging, als deren Mutter aus und forderte sie auf, das Kind nach Hause zu schicken. Da J. jedoch krankheits-
bedingt nicht in der Schule war, brach die Angeklagte den Entführungsversuch an diesem Tag ab. Sie stornierte den geplanten Flug nach Tunesien und buchte den Flug auf den nächsten Tag um, in der Hoffnung die Tat an diesem Tag durchzuführen. Der Entführungsversuch fand aus nicht feststellbaren Gründen jedoch nicht statt.
Am 15. Juli 2002 überlegte die Angeklagte, wie sie auf anderer Weise Jasmin in ihre Gewalt bringen könnte. Sie wurde dabei gesehen, wie sie gegen 8.00 Uhr morgens aus ihrem Fahrzeug das Wohnhaus der Eheleute R. beobachtete. Die Angeklagte entschloß sich schließlich, die Entführung am 18. Juli 2002 durchzuführen. Sie buchte am 16. Juli 2002 für dieselben Personen einen Flug nach Tunesien für den 19. Juli 2002. Der Flug sollte jedoch von München stattfinden, wo sie die Nacht verbringen wollte. Sie buchte für sich und ihre Tochter eine Übernachtung im Hotel K. . Nachdem die Angeklagte am 18. Juli 2002 mehrere Kontrollanrufe bei der Familie R. getätigt hatte, fuhr sie mit ihrem Fahrzeug, in dem sie eine geladene Schreckschußpistole und ein Elektroschockgerät mit sich führte, gegen 8.00 Uhr zu der Schule. Gegen 9.00 Uhr sprach sie auf dem Schulgelände zwei 8jährige Schüler an und bat sie, J. aus dem Klassenzimmer zu holen ; sie solle zu der Sekretärin ins Rektorat kommen. Die Schüler, die die Angeklagte als Mutter von J. ansahen, holten J. mit Zustimmung der Klassenlehrerin heraus und begleiteten sie in Richtung Rektorat. Die Angeklagte paßte die beiden Schüler und J. zwischen dem Klassenraum und dem Rektorat ab. Die arglosen Jungen ließen J. mit der Angeklagten al-
lein. Sie vergewisserte sich, ob es sich bei dem Kind um J. handele und schüchterte es mit dem mitgebrachten Elektroschockgerät ein, indem sie dieses am Hals des Mädchens auslöste. Als J. zu schreien begann, drohte ihr die Angeklagte, sie werde sie töten, wenn sie nicht ruhig sei. Das Kind verhielt sich ruhig, weigerte sich aber, mit der Angeklagten zu gehen. Die Angeklagte nahm es unter den Arm und trug es zu ihrem Fahrzeug. J. wehrte sich dagegen mit Strampeln und verlor dabei ihre Sandalen und ihre Brille. Die Angeklagte setzte J. zunächst auf den Beifahrersitz und drückte das Kind nach unten, um zu verhindern, daß es bei der Abfahrt gesehen wurde. Um J. weiterhin gefügig zu machen, löste die Angeklagte das Elektroschockgerät nochmals an ihrer Wange aus, wodurch es zu einer leichten Verbrennung kam. Gegen 9.50 Uhr rief die Angeklagte J. s Vater an und forderte ihn auf nach Hause zu kommen, weil J. nach Hause gegangen sei. Er begab sich sofort nach Hause. Dort rief die Angeklagte den Vater erneut an und teilte ihm mit, daß sie J. in ihrer Gewalt habe. Er solle ruhig sein und keine Polizei rufen. Für den Fall, daß er sich nicht an ihre Anweisungen halte, drohte die Angeklagte, es würde für seine Tochter auf dem Markt einen guten Preis geben. Der Vater sollte die Befürchtung haben, sie wolle J. an einen Mädchenhändler verkaufen. Der Vater fuhr danach sofort in die Schule, wo inzwischen die Schuhe und die Brille des Kindes gefunden waren. Die Angeklagte fuhr mit dem Wagen ziellos im Raum L. herum. Da das Kind verängstigt und verzweifelt jammerte, verbrachte sie es spätestens gegen 11.00 Uhr in den Kofferraum des Fahrzeugs, wo es bis zu seiner Befreiung bis gegen 16.00 Uhr verblieb. Gegen 11.50 Uhr rief die Angeklagte den Vater J. s an und forderte ihn auf, binnen einer Stunde 250.000 243 die Freilassung seiner Tochter bereitzustellen. Nachdem der Vater einwandte, er benötige für die Beschaffung des Geldes Zeit bis 16.00 Uhr, erklärte sie sich
bereit, abzuwarten. In der Folgezeit rief sie mehrfach beim Vater an, um sich nach dem Stand der Vorbereitungen für die Geldübergabe zu erkundigen. Um 14.25 Uhr sprach die Angeklagte am Bahnhof in L. einen Taxifahrer an und forderte ihn auf, zum Haus der Familie R. zu fahren, dort ein Päckchen abzuholen und zu ihr zu bringen. Sie einigte sich mit dem Taxifahrer auf 50 Euro für die Fahrt. Um 14.40 Uhr teilte die Angeklagte dem Vater von J. mit, daß sie einen Boten schicken werde, der das Geld abholen werde. Um 14.50 Uhr rief sie den Vater erneut an und erklärte, er werde seine Tochter nicht wiedersehen, da er die Polizei eingeschaltet habe. In Absprache mit der inzwischen eingeschalteten Polizei gab der Vater gegenüber dem Taxifahrer an, daß das Paket noch nicht da sei, er möge noch etwas warten. Der Vater erfuhr dabei, daß der Taxifahrer das Paket zum Bahnhof nach L. bringen solle. Daraufhin begann die Polizei mit der Observation des Bahnhofsgebietes in L. . Dort entdeckte die Polizei die Angeklagte gegen 15.19 Uhr in ihrem Fahrzeug; bis zu ihrer Festnahme um 15.48 Uhr wurde sie lückenlos observiert. J. wurde im Kofferraum des Fahrzeugs in einem zwar erschöpften, jedoch insgesamt zufriedenstellenden Zustand aufgefunden.
2. Die sachverständig beratene Strafkammer hat eine Verminderung der Steuerungsfähigkeit bei der Angeklagten verneint und sie für beide Taten für strafrechtlich voll verantwortlich gehalten. Die Kammer ist dem psychiatrischen Sachverständigen darin gefolgt, die Angeklagte leide an einer schweren gemischten Persönlichkeitsstörung mit dissozialen und schizoiden Anteilen, die weitgehend auf einem hochproblema-
tischen Verhältnis zum Vater beruhe. Dazu ist in den Urteilsgründen näher ausgeführt, die Störung äußere sich in einer unausgeglichenen Affektivität mit autoaggressiven Zügen, einer gestörten Beziehungsfähigkeit und einer Neigung , insbesondere problematische Dinge von sich abzuspalten. Die Persönlichkeitsstörung , die auch durch sexuelle Mißbrauchserlebnisse mitbedingt sein könne, sei deshalb so erheblich, daß Symptome vorlägen, die rechtlich als "schwere andere seelische Abartigkeit" im Sinne des § 20 StGB eingeordnet würden. Die Strafkammer ist den Ausführungen des Sachverständigen auch insoweit gefolgt, als keine Anhaltspunkte dafür bestünden, daß sich die Persönlichkeitsstörung bei der konkreten Tat auf ihre Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ausgewirkt habe. Die Angeklagte sei in der Lage, die Realität zu erkennen und richtig einzuschätzen. Angesichts der hohen Komplexität der Tatabläufe , insbesondere der umfänglichen Tatplanung und der Vorbereitungshandlungen , sowie der Tatsache, daß die Angeklagte längerfristige, zukunftsgerichtete Pläne verfolgt habe, lägen keine Hinweise dafür vor, daß sie ihr Verhalten nicht habe steuern können. Dagegen hat die die Revision eingewendet, die Beurteilung der Schuldfähigkeit sei in mehrfacher Hinsicht rechtsfehlerhaft. Die Strafkammer habe bezüglich des ersten Tatvorwurfs, dem räuberischen Diebstahl, die Frage der erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit überhaupt nicht geprüft. Hinsichtlich der Kindesentführung habe sie sich zwar mit der Problematik auseinandergesetzt , jedoch schon verkannt, daß nach der Rechtsprechung des Bundesgerichthofes die Annahme einer schweren seelischen Abartigkeit eine erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit zumindest nahe lege. Ein überlegtes, geplantes, logisches und zielgerichtetes Handeln schließe eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit nicht aus, da auch "bei geplantem und geordnetem Vorgehen" die Fähigkeit erheblich eingeschränkt sein könne,
Anreize zu einem bestimmten Verhalten und Hemmungsvorstellungen gegen- einander abzuwägen und danach den Willensentschluß zu bilden. Deshalb habe die Kammer in erster Linie prüfen müssen, ob die Angeklagte infolge ihrer Persönlichkeitsstörung in der fraglichen Zeit einem zur Tat führenden starken Motivationsdruck ausgesetzt gewesen sei, wie er sonst in vergleichbaren Situationen bei anderen Straftätern nicht vorhanden sei, und ob dadurch ihre Fähigkeit , sich normgerecht zu verhalten, deutlich vermindert gewesen sei. Die Kammer sei zwar davon ausgegangen, daß die schwere Persönlichkeitsstörung möglicherweise auf dem hochproblematischen Verhältnis zum Vater beruhe , habe jedoch außer acht gelassen, daß die Angeklagte mit ihrer Tochter und ihrem Sohn Deutschland verlassen und nach Tunesien auswandern wollte, „weil ihr Vater - der bereits sie über Jahre sexuell mißbraucht und geschlagen hatte - den Wunsch äußerte, mit der Tochter der Angeklagten ein Wochenende allein im Schwarzwald verbringen zu wollen und die Angeklagte befürchtete, daß ihr Vater sich auch an ihrer Tochter vergehen würde“ (UA S. 5, 20). 3. Es ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, daß die Strafkammer die Angeklagte trotz der angenommenen Persönlichkeitsstörung für beide Taten als strafrechtlich voll verantwortlich angesehen hat.
a) Persönlichkeitsstörung als andere seelische Abartigkeit
aa) Ersichtlich ist der Sachverständige bei der Beurteilung der persönlichen Entwicklung der Angeklagten und ihrer strafrechtlichen Verantwortlichkeit nach den Kriterien der in der forensischen Psychiatrie gebräuchlichen diagnostischen und statistischen Klassifikationssysteme vorgegangen (ICD-10 Kapitel V (F), Internationale Klassifikation psychischer Störungen, Dil-
ling/Mombour/Schmidt [Hrsg.], 4. Aufl.; DSM-IV, Diagnostisches und Statisti- sches Manual Psychischer Störungen 2. Aufl., Saß/Wittchen/Zaudig [Hrsg.].).
bb) Bei der in ICD-10 F 60.0 (DSM-IV 301.0) genannten Störungsgruppe „Persönlichkeitsstörung“ handelt es sich um einen Oberbegriff. Es werden völlig unterschiedliche typologisch definierte Varianten beschrieben, die je nach Ausprägung als normal oder abnorm zugeordnet werden. Sie reichen von einer Vielzahl normalpsychologisch wirksamer Ausprägungen und Beeinträchtigungen des Empfindens und Verhaltens bis zu einer abnormen Persönlichkeit, die von ihrem Gewicht her durchaus Krankheitswert erreichen kann (Rasch, Forensische Psychiatrie 2. Aufl. S. 261 f.). Der Begriff der Persönlichkeitsstörung beschreibt abnorme Persönlichkeiten, deren Eigenschaften von einer nicht näher bezeichneten gesellschaftlichen Norm abweichen. Von psychopathischen Persönlichkeiten wird dann gesprochen, wenn die Person an ihrer Abnormität leidet oder wenn die Gesellschaft unter ihrer Abnormität leidet (vgl. Venzlaff und Pfäfflin in Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung 4. Aufl. S. 248, 250; Rasch, StV 1991, 126, 127; Nedopil, Forensische Psychiatrie 2. Aufl. S. 149, 152 f.; Saß in Saß/Herpertz, Persönlichkeitsstörungen S. 177, 180).
cc) Für die forensische Unterscheidung zwischen strafrechtlich nicht relevanten Auffälligkeiten in Charakter und Verhalten einer Persönlichkeit und einer psychopathologischen Persönlichkeitsstörung, die Symptome aufweist, die in einer Beziehung zu psychischen Erkrankungen im engeren Sinne bestehen , enthalten die Klassifikationssysteme ICD-10 und DSM-IV eine Vielzahl diagnostischer Kriterien, anhand derer der psychiatrische Sachverständige einzelne Persönlichkeitsstörungen spezifizieren und deren Ausprägungsgrad bewerten kann. Diagnostische Hilfsmittel bei psychischen Störungen sind ne-
ben technischen Untersuchungen (EEG, Laboruntersuchungen etc.) sowie den Selbst- und Fremdbeurteilungen vor allem strukturierte Checklisten und diagnostische Interviews (vgl. DSM-IV aaO S. XVII). Bei der forensischen Begut- achtung hat sich der Sachverständige methodischer Mittel zu bedienen, die dem jeweils aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand gerecht werden. Existieren mehrere anerkannte und indizierte Verfahren, so steht deren Auswahl in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Dabei ist der Sachverständige – unbeschadet der Sachleitungsbefugnis durch das Gericht - frei, von welchen inhaltlichen Überlegungen und wissenschaftlichen Methoden er bei Erhebung der maßgeblichen Informationen ausgeht und welche Gesichtspunkte er für seine Bewertung des Ausprägungsgrades für maßgeblich hält. In seinem Gutachten hat er nach den Geboten der Nachvollziehbarkeit und der Transparenz für alle Verfahrensbeteiligten nach Möglichkeit darzulegen, aufgrund welcher Anknüpfungstatsachen und auf welchem Weg er zu den von ihm gefundenen Ergebnissen gelangt ist (vgl. BGHSt 44, 26, 33; 45, 164, 169; st. Rspr.).
dd) Der Senat hat der forensisch-psychiatrischen Literatur entnommen, daß sich nach dem bestehenden wissenschaftlichen Kenntnisstand für die forensische Schuldfähigkeitsbeurteilung von Persönlichkeitsstörungen folgende Vorgehensweise anbietet, ohne daß die Nichteinhaltung einzelner Schritte nach rechtlichen Maßstäben fehlerhaft sein muß. Dazu gehört, daß der Sachverständige die sozialen und biographischen Merkmale unter besonderer Berücksichtigung der zeitlichen Konstanz der pathologischen Auffälligkeiten erhebt. Darüber hinaus bedarf es der Darstellung der pathologischen Reaktionsweisen unter konflikthaften Belastungen und deren Veränderungen infolge der natürlichen Reifungs- und Entwicklungsschritte sowie der therapeutischen Maßnahmen (Saß in Saß/Herpertz, Persönlichkeitsstörungen, 2003, S. 177,
178). Weist die untersuchte Person Persönlichkeitszüge auf, die nur auf ein unangepaßtes Verhalten oder auf eine akzentuierte Persönlichkeit hindeuten und die Schwelle einer Persönlichkeitsstörung nicht erreichen, wird schon aus psychiatrischer Sicht eine Zuordnung zum vierten Merkmal des § 20 StGB auszuschließen sein.

b) Schweregrad der Abartigkeit
Gelangt der Sachverständige – wie hier - zur Diagnose einer „dissozialen oder antisoziale Persönlichkeitsstörung“ (ICD-10 F 60.2 und DSM-IV 301.7: „Mißachtung sozialer Normen“) und einer „schizoiden Persönlichkeitsstörung“ (ICD-10 F 60.1. und DSM-IV 301.20: „Distanziertheit in sozialen Beziehungen, eingeschränkte emotionale Ausdrucksmöglichkeiten“), so ist diese psychiatrische Diagnose indes nicht mit der „schweren anderen seelischen Abartigkeit“ in § 20 StGB gleichzusetzen. Für die forensische Praxis ist mit der bloßen Feststellung, bei dem Angeklagten liege eine Persönlichkeitsstörung vor, nichts gewonnen. Vielmehr sind der Ausprägungsgrad der Störung und der Einfluß auf die soziale Anpassungsfähigkeit entscheidend für die Beurteilung der Schuldfähigkeit (Rasch, Die psychiatrisch-psychologische Beurteilung der sogenannten schweren anderen seelischen Abartigkeit, StV 1991 S. 126, 127). Hierfür sind die Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit (etwa hinsichtlich der Wahrnehmung der eigenen und dritter Personen, der emotionalen Reaktionen, der Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen und der Impulskontrolle) durch die festgestellten pathologischen Verhaltensmuster im Vergleich mit jenen krankhaft seelischer Störungen zu untersuchen (vgl. Kröber NStZ 1998, 80 f.). Für die Bewertung der Schwere der Persönlichkeitsstörung ist maßgebend, ob es im Alltag außerhalb des angeklagten Deliktes zu Einschränkungen des
beruflichen und sozialen Handlungsvermögens gekommen ist (DSM-IV aaO S. 715, 716; Nedopil aaO S. 152). Erst wenn das Muster des Denkens, Fühlens oder Verhaltens, das gewöhnlich im frühen Erwachsenenalter in Erscheinung tritt, sich im Zeitverlauf als stabil erwiesen hat, können die psychiatrischen Voraussetzungen vorliegen, die rechtlich als viertes Merkmal des § 20 StGB, der „schweren anderen seelischen Abartigkeit“ angesehen werden.
Für das Vorliegen der Voraussetzungen einer „schweren anderen seelischen Abartigkeit“ werden aus psychiatrischer Sicht genannt: Hervorgehen der Tat aus neurotischen Konflikten; konflikthafte Zuspitzung und emotionale Labilisierung in der Zeit vor der Tat; abrupter, impulshafter Tatablauf; aktuelle konstellative Faktoren wie z. B. Alkohol und andere Drogen, Ermüdung, affektive Erregung. Gegen das Vorliegen des vierten Merkmals des § 20 StGB können sprechen: Tatvorbereitung; planmäßiges Vorgehen bei der Tat; Fähigkeit zu warten; lang hingezogenes Tatgeschehen; komplexer Handlungsablauf in Etappen; Vorsorge gegen Entdeckung; Möglichkeit anderen Verhaltens unter vergleichbaren Umständen; Hervorgehen des Delikts aus dissozialen Charakterzügen (Saß in Saß/Herpertz aaO S. 179, 180; Versuche einer empirischwissenschaftlichen Auswertung der am häufigsten in forensischen Gutachten vorkommenden Indikatoren bei Scholz/Schmidt, Schuldfähigkeit bei schwerer anderer seelischer Abartigkeit, 2003).

c) Erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit bei der Tat
Ob die Steuerungsfähigkeit wegen des Vorliegens einer schweren anderen seelischen Abartigkeit bei Begehung der Tat "erheblich" im Sinne des § 21 StGB vermindert war, ist eine Rechtsfrage. Diese hat der Tatrichter ohne Bin-
dung an Äußerungen von Sachverständigen in eigener Verantwortung zu beantworten. Hierbei fließen normative Gesichtspunkte ein. Entscheidend sind die Anforderungen, die die Rechtsordnung an jedermann stellt (vgl. für den „berauschten Täter“ BGHSt 43, 66, 77; BGH NStZ-RR 1999, 295, 296 jew. m.w.N.). Diese Anforderungen sind um so höher, je schwerwiegender das in Rede stehende Delikt ist (BGH, Urt. v. 21. März 2001 - 1 StR 32/01).
Da Persönlichkeitsstörungen in der Regel die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit nicht vollständig aufheben, wird der Tatrichter Gesichtspunkte bewerten, die für oder gegen eine Einschränkung der Steuerungsfähigkeit sprechen können, ohne daß es wegen der fließenden Übergänge zwischen Normalität sowie allen Schweregraden und Konstellationen abnormer Persönlichkeit feste skalierbare Regelungen gibt (Saß in Saß/Herpertz aaO S. 179).
aa) Zudem kommt es nach dem Gesetz nicht darauf an, ob die Steuerungsfähigkeit generell eingeschränkt ist. Maßgeblich ist vielmehr, ob sie bei Begehung der Tat – und zwar erheblich – eingeschränkt war. Zur Beurteilung dieser Rechtsfrage wird der Tatrichter auf der Grundlage des Beweisergebnisses über den Ablauf der Tathandlung – auch unter Beachtung möglicher alternativer Tatvarianten - die vom Sachverständigen gestellte Diagnose, den Schweregrad der Störung und deren innere Beziehung zur Tat in eigener Verantwortung nachprüfen. Stellt er in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen fest, daß das Störungsbild die Merkmale eines oder mehrerer Muster oder einer Mischform die Klassifikationen in ICD-10 oder DSM-IV erfüllen, besagt dies rechtlich noch nichts über das Ausmaß psychischer Störungen (vgl. BGH NStZ 1997, 383). Eine solche Zuordnung hat eine Indizwirkung dafür, daß eine nicht ganz geringfügige Beeinträchtigung vorliegt (vgl. zu bestimmten Fallgrup-
pen BGH StV 1998, 342; StV 2002, 17, 18; BGH, Urt. vom 27. August 2003 – 2 StR 267/03). Der Tatrichter wird in einer Gesamtbetrachtung die Persönlichkeit des Angeklagten und dessen Entwicklung bewerten, wobei auch Vorgeschichte , unmittelbarer Anlaß und Ausführung der Tat sowie das Verhalten danach von Bedeutung sind (st. Rspr.; vgl. BGHSt 37, 397, 401 f.; BGH NStZ 1997, 485; BGH, BGHR StGB § 21 Seelische Abartigkeit 10, 20, 23, 36; BGH NStZ 1996, 380; BGH StraFo 2001, 249; BGH StV 2002, 17, 18; vgl. in diesem Sinne auch Venzlaff und Pfäfflin in Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung aaO S. 270 f.; Saß in Saß/Herpertz, Persönlichkeitsstörungen S. 177, 180).
bb) Es kann hier dahingestellt bleiben, ob die mitgeteilte Diagnose des Sachverständigen zum Vorliegen einer schweren Persönlichkeitsstörung zutreffend war. Dagegen könnte sprechen, daß die in den Urteilsgründen mitgeteilte Tatsachengrundlage wenig tragfähig erscheint. Der Sachverständige hat seine Diagnose im wesentlichen auf die persönlichen Angaben der Angeklagten bei der Exploration gestützt und ausgeführt, „die Persönlichkeitsstörung die durchaus auch auf sexuelle Mißbrauchserlebnisse mitbedingt sein könne, sei auch so erheblich, daß eine schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB anzunehmen sei“. Auch die Strafkammer ist „ entsprechend ihren Angaben zu ihren Gunsten davon ausgegangen“, die Angeklagte sei vom Vater seit ihrem siebten Lebensjahr immer wieder sexuell mißbraucht worden. Konkrete Feststellungen oder objektivierbare Indizien, die die Behauptungen der Angeklagten stützen, enthalten die Urteilsgründe nicht. Die als Zeugen vernommenen Mutter und Schwester haben sogar ausgesagt, sie hätten zu keinem Zeitpunkt Anhaltspunkte für einen sexuellen Mißbrauch der Angeklagten gehabt (UA S. 15).
Die Strafkammer hat zum räuberischen Diebstahl im Oktober 2001 keine näheren Ausführungen zu einer möglichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit gemacht. Eine solche lag auch eher fern, denn hinsichtlich dieser Tat behauptet die Revision selbst nicht, daß die Angeklagte infolge ihrer Persönlichkeitsstörung schon zu diesem Zeitpunkt einem so starken Motivationsdruck ausgesetzt war, daß sie die Wegnahme des Geldes und dessen Sicherung durch Gewaltanwendung nicht habe steuern können.
Die Strafkammer hat auch hinsichtlich der im Juli 2002 begangenen Entführung der siebenjährigen J. nachvollziehbar einen erheblichen Einfluß der Persönlichkeitsstörung auf das komplexe Tatgeschehen ausgeschlossen. Die Angeklagte sei zwar aufgrund ihrer Lebensgeschichte, zu der auch die Mißbrauchsgeschichte gehören könne, in vieler Hinsicht kritikgemindert. Sie sei aber in der Lage, die Realität zu erkennen und richtig einzuschätzen. Ihre gelegentliche Impulsivität sei keine pathologisch überhöhte Erregbarkeit, insbesondere sei auch keine hirnorganisch begründete Affektlabilität festzustellen.
Als Beleg für eine vollständig erhaltene Steuerungsfähigkeit hat die Strafkammer herangezogen, daß es der Angeklagten bei ihrer Tat in erster Linie darum ging, sich mittels des erwarteten Lösegeldes die Basis für ihr zukünftiges Leben in Tunesien zu schaffen. Die Behauptung der Angeklagten, sie habe wegen eines möglichen Übergriffs des Vaters auf ihre Tochter unter einem schwer beherrschbaren Motivationsdruck gestanden, darf die Kammer als widerlegt ansehen. Sie hat ausgeführt, die Angeklagte habe diese Pläne schon seit ihrem Besuch und ihrer Verlobung in Tunesien im April 2002 verfolgt und
sich endgültig im Juli 2002 zu dieser Straftat entschlossen. Das Lösegeld sollte das ihrem neuen Lebensgefährten zugesagte Startkapital sein.
Gegen die erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit bei der Tat sprachen hier die bis ins einzelne gehende Planung der Entführung, die vorbereitende Beobachtung der Familie über mehrere Tage sowie das mehrmalige Umbuchen der Flüge nach Tunesien. Die Kammer hat mit Recht auch als überlegtes kriminelles Handeln angesehen, daß die Angeklagte dem Vater des Entführungsopfers jeweils nur kurze Fristen zur Geldbeschaffung setzte, um ihn aus Furcht um sein Kind unter Druck zu setzen. Die Strafkammer konnte schließlich als Belege für ein kontrolliertes und zielgerichtetes Handeln der Angeklagten auch die kaltblütige Durchführung der Entführung auf dem öffentlichen Schulgelände heranziehen. Sie hat ausgeführt, das Sichbemächtigen des Kindes auf dem Schulgelände zeige, in welchem Maße die Angeklagte in der Lage war, situationsadäquat zu handeln und ihre Impulse instrumental zu steuern. Obwohl sie auf dem Schulgelände mit Zeugen rechnen mußte, habe sie das Kind in der Nähe des Rektorats abgefangen und gezielt - und für das Kind J. äußerst schmerzhaft - das Elektroschockgerät einsetzte und das sich wehrende Kind in den bereitgestellten Pkw verbracht. Damit ist die Strafkammer zu Recht davon ausgegangen, daß bei der Angeklagten eine erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit nicht vorlag.
Nack Wahl Boetticher Schluckebier Hebenstreit

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung ja
Zur Beurteilung des Schweregrads einer anderen seelischen Abartigkeit (hier
„dissoziale und schizoide Persönlichkeitsstörung“) und der Erheblichkeit der
Einschränkung der Steuerungsfähigkeit bei der Tat (Fortführung von BGHSt
37, 397).
BGH, Urteil vom 21. Januar 2004 - 1 StR 346/03 – LG Stuttgart

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 346/03
vom
21. Januar 2004
in der Strafsache
gegen
wegen erpresserischen Menschenraubs u. a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. Januar
2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Schluckebier,
Hebenstreit,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 8. April 2003 wird verworfen. 2. Die Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels sowie die durch dieses Rechtsmittel entstandenen notwendigen Ausla- gen der Nebenklägerin zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen räuberischen Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Angeklagten. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

Die Überprüfung des Schuldspruchs aufgrund der Sachrüge hat keinen die Angeklagte belastenden Rechtsfehler ergeben.

II.

Die Beschwerdeführerin deckt mit ihrem Revisionsvorbringen auch im Strafausspruch keinen Rechtsfehler auf. Näherer Erörterung bedarf allerdings die Rüge, die Angeklagte leide unter einer schweren Persönlichkeitsstörung
und habe sowohl bei dem verfahrensgegenständlichen räuberischen Diebstahl im Oktober 2001 als auch beim erpresserischen Menschenraub im Juli 2002 unter einem so starken Motivationsdruck gestanden, daß sie für beide Taten - anders als vom Landgericht angenommen - strafrechtlich nicht voll verantwortlich gewesen sei. 1. Die sachverständig beratene Strafkammer hat zur Persönlichkeitsentwicklung der Angeklagten und zum Tatgeschehen folgende Feststellungen getroffen :
a) Die Angeklagte, deren Eltern aus Kroatien stammen, wuchs in Deutschland gemeinsam mit einer Schwester auf. Sie hatte trotz durchschnittlicher Begabung bereits früh Probleme in der Grundschule. Nachdem sie die zweite Klasse wiederholen mußte, kam sie in die Sonderschule. Diese verließ sie im Jahre 1988 nach der 9. Klasse ohne Abschluß und besuchte danach ein Jahr eine Hauswirtschaftsschule. Die Kammer hat zu Gunsten der Angeklagten als wahr unterstellt, sie sei von ihrem Vater seit ihrem siebten Lebensjahr bis kurz vor ihrer Verhaftung immer wieder sexuell mißbraucht und regelmäßig geschlagen worden. Ab dem zehnten Lebensjahr unternahm sie mehrere Suizidversuche. Im Jugendalter wurde sie dreimal in stationäre psychiatrische Behandlung nach Kroatien gebracht, wurde allerdings nach wenigen Tagen wieder entlassen, ohne daß eine klare Diagnose gestellt werden konnte. Es wurden ihr Antidepressiva und regelmäßig ein Schmerzmittel verschrieben. Sie konsumierte außerdem seit dem 14. Lebensjahr in erheblichem Umfang Alkohol , ohne daß sich jedoch eine Suchtproblematik herausgebildet hätte. Gelegentlich konsumierte die Angeklagte auch Haschisch. Im Jahre 1991 heiratete die Angeklagte. Aus der Ehe gingen zwei Kinder im Alter von nunmehr elf und sechs Jahren hervor. Nach der Heirat arbeitete
sie halbtags als Textilverkäuferin; später übte sie verschiedene Tätigkeiten aus, zuletzt war sie in einem Fitneß-Studio tätig, wo sie rund 500 Euro im Monat verdiente. Etwa Mitte der neunziger Jahre spitzten sich ihre persönlichen Probleme zu. Sie praktizierte einen gehobenen Lebensstil, der nicht ihren bescheidenen finanziellen Verhältnissen entsprach, unter anderem mit häufigen Urlauben, teurer Kleidung für sich und ihre Kinder und häufigem Ausgehen mit Einladungen von Freunden. Diesen Lebensstil konnte sie nur durch zahlreiche Vermögensstraftaten finanzieren. Deshalb wurde sie am 24. Mai 1995 u. a. wegen Diebstahls in vier Fällen sowie wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit Betrug in 104 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren bei Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Die Strafe wurde 1999 erlassen. Am 23. Mai 2000 wurde sie wegen Betrugs in zehn Fällen in Tateinheit mit Urkundenfälschung in neun Fällen und wegen Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Strafe wurde nochmals zur Bewährung ausgesetzt. Im Jahr 1999 lernte sie während eines Urlaubs in Tunesien einen Tunesier kennen, der Mitglied einer sektenartigen Bewegung war, in der sich die Angeklagte aufgehoben fühlte. Seit 2000 leben die Eheleute getrennt.
b) Der räuberische Diebstahl Im Oktober 2001 betrat die Angeklagte gegen Mittag ein Schreibwarengeschäft mit Lottoannahmestelle und ließ sich einschließen. Sie entnahm der Lottokasse Bargeld in Höhe von mindestens 1.200 DM und packte drei Plastiktüten mit rund 320 Schachteln Zigaretten ein. Als die Ladenbesitzerin nach der Pause das Geschäftslokal betrat, gab die Angeklagte vor, versehentlich eingeschlossen worden zu sein. Die Ladenbesitzerin wollte die Angeklagte einschließen und die Polizei benachrichtigen. Dies verhinderte die Angeklagte
mit einem kräftigen Stoß, bei der die Frau zu Boden ging. Sie forderte nach einem Faustschlag von ihr das Mobilteil des Telefons, das sie in die Tasche steckte. Dann flüchtete sie. Die Angeklagte konnte aufgrund von Fingerabdrükken ermittelt und am 12. März 2002 festgenommen werden. Nach einem über ihren Verteidiger abgegebenen Geständnis wurde sie am 26. März 2002 wieder auf freien Fuß gesetzt. Die Angeklagte rechnete wegen dieser Tat mit einer erheblichen Freiheitsstrafe ohne Bewährung und befürchtete den Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung aus einer früheren Verurteilung. Außerdem hatte sie Probleme mit ihrem Vater, der sich im Jahre 2001 von ihrer Mutter getrennt hatte und seitdem bei ihr der Wohnung wohnte. Die Probleme trieben einem Höhepunkt zu, als der Vater den Wunsch äußerte, mit ihrer Tochter ein Wochenende allein im Schwarzwald zu verbringen. Die Kammer hat zu Gunsten der Angeklagten angenommen, sie habe befürchtet, der Vater könne sich auch an ihrer Tochter vergehen. Um den Problemen zu entgehen, faßte die Angeklagte den Plan, Deutschland zu verlassen und in Tunesien eine neue Existenz aufzubauen. Nach der Entlassung aus der Untersuchungshaft feierte sie dort aufwendig die Verlobung mit dem Tunesier, obwohl sie noch verheiratet war. Sie versprach dem Verlobten, dem gegenüber sie sich als wohlhabend ausgab, daß sie im Juli 2002 mit ihren Kindern endgültig zu ihm nach Tunesien ziehen werde. Dabei werde sie einen großen Geldbetrag mitbringen, mit dem man dort gemeinsam ein Mietwagenunternehmen aufbauen könne.
c) Die Kindesentführung
Anfang Juli 2002 faßte die Angeklagte den Entschluß, sich die Mittel zur Durchführung ihrer Tunesien-Pläne durch eine Kindesentführung mit Lösegeldforderung zu beschaffen. Als Erpressungsopfer erschien ihr hierfür die als wohlhabend geltende Familie R. geeignet, die nach ihren Informationen in der Lage sein würde, einen größeren Geldbetrag auch kurzfristig besorgen zu können. Der Plan der Angeklagten ging dahin, die 7jährige Tochter J. auf dem Schulweg in ihre Gewalt zu bringen und für ihre Freilassung ein "Löse- ! " # %$ &' ( &' *)+ , - ' . 0/1& geld" von 250.000 dem Geld sofort nach Tunesien absetzen. Zur Vorbereitung der Tat observierte die Angeklagte ab Anfang Juli 2002 die Verhaltensgewohnheiten der Familie R. . Insbesondere erforschte sie durch zahlreiche Anrufe, bei denen sie sich nicht meldete, zu welchem Zeitpunkt sich die Mitglieder der Familie zu Hause aufhielten. Zur Durchführung der Tat, die zunächst für den 12. Juli 2002 geplant war, kaufte sie einen gebrauchten Pkw BMW der 7er-Klasse. Da sie das Fahrzeug mit nach Tunesien mitnehmen wollte, ließ sie das Fahrzeug mit Ausfuhrkennzeichen zu. Am gleichen Tag buchte sie unter ihrem eigenen Namen zwei Flugreisen für den 12. Juli 2002 von Stuttgart nach Tunesien. Als Passagiere gab sie ihren Sohn und eine Person namens E. an. Sie war auf unbekannte Weise in Besitz eines Personalausweises mit diesem Namen gelangt und wollte unter diesem Namen nach Tunesien reisen. Am 10. Juli 2002 suchte sie ihre Cousine und deren Ehemann auf und teilte diesen mit, sie habe die Absicht nach Tunesien auszuwandern. Beide erklärten sich bereit, das Fahrzeug nach Tunesien zu überführen und die Tochter der Angeklagten mitzunehmen. Am 12. Juli 2002 gab sich die Angeklagte gegenüber der Sekretärin der Schule, in der J. in die erste Klasse ging, als deren Mutter aus und forderte sie auf, das Kind nach Hause zu schicken. Da J. jedoch krankheits-
bedingt nicht in der Schule war, brach die Angeklagte den Entführungsversuch an diesem Tag ab. Sie stornierte den geplanten Flug nach Tunesien und buchte den Flug auf den nächsten Tag um, in der Hoffnung die Tat an diesem Tag durchzuführen. Der Entführungsversuch fand aus nicht feststellbaren Gründen jedoch nicht statt.
Am 15. Juli 2002 überlegte die Angeklagte, wie sie auf anderer Weise Jasmin in ihre Gewalt bringen könnte. Sie wurde dabei gesehen, wie sie gegen 8.00 Uhr morgens aus ihrem Fahrzeug das Wohnhaus der Eheleute R. beobachtete. Die Angeklagte entschloß sich schließlich, die Entführung am 18. Juli 2002 durchzuführen. Sie buchte am 16. Juli 2002 für dieselben Personen einen Flug nach Tunesien für den 19. Juli 2002. Der Flug sollte jedoch von München stattfinden, wo sie die Nacht verbringen wollte. Sie buchte für sich und ihre Tochter eine Übernachtung im Hotel K. . Nachdem die Angeklagte am 18. Juli 2002 mehrere Kontrollanrufe bei der Familie R. getätigt hatte, fuhr sie mit ihrem Fahrzeug, in dem sie eine geladene Schreckschußpistole und ein Elektroschockgerät mit sich führte, gegen 8.00 Uhr zu der Schule. Gegen 9.00 Uhr sprach sie auf dem Schulgelände zwei 8jährige Schüler an und bat sie, J. aus dem Klassenzimmer zu holen ; sie solle zu der Sekretärin ins Rektorat kommen. Die Schüler, die die Angeklagte als Mutter von J. ansahen, holten J. mit Zustimmung der Klassenlehrerin heraus und begleiteten sie in Richtung Rektorat. Die Angeklagte paßte die beiden Schüler und J. zwischen dem Klassenraum und dem Rektorat ab. Die arglosen Jungen ließen J. mit der Angeklagten al-
lein. Sie vergewisserte sich, ob es sich bei dem Kind um J. handele und schüchterte es mit dem mitgebrachten Elektroschockgerät ein, indem sie dieses am Hals des Mädchens auslöste. Als J. zu schreien begann, drohte ihr die Angeklagte, sie werde sie töten, wenn sie nicht ruhig sei. Das Kind verhielt sich ruhig, weigerte sich aber, mit der Angeklagten zu gehen. Die Angeklagte nahm es unter den Arm und trug es zu ihrem Fahrzeug. J. wehrte sich dagegen mit Strampeln und verlor dabei ihre Sandalen und ihre Brille. Die Angeklagte setzte J. zunächst auf den Beifahrersitz und drückte das Kind nach unten, um zu verhindern, daß es bei der Abfahrt gesehen wurde. Um J. weiterhin gefügig zu machen, löste die Angeklagte das Elektroschockgerät nochmals an ihrer Wange aus, wodurch es zu einer leichten Verbrennung kam. Gegen 9.50 Uhr rief die Angeklagte J. s Vater an und forderte ihn auf nach Hause zu kommen, weil J. nach Hause gegangen sei. Er begab sich sofort nach Hause. Dort rief die Angeklagte den Vater erneut an und teilte ihm mit, daß sie J. in ihrer Gewalt habe. Er solle ruhig sein und keine Polizei rufen. Für den Fall, daß er sich nicht an ihre Anweisungen halte, drohte die Angeklagte, es würde für seine Tochter auf dem Markt einen guten Preis geben. Der Vater sollte die Befürchtung haben, sie wolle J. an einen Mädchenhändler verkaufen. Der Vater fuhr danach sofort in die Schule, wo inzwischen die Schuhe und die Brille des Kindes gefunden waren. Die Angeklagte fuhr mit dem Wagen ziellos im Raum L. herum. Da das Kind verängstigt und verzweifelt jammerte, verbrachte sie es spätestens gegen 11.00 Uhr in den Kofferraum des Fahrzeugs, wo es bis zu seiner Befreiung bis gegen 16.00 Uhr verblieb. Gegen 11.50 Uhr rief die Angeklagte den Vater J. s an und forderte ihn auf, binnen einer Stunde 250.000 243 die Freilassung seiner Tochter bereitzustellen. Nachdem der Vater einwandte, er benötige für die Beschaffung des Geldes Zeit bis 16.00 Uhr, erklärte sie sich
bereit, abzuwarten. In der Folgezeit rief sie mehrfach beim Vater an, um sich nach dem Stand der Vorbereitungen für die Geldübergabe zu erkundigen. Um 14.25 Uhr sprach die Angeklagte am Bahnhof in L. einen Taxifahrer an und forderte ihn auf, zum Haus der Familie R. zu fahren, dort ein Päckchen abzuholen und zu ihr zu bringen. Sie einigte sich mit dem Taxifahrer auf 50 Euro für die Fahrt. Um 14.40 Uhr teilte die Angeklagte dem Vater von J. mit, daß sie einen Boten schicken werde, der das Geld abholen werde. Um 14.50 Uhr rief sie den Vater erneut an und erklärte, er werde seine Tochter nicht wiedersehen, da er die Polizei eingeschaltet habe. In Absprache mit der inzwischen eingeschalteten Polizei gab der Vater gegenüber dem Taxifahrer an, daß das Paket noch nicht da sei, er möge noch etwas warten. Der Vater erfuhr dabei, daß der Taxifahrer das Paket zum Bahnhof nach L. bringen solle. Daraufhin begann die Polizei mit der Observation des Bahnhofsgebietes in L. . Dort entdeckte die Polizei die Angeklagte gegen 15.19 Uhr in ihrem Fahrzeug; bis zu ihrer Festnahme um 15.48 Uhr wurde sie lückenlos observiert. J. wurde im Kofferraum des Fahrzeugs in einem zwar erschöpften, jedoch insgesamt zufriedenstellenden Zustand aufgefunden.
2. Die sachverständig beratene Strafkammer hat eine Verminderung der Steuerungsfähigkeit bei der Angeklagten verneint und sie für beide Taten für strafrechtlich voll verantwortlich gehalten. Die Kammer ist dem psychiatrischen Sachverständigen darin gefolgt, die Angeklagte leide an einer schweren gemischten Persönlichkeitsstörung mit dissozialen und schizoiden Anteilen, die weitgehend auf einem hochproblema-
tischen Verhältnis zum Vater beruhe. Dazu ist in den Urteilsgründen näher ausgeführt, die Störung äußere sich in einer unausgeglichenen Affektivität mit autoaggressiven Zügen, einer gestörten Beziehungsfähigkeit und einer Neigung , insbesondere problematische Dinge von sich abzuspalten. Die Persönlichkeitsstörung , die auch durch sexuelle Mißbrauchserlebnisse mitbedingt sein könne, sei deshalb so erheblich, daß Symptome vorlägen, die rechtlich als "schwere andere seelische Abartigkeit" im Sinne des § 20 StGB eingeordnet würden. Die Strafkammer ist den Ausführungen des Sachverständigen auch insoweit gefolgt, als keine Anhaltspunkte dafür bestünden, daß sich die Persönlichkeitsstörung bei der konkreten Tat auf ihre Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ausgewirkt habe. Die Angeklagte sei in der Lage, die Realität zu erkennen und richtig einzuschätzen. Angesichts der hohen Komplexität der Tatabläufe , insbesondere der umfänglichen Tatplanung und der Vorbereitungshandlungen , sowie der Tatsache, daß die Angeklagte längerfristige, zukunftsgerichtete Pläne verfolgt habe, lägen keine Hinweise dafür vor, daß sie ihr Verhalten nicht habe steuern können. Dagegen hat die die Revision eingewendet, die Beurteilung der Schuldfähigkeit sei in mehrfacher Hinsicht rechtsfehlerhaft. Die Strafkammer habe bezüglich des ersten Tatvorwurfs, dem räuberischen Diebstahl, die Frage der erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit überhaupt nicht geprüft. Hinsichtlich der Kindesentführung habe sie sich zwar mit der Problematik auseinandergesetzt , jedoch schon verkannt, daß nach der Rechtsprechung des Bundesgerichthofes die Annahme einer schweren seelischen Abartigkeit eine erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit zumindest nahe lege. Ein überlegtes, geplantes, logisches und zielgerichtetes Handeln schließe eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit nicht aus, da auch "bei geplantem und geordnetem Vorgehen" die Fähigkeit erheblich eingeschränkt sein könne,
Anreize zu einem bestimmten Verhalten und Hemmungsvorstellungen gegen- einander abzuwägen und danach den Willensentschluß zu bilden. Deshalb habe die Kammer in erster Linie prüfen müssen, ob die Angeklagte infolge ihrer Persönlichkeitsstörung in der fraglichen Zeit einem zur Tat führenden starken Motivationsdruck ausgesetzt gewesen sei, wie er sonst in vergleichbaren Situationen bei anderen Straftätern nicht vorhanden sei, und ob dadurch ihre Fähigkeit , sich normgerecht zu verhalten, deutlich vermindert gewesen sei. Die Kammer sei zwar davon ausgegangen, daß die schwere Persönlichkeitsstörung möglicherweise auf dem hochproblematischen Verhältnis zum Vater beruhe , habe jedoch außer acht gelassen, daß die Angeklagte mit ihrer Tochter und ihrem Sohn Deutschland verlassen und nach Tunesien auswandern wollte, „weil ihr Vater - der bereits sie über Jahre sexuell mißbraucht und geschlagen hatte - den Wunsch äußerte, mit der Tochter der Angeklagten ein Wochenende allein im Schwarzwald verbringen zu wollen und die Angeklagte befürchtete, daß ihr Vater sich auch an ihrer Tochter vergehen würde“ (UA S. 5, 20). 3. Es ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, daß die Strafkammer die Angeklagte trotz der angenommenen Persönlichkeitsstörung für beide Taten als strafrechtlich voll verantwortlich angesehen hat.
a) Persönlichkeitsstörung als andere seelische Abartigkeit
aa) Ersichtlich ist der Sachverständige bei der Beurteilung der persönlichen Entwicklung der Angeklagten und ihrer strafrechtlichen Verantwortlichkeit nach den Kriterien der in der forensischen Psychiatrie gebräuchlichen diagnostischen und statistischen Klassifikationssysteme vorgegangen (ICD-10 Kapitel V (F), Internationale Klassifikation psychischer Störungen, Dil-
ling/Mombour/Schmidt [Hrsg.], 4. Aufl.; DSM-IV, Diagnostisches und Statisti- sches Manual Psychischer Störungen 2. Aufl., Saß/Wittchen/Zaudig [Hrsg.].).
bb) Bei der in ICD-10 F 60.0 (DSM-IV 301.0) genannten Störungsgruppe „Persönlichkeitsstörung“ handelt es sich um einen Oberbegriff. Es werden völlig unterschiedliche typologisch definierte Varianten beschrieben, die je nach Ausprägung als normal oder abnorm zugeordnet werden. Sie reichen von einer Vielzahl normalpsychologisch wirksamer Ausprägungen und Beeinträchtigungen des Empfindens und Verhaltens bis zu einer abnormen Persönlichkeit, die von ihrem Gewicht her durchaus Krankheitswert erreichen kann (Rasch, Forensische Psychiatrie 2. Aufl. S. 261 f.). Der Begriff der Persönlichkeitsstörung beschreibt abnorme Persönlichkeiten, deren Eigenschaften von einer nicht näher bezeichneten gesellschaftlichen Norm abweichen. Von psychopathischen Persönlichkeiten wird dann gesprochen, wenn die Person an ihrer Abnormität leidet oder wenn die Gesellschaft unter ihrer Abnormität leidet (vgl. Venzlaff und Pfäfflin in Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung 4. Aufl. S. 248, 250; Rasch, StV 1991, 126, 127; Nedopil, Forensische Psychiatrie 2. Aufl. S. 149, 152 f.; Saß in Saß/Herpertz, Persönlichkeitsstörungen S. 177, 180).
cc) Für die forensische Unterscheidung zwischen strafrechtlich nicht relevanten Auffälligkeiten in Charakter und Verhalten einer Persönlichkeit und einer psychopathologischen Persönlichkeitsstörung, die Symptome aufweist, die in einer Beziehung zu psychischen Erkrankungen im engeren Sinne bestehen , enthalten die Klassifikationssysteme ICD-10 und DSM-IV eine Vielzahl diagnostischer Kriterien, anhand derer der psychiatrische Sachverständige einzelne Persönlichkeitsstörungen spezifizieren und deren Ausprägungsgrad bewerten kann. Diagnostische Hilfsmittel bei psychischen Störungen sind ne-
ben technischen Untersuchungen (EEG, Laboruntersuchungen etc.) sowie den Selbst- und Fremdbeurteilungen vor allem strukturierte Checklisten und diagnostische Interviews (vgl. DSM-IV aaO S. XVII). Bei der forensischen Begut- achtung hat sich der Sachverständige methodischer Mittel zu bedienen, die dem jeweils aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand gerecht werden. Existieren mehrere anerkannte und indizierte Verfahren, so steht deren Auswahl in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Dabei ist der Sachverständige – unbeschadet der Sachleitungsbefugnis durch das Gericht - frei, von welchen inhaltlichen Überlegungen und wissenschaftlichen Methoden er bei Erhebung der maßgeblichen Informationen ausgeht und welche Gesichtspunkte er für seine Bewertung des Ausprägungsgrades für maßgeblich hält. In seinem Gutachten hat er nach den Geboten der Nachvollziehbarkeit und der Transparenz für alle Verfahrensbeteiligten nach Möglichkeit darzulegen, aufgrund welcher Anknüpfungstatsachen und auf welchem Weg er zu den von ihm gefundenen Ergebnissen gelangt ist (vgl. BGHSt 44, 26, 33; 45, 164, 169; st. Rspr.).
dd) Der Senat hat der forensisch-psychiatrischen Literatur entnommen, daß sich nach dem bestehenden wissenschaftlichen Kenntnisstand für die forensische Schuldfähigkeitsbeurteilung von Persönlichkeitsstörungen folgende Vorgehensweise anbietet, ohne daß die Nichteinhaltung einzelner Schritte nach rechtlichen Maßstäben fehlerhaft sein muß. Dazu gehört, daß der Sachverständige die sozialen und biographischen Merkmale unter besonderer Berücksichtigung der zeitlichen Konstanz der pathologischen Auffälligkeiten erhebt. Darüber hinaus bedarf es der Darstellung der pathologischen Reaktionsweisen unter konflikthaften Belastungen und deren Veränderungen infolge der natürlichen Reifungs- und Entwicklungsschritte sowie der therapeutischen Maßnahmen (Saß in Saß/Herpertz, Persönlichkeitsstörungen, 2003, S. 177,
178). Weist die untersuchte Person Persönlichkeitszüge auf, die nur auf ein unangepaßtes Verhalten oder auf eine akzentuierte Persönlichkeit hindeuten und die Schwelle einer Persönlichkeitsstörung nicht erreichen, wird schon aus psychiatrischer Sicht eine Zuordnung zum vierten Merkmal des § 20 StGB auszuschließen sein.

b) Schweregrad der Abartigkeit
Gelangt der Sachverständige – wie hier - zur Diagnose einer „dissozialen oder antisoziale Persönlichkeitsstörung“ (ICD-10 F 60.2 und DSM-IV 301.7: „Mißachtung sozialer Normen“) und einer „schizoiden Persönlichkeitsstörung“ (ICD-10 F 60.1. und DSM-IV 301.20: „Distanziertheit in sozialen Beziehungen, eingeschränkte emotionale Ausdrucksmöglichkeiten“), so ist diese psychiatrische Diagnose indes nicht mit der „schweren anderen seelischen Abartigkeit“ in § 20 StGB gleichzusetzen. Für die forensische Praxis ist mit der bloßen Feststellung, bei dem Angeklagten liege eine Persönlichkeitsstörung vor, nichts gewonnen. Vielmehr sind der Ausprägungsgrad der Störung und der Einfluß auf die soziale Anpassungsfähigkeit entscheidend für die Beurteilung der Schuldfähigkeit (Rasch, Die psychiatrisch-psychologische Beurteilung der sogenannten schweren anderen seelischen Abartigkeit, StV 1991 S. 126, 127). Hierfür sind die Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit (etwa hinsichtlich der Wahrnehmung der eigenen und dritter Personen, der emotionalen Reaktionen, der Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen und der Impulskontrolle) durch die festgestellten pathologischen Verhaltensmuster im Vergleich mit jenen krankhaft seelischer Störungen zu untersuchen (vgl. Kröber NStZ 1998, 80 f.). Für die Bewertung der Schwere der Persönlichkeitsstörung ist maßgebend, ob es im Alltag außerhalb des angeklagten Deliktes zu Einschränkungen des
beruflichen und sozialen Handlungsvermögens gekommen ist (DSM-IV aaO S. 715, 716; Nedopil aaO S. 152). Erst wenn das Muster des Denkens, Fühlens oder Verhaltens, das gewöhnlich im frühen Erwachsenenalter in Erscheinung tritt, sich im Zeitverlauf als stabil erwiesen hat, können die psychiatrischen Voraussetzungen vorliegen, die rechtlich als viertes Merkmal des § 20 StGB, der „schweren anderen seelischen Abartigkeit“ angesehen werden.
Für das Vorliegen der Voraussetzungen einer „schweren anderen seelischen Abartigkeit“ werden aus psychiatrischer Sicht genannt: Hervorgehen der Tat aus neurotischen Konflikten; konflikthafte Zuspitzung und emotionale Labilisierung in der Zeit vor der Tat; abrupter, impulshafter Tatablauf; aktuelle konstellative Faktoren wie z. B. Alkohol und andere Drogen, Ermüdung, affektive Erregung. Gegen das Vorliegen des vierten Merkmals des § 20 StGB können sprechen: Tatvorbereitung; planmäßiges Vorgehen bei der Tat; Fähigkeit zu warten; lang hingezogenes Tatgeschehen; komplexer Handlungsablauf in Etappen; Vorsorge gegen Entdeckung; Möglichkeit anderen Verhaltens unter vergleichbaren Umständen; Hervorgehen des Delikts aus dissozialen Charakterzügen (Saß in Saß/Herpertz aaO S. 179, 180; Versuche einer empirischwissenschaftlichen Auswertung der am häufigsten in forensischen Gutachten vorkommenden Indikatoren bei Scholz/Schmidt, Schuldfähigkeit bei schwerer anderer seelischer Abartigkeit, 2003).

c) Erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit bei der Tat
Ob die Steuerungsfähigkeit wegen des Vorliegens einer schweren anderen seelischen Abartigkeit bei Begehung der Tat "erheblich" im Sinne des § 21 StGB vermindert war, ist eine Rechtsfrage. Diese hat der Tatrichter ohne Bin-
dung an Äußerungen von Sachverständigen in eigener Verantwortung zu beantworten. Hierbei fließen normative Gesichtspunkte ein. Entscheidend sind die Anforderungen, die die Rechtsordnung an jedermann stellt (vgl. für den „berauschten Täter“ BGHSt 43, 66, 77; BGH NStZ-RR 1999, 295, 296 jew. m.w.N.). Diese Anforderungen sind um so höher, je schwerwiegender das in Rede stehende Delikt ist (BGH, Urt. v. 21. März 2001 - 1 StR 32/01).
Da Persönlichkeitsstörungen in der Regel die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit nicht vollständig aufheben, wird der Tatrichter Gesichtspunkte bewerten, die für oder gegen eine Einschränkung der Steuerungsfähigkeit sprechen können, ohne daß es wegen der fließenden Übergänge zwischen Normalität sowie allen Schweregraden und Konstellationen abnormer Persönlichkeit feste skalierbare Regelungen gibt (Saß in Saß/Herpertz aaO S. 179).
aa) Zudem kommt es nach dem Gesetz nicht darauf an, ob die Steuerungsfähigkeit generell eingeschränkt ist. Maßgeblich ist vielmehr, ob sie bei Begehung der Tat – und zwar erheblich – eingeschränkt war. Zur Beurteilung dieser Rechtsfrage wird der Tatrichter auf der Grundlage des Beweisergebnisses über den Ablauf der Tathandlung – auch unter Beachtung möglicher alternativer Tatvarianten - die vom Sachverständigen gestellte Diagnose, den Schweregrad der Störung und deren innere Beziehung zur Tat in eigener Verantwortung nachprüfen. Stellt er in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen fest, daß das Störungsbild die Merkmale eines oder mehrerer Muster oder einer Mischform die Klassifikationen in ICD-10 oder DSM-IV erfüllen, besagt dies rechtlich noch nichts über das Ausmaß psychischer Störungen (vgl. BGH NStZ 1997, 383). Eine solche Zuordnung hat eine Indizwirkung dafür, daß eine nicht ganz geringfügige Beeinträchtigung vorliegt (vgl. zu bestimmten Fallgrup-
pen BGH StV 1998, 342; StV 2002, 17, 18; BGH, Urt. vom 27. August 2003 – 2 StR 267/03). Der Tatrichter wird in einer Gesamtbetrachtung die Persönlichkeit des Angeklagten und dessen Entwicklung bewerten, wobei auch Vorgeschichte , unmittelbarer Anlaß und Ausführung der Tat sowie das Verhalten danach von Bedeutung sind (st. Rspr.; vgl. BGHSt 37, 397, 401 f.; BGH NStZ 1997, 485; BGH, BGHR StGB § 21 Seelische Abartigkeit 10, 20, 23, 36; BGH NStZ 1996, 380; BGH StraFo 2001, 249; BGH StV 2002, 17, 18; vgl. in diesem Sinne auch Venzlaff und Pfäfflin in Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung aaO S. 270 f.; Saß in Saß/Herpertz, Persönlichkeitsstörungen S. 177, 180).
bb) Es kann hier dahingestellt bleiben, ob die mitgeteilte Diagnose des Sachverständigen zum Vorliegen einer schweren Persönlichkeitsstörung zutreffend war. Dagegen könnte sprechen, daß die in den Urteilsgründen mitgeteilte Tatsachengrundlage wenig tragfähig erscheint. Der Sachverständige hat seine Diagnose im wesentlichen auf die persönlichen Angaben der Angeklagten bei der Exploration gestützt und ausgeführt, „die Persönlichkeitsstörung die durchaus auch auf sexuelle Mißbrauchserlebnisse mitbedingt sein könne, sei auch so erheblich, daß eine schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB anzunehmen sei“. Auch die Strafkammer ist „ entsprechend ihren Angaben zu ihren Gunsten davon ausgegangen“, die Angeklagte sei vom Vater seit ihrem siebten Lebensjahr immer wieder sexuell mißbraucht worden. Konkrete Feststellungen oder objektivierbare Indizien, die die Behauptungen der Angeklagten stützen, enthalten die Urteilsgründe nicht. Die als Zeugen vernommenen Mutter und Schwester haben sogar ausgesagt, sie hätten zu keinem Zeitpunkt Anhaltspunkte für einen sexuellen Mißbrauch der Angeklagten gehabt (UA S. 15).
Die Strafkammer hat zum räuberischen Diebstahl im Oktober 2001 keine näheren Ausführungen zu einer möglichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit gemacht. Eine solche lag auch eher fern, denn hinsichtlich dieser Tat behauptet die Revision selbst nicht, daß die Angeklagte infolge ihrer Persönlichkeitsstörung schon zu diesem Zeitpunkt einem so starken Motivationsdruck ausgesetzt war, daß sie die Wegnahme des Geldes und dessen Sicherung durch Gewaltanwendung nicht habe steuern können.
Die Strafkammer hat auch hinsichtlich der im Juli 2002 begangenen Entführung der siebenjährigen J. nachvollziehbar einen erheblichen Einfluß der Persönlichkeitsstörung auf das komplexe Tatgeschehen ausgeschlossen. Die Angeklagte sei zwar aufgrund ihrer Lebensgeschichte, zu der auch die Mißbrauchsgeschichte gehören könne, in vieler Hinsicht kritikgemindert. Sie sei aber in der Lage, die Realität zu erkennen und richtig einzuschätzen. Ihre gelegentliche Impulsivität sei keine pathologisch überhöhte Erregbarkeit, insbesondere sei auch keine hirnorganisch begründete Affektlabilität festzustellen.
Als Beleg für eine vollständig erhaltene Steuerungsfähigkeit hat die Strafkammer herangezogen, daß es der Angeklagten bei ihrer Tat in erster Linie darum ging, sich mittels des erwarteten Lösegeldes die Basis für ihr zukünftiges Leben in Tunesien zu schaffen. Die Behauptung der Angeklagten, sie habe wegen eines möglichen Übergriffs des Vaters auf ihre Tochter unter einem schwer beherrschbaren Motivationsdruck gestanden, darf die Kammer als widerlegt ansehen. Sie hat ausgeführt, die Angeklagte habe diese Pläne schon seit ihrem Besuch und ihrer Verlobung in Tunesien im April 2002 verfolgt und
sich endgültig im Juli 2002 zu dieser Straftat entschlossen. Das Lösegeld sollte das ihrem neuen Lebensgefährten zugesagte Startkapital sein.
Gegen die erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit bei der Tat sprachen hier die bis ins einzelne gehende Planung der Entführung, die vorbereitende Beobachtung der Familie über mehrere Tage sowie das mehrmalige Umbuchen der Flüge nach Tunesien. Die Kammer hat mit Recht auch als überlegtes kriminelles Handeln angesehen, daß die Angeklagte dem Vater des Entführungsopfers jeweils nur kurze Fristen zur Geldbeschaffung setzte, um ihn aus Furcht um sein Kind unter Druck zu setzen. Die Strafkammer konnte schließlich als Belege für ein kontrolliertes und zielgerichtetes Handeln der Angeklagten auch die kaltblütige Durchführung der Entführung auf dem öffentlichen Schulgelände heranziehen. Sie hat ausgeführt, das Sichbemächtigen des Kindes auf dem Schulgelände zeige, in welchem Maße die Angeklagte in der Lage war, situationsadäquat zu handeln und ihre Impulse instrumental zu steuern. Obwohl sie auf dem Schulgelände mit Zeugen rechnen mußte, habe sie das Kind in der Nähe des Rektorats abgefangen und gezielt - und für das Kind J. äußerst schmerzhaft - das Elektroschockgerät einsetzte und das sich wehrende Kind in den bereitgestellten Pkw verbracht. Damit ist die Strafkammer zu Recht davon ausgegangen, daß bei der Angeklagten eine erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit nicht vorlag.
Nack Wahl Boetticher Schluckebier Hebenstreit

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 474/16
vom
7. Juni 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
ECLI:DE:BGH:2017:070617B2STR474.16.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts , zu Ziffer drei auf dessen Antrag, und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 7. Juni 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen :
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 10. Juni 2016 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren und drei Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten mit der Sachrüge. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet.

I.

2
Nach den Feststellungen des Landgerichts trainierte der Angeklagte am 16. August 2015 in einem Fitnesscenter in M. ; anschließend trank er dort acht Flaschen Bier und ließ die Zeche anschreiben. Gegen 19.30 Uhr wollte er an einer Tankstelle einen Kasten Bier kaufen, hatte aber nur zehn Euro zur Verfügung. Sein Versuch, an einem Bankautomaten Geld abzuheben, misslang mangels Guthabens. Daher kaufte der Angeklagte fünf Flaschen Bier und hatte danach 2,75 Euro Bargeld übrig. Gleichwohl wollte er später nach W. fahren, um sich Amphetamin zu beschaffen. Sein Versuch, Bekannte zu erreichen , um sich von ihnen die notwendigen Mittel zu beschaffen, schlug fehl. Gleichwohl bestellte er sich um 21.55 Uhr telefonisch ein Taxi. Er steckte sich ein Küchenmesser mit einer Klingenlänge von 15 cm in den Hosenbund, weil er den Taxifahrer berauben wollte. Mit der Beute hätte er den Drogenkauf finanzieren und durch den Überfall zugleich die Geltendmachung der Fahrpreisforderung durch den Taxifahrer verhindern können.
3
Gegen 22.20 Uhr fuhr Z. den Angeklagten mit seinem Taxi nach W. . Unterwegs verwarf der Angeklagte den Gedanken an einen Raubüberfall. Bei Fahrtende am Marktplatz in W. verlangte der Taxifahrer die Zahlung von 89,90 Euro. Der Angeklagte erklärte ihm, dass er nicht bar zahlen könne und bot eine Zahlung mit der Bank- oder Kreditkarte an. Weil der Taxifahrer dies ablehnte, täuschte der Angeklagte vor, in einer Filiale der Kreissparkasse Geld abheben zu wollen. Dabei wusste er, dass er am Bankautomaten kein Geld erlangen konnte. Er wollte den Aufenthalt in der Sparkassenfiliale nutzen, um über seine Situation nachzudenken. Dort verfiel er auf den Gedanken, den Taxifahrer zu einer Stundung zu veranlassen und nahm wieder auf dem Beifahrersitz Platz. Der Angeklagte erklärte ihm, dass er am Geldautomaten kein Geld habe abheben können, und schlug vor, seinen Personalausweis zurückzulassen und den Fahrpreis am nächsten Tag zu bezahlen. Als- bald erschien der Taxifahrer O. am Marktplatz, den der Angeklagte kannte. Z. winkte O. herbei. Der Angeklagte bat diesen darum, einen ihm bekannten anderen Taxifahrer zu benachrichtigen, damit dieser für ihn bürge. Dieser weitere Taxifahrer war aber nicht erreichbar. O. empfahl seinem Kollegen Z. , mit dem Angeklagten zur Polizei zu fahren, um dessen Personalien feststellen zu lassen; alternativ schlug er vor, mit dem Angeklagten zu einer Tankstelle zu fahren, wo dieser versuchen solle, mit der Bankkarte Geld abzuheben. Dann entfernte sich O. , weil ein Fahrgast erschien.
4
Z. fuhr los, hielt aber nach wenigen Metern wieder an, um die Situation erneut mit dem Angeklagten zu besprechen. Der Angeklagte wollte auf keinen Fall zur Polizei gebracht werden, weil er davon ausging, dass dort eine Strafanzeige gegen ihn wegen Betruges erstattet werden würde. Unter dem Einfluss seiner Alkoholisierung geriet er in einen affektiven Erregungszustand. Er zog das Küchenmesser und stach auf den Taxifahrer ein, wobei er dessen Tod billigend in Kauf nahm. Z. wurde von dem Angriff überrascht. Bereits der erste Stich traf ihn in den Hals. Weitere Stiche konnte er abwehren, indem er den Arm des Angeklagten packte, der sich aber losriss. Z. öffnete die Fahrertür und fiel mit dem Oberkörper rückwärts aus dem Taxi. Der Angeklagte stach weiter auf ihn ein. Er brachte dem Opfer insgesamt zwanzig Stich- und Schnittverletzungen bei. Z. richtete sich neben dem Taxi auf und rief um Hilfe. Der Angeklagte floh zu Fuß vom Tatort, wo Z. verblutete.
5
Bei der Begehung der Tat war das Hemmungsvermögen des Angeklagten aufgrund eines hochgradigen Affekts erheblich vermindert.

II.

6
Die Revision des Angeklagten ist unbegründet, soweit sie sich gegen den Schuldspruch wegen Totschlags richtet. Sie führt aber zur Aufhebung des Strafausspruchs.
7
Die Ablehnung des Vorliegens einer kombinierten Persönlichkeitsstörung ist rechtsfehlerhaft, was für die Strafzumessung im engeren Sinn von Bedeutung sein kann, auch wenn § 21 StGB aus anderen Gründen angewendet wurde.
8
1. Das Landgericht ist – anders als die von ihm angehörte Sachverständige – davon ausgegangen, dass eine Persönlichkeitsstörung beim Angeklagten nicht vorliege. Dauerhaft wiederkehrende stereotype Verhaltensmuster seien nicht feststellbar. Die bisherige Delinquenz des Angeklagten habe eher geringfügigen Charakter gehabt. Eine andauernde Missachtung sozialer Regeln und Normen sei nicht festzustellen. Es habe Zeiträume ohne Auffälligkeiten gegeben. Auch hätten die den Angeklagten während eines Klinikaufenthalts behandelnden Ärzte die Annahme einer Persönlichkeitsstörung nicht geteilt. Aus ihrer Sicht hätte es bei Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung zu Konflikten mit Mitpatienten und dem Pflegepersonal kommen müssen.
9
2. Diese Überlegungen tragen nicht.
10
a) Der Strafrichter ist zwar nicht gehindert, von dem Gutachten eines vernommenen Sachverständigen abzuweichen. Jedoch muss ein Tatrichter, der in einer schwierigen Frage den Rat eines Sachverständigen in Anspruch genommen hat und der diese Frage im Widerspruch zu dem Gutachten beantworten will, die Darlegungen des Sachverständigen im Einzelnen wiedergeben (vgl. Senat, Urteil vom 16. Dezember 1992 - 2 StR 440/92, BGHR StPO § 261 Sachverständiger 5). Daran fehlt es.
11
b) Außerdem sind die Überlegungen des Landgerichts dazu, dass entgegen der Auffassung der Sachverständigen keine kombinierte Persönlichkeitsstörung vorliege, lückenhaft.
12
aa) Für die Unterscheidung zwischen strafrechtlich nicht relevanten Auffälligkeiten und einer psychopathologischen Persönlichkeitsstörung gibt es eine Vielzahl diagnostischer Kriterien (vgl. BGH, Urteil vom 21. Januar 2004 - 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45, 50 f.). Das sachverständig beratene Gericht hat alle festgestellten Anknüpfungstatsachen und Untersuchungsergebnisse in einer Gesamtschau zu prüfen, um danach zu entscheiden, ob ein psychopathologischer Befund vorliegt und dieser gegebenenfalls das Gewicht einer schweren seelischen Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB erreicht.
13
bb) Die Urteilsgründe lassen besorgen, dass das Landgericht einzelne Aspekte überbewertet und andere zu Unrecht vernachlässigt hat.
14
Der Angeklagte war schon als Schüler durch aggressive Ausbrüche aufgefallen. Er hatte Suizidabsichten geäußert. Nach einem Streit mit der Mutter hatte er ihr Nagellackentferner ins Essen gemischt. Er war als Jugendlicher ohne Fahrerlaubnis Auto gefahren. Er hatte ein Berufspraktikum abgebrochen. Aus einer American-Football-Mannschaft war er wegen eines aggressiven Ausbruchs ausgeschlossen worden. Er hatte Alkohol und Drogen konsumiert und lebte von Arbeitslosengeld. Er konnte im Berufsleben nicht Fuß fassen. Gegenüber Freundinnen war er aggressiv und handgreiflich geworden. Von März 2014 bis März 2015 befand er sich in psychiatrischer Behandlung; die ihm verordneten Medikamente nahm er unregelmäßig oder gar nicht ein. Im August und September 2014 befand er sich wegen Halluzinationen in stationärer Behandlung. Straftaten führten zu sieben Eintragungen im Bundeszentralregister. Angesichts dieser Umstände liegt die Diagnose einer – kombinierten – Persönlichkeitsstörung nicht fern, die auch durch das Ergebnis einer testpsychologischen Untersuchung bestätigt wurde. Darauf gehen die Urteilsgründe nicht ein.
15
Der Einwand des Landgerichts, es sei zu symptomfreien Phasen gekommen , lässt unberücksichtigt, dass die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung kein ununterbrochenes Vorliegen von Symptomen voraussetzt. Zeitweilige Unauffälligkeit des Angeklagten kann auch auf ärztliche Behandlung zurückzuführen sein. Zur Tatzeit war er erst zweiundzwanzig Jahre alt, sodass nicht von langen Zeiträumen der Unauffälligkeit die Rede sein kann.
16
Die Einschätzung der vom Landgericht als Zeugen gehörten Ärzte der L. -Klinik, in der sich der Angeklagte vom 11. August bis 10. September 2014 und vom 14. bis 19. September 2014 wegen akustischer Halluzinationen und Verfolgungsideen befand, widerlegt die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung nicht. Anlass für diese Klinikaufenthalte war jedenfalls ein psychopathologischer Befund, dessen alleinige Verursachung durch Drogenkonsum nicht festgestellt ist. Auch eine – kombinierte – Persönlichkeitsstörung kann solche Symptome verursachen. Das Ausbleiben von Konflikten mit Mitpatienten oder Klinikpersonal während der zeitlich begrenzten stationären Behandlung des Angeklagten besagt ebenfalls noch nicht, dass entgegen den sonst zu verzeichnenden Auffälligkeiten bei ihm keine Persönlichkeitsstörung vorlag.
Krehl Eschelbach Zeng Richterin am BGH Dr. Bartel ist an der Unterschriftsleistung gehindert. Krehl Grube

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung ja
Zur Beurteilung des Schweregrads einer anderen seelischen Abartigkeit (hier
„dissoziale und schizoide Persönlichkeitsstörung“) und der Erheblichkeit der
Einschränkung der Steuerungsfähigkeit bei der Tat (Fortführung von BGHSt
37, 397).
BGH, Urteil vom 21. Januar 2004 - 1 StR 346/03 – LG Stuttgart

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 346/03
vom
21. Januar 2004
in der Strafsache
gegen
wegen erpresserischen Menschenraubs u. a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. Januar
2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Schluckebier,
Hebenstreit,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 8. April 2003 wird verworfen. 2. Die Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels sowie die durch dieses Rechtsmittel entstandenen notwendigen Ausla- gen der Nebenklägerin zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen räuberischen Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Angeklagten. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

Die Überprüfung des Schuldspruchs aufgrund der Sachrüge hat keinen die Angeklagte belastenden Rechtsfehler ergeben.

II.

Die Beschwerdeführerin deckt mit ihrem Revisionsvorbringen auch im Strafausspruch keinen Rechtsfehler auf. Näherer Erörterung bedarf allerdings die Rüge, die Angeklagte leide unter einer schweren Persönlichkeitsstörung
und habe sowohl bei dem verfahrensgegenständlichen räuberischen Diebstahl im Oktober 2001 als auch beim erpresserischen Menschenraub im Juli 2002 unter einem so starken Motivationsdruck gestanden, daß sie für beide Taten - anders als vom Landgericht angenommen - strafrechtlich nicht voll verantwortlich gewesen sei. 1. Die sachverständig beratene Strafkammer hat zur Persönlichkeitsentwicklung der Angeklagten und zum Tatgeschehen folgende Feststellungen getroffen :
a) Die Angeklagte, deren Eltern aus Kroatien stammen, wuchs in Deutschland gemeinsam mit einer Schwester auf. Sie hatte trotz durchschnittlicher Begabung bereits früh Probleme in der Grundschule. Nachdem sie die zweite Klasse wiederholen mußte, kam sie in die Sonderschule. Diese verließ sie im Jahre 1988 nach der 9. Klasse ohne Abschluß und besuchte danach ein Jahr eine Hauswirtschaftsschule. Die Kammer hat zu Gunsten der Angeklagten als wahr unterstellt, sie sei von ihrem Vater seit ihrem siebten Lebensjahr bis kurz vor ihrer Verhaftung immer wieder sexuell mißbraucht und regelmäßig geschlagen worden. Ab dem zehnten Lebensjahr unternahm sie mehrere Suizidversuche. Im Jugendalter wurde sie dreimal in stationäre psychiatrische Behandlung nach Kroatien gebracht, wurde allerdings nach wenigen Tagen wieder entlassen, ohne daß eine klare Diagnose gestellt werden konnte. Es wurden ihr Antidepressiva und regelmäßig ein Schmerzmittel verschrieben. Sie konsumierte außerdem seit dem 14. Lebensjahr in erheblichem Umfang Alkohol , ohne daß sich jedoch eine Suchtproblematik herausgebildet hätte. Gelegentlich konsumierte die Angeklagte auch Haschisch. Im Jahre 1991 heiratete die Angeklagte. Aus der Ehe gingen zwei Kinder im Alter von nunmehr elf und sechs Jahren hervor. Nach der Heirat arbeitete
sie halbtags als Textilverkäuferin; später übte sie verschiedene Tätigkeiten aus, zuletzt war sie in einem Fitneß-Studio tätig, wo sie rund 500 Euro im Monat verdiente. Etwa Mitte der neunziger Jahre spitzten sich ihre persönlichen Probleme zu. Sie praktizierte einen gehobenen Lebensstil, der nicht ihren bescheidenen finanziellen Verhältnissen entsprach, unter anderem mit häufigen Urlauben, teurer Kleidung für sich und ihre Kinder und häufigem Ausgehen mit Einladungen von Freunden. Diesen Lebensstil konnte sie nur durch zahlreiche Vermögensstraftaten finanzieren. Deshalb wurde sie am 24. Mai 1995 u. a. wegen Diebstahls in vier Fällen sowie wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit Betrug in 104 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren bei Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Die Strafe wurde 1999 erlassen. Am 23. Mai 2000 wurde sie wegen Betrugs in zehn Fällen in Tateinheit mit Urkundenfälschung in neun Fällen und wegen Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Strafe wurde nochmals zur Bewährung ausgesetzt. Im Jahr 1999 lernte sie während eines Urlaubs in Tunesien einen Tunesier kennen, der Mitglied einer sektenartigen Bewegung war, in der sich die Angeklagte aufgehoben fühlte. Seit 2000 leben die Eheleute getrennt.
b) Der räuberische Diebstahl Im Oktober 2001 betrat die Angeklagte gegen Mittag ein Schreibwarengeschäft mit Lottoannahmestelle und ließ sich einschließen. Sie entnahm der Lottokasse Bargeld in Höhe von mindestens 1.200 DM und packte drei Plastiktüten mit rund 320 Schachteln Zigaretten ein. Als die Ladenbesitzerin nach der Pause das Geschäftslokal betrat, gab die Angeklagte vor, versehentlich eingeschlossen worden zu sein. Die Ladenbesitzerin wollte die Angeklagte einschließen und die Polizei benachrichtigen. Dies verhinderte die Angeklagte
mit einem kräftigen Stoß, bei der die Frau zu Boden ging. Sie forderte nach einem Faustschlag von ihr das Mobilteil des Telefons, das sie in die Tasche steckte. Dann flüchtete sie. Die Angeklagte konnte aufgrund von Fingerabdrükken ermittelt und am 12. März 2002 festgenommen werden. Nach einem über ihren Verteidiger abgegebenen Geständnis wurde sie am 26. März 2002 wieder auf freien Fuß gesetzt. Die Angeklagte rechnete wegen dieser Tat mit einer erheblichen Freiheitsstrafe ohne Bewährung und befürchtete den Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung aus einer früheren Verurteilung. Außerdem hatte sie Probleme mit ihrem Vater, der sich im Jahre 2001 von ihrer Mutter getrennt hatte und seitdem bei ihr der Wohnung wohnte. Die Probleme trieben einem Höhepunkt zu, als der Vater den Wunsch äußerte, mit ihrer Tochter ein Wochenende allein im Schwarzwald zu verbringen. Die Kammer hat zu Gunsten der Angeklagten angenommen, sie habe befürchtet, der Vater könne sich auch an ihrer Tochter vergehen. Um den Problemen zu entgehen, faßte die Angeklagte den Plan, Deutschland zu verlassen und in Tunesien eine neue Existenz aufzubauen. Nach der Entlassung aus der Untersuchungshaft feierte sie dort aufwendig die Verlobung mit dem Tunesier, obwohl sie noch verheiratet war. Sie versprach dem Verlobten, dem gegenüber sie sich als wohlhabend ausgab, daß sie im Juli 2002 mit ihren Kindern endgültig zu ihm nach Tunesien ziehen werde. Dabei werde sie einen großen Geldbetrag mitbringen, mit dem man dort gemeinsam ein Mietwagenunternehmen aufbauen könne.
c) Die Kindesentführung
Anfang Juli 2002 faßte die Angeklagte den Entschluß, sich die Mittel zur Durchführung ihrer Tunesien-Pläne durch eine Kindesentführung mit Lösegeldforderung zu beschaffen. Als Erpressungsopfer erschien ihr hierfür die als wohlhabend geltende Familie R. geeignet, die nach ihren Informationen in der Lage sein würde, einen größeren Geldbetrag auch kurzfristig besorgen zu können. Der Plan der Angeklagten ging dahin, die 7jährige Tochter J. auf dem Schulweg in ihre Gewalt zu bringen und für ihre Freilassung ein "Löse- ! " # %$ &' ( &' *)+ , - ' . 0/1& geld" von 250.000 dem Geld sofort nach Tunesien absetzen. Zur Vorbereitung der Tat observierte die Angeklagte ab Anfang Juli 2002 die Verhaltensgewohnheiten der Familie R. . Insbesondere erforschte sie durch zahlreiche Anrufe, bei denen sie sich nicht meldete, zu welchem Zeitpunkt sich die Mitglieder der Familie zu Hause aufhielten. Zur Durchführung der Tat, die zunächst für den 12. Juli 2002 geplant war, kaufte sie einen gebrauchten Pkw BMW der 7er-Klasse. Da sie das Fahrzeug mit nach Tunesien mitnehmen wollte, ließ sie das Fahrzeug mit Ausfuhrkennzeichen zu. Am gleichen Tag buchte sie unter ihrem eigenen Namen zwei Flugreisen für den 12. Juli 2002 von Stuttgart nach Tunesien. Als Passagiere gab sie ihren Sohn und eine Person namens E. an. Sie war auf unbekannte Weise in Besitz eines Personalausweises mit diesem Namen gelangt und wollte unter diesem Namen nach Tunesien reisen. Am 10. Juli 2002 suchte sie ihre Cousine und deren Ehemann auf und teilte diesen mit, sie habe die Absicht nach Tunesien auszuwandern. Beide erklärten sich bereit, das Fahrzeug nach Tunesien zu überführen und die Tochter der Angeklagten mitzunehmen. Am 12. Juli 2002 gab sich die Angeklagte gegenüber der Sekretärin der Schule, in der J. in die erste Klasse ging, als deren Mutter aus und forderte sie auf, das Kind nach Hause zu schicken. Da J. jedoch krankheits-
bedingt nicht in der Schule war, brach die Angeklagte den Entführungsversuch an diesem Tag ab. Sie stornierte den geplanten Flug nach Tunesien und buchte den Flug auf den nächsten Tag um, in der Hoffnung die Tat an diesem Tag durchzuführen. Der Entführungsversuch fand aus nicht feststellbaren Gründen jedoch nicht statt.
Am 15. Juli 2002 überlegte die Angeklagte, wie sie auf anderer Weise Jasmin in ihre Gewalt bringen könnte. Sie wurde dabei gesehen, wie sie gegen 8.00 Uhr morgens aus ihrem Fahrzeug das Wohnhaus der Eheleute R. beobachtete. Die Angeklagte entschloß sich schließlich, die Entführung am 18. Juli 2002 durchzuführen. Sie buchte am 16. Juli 2002 für dieselben Personen einen Flug nach Tunesien für den 19. Juli 2002. Der Flug sollte jedoch von München stattfinden, wo sie die Nacht verbringen wollte. Sie buchte für sich und ihre Tochter eine Übernachtung im Hotel K. . Nachdem die Angeklagte am 18. Juli 2002 mehrere Kontrollanrufe bei der Familie R. getätigt hatte, fuhr sie mit ihrem Fahrzeug, in dem sie eine geladene Schreckschußpistole und ein Elektroschockgerät mit sich führte, gegen 8.00 Uhr zu der Schule. Gegen 9.00 Uhr sprach sie auf dem Schulgelände zwei 8jährige Schüler an und bat sie, J. aus dem Klassenzimmer zu holen ; sie solle zu der Sekretärin ins Rektorat kommen. Die Schüler, die die Angeklagte als Mutter von J. ansahen, holten J. mit Zustimmung der Klassenlehrerin heraus und begleiteten sie in Richtung Rektorat. Die Angeklagte paßte die beiden Schüler und J. zwischen dem Klassenraum und dem Rektorat ab. Die arglosen Jungen ließen J. mit der Angeklagten al-
lein. Sie vergewisserte sich, ob es sich bei dem Kind um J. handele und schüchterte es mit dem mitgebrachten Elektroschockgerät ein, indem sie dieses am Hals des Mädchens auslöste. Als J. zu schreien begann, drohte ihr die Angeklagte, sie werde sie töten, wenn sie nicht ruhig sei. Das Kind verhielt sich ruhig, weigerte sich aber, mit der Angeklagten zu gehen. Die Angeklagte nahm es unter den Arm und trug es zu ihrem Fahrzeug. J. wehrte sich dagegen mit Strampeln und verlor dabei ihre Sandalen und ihre Brille. Die Angeklagte setzte J. zunächst auf den Beifahrersitz und drückte das Kind nach unten, um zu verhindern, daß es bei der Abfahrt gesehen wurde. Um J. weiterhin gefügig zu machen, löste die Angeklagte das Elektroschockgerät nochmals an ihrer Wange aus, wodurch es zu einer leichten Verbrennung kam. Gegen 9.50 Uhr rief die Angeklagte J. s Vater an und forderte ihn auf nach Hause zu kommen, weil J. nach Hause gegangen sei. Er begab sich sofort nach Hause. Dort rief die Angeklagte den Vater erneut an und teilte ihm mit, daß sie J. in ihrer Gewalt habe. Er solle ruhig sein und keine Polizei rufen. Für den Fall, daß er sich nicht an ihre Anweisungen halte, drohte die Angeklagte, es würde für seine Tochter auf dem Markt einen guten Preis geben. Der Vater sollte die Befürchtung haben, sie wolle J. an einen Mädchenhändler verkaufen. Der Vater fuhr danach sofort in die Schule, wo inzwischen die Schuhe und die Brille des Kindes gefunden waren. Die Angeklagte fuhr mit dem Wagen ziellos im Raum L. herum. Da das Kind verängstigt und verzweifelt jammerte, verbrachte sie es spätestens gegen 11.00 Uhr in den Kofferraum des Fahrzeugs, wo es bis zu seiner Befreiung bis gegen 16.00 Uhr verblieb. Gegen 11.50 Uhr rief die Angeklagte den Vater J. s an und forderte ihn auf, binnen einer Stunde 250.000 243 die Freilassung seiner Tochter bereitzustellen. Nachdem der Vater einwandte, er benötige für die Beschaffung des Geldes Zeit bis 16.00 Uhr, erklärte sie sich
bereit, abzuwarten. In der Folgezeit rief sie mehrfach beim Vater an, um sich nach dem Stand der Vorbereitungen für die Geldübergabe zu erkundigen. Um 14.25 Uhr sprach die Angeklagte am Bahnhof in L. einen Taxifahrer an und forderte ihn auf, zum Haus der Familie R. zu fahren, dort ein Päckchen abzuholen und zu ihr zu bringen. Sie einigte sich mit dem Taxifahrer auf 50 Euro für die Fahrt. Um 14.40 Uhr teilte die Angeklagte dem Vater von J. mit, daß sie einen Boten schicken werde, der das Geld abholen werde. Um 14.50 Uhr rief sie den Vater erneut an und erklärte, er werde seine Tochter nicht wiedersehen, da er die Polizei eingeschaltet habe. In Absprache mit der inzwischen eingeschalteten Polizei gab der Vater gegenüber dem Taxifahrer an, daß das Paket noch nicht da sei, er möge noch etwas warten. Der Vater erfuhr dabei, daß der Taxifahrer das Paket zum Bahnhof nach L. bringen solle. Daraufhin begann die Polizei mit der Observation des Bahnhofsgebietes in L. . Dort entdeckte die Polizei die Angeklagte gegen 15.19 Uhr in ihrem Fahrzeug; bis zu ihrer Festnahme um 15.48 Uhr wurde sie lückenlos observiert. J. wurde im Kofferraum des Fahrzeugs in einem zwar erschöpften, jedoch insgesamt zufriedenstellenden Zustand aufgefunden.
2. Die sachverständig beratene Strafkammer hat eine Verminderung der Steuerungsfähigkeit bei der Angeklagten verneint und sie für beide Taten für strafrechtlich voll verantwortlich gehalten. Die Kammer ist dem psychiatrischen Sachverständigen darin gefolgt, die Angeklagte leide an einer schweren gemischten Persönlichkeitsstörung mit dissozialen und schizoiden Anteilen, die weitgehend auf einem hochproblema-
tischen Verhältnis zum Vater beruhe. Dazu ist in den Urteilsgründen näher ausgeführt, die Störung äußere sich in einer unausgeglichenen Affektivität mit autoaggressiven Zügen, einer gestörten Beziehungsfähigkeit und einer Neigung , insbesondere problematische Dinge von sich abzuspalten. Die Persönlichkeitsstörung , die auch durch sexuelle Mißbrauchserlebnisse mitbedingt sein könne, sei deshalb so erheblich, daß Symptome vorlägen, die rechtlich als "schwere andere seelische Abartigkeit" im Sinne des § 20 StGB eingeordnet würden. Die Strafkammer ist den Ausführungen des Sachverständigen auch insoweit gefolgt, als keine Anhaltspunkte dafür bestünden, daß sich die Persönlichkeitsstörung bei der konkreten Tat auf ihre Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ausgewirkt habe. Die Angeklagte sei in der Lage, die Realität zu erkennen und richtig einzuschätzen. Angesichts der hohen Komplexität der Tatabläufe , insbesondere der umfänglichen Tatplanung und der Vorbereitungshandlungen , sowie der Tatsache, daß die Angeklagte längerfristige, zukunftsgerichtete Pläne verfolgt habe, lägen keine Hinweise dafür vor, daß sie ihr Verhalten nicht habe steuern können. Dagegen hat die die Revision eingewendet, die Beurteilung der Schuldfähigkeit sei in mehrfacher Hinsicht rechtsfehlerhaft. Die Strafkammer habe bezüglich des ersten Tatvorwurfs, dem räuberischen Diebstahl, die Frage der erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit überhaupt nicht geprüft. Hinsichtlich der Kindesentführung habe sie sich zwar mit der Problematik auseinandergesetzt , jedoch schon verkannt, daß nach der Rechtsprechung des Bundesgerichthofes die Annahme einer schweren seelischen Abartigkeit eine erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit zumindest nahe lege. Ein überlegtes, geplantes, logisches und zielgerichtetes Handeln schließe eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit nicht aus, da auch "bei geplantem und geordnetem Vorgehen" die Fähigkeit erheblich eingeschränkt sein könne,
Anreize zu einem bestimmten Verhalten und Hemmungsvorstellungen gegen- einander abzuwägen und danach den Willensentschluß zu bilden. Deshalb habe die Kammer in erster Linie prüfen müssen, ob die Angeklagte infolge ihrer Persönlichkeitsstörung in der fraglichen Zeit einem zur Tat führenden starken Motivationsdruck ausgesetzt gewesen sei, wie er sonst in vergleichbaren Situationen bei anderen Straftätern nicht vorhanden sei, und ob dadurch ihre Fähigkeit , sich normgerecht zu verhalten, deutlich vermindert gewesen sei. Die Kammer sei zwar davon ausgegangen, daß die schwere Persönlichkeitsstörung möglicherweise auf dem hochproblematischen Verhältnis zum Vater beruhe , habe jedoch außer acht gelassen, daß die Angeklagte mit ihrer Tochter und ihrem Sohn Deutschland verlassen und nach Tunesien auswandern wollte, „weil ihr Vater - der bereits sie über Jahre sexuell mißbraucht und geschlagen hatte - den Wunsch äußerte, mit der Tochter der Angeklagten ein Wochenende allein im Schwarzwald verbringen zu wollen und die Angeklagte befürchtete, daß ihr Vater sich auch an ihrer Tochter vergehen würde“ (UA S. 5, 20). 3. Es ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, daß die Strafkammer die Angeklagte trotz der angenommenen Persönlichkeitsstörung für beide Taten als strafrechtlich voll verantwortlich angesehen hat.
a) Persönlichkeitsstörung als andere seelische Abartigkeit
aa) Ersichtlich ist der Sachverständige bei der Beurteilung der persönlichen Entwicklung der Angeklagten und ihrer strafrechtlichen Verantwortlichkeit nach den Kriterien der in der forensischen Psychiatrie gebräuchlichen diagnostischen und statistischen Klassifikationssysteme vorgegangen (ICD-10 Kapitel V (F), Internationale Klassifikation psychischer Störungen, Dil-
ling/Mombour/Schmidt [Hrsg.], 4. Aufl.; DSM-IV, Diagnostisches und Statisti- sches Manual Psychischer Störungen 2. Aufl., Saß/Wittchen/Zaudig [Hrsg.].).
bb) Bei der in ICD-10 F 60.0 (DSM-IV 301.0) genannten Störungsgruppe „Persönlichkeitsstörung“ handelt es sich um einen Oberbegriff. Es werden völlig unterschiedliche typologisch definierte Varianten beschrieben, die je nach Ausprägung als normal oder abnorm zugeordnet werden. Sie reichen von einer Vielzahl normalpsychologisch wirksamer Ausprägungen und Beeinträchtigungen des Empfindens und Verhaltens bis zu einer abnormen Persönlichkeit, die von ihrem Gewicht her durchaus Krankheitswert erreichen kann (Rasch, Forensische Psychiatrie 2. Aufl. S. 261 f.). Der Begriff der Persönlichkeitsstörung beschreibt abnorme Persönlichkeiten, deren Eigenschaften von einer nicht näher bezeichneten gesellschaftlichen Norm abweichen. Von psychopathischen Persönlichkeiten wird dann gesprochen, wenn die Person an ihrer Abnormität leidet oder wenn die Gesellschaft unter ihrer Abnormität leidet (vgl. Venzlaff und Pfäfflin in Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung 4. Aufl. S. 248, 250; Rasch, StV 1991, 126, 127; Nedopil, Forensische Psychiatrie 2. Aufl. S. 149, 152 f.; Saß in Saß/Herpertz, Persönlichkeitsstörungen S. 177, 180).
cc) Für die forensische Unterscheidung zwischen strafrechtlich nicht relevanten Auffälligkeiten in Charakter und Verhalten einer Persönlichkeit und einer psychopathologischen Persönlichkeitsstörung, die Symptome aufweist, die in einer Beziehung zu psychischen Erkrankungen im engeren Sinne bestehen , enthalten die Klassifikationssysteme ICD-10 und DSM-IV eine Vielzahl diagnostischer Kriterien, anhand derer der psychiatrische Sachverständige einzelne Persönlichkeitsstörungen spezifizieren und deren Ausprägungsgrad bewerten kann. Diagnostische Hilfsmittel bei psychischen Störungen sind ne-
ben technischen Untersuchungen (EEG, Laboruntersuchungen etc.) sowie den Selbst- und Fremdbeurteilungen vor allem strukturierte Checklisten und diagnostische Interviews (vgl. DSM-IV aaO S. XVII). Bei der forensischen Begut- achtung hat sich der Sachverständige methodischer Mittel zu bedienen, die dem jeweils aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand gerecht werden. Existieren mehrere anerkannte und indizierte Verfahren, so steht deren Auswahl in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Dabei ist der Sachverständige – unbeschadet der Sachleitungsbefugnis durch das Gericht - frei, von welchen inhaltlichen Überlegungen und wissenschaftlichen Methoden er bei Erhebung der maßgeblichen Informationen ausgeht und welche Gesichtspunkte er für seine Bewertung des Ausprägungsgrades für maßgeblich hält. In seinem Gutachten hat er nach den Geboten der Nachvollziehbarkeit und der Transparenz für alle Verfahrensbeteiligten nach Möglichkeit darzulegen, aufgrund welcher Anknüpfungstatsachen und auf welchem Weg er zu den von ihm gefundenen Ergebnissen gelangt ist (vgl. BGHSt 44, 26, 33; 45, 164, 169; st. Rspr.).
dd) Der Senat hat der forensisch-psychiatrischen Literatur entnommen, daß sich nach dem bestehenden wissenschaftlichen Kenntnisstand für die forensische Schuldfähigkeitsbeurteilung von Persönlichkeitsstörungen folgende Vorgehensweise anbietet, ohne daß die Nichteinhaltung einzelner Schritte nach rechtlichen Maßstäben fehlerhaft sein muß. Dazu gehört, daß der Sachverständige die sozialen und biographischen Merkmale unter besonderer Berücksichtigung der zeitlichen Konstanz der pathologischen Auffälligkeiten erhebt. Darüber hinaus bedarf es der Darstellung der pathologischen Reaktionsweisen unter konflikthaften Belastungen und deren Veränderungen infolge der natürlichen Reifungs- und Entwicklungsschritte sowie der therapeutischen Maßnahmen (Saß in Saß/Herpertz, Persönlichkeitsstörungen, 2003, S. 177,
178). Weist die untersuchte Person Persönlichkeitszüge auf, die nur auf ein unangepaßtes Verhalten oder auf eine akzentuierte Persönlichkeit hindeuten und die Schwelle einer Persönlichkeitsstörung nicht erreichen, wird schon aus psychiatrischer Sicht eine Zuordnung zum vierten Merkmal des § 20 StGB auszuschließen sein.

b) Schweregrad der Abartigkeit
Gelangt der Sachverständige – wie hier - zur Diagnose einer „dissozialen oder antisoziale Persönlichkeitsstörung“ (ICD-10 F 60.2 und DSM-IV 301.7: „Mißachtung sozialer Normen“) und einer „schizoiden Persönlichkeitsstörung“ (ICD-10 F 60.1. und DSM-IV 301.20: „Distanziertheit in sozialen Beziehungen, eingeschränkte emotionale Ausdrucksmöglichkeiten“), so ist diese psychiatrische Diagnose indes nicht mit der „schweren anderen seelischen Abartigkeit“ in § 20 StGB gleichzusetzen. Für die forensische Praxis ist mit der bloßen Feststellung, bei dem Angeklagten liege eine Persönlichkeitsstörung vor, nichts gewonnen. Vielmehr sind der Ausprägungsgrad der Störung und der Einfluß auf die soziale Anpassungsfähigkeit entscheidend für die Beurteilung der Schuldfähigkeit (Rasch, Die psychiatrisch-psychologische Beurteilung der sogenannten schweren anderen seelischen Abartigkeit, StV 1991 S. 126, 127). Hierfür sind die Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit (etwa hinsichtlich der Wahrnehmung der eigenen und dritter Personen, der emotionalen Reaktionen, der Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen und der Impulskontrolle) durch die festgestellten pathologischen Verhaltensmuster im Vergleich mit jenen krankhaft seelischer Störungen zu untersuchen (vgl. Kröber NStZ 1998, 80 f.). Für die Bewertung der Schwere der Persönlichkeitsstörung ist maßgebend, ob es im Alltag außerhalb des angeklagten Deliktes zu Einschränkungen des
beruflichen und sozialen Handlungsvermögens gekommen ist (DSM-IV aaO S. 715, 716; Nedopil aaO S. 152). Erst wenn das Muster des Denkens, Fühlens oder Verhaltens, das gewöhnlich im frühen Erwachsenenalter in Erscheinung tritt, sich im Zeitverlauf als stabil erwiesen hat, können die psychiatrischen Voraussetzungen vorliegen, die rechtlich als viertes Merkmal des § 20 StGB, der „schweren anderen seelischen Abartigkeit“ angesehen werden.
Für das Vorliegen der Voraussetzungen einer „schweren anderen seelischen Abartigkeit“ werden aus psychiatrischer Sicht genannt: Hervorgehen der Tat aus neurotischen Konflikten; konflikthafte Zuspitzung und emotionale Labilisierung in der Zeit vor der Tat; abrupter, impulshafter Tatablauf; aktuelle konstellative Faktoren wie z. B. Alkohol und andere Drogen, Ermüdung, affektive Erregung. Gegen das Vorliegen des vierten Merkmals des § 20 StGB können sprechen: Tatvorbereitung; planmäßiges Vorgehen bei der Tat; Fähigkeit zu warten; lang hingezogenes Tatgeschehen; komplexer Handlungsablauf in Etappen; Vorsorge gegen Entdeckung; Möglichkeit anderen Verhaltens unter vergleichbaren Umständen; Hervorgehen des Delikts aus dissozialen Charakterzügen (Saß in Saß/Herpertz aaO S. 179, 180; Versuche einer empirischwissenschaftlichen Auswertung der am häufigsten in forensischen Gutachten vorkommenden Indikatoren bei Scholz/Schmidt, Schuldfähigkeit bei schwerer anderer seelischer Abartigkeit, 2003).

c) Erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit bei der Tat
Ob die Steuerungsfähigkeit wegen des Vorliegens einer schweren anderen seelischen Abartigkeit bei Begehung der Tat "erheblich" im Sinne des § 21 StGB vermindert war, ist eine Rechtsfrage. Diese hat der Tatrichter ohne Bin-
dung an Äußerungen von Sachverständigen in eigener Verantwortung zu beantworten. Hierbei fließen normative Gesichtspunkte ein. Entscheidend sind die Anforderungen, die die Rechtsordnung an jedermann stellt (vgl. für den „berauschten Täter“ BGHSt 43, 66, 77; BGH NStZ-RR 1999, 295, 296 jew. m.w.N.). Diese Anforderungen sind um so höher, je schwerwiegender das in Rede stehende Delikt ist (BGH, Urt. v. 21. März 2001 - 1 StR 32/01).
Da Persönlichkeitsstörungen in der Regel die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit nicht vollständig aufheben, wird der Tatrichter Gesichtspunkte bewerten, die für oder gegen eine Einschränkung der Steuerungsfähigkeit sprechen können, ohne daß es wegen der fließenden Übergänge zwischen Normalität sowie allen Schweregraden und Konstellationen abnormer Persönlichkeit feste skalierbare Regelungen gibt (Saß in Saß/Herpertz aaO S. 179).
aa) Zudem kommt es nach dem Gesetz nicht darauf an, ob die Steuerungsfähigkeit generell eingeschränkt ist. Maßgeblich ist vielmehr, ob sie bei Begehung der Tat – und zwar erheblich – eingeschränkt war. Zur Beurteilung dieser Rechtsfrage wird der Tatrichter auf der Grundlage des Beweisergebnisses über den Ablauf der Tathandlung – auch unter Beachtung möglicher alternativer Tatvarianten - die vom Sachverständigen gestellte Diagnose, den Schweregrad der Störung und deren innere Beziehung zur Tat in eigener Verantwortung nachprüfen. Stellt er in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen fest, daß das Störungsbild die Merkmale eines oder mehrerer Muster oder einer Mischform die Klassifikationen in ICD-10 oder DSM-IV erfüllen, besagt dies rechtlich noch nichts über das Ausmaß psychischer Störungen (vgl. BGH NStZ 1997, 383). Eine solche Zuordnung hat eine Indizwirkung dafür, daß eine nicht ganz geringfügige Beeinträchtigung vorliegt (vgl. zu bestimmten Fallgrup-
pen BGH StV 1998, 342; StV 2002, 17, 18; BGH, Urt. vom 27. August 2003 – 2 StR 267/03). Der Tatrichter wird in einer Gesamtbetrachtung die Persönlichkeit des Angeklagten und dessen Entwicklung bewerten, wobei auch Vorgeschichte , unmittelbarer Anlaß und Ausführung der Tat sowie das Verhalten danach von Bedeutung sind (st. Rspr.; vgl. BGHSt 37, 397, 401 f.; BGH NStZ 1997, 485; BGH, BGHR StGB § 21 Seelische Abartigkeit 10, 20, 23, 36; BGH NStZ 1996, 380; BGH StraFo 2001, 249; BGH StV 2002, 17, 18; vgl. in diesem Sinne auch Venzlaff und Pfäfflin in Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung aaO S. 270 f.; Saß in Saß/Herpertz, Persönlichkeitsstörungen S. 177, 180).
bb) Es kann hier dahingestellt bleiben, ob die mitgeteilte Diagnose des Sachverständigen zum Vorliegen einer schweren Persönlichkeitsstörung zutreffend war. Dagegen könnte sprechen, daß die in den Urteilsgründen mitgeteilte Tatsachengrundlage wenig tragfähig erscheint. Der Sachverständige hat seine Diagnose im wesentlichen auf die persönlichen Angaben der Angeklagten bei der Exploration gestützt und ausgeführt, „die Persönlichkeitsstörung die durchaus auch auf sexuelle Mißbrauchserlebnisse mitbedingt sein könne, sei auch so erheblich, daß eine schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB anzunehmen sei“. Auch die Strafkammer ist „ entsprechend ihren Angaben zu ihren Gunsten davon ausgegangen“, die Angeklagte sei vom Vater seit ihrem siebten Lebensjahr immer wieder sexuell mißbraucht worden. Konkrete Feststellungen oder objektivierbare Indizien, die die Behauptungen der Angeklagten stützen, enthalten die Urteilsgründe nicht. Die als Zeugen vernommenen Mutter und Schwester haben sogar ausgesagt, sie hätten zu keinem Zeitpunkt Anhaltspunkte für einen sexuellen Mißbrauch der Angeklagten gehabt (UA S. 15).
Die Strafkammer hat zum räuberischen Diebstahl im Oktober 2001 keine näheren Ausführungen zu einer möglichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit gemacht. Eine solche lag auch eher fern, denn hinsichtlich dieser Tat behauptet die Revision selbst nicht, daß die Angeklagte infolge ihrer Persönlichkeitsstörung schon zu diesem Zeitpunkt einem so starken Motivationsdruck ausgesetzt war, daß sie die Wegnahme des Geldes und dessen Sicherung durch Gewaltanwendung nicht habe steuern können.
Die Strafkammer hat auch hinsichtlich der im Juli 2002 begangenen Entführung der siebenjährigen J. nachvollziehbar einen erheblichen Einfluß der Persönlichkeitsstörung auf das komplexe Tatgeschehen ausgeschlossen. Die Angeklagte sei zwar aufgrund ihrer Lebensgeschichte, zu der auch die Mißbrauchsgeschichte gehören könne, in vieler Hinsicht kritikgemindert. Sie sei aber in der Lage, die Realität zu erkennen und richtig einzuschätzen. Ihre gelegentliche Impulsivität sei keine pathologisch überhöhte Erregbarkeit, insbesondere sei auch keine hirnorganisch begründete Affektlabilität festzustellen.
Als Beleg für eine vollständig erhaltene Steuerungsfähigkeit hat die Strafkammer herangezogen, daß es der Angeklagten bei ihrer Tat in erster Linie darum ging, sich mittels des erwarteten Lösegeldes die Basis für ihr zukünftiges Leben in Tunesien zu schaffen. Die Behauptung der Angeklagten, sie habe wegen eines möglichen Übergriffs des Vaters auf ihre Tochter unter einem schwer beherrschbaren Motivationsdruck gestanden, darf die Kammer als widerlegt ansehen. Sie hat ausgeführt, die Angeklagte habe diese Pläne schon seit ihrem Besuch und ihrer Verlobung in Tunesien im April 2002 verfolgt und
sich endgültig im Juli 2002 zu dieser Straftat entschlossen. Das Lösegeld sollte das ihrem neuen Lebensgefährten zugesagte Startkapital sein.
Gegen die erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit bei der Tat sprachen hier die bis ins einzelne gehende Planung der Entführung, die vorbereitende Beobachtung der Familie über mehrere Tage sowie das mehrmalige Umbuchen der Flüge nach Tunesien. Die Kammer hat mit Recht auch als überlegtes kriminelles Handeln angesehen, daß die Angeklagte dem Vater des Entführungsopfers jeweils nur kurze Fristen zur Geldbeschaffung setzte, um ihn aus Furcht um sein Kind unter Druck zu setzen. Die Strafkammer konnte schließlich als Belege für ein kontrolliertes und zielgerichtetes Handeln der Angeklagten auch die kaltblütige Durchführung der Entführung auf dem öffentlichen Schulgelände heranziehen. Sie hat ausgeführt, das Sichbemächtigen des Kindes auf dem Schulgelände zeige, in welchem Maße die Angeklagte in der Lage war, situationsadäquat zu handeln und ihre Impulse instrumental zu steuern. Obwohl sie auf dem Schulgelände mit Zeugen rechnen mußte, habe sie das Kind in der Nähe des Rektorats abgefangen und gezielt - und für das Kind J. äußerst schmerzhaft - das Elektroschockgerät einsetzte und das sich wehrende Kind in den bereitgestellten Pkw verbracht. Damit ist die Strafkammer zu Recht davon ausgegangen, daß bei der Angeklagten eine erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit nicht vorlag.
Nack Wahl Boetticher Schluckebier Hebenstreit

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

5 StR 3/01

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 20. Februar 2001
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Februar 2001

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 13. Oktober 2000 nach § 349 Abs. 4 StPO im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sie ist zum Schuldspruch unbegründet gemäß § 349 Abs. 2 StPO. Jedoch hält der Rechtsfolgenausspruch rechtlicher Prüfung nicht stand, soweit das Landgericht die uneingeschränkte Schuldfähigkeit des Angeklagten bejaht hat.
1. Die Strafkammer hat sich hierbei auf das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen gestützt, der zwar das Vorliegen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit in Form einer manifesten narzißtischen Per- sönlichkeitsstörung bejaht, eine hierauf beruhende erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten jedoch ausgeschlossen hat, da ein die Schuldfähigkeit beeinträchtigender Affektdurchbruch bei Begehung der Tat im Ergebnis zu verneinen sei. Wenngleich auch mehrere Anzeichen auf einen möglichen Affektdurchbruch hindeuteten, so sprächen doch die lange Planung, der komplexe Handlungsablauf und das umsichtige Nachtatverhalten des Angeklagten für den Erhalt seiner Steuerungsfähigkeit.
2. Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Wird eine „schwere“ andere seelische Abartigkeit festgestellt, die als Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit nach dem Gesetz jeweils nur dann in Betracht kommt, wenn Symptome von beträchlichem Gewicht vorliegen, deren Folgen den Täter vergleichbar schwer stören, belasten oder einengen wie krankhafte seelische Störungen (BGHSt 37, 397, 401), so liegt es nahe, dieser Form der Persönlichkeitsstörung – sofern sie zu keinem Ausschluß der Schuldfähigkeit führt – die Wirkung einer von § 21 StGB geforderten „erheblichen“ Verminderung der Schuldfähigkeit zuzurechnen (BGHR StGB § 21 – seelische Abartigkeit 10, 20, 23; BGH NStZ 1996, 380). Dies gilt jedenfalls dann, wenn ein motivischer Zusammenhang zwischen psychischer Störung und Tatgeschehen besteht (vgl. Rasch StV 1991, 126, 130).

a) Als er den Entschluß faßte, die Zeugin W z u überfallen, befand sich der 43-jährige, ehemals gut situierte Angeklagte in einer desolaten Situation. Nach den Feststellungen war er völlig mittellos, erheblich unterernährt , drohte obdachlos zu werden – die zwangsweise Räumung seiner Wohnung stand unmittelbar bevor – und verfügte über keine erkennbaren familiären oder sonstigen Bindungen. In Verkennung der Realität war er infolge seiner als schwere andere seelische Abartigkeit eingestuften narzißtischen Persönlichkeitsstörung davon überzeugt, daß er Opfer von Behördenwillkür geworden sei und daß für seinen sozialen Abstieg Behördenvertreter, insbesondere die für ihn zuständige Sachbearbeiterin des Sozialamtes, die Zeugin W , verantwortlich seien. Diese hatte nach vielen fruchtlosen Ermahnungen, den für den Bezug von Sozialhilfe erforderlichen Mitwirkungspflichten (Nachweis über persönliche Arbeitsbemühungen, Meldung bei der Arbeitsvermittlung, Einhalten von Terminen) nachzukommen, schließlich die Einstellung der Sozialhilfe an den Angeklagten angeordnet und die behördlichen Mietzahlungen storniert. Wegen ihrer in seinen Augen insgesamt feindseligen und unangemessenen Haltung wollte der Angeklagte sich an der Zeugin rächen. Sein Ziel war es, ihr eine Lehre zu erteilen, daß sie so nicht mit ihm umspringen könne. Überdies beabsichtigte er ein Zeichen zu setzen, und durch eine Tat, die nicht als „dummer Jugenstreich“ gewertet werden könne, auf seine Misere aufmerksam zu machen (UA S. 27). Am Tage der Zwangsräumung suchte er das Dienstzimmer der Zeugin auf, und verlangte von ihr unter Vorhalt eines geladenen Revolvers die Herausgabe ihrer Geldbörse und der Kassengelder des Sozialamtes. Als die Zeugin dieser Forderung nicht nachkam und sich wortlos anschickte, das Zimmer zu verlassen, stieg in dem Angeklagten ein Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit auf, möglicherweise fühlte er sich auch beschämt, weil sein Vorhaben mißlungen war. Das Verhalten der Zeugin bewertete er als weiteren Beweis für ihren von ihm so oft beklagten Mangel an sozialer Kompetenz (UA S. 30, 31). Aufgrund eines neuen Tatentschlusses gab er nunmehr aus einer Entfernung von ein bis zwei Metern drei Schüsse auf die Zeugin ab, um seiner Enttäuschung über ihr Verhalten Ausdruck zu verleihen und sie zu bestrafen (UA S. 31). Die Zeugin erlitt lebensgefährliche Verletzungen. Nach der Tat entledigte sich der Angeklagte der Waffe und stellte sich wenige Stunden später der Polizei.

b) Auch unter Berücksichtigung der im Urteil ausführlich dargelegten Vorgeschichte, die zahlreiche Verhaltensauffälligkeiten des Angeklagten aufzeigt , und mit Blick darauf, daß die festgestellte psychische Störung des Angeklagten erkennbar auch in dem Tatgeschehen zum Ausdruck gekommen ist, hätte das Landgericht die von ihm vertretene Auffassung, daß trotz der Annahme einer schweren anderen seelischen Abartigkeit keine erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit gegeben war, näher erläutern müssen. Die vom Landgericht angeführte Begründung, daß ein Affektdurchbruch im Ergebnis nicht vorgelegen habe, geht fehl. Hier war nämlich in erster Linie zu prüfen, ob der Angeklagte allein infolge seiner abnormen Persönlichkeit in der fraglichen Zeit einem zur Tat führenden starken Motivationsdruck ausgesetzt war, wie er sonst in vergleichbaren Situationen bei anderen Straftätern nicht vorhanden ist, und ob dadurch seine Fähigkeit, sich normgerecht zu verhalten, deutlich vermindert war (vgl. BGHR StGB § 21 – seelische Abartigkeit 14). Daß der Angeklagte überlegt und zielgerichtet gehandelt hat, schließt erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit nicht aus (vgl. BGHR StGB aaO 10, 14, 23). Auch bei geplantem und geordnetem Vorgehen kann die Fähigkeit erheblich eingeschränkt sein, Anreize zu einem bestimmten Verhalten und Hemmungsvorstellungen gegeneinander abzuwägen und danach seinen Willensentschluß zu bilden (vgl. BGHR StGB aaO 14).
3. Der Senat schließt aus, daß in der neuen Hauptverhandlung die Prüfung der Schuldfähigkeit zu dem Ergebnis führen wird, daß Schuldunfähigkeit anzunehmen oder nicht auszuschließen sei. Er hebt deshalb nur den Strafausspruch auf. Sollte die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer die Voraussetzungen des § 21 StGB bejahen, so wird auch die Frage zu prüfen sein, ob eine Unterbringung des Angeklagten nach § 63 StGB anzuordnen ist; das Verschlechterungsverbot würde dem nicht entgegenstehen (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO).
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Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 316/01
vom
22. August 2001
in der Strafsache
gegen
wegen Anstiftung zum versuchten Mord u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. August 2001 beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München II vom 10. April 2001 nach § 349 Abs. 4 StPO im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Anstiftung zum versuchten Mord und zur gefährlichen Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision der Angeklagten ist zum Schuldspruch unbegründet gemäß § 349 Abs. 2 StPO. Jedoch hält der Strafausspruch rechtlicher Prüfung nicht stand, soweit das Landgericht die uneingeschränkte Schuldfähigkeit der Angeklagten bejaht hat.
1. Das Landgericht ist hierbei dem Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen gefolgt, die zwar wegen einer Persönlichkeitsstörung das Vorliegen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit bejaht, eine hierauf beruhende erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit der Angeklagten je-
doch ausgeschlossen hat. Begründet wurde dies mit dem geordneten, zielgerichteten , lange geplanten Tatablauf. Zudem habe mangels Provokation des Opfers keine schwere affektive Erschütterung vorgelegen.
2. Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) Wird eine schwere andere seelische Abartigkeit festgestellt, die als Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit nach dem Gesetz jeweils nur dann in Betracht kommt, wenn Symptome von beträchtlichem Gewicht vorliegen, deren Folgen den Täter vergleichbar schwer stören, belasten oder einengen wie krankhafte seelische Störungen, so liegt es nahe, dieser Form der Persönlichkeitsstörung – sofern sie zu keinem Ausschluß der Schuldfähigkeit führt – die Wirkung einer von § 21 StGB geforderten erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit zuzurechnen (st. Rspr., vgl. nur BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 10, 20, 23; BGH NStZ 1996, 380; BGH StraFo 2001, 249).

b) Daher hätte das Landgericht die Auffassung, daß trotz der Annahme einer schweren anderen seelischen Abartigkeit keine erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit gegeben war, näher erläutern müssen (vgl. BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 10; BGH NStZ 1996, 380). Die vom Landgericht angeführten Begründungen sind insoweit nicht tragfähig:
Daß die Angeklagte überlegt und zielgerichtet gehandelt hat, schließt erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit nicht aus. Auch bei geplantem und geordnetem Vorgehen kann die Fähigkeit erheblich eingeschränkt sein, Anreize zu einem bestimmten Verhalten und Hemmungsvorstellungen gegeneinander abzuwägen und danach den Willensentschluß zu bilden (vgl. BGHR StGB
§ 21 seelische Abartigkeit 14, 25; BGH StV 2000, 17; BGH StraFo 2001, 249 m.w.N.).
Auch das Abstellen auf eine affektive Erschütterung – die das Merkmal der tiefgreifenden Bewußtseinsstörung erfüllen kann – geht fehl. Bei dem Merkmal der schweren anderen seelischen Abartigkeit war nämlich in erster Linie zu prüfen, ob die Angeklagte allein infolge ihrer Persönlichkeitsstörung in der fraglichen Zeit einem zur Tat führenden starken Motivationsdruck ausgesetzt war, wie er sonst in vergleichbaren Situationen bei anderen Straftätern nicht vorhanden ist, und ob dadurch ihre Fähigkeit, sich normgerecht zu verhalten , deutlich vermindert war (vgl. BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 14; BGH StV 2000).
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