Bundesgerichtshof Urteil, 11. Aug. 2011 - 4 StR 191/11

bei uns veröffentlicht am11.08.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 191/11
vom
11. August 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Verdachts des schweren Raubes
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. August
2011, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Franke,
Bender,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
der Angeklagte in Person,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 23. August 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des schweren Raubes freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft rügt mit ihrer hiergegen gerichteten Revision die Verletzung sachlichen Rechts. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


2
1. Die unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklage hatte dem Angeklagten Folgendes zur Last gelegt:
3
Eine Tätergruppe um A. , Ak. und P. habe einen Überfall auf die Filiale der Sparkasse W. in O. geplant. Der Angeklagte habe als Fachkraft für Sicherheit bei dem Unternehmen Pr. zahlreiche Geldtransporte für die Sparkasse W. in O. vorgenommen und habe daher die örtlichen Gegebenheiten und Sicherheitslücken gut gekannt und gewusst, wann beson- ders hohe Geldbeträge an die Sparkasse geliefert wurden. Er sei über seinen Schwager T. angeheuert worden, den ausführenden Tätern Zutritt zu den Räumlichkeiten des Haupttresors im Untergeschoss der Sparkasse zu verschaffen. Am Morgen des 2. Dezember 2009 gegen 9.00 Uhr hätten der Angeklagte und sein Kollege Wi. einen Geldbetrag in Höhe von etwa 435.000 € an die Sparkasse ausgeliefert. Der Angeklagte habe entgegen der üblichen Vorgehensweise die Rolle des Beifahrers übernommen. Nach Auslieferung des Geldes habe er das Rolltor für den Geldtransporter geöffnet und dabei unauffällig eine Tür vom Tresorbereich zum Treppenhaus geöffnet, die vom Treppenhaus nur durch Eingabe einer PIN geöffnet werden konnte. Durch diese Tür hätten sich wenig später die beiden tatausführenden Mittäter Zugang zum Tresorraum verschafft. Die Mittäter hätten im Tresorraum den Kassierer überwältigt und mit Kabelbindern gefesselt und Scheingeld in Höhe von 697.000 € aus dem Tresor entwendet.
4
2. Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung bestritten, an der Tat beteiligt gewesen zu sein. Das Landgericht hat ihn aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Es hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
5
Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt vor dem 5. November 2009 fassten der frühere Mitangeklagte P. und der gesondert verfolgte Ak. den Entschluss, die Sparkasse W. in O. zu überfallen. Am 2. Dezember 2009 gelang es den beiden angeworbenen unmittelbar tatausführenden Personen, deren Identität bislang nicht ermittelt werden konnte, den Kassierer im Tresorraum der Sparkasse zu über- wältigen und Geld im Wert von über 690.000 € zu erbeuten. Die Tat wurde ihnen dadurch ermöglicht, dass sie über Insiderwissen hinsichtlich der Abläufe innerhalb der Sparkasse bei Geldanlieferungen durch das Sicherheitsunter- nehmen Pr. aus verfügten. P. und Ak. hatten insbesondere davon Kenntnis erlangt, dass bei den Geldanlieferungen entgegen der geltenden Dienstanweisung sämtliche weiteren Türen auf dem Weg vom Sicherheitsbereich bis zum Tresorraum solange offen gehalten wurden, bis der Kassierer die gelieferten Geldmengen in den Tresor einsortiert hatte. Der Zugang zum Sicherheitsbereich war entweder über die Tiefgarage durch die Einfahrt für den Geldtransporter möglich oder vom Treppenhaus durch eine Tür zum Sicherheitsbereich, die vom Treppenhaus her nur mittels eines Zahlencodes , vom Sicherheitsbereich aus allerdings durch einen einfachen Drücker zu öffnen war. Welcher Zugangsweg tatsächlich genutzt worden ist, konnte das Landgericht nicht feststellen. P. fuhr die den Überfall unmittelbar ausführenden Täter von einem Parkplatz an der Autobahn A2 in G. nach O. und nach der Tat wieder zurück. Das Landgericht konnte sich keine Überzeugung davon verschaffen, dass der Angeklagte der Hinweisgeber für die Tätergruppe war.

II.


6
Der Freispruch begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
7
Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Denn die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt insoweit nur, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (vgl. BGH, Urteil vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16 m.w.N.). Insbesondere sind die Beweise auch erschöpfend zu würdigen (BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 – 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände , die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (BGH, Urteil vom 14. August 1996 – 3 StR 183/96, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 11). Aus den Urteilsgründen muss sich auch ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (BGH, Urteil vom 23. Juli 2008 – 2StR 150/08, NJW 2008, 2792, 2793 m.w.N.). Rechtsfehlerhaft ist die Beweiswürdigung auch dann, wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt sind (BGH, Urteil vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97 a.a.O.; BGH, Urteil vom 26. Juni 2003 – 1 StR 269/02, NStZ 2004, 35, 36). Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (BGH, Urteile vom 26. Juni 2003 – 1 StR 269/02 aaO und vom 18. August 2009 – 1 StR 107/09, NStZ-RR 2010, 85, 86).
8
Dem wird die Beweiswürdigung nicht gerecht.
9
1. Die Beweiswürdigung ist bereits deshalb lückenhaft, weil das Urteil keinerlei Angaben dazu enthält, worauf die Feststellungen zum Ablauf des Überfalls und zu den daran beteiligten Mittätern beruhen. Der als Zeuge gehörte Nebenkläger, der die Tat als Kassierer im Tresorraum erlebt hat, konnte ersichtlich zu den Hintermännern und zu der An- und Abreise der unmittelbar tatausführenden Mittäter keine Angaben machen. Der im Urteil als früherer Mitangeklagter bezeichnete P. hat sich, wie sich aus der Erwähnung UA S. 18 ergibt, zur Sache eingelassen; was er zu seinem eigenen Tatbeitrag, zu seinen Kenntnissen von der Tatplanung und einem etwaigen Mitwirken des Angeklagten ausgesagt hat, teilen die Urteilsgründe nicht mit. Als nach den Feststellungen an der Planung und der Tatausführung beteiligter Mittäter dürfte P. gewusst haben, von wem die für die Tatausführung benötigten InsiderInformationen stammten. Seine Einlassung hätte deshalb im Urteil dargelegt werden müssen, um dem Revisionsgericht die Prüfung der Beweiswürdigung zu ermöglichen.
10
2. Das Landgericht beschränkt sich rechtsfehlerhaft darauf, die einzelnen Belastungsindizien gesondert zu erörtern und auf ihren jeweiligen Beweiswert zu prüfen. Es setzt sich hingegen nicht damit auseinander, ob die Belastungsindizien , die für sich genommen zum Beweis der Täterschaft nicht ausreichen, in ihrer Gesamtheit die für eine Verurteilung notwendige Überzeugung hätten begründen können (vgl. BGH, Urteil vom 24. Juni 2004 – 4 StR 15/04, wistra 2004, 432 m.w.N.). Bei der Prüfung wesentlicher einzelner Belastungsindizien legt das Landgericht zudem Annahmen als nicht ausschließbar zugrunde, für die sich in der Hauptverhandlung keine Anhaltspunkte ergeben haben:
11
a) Der nach Auffassung des Landgerichts naheliegend in die Tat verwickelte Hinweisgeber Z. kann danach möglicherweise nicht gewusst haben, von wem der Tipp für den Banküberfall gekommen ist, und um an das ausgelobte Geld zu kommen, den ihm bekannten und bereits verhafteten Angeklagten benannt haben. Ob gerade die Benennung eines tatbeteiligten Geldtransportfahrers Voraussetzung für die Erlangung einer Belohnung war, teilt das Urteil jedoch nicht mit; möglicherweise wäre für eine Belohnung ausreichend gewesen , Hinweise auf die unmittelbar tatausführenden Täter zu geben – Z. hatte zwei Polen namentlich benannt.
12
b) Die Zeugin We. war sich sicher, den Angeklagten im Ho- tel „Holiday Inn“ in G. gesehenzu haben, ohne einen Zusammenhang mit dem gesondert verurteilten Tatbeteiligten P. herstellen zu können, an den sie sich ebenfalls erinnerte. Nach den Feststellungen hatte P. das Hotelzimmer angemietet, was für ein Wiedererkennen durch die Zeugin spricht. Das Landgericht hält es jedoch allein deshalb für möglich, dass sich die Zeugin bei dem Wiedererkennen des Angeklagten geirrt hat, weil das Hotel ca. 5.000 Gäste im Monat hat.
13
3. Das Landgericht geht im Übrigen auch von einem unzutreffenden Ansatzpunkt aus. Es würdigt die Einlassung des Angeklagten zu den einzelnen Belastungsindizien und hält sie für nicht widerlegt. Einlassungen des Angeklagten , für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine objektiven Anhaltspunkte gibt, sind aber nicht ohne weiteres als „unwiderlegbar“ hinzunehmen und den Feststellungen zu Grunde zu legen. Der Tatrichter hat vielmehr auf der Grundlage des gesamten Beweisergebnisses darüber zu entscheiden, ob derartige Angaben geeignet sind, seine Überzeugungsbildung zu beeinflussen.
14
4. Schließlich ist die Beweiswürdigung auch in einem weiteren Punkt lückenhaft. Das Landgericht sieht es als wesentliches Entlastungsindiz an, dass der Angeklagte am Tattag nicht damit rechnen konnte, als Bote eingesetzt zu werden (UA S. 11 und 13). Sie hält die Aussage des Zeugen W. für glaubhaft , dass er den Angeklagten kurz vor Fahrtantritt für diesen überraschend gefragt habe, ob er die Tätigkeit des Boten übernehmen könne. Die Plausibilität dieser Schlussfolgerung lässt sich für das Revisionsgericht jedoch nicht nachprüfen , weil die Urteilsgründe keine Angaben dazu enthalten, wie die Aufteilung der Tätigkeiten als „Bote“ und „Fahrer“ zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen üblicherweise erfolgte. Die Urteilsgründe enthalten auch keine Angaben dazu, weshalb es am Tattag zu einem Tausch der Tätigkeiten gekommen sein soll. Nähere Darlegungen wären hier erforderlich gewesen, um die vom Landgericht bejahte Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage überprüfen zu können. Denn der Zeuge W. hatte sich nach den Feststellungen zunächst auch eine falsche Aussage zum tatsächlich vorschriftswidrigen Ablauf der Ausfahrt aus dem Sicherheitsbereich zurecht gelegt.
Mutzbauer Roggenbuck Franke
RiBGH Bender ist infolge Urlaubs ortsabwesend und daher an der Unterschriftsleistung gehindert. Mutzbauer Quentin

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 11. Aug. 2011 - 4 StR 191/11

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 11. Aug. 2011 - 4 StR 191/11

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.
Bundesgerichtshof Urteil, 11. Aug. 2011 - 4 StR 191/11 zitiert 3 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

Referenzen - Urteile

Bundesgerichtshof Urteil, 11. Aug. 2011 - 4 StR 191/11 zitiert oder wird zitiert von 7 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Urteil, 11. Aug. 2011 - 4 StR 191/11 zitiert 1 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Urteil, 18. Aug. 2009 - 1 StR 107/09

bei uns veröffentlicht am 18.08.2009

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 107/09 vom 18. August 2009 in dem Strafverfahren gegen wegen Verdachts des schweren Raubes u.a. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 18. August 2009, an der teilgenomme
6 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Urteil, 11. Aug. 2011 - 4 StR 191/11.

Bundesgerichtshof Urteil, 14. Sept. 2017 - 4 StR 303/17

bei uns veröffentlicht am 14.09.2017

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 4 StR 303/17 vom 14. September 2017 in der Strafsache gegen wegen Brandstiftung u.a. ECLI:DE:BGH:2017:140917U4STR303.17.0 Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 14. Septembe

Bundesgerichtshof Urteil, 13. Dez. 2012 - 4 StR 177/12

bei uns veröffentlicht am 13.12.2012

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 4 StR 177/12 vom 13. Dezember 2012 in der Strafsache gegen wegen Verdachts des Totschlags Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 13. Dezember 2012, an der teilgenommen haben:

Bundesgerichtshof Urteil, 28. Mai 2014 - 2 StR 70/14

bei uns veröffentlicht am 28.05.2014

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 S t R 7 0 / 1 4 vom 28. Mai 2014 in der Strafsache gegen wegen des Verdachts der Vergewaltigung u.a. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 28. Mai 2014, an der teilgenommen h

Bundesgerichtshof Urteil, 06. Dez. 2012 - 4 StR 360/12

bei uns veröffentlicht am 06.12.2012

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 4 StR 360/12 vom 6. Dezember 2012 in der Strafsache gegen wegen Verdachts des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 6. Dezember 201

Referenzen

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 107/09
vom
18. August 2009
in dem Strafverfahren
gegen
wegen Verdachts des schweren Raubes u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 18. August
2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Prof. Dr. Jäger,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts München II vom 12. September 2008 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit es den Angeklagten betrifft. In diesem Umfang wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Am 16. November 2007 wurde der damals 70 Jahre alte K. in seiner Wohnung in Holzkirchen von zwei Tätern überfallen und gefesselt. Die Täter entwendeten Uhren und Schmuck im Wert von über 10.000,-- €. K. wurde erst nach Stunden befreit. Anklage und Eröffnungsbeschluss gingen davon aus, dass der Angeklagte einer der Täter war, bei dem anderen Täter soll es sich um den gegenwärtig in Jordanien aufhältlichen gesondert verfolgten S. handeln. Die Strafkammer konnte sich nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung nicht von der Täterschaft des Angeklagten überzeugen und hat ihn freigesprochen.
2
Hiergegen wendet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft. Das auch vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg, da die Beweiswürdigung der Strafkammer rechtlicher Überprüfung nicht standhält.
3
1. Dem Tatverdacht gegen den Angeklagten liegen, ohne dass an dieser Stelle die Urteilsgründe vollständig nachzuzeichnen wären, nicht zuletzt folgende Beweisanzeichen zu Grunde:
4
a) Der Angeklagte wird von den beiden Mitangeklagten A. und B. (hinsichtlich derer die Staatsanwaltschaft keine Revision eingelegt hat) als Täter bezeichnet. Die Mitangeklagten waren an der Planung und Vorbereitung der Tat als Einbruch beteiligt. Die Gewalttätigkeiten waren nach der Beweiswürdigung der Strafkammer ein den Mitangeklagten nicht zurechenbarer Exzess. Sie wurden nach der Tat, wie sie angeben, vom Angeklagten und S. , über den Tatablauf im Detail informiert; die Beute wurde noch am gleichen Tag von A. verkauft.
5
b) Auf der Außenseite eines Teilstücks des Klebebandes, mit dem der Geschädigte gefesselt worden war, wurde eine Mischspur mit DNA-Merkmalen des Angeklagten gefunden.
6
c) In der Wohnung des Angeklagten wurden drei Schmuckschatullen gefunden , die aus der Tat stammen.
7
d) Zwischen dem Angeklagten und A. fanden am Tattag innerhalb von etwa zwei Stunden vier Telefongespräche statt.
8
e) Eine unbeteiligte, zufällige Zeugin (Frau Br. ) hat am Tattag in der Nähe des Tatorts zwei Männer beobachtet. In der Hauptverhandlung war sie „zu 80%“ sicher, dass es sich bei einem dieser Männer aus näher dargelegten Gründen (z. B. wegen der Nase, der hohen Stirn, der Statur) um den Angeklagten handelt.
9
2. Die Strafkammer hat diesen Erkenntnissen letztlich kein entscheidendes Gewicht beigemessen. Ohne dass auch insoweit die Urteilsgründe hier vollumfänglich nachzuzeichnen wären, hält sie die genannten Anhaltspunkte im Kern aus folgenden Gründen nicht für hinreichend tragfähig:
10
a) Es sprächen „starke“ Anhaltspunkte für eine Täterschaft von S. . Die entsprechenden Angaben der Mitangeklagten würden durch näher dargelegte objektive Beweismittel gestützt. Daraus folge jedoch nicht „zwangsläufig“, dass auch die Angaben der Mitangeklagten zur Tatbeteiligung des Angeklagten richtig seien.
11
b) Hinsichtlich der DNA-Spuren hat der Angeklagte angegeben, zwar am Tattag mit seinem Pkw und A. nach Holzkirchen gefahren zu sein, jedoch um ein Regal zu transportieren. Dort sei man zunächst zusammen in ein Cafe gegangen, dann habe ihn A. mit anderen, Unbekannten verlassen. Später sei er wieder gekommen und habe gesagt, mit dem Regal klappe es nicht. Dann sei man gemeinsam nach München zurückgefahren. Das Klebeband habe A. auf der Fahrt nach Holzkirchen auf der Mittelkonsole des Pkws abgelegt. Die Bedienung der Gangschaltung sei dadurch ausgeschlossen gewesen, weshalb er, H. , das Klebeband weggelegt habe. Dadurch müsse die DNA-Spur entstanden sein. Dieses Vorbringen, so die Strafkammer, sei nicht zu widerlegen.
12
c) Die Schmuckkassetten habe ihm A. im Rahmen eines Geschäfts über einen (aus der Tat stammenden) Ring überlassen, welches ihm A. angeboten habe, um den Ärger des Angeklagten über den nicht stattgefunden Transport des Regals zu besänftigen. Für diese Version, so die Strafkammer, spreche, dass ein Freund des Angeklagten sie bestätigt habe. Dieser Freund sei unmittelbar, nachdem der Angeklagte die entsprechende Aussage gemacht habe, in die Hauptverhandlung gerufen worden. Eine Absprache sei daher ausgeschlossen. Dass die Mutter des Angeklagten im Rahmen einer Hausdurchsuchung, bei der die Schatullen gefunden wurden , den Angeklagten mit der Lüge zu entlasten versucht hatte, die Schatullen gehörten ihr, ändere nichts.
13
d) Hinsichtlich der Telefongespräche am Tattag gibt der Angeklagte an, es sei dabei immer nur um Benzingeld für die Fahrt wegen des (letztlich gescheiterten ) Regaltransports gegangen. Dies bewertet die Strafkammer als nicht „vollkommen wirklichkeitsfremd“.
14
e) Die Strafkammer geht davon aus, dass es sich bei den von Frau Br. gesehenen Männern um die Täter handelt. Gegen ihre Annahme, bei einem dieser Männer habe es sich mit erheblicher - wenn auch nicht letzter - Sicherheit um den Angeklagten gehandelt, spreche, dass sie bei der Polizei gesagt habe, die Männer seien 30 bis 40 Jahre alt gewesen, eher 40 Jahre, während sie den Angeklagten in der Hauptverhandlung für 30 Jahre alt geschätzt habe. Ebenso spreche gegen die Zuverlässigkeit der Wiedererkennung, dass sie angegeben habe, der in Rede stehende Mann habe ausgewaschene blaue Jeans getragen; dies sei unvereinbar mit der Angabe A. s , wonach der Angeklagte bei der Tat dunkelblaue Jeans getragen habe.
15
3. Spricht das Gericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist das durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten überwunden hätte. Das Revisionsgericht prüft nur, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist etwa dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgeht, etwa hinsichtlich des Umfangs und der Bedeutung des Zweifelssatzes, wenn sie lückenhaft , widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt, oder wenn, im Falle eines Freispruchs, an das Maß der zur Verurteilung erforderlichen Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt werden (st. Rspr., vgl. zuletzt zusammenfassend BGH, Urt. vom 18. März 2009 - 1 StR 549/08 m.w.N.).
16
a) Die genannten Erwägungen der Strafkammer werden schon jeweils für sich genommen diesen Maßstäben nicht in vollem Umfang gerecht:
17
(1) Die Strafkammer hält die Angaben der Mitangeklagten hinsichtlich S. für glaubhaft, hinsichtlich des Angeklagten letztlich nicht. Der Tatrichter ist allerdings nicht gehindert, einer Auskunftsperson teilweise zu glauben und teilweise nicht. Dies verlangt jedoch eine nachvollziehbare Begründung, die sich mit allen wesentlichen Gesichtspunkten auseinandersetzt (st. Rspr., vgl. d. Nachw. bei Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 261 Rdn. 83, Fußn. 358, 359). Daran fehlt es hier. Es wäre erkennbar in die Erwägungen einzubeziehen gewesen, dass die Angaben A. s insoweit vom Angeklagten bestätigt werden, als auch er angibt, am Tattag mit diesem nach Holzkirchen gefahren zu sein. A. wusste nach den Feststellungen, dass an diesem Tag dort die von ihm (mit) geplante und vorbereitete Tat durchgeführt werden sollte. Es wäre zu erörtern gewesen, ob und warum davon auszugehen ist, dass er in Holzkirchen zugleich ein Regal holen wollte und zu diesem Zweck sich der Hilfe eines nicht an der Tat Beteiligten bediente. Ebenso wäre zu erörtern gewesen, ob es ein nachvollziehbares Motiv für A. und den anderen Mitangeklagten gibt, hinsichtlich der nämlichen, von zwei Personen begangenen Tat bezüglich eines Mittäters (S. ) die Wahrheit zu sagen und eine andere Person als Mittäter frei zu erfinden und zudem den ihnen bekannten Angeklagten zu Unrecht zu belasten. Ohne die Erörterung dieser Gesichtspunkte beruht die - nicht notwendig ausgeschlossene - Erwägung der Strafkammer zur nur teilweisen Glaubhaftigkeit der Angaben über die beiden Täter auf lückenhafter Grundlage.
18
(2) Diese Lücken gelten in gleicher Weise für die Angaben hinsichtlich des Klebebandes und den Zweck der Fahrt, bei der nach Angaben des Angeklagten die in Rede stehende Spur entstanden ist. Hinzu kommt, dass es sich jedenfalls ohne genaue Beschreibung des Klebebandes keinesfalls von selbst versteht, dass das Klebeband auf der Mittelkonsole die Bedienung der Gangschaltung ausgeschlossen (der Angeklagte habe nach seiner - nach Auffassung der Strafkammer nicht zu widerlegenden - Aussage wegen des Klebebandes „nicht schalten gekonnt“) oder jedenfalls nachhaltig erschwert hätte. Im Übrigen führt der Generalbundesanwalt (unter zutreffendem Hinweis auf die ständige Rechtsprechung, z.B. BGHSt 34, 29, 34; BGH NStZ-RR 2003, 371) zutreffend aus, dass Einlassungen des Angeklagten, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine objektiven Anhaltspunkte gibt, nicht ohne weiteres als „unwiderlegbar“ hinzunehmen und den Feststellungen zuGrunde zu legen sind. Der Tatrichter hat vielmehr auf der Grundlage des gesamten Beweisergebnisses darüber zu entscheiden, ob derartige Angaben geeignet sind, seine Überzeu- gungsbildung zu beeinflussen. Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten Geschehensabläufe zu unterstellen , für deren Vorliegen es außer der nicht widerlegbaren, aber auch durch nichts gestützten Angaben des Angeklagten keine Anhaltspunkte bestehen.
19
(3) Auch hinsichtlich der Schmuckschatullen ist die Beweiswürdigung lückenhaft. Die Würdigung der Strafkammer stützt sich im Kern darauf, dass eine Absprache mit dem Zeugen nicht möglich gewesen wäre. Dies wäre nur dann ohne weitere Begründung tragfähig, wenn der Angeklagte in der Hauptverhandlung , in der er die von seinem Freund dann bestätigten Angaben gemacht hat, erstmals erkannt hätte, dass die Frage nach den Schatullen Bedeutung haben kann. Dies wäre zu erörtern gewesen. Die Schatullen waren bei der Hausdurchsuchung gefunden worden, die Brisanz dieses Fundes war, ohne dass auch dies nachvollziehbar gewürdigt wäre, von der Mutter des Angeklagten offenbar sofort erkannt worden. Unter diesen Umständen versteht es sich nicht von selbst, dass dem Angeklagten der Fund der Schatullen unbekannt war oder dass er ihn für irrelevant gehalten hätte. Dann aber ist bei der Frage, ob die Möglichkeit einer Absprache mit seinem Freund bestand, nicht allein auf den Zeitraum zwischen der Angabe des Angeklagten in der Hauptverhandlung zu den Schatullen und der Vernehmung des Freundes hierzu in der Hauptverhandlung abzustellen.
20
(4) Hinsichtlich der Telefongespräche fehlt es an der Erörterung der nahe liegenden Frage, warum über das doch eher einfach strukturierte Thema des Benzingeldes - nach Angaben des Angeklagten soll es um 20,-- € gegangen sein - kurz hintereinander gleich vier Gespräche erforderlich waren und warum dies nicht auf der gemeinsamen Rückfahrt besprochen worden ist.
21
(5) Die Beweiswürdigung hinsichtlich der Zeugin Br. ist unklar. Die Zeugin beschreibt einen Mann, der am Tatort und nach Bewertung der Strafkammer ein Täter war. Die Aussage von A. , dass der Angeklagte am Tatort war, hält die Strafkammer im Ergebnis für falsch. Unter diesen Umständen wird nicht deutlich, warum gerade die Aussage A. s zum Farbton der Hose, die der Angeklagte „bei Begehung der Tat“ getragen habe, geeignet ist, die Würdigung der Aussage von Frau Br. zu beeinflussen.
22
b) Sind aber schon eine Reihe von Erwägungen der Strafkammer zu einzelnen Beweisanzeichen für sich genommen nicht tragfähig begründet, kann auch das auf einer - hier ohnehin etwas pauschalen - Gesamtwürdigung aller Erkenntnisse beruhende Ergebnis keinen Bestand haben. In diesem Zusammenhang weist der Senat auf Folgendes hin: Wie auch die Strafkammer nicht verkennt, deuten „gewichtige Gesichtspunkte“ auf den Angeklagten als Täter. Allein daraus, dass ein bestimmtes Ergebnis deshalb nicht fern oder sogar nahe liegt, folgt jedoch nicht, dass der Tatrichter im Einzelfall nicht auch rechtsfehlerfrei zu einem anderen Ergebnis kommen kann (BGH NStZ-RR 2009, 248, 249; NStZ 2009, 264). Verwirft er jedoch die nahe liegenden Deutungsmöglichkeiten und führt zur Begründung seiner Zweifel an der Täterschaft eines Angeklagten nur Schlussfolgerungen an, für die es nach der Beweisaufnahme entweder keine tatsächlichen Anhaltspunkte gibt, oder die (zwar nicht als denknotwendig ausgeschlossen, aber doch) als eher fern liegend zu betrachten sind, so muss im Rahmen der Gesamtwürdigung erkennbar werden, dass sich der Tatrichter dieser besonderen Konstellation bewusst ist. Andernfalls besteht nämlich die Besorgnis, dass er überspannte Anforderungen an seine Überzeugungsbildung gestellt hat (BGH NStZ–RR 2009, 248, 249).
23
Die Sache bedarf nach alledem neuer Verhandlung und Entscheidung, ohne dass es noch auf Weiteres ankäme.
Nack Wahl Elf Graf Jäger