Bundesgerichtshof Urteil, 25. Apr. 2019 - 4 StR 478/18

bei uns veröffentlicht am25.04.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 478/18
vom
25. April 2019
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer Körperverletzung u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:250419U4STR478.18.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. April 2019, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible,
Richter am Bundesgerichtshof Cierniak, Dr. Quentin, Dr. Feilcke, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Bartel als beisitzende Richter,
Staatsanwalt als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwältin - in der Verhandlung - als Verteidigerin,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung - als Vertreter des Nebenklägers,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 23. April 2018 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Körperverletzung (gemäß § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB: Siechtum und Lähmung) in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) zu der Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie Adhäsionsentscheidungen getroffen. Mit ihrer auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision wendet sich die Staatsanwaltschaft dagegen, dass das Landgericht die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung abgelehnt hat. Das auf diesen Beschwerdepunkt wirksam beschränkte und vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Am Abend des 27. Juli 2017 begab sich der Angeklagte nach einem Besuch seiner damaligen Verlobten in einer Mutter-Kind-Einrichtung nach B. , wo er sich vor einem Bekleidungsgeschäft zu Personen aus der dortigen Trinkerszene hinzugesellte. Er konsumierte vier Flaschen Bier zu 0,3 Liter und eine Flasche Radler zu 0,5 Liter, ohne dass er im Folgenden hierdurch oder durch vorangegangenen Rauschgiftkonsum in seiner Schuldfähigkeit beeinträchtigt war. Anwesend war auch der erkennbar alkoholisierte, damals 51 Jahre alte Nebenkläger. Dieser bezeichnete aus nicht mehr aufklärbaren Gründen die Kinder des Angeklagten als „Bastarde“. Der Angeklagte geriet daraufhin in große Wut und begann eine körperliche Auseinandersetzung mit dem Nebenkläger. Er schlug ihm dreimal ins Gesicht, wodurch es unter anderem zu multiplen Gesichtsbrüchen kam. Zwei dieser Schläge führte der Angeklagte unter Einsatz massiver Gewalt aus. Der Nebenkläger fiel zu Boden und schlug mit dem Hinterkopf auf, wobei es zu einem Bruch des Felsenbeins und des Hinterhauptbeins kam. Der Angeklagte wusste, dass sein Vorgehen, insbesondere seine Schläge, möglicherweise zu schweren Verletzungen führen könnten. Dies war ihm jedoch gleichgültig; er nahm sowohl die Lebensgefährlichkeit seiner Handlungen wie auch die später eingetretenen schweren Folgen billigend in Kauf.
4
Der Nebenkläger erlitt aufgrund der Schläge und dem dadurch verursachten Sturz ein massives Schädel-Hirn-Trauma; hierdurch entstand ein lebensbedrohlicher Zustand, in dem unter anderem eine Dekompressionskraniektomie durchgeführt und ein Coolgard-Katheter gelegt werden mussten.
Nach mehreren Klinikaufenthalten wurde der Geschädigte in eine „Beatmungsund Intensivpflege WG“ verlegt. Er ist nicht mehr ansprechbar und reagiert auch nicht auf seine Außenwelt. Er kann sich nicht selbständig bewegen und wird künstlich ernährt. Die Atmung erfolgt durch einen Luftröhrenschnitt. Linksseitig besteht eine hochgradige spastische Hemiparese. Das Landgericht bezeichnet es als „realistische Prognose …, dass der Pflegezustand so bleibt wie er aktuell ist.“
5
2. Der Angeklagte ist wiederholt strafrechtlich in Erscheinung getreten. Unter anderem wurde er – jeweils unter Einbeziehung vorangegangener Verurteilungen – am 25. September 1996 vom Amtsgericht Nidda unter anderem wegen Körperverletzung zu der Jugendstrafe von einem Jahr und acht Monaten sowie am 10. März 1999 von demselben Gericht wegen Körperverletzung in zwei Fällen zu der Jugendstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten verurteilt. Nach Teilverbüßung und Widerruf der zunächst gewährten Strafrestaussetzung zur Bewährung war die Strafvollstreckung aus dem zuletzt genannten Erkenntnis am 3. Dezember 2005 erledigt. Weiterhin verurteilte das Amtsgericht Nidda den Angeklagten am 14. Mai 2004 wegen gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von einem Jahr. Die zunächst gewährte Aussetzung der Vollstreckung eines Strafrestes zur Bewährung wurde aufgrund erneuter Straffälligkeit des Angeklagten widerrufen. Durch Urteil des Amtsgerichts Nidda vom 22. Februar 2005 wurde der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt. Auch hier wurde eine zunächst gewährte Strafrestaussetzung wegen erneuter Straffälligkeit widerrufen. Das Landgericht Gießen verurteilte den Angeklagten am 23. März 2006 wegen Vergewaltigung in zwei Fällen (Einzelstrafen von vier Jahren und zwei Jahren Freiheitsstrafe), schwerer räuberischer Erpressung (zwei Jahre Einzelfreiheitsstrafe ), Körperverletzung in sieben Fällen (Einzelfreiheitsstrafen von fünfmal acht Monate und zweimal zehn Monate) und wegen „Überlassens von Betäubungsmitteln an eine Person unter 18 Jahren“ (zehn Monate Einzelfreiheitsstrafe ) zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren. Ferner ordnete es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Nachdem das Landgericht Gießen die Maßregel für erledigt erklärt, die Zeit der Unterbringung bis zur Erledigung von zwei Dritteln auf die Strafe angerechnet und die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt hatte, wurde der Angeklagte am 18. Juni 2015 aus der Unterbringung entlassen. Die Strafrestaussetzung wurde zwischenzeitlich aufgrund erneuter Straffälligkeit des Angeklagten widerrufen.

II.


6
Die wirksam auf die Ablehnung der Anordnung der Sicherungsverwahrung beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
7
1. Die Staatsanwaltschaft hat zwar eingangs ihrer Revisionsbegründungsschrift das Rechtsmittel auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt und abschließend einen dementsprechenden Aufhebungsantrag gestellt. Mit diesem – weiter gehenden – Revisionsantrag steht jedoch der übrige Inhalt der Revisi- onsbegründungsschrift nicht in Einklang. Daraus ergibt sich, dass die Revisionsführerin das Urteil ausschließlich – und ersichtlich abschließend – deswegen für fehlerhaft hält, weil das Landgericht die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung nicht angeordnet hat. Somit widersprechen sich Revisionsantrag und Inhalt der Revisionsbegründung. Unter Berücksichtigung von Nr. 156 Abs. 2 RiStBV (vgl. BGH, Urteil vom 11. Juni 2014 – 2 StR 90/14, NStZ-RR 2014, 285 mwN) versteht der Senat daher das gesamte Revisions- vorbringen dahin, dass sich die Staatsanwaltschaft allein gegen die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung wendet.
8
Diese Revisionsbeschränkung auf den Maßregelausspruch ist wirksam. Weder aus den Strafzumessungserwägungen noch aus den Erwägungen zur unterbliebenen Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass das Landgericht zwischen beiden Rechtsfolgenentscheidungen einen Zusammenhang hergestellt hat, der eine getrennte Prüfung beider Rechtsfolgen ausschließt (vgl. BGH, Urteile vom 29. November 2018 – 3 StR 300/18; vom 10. Oktober 2018 – 5 StR 202/18; vom 24. Mai 2018 – 4 StR 643/17, NStZ-RR 2018, 305; vom 6. April 2016 – 2 StR 478/15, NStZ 2017, 650; vom 22. Oktober 2015 – 4 StR 275/15).
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2. Die Ablehnung der Anordnung der Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) hat keinen Bestand.
10
a) Nach Auffassung des Landgerichts fehle es an der in § 66 Abs. 1 Nr. 2 StGB vorausgesetzten zweimaligen Verurteilung zu mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe wegen Straftaten der dort genannten Art. Die Verurteilung zu Jugendstrafen müsse außer Betracht bleiben; da Einheitsjugendstrafen gebildet worden seien, sei eine Freiheitsstrafe von einem Jahr für eine einzelne Tat nicht mehr feststellbar. Hingegen lägen die formalen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 und 2 StGB vor. Auch liege, so das sachverständig beratene Landgericht weiter, beim Angeklagten ein Hang zu Straftaten aus dem Bereich der Gewaltdelikte, vor allem der Körperverletzungsdelikte, vor. Bei der erforderlichen Gesamtbetrachtung bestehe jedoch nicht die Erwartung, dass von dem Angeklagten weitere erhebliche Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB zu erwarten seien und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei. Die Kammer vermöge „keine erhebliche Gefahr schwerer Gewalt - und Sexualdelikte“ festzustellen. Der Angeklagte sei in der Vergangenheit viermal mit entsprechenden Taten aufgefallen. Bei den beiden Vergewaltigungen habe der Angeklagte zumindest keine übermäßige Gewalt angewendet; diese Taten im Jahr 2001 seien auch singuläre Einzelfälle. Hinsichtlich der Körperverletzungsdelikte könnten lediglich die gefährlichen Körperverletzungen zum Nachteil zweier weiblicher Opfer als schwere Gewaltdelikte eingeordnet werden; die übrigen Delikte seien nur einfache Körperverletzungen gewesen, zum Beispiel mit Würgen und Schütteln und leichten Verletzungen am Hals des Opfers. Die schwere räuberische Erpressung erfülle lediglich formal die Voraussetzungen einer schweren Straftat, da es sich um eine innerfamiliäre Auseinandersetzung gehandelt habe, bei der vom Angeklagten keine Gewalt ausgeübt worden sei. Mithin handele es sich bei der Anlasstat um die dritte Körperverletzung, die dem Bereich der „schweren Gewalttaten“ zugeordnet werden könne. Vor diesem Hintergrund und „unter besonderer Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit“ vermöge die Kammer „keine erhebliche Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten“ festzustellen.
11
b) Diese Wertung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
12
aa) Erhebliche Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB sind nach ständiger Rechtsprechung solche, die den Rechtsfrieden empfindlich stören (vgl. BGH, Urteile vom 26. April 2017 – 5 StR 572/16; vom 27. Juli 2017 – 3 StR 196/17; vom 17. Dezember 1985 – 1 StR 539/85, NStZ 1986, 165; vom 18. Mai 1971 – 4 StR 100/71, BGHSt 24, 153, 154). Kriterien hierfür ergeben sich zunächst aus den gesetzgeberischen Wertungen, die maßgeblich für die Normierung der formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung geworden sind. Als erhebliche Straftaten kommen danach vor- nehmlich solche in Betracht, die in den Deliktskatalog von § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a) bis c) StGB fallen und die – wie Vorverurteilungen im Sinne von § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB – im konkreten Fall mit mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe zu ahnden wären, wobei dieser Gesichtspunkt allein zur Annahme der Erheblichkeit allerdings nicht ausreicht (vgl. BGH, Beschluss vom 28. November 2002 – 5 StR 334/02, NStZ-RR 2003, 73, 74; MüKoStGB/Ullenbruch/Drenkhahn/Morgenstern, 3. Aufl., § 66 Rn. 101). Ein weiteres gewichtiges Kriterium zur Bestimmung der Erheblichkeit ergibt sich aus der Hervorhebung der schweren seelischen oder körperlichen Schädigung der Opfer in § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB („namentlich“), wobei aber auch damit keine abschließende Festlegung verbunden ist (vgl. BGH, Urteile vom 9. Oktober 2001 – 5 StR 360/01, NStZ-RR 2002, 38; vom 18. Mai 1971 – 4 StR 100/71, BGHSt 24, 153, 154). Dabei sind ggf. auch länger zurücklie- gende Taten zu berücksichtigen (vgl. BGH, Urteile vom 18. Februar 2010 – 3 StR 568/09, NStZ-RR 2010, 172; vom 30. März 1999 – 5 StR 563/98, NStZ 1999, 502, 503).
13
Zur Beurteilung, ob die von einem Angeklagten hangbedingt zu erwartenden Taten in diesem Sinne „erheblich“ sind, kann daher kein genereller Maßstab angelegt werden (vgl. BGH, Urteil vom 18. Februar 2010 – 3 StR 568/09, NStZ-RR 2010, 172; MüKoStGB/Ullenbruch/Drenkhahn/Morgenstern, aaO, § 66 Rn. 98, 103); erforderlich ist vielmehr eine Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalles, bei der neben der Schwere der zu erwartenden Taten und den – auch nur potentiell bzw. typischerweise eintretenden – Folgen für die Opfer auch die Tathäufigkeit oder die Rückfallgeschwindigkeit ins Gewicht fallen können (vgl. BGH, Urteile vom 29. November 2018 – 3StR 300/18; vom 24. März 2010 – 2 StR 10/10, NStZ-RR 2010, 239, 240; vom 12. Juli 1988 – 1 StR 280/88, BGHR StGB § 66 Erheblichkeit 2). Zudem ist im Bereich der mittleren Kriminalität dem Tatrichter, der allein in der Lage ist, eine umfassende Würdigung aller Umstände der Tat und der Persönlichkeit des Täters vorzunehmen, ein Beurteilungsspielraum eingeräumt; seine Entscheidung kann vom Revisionsgericht nur dann beanstandet werden, wenn der Tatrichter nicht alle für die Gesamtwürdigung bedeutsamen Umstände gewürdigt hat oder das Ergebnis seiner Würdigung den Rahmen des noch Vertretbaren sprengt (vgl. BGH, Urteile vom 24. Mai 2018 – 4 StR 643/17, NStZ-RR 2018, 305; vom 24. März 2010 – 2 StR 10/10, aaO; vom 27. Juli 2000 – 1 StR 263/00, NStZ 2000, 587, 588; vom 26. August 1987 – 3 StR 305/87, wistra 1988, 22, 23; vom 20. Mai 1980 – 4 StR 187/80, JZ 1980, 532).
14
bb) Die Erwägungen, die das Landgericht seiner Gefährlichkeitsprüfung nach § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB zugrunde gelegt hat, sind lückenhaft. Die Strafkammer hat sich mit der (erneuten) erheblichen Steigerung der vom Angeklagten ausgeübten Gewalt, wie sie in der Anlasstat ihren Niederschlag gefunden hat, nicht auseinandergesetzt. Die Massivität des Einsatzes körperlicher Gewalt und insbesondere deren Folgen für das Opfer stechen jedoch im Vergleich mit der bisherigen kriminellen Entwicklung des Angeklagten hervor. Keine der beiden früheren, vom Landgericht als „schwere Gewaltdelikte“ herangezogenen gefährlichen Körperverletzungen wiesen – ungeachtet ihrer Schwere – auch nur annähernd vergleichbare Folgen für das Opfer auf:
15
Bei der Tat vom 7. September 2003, abgeurteilt mit Urteil des Amtsgericht Nidda vom 14. Mai 2004, sprang der Angeklagte in rasender Wut eine ihm unbekannte Frau nach einem verbalen Streit von hinten an, packte sie an den Haaren des Hinterkopfes und schlug ihren Kopf mehrmals auf einen verzinkten Eisenpfosten. Als das Opfer schwer verletzt zusammensackte, auf dem Boden lag und zeitweilig das Bewusstsein verlor, trat der Angeklagte ihm in das Gesäß. Ein Finger blieb taub. Diese Tat wies bereits eine erhebliche Steigerung der Gewaltintensität gegenüber den vom Landgericht Gießen als einfache Körperverletzungen mit Freiheitsstrafen zwischen acht und zehn Monaten abgeurteilten Übergriffen auf seine damalige Freundin zwischen Juli 2001 und Anfang Mai 2003 auf.
16
Bei der Tat vom 22. Juli 2004, abgeurteilt mit Urteil des Amtsgerichts Nidda vom 22. Februar 2005, stieß der Angeklagte seine damalige Freundin zu Boden und schlug ihr mit Fäusten ins Gesicht und gegen den Oberkörper;er biss sie im Bereich des rechten Auges und würgte sie, so dass sie zu ersticken fürchtete.
17
Nunmehr verursachte der Angeklagte bei der Anlasstat schwerste und aller Voraussicht nach bleibende Folgen für sein Opfer. Der Sachverständige ging bei seiner Prognose von einem „hohen Risikopotential“ aus und bejahte eine „erhebliche Gefahr für weitere Straftaten und Gewaltdelikte“. Er sah in dem Vorgehen gegen den Nebenkläger einen Hinweis darauf, dass der Angeklagte seine Aggressionen und gewalttätigen Impulse in keiner Weise unter Kontrolle habe. Der Angriff des Angeklagten aufgrund der vorangegangenen Beleidigung der Kinder sei ein Indiz für eine massive Impulsivität und eine „niedrige Schlaghemmung“ ; das spreche für eine hohe Gefahr.
18
Der Senat besorgt daher, dass dem Landgericht diese Entwicklung der vom Angeklagten ausgehenden Gewalt, die auch in der mehrschichtigen Angriffsweise gegen das Tatopfer in der Tat vom 22. Juli 2004 zum Ausdruck gekommen ist, sowie deren Folgen aus dem Blick geraten sind. Eine solche deutliche Steigerung gegenüber den zuvor begangenen Taten ist nämlich bei der Gefahrenprognose besonders zu beachten (vgl. BGH, Urteil vom 6. Februar 2004 – 2 StR 266/03, NStZ-RR 2005, 11, 12). In diesem Zusammenhang hätte die Strafkammer auch würdigen müssen, dass der Angeklagte bereits gut zwei Jahre nach seiner Entlassung aus dem Maßregelvollzug – mehrfach unter Bewährung stehend – in dieser Brutalität gegen sein Opfer vorging, nachdem er knapp 10 Jahre und neun Monate in einem psychiatrischen Krankenhaus un- tergebracht war und der Sachverständige ihn als „austherapiert“ bezeichnet hat (vgl. auch zu diesem Gesichtspunkt BGH, Urteil vom 6. Februar 2004 aaO).
19
c) Über die Maßregel muss demnach neu entschieden werden. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
20
aa) Einzelne Formulierungen in der angefochtenen Entscheidung geben Anlass, erneut (vgl. BGH, Urteil vom 26. April 2017 – 5 StR 572/16, StraFo 2017, 246) hervorzuheben, dass sich die vom Bundesverfassungsgericht in seiner Weitergeltungsanordnung vom 4. Mai 2011 entwickelten Maßstäbe für die Gefahrenprognose (vgl. BVerfGE 128, 326, 406: strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung ) auf den Rechtszustand nach Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Regelungen zur Sicherungsverwahrung bezogen. Diese erhöhten Anforderungen finden auf den vorliegenden Fall keine Anwendung mehr, weil die Tat am 27. Juli 2017 und damit nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5. Dezember 2012 (BGBl. I 2425) am 1. Juni 2013 begangen wurde.
21
Der nunmehr zur Entscheidung berufene Tatrichter wird jedenfalls die weiteren Körperverletzungsdelikte, auch wenn sie nicht als Symptomtaten einzuordnen sind, bei der Gefahrenprognose zu berücksichtigen haben (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Januar 2019 – 5 StR 476/18; Urteil vom 30. März 1999 – 5 StR 563/98, NStZ 1999, 502, 503), zumal das Landgericht sie in zwei Fällen selbst als „mittel schwere Körperverletzung“ eingeordnet hat; auch der beim Angeklagten festgestellte Hang ist ein wesentliches Kriterium der Prognose (BGH, Beschluss vom 25. September 2018 – 4 StR 192/18). Ferner wird mitzuteilen sein, wie der Sachverständige die Gefahr der Wiederholung von Sexualstraftaten beurteilt. Für die Frage, ob eine (besonders) schwere räuberische Erpressung eine erhebliche Straftat im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB darstellt, verweist der Senat auf das Urteil des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 27. Juli 2017 – 3 StR 196/17 (vgl. auch BGH, Urteil vom 14. März 2019 – 4 StR 444/18).
22
bb) Auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen ist eine abschließende Beurteilung der Frage, ob das Landgericht die formellen Voraussetzungen der zwingend anzuordnenden Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 StGB rechtsfehlerfrei verneint hat, nicht möglich. Zwar bedarf es nach § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB einer zweimaligen Vorverurteilung zu Freiheitsstrafe von jeweils mindestens einem Jahr. Eine in einem früheren Verfahren ausgesprochene einheitliche Jugendstrafe nach § 31 JGG erfüllt aber die Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB, wenn zu erkennen ist, dass der Täter wenigstens bei einer der ihr zugrundeliegenden Straftaten eine Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hätte, sofern sie als Einzeltat gesondert abgeurteilt worden wäre. Dies festzustellen ist tatrichterliche Aufgabe , die dem über die Sicherungsverwahrung entscheidenden Richter obliegt. Dabei hat der Tatrichter festzustellen, wie der Richter des Vorverfahrens die einzelnen Taten bewertet hat; er darf sich nicht an dessen Stelle setzen und im Nachhinein eine eigene Strafzumessung vornehmen. Entsprechende Feststellungen muss der Tatrichter so belegen, dass eine ausreichende revisionsgerichtliche Überprüfung möglich ist (vgl. BGH, Urteile vom 6. April 2016 – 2 StR 478/15,NStZ 2017, 650; vom 15. Oktober 2014 – 2 StR 240/14, NStZ 2015, 510, 511 mwN).
23
Die Erwägungen des Landgerichts werden diesen Anforderungen nicht gerecht. Die Strafkammer beschränkt sich auf die Wiedergabe der Feststellungen zu den Taten und zur Höhe der jeweils erkannten Strafe. Dies genügt den vorgenannten Anforderungen nicht. Relevante Angaben zu weiteren (hypothetischen ) Strafzumessungserwägungen der jeweils entscheidenden Jugendgerichte werden nicht mitgeteilt. Das gilt insbesondere, wie auch der Generalbundesanwalt moniert hat, für die Verurteilung des Angeklagten durch das Amtsgericht Nidda vom 10. März 1999 zu der Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten.
24
cc) Angesichts der mitgeteilten zeitlichen Abstände zwischen den die formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung erfüllenden Vortaten und der Anlasstat sowie der Verweildauer des Angeklagten im Haft- und Maß- regelvollzug besorgt der Senat auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen nicht, dass Rückfallverjährung gemäß § 66 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 1 StGB eingetreten sein könnte.
Sost-Scheible Cierniak Quentin
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Bundesgerichtshof Urteil, 26. Apr. 2017 - 5 StR 572/16

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Referenzen

(1) Hat die Körperverletzung zur Folge, daß die verletzte Person

1.
das Sehvermögen auf einem Auge oder beiden Augen, das Gehör, das Sprechvermögen oder die Fortpflanzungsfähigkeit verliert,
2.
ein wichtiges Glied des Körpers verliert oder dauernd nicht mehr gebrauchen kann oder
3.
in erheblicher Weise dauernd entstellt wird oder in Siechtum, Lähmung oder geistige Krankheit oder Behinderung verfällt,
so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

(2) Verursacht der Täter eine der in Absatz 1 bezeichneten Folgen absichtlich oder wissentlich, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(3) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 2 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 90/14
vom
11. Juni 2014
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schweren Raubs u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. Juni 2014,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Krehl,
Dr. Eschelbach,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
der Richter am Bundesgerichtshof
Zeng,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 5. Dezember 2013 wird als unbegründet verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels sowie die insoweit notwendigen Auslagen des Angeklagten hat die Staatskasse zu tragen. Die Nebenklägerin trägt ihre Auslagen selbst.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubs zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die dagegen gerichtete , zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte und vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts planten der Angeklagte und der gesondert Verfolgte B. einen Einbruch in ein Wohnhaus in Kronberg. Sie hatten den Tatort zuvor ausgekundschaftet und unter anderem auch in Erfahrung gebracht, dass die Bewohner tagsüber nicht zu Hause sein sollten. In Umsetzung ihres Tatplans begaben sie sich am 7. Juni 2013 gegen 14.15 Uhr zum Tatort. Sie führten eine Tasche mit Wechselkleidung mit sich; darüber hinaus zwei Strumpfmasken wegen der vor Ort vorhandenen Überwachungskameras sowie eine Rolle Klebeband, um ein Fenster vor dem Einschlagen abkleben zu können. Da sie sicher gehen wollten, dass tatsächlich niemand zu Hause war, klingelte der gesondert Verfolgte B. während sich der Angeklagte vor der Haustür postierte. Es öffnete die Zeugin St. , woraufhin der Angeklagte und B. ihren Tatplan spontan dahin erweiterten, nunmehr unter Überwältigung der Zeugin St. in das Haus einzudringen und nach Wertgegenständen Ausschau zu halten.
3
Der Angeklagte drängte die Zeugin sogleich ins Haus, fesselte sie mit einem im Flur entdeckten Strickschal an Händen und Beinen und warf ihr eine Wolldecke über den Kopf. Sodann begannen beide Täter das Haus nach Wertgegenständen zu durchsuchen. Die aufgefundene Beute (Schmuck und Bargeld ) verstauten sie in einer am Tatort aufgefundenen Sporttasche. Währenddessen rief die unter Atemnot leidende Zeugin um Hilfe und bat um Wasser. Der Angeklagte reichte ihr eine Tasse Kaffee, die die Zeugin mit ihrer aus der Fesselung befreiten rechten Hand ergriff und gegen eine Fensterscheibe warf. Sie rief nun laut um Hilfe. Der Angeklagte und der hinzukommende B. fesselten die Hände der Zeugin mit am Tatort aufgefundenen Kabelbindern fest auf ihren Rücken und verklebten ihr den Mund mit dem mitgeführten Klebeband. Anschließend setzten beide Täter die Durchsuchung fort und entdeckten weiteres Bargeld, das sie an sich nahmen. Als es an der Haustür klingelte, trugen die Täter die gefesselte Zeugin in den Keller und flüchteten aus dem Haus. Unterwegs entledigten sie sich sowohl der Tasche mit Wechselkleidung als auch der Tasche mit der Beute. Der Angeklagte konnte gegen 17.00 Uhr hinter einer naheliegenden Kleingartenanlage festgenommen werden. Beide Taschen wurden alsbald aufgefunden.
4
Die Zeugin erlitt infolge der strammen Fesselung starke Hämatome und Druckstellen an den Handgelenken. Eine traumatische Affektion verschiedener Nerven riefen Taubheitsgefühle in der rechten Hand und am linken Daumen hervor, die bis heute anhalten.
5
2. Die Kammer hat die Tat wegen der strammen Fesselung der Zeugin als „schweren Raub“ gemäߧ 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB gewertet und unter Annahme eines minder schweren Falls gemäß § 250 Abs. 3 StGB eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verhängt.

II.


6
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist rechtswirksam auf den Strafausspruch beschränkt.
7
1. Zwar hat die Staatsanwaltschaft eingangs ihrer Revisionsbegründungsschrift keine Beschränkung erklärt und am Ende ihrer Ausführungen die (uneingeschränkte) Aufhebung des Urteils mit den Feststellungen und Zurückverweisung der Sache an eine andere Strafkammer zur erneuten Verhandlung und Entscheidung beantragt. Mit diesem den Schuld- und Strafausspruch umfassenden Revisionsantrag steht jedoch der übrige Inhalt der Revisionsbegründungsschrift nicht in Einklang. Daraus ergibt sich, dass die Revisionsführerin das Urteil deshalb für fehlerhaft hält, weil das Landgericht der Bemessung der Freiheitsstrafe zu Unrecht den Strafrahmen des minder schweren Falls nach § 250 Abs. 3 StGB zugrunde gelegt und die Freiheitsstrafe daher unangemessen milde bemessen habe. Somit widersprechen sich Revisionsantrag und Inhalt der Revisionsbegründung. In einem solchen Fall ist nach ständiger Rechtsprechung das Angriffsziel des Rechtsmittels durch Auslegung zu ermitteln (vgl. BGH, Urteil vom 12. April 1989 - 3 StR 453/88, BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 3; Urteil vom 25. November 2003 - 1 StR 182/03, NStZ-RR 2004, 118; Löwe/Rosenberg-Franke, StPO, 26. Aufl., § 344 Rn. 10).
8
Nach dem insoweit maßgeblichen Sinn der Revisionsbegründung ist allein der Strafausspruch angefochten und der Schuldspruch vom Rechtsmittelangriff ausgenommen. Allein der Umstand, dass die Revisionsführerin nach Erhebung der allgemeinen Sachrüge einleitend ausgeführt hat, das Landgericht habe die Tat „insbesondere“ rechtsfehlerhaft als minder schweren Fall gewertet, zeigt mangels eines Hinweises auf einen weiteren Rechtsfehler des Urteils kein weitergehendes Angriffsziel der Revision auf. Unter Berücksichtigung von Nr. 156 Abs. 2 RiStBV versteht der Senat daher das gesamte Revisionsvorbringen dahin, dass die Staatsanwaltschaft den Schuldspruch nicht angreifen will (vgl. BGH, Urteil vom 25. April 2013 - 4 StR 296/12 mwN).
9
2. Die Beschränkung der Revision auf den Strafausspruch ist auch rechtswirksam.
10
Voraussetzung für eine wirksame Beschränkung der Revision ist, dass sie sich auf Beschwerdepunkte bezieht, die nach dem inneren Zusammenhang des Urteils losgelöst von seinem nicht angegriffenen Teil rechtlich und tatsächlich selbständig beurteilt werden können, ohne eine Prüfung der Entscheidung im Übrigen erforderlich zu machen (st. Rspr., vgl. Senatsurteil vom 29. Februar 1956 - 2 StR 25/56, BGHSt 10, 100, 101; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 318 Rn. 6 mwN). Eine Beschränkung ist aber auch dann unwirksam, wenn die Gefahr besteht, dass die nach dem Teilrechtsmittel (stufenweise) entstehende Gesamtentscheidung nicht frei von inneren Widersprüchen bleiben kann (BGH, Beschluss vom 21. Oktober 1980 - 1 StR 262/80, BGHSt 29, 359, 366; Beschluss vom 15. Mai 2001 - 4 StR 306/00, BGHSt 47, 32, 35 und 38).
11
Die Beschränkung des Rechtsmittels ist nach diesen Grundsätzen wirksam.
12
Es liegen keine Umstände vor, aus denen sich ausnahmsweise eine untrennbare Verknüpfung der Erörterungen zur Schuld- und Straffrage ergibt, was insbesondere dann der Fall wäre, wenn vom Landgericht strafmildernd gewertete und deshalb von der Revision angegriffene Umstände tatsächlich (auch) den Schuldspruch beträfen. Mit ihrer Revision rügt die Staatsanwaltschaft - neben zahlreichen anderen Einwendungen gegen die Vollständigkeit und Gewichtung einzelner Strafzumessungserwägungen - zwar auch eine rechtfehlerhafte Beweiswürdigung im Hinblick auf den von der Strafkammer als strafmildernd gewerteten Umstand, dass die Tatplanerweiterung des Angeklagten und seines Mittäters auf einem spontanen und erst vor Ort gefassten Entschluss beruhte. Die Feststellungen, dass es sich insoweit um eine Spontantat handelte, sind jedoch nicht tatbestandsrelevant. Der Tatvorsatz liegt unabhängig davon vor, wann der Tatentschluss gefasst wurde und zu welchem Zeitpunkt er in welchem Maße vor dem Eindringen der Täter in das Haus konkretisiert war, weshalb der Schuldspruch von dem Revisionsangriff in jedem Fall unberührt bliebe.
13
Bei einer Teilaufhebung wäre hier auch nicht zu befürchten, dass die stufenweise entstehende Gesamtentscheidung unter inneren Widersprüchen litte. Veränderte Feststellungen zum Zeitpunkt des konkreten Tatentschlusses des Angeklagten würden die Gesamtentscheidung lediglich modifizieren und nicht widersprüchlich erscheinen lassen.

III.


14
Die auf den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg.
15
1. Die den strafzumessungsrelevanten Feststellungen der Strafkammer zugrunde liegende Beweiswürdigung ist unter Berücksichtigung des revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs frei von Rechtsfehlern.
16
Dies gilt auch im Hinblick auf die Feststellung des Landgerichts, dass der Angeklagte und sein Mittäter zunächst nur einen Einbruchdiebstahl geplant und ihren Tatentschluss erst vor Ort auf die Ausführung eines Raubes erweitert haben, denn das Gericht hat sich auch insoweit seine Überzeugung auf einer ausreichenden objektiven Beweisgrundlage gebildet.
17
Zwar war es zur Überprüfung der Anwesenheit eines Hausbewohners nicht erforderlich, dass sich der Angeklagte beim Klingeln unmittelbar vor der Haustür postierte. Dieses Vorgehen ist aber nicht als derart ungewöhnlich risikoreich zu werten, dass es als gewichtiges Indiz für einen von vornherein geplanten Raub hätte gewertet werden müssen. Denn auch dann, wenn ein Täter nur einen Einbruch plant, kann er auf das unerwartete Öffnen der Tür durch einen Hausbewohner noch mit der unverdächtig erscheinenden Nachfrage nach einer angeblich dort wohnhaften Person reagieren. Für einen zunächst nur geplanten Einbruchdiebstahl sprach ohne Weiteres, dass der Angeklagte und sein Mittäter ausschließlich für einen Einbruch nützliche Gegenstände mit sich führten und demgegenüber keine Vorsorge für die Fesselung bzw. Ruhigstellung eines anwesenden Hausbewohners getroffen hatten. Zur Fesselung der Zeugin St. wurde ein vor Ort aufgefundener Schal verwendet. Nachdem sich diese Fesselung bereits nach kurzer Zeit als unzureichend erwiesen hatte, mussten der Angeklagte und sein Mittäter zunächst nach anderen Mitteln zur Fesselung suchen. Auch auf die Idee, das mitgeführte Klebeband zur Fesselung zu nutzen , kamen sie nicht.
18
2. Der Strafausspruch hält auch im Übrigen sachlich-rechtlicher Überprüfung stand. Rechtsfehler bei der Wahl des Strafrahmens zeigt auch die Revision nicht auf. Das Landgericht hat die erforderliche Gesamtschau vorgenommen und dabei alle erheblichen Gesichtspunkte berücksichtigt. In Anbetracht der zahlreichen strafmildernden Umstände (umfassendes Geständnis, junges Alter des Angeklagten, Unbestraftheit, Erstverbüßer, spontane Tatplanerweiterung, gewisser Dilettantismus und wenig vorausschauende Planung der Tat) ist daher die Annahme eines minder schweren Falls gemäß § 250 Abs. 3 StGB aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, auch wenn eine andere Beurteilung möglich gewesen wäre.
19
3. Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten hat die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revision der Staatsanwaltschaft nicht ergeben (§ 301 StPO).
Fischer Krehl Eschelbach
Ott Zeng

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 300/18
vom
29. November 2018
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:291118U3STR300.18.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 29. November 2018, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Schäfer,
Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Spaniol, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Berg, Hoch, Dr. Leplow als beisitzende Richter,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Rechtsanwalt als Vertreter der Nebenklägerin C. ,
Rechtsanwalt als Vertreter der Nebenklägerin W. ,
Justizfachangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bückeburg vom 7. Februar 2018 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit das Landgericht von der Anordnung der Sicherungsverwahrung und deren Vorbehalt abgesehen hat.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in kinderpornographischer Absicht in vier Fällen, jeweils in Tateinheit mit Herstellen einer kinderpornographischen Schrift, davon in drei Fällen zudem in Tateinheit mit sexuellem Übergriff (Fälle II. 1., 3. und 4. der Urteilsgründe), davon in zwei Fällen zudem in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen (Fälle II. 1. und 4. der Urteilsgründe) und in einem Fall zudem in Tateinheit mit Vergewaltigung und schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern in Form des Eindringens in den Körper (Fall II. 2. der Urteilsgründe) sowie wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Zugänglichmachen einer Bildaufnahme (Fall II. 5. der Urteilsgrün- de) unter Einbeziehung der Strafe aus einer früheren Verurteilung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Von der Anordnung der Sicherungsverwahrung hat es abgesehen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer wirksam auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung beschränkten und auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


2
Nach den Feststellungen missbrauchte der Angeklagte in zwei Fällen seine elfjährige Tochter, indem er die Hand des schlafenden Kindes ergriff, an seinen entblößten erigierten Penis führte und sie auf und ab bewegte (Fälle II. 1. und 4. der Urteilsgründe). Darüber hinaus führte er bei einer elfjährigen Freundin seiner Tochter, während diese schlief, eine ca. zehn Zentimeter lange "Knicklampe" mit einem Durchmesser von ca. fünf Millimetern sowie einen Finger einige Zentimeter tief in die Scheide ein (Fall II. 2. der Urteilsgründe). An einem anderen Tag hielt der Angeklagte einer ebenfalls schlafenden zehnjährigen Freundin der Tochter zunächst sein entblößtes Glied vor das Gesicht und dann seine Finger so, als ob er einen Finger in den Anus des Kindes einführte, was er allerdings tatsächlich nicht tat (Tat II. 3. der Urteilsgründe). In allen Fällen filmte der Angeklagte, der zuvor eine nicht feststellbare Menge Amphetamin und Marihuana konsumiert hatte, das Geschehen, um es in das Internet einzustellen. Von diesem Vorhaben nahm er jeweils später Abstand. Die Kinder bemerkten - worauf es dem Angeklagten auch ankam - das Geschehen nicht. Psychische oder physische Beeinträchtigungen durch das Tatgeschehen konnten bisher bei keinem der Mädchen festgestellt werden. Schließlich übersandte der Angeklagte einem Chatpartner ein Foto der elfjährigen Freundin seiner Tochter, das er während ihres Schlafs aufgenommen hatte (Tat II. 5. der Urteilsgründe).

II.


3
1. Die Beschränkung des Rechtsmittels auf die unterbliebene Anordnung der Sicherungsverwahrung in jeder in Betracht kommenden Form ist wirksam. Grundsätzlich ist eine Beschränkung der Revision auf das Unterlassen einer Maßregelanordnung möglich; dies gilt auch für die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung. Zwischen Strafe und Nichtanordnung von Sicherungsverwahrung besteht aufgrund der Zweispurigkeit des Sanktionensystems grundsätzlich keine Wechselwirkung (vgl. etwa BGH, Urteil vom 24. Mai 2018 - 4 StR 643/17, NStZ-RR 2018, 305, 306 mwN). Etwas anderes ist nur dann anzunehmen, wenn das Tatgericht die Höhe der Strafe von der Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung abhängig gemacht und damit Strafe und Maßregel in einen inneren, eine getrennte Prüfung beider Rechtsfolgen ausschließenden Zusammenhang gesetzt hat (vgl. BGH, Urteil vom 11. Juli 2013 - 3 StR 148/13, juris Rn. 2). Das ist hier nicht der Fall.
4
2. Das Rechtsmittel hat auch Erfolg. Dabei bedarf es keiner Entscheidung , ob das Landgericht ohne Rechtsfehler von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen hat. Denn das Urteil hält revisionsgerichtlicher Überprüfung schon deshalb nicht stand, weil die Strafkammer es unterlassen hat zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine vorbehaltene Sicherungsverwahrung nach § 66a Abs. 1 StGB vorliegen. Im Einzelnen:
5
a) Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2, 3 Satz 2 StGB als erfüllt angesehen. Es hat indes - sachverständig beraten - einen Hang im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB nicht zweifelsfrei feststellen können, ohne allerdings in den Blick zu nehmen, ob dessen Vorliegen wahrscheinlich im Sinne des § 66a Abs. 1 Nr. 3 StGB ist.
6
aa) Das Merkmal des Hangs im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB verlangt einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige , der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag. Das Vorliegen eines solchen Hangs hat der Tatrichter unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner Taten maßgebenden Umstände darzulegen. Diese Würdigung bedarf in den Fällen von § 66 Abs. 2, 3 Satz 2 StGB, bei denen Vortaten und Vorverbüßungen fehlen, besonderer Sorgfalt. Sie obliegt - nach sachverständiger Beratung - dem erkennenden Richter selbst (vgl. BGH, Urteil vom 15. Februar 2011 - 1 StR 645/10, NStZ-RR 2011, 204; Beschlüsse vom 2. August 2011 - 3 StR 208/11, juris Rn. 5; vom 30. März 2010 - 3 StR 69/10, NStZ-RR 2010, 203).
7
bb) Vorliegend hat die Strafkammer ausgeführt, dass zwar eine Reihe von Umständen, wie seine Paraphilie und die vom Sachverständigen diagnostizierte dissoziale Persönlichkeitsstörung, für einen Hang des Angeklagten spreche. Auch die Vorverurteilung wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften im Jahr 2009 hat sie in ihre Erwägungen eingestellt. Im Ergebnis ihrer Prüfung ist sie aber zu der Bewertung gelangt, letztlich ein eingeschliffenes Verhaltensmuster nicht zu erkennen. Allerdings hat das Landgericht einen Hang des An- geklagten zur Begehung den Anlasstaten ähnlicher Delikte nicht gänzlich ausgeschlossen. Vielmehr ist es aufgrund der gutachterlichen Stellungnahme, wonach das Vorliegen eines Hanges "nicht eindeutig gesichert sei", lediglich zu der am Zweifelssatz orientierten Bewertung gelangt, ein Hang im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB könne - trotz des Vorliegens der genannten Persönlichkeitsauffälligkeiten , die für einen solchen sprächen - nicht sicher festgestellt werden.
8
Auf dieser Grundlage hätte sich das Landgericht aber mit der naheliegenden Frage auseinandersetzen müssen, ob ein Hang des Angeklagten zur Begehung erheblicher Straftaten nicht jedenfalls wahrscheinlich vorliegt, so dass eine Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung in Betracht zu ziehen wäre. Denn anders als § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB fordert der Vorbehalt der Sicherungsverwahrung nach § 66a Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht die sichere Feststellung eines solchen Hanges, sondern lässt es sowohl in Bezug hierauf als auch hinsichtlich der hangbedingten Gefährlichkeit ausreichen, dass deren Vorliegen zwar nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar, aber wahrscheinlich ist (BGH, Beschluss vom 19. Juli 2017 - 4 StR 245/17, BGHR StGB § 66a Abs. 1 Nr. 3 nF Voraussetzungen 1 mwN).
9
b) Einem Vorbehalt der Sicherungsverwahrung stünde entgegen der Auffassung der Strafkammer auch eine mangelnde Erheblichkeit möglicherweise zu erwartender weiterer Straftaten nicht entgegen.
10
aa) Erhebliche Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB sind nach ständiger Rechtsprechung solche, die den Rechtsfrieden empfindlich stören. Dabei kann zur Beurteilung der Erheblichkeit der hangbedingt zu erwartenden Taten kein genereller Maßstab angelegt werden; erforderlich ist viel- mehr eine Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalles, bei der neben der Schwere der zu erwartenden Taten und den - auch nur potentiell bzw. typischerweise eintretenden - Folgen für die Opfer etwa die Tathäufigkeit oder die Rückfallgeschwindigkeit ins Gewicht fallen können (vgl. BGH, Urteile vom 24. Mai 2018 - 4 StR 643/17, NStZ-RR 2018, 305, 306; vom 24. März 2010 - 2 StR 10/10, NStZ-RR 2010, 239, 240; vom 18. Februar 2010 - 3 StR 568/09, NStZ-RR 2010, 172). Kriterien ergeben sich zunächst aus den gesetzgeberischen Wertungen, die maßgeblich für die Normierung der formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung geworden sind. Als erhebliche Straftaten kommen danach vornehmlich solche in Betracht, die in den Deliktskatalog von § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a bis c StGB fallen und die im konkreten Fall mit mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe zu ahnden wären, wobei dieser Gesichtspunkt allein zur Annahme der Erheblichkeit allerdings nicht ausreicht (vgl. BGH, Beschluss vom 28. November 2002 - 5 StR 334/02, NStZ-RR 2003, 73, 74; LK/Rissing-van Saan/Peglau, StGB, 12. Aufl., § 66 Rn. 148 ff.; MüKoStGB/Ullenbruch/Drenkhahn/Morgenstern , 3. Aufl., § 66 Rn. 101). Ein weiterer entscheidender Maßstab zur Bestimmung der Erheblichkeit ergibt sich aus der Hervorhebung der schweren seelischen oder körperlichen Schädigung der Opfer in § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB (vgl. MüKoStGB/Ullenbruch/Drenkhahn/Morgenstern aaO, § 66 Rn. 98, 103 f.; LK/Rissing-van Saan/Peglau aaO, § 66 Rn. 149), wobei das Gesetz durch die Verwendung des Wortes "namentlich", welches der Wortbedeutung und dem Sinne nach wie "beispielsweise" oder "vor allem" zu verstehen ist, zum Ausdruck bringt, dass mit der Nennung solcher Folgen keine abschließende Festlegung verbunden ist; damit sollen vielmehr lediglich Straftaten von geringerem Schweregrad ausgeschieden werden (vgl. BGH, Urteile vom 24. Mai 2018 - 4 StR 643/17, NStZ-RR 2018, 305, 306; vom 27. Juli 2017 - 3 StR 196/17, juris Rn. 10; jeweils mwN).
11
bb) Gemessen hieran hat das Landgericht die Erheblichkeit der gegebenenfalls hangbedingt zu erwartenden Straftaten nicht rechtsfehlerfrei verneint. Es hat lediglich darauf abgestellt, dass die Opfer bei Vornahme der sexuellen Übergriffe durch den Angeklagten schliefen und deshalb - wie es dem Tatplan des Angeklagten entsprach - von den Missbrauchstaten nichts bemerkten. Zu körperlichen oder seelischen Schäden sei es deshalb auch bei keiner der Geschädigten gekommen. Damit hat die Strafkammer sich allein auf die Prüfung beschränkt, ob vom Angeklagten künftig die Gefahr ausgehen wird, Straftaten zu begehen, die zu körperlichen oder seelischen Schäden führen können. Es hat aber nicht die für die Erheblichkeitsprüfung erforderliche Gesamtwürdigung vorgenommen, in die vorliegend nicht nur die Zahl der Taten, sondern auch der Umstand einzubeziehen gewesen wäre, dass es sich jedenfalls in vier Fällen um Taten im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a StGB handelte, wobei der Angeklagte die Missbrauchstaten jeweils in qualifizierter Form nach § 176a Abs. 3, teilweise auch nach § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB beging.
12
3. Das Landgericht hätte mithin die Voraussetzungen einer in seinem Ermessen stehenden Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung nach § 66a Abs. 1 Nr. 3 StGB prüfen müssen. Der Senat hat die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung insgesamt mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, um dem neu zur Entscheidung berufenen Gericht - gegebenenfalls unter Beiziehung eines anderen Sachverständigen - eine in sich stimmige und widerspruchsfreie Entscheidung hinsichtlich der Maßregel zu ermöglichen.
Schäfer Spaniol Berg
Hoch Leplow

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 202/18
vom
10. Oktober 2018
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:101018U5STR202.18.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. Oktober 2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer,
Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Schneider, die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Sander, Prof. Dr. König, Prof. Dr. Mosbacher
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwältin K.
als Verteidigerin,
Rechtsanwältin Mo.
als Nebenklägervertreterin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,


für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 22. Dezember 2017 aufgehoben , soweit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die Revision des Angeklagten wird verworfen. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Nebenkläger hierdurch entstandenen Auslagen zu tragen.
– Von Rechts wegen –

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung und wegen Verstoßes gegen Weisungen der Führungsaufsicht in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Wegen der Vergewaltigung hat es eine Einzelfreiheitsstrafe von vier Jahren, wegen der Weisungsverstöße solche von jeweils einem Jahr und vier Monaten für tat- und schuldangemessen erach- tet. Die vom Generalbundesanwalt vertretene, auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung beschränkte und auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg, während die ebenfalls mit der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten erfolglos bleibt.

I.


2
1. Das Landgericht hat festgestellt:
3
a) Bei dem im Zeitpunkt der Hauptverhandlung 67-jährigen Angeklagten besteht eine homosexuelle Pädophilie. Bereits in den Jahren 2000 und 2007 war er unter anderem jeweils wegen mehrerer Fälle des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern zu mehrjährigen Gesamtfreiheitsstrafen verurteilt worden. Zuletzt verurteilte ihn das Landgericht Cottbus am 21. August 2014 wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit einem Verstoß gegen Weisungen der Führungsaufsicht, sowie wegen Verstoßes gegen Weisungen der Führungsaufsicht in 19 weiteren Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten. Die Strafvollstreckung ist seit dem 20. September 2016 erledigt. Bei den Geschädigten der Missbrauchstaten handelte es sich durchweg um 11- bis 13-jährige Jungen, an denen der Angeklagte vielfach auch den Oralverkehr ausübte.
4
Nach seiner Haftentlassung nahm der Angeklagte, der im Rahmen der Führungsaufsicht eine elektronische Fußfessel zu tragen hatte, Kontakt zu der Zeugin J. H. und deren zum damaligen Zeitpunkt 16-jährigen Enkel K. H. auf. K. ist mittelgradig geistig behindert und hat erhebliche Sprachprobleme. Seine Großmutter ist für ihn sorgeberechtigt. Der Angeklagte baute ein Vertrauensverhältnis zu dem Jugendlichen und dessen Großmutter auf. Er besuchte ihn regelmäßig, machte ihm Geschenke, unternahm mit ihm Ausflüge, unter anderem ins Schwimmbad, und ließ sich von ihm „Opa“ nen- nen. Der Junge hielt sich häufig in der Wohnung des Angeklagten auf, um dort fernzusehen und am Computer zu spielen. Ziel des Angeklagten war es dabei, sexuelle Handlungen an K. H. – auch gegen dessen Willen – vorzu- nehmen.
5
In seiner Wohnung forderte der Angeklagte am 22. Dezember 2016 den Jungen auf, sich zu entkleiden. Nachdem K. dieser Aufforderung nachgekommen war, cremte ihn der Angeklagte am Anus ein. Danach führte er verschiedene sexuelle Handlungen an ihm durch, insbesondere rieb er an dessen Glied und nahm dieses auch in den Mund. Schließlich legte er sich auf den bäuchlings auf dem Bett liegenden Jugendlichen und führte seinen erigierten Penis in dessen After ein. Dies bereitete dem Jungen Schmerzen. Er äußerte deutlich, dass er diesen Analverkehr nicht wolle, indem er mehrfach sagte: „Opa aufhören“, „Tut weh.“ Dennoch führte der Angeklagteden ungeschützten Analverkehr weiter bis zum Samenerguss durch.
6
Entgegen einer strafbewehrten Führungsaufsichtsweisung, durch die ihm – unter Belehrung über die Folgen von Weisungsverstößen – untersagt worden war, „sich an Orten aufzuhalten, die vorrangigund üblicherweise von Kindern aufgesucht werden, wie Schulen, Kindergärten, Hallen- und Freibäder …“ hielt sich der Angeklagte an vier Tagen zwischen dem 31. Oktober und dem 4. Dezember 2016 in verschiedenen Schwimmbädern auf. Bei einem der Besuche wurde er von K. H. begleitet. Der Angeklagte begab sich gemeinsam mit dem Jugendlichen in eine Solariumskabine und führte den Analverkehr an ihm durch, obwohl der Junge ihn mehrfach bat, damit aufzuhören, und ihm sagte, dass er Schmerzen habe.
7
2. Die Tat vom 22. Dezember 2016 hat die Strafkammer als Vergewaltigung nach § 177 Abs. 6 StGB gewertet. Die von ihr ebenfalls als gegeben erachtete vorsätzliche Körperverletzung hat die Strafkammer – wohl versehent- lich – in den Schuldspruch nicht aufgenommen. Ob sich der in der Solariumskabine vom Angeklagten gegen den Willen des Geschädigten durchgeführte Analverkehr vor oder nach dem Inkrafttreten der den Übergriff erfassenden Änderung des § 177 StGB ereignete, konnte die Kammer nicht feststellen.
8
Die Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung „nach § 66 StGB“ hat sie für nicht gegeben erachtet. Dem Gutachten des foren- sisch-psychiatrischen Sachverständigen folgend bejaht sie zwar einen Hang des Angeklagten zu Straftaten, die die Opfer „sexuell schädigen“. Erforderlich sei jedoch die Feststellung „einer erheblichen Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualdelikte“. Unter Zugrundelegung strenger Maßstäbe für die Erheblichkeit weiterer zu erwartender Straftaten und den Wahrscheinlichkeitsgrad ihrer Be- gehung sei die Anordnung von Sicherungsverwahrung „nicht angezeigt“. Entscheidend sei nicht die „formelle Einstufung“ der Taten, sondern ihre materielle und einzelfallbezogene Bewertung. Daher sei zu beachten, dass der Angeklagte zur Durchsetzung seiner sexuellen Wünsche in der Vergangenheit nie Gewalt eingesetzt habe. Dies sei auch in Zukunft nicht zu erwarten. Hinzu komme, dass die bei dem Angeklagten festgestellte homosexuelle Pädophilie in den Bereich der Ephebophilie übergehe und bei Sexualstraftaten gegen Jugendliche geringere seelische Schäden zu erwarten seien als bei gleichartigen Straftaten gegen Kinder. Der Angeklagte habe nie sexuelle Handlungen an Kindern unter elf Jahren begangen. Für den Geschädigten K. H. seien keine schwerwiegenden Folgen festzustellen. Auch das Landgericht Cottbus habe in seinem Urteil vom 21. August 2014 solche nicht festgestellt; dort hätten die geschädigten Jungen an den sexuellen Handlungen gegen Entgelt freiwillig mitgewirkt.

II.


9
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg und führt zur Aufhebung des Urteils, soweit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist.
10
1. Die Beschränkung des Rechtsmittels auf den unterlassenen Maßregelausspruch ist wirksam. Weder aus den Erwägungen zur Strafzumessung noch aus denjenigen zur unterbliebenen Anordnung der Sicherungsverwahrung ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass das Landgericht zwischen beiden Rechtsfolgenentscheidungen einen Zusammenhang hergestellt hat, der eine getrennte Prüfung beider Rechtsfolgen ausschließt (vgl. BGH, Urteil vom 28. April 2015 – 1 StR 594/14 mwN).
11
2. Die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung hält sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand, da die Prüfung der materiellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB durchgreifende Rechtsfehler aufweist.
12
a) Gestützt auf das Sachverständigengutachten hat die Strafkammer – insoweit rechtsfehlerfei – einen Hang des Angeklagten zur Begehung von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Kindern und Jugendlichen bejaht und ist davon ausgegangen, dass eine negative Legalprognose bestehe. Bei der Verneinung der Erheblichkeit der zu erwartenden Straftaten ist sie jedoch von einem falschen rechtlichen Ansatz ausgegangen, indem sie ihren Blick auf die durch die Anlasstaten verursachten Folgen verengt hat.
13
aa) Die in § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB als materielle Anordnungsvoraussetzung genannte Gefährlichkeit eines Angeklagten für die Allgemeinheit liegt vor, wenn infolge eines bei ihm bestehenden Hanges ernsthaft zu besorgen ist (vgl. BGH, Urteil vom 8. Juli 2005 – 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188, 198), dass er auch in Zukunft Straftaten begehen wird, die eine erhebliche Störung des Rechtsfriedens darstellen (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2002 – 4 StR 416/02, NStZ-RR 2003, 108). Als wesentlichen Anhaltspunkt für die Beurteilung der Erheblichkeit zu erwartender Straftaten nennt das Gesetz eine schwere seelische oder körperliche Schädigung der Opfer. Bezugspunkt sind demnach die wahrscheinlichen Folgen der zu erwartenden Straftaten.
14
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist mit Taten des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern im Hinblick auf die für die Tatopfer oftmals gewichtigen psychischen Auswirkungen unabhängig von körperlicher Gewaltanwendung typischerweise die Gefahr schwerwiegender psychischer Schäden verbunden (vgl. betreffend den hiesigen Angeklagten das Urteil des Senats vom 11. März 2014 – 5 StR 563/13, NJW 2014, 1316; ferner Urteile vom 23. April 2013 – 5 StR 617/12; vom 24. März 2010 – 2 StR 10/10, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Erheblichkeit 7; MüKo-StGB/Ullenbruch/Drenkhahn/ Morgenstern, 3. Aufl., § 66 Rn. 103). Diese wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass solche bei bisherigen Taten nicht eingetreten sind (vgl. BGH, Urteile vom 7. Februar 2017 – 5 StR 471/16; vom 29. November 2017 – 5 StR 446/17). Vergewaltigungen zählen grundsätzlich zu den erheblichen Taten (BGH, Beschluss vom 11. Dezember 2012 – 5 StR 431/12, BGHSt 58, 62, 68; Urteil vom 23. April 2013 – 5 StR 610/12, NStZ 2013, 522, 523 jeweils mwN).
15
bb) Auch wenn sich die Anlasstat – als „Anpassungsversuch an die aktu- ellen Gegebenheiten und die Verfügbarkeit im Umfeld“ (UA S. 57) – gegenei- nen 16-jährigen Jugendlichen richtete, sind nach den im Urteil wiedergegebenen und von der Strafkammer für überzeugend erachteten Äußerungen des Sachverständigen vom Angeklagten mit hoher Wahrscheinlichkeit auch weiterhin Sexualstraftaten gegen Kinder zu erwarten. Danach widerspricht die aktuelle Tat zu Lasten eines in seiner Entwicklung zurückgebliebenen Jugendlichen nicht der Annahme einer stabilen pädophilen Präferenz des Angeklagten, son- dern ordnet sich „bruchfrei“ in dessen Vordelinquenz ein. Die Tatopfer in den Fällen der Vorverurteilungen waren indes durchweg Kinder. Die aktuelle Tat rechtfertigt daher nicht die Annahme einer für § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB aussagekräftigen Verlagerung der sexuellen Präferenzen des Angeklagten von Kindern zu Jugendlichen.
16
cc) Tatsachen, die dafür sprechen könnten, dass sich die Gefahr schwerer Schädigungen bei künftigen Taten des Angeklagten nicht realisieren werde, sind den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Die Annahme des Landgerichts, dass solche Schäden bei älteren Kindern unwahrscheinlicher sind als bei jüngeren , ist nicht durch einen gesicherten Erfahrungssatz gedeckt. Auch der Umstand , dass die durch die Vortaten geschädigten Jungen an den sexuellen Handlungen – teilweise gegen Entgelt – freiwillig mitgewirkt haben, steht der Gefahr schwerwiegender psychischer Schäden nicht entgegen, zumal diese sich auch in einem Abgleiten der Geschädigten in die Prostitution äußern können (vgl. BGH, Urteil vom 11. März 2014 – 5 StR 563/13, NJW 2014, 1316). Abgesehen davon birgt die Durchführung des – regelmäßig – ungeschützten Oral- oder Analverkehrs durch den Angeklagten für die geschädigten Kinder und Jugendlichen nicht unerhebliche gesundheitliche Gefahren.
17
b) Über die Maßregel muss demnach neu entschieden werden. Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es bei dem hier ausschließlich vorliegenden Wertungsfehler nicht. Das neue Tatgericht darf weitergehende, den bisherigen nicht widersprechende Feststellungen treffen.
18
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass im Hinblick auf die Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB im Urteil die für Vortaten verhängten Einzelstrafen im Einzelnen dargestellt werden müssen (vgl. BGH, Beschluss vom 23. September 2009 – 5 StR 340/09; MüKoStGB /Ullenbruch/Drenkhahn/Morgenstern, aaO, § 66 Rn. 65 f.).

III.


19
Die Revision des Angeklagten ist unbegründet.
20
Insbesondere ist der Schuldspruch wegen Verstoßes gegen Weisungen der Führungsaufsicht in vier Fällen im Ergebnis rechtsfehlerfrei. Zwar prüft das Landgericht nicht ausdrücklich die Gefährdung des Zwecks der Maßregel. Diese ergibt sich aber bereits daraus, dass der Angeklagte in der Vergangenheit wiederholt Schwimmbadbesuche oder Badeausflüge als Möglichkeiten nutzte, um Sexualstraftaten gegen Kinder zu begehen oder zumindest Kontakte zu Missbrauchsopfern zu knüpfen oder zu intensivieren. Auch nach den hier getroffenen Urteilsfeststellungen beging der Angeklagte im Rahmen eines der weisungswidrigen Schwimmbadbesuche einen – zur Tatzeit möglicherweise aber als solchen noch nicht strafbaren – sexuellen Übergriff auf den Geschädigten.
Mutzbauer Sander Schneider
König Mosbacher

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 643/17
vom
24. Mai 2018
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs Widerstandsunfähiger u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:240518U4STR643.17.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 24. Mai 2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof Roggenbuck, Richter am Bundesgerichtshof Dr. Quentin, Dr. Feilcke, Dr. Paul als beisitzende Richter,
Staatsanwältin – in der Verhandlung –, Erster Staatsanwalt – bei der Verkündung – als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwältin als Verteidigerin,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 11. Juli 2017 wird verworfen.
Jedoch wird das vorgenannte Urteil im Schuldspruch klarstellend wie folgt neu gefasst: Der Angeklagte ist des sexuellen Übergriffs, exhibitionistischer Handlungen in 43 Fällen und des tateinheitlichen Besitzes kinder- und jugendpornographischer Schriften schuldig; im Übrigen ist er freigesprochen.
Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen „sexuellen Missbrauchs Widerstandsunfähiger“, wegen exhibitionistischer Handlungen in 43 Fällen und wegen tateinheitlichen Besitzes kinder- und jugendpornographischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Mit ihrer auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision wendet sich die Beschwerdeführerin ausschließlich gegen die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung. Das Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt nicht vertreten wird, bleibt ohne Erfolg.

I.


2
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der unter anderem wegen zweier Sexualstraftaten vorbestrafte, bis August 2012 in Haft bzw. im Maßregelvollzug befindliche Angeklagte – 1994 wurde er wegen einer im Jahr 1993 begangenen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung und mit räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und 2004 wegen einer im Jahr 2003 begangenen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt – war im Internet auf Videos aufmerksam geworden, in denen Männer in Zügen masturbierten und dabei mit ihren Mobiltelefonen sich selbst und weibliche Fahrgäste filmten. Er beschloss, solche Videos als Mittel zu seiner sexuellen Stimulation selbst anzufertigen. Zwischen Januar 2014 und November 2016 befuhr er nach dem Erwerb einer Tagesfahrkarte zumeist samstags mehrere Stunden lang mit Regionalzügen die Strecke zwischen H. und D. in beide Richtungen.
4
Am späten Abend des 30. April 2016 filmte er eine Frau, die auf einer Sitzbank des Zuges lag und schlief, wobei ihr Kopf auf einer Armlehne ruhte. Der Angeklagte stellte sich neben sie und manipulierte dabei an seinem entblößten erigierten Penis. Sodann strich er ihr mit seinem Penis durch die Haare. Als sich die Frau daraufhin im Schlaf durch die Haare fuhr, wobei es nicht zu einer Berührung des Geschlechtsteils des Angeklagten kam, entfernte er sich. Einige Minuten später kehrte er zurück und manipulierte erneut neben dem Kopf der schlafenden Frau an seinem entblößten erigierten Penis, ohne dass eine Berührung der Schlafenden stattfand. Weder sie selbst noch andere Fahrgäste nahmen die Handlungen des Angeklagten wahr.
5
In 43 weiteren Fällen im vorgenannten Tatzeitraum setzte sich der Angeklagte im Zug in die Nähe weiblicher Fahrgäste, jeweils nicht mehr als zwei Meter von ihnen entfernt. Er begann, die Frauen zu filmen, und masturbierte hierbei ; dies wurde jeweils von den betroffenen Frauen wahrgenommen, die sich hierdurch belästigt fühlten.
6
Bei einer Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten am 2. Dezember 2016 wurden auf zwei Computern insgesamt 15 kinderpornographische und 31 jugendpornographische Bilddateien sichergestellt, die der Angeklagte dort abgelegt hatte.
7
2. Das Landgericht hat für die Tat des „sexuellen Missbrauchs Wider- standsunfähiger“ eine Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahrenund drei Monaten, für die 43 Fälle exhibitionistischer Handlungen Einzelfreiheitsstrafen von jeweils neun Monaten und für den tateinheitlichen Besitz kinder- und jugendpornographischer Schriften eine Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verhängt.
8
Sachverständig beraten hat es von einer Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 1 und Abs. 3 StGB abgesehen. Die formellen Voraussetzungen der Maßregel gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a) und b), Nr. 2 und Nr. 3 StGB lägen ebenso vor wie ein Hang des Angeklagten, Straftaten zu begehen, jedoch sei dieser Hang des An- geklagten nicht mehr, wie von § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB vorausgesetzt, auf die Begehung erheblicher Straftaten gerichtet.
9
Zwar seien vom Angeklagten vergleichbare Straftaten wie die vorliegenden zu erwarten, einschließlich derjenigen des „sexuellen Missbrauchs“, die einen als mittelschwer zu beurteilenden Fall dieses Straftatbestandes darstelle; hierbei handele es sich jedoch nicht um erhebliche Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB. Hingegen sei die Begehung schwerwiegender Taten durch ihn – etwa Vergewaltigungen – nicht mit einer bestimmten, auf konkreten Umständen beruhenden Wahrscheinlichkeit zu erwarten; eine solche Tat habe er seit dem Jahr 2003 nicht mehr begangen.

II.


10
Die Revision der Staatsanwaltschaft bleibt ohne Erfolg.
11
1. Das Rechtsmittel ist wirksam auf die Nichtanordnung der Maßregel der Sicherungsverwahrung beschränkt.
12
a) Grundsätzlich ist eine Beschränkung der Revision auf das Unterlassen einer Maßregelanordnung möglich; dies gilt auch für die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung (vgl. etwa BGH, Urteile vom 8. August 2017 – 5 StR 99/17, NStZ-RR 2017, 310, 311; vom 29. November 2017 – 5 StR 446/17).
13
b) Zwischen Strafe und Nichtanordnung von Sicherungsverwahrung besteht aufgrund der Zweispurigkeit des Sanktionensystems grundsätzlich keine Wechselwirkung (vgl. BGH, Urteile vom 10. Oktober 2006 – 1 StR 284/06, NStZ 2007, 212, 213; vom 1. Juli 2008 – 1 StR 183/08; vom 23. Februar 1994 – 3 StR 679/93, NStZ 1994, 280, 281; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 318 Rn. 26).
14
Etwas anderes gilt dann, wenn das Tatgericht die Höhe der Strafe von der Nichtanordnung von Sicherungsverwahrung abhängig gemacht und damit Strafe und Maßregel in einen inneren, eine getrennte Prüfung beider Rechtsfolgen ausschließenden Zusammenhang gesetzt hat (vgl. BGH, Urteile vom 3. Februar 2011 – 3 StR 466/10, insofern nicht abgedruckt in NStZ-RR 2011, 172; vom 11. Juli 2013 – 3 StR 148/13, NStZ 2013, 707). Dies ist hier nicht der Fall.
15
2. Die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 StGB hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand. Die Annahme des Landgerichts, beim Angeklagten bestehe kein Hang zur Begehung erheblicher Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB mehr, weil die Anlasstat des „sexuellen Missbrauchs Widerstandsunfähiger“ – ebensowie zu erwartende vergleichbare Taten – keine erhebliche Straftat in diesem Sinne sei und schwerere Taten nicht zu erwarten seien, ist rechtsfehlerfrei begründet.
16
a) Mit ihrem Einwand, das Landgericht habe die Anlasstat zu Unrecht nicht als erheblich in diesem Sinne eingestuft und ihr deshalb rechtsfehlerhaft einen Symptomcharakter für die Gefährlichkeitsprognose abgesprochen, dringt die Beschwerdeführerin nicht durch.
17
aa) Erhebliche Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB sind nach ständiger Rechtsprechung solche, die den Rechtsfrieden empfindlich stören (vgl. BGH, Urteile vom 18. Mai 1971 – 4 StR 100/71, BGHSt 24, 153, 154; vom 17. Dezember 1985 – 1 StR 539/85, NStZ 1986, 165; vom 26. April 2017 – 5 StR 572/16; vom 27. Juli 2017 – 3 StR 196/17). Kriterien hierfür ergeben sich zunächst aus den gesetzgeberischen Wertungen, die maßgeblich für die Normierung der formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung geworden sind. Als erhebliche Straftaten kommen danach vornehmlich solche in Betracht, die in den Deliktskatalog von § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a) bis c) StGB fallen und die – wie Vorverurteilungen im Sinne von § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB – im konkreten Fall mit mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe zu ahnden wären, wobei dieser Gesichtspunkt allein zur Annahme der Erheblichkeit allerdings nicht ausreicht (vgl. BGH, Beschluss vom 28. November 2002 – 5 StR 334/02, NStZ-RR 2003, 73, 74; LK/Rissing-van Saan/Peglau, StGB, 12. Aufl., § 66 Rn. 148; MüKoStGB/Ullenbruch/Drenkhahn/ Morgenstern, 3. Aufl., § 66 Rn. 101). Ein weiteres gewichtiges Kriterium zur Bestimmung der Erheblichkeit ergibt sich aus der Hervorhebung der schweren seelischen oder körperlichen Schädigung der Opfer in § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB („namentlich“),wobei aber auch damit keine abschließende Festlegung verbunden ist (vgl. BGH, Urteile vom 18. Mai 1971 – 4 StR 100/71, BGHSt 24, 153, 154; vom 9. Oktober 2001 – 5 StR 360/01, NStZ-RR 2002, 38).
18
Zur Beurteilung, ob die von einem Angeklagten hangbedingt zu erwar- tenden Taten in diesem Sinne „erheblich“ sind, kann daher kein genereller Maßstab angelegt werden (vgl. BGH, Urteil vom 18. Februar 2010 – 3 StR 568/09, NStZ-RR 2010, 172; MüKoStGB/Ullenbruch/Drenkhahn/Morgenstern, aaO, § 66 Rn. 98, 103); erforderlich ist vielmehr eine Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalles, bei der neben der Schwere der zu erwartenden Taten und den – auch nur potentiell bzw. typischerweise eintretenden – Folgen für die Opfer auch die Tathäufigkeit oder die Rückfallgeschwin- digkeit ins Gewicht fallen können (vgl. BGH, Urteile vom 12. Juli 1988 – 1 StR 280/88, BGHR StGB § 66 Erheblichkeit 2; vom 24. März 2010 – 2 StR 10/10, NStZ-RR 2010, 239, 240). Zudem ist im Bereich der mittleren Kriminalitätdem Tatrichter, der allein in der Lage ist, eine umfassende Würdigung aller Umstände der Tat und der Persönlichkeit des Täters vorzunehmen, bei der Entscheidung der Frage, ob er einen Hang zu erheblichen Taten bejahen kann, ein Beurteilungsspielraum eingeräumt; seine Entscheidung kann vom Revisionsgericht nur dann beanstandet werden, wenn der Tatrichter nicht alle für die Gesamtwürdigung bedeutsamen Umstände gewürdigt hat oder das Ergebnis seiner Würdigung den Rahmen des noch Vertretbaren sprengt (vgl. BGH, Urteile vom 24. März 2010 – 2 StR 10/10, aaO; vom 27. Juli 2000 – 1 StR 263/00, NStZ 2000, 587, 588; vom 26. August 1987 – 3 StR 305/87, wistra 1988, 22, 23; vom 20. Mai 1980 – 4 StR 187/80, JZ 1980, 532).
19
bb) An diesen Grundsätzen gemessen hält die Annahme des Landgerichts , die vorliegende Anlasstat des „sexuellen Missbrauchs Widerstandsunfähiger“ stelle – ebenso wie die zu erwartenden vergleichbaren Taten – keine erhebliche Straftat im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB dar, revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.
20
Soweit das Landgericht zur Begründung zunächst darauf verwiesen hat, die Anlasstat und die zu erwartenden vergleichbaren Taten seien deshalb nicht erheblich, weil hierdurch dem Opfer keine schweren seelischen oder körperlichen Schäden zugefügt würden, steht dieser Gesichtspunkt – für sich betrachtet – der Annahme erheblicher Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB allerdings nicht entgegen. Denn das Gesetz hat, wie bereits ausgeführt, mit den Worten, dass unter erheblichen Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB „namentlich“ solche zu verstehen seien, „durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden“, keine abschließende Festlegung vorgenommen, wann eine Straftat in diesem Sinne erheblich ist, sondern erfordert stets eine Prüfung und Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls (vgl. BGH, Urteile vom 18. Mai 1971 – 4 StR 100/71, BGHSt 24, 153, 154 f.; vom 9. Oktober 2001 – 5 StR 360/01, NStZ-RR 2002, 38 f.).
21
Die Strafkammer hat jedoch eine solche Prüfung und Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls vorgenommen. Sie hat bei der Beurteilung der vom Angeklagten zu erwartenden Taten nicht etwa einseitig nur auf mögliche Tatfolgen – ausgehend von der geringen Folge bei der vorliegenden Anlasstat – abgestellt. Vielmehr hat sie auch das konkrete Erscheinungsbild der Tat und ihre Begehungsweise in den Blick genommen. So hat sie darauf verwiesen, dass diese Tat nur wenige Sekunden andauerte. Darüber hinaus hat sie berücksichtigt , dass die Handlung zwar in Gesichtsnähe erfolgte, der Angeklagte jedoch lediglich die Haare der Geschädigten berührte, wodurch es – ohne jede Gewaltanwendung – nur zu einem geringen körperlichen Kontakt zwischen dem Angeklagten und der Geschädigten kam.
22
Angesichts dieser Umstände ist das Landgericht bei der Beurteilung der Erheblichkeit der Anlasstat im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB von einer sexuellen Handlung ausgegangen, die sich in ihrem Schweregrad nur unwesentlich von den dem Angeklagten im Übrigen angelasteten exhibitionistischen Handlungen – die die Schwelle zur Erheblichkeit im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB nicht erreichen (vgl. BT-Drucks. VI/3521, S. 55; Fischer, StGB, 65. Aufl., § 66 Rn. 57) – unterscheidet. Dem steht auch nicht entgegen, dass es für diese Tat eine Einzelstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verhängt hat, da diese Strafhöhe ersichtlich nicht auf die Tatschwere oder die Tatfolgen, sondern auf die Vorstrafen des Angeklagten zurückzuführen ist; für die Beurteilung der objektiven Erheblichkeit der Anlasstat kommt der strafrechtlichen Vorbelastung jedoch nur eingeschränkte Aussagekraft zu.
23
Das Landgericht hat schließlich bei seiner Beurteilung der Erheblichkeit der Anlasstat auch keinen wesentlichen Umstand unberücksichtigt gelassen und sich insbesondere mit den Vorverurteilungen des Angeklagten auseinandergesetzt. Insgesamt hält sich seine Beurteilung der Erheblichkeit dieser Tat innerhalb des dem Tatgericht insoweit eingeräumten Beurteilungsspielraums. Es begegnet daher keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht die Anlasstat nicht als ausreichendes Symptom für einen Hang des Angeklagten zur Begehung erheblicher Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB angesehen hat.
24
b) Mit ihren weiteren Einwänden gegen die Gefährlichkeitsprognose des Landgerichts zeigt die Beschwerdeführerin ebenfalls keinen Rechtsfehler des angefochtenen Urteils auf.
25
aa) Soweit die Staatsanwaltschaft hier zunächst beanstandet, das Landgericht habe bei der Würdigung des Angeklagten und seiner Taten das Fortbestehen seiner Persönlichkeitsstörung sowie seine Lernunwilligkeit und Therapieresistenz nicht ausreichend berücksichtigt, dringt sie hiermit nicht durch. Denn das Landgericht hat sich im angefochtenen Urteil mit diesen Umständen ausführlich auseinandergesetzt. So hat es seine Annahme, dass mit weiteren Straftaten des Angeklagten – die allerdings im Schweregrad den festgestellten Taten entsprächen – zu rechnen sei, gerade auf die Persönlichkeitsstörung und Lernunwilligkeit des Angeklagten zurückgeführt. Die von der Revisionsbegründung der Beschwerdeführerin abweichende Bewertung der Schwere der zu er- wartenden Straftaten durch das Landgericht ist jedoch, worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hingewiesen hat, vertretbar und damit revisionsrechtlich nicht angreifbar.
26
bb) Auch soweit die Beschwerdeführerin beanstandet, die Strafkammer habe bei der Beurteilung der Rückfallgeschwindigkeit des Angeklagten zu Unrecht zu dessen Gunsten berücksichtigt, dass die Begehung der letzten schweren Tat durch ihn mehr als dreizehn Jahre zurückliege, ohne hiervon die Zeiten seiner Strafhaft und Unterbringung im Maßregelvollzug abzuziehen, zeigt sie einen Rechtsfehler des angefochtenen Urteils damit nicht auf. Denn das Landgericht hat bei der Berücksichtigung des Zeitablaufs seit der im Jahr 2003 begangenen Tat ersichtlich sowohl die Strafhaft als auch die anschließende Unterbringung des Angeklagten im Blick gehabt; dies zeigt sich insbesondere in der Erwägung der Strafkammer, der Angeklagte sei während der langjährig absolvierten Therapie in der LWL-Klinik, in der sich auch weibliche Patienten befanden , nicht durch Straftaten zu deren Nachteil auffällig geworden.
27
3. Zutreffend hat das Landgericht die Tat zu II 2 a der Urteilsgründe rechtlich nicht nach der zur Tatzeit geltenden Vorschrift des § 179 Abs. 1 StGB aF gewürdigt, sondern nach der Vorschrift des § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB in deren seit dem 10. November 2016 geltender Fassung als milderem Gesetz im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB. Soweit es diese Tat gleichwohl im Schuldspruch als „sexuellen Missbrauch Widerstandsunfähiger“ bezeichnet hat, erweist sichdies allerdings als unzutreffend, da es sich bei der verwirklichten Straftat nach § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB nF um einen „sexuellen Übergriff“ handelt (vgl. BGH, Be- schluss vom 16. Mai 2017 – 3 StR 43/17, NStZ 2018, 33, 34). Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend klargestellt.
Sost-Scheible Roggenbuck Quentin
Feilcke Paul

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 478/15
vom
6. April 2016
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:060416U2STR478.15.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 6. April 2016, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Krehl, Dr. Eschelbach, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Ott, Richter am Bundesgerichtshof Zeng,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung, Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof bei der Verkündung, als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt in der Verhandlung als Verteidiger des Angeklagten, Rechtsanwältin als Vertreterin der Nebenklägerin C. , Rechtsanwältin in der Verhandlung als Vertreterin der Nebenklägerin A. , Justizhauptsekretärin in der Verhandlung, Justizangestellte bei der Verkündung, als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 23. März 2015 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren insoweit entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. 2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren insoweit entstandenen notwendigen Auslagen, an eine Strafkammer des Landgerichts Bonn zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Der Angeklagte war durch Urteil des Landgerichts Köln vom 29. November 2013 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen und wegen exhibitionistischer Handlungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt worden. Von einer Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung hatte das Landgericht abgesehen. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hat der Senat mit Urteil vom 15. Oktober 2014 (2 StR 240/14, NStZ 2015, 510 ff.) das Urteil des Landgerichts mit den Feststellungen aufgehoben, soweit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist, sowie – zu Gunsten des Angeklagten – im Strafausspruch. Die Revision des Angeklagten hat der Senat verworfen.
2
Das Landgericht hat den Angeklagten nunmehr – erneut – zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt und von der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung abgesehen. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts. Die Staatsanwaltschaft hat ihre zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte und mit der Sachrüge und mit mehreren Verfahrensbeanstandungen begründete Revision auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung beschränkt. Die Revision des Angeklagten ist erfolglos; das vom Generalbundesanwalt vertretene – wirksambeschränkte – Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat dagegen Erfolg.

I.

3
Die Revision des Angeklagten ist unbegründet. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben.

II.

4
Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
5
1. a) Die Staatsanwaltschaft hat zwar eingangs ihrer Revisionsbegründungsschrift keine Beschränkung erklärt und die (uneingeschränkte) Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs und die Zurückverweisung der Sache an eine andere Strafkammer zur erneuten Verhandlung und Entscheidung beantragt. Mit diesem umfassenden Revisionsantrag steht jedoch der übrige Inhalt der Revisionsbegründungsschrift nicht in Einklang. Daraus ergibt sich, dass die Revisionsführerin das Urteil ausschließlich – und ersichtlich abschließend – deswegen für fehlerhaft hält, weil das Landgericht die Sicherungsverwahrung nicht angeordnet hat. Somit widersprechen sich Revisionsantrag und Inhalt der Revisionsbegründung. Unter Berücksichtigung von Nr. 156 Abs. 2 RiStBV (vgl. auch Senat, Urteil vom 11. Juni 2014 - 2 StR 90/14, NStZ-RR 2014, 285 mwN) versteht der Senat daher das gesamte Revisionsvorbringen dahin, dass sich die Staatsanwaltschaft allein gegen die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung wendet.
6
b) Diese Revisionsbeschränkung auf den Maßregelausspruch ist wirksam. Weder aus den Strafzumessungserwägungen noch aus den Erwägungen zur unterbliebenen Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass das Landgericht zwischen beiden Rechtsfolgenentscheidungen einen Zusammenhang hergestellt hat, der eine getrennte Prüfung beider Rechtsfolgen ausschließt (vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober 2015 - 4 StR 275/15; Senat, Urteil vom 15. Oktober 2014 - 2 StR 240/14, insoweit in NStZ 2015, 510 ff. nicht abgedruckt).
7
Dass die Beschwerdeführerin mit ihrer Revision Feststellungen angreift, die nach den Erwägungen des Landgerichts sowohl – strafmildernd – für den Strafausspruch als auch für die Entscheidung über die Anordnung der Maßregel tragend, mithin doppelrelevant sind, führt hier ebenfalls nicht zu einer unwirksamen Revisionsbeschränkung. Denn neue und abweichende Feststellungen können keine Auswirkungen auf den Teil des Urteils haben, der nicht angegriffen werden soll. Zwar entzögen abweichende Feststellungen der strafmildernden Erwägung des Urteils die tatsächliche Grundlage. Indes schließt § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO die Verhängung einer höheren Strafe aus, da der Strafausspruch des ersten tatrichterlichen Urteils entsprechend § 301 StPO ausschließlich zu Gunsten des Angeklagten aufgehoben worden war (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2011 - 3 StR 374/11, NStZ-RR 2012, 106 f.). Danach wäre selbst eine Revision der Staatsanwaltschaft gegen den Strafausspruch zu Ungunsten des Angeklagten von vorneherein unbegründet, weil auf begünstigenden Strafzumessungsfehlern – egal welcher Art – nichts beruhen könnte.
8
2. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der Sachrüge Erfolg; auf die Verfahrensrüge, mit der die Staatsanwaltschaft die Verletzung des § 261 StPO beanstandet, kommt es nicht an.
9
Die Erwägungen des Landgerichts zum Absehen von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung sind rechtsfehlerhaft.
10
a) Das Landgericht hat schon nicht tragfähig begründet, dass nicht auch die Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB vorliegen.
11
aa) Wie schon der Senat in seinem in dieser Sache ergangenen Urteil vom 15. Oktober 2014 ausgeführt hat, erfüllt eine in einem früheren Verfahren ausgesprochene einheitliche Jugendstrafe nach § 31 JGG die Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 Nr. 1 StGB, wenn zu erkennen ist, dass der Täter wenigstens bei einer der ihr zugrundeliegenden Straftaten eine Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hätte, sofern sie als Einzeltat gesondert abgeurteilt worden wäre. Dies festzustellen, ist tatrichterliche Aufgabe, die dem über die Sicherungsverwahrung entscheidenden Richter obliegt. Dabei hat der Tatrichter festzustellen, wie der Richter des Vorverfahrens die einzelnen Taten bewertet hat; er darf sich nicht an dessen Stelle setzen und im Nachhinein eine eigene Strafzumessung vornehmen. Entsprechende Feststellungen muss der Tatrichter so belegen, dass eine ausreichende revisionsgerichtliche Überprüfung möglich ist (vgl. Senat, Urteil vom 15. Oktober 2014 - 2 StR 240/14, NStZ 2015, 510, 511 mwN).
12
bb) Die Erwägungen des Landgerichts werden diesen Anforderungen nicht gerecht. Sie beschränken sich im Ergebnis auf das, was sich bereits unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Relevante Angaben zu (weiteren, hypothetischen ) Strafzumessungserwägungen des Jugendschöffengerichts, die über dessen schriftliche Urteilsgründe hinausgehen, waren weder von der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft noch der Vorsitzenden des Jugendschöffengerichts zu erwarten.
13
Zwar hat das Landgericht den ersichtlich relevanten Teil der schriftlichen Urteilsgründe des Jugendschöffengerichts mitgeteilt, sich damit jedoch nicht erkennbar auseinandergesetzt. Dies wäre aber in jedem Fall erforderlich gewesen , zumal hier besonderer Anlass dazu bestanden hätte, weil sowohl die Begründungen zur Erforderlichkeit und Bemessung der Jugendstrafe als auch die Ausführungen zur Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung es zumindest nahelegen, dass das Jugendschöffengericht allein wegen der versuchten Vergewaltigung eine Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verhängt hätte.
14
cc) Die unzureichend begründete Annahme, dass nicht auch die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB vorliegen, kann sich auf die Überzeugungsbildung zum Vorliegen eines Hangs ausgewirkt haben. Die darin zum Ausdruck kommende gesetzliche Bewertung würde das indizielle Gewicht der vom Angeklagten begangenen Taten – insbesondere der Vorverurteilung – erhöhen.
15
b) Der Generalbundesanwalt hat im Einzelnen zutreffend ausgeführt, dass die Erwägungen des Landgerichts, gegen einen Hang des Angeklagten spreche der deutlich zurückgegangene Gewalteinsatz bei den letzten Taten, Wertungsfehler beinhalten, lückenhaft sind und teilweise nicht von den Feststellungen getragen werden. Entsprechendes gilt, soweit das Landgericht von unterschiedlicher Motivation des Angeklagten bei der Begehung der jeweiligen Taten ausgegangen ist.
16
Die fehlende Steigerung oder die Abnahme von Gewalt spricht nicht gegen eine intensive Neigung zu Rechtsbrüchen. Einen Hang kann auch haben, wer auf gleichbleibendem Niveau oder sogar mit abnehmender Intensität Straftaten begeht. Das Landgericht hätte die Tatumstände in Beziehung zu der in den Urteilsgründen beschriebenen Devianz des Angeklagten setzen müssen. Das sexuelle Interesse des Angeklagten an Kindern hat seinen Grund in deren Hilf- und Wehrlosigkeit. Es korrespondiert mit dem in der Familie des Angeklagten dominanten Bild der schwachen, sich im Hintergrund haltenden Frau. Vor diesem Hintergrund können – was das Vorliegen eines Hangs betrifft – aus dem Vergleich der bei den Taten angewendeten Gewalt keine relevanten Schlüsse gezogen werden. Vielmehr drängt sich auf, dass auch die zuletzt begangenen Taten typischer Ausdruck der beim Angeklagten vorhandenen Devianz sind.
17
Auch die jeweilige Tatmotivation des Angeklagten spricht – bei vergleichender Betrachtung – erheblich für eine Steigerung oder zumindest Verfestigung der Devianz des Angeklagten.
18
c) Schließlich hat das Landgericht dem Gesichtspunkt der "Nachreifung" des Angeklagten ein unvertretbar hohes Gewicht beigemessen. Die in diesem Zusammenhang angestellte Erwägung, wonach der Angeklagte außerhalb des Einflussbereichs seines Vaters für sich in einem 'sanktionsfreien Raum' lebte, wird von den Feststellungen nicht getragen. Im Übrigen beschränken sich die in diesem Zusammenhang geschilderten Aktivitäten des Angeklagten auf reine Ankündigungen. Die zukünftig möglichen Auswirkungen von Therapien sind in diesem Zusammenhang unerheblich, da das Vorliegen eines Hangs zum Urteilszeitpunkt entscheidend ist. Behandlungsaussichten können (erst) im Rahmen der Ermessensausübung oder bei der Frage der Aussetzung der Maßregel berücksichtigt werden.
19
3. Die – nicht ausgeführte – Kostenbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist gegenstandslos, da die Teilaufhebung des Urteils auch die Kostenentscheidung erfasst.

III.

20
Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO). Fischer Krehl Eschelbach Frau RinBGH Dr. Ott Zeng ist an der Unterschrift gehindert. Fischer

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 S t R 2 7 5 / 1 5
vom
22. Oktober 2015
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22. Oktober
2015, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Franke,
Bender
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin A. K. ,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerinnen M. K.
und J. K. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Detmold vom 26. Februar 2015 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten „wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen und wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 58 Fällen, davon in 55 Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, davon in zwei Fällen zudem in Tateinheit mit Sichverschaffen kinderpornographischer Schriften“, zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hat Revision eingelegt, das Rechtsmittel mit der Sachrüge begründet und beantragt, das angefochtene Urteil „im Rechtsfolgenausspruch“ aufzuheben. Ihre vom Generalbundesanwalt vertretene Revision hat Erfolg, soweit sie sich gegen die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung wendet. Darüber hinaus ist der gesamte Strafausspruch – auch zugunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) – aufzuheben.
2
1. Nach den Feststellungen nahm der Angeklagte nach dem vierten Geburtstag seiner Tochter A. am 8. Juli 2011 bis zum 26. August 2014 in 55 Fällen sexuelle Missbrauchshandlungen zu deren Nachteil vor. Zwei dieser Übergriffe filmte der Angeklagte mit seinem Mobiltelefon und speicherte sie ab; bei dem ersten dieser beiden Übergriffe fertigte er auch Fotos von seiner gefesselt, maskiert und auf dem Rücken liegenden unbekleideten Tochter. Am 31. Juli 2014 und am 1. August 2014 kam es auch zu fünf sexuellen Übergriffen auf die zum Tatzeitpunkt sechs und fünf Jahre alten Töchter einer Freundin seiner Ehefrau. Dabei drang der Angeklagte kurzzeitig mit dem Finger bei einer Gelegenheit in die Scheide des einen Mädchens und bei einem anderen Übergriff in den Anus der anderen Geschädigten ein, die an ihm auch Oralverkehr ausüben musste.
3
Das Landgericht hat den Angeklagten für voll schuldfähig gehalten und Einzelfreiheitsstrafen von jeweils zwei Jahren und neun Monaten, zwei Jahren und drei Monaten, zwei Jahren, einem Jahr und neun Monaten, einem Jahr und sechs Monaten, einem Jahr und zwei Monaten, 53 mal einem Jahr sowie neun Monaten verhängt. Sicherungsverwahrung hat es nicht angeordnet. Es hat die formellen Voraussetzungen für die fakultative Anordnung der Maßregel nach § 66 Abs. 2 StGB bejaht. Auch die materiellen Voraussetzungen gemäß § 66 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB hat es angenommen. „Im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens“ hat die Jugendschutzkammer die Anordnung der Sicherungsverwahrung "trotz des festgestellten Gefährdungspotentials" (UA 34) abgelehnt: Der Angeklagte habe seine Therapiebereitschaft deutlich zum Ausdruck gebracht. Zwar sei "derzeit gänzlich ungewiss …, ob Therapiebemühungen eine innere Haltungsänderung bei dem Angeklagten erzielen können" (UA 34), er habe jedoch den ersten Schritt gemacht, indem er seine Taten rückhaltlos offenbart habe. Die Dauer der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe ermögliche eine intensive therapeutische Intervention in einer qualifizierten Ein- richtung des Strafvollzugs. Der Angeklagte habe sich bislang noch gar nicht mit seinen pädophilen Neigungen auseinandergesetzt. Nach seiner (einschlägigen) Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe im Jahr 1995 habe ausschließlich die problematische Kindheit und Jugend im Fokus der therapeutischen Aufarbeitung gestanden (UA 35). Nach alledem gehe die Strafkammer von der Erwartung aus, dass der Angeklagte sich die Strafverbüßung hinreichend zur Warnung dienen lassen werde.
4
2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
5
a) Die Revision ist wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Der Senat kann offen lassen, ob die Staatsanwaltschaft ausweislich der Revisionsbegründung über den gestellten Antrag hinaus das Rechtsmittel auf die Frage der Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung beschränken wollte. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Terminszuschrift vom 3. Juli 2015 zutreffend ausführt, hat das Landgericht Strafhöhe und Maßregelanordnung in einen inneren Zusammenhang gesetzt, der eine getrennte Prüfung beider Rechtsfolgen ausschließt (vgl. BGH, Urteil vom 15. Oktober 2014 – 2 StR 240/14).
6
b) Die auf § 66 Abs. 2 StGB gestützte Entscheidung des Landgerichts, nach seinem Ermessen von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abzusehen , leidet an einem durchgreifenden Rechtsfehler.
7
aa) Die Wirkungen eines erstmals erlebten längeren Strafvollzugs und von in diesem Rahmen (möglicherweise) wahrgenommenen Therapieangeboten können zwar im Einzelfall wesentliche gegen die Anordnung der Maßregel sprechende Gesichtspunkte darstellen (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Dezember 2010 – 5 StR 421/10, StV 2011, 276). Ein Absehen von der Anordnung trotz bestehender hangbedingter Gefährlichkeit kommt in Ausübung des in § 66 Abs. 2 (und Abs. 3) StGB eingeräumten Ermessens aber nur dann in Betracht, wenn bereits zum Zeitpunkt des Urteilserlasses die Erwartung begründet ist, der Täter werde hierdurch eine Haltungsänderung erfahren, so dass für das Ende des Strafvollzugs eine günstige Prognose gestellt werden kann (BGH, Urteil vom 28. März 2012 – 2 StR 592/11, NStZ-RR 2012, 272 [Ls.]; Beschlüsse vom 16. Dezember 2014 – 1 StR 515/14, NStZ-RR 2015, 73, und vom 11. August 2011 – 3 StR 221/11). Im Zeitpunkt des Urteilserlasses noch ungewisse positive Veränderungen und lediglich mögliche Wirkungen künftiger Maßnahmen im Strafvollzug können indes nicht genügen (vgl. BGH, Urteile vom 15. Oktober 2014 – 2 StR 240/14, NStZ 2015, 510, 511, vom 28. Mai 1998 – 4 StR 17/98, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 6, und vom 22. Januar 1998 – 4 StR 527/97, NStZ-RR 1998, 206). Solche möglichen Veränderungen sind, sofern sie eingetreten sind, erst im Rahmen der obligatorischen Entscheidung gemäß § 67c Abs. 1 StGB vor dem Ende des Vollzugs der Freiheitsstrafe zu berücksichtigen.
8
bb) Diesen rechtlichen Maßstab hat das Landgericht bei seiner Ermessensausübung verfehlt:
9
Es hätte prüfen müssen, ob zumindest konkrete Anhaltspunkte für einen Behandlungserfolg vorliegen (vgl. BGH, Urteile vom 3. Februar 2011 – 3 StR 466/10, NStZ-RR 2011, 172, und vom 19. Juli 2005 – 4 StR 184/05, NStZ-RR 2005, 337, 338; Beschlüsse vom 16. Dezember 2014 – 1 StR 515/14, NStZ-RR 2015, 73, und vom 28. März 2012 – 2 StR 592/11, NStZ-RR 2012, 272 [Ls.]). Es gibt keine gesicherte Vermutung dahingehend, dass eine langjährige, erstmalige Strafverbüßung stets zu einer Verhaltensänderung führen wird (BGH, Beschluss vom 4. August 2009 – 1 StR 300/09, NStZ 2010, 270, 272). Die Jugendschutzkammer hat selbst – nach sachverständiger Beratung – ausgeführt , "dass derzeit gänzlich ungewiss ist, ob Therapiebemühungen eine innere Haltungsänderung bei dem Angeklagten erzielen können" (UA 34). Der Um- stand, dass der Angeklagte nach ihrer Auffassung "den ersten Schritt" gemacht habe, ist nicht geeignet, die in ständiger Rechtsprechung verlangte gesicherte Erwartung zu begründen, die unter Ermessensgesichtspunkten ein Absehen von der Anordnung der Sicherungsverwahrung rechtfertigen könnte (vgl. dazu auch BGH, Urteil vom 15. Oktober 2014 – 2 StR 240/14, NStZ 2015, 510, 511).
10
cc) Sonstige Gründe, die einer Anordnung der Sicherungsverwahrung zwingend entgegenstehen könnten, ergeben sich aus dem angefochtenen Urteil nicht (vgl. zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit BGH, Urteil vom 7. Januar 2015 – 2 StR 292/14, NStZ 2015, 208; s. ferner BGH, Beschluss vom 15. Januar 2015 – 5 StR 473/14, NStZ 2015, 210).
11
3. Die Aufhebung des angefochtenen Urteils im (unterbliebenen) Maßregelausspruch führt zu Gunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) zur Aufhebung auch des gesamten Strafausspruchs. Im Hinblick auf die Erwägungen des angefochtenen Urteils zu den möglichen Wirkungen des langjährigen Strafvollzugs vermag der Senat nicht auszuschließen, dass die verhängten Einzelstrafen sowie die Gesamtstrafe niedriger ausgefallen wären, wenn das Landgericht die nunmehr erneut im Raum stehende Sicherungsverwahrung verhängt hätte (vgl. auch BGH, Urteil vom 11. Juli 2013 – 3 StR 148/13 mwN, insoweit in NStZ 2013, 707 nicht abgedruckt).
12
Die Strafzumessung weist andererseits auch einen Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten bei der Bemessung aller Einzelstrafen und der Gesamtstrafe auf. Das Landgericht hat im Rahmen der konkreten Strafzumessung die erlittene Untersuchungshaft strafmildernd berücksichtigt. Untersuchungshaft ist indes, jedenfalls bei der Verhängung einer zu verbüßenden Freiheitsstrafe, kein Strafmilderungsgrund, es sei denn, mit ihrem Vollzug wären ungewöhnliche , über die üblichen deutlich hinausgehende Beschwernisse verbunden (BGH, Urteile vom 19. Dezember 2013 – 4 StR 302/13, Rn. 9, vom 10. Oktober 2013 – 4 StR 258/13, Rn. 18, und vom 28. März 2013 – 4 StR 467/12, Rn. 25, jeweils mwN). Will der Tatrichter wegen besonderer Nachteile für den Angeklagten den Vollzug der Untersuchungshaft bei der Strafzumessung mildernd berücksichtigen, müssen diese Nachteile in den Urteilsgründen dargelegt werden (BGH, Urteil vom 14. Juni 2006 – 2 StR 34/06, NJW 2006, 2645). Daran fehlt es hier. Mutzbauer Roggenbuck Cierniak Franke Bender

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 572/16
vom
26. April 2017
in der Strafsache
gegen
wegen erpresserischen Menschenraubes u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:260417U5STR572.16.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 26. April 2017, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Dr. Mutzbauer,
Richter Prof. Dr. Sander, Richterin Dr. Schneider, Richter Dölp, Richter Prof. Dr. König als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt F. als Verteidiger,
Rechtsanwältin P. als Nebenklägervertreterin,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 7. Juli 2016 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit von der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wird verworfen.
- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen erpresserischen Menschenraubes in Tateinheit mit schwerem Raub und vorsätzlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten verurteilt und ihn im Übrigen aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte, auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft hat im vom Generalbundesanwalt vertretenen Umfang hinsichtlich der Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hielt sich der bereits im Jahr 2003 wegen schweren Raubes in fünf Fällen und schwerer räuberischer Erpressung in 15 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilte Angeklagte am 12. Mai 2015 mit einer schwarzen Mütze und einem schwarzem Schal vermummt vor der Hinterausgangstür einer Sparkassenfiliale in Leipzig auf. Als eine Sparkassenangestellte die Tür öffnete, rannte der Angeklagte auf sie zu und richtete den Lauf seiner ungeladenen Schreckschusspistole auf ihren Kopf. Die Zeugin kam zu Fall und erlitt dabei Verletzungen. Der Angeklagte zog sie in die Räumlichkeiten der Sparkasse, in denen sich noch weitere Angestellte befanden, die er ebenfalls mit der Pistole bedrohte. Eine Mitarbeiterin musste den Tresor öffnen. Diesem entnahm der Angeklagte mehr als 40.000 Euro, mit denen er aus der Sparkassenfiliale entkam.
3
2. Das Landgericht hat sich nicht davon zu überzeugen vermocht, dass der Angeklagte bereits am 21. Februar 2014 einen Banküberfall verübte und dadurch einen weiteren erpresserischen Menschenraub in Tateinheit mit schwerem Raub und mit vorsätzlicher Körperverletzung beging.

II.


4
1. Soweit die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision die Aufhebung des Freispruchs des Angeklagten hinsichtlich des Banküberfalls vom 21. Februar 2014 erstrebt, bleibt ihr der Erfolg versagt. Aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts hält der Freispruch sachlich-rechtlicher Überprüfung stand.
5
2. Demgegenüber hat die Ablehnung der Anordnung der Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) keinen Bestand.
6
a) Die Begründung des Urteils zur Ablehnung eines Hanges im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB ist rechtsfehlerhaft.
7
aa) Die Strafkammer stützt die Verneinung eines Hanges des Angeklagten auf die Ausführungen des Sachverständigen. Danach seien die „zum Ausdruck gekommene stereotype Vorgehensweise über einen mehrjährigen Tatzeitraum in der Vergangenheit und die gleichförmige Ausübung der erneuten Taten ... zwar Indizien, die für einen Hang sprechen könnten, gleichwohl sei der Angeklagte keine aggressive und/oder dissoziale Persönlichkeit“ (UA S. 11). Bei ihm finde sich vielmehr eine besondere Bereitschaft, in Krisen- und Überforderungssituationen depressiv zu reagieren. Diese rezidivierende depressive Störung vermöge Tathandlungen „wie die vorliegenden Raubüberfälle“ anzubahnen und zu erklären (UA S. 12).
8
Damit hat die Strafkammer verkannt, dass die Ursache des Hanges für dessen Bejahung unerheblich ist (st. Rspr. BGH, Urteil vom 25. Mai 1971 – 1 StR40/71, BGHSt 24, 160, 161). Dass der Angeklagte an einer rezidivierenden depressiven Störung leidet, steht der Annahme eines Hanges deshalb nicht entgegen. Vielmehr kann sie sogar für diese herangezogen werden.
9
bb) Zudem ist die im Urteil vorgenommene Prüfung eines Hanges im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB lückenhaft. In ihrem Rahmen ist eine wertende , auf eine umfassende Vergangenheitsbetrachtung abstellende Feststellung des gegenwärtigen Zustands des Täters erforderlich (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Mai 2011 – 4 StR 87/11, NStZ-RR 2011, 272, 273). Das Tatgericht hat sich in diesem Zusammenhang auch mit den Vorverurteilungen und den Umständen , unter denen es zu diesen wie auch zu den verfahrensgegenständlichen Taten gekommen ist, auseinanderzusetzen (vgl. BGH, Urteil vom 27. Oktober 2004 – 5 StR 130/04, NStZ 2005, 265). An einer derartigen umfassenden Vergangenheitsbetrachtung fehlt es hier. Das Landgericht hat es unterlassen, die Vortaten des Angeklagten und die ihn bei diesen Taten bewegenden Gründe inhaltlich darzulegen, obgleich der Sachverständige hierauf ausdrücklich Bezug genommen hat (UA S. 12).
10
b) Die Ansicht der Strafkammer, bei den (möglicherweise) zu prognostizierenden weiteren Raubtaten handle es sich nicht um erhebliche Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
11
aa) Das Landgericht orientiert sich bei seiner Entscheidung an einem Beschluss des Senates vom 24. Januar 2012 (5 StR 535/11). Es berücksichtigt dabei nicht, dass sich diese Entscheidung auf den Rechtszustand nach Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Regelungen zur Sicherungsverwahrung durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 128, 326) bezieht. Nach der vom Bundesverfassungsgericht damals getroffenen Weitergeltungsanordnung durfte § 66 StGB nur nach Maßgabe einer strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung weiter angewandt werden (vgl. BVerfGE aaO, S. 406, Rn. 172); in der Regel war der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nur unter der Voraussetzung gewahrt, dass „eine Gefahr schwerer Gewalt und/oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten“ war. Dies stellte eine Einschränkung gegenüber den Taten dar, die nach § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB als „erhebliche Straftaten“ zu werten sind (vgl. BGH, Beschluss vom 2. August 2011 – 3 StR 208/11, BGHR StGB § 66 Strikte Verhältnismäßigkeit

1).


12
Der Senat kann offenlassen, ob Raubtaten der vom Angeklagten begangenen Art, diesen strengen Maßstäben genügen würden (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 11. Dezember 2012 – 5 StR 431/12, BGHSt 58, 62, 70 mwN).
Denn diese erhöhten Anforderungen finden auf den vorliegenden Fall keine Anwendung mehr, weil die Tat am 12. Mai 2015 und damit nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5. Dezember 2012 (BGBl. I 2425) am 1. Juni 2013 begangen wurde. Mit der Schaffung des § 66c StGB durch dieses Gesetz wurde den Bedenken des Bundesverfassungsgerichts Rechnung getragen , die sich ausdrücklich auf die Ausgestaltung der Unterbringung der Sicherungsverwahrung und den vorhergehenden Strafvollzug, nicht aber auf die formellen und materiellen Anordnungsvoraussetzungen des § 66 StGB bezogen. Damit ist auch der Grund für die über den Gesetzeswortlaut hinausgehende Einschränkung des Anwendungsbereichs der Sicherungsverwahrung entfallen. Nach Inkrafttreten des genannten Gesetzes bestehen gegen die Gültigkeit und die Verfassungsmäßigkeit von § 66 Abs. 1 StGB keine Bedenken mehr (BGH, Urteile vom 24. Oktober 2013 – 4 StR 124/13, NJW 2013, 3735, 3736; vom 7. Januar 2015 – 2 StR 292/14, NStZ 2015, 208, 209). Anders als bei Taten, die nach dem Inkrafttreten des Gesetzes abgeurteilt, aber bereits vor dem 1. Juni 2013 begangen wurden, besteht kein Anlass, die erhöhten Voraussetzungen aus Vertrauensschutzgesichtspunkten weitergelten zu lassen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Januar 2015 aaO mwN).
13
bb) Maßstab für die Gefährlichkeitsprüfung nach § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB ist demnach, ob der Täter infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn aufgrund des bei ihm bestehenden Hanges die bestimmte Wahrscheinlichkeit besteht, dass er auch in Zukunft Straftaten begehen wird, die eine erhebliche Störung des Rechtsfriedens darstellen (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2002 – 4 StR 416/02, NStZ-RR 2003, 108). Als wesentlichen Anhaltspunkt für die Beurteilung der Erheblichkeit zu erwartender Straftaten nennt das Gesetz eine schwere seelische oder körperliche Schädigung der Op- fer. Bezugspunkt sind danach die wahrscheinlichen Folgen der zu erwartenden Straftaten.
14
Im vorliegenden Fall hat der Angeklagte, der sich seiner Opfer zudem im Sinne des § 239a Abs. 1 StGB bemächtigt hat, diese mit einer täuschend echt wirkenden Schreckschusspistole mit dem Tode bedroht. Dass die Waffe nicht geladen war, wussten die Opfer in der Tatsituation nicht. Der Umstand, dass die Bankangestellten im Hinblick auf solche Überfälle geschult sind, vermag ihnen für sich genommen weder die Angst zu nehmen, möglicherweise – geplant oder aufgrund unglücklicher Umstände – erschossen zu werden, noch bietet die Schulung eine Gewähr dafür, dass etwaige Banküberfälle tatsächlich ohne erhebliche psychische Folgen für die Bankangestellten bleiben. Auch Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben können über die Beeinträchtigung des seelischen Gleichgewichts hinaus körperliche oder nachhaltige psychische Folgen mit Krankheitswert nach sich ziehen, die ungeachtet der objektiven Ungefährlichkeit des Tatmittels entstehen können (BGH, Beschluss vom 11. Dezember 2012 aaO). Solche erheblichen psychischen und auch körperlichen Folgen sind bei der Geschädigten Fa. auch tatsächlich eingetreten.
15
3. Der Senat schließt aus, dass eine etwaige Maßregelanordnung Auswirkungen auf die verhängte Strafe gehabt hätte.
Mutzbauer Sander Schneider
Dölp König

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 196/17
vom
27. Juli 2017
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung
ECLI:DE:BGH:2017:270717U3STR196.17.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 27. Juli 2017, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Becker,
Richter am Bundesgerichtshof Gericke, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Spaniol, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Tiemann, Dr. Berg als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 8. Juni 2016, soweit es den Angeklagten L. betrifft, im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung in zehn Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren und sechs Monaten verurteilt; von Maßregelanordnungen hat es abgesehen. Dagegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten, auf das Unterbleiben der Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung beschränkten und auf eine Verfahrensbeanstandung sowie die Sachrüge gestützten Revision. Die auf die in allgemeiner Form erhobene Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten wendet sich insgesamt gegen seine Verurteilung. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg; die Revision des Angeklagten erweist sich hingegen als unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
I. Nach den Feststellungen des Landgerichts gewann der vielfach vorbestrafte Angeklagte, der bereits im Jahr 1999 wegen schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und im Jahr 2003 wegen schwerer räuberischer Erpressung in sieben Fällen sowie versuchter schwerer räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt worden war, im Herbst des Jahres 2014 - nur wenige Monate nach seiner letzten Haftentlassung - die Mitangeklagten S. und K. unabhängig voneinander dazu, gemeinsam mit ihm Raubüberfälle auf Banken zu begehen. Nach dem vereinbarten Tatplan sollte der Angeklagte das Fluchtfahrzeug fahren und in diesem warten, während einer der beiden Mitangeklagten in der Bank den eigentlichen Überfall durchführte. Der Angeklagte besorgte zudem die bei den Überfällen verwendeten, wie echte Waffen aussehenden Spielzeugpistolen bzw. Attrappen von Handgranaten und stellte sie dem tatausführenden Mitangeklagten zur Verfügung. Für die Überfälle wurde - teils gemeinsam, teils durch den Angeklagten allein - Kleidung gekauft, die nach den Taten vernichtet wurde. Die Spielzeugwaffen bzw. ungeladenen Waffen sollten den Opfern jeweils nur gezeigt und nicht gegen deren Kopf oder deren Körper gerichtet werden. Der in der Bank agierende Mitangeklagte sollte sich möglichst ruhig verhalten und eine von dem Angeklagten vorher verfasste handschriftliche Notiz überreichen , die - regelmäßig unter Androhung, andernfalls von der Waffe Gebrauch zu machen - die Bankmitarbeiter zur Geldzahlung aufforderte. Die Beute wurde - unter Abzug von Aufwendungen - geteilt; dies führte in der Regel der Angeklagte durch, der sich mitunter größere Beträge nahm, als ihm nach den getroffenen Vereinbarungen zustanden.
3
Auf die beschriebene Art und Weise beging der Angeklagte in der Zeit vom 8. Oktober 2014 bis zum 23. April 2015 zehn Banküberfälle, in sechs Fällen gemeinsam mit dem Mitangeklagten S. und in vier Fällen gemeinsam mit dem Mitangeklagten K. . Die Gesamtbeute betrug über 70.000 €. In zwei der Fälle holte der Mitangeklagte S. die Waffe nicht hervor, sondern nestelte nur an oder in seiner Jackentasche herum, um - jeweils mit Erfolg - deutlich zu machen, dass er tatsächlich bewaffnet war. In den übrigen Fällen zog er die Spielzeugpistole und hielt in drei Fällen den Lauf auch in Richtung der Bankmitarbeiter, ohne die Waffe allerdings gezielt gegen Körperteile oder den Kopf zu richten. Der Mitangeklagte K. zog in einem Fall die Plastikwaffe und hielt in den drei anderen Fällen eine Handgranatenattrappe in Händen. Die Bankmitarbeiter hielten die Waffen für echt bzw. konnten dies nicht ausschließen. Einige der Mitarbeiter hatten während der Überfälle Todesangst. Überwiegend haben sie die Überfälle gut verkraftet, wobei ein Teil der Zeugen psychologische Hilfe in Anspruch nehmen musste. Alle können weiter in ihrem Beruf arbeiten, zwei Zeuginnen sind wegen der Überfälle allerdings nicht mehr im Servicebereich tätig, weil sie sich dort nicht mehr sicher fühlen. Mehrere Zeuginnen denken immer noch - gelegentlich oder regelmäßig - an die Überfälle ; einige entwickeln dabei auch Angstgefühle bzw. sind schreckhafter oder achtsamer geworden.
4
Das Landgericht, das für die zehn Taten gegen den Angeklagten jeweils auf Einzelstrafen zwischen sieben Jahren und acht Jahren Freiheitsstrafe erkannt hat, hat von dessen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung abge- sehen, weil die Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB nicht vorlägen. Dabei hat es bereits das Vorhandensein eines Hangs im Sinne der Vorschrift für zweifelhaft gehalten; gleichwohl ist es in Übereinstimmung mit dem gehörten Sachverständigen davon ausgegangen, dass der Angeklagte nach seiner Entlassung aus der Strafhaft mit hoher Wahrscheinlichkeit Straftaten wie die im vorliegenden Verfahren abgeurteilten begehen wird. Diese seien in der konkreten Tatausführung allerdings gegenüber den Taten, die den früheren Verurteilungen zugrunde lagen, weniger schwerwiegend, weil vereinbarungsgemäß immer nur ungefährliche Scheinwaffen verwendet worden seien und die Mitangeklagten mit diesen "nicht konkret auf [die Opfer] gezielt" hätten. Selbst wenn danach ein Hang, Taten wie die abgeurteilten zu begehen, angenommen werden könnte, handele es sich bei diesen mit Blick darauf, dass die Anordnung der Sicherungsverwahrung nur als ultima ratio in Betracht komme und § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB deshalb restriktiv auszulegen sei, nicht um erhebliche Straftaten, denn keiner der Bankangestellten habe schwere seelische oder körperliche Schäden erlitten; es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass es sich "bei den vorliegenden Delikten in der konkreten Art und Weise der Tatausführung um solche [handele], die typischer Weise mit schweren seelischen Schädigungen" einhergingen.
5
II. Die wirksam auf die Nichtanordnung der Maßregel der Sicherungsverwahrung beschränkte und vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der Sachrüge Erfolg; auf die gleichfalls erhobene Verfahrensbeanstandung kommt es danach nicht mehr an.
6
Das Landgericht hat das Vorliegen der formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 - 3 StGB rechtsfehlerfrei festgestellt. Die Begründung, mit der es die materiellen Voraussetzungen der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung im Sinne von § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB verneint hat, hält hingegen revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
7
1. Nach dieser Vorschrift erfordert die Unterbringungsanordnung eine Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten, die ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
8
Ein Hang in diesem Sinne ist gegeben bei einem eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt; der Zustand muss gegenwärtig sein und ist aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festzustellen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 6. Mai 2014 - 3 StR 382/13, NStZ-RR 2014, 271, 272 mwN). Bezugspunkt eines solchen Hanges sind erhebliche Straftaten, also solche, die eine erhebliche Störung des Rechtsfriedens darstellen (vgl. BGH, Urteil vom 26. April 2017 - 5 StR 572/16, juris Rn. 13 mwN; LK/Rissing-van Saan/Peglau, 12. Aufl., § 66 Rn. 148; MüKoStGB/Ullenbruch/Drenkhahn/Morgenstern, 3. Aufl., § 66 Rn. 99).
9
Kriterien für die Erheblichkeit in diesem Sinne ergeben sich zunächst aus den gesetzgeberischen Wertungen, die maßgeblich für die Normierung der formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung geworden sind (LK/Rissing-van Saan/Peglau aaO, § 66 Rn. 149, 154; SSWStGB /Jehle/Harrendorf, 3. Aufl., § 66 Rn. 26 mwN; vgl. BGH, Beschluss vom 28. November 2002 - 5 StR 334/02, NStZ-RR 2003, 73, 74). Als erhebliche Straftaten kommen danach vornehmlich solche in Betracht, die in den Deliktskatalog von § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe a) bis c) StGB fallen (SSWStGB /Jehle/Harrendorf aaO) und die - wie Vorverurteilungen im Sinne von § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB - im konkreten Fall mit mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe zu ahnden wären, ohne dass letzteres allein zur Annahme der Erheblichkeit ausreicht (BGH, Beschluss vom 28. November 2002 - 5 StR 334/02, NStZ-RR 2003, 73, 74; LK/Rissing-van Saan/Peglau aaO, § 66 Rn. 154; S/SStree /Kinzig, StGB, 29. Aufl., § 66 Rn. 33).
10
Ein weiterer entscheidender Maßstab zur Bestimmung der Erheblichkeit ergibt sich aus der Hervorhebung der schweren seelischen oder körperlichen Schädigung der Opfer in § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB (MüKoStGB/Ullenbruch /Drenkhahn/Morgenstern aaO, § 66 Rn. 98, 103 f.; LK/Rissing-van Saan/Peglau aaO, § 66 Rn. 149; SSW-StGB/Jehle/Harrendorf aaO), wobei das Gesetz durch die Verwendung des Wortes "namentlich", welches der Wortbedeutung und dem Sinne nach wie "beispielsweise" oder "vor allem" zu verstehen ist, zum Ausdruck gebracht hat, dass mit der Nennung solcher Folgen keine abschließende Festlegung verbunden ist; damit sollen vielmehr lediglich Straftaten von geringerem Schweregrad ausgeschieden werden (BGH, Urteile vom 18. Mai 1971 - 4 StR 100/71, BGHSt 24, 153, 154 f.; vom 17. Dezember 1985 - 1 StR 539/85, NStZ 1986, 165; vom 9. Oktober 2001 - 5 StR 360/01, NStZ-RR 2002, 38; vom 18. Februar 2010 - 3 StR 568/09, NStZ-RR 2010, 172; S/S-Stree/Kinzig aaO; LK/Rissing-van Saan/Peglau aaO). Allerdings ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber durch die Streichung des weiteren Beispiels des schweren wirtschaftlichen Schadens in § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF durch das "Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen" vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I, S. 2300) eine stärkere Konzentration auf Delikte gegen grundlegende höchstpersönliche Rechtsgüter, insbesondere gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit und die sexuelle Selbstbestimmung erreichen wollte, ohne damit aber den Gesichtspunkt schwerer wirtschaftlicher Schäden ganz auszublenden; die Berücksichtigung wirtschaftlicher Schäden, zum Beispiel bei den ausweislich der expliziten Nennung der Delikte des 20. Abschnitts des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs in § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b) StGB weiterhin erfassten Raub- und Erpressungsdelikten, sollte nicht ausgeschlossen sein (BT-Drucks. 17/4062, S. 14; so auch S/S-Stree/Kinzig aaO Rn. 36; SSW-StGB/Jehle/Harrendorf aaO Rn. 28).
11
Bei der Beurteilung, ob die von dem Angeklagten hangbedingt zu erwartenden Taten in diesem Sinne "erheblich" sind, kommt es danach auf die Umstände des Einzelfalles an, die im Wege einer sorgfältigen Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten in den Blick zu nehmen sind (BGH, Urteile vom 18. Februar 2010 - 3 StR 568/09, NStZ-RR 2010, 172; vom 18. Mai 1971 - 4 StR 100/71, BGHSt 24, 153, 155). Bei dieser Gesamtwürdigung können neben der Schwere der zu erwartenden Taten und den genannten - auch nur potentiell bzw. typischerweise eintretenden (vgl. BGH, Urteile vom 24. März 2010 - 2 StR 10/10, NStZ-RR 2010, 239, 240; vom 9. Oktober 2001 - 5 StR 360/01, NStZ-RR 2002, 38) - Folgen für die Opfer auch die Tathäufigkeit oder die Rückfallgeschwindigkeit ins Gewicht fallen (BGH, Urteile vom 12. Juli 1988 - 1 StR 280/88, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Erheblichkeit 2; vom 26. Juni 1991 - 3 StR 186/91, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Erheblichkeit 3).
12
2. Nach den genannten Grundsätzen erweisen sich die Ausführungen des Landgerichts, mit denen es das Vorliegen eines Hangs des Angeklagten zur Begehung erheblicher Straftaten abgelehnt hat, als rechtsfehlerhaft.
13
Insoweit ist es - worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hingewiesen hat - bereits bedenklich, dass die Strafkammer - einen Hang des Angeklagten relativierend - darauf abgestellt hat, die konkrete Ausführung der abgeurteilten Taten zeige gegenüber denjenigen, die den Verurteilungen aus den Jahren 1999 und 2003 zugrunde lagen, "eine deutlich abmildernde Entwicklung" auf. Die fehlende Steigerung oder die Abnahme von Gewalt bzw. der Massivität der Drohung mit dieser spricht nicht gegen eine intensive Neigung zu Rechtsbrüchen. Einen Hang kann auch haben, wer mit abnehmender Intensität Straftaten begeht (BGH, Urteil vom 6. April 2016 - 2 StR 478/15, juris Rn. 16).
14
Jedenfalls die Verneinung der Erheblichkeit der von dem Angeklagten infolge des Hangs begangenen und - auch nach der Einschätzung des Landgerichts mit hoher Wahrscheinlichkeit - nach seiner Haftentlassung zukünftig zu erwartenden Straftaten im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Insoweit gilt:
15
Die hier in Rede stehenden Verbrechen der schweren räuberischen Erpressung gemäß § 249, § 250 Abs. 1, §§ 253, 255 StGB sind schon mit Blick auf die Mindeststrafdrohung von drei Jahren Freiheitsstrafe und die für die Tatopfer mit der Tatbegehung regelmäßig verbundenen psychischen Auswirkungen grundsätzlich als erhebliche Straftaten anzusehen; dies gilt auch, wenn bei einem Banküberfall nur mit einer ungeladenen Schreckschusspistole oder einer Waffenattrappe gedroht wird (BGH, Beschluss vom 4. August 2011 - 3 StR 235/11, juris Rn. 6; Urteil vom 26. April 2017 - 5 StR 572/16, juris Rn. 13 f.). Aber auch die konkrete Schwere der Taten spricht für ihre Wertung als erheblich : Das Landgericht hat in jedem der zehn abgeurteilten Fälle eine Einzelstrafe von mindestens sieben Jahren Freiheitsstrafe verhängt und dabei straferschwerend insbesondere die Vielzahl der erheblichen und auch einschlägigen Vorstrafen , die hohe Rückfallgeschwindigkeit, die professionelle Vorgehensweise und das routinemäßige Handeln, das seinen Ausdruck auch in der Vielzahl der Taten gefunden habe, berücksichtigt. All diese Umstände weisen nach den oben genannten Grundsätzen indes in aller Regel Straftaten als erheblich aus.
16
Jedenfalls hätte die Strafkammer aber diese Umstände im Rahmen der Maßregelentscheidung in eine Gesamtwürdigung des Angeklagten und seiner Taten einstellen müssen. Dies hat sie unterlassen und stattdessen allein auf die eingetretenen oder typischerweise zu erwartenden Folgen der Taten für die Opfer - die Bankangestellten - abgestellt. Auf den Erfolg allein kommt es bei der Beurteilung der Erheblichkeit aber nicht an (BGH, Urteile vom 17. Dezember 1985 - 1 StR 539/85, NStZ 1986, 165; vom 9. Oktober 2001 - 5 StR 360/01, NStZ-RR 2002, 38). Insoweit ist zudem bedenklich, dass das Landgericht maßgeblich auch darauf abgestellt hat, dass das Bankpersonal für die Situation eines Banküberfalls geschult sei; eine solche Schulung kann - wie auch die Fälle 2., 3., 5., 6., 7. und 10. der Urteilsgründe zeigen, in denen die Bankangestellten schockiert waren oder Todesangst hatten - den Opfern die Angst, bei einem Überfall verletzt oder getötet zu werden, nicht nehmen und bietet auch keine Gewähr dafür, dass ein Überfall tatsächlich ohne erhebliche psychische Folgen für ein Opfer bleibt (BGH, Urteil vom 26. April 2017 - 5 StR 572/16, juris Rn. 14). Einige der Opfer haben immer noch - wenn auch beherrschbare - Ängste und haben infolge der Überfälle zum Teil ihr Verhalten geändert bzw. bankintern ihre Stelle gewechselt. Dass die Strafkammer gleichwohl insgesamt von der Unerheblichkeit der auch nur potentiellen Folgen der von dem Angeklagten zu erwartenden Taten ausgegangen ist, lässt besorgen, dass sie - mit Blick auf den mehrfach zitierten Ultima-ratio-Charakter der Sicherungsverwahrung - von einem unzutreffenden Maßstab ausgegangen ist und nur besonders schwere seelische Schäden als ausreichend angesehen hat (vgl. BGH, Urteil vom 9. Oktober 2001 - 5 StR 360/01, NStZ-RR 2002, 38).
17
3. Dem unter 2. gefundenen Ergebnis steht Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht entgegen. Zwar haben sowohl der 2. Strafsenat (Urteil vom 19. Oktober 2011 - 2 StR 305/11, juris Rn. 13) als auch der 5. Strafsenat (Beschluss vom 11. Dezember 2012 - 5 StR 431/12, BGHSt 58, 62, 70) entschieden , dass Verbrechen des schweren Raubes nach § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b) StGB, bei denen als Drohmittel lediglich objektiv ungefährliche ungeladene Schreckschuss- oder Scheinwaffen eingesetzt werden, als Prognosetaten für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht ausreichen sollen. Diese Entscheidungen bezogen sich aber auf den Rechtszustand nach Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Regelungen zur Sicherungsverwahrung durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2333/08 u.a., BVerfGE 128, 326). Nach der von diesem damals getroffenen Weitergeltungsanordnung durfte § 66 StGB nur nach Maßgabe einer strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung weiter angewandt werden (vgl. BVerfG aaO, S. 406, Rn. 172); Anknüpfungspunkt für die Gefahrenprognose waren deshalb zu erwartende schwere Gewalt- und/oder Sexualstraftaten.
18
Diese erhöhten Anforderungen finden auf den vorliegenden Fall keine Anwendung, weil die Taten ab Oktober 2014 und damit nach dem Inkrafttreten des "Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung" vom 5. Dezember 2012 (BGBl. I 2425) am 1. Juni 2013 begangen wurden. Mit diesem Gesetz wurde den Bedenken des Bundesverfassungsgerichts Rechnung getragen, die sich ohnehin nur auf die Ausgestaltung der Unterbringung der Sicherungsverwahrung und den vorhergehenden Strafvollzug, nicht aber auf die formellen und materiellen Anordnungsvoraussetzungen des § 66 StGB bezogen. Nach dessen Inkrafttreten bestehen gegen die Gültigkeit und die Verfassungsmäßigkeit von § 66 Abs. 1 StGB keine Bedenken mehr (BGH, Urteile vom 24. Oktober 2013 - 4 StR 124/13, NJW 2013, 3735, 3736; vom 7. Januar 2015 - 2 StR 292/14, NStZ 2015, 208, 209; vom 26. April 2017 - 5 StR 572/16, juris Rn. 12). Es besteht bei Taten, die nach der Gesetzesänderung begangen wurden, auch kein Anlass, die erhöhten Voraussetzungen aus Vertrauensschutzgesichtspunkten weitergelten zu lassen (vgl. BGH, Urteil vom 26. April 2017 - 5 StR 572/16, aaO mwN).
19
III. Die Revision des Angeklagten ist unbegründet, weil die umfassende Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben hat.
Becker Gericke Spaniol Tiemann Berg

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

5 StR 360/01

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 9. Oktober 2001
in der Strafsache
gegen
wegen räuberischen Diebstahls u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. Oktober
2001, an der teilgenommen haben:
Richter Basdorf als Vorsitzender,
Richter Häger,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 12. Februar 2001 wird verworfen. Der Angeklagte hat die Kosten seiner Revision zu tragen.
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das genannte Urteil aufgehoben, soweit die Anordnung von Sicherungsverwahrung unterblieben ist; ferner wird es zugunsten des Angeklagten im Gesamtstrafausspruch aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten wegen räuberischen Diebstahls in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit dreifacher Freiheitsberaubung, wegen Diebstahls in 18 Fällen und wegen versuchten Diebstahls in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten erweist sich als unbegründet. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist, wie die Auslegung der Revisionsbegründung erweist, zum Nachteil des Angeklagten auf die Überprüfung des Unterlassens der Anordnung der Sicherungsverwahrung beschränkt. Das Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt vertreten wird, hat Erfolg.

I.


Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Der 1968 in Beirut geborene Angeklagte lebt seit 1983 in Berlin. Er verschaffte sich seinen Lebensunterhalt im wesentlichen durch die Begehung von Eigentumsdelikten und wurde vielfach verurteilt, zuletzt im Jahre 1996 wegen mehrerer Trickdiebstähle aus Wohnungen betagter Frauen; zwei dieser Taten wurden mit Einzelfreiheitsstrafen von je einem Jahr, eine mit einer solchen von einem Jahr und sechs Monaten geahndet. Die Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten wurde vollständig bis zum 2. August 1999 vollstreckt.
Der Angeklagte verschaffte sich vom 21. Oktober 1999 bis zu seiner Festnahme am 18. Januar 2000 auf ähnliche Weise aus 14 Wohnungen vor allem Bargeld und Schmuck im Wert von insgesamt über 39.000 DM. In sechs Fällen konnte der Angeklagte nach Trickdiebstahl der Wohnungsschlüssel keine Beute erzielen. Dabei hatte der Angeklagte die Aufmerksamkeit der hochbetagten, seh- und gehbehinderten Frauen auf von ihm vorgehaltene Visitenkarten oder Zettel mit Scheinanschriften in der Nähe ihrer Wohnungen gelenkt. Einmal blieb seine List, durch blitzschnelles Aufdrehen aller Wasserhähne einen Wasserschaden vorzutäuschen und die dadurch entstandene Verwirrung der Wohnungsinhaberin auszunutzen, erfolglos. In einem Fall mißlang der Schlüsseldiebstahl aus einer Handtasche.
Beim Verlassen einer Wohnung mit Schmuck und Bargeld schlug der Angeklagte mit beiden Fäusten gegen die Brust der 80jährigen Geschädigten , um sich im Besitz der Beute zu halten (Fall 15). Die Geschädigte fiel auf den Rücken und zog sich langandauernd schmerzhafte Prellungen zu. In
einem weiteren Fall (Fall 20) schlug der Angeklagte die Hand der 87jährigen Geschädigten weg und sicherte dadurch erneut seinen Gewahrsam an gestohlenen Geldscheinen. Anschließend schloß er die alte Frau und zwei weitere in der Wohnung weilende über 90 Jahre alte Personen im Wohnzimmer ein, um ungestört mit der Beute flüchten zu können.

II.


Die mit der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten bleibt erfolglos. Das Landgericht hat die Taten, denen ein einheitliches “handschriftartiges” Handlungsmuster zugrundeliege, mit zahlreichen Indizien nach fehlerfreier Gesamtwürdigung (vgl. BGHR StPO § 261 ± Beweiswürdigung 2 m.w.N.) sämtlich allein dem Angeklagten zugerechnet.
Entgegen der Auffassung der Revision war das Landgericht auch nicht verpflichtet, die Merkmale der inneren Tatseite hinsichtlich der Nötigungen und der Körperverletzung näher darzulegen. Aus der Schilderung des äußeren Sachverhalts ergibt sich hier vorsätzliches Handeln des Angeklagten von selbst (vgl. BGHR StGB § 15 ± Vorsatz, bedingter 2).
Der Schuldspruch enthält keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten. Die maßvollen Strafaussprüche sind nicht zu beanstanden.

III.


Die auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
1. Die Begründung, mit der das Landgericht eine Anwendung von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB ausschließt, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Strafkammer hat dazu ausgeführt, die dissoziale Persönlichkeitsstruktur
des Angeklagten lasse zwar ähnliche Straftaten der mittleren Eigentumskriminalität erwarten, deren Gewicht erreiche aber “in jedem Einzelfall aus Rechtsgründen noch nicht die Qualität einer besonders schweren seelischen Beeinträchtigung oder eines besonders schweren wirtschaftlichen Schadens”. Damit werden mit den gesetzlichen Voraussetzungen von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht zu vereinbarende erhöhte Anforderungen gestellt. Diese Vorschrift verlangt eine Gefährlichkeit des Täters für die Allgemeinheit aufgrund eines Hanges zu erheblichen Straftaten; hierfür genügen auch Taten, durch die ein schwerer seelischer, körperlicher oder wirtschaftlicher Schaden verwirklicht wird. Wenn das Landgericht “besonders” schwere seelische Beeinträchtigungen oder “besonders” schwere wirtschaftliche Schäden fordert , so überschreitet es den ihm eingeräumten Rahmen tatrichterlichen Beurteilungsspielraums (BGHR StGB § 66 Abs. 1 ± Erheblichkeit 1). Feststellungen zu seelischen Schäden hat das Landgericht zudem nicht getroffen, obwohl solche Auswirkungen angesichts der meist hochbetagten, zum Teil gebrechlichen und in panische Angst geratenen Opfer (UA S. 23) naheliegen (vgl. BGHR § 66 StGB Abs. 1 ± Erheblichkeit 3). Die Strafkammer hat auch nicht bedacht, daû die beiden als räuberische Diebstähle ausgeurteilten Taten belegen, daû der Angeklagte zur Sicherung seiner Beute bereit ist, Gewalt anzuwenden, die gerade bei den betagten und behinderten Opfern auch zu schweren körperlichen Schäden führen kann. Die vom Angeklagten begangene Diebstahlsserie hätte auûerdem eine Würdigung des Gesamtschadens als schwerer wirtschaftlicher Schaden im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB nahegelegt. Bei Diebstählen, die planmäûig auf Wiederholung angelegt sind oder infolge des Hanges in rascher Folge begangen wurden, ist nämlich die Höhe des durch die Tat insgesamt verursachten Schadens maûgebend (BGHSt 24, 153, 157; 24, 345, 347; BGH NStZ 1984,

309).


Unabhängig von diesen Einzelerwägungen wird die Gesetzesauslegung des Landgerichts dem im Gesetz zum Ausdruck kommenden Anliegen
nicht gerecht. Daû gemäû § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB ªnamentlichº solche Straftaten als ªerheblichº eingestuft werden, die zu schweren Schäden führen , hat vornehmlich den Sinn, Straftaten von geringerem Schweregrad auszuscheiden , soll aber keine abschlieûende Regelung bedeuten (BGH NStZ 1986, 165). Entscheidend soll vielmehr sein, daû die Straftaten einen hohen Schweregrad aufweisen und den Rechtsfrieden empfindlich stören (BGHR StGB § 66 Abs. 1 ± Erheblichkeit 3). Die Erheblichkeit einer Straftat ist also nicht allein am eingetretenen Erfolg zu messen (vgl. BGH NStZ aaO). Das gehäufte gezielte, in der Regel durch Trickdiebstahl vorbereitete Eindringen des Angeklagten in Wohnungen betagter und gebrechlicher Frauen zur Begehung von gewerbsmäûigen Diebstählen bei Inkaufnahme auch körperlicher Konfrontationen läût schwerlich eine andere Beurteilung zu als die, daû es sich um eine den Rechtsfrieden ganz empfindlich störende, die Allgemeinheit erheblich in Mitleidenschaft ziehende und damit ªerhebliche Straftatº handelt.
2. Zwar schlieût der Senat aus, daû die Einzelstrafen geringer hätten ausfallen können, wenn der Tatrichter Sicherungsverwahrung verhängt hätte (vgl. BGHR StGB § 66 ± Strafausspruch 1; BGH StV 2000, 615, 617; BGH, Urteil vom 7. November 2000 ± 1 StR 377/00 ±). Er vermag indes nicht auszuschlieûen , daû die Gesamtstrafe milder bemessen worden wäre, falls das Landgericht zugleich auf Sicherungsverwahrung erkannt hätte (vgl. BGH NJW 1980, 1055, 1056). Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es bei dem hier vorliegenden Wertungsfehler aber nicht. Weitergehende, den bis-
herigen nicht widersprechende Feststellungen darf der neue Tatrichter, der gemäû § 246a StPO den psychiatrischen Sachverständigen (nur noch) zur Frage einer Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung erneut zu hören haben wird, treffen.
Basdorf Häger Gerhardt Brause Schaal

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 568/09
vom
18. Februar 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 18. Februar
2010, an der teilgenommen haben:
Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible
als Vorsitzende,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
von Lienen,
Hubert,
Dr. Schäfer
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 12. August 2009 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hatte den Angeklagten in einem ersten Urteil wegen Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Bedrohung zu einer "Freiheitsstrafe" von drei Jahren und sechs Monaten (Einzelstrafen von zwei Jahren sowie zwei Jahren und sechs Monaten) verurteilt sowie die Sicherungsverwahrung angeordnet. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten war nur insoweit erfolgreich, als der Senat das Urteil im Strafausspruch dahin berichtigt hat, dass der Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt war, und im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen wegen fehlender Erörterungen zu einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt aufgehoben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen hat. Nunmehr hat das Landgericht sowohl die Maßregel nach § 64 StGB als auch die nach § 66 Abs. 1 StGB angeordnet und bestimmt, dass die Unterbringung in der Entziehungsanstalt zuerst zu vollziehen ist. Die Revision des Angeklagten richtet sich mit einer Verfahrensrüge sowie mit sachlichrechtlichen Beanstandungen allein gegen die Anordnung der Sicherungsverwahrung. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
2
1. Die Beschränkung der Revision auf die Anordnung der Sicherungsverwahrung ist nicht wirksam. Zwischen ihr und der durch den Beschwerdeführer vom Revisionsangriff ausgenommenen Maßregel nach § 64 StGB besteht hier ein nicht trennbarer Zusammenhang.
3
2. Die Rüge, das Landgericht habe fehlerhaft einen Antrag auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens abgelehnt, versagt. Das Gutachten sollte beweisen, dass die Handlungen des Angeklagten bei dem Opfer der beiden Körperverletzungen "keine schweren seelischen oder körperlichen Schäden herbeigeführt haben und hierzu auch nicht geeignet waren". Zutreffend hat das Landgericht den Antrag zurückgewiesen. Soweit in der Beweisbehauptung ein Tatsachenkern über den Umfang und die Auswirkungen der Körperverletzungen zu finden ist, stehen einer Beweisaufnahme die bindenden Feststellungen zum Schuld- und Strafausspruch entgegen. Soweit der Antrag auf eine Wertung der Verletzungen, naheliegend auf eine Subsumtion der Taten unter solche im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB abzielt, handelt es sich nicht um eine Tatsache, sondern um eine rechtliche Einordnung, die das Gericht in eigener Verantwortung zu treffen hat.
4
3. Die Unterbringung des Angeklagten in der Entziehungsanstalt hält rechtlicher Nachprüfung stand. Zwar hat das Landgericht die bei der Verhängung von Freiheitsstrafen von mehr als drei Jahren nach § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB vorgesehene Entscheidung über einen teilweisen Vollzug der Strafe vor der Maßregel unterlassen. Indes hat der Beschwerdeführer, der sich in dieser Sache seit dem 16. März 2008 in Haft befindet, inzwischen mehr als die Hälfte der erkannten Freiheitsstrafe verbüßt, so dass die Entscheidung über einen Vorwegvollzug nunmehr unterbleiben muss (vgl. BGH NStZ-RR 2009, 233).
5
4. Frei von rechtlichen Bedenken ist - entgegen der Ansicht der Revision und des Generalbundesanwalts - auch die Annahme des Landgerichts, bei dem Angeklagten sei ein Hang gegeben zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, und er sei deshalb für die Allgemeinheit gefährlich (§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB).
6
Das Landgericht ist zutreffend von Folgendem ausgegangen: Was unter "erheblichen" Straftaten zu verstehen ist, kann nicht allgemein gesagt werden. Der Hinweis in § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB auf Taten mit schweren körperlichen oder seelischen Schädigungen der Opfer (sowie - was hier nicht in Rede steht - mit schweren wirtschaftlichen Schäden) stellt keine abschließende Regelung dar. Vielmehr kann sich jenseits dieser Beispielsfälle die Erheblichkeit auch aus anderen Umständen ergeben. Entscheidend ist, ob der Täter als für die Allgemeinheit gefährlich erscheint, weil von ihm Straftaten zu erwarten sind, die den Rechtsfrieden empfindlich stören (st. Rspr.; BGHSt 24, 153, 154 f.; BGHR StGB § 66 Abs. 1 Erheblichkeit 3, 6; BGH NStZ 1986, 165). Die Beurteilung, ob die Anlasstat und die übrigen Taten, in denen die formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung gefunden werden, in diesem Sinne "erheblich" und damit symptomatisch für einen Hang sind, muss im Einzelfall aufgrund einer sorgfältigen Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten erfolgen (BGHSt 24, 153, 156). Dabei sind ggf. auch länger zurückliegende Taten zu berücksichtigen (vgl. BGH NStZ 1999, 502, 503; StV 2007, 633).
7
Die auf dieser Grundlage getroffene Beurteilung des Landgerichts, bei der zweiten Anlasstat sei das Opfer seelisch und körperlich schwer geschädigt worden und die erste Anlasstat sei - sofern eine solche Schädigung des Opfers nicht vorliege - jedenfalls geeignet, den Rechtsfrieden in empfindlicher und schwerwiegender Weise zu stören, ist rechtsfehlerfrei. In beiden Fällen brachte der Angeklagte seinem wehrlosen Opfer jeweils mit zahlreichen Faustschlägen blutende Verletzungen im Gesicht bei. Nach der ersten Tat befand es sich in einem so schlechten Zustand, dass der Angeklagte es selbst in die stabile Seitenlage verbrachte, weil er befürchtete, es werde andernfalls an seinem Blut ersticken. Bei der zweiten Tat war das Opfer etwa acht Stunden bewusstlos und musste anschließend drei Tage lang stationär im Krankenhaus behandelt werden. Die nur wenige Tage auseinanderliegenden Taten beging der Angeklagte gut einen Monat nach seiner Entlassung aus dem Strafvollzug, wo er eine zwölfjährige Freiheitsstrafe wegen eines im Jahr 1993 begangenen Tötungsdelikts und den Rest einer neunjährigen Freiheitsstrafe u. a. wegen einer im Jahr 1985 begangenen schweren räuberischen Erpressung verbüßt hatte. Neben diesen Symptomtaten hat der Angeklagte auch durch den ebenfalls im Jahr 1985 begangenen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr seine außergewöhnliche Rücksichtslosigkeit gezeigt.
8
Auch die übrigen Darlegungen des Landgerichts sind ohne Rechtsfehler: Sachverständig beraten hat die Strafkammer ausführlich begründet, dass es sich bei dem Angeklagten um eine dissoziale Persönlichkeit mit geringer Frustrationstoleranz und extrem hoher Aggressionsneigung handelt, die durch einen ausgeprägten Mangel an Opferempathie, an Schuldbewusstsein und an der Fähigkeit, aus den Bestrafungen zu lernen, auffällt und von der vergleichbare Taten mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind. Sost-Scheible Pfister von Lienen Hubert Schäfer

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 643/17
vom
24. Mai 2018
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs Widerstandsunfähiger u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:240518U4STR643.17.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 24. Mai 2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof Roggenbuck, Richter am Bundesgerichtshof Dr. Quentin, Dr. Feilcke, Dr. Paul als beisitzende Richter,
Staatsanwältin – in der Verhandlung –, Erster Staatsanwalt – bei der Verkündung – als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwältin als Verteidigerin,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 11. Juli 2017 wird verworfen.
Jedoch wird das vorgenannte Urteil im Schuldspruch klarstellend wie folgt neu gefasst: Der Angeklagte ist des sexuellen Übergriffs, exhibitionistischer Handlungen in 43 Fällen und des tateinheitlichen Besitzes kinder- und jugendpornographischer Schriften schuldig; im Übrigen ist er freigesprochen.
Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen „sexuellen Missbrauchs Widerstandsunfähiger“, wegen exhibitionistischer Handlungen in 43 Fällen und wegen tateinheitlichen Besitzes kinder- und jugendpornographischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Mit ihrer auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision wendet sich die Beschwerdeführerin ausschließlich gegen die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung. Das Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt nicht vertreten wird, bleibt ohne Erfolg.

I.


2
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der unter anderem wegen zweier Sexualstraftaten vorbestrafte, bis August 2012 in Haft bzw. im Maßregelvollzug befindliche Angeklagte – 1994 wurde er wegen einer im Jahr 1993 begangenen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung und mit räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und 2004 wegen einer im Jahr 2003 begangenen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt – war im Internet auf Videos aufmerksam geworden, in denen Männer in Zügen masturbierten und dabei mit ihren Mobiltelefonen sich selbst und weibliche Fahrgäste filmten. Er beschloss, solche Videos als Mittel zu seiner sexuellen Stimulation selbst anzufertigen. Zwischen Januar 2014 und November 2016 befuhr er nach dem Erwerb einer Tagesfahrkarte zumeist samstags mehrere Stunden lang mit Regionalzügen die Strecke zwischen H. und D. in beide Richtungen.
4
Am späten Abend des 30. April 2016 filmte er eine Frau, die auf einer Sitzbank des Zuges lag und schlief, wobei ihr Kopf auf einer Armlehne ruhte. Der Angeklagte stellte sich neben sie und manipulierte dabei an seinem entblößten erigierten Penis. Sodann strich er ihr mit seinem Penis durch die Haare. Als sich die Frau daraufhin im Schlaf durch die Haare fuhr, wobei es nicht zu einer Berührung des Geschlechtsteils des Angeklagten kam, entfernte er sich. Einige Minuten später kehrte er zurück und manipulierte erneut neben dem Kopf der schlafenden Frau an seinem entblößten erigierten Penis, ohne dass eine Berührung der Schlafenden stattfand. Weder sie selbst noch andere Fahrgäste nahmen die Handlungen des Angeklagten wahr.
5
In 43 weiteren Fällen im vorgenannten Tatzeitraum setzte sich der Angeklagte im Zug in die Nähe weiblicher Fahrgäste, jeweils nicht mehr als zwei Meter von ihnen entfernt. Er begann, die Frauen zu filmen, und masturbierte hierbei ; dies wurde jeweils von den betroffenen Frauen wahrgenommen, die sich hierdurch belästigt fühlten.
6
Bei einer Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten am 2. Dezember 2016 wurden auf zwei Computern insgesamt 15 kinderpornographische und 31 jugendpornographische Bilddateien sichergestellt, die der Angeklagte dort abgelegt hatte.
7
2. Das Landgericht hat für die Tat des „sexuellen Missbrauchs Wider- standsunfähiger“ eine Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahrenund drei Monaten, für die 43 Fälle exhibitionistischer Handlungen Einzelfreiheitsstrafen von jeweils neun Monaten und für den tateinheitlichen Besitz kinder- und jugendpornographischer Schriften eine Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verhängt.
8
Sachverständig beraten hat es von einer Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 1 und Abs. 3 StGB abgesehen. Die formellen Voraussetzungen der Maßregel gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a) und b), Nr. 2 und Nr. 3 StGB lägen ebenso vor wie ein Hang des Angeklagten, Straftaten zu begehen, jedoch sei dieser Hang des An- geklagten nicht mehr, wie von § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB vorausgesetzt, auf die Begehung erheblicher Straftaten gerichtet.
9
Zwar seien vom Angeklagten vergleichbare Straftaten wie die vorliegenden zu erwarten, einschließlich derjenigen des „sexuellen Missbrauchs“, die einen als mittelschwer zu beurteilenden Fall dieses Straftatbestandes darstelle; hierbei handele es sich jedoch nicht um erhebliche Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB. Hingegen sei die Begehung schwerwiegender Taten durch ihn – etwa Vergewaltigungen – nicht mit einer bestimmten, auf konkreten Umständen beruhenden Wahrscheinlichkeit zu erwarten; eine solche Tat habe er seit dem Jahr 2003 nicht mehr begangen.

II.


10
Die Revision der Staatsanwaltschaft bleibt ohne Erfolg.
11
1. Das Rechtsmittel ist wirksam auf die Nichtanordnung der Maßregel der Sicherungsverwahrung beschränkt.
12
a) Grundsätzlich ist eine Beschränkung der Revision auf das Unterlassen einer Maßregelanordnung möglich; dies gilt auch für die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung (vgl. etwa BGH, Urteile vom 8. August 2017 – 5 StR 99/17, NStZ-RR 2017, 310, 311; vom 29. November 2017 – 5 StR 446/17).
13
b) Zwischen Strafe und Nichtanordnung von Sicherungsverwahrung besteht aufgrund der Zweispurigkeit des Sanktionensystems grundsätzlich keine Wechselwirkung (vgl. BGH, Urteile vom 10. Oktober 2006 – 1 StR 284/06, NStZ 2007, 212, 213; vom 1. Juli 2008 – 1 StR 183/08; vom 23. Februar 1994 – 3 StR 679/93, NStZ 1994, 280, 281; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 318 Rn. 26).
14
Etwas anderes gilt dann, wenn das Tatgericht die Höhe der Strafe von der Nichtanordnung von Sicherungsverwahrung abhängig gemacht und damit Strafe und Maßregel in einen inneren, eine getrennte Prüfung beider Rechtsfolgen ausschließenden Zusammenhang gesetzt hat (vgl. BGH, Urteile vom 3. Februar 2011 – 3 StR 466/10, insofern nicht abgedruckt in NStZ-RR 2011, 172; vom 11. Juli 2013 – 3 StR 148/13, NStZ 2013, 707). Dies ist hier nicht der Fall.
15
2. Die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 StGB hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand. Die Annahme des Landgerichts, beim Angeklagten bestehe kein Hang zur Begehung erheblicher Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB mehr, weil die Anlasstat des „sexuellen Missbrauchs Widerstandsunfähiger“ – ebensowie zu erwartende vergleichbare Taten – keine erhebliche Straftat in diesem Sinne sei und schwerere Taten nicht zu erwarten seien, ist rechtsfehlerfrei begründet.
16
a) Mit ihrem Einwand, das Landgericht habe die Anlasstat zu Unrecht nicht als erheblich in diesem Sinne eingestuft und ihr deshalb rechtsfehlerhaft einen Symptomcharakter für die Gefährlichkeitsprognose abgesprochen, dringt die Beschwerdeführerin nicht durch.
17
aa) Erhebliche Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB sind nach ständiger Rechtsprechung solche, die den Rechtsfrieden empfindlich stören (vgl. BGH, Urteile vom 18. Mai 1971 – 4 StR 100/71, BGHSt 24, 153, 154; vom 17. Dezember 1985 – 1 StR 539/85, NStZ 1986, 165; vom 26. April 2017 – 5 StR 572/16; vom 27. Juli 2017 – 3 StR 196/17). Kriterien hierfür ergeben sich zunächst aus den gesetzgeberischen Wertungen, die maßgeblich für die Normierung der formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung geworden sind. Als erhebliche Straftaten kommen danach vornehmlich solche in Betracht, die in den Deliktskatalog von § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a) bis c) StGB fallen und die – wie Vorverurteilungen im Sinne von § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB – im konkreten Fall mit mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe zu ahnden wären, wobei dieser Gesichtspunkt allein zur Annahme der Erheblichkeit allerdings nicht ausreicht (vgl. BGH, Beschluss vom 28. November 2002 – 5 StR 334/02, NStZ-RR 2003, 73, 74; LK/Rissing-van Saan/Peglau, StGB, 12. Aufl., § 66 Rn. 148; MüKoStGB/Ullenbruch/Drenkhahn/ Morgenstern, 3. Aufl., § 66 Rn. 101). Ein weiteres gewichtiges Kriterium zur Bestimmung der Erheblichkeit ergibt sich aus der Hervorhebung der schweren seelischen oder körperlichen Schädigung der Opfer in § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB („namentlich“),wobei aber auch damit keine abschließende Festlegung verbunden ist (vgl. BGH, Urteile vom 18. Mai 1971 – 4 StR 100/71, BGHSt 24, 153, 154; vom 9. Oktober 2001 – 5 StR 360/01, NStZ-RR 2002, 38).
18
Zur Beurteilung, ob die von einem Angeklagten hangbedingt zu erwar- tenden Taten in diesem Sinne „erheblich“ sind, kann daher kein genereller Maßstab angelegt werden (vgl. BGH, Urteil vom 18. Februar 2010 – 3 StR 568/09, NStZ-RR 2010, 172; MüKoStGB/Ullenbruch/Drenkhahn/Morgenstern, aaO, § 66 Rn. 98, 103); erforderlich ist vielmehr eine Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalles, bei der neben der Schwere der zu erwartenden Taten und den – auch nur potentiell bzw. typischerweise eintretenden – Folgen für die Opfer auch die Tathäufigkeit oder die Rückfallgeschwin- digkeit ins Gewicht fallen können (vgl. BGH, Urteile vom 12. Juli 1988 – 1 StR 280/88, BGHR StGB § 66 Erheblichkeit 2; vom 24. März 2010 – 2 StR 10/10, NStZ-RR 2010, 239, 240). Zudem ist im Bereich der mittleren Kriminalitätdem Tatrichter, der allein in der Lage ist, eine umfassende Würdigung aller Umstände der Tat und der Persönlichkeit des Täters vorzunehmen, bei der Entscheidung der Frage, ob er einen Hang zu erheblichen Taten bejahen kann, ein Beurteilungsspielraum eingeräumt; seine Entscheidung kann vom Revisionsgericht nur dann beanstandet werden, wenn der Tatrichter nicht alle für die Gesamtwürdigung bedeutsamen Umstände gewürdigt hat oder das Ergebnis seiner Würdigung den Rahmen des noch Vertretbaren sprengt (vgl. BGH, Urteile vom 24. März 2010 – 2 StR 10/10, aaO; vom 27. Juli 2000 – 1 StR 263/00, NStZ 2000, 587, 588; vom 26. August 1987 – 3 StR 305/87, wistra 1988, 22, 23; vom 20. Mai 1980 – 4 StR 187/80, JZ 1980, 532).
19
bb) An diesen Grundsätzen gemessen hält die Annahme des Landgerichts , die vorliegende Anlasstat des „sexuellen Missbrauchs Widerstandsunfähiger“ stelle – ebenso wie die zu erwartenden vergleichbaren Taten – keine erhebliche Straftat im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB dar, revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.
20
Soweit das Landgericht zur Begründung zunächst darauf verwiesen hat, die Anlasstat und die zu erwartenden vergleichbaren Taten seien deshalb nicht erheblich, weil hierdurch dem Opfer keine schweren seelischen oder körperlichen Schäden zugefügt würden, steht dieser Gesichtspunkt – für sich betrachtet – der Annahme erheblicher Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB allerdings nicht entgegen. Denn das Gesetz hat, wie bereits ausgeführt, mit den Worten, dass unter erheblichen Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB „namentlich“ solche zu verstehen seien, „durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden“, keine abschließende Festlegung vorgenommen, wann eine Straftat in diesem Sinne erheblich ist, sondern erfordert stets eine Prüfung und Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls (vgl. BGH, Urteile vom 18. Mai 1971 – 4 StR 100/71, BGHSt 24, 153, 154 f.; vom 9. Oktober 2001 – 5 StR 360/01, NStZ-RR 2002, 38 f.).
21
Die Strafkammer hat jedoch eine solche Prüfung und Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls vorgenommen. Sie hat bei der Beurteilung der vom Angeklagten zu erwartenden Taten nicht etwa einseitig nur auf mögliche Tatfolgen – ausgehend von der geringen Folge bei der vorliegenden Anlasstat – abgestellt. Vielmehr hat sie auch das konkrete Erscheinungsbild der Tat und ihre Begehungsweise in den Blick genommen. So hat sie darauf verwiesen, dass diese Tat nur wenige Sekunden andauerte. Darüber hinaus hat sie berücksichtigt , dass die Handlung zwar in Gesichtsnähe erfolgte, der Angeklagte jedoch lediglich die Haare der Geschädigten berührte, wodurch es – ohne jede Gewaltanwendung – nur zu einem geringen körperlichen Kontakt zwischen dem Angeklagten und der Geschädigten kam.
22
Angesichts dieser Umstände ist das Landgericht bei der Beurteilung der Erheblichkeit der Anlasstat im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB von einer sexuellen Handlung ausgegangen, die sich in ihrem Schweregrad nur unwesentlich von den dem Angeklagten im Übrigen angelasteten exhibitionistischen Handlungen – die die Schwelle zur Erheblichkeit im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB nicht erreichen (vgl. BT-Drucks. VI/3521, S. 55; Fischer, StGB, 65. Aufl., § 66 Rn. 57) – unterscheidet. Dem steht auch nicht entgegen, dass es für diese Tat eine Einzelstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verhängt hat, da diese Strafhöhe ersichtlich nicht auf die Tatschwere oder die Tatfolgen, sondern auf die Vorstrafen des Angeklagten zurückzuführen ist; für die Beurteilung der objektiven Erheblichkeit der Anlasstat kommt der strafrechtlichen Vorbelastung jedoch nur eingeschränkte Aussagekraft zu.
23
Das Landgericht hat schließlich bei seiner Beurteilung der Erheblichkeit der Anlasstat auch keinen wesentlichen Umstand unberücksichtigt gelassen und sich insbesondere mit den Vorverurteilungen des Angeklagten auseinandergesetzt. Insgesamt hält sich seine Beurteilung der Erheblichkeit dieser Tat innerhalb des dem Tatgericht insoweit eingeräumten Beurteilungsspielraums. Es begegnet daher keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht die Anlasstat nicht als ausreichendes Symptom für einen Hang des Angeklagten zur Begehung erheblicher Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB angesehen hat.
24
b) Mit ihren weiteren Einwänden gegen die Gefährlichkeitsprognose des Landgerichts zeigt die Beschwerdeführerin ebenfalls keinen Rechtsfehler des angefochtenen Urteils auf.
25
aa) Soweit die Staatsanwaltschaft hier zunächst beanstandet, das Landgericht habe bei der Würdigung des Angeklagten und seiner Taten das Fortbestehen seiner Persönlichkeitsstörung sowie seine Lernunwilligkeit und Therapieresistenz nicht ausreichend berücksichtigt, dringt sie hiermit nicht durch. Denn das Landgericht hat sich im angefochtenen Urteil mit diesen Umständen ausführlich auseinandergesetzt. So hat es seine Annahme, dass mit weiteren Straftaten des Angeklagten – die allerdings im Schweregrad den festgestellten Taten entsprächen – zu rechnen sei, gerade auf die Persönlichkeitsstörung und Lernunwilligkeit des Angeklagten zurückgeführt. Die von der Revisionsbegründung der Beschwerdeführerin abweichende Bewertung der Schwere der zu er- wartenden Straftaten durch das Landgericht ist jedoch, worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hingewiesen hat, vertretbar und damit revisionsrechtlich nicht angreifbar.
26
bb) Auch soweit die Beschwerdeführerin beanstandet, die Strafkammer habe bei der Beurteilung der Rückfallgeschwindigkeit des Angeklagten zu Unrecht zu dessen Gunsten berücksichtigt, dass die Begehung der letzten schweren Tat durch ihn mehr als dreizehn Jahre zurückliege, ohne hiervon die Zeiten seiner Strafhaft und Unterbringung im Maßregelvollzug abzuziehen, zeigt sie einen Rechtsfehler des angefochtenen Urteils damit nicht auf. Denn das Landgericht hat bei der Berücksichtigung des Zeitablaufs seit der im Jahr 2003 begangenen Tat ersichtlich sowohl die Strafhaft als auch die anschließende Unterbringung des Angeklagten im Blick gehabt; dies zeigt sich insbesondere in der Erwägung der Strafkammer, der Angeklagte sei während der langjährig absolvierten Therapie in der LWL-Klinik, in der sich auch weibliche Patienten befanden , nicht durch Straftaten zu deren Nachteil auffällig geworden.
27
3. Zutreffend hat das Landgericht die Tat zu II 2 a der Urteilsgründe rechtlich nicht nach der zur Tatzeit geltenden Vorschrift des § 179 Abs. 1 StGB aF gewürdigt, sondern nach der Vorschrift des § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB in deren seit dem 10. November 2016 geltender Fassung als milderem Gesetz im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB. Soweit es diese Tat gleichwohl im Schuldspruch als „sexuellen Missbrauch Widerstandsunfähiger“ bezeichnet hat, erweist sichdies allerdings als unzutreffend, da es sich bei der verwirklichten Straftat nach § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB nF um einen „sexuellen Übergriff“ handelt (vgl. BGH, Be- schluss vom 16. Mai 2017 – 3 StR 43/17, NStZ 2018, 33, 34). Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend klargestellt.
Sost-Scheible Roggenbuck Quentin
Feilcke Paul

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 572/16
vom
26. April 2017
in der Strafsache
gegen
wegen erpresserischen Menschenraubes u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:260417U5STR572.16.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 26. April 2017, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Dr. Mutzbauer,
Richter Prof. Dr. Sander, Richterin Dr. Schneider, Richter Dölp, Richter Prof. Dr. König als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt F. als Verteidiger,
Rechtsanwältin P. als Nebenklägervertreterin,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 7. Juli 2016 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit von der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wird verworfen.
- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen erpresserischen Menschenraubes in Tateinheit mit schwerem Raub und vorsätzlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten verurteilt und ihn im Übrigen aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte, auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft hat im vom Generalbundesanwalt vertretenen Umfang hinsichtlich der Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hielt sich der bereits im Jahr 2003 wegen schweren Raubes in fünf Fällen und schwerer räuberischer Erpressung in 15 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilte Angeklagte am 12. Mai 2015 mit einer schwarzen Mütze und einem schwarzem Schal vermummt vor der Hinterausgangstür einer Sparkassenfiliale in Leipzig auf. Als eine Sparkassenangestellte die Tür öffnete, rannte der Angeklagte auf sie zu und richtete den Lauf seiner ungeladenen Schreckschusspistole auf ihren Kopf. Die Zeugin kam zu Fall und erlitt dabei Verletzungen. Der Angeklagte zog sie in die Räumlichkeiten der Sparkasse, in denen sich noch weitere Angestellte befanden, die er ebenfalls mit der Pistole bedrohte. Eine Mitarbeiterin musste den Tresor öffnen. Diesem entnahm der Angeklagte mehr als 40.000 Euro, mit denen er aus der Sparkassenfiliale entkam.
3
2. Das Landgericht hat sich nicht davon zu überzeugen vermocht, dass der Angeklagte bereits am 21. Februar 2014 einen Banküberfall verübte und dadurch einen weiteren erpresserischen Menschenraub in Tateinheit mit schwerem Raub und mit vorsätzlicher Körperverletzung beging.

II.


4
1. Soweit die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision die Aufhebung des Freispruchs des Angeklagten hinsichtlich des Banküberfalls vom 21. Februar 2014 erstrebt, bleibt ihr der Erfolg versagt. Aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts hält der Freispruch sachlich-rechtlicher Überprüfung stand.
5
2. Demgegenüber hat die Ablehnung der Anordnung der Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) keinen Bestand.
6
a) Die Begründung des Urteils zur Ablehnung eines Hanges im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB ist rechtsfehlerhaft.
7
aa) Die Strafkammer stützt die Verneinung eines Hanges des Angeklagten auf die Ausführungen des Sachverständigen. Danach seien die „zum Ausdruck gekommene stereotype Vorgehensweise über einen mehrjährigen Tatzeitraum in der Vergangenheit und die gleichförmige Ausübung der erneuten Taten ... zwar Indizien, die für einen Hang sprechen könnten, gleichwohl sei der Angeklagte keine aggressive und/oder dissoziale Persönlichkeit“ (UA S. 11). Bei ihm finde sich vielmehr eine besondere Bereitschaft, in Krisen- und Überforderungssituationen depressiv zu reagieren. Diese rezidivierende depressive Störung vermöge Tathandlungen „wie die vorliegenden Raubüberfälle“ anzubahnen und zu erklären (UA S. 12).
8
Damit hat die Strafkammer verkannt, dass die Ursache des Hanges für dessen Bejahung unerheblich ist (st. Rspr. BGH, Urteil vom 25. Mai 1971 – 1 StR40/71, BGHSt 24, 160, 161). Dass der Angeklagte an einer rezidivierenden depressiven Störung leidet, steht der Annahme eines Hanges deshalb nicht entgegen. Vielmehr kann sie sogar für diese herangezogen werden.
9
bb) Zudem ist die im Urteil vorgenommene Prüfung eines Hanges im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB lückenhaft. In ihrem Rahmen ist eine wertende , auf eine umfassende Vergangenheitsbetrachtung abstellende Feststellung des gegenwärtigen Zustands des Täters erforderlich (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Mai 2011 – 4 StR 87/11, NStZ-RR 2011, 272, 273). Das Tatgericht hat sich in diesem Zusammenhang auch mit den Vorverurteilungen und den Umständen , unter denen es zu diesen wie auch zu den verfahrensgegenständlichen Taten gekommen ist, auseinanderzusetzen (vgl. BGH, Urteil vom 27. Oktober 2004 – 5 StR 130/04, NStZ 2005, 265). An einer derartigen umfassenden Vergangenheitsbetrachtung fehlt es hier. Das Landgericht hat es unterlassen, die Vortaten des Angeklagten und die ihn bei diesen Taten bewegenden Gründe inhaltlich darzulegen, obgleich der Sachverständige hierauf ausdrücklich Bezug genommen hat (UA S. 12).
10
b) Die Ansicht der Strafkammer, bei den (möglicherweise) zu prognostizierenden weiteren Raubtaten handle es sich nicht um erhebliche Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
11
aa) Das Landgericht orientiert sich bei seiner Entscheidung an einem Beschluss des Senates vom 24. Januar 2012 (5 StR 535/11). Es berücksichtigt dabei nicht, dass sich diese Entscheidung auf den Rechtszustand nach Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Regelungen zur Sicherungsverwahrung durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 128, 326) bezieht. Nach der vom Bundesverfassungsgericht damals getroffenen Weitergeltungsanordnung durfte § 66 StGB nur nach Maßgabe einer strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung weiter angewandt werden (vgl. BVerfGE aaO, S. 406, Rn. 172); in der Regel war der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nur unter der Voraussetzung gewahrt, dass „eine Gefahr schwerer Gewalt und/oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten“ war. Dies stellte eine Einschränkung gegenüber den Taten dar, die nach § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB als „erhebliche Straftaten“ zu werten sind (vgl. BGH, Beschluss vom 2. August 2011 – 3 StR 208/11, BGHR StGB § 66 Strikte Verhältnismäßigkeit

1).


12
Der Senat kann offenlassen, ob Raubtaten der vom Angeklagten begangenen Art, diesen strengen Maßstäben genügen würden (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 11. Dezember 2012 – 5 StR 431/12, BGHSt 58, 62, 70 mwN).
Denn diese erhöhten Anforderungen finden auf den vorliegenden Fall keine Anwendung mehr, weil die Tat am 12. Mai 2015 und damit nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5. Dezember 2012 (BGBl. I 2425) am 1. Juni 2013 begangen wurde. Mit der Schaffung des § 66c StGB durch dieses Gesetz wurde den Bedenken des Bundesverfassungsgerichts Rechnung getragen , die sich ausdrücklich auf die Ausgestaltung der Unterbringung der Sicherungsverwahrung und den vorhergehenden Strafvollzug, nicht aber auf die formellen und materiellen Anordnungsvoraussetzungen des § 66 StGB bezogen. Damit ist auch der Grund für die über den Gesetzeswortlaut hinausgehende Einschränkung des Anwendungsbereichs der Sicherungsverwahrung entfallen. Nach Inkrafttreten des genannten Gesetzes bestehen gegen die Gültigkeit und die Verfassungsmäßigkeit von § 66 Abs. 1 StGB keine Bedenken mehr (BGH, Urteile vom 24. Oktober 2013 – 4 StR 124/13, NJW 2013, 3735, 3736; vom 7. Januar 2015 – 2 StR 292/14, NStZ 2015, 208, 209). Anders als bei Taten, die nach dem Inkrafttreten des Gesetzes abgeurteilt, aber bereits vor dem 1. Juni 2013 begangen wurden, besteht kein Anlass, die erhöhten Voraussetzungen aus Vertrauensschutzgesichtspunkten weitergelten zu lassen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Januar 2015 aaO mwN).
13
bb) Maßstab für die Gefährlichkeitsprüfung nach § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB ist demnach, ob der Täter infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn aufgrund des bei ihm bestehenden Hanges die bestimmte Wahrscheinlichkeit besteht, dass er auch in Zukunft Straftaten begehen wird, die eine erhebliche Störung des Rechtsfriedens darstellen (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2002 – 4 StR 416/02, NStZ-RR 2003, 108). Als wesentlichen Anhaltspunkt für die Beurteilung der Erheblichkeit zu erwartender Straftaten nennt das Gesetz eine schwere seelische oder körperliche Schädigung der Op- fer. Bezugspunkt sind danach die wahrscheinlichen Folgen der zu erwartenden Straftaten.
14
Im vorliegenden Fall hat der Angeklagte, der sich seiner Opfer zudem im Sinne des § 239a Abs. 1 StGB bemächtigt hat, diese mit einer täuschend echt wirkenden Schreckschusspistole mit dem Tode bedroht. Dass die Waffe nicht geladen war, wussten die Opfer in der Tatsituation nicht. Der Umstand, dass die Bankangestellten im Hinblick auf solche Überfälle geschult sind, vermag ihnen für sich genommen weder die Angst zu nehmen, möglicherweise – geplant oder aufgrund unglücklicher Umstände – erschossen zu werden, noch bietet die Schulung eine Gewähr dafür, dass etwaige Banküberfälle tatsächlich ohne erhebliche psychische Folgen für die Bankangestellten bleiben. Auch Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben können über die Beeinträchtigung des seelischen Gleichgewichts hinaus körperliche oder nachhaltige psychische Folgen mit Krankheitswert nach sich ziehen, die ungeachtet der objektiven Ungefährlichkeit des Tatmittels entstehen können (BGH, Beschluss vom 11. Dezember 2012 aaO). Solche erheblichen psychischen und auch körperlichen Folgen sind bei der Geschädigten Fa. auch tatsächlich eingetreten.
15
3. Der Senat schließt aus, dass eine etwaige Maßregelanordnung Auswirkungen auf die verhängte Strafe gehabt hätte.
Mutzbauer Sander Schneider
Dölp König

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 476/18
vom
9. Januar 2019
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter besonders schwerer Vergewaltigung
ECLI:DE:BGH:2019:090119B5STR476.18.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 9. Januar 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Itzehoe vom 16. April 2018 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter besonders schwerer Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zugleich hat es die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Nach den Feststellungen überfiel der Angeklagte am 29. August 2017 die ihm unbekannte 21-jährige Nebenklägerin nachmittags auf einem Parkweg, um mit ihr gewaltsam den Geschlechtsverkehr durchzuführen. In Sichtweite zu Wohnhäusern und in unmittelbarer Nähe zu einem belebten Freibad packte er sie von hinten, hielt ihr den Mund zu und zerrte sie hinter ein Gebüsch. Er drückte ihr Gesicht gewaltsam auf den Boden und würgte sie kräftig, um sie am Schreien zu hindern, ihre anfangs heftige Gegenwehr zu unterbinden und sie wehrlos zu machen. Mindestens dreimal würgte er die Geschädigte so kräftig, dass sie keine Luft mehr bekam und in akuter Lebensgefahr schwebte. Als der Angeklagte ein Geräusch hörte, lockerte er seinen Würgegriff, da er von einer Entdeckung seiner Tat ausging. Daraufhin konnte die Nebenklägerin aufspringen und flüchten.
3
2. Die Nachprüfung des Schuld- und Strafausspruchs hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
4
3. Der Maßregelausspruch hält hingegen rechtlicher Überprüfung nicht stand. Zwar hat das Landgericht rechtsfehlerfrei die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 StGB festgestellt. Jedoch hat es einen Hang des Angeklagten zur Begehung erheblicher Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB nicht tragfähig begründet. Damit entfällt auch die Grundlage für die Prognose, ob der Angeklagte infolge seines Hanges für die Allgemeinheit gefährlich ist.
5
a) Das Merkmal des Hangs verlangt – was das Landgericht im Ausgangspunkt nicht verkennt – nach der ständigen Rechtsprechung einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag. Der Hang als „eingeschliffenes Verhaltensmuster“ bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand (vgl. BGH, Urteil vom 8. Juli 2005 – 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188, 195 f.; Beschlüsse vom 27. September 1994 – 4 StR 528/94, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 8; vom 6. Mai 2014 – 3 StR 382/13, NStZ-RR 2014, 271 f.; vom 24. Mai 2017 – 1StR 598/16, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 15 mwN). Sein Vorliegen hat das Tatgericht unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner Symptom- und Anlasstaten maßgebenden Umstände festzustellen und in den Urteilsgründen darzulegen. Von besonderer Bedeutung ist dabei die zeitliche Verteilung der Straftaten, wobei längere straffreie Zeiträume grundsätzlich gegen einen Hang sprechen (BGH, Beschluss vom 24. Mai 2017 – 1 StR 598/16, aaO).
6
b) Das Landgericht hat zur Begründung einer Hangtäterschaft des Angeklagten maßgeblich darauf abgestellt, dass hierfür „vor allem die Anzahl der Vorstrafen“ spräche (UA S. 23). Die indizielle Bedeutung der bloßen Anzahl von insgesamt vier Vorstrafen, zu denen der 39-jährige Angeklagte in einem Zeitraum von über 17 Jahren verurteilt worden war, erschließt sich allerdings nicht ohne weiteres und hätte weiterer Darlegung bedurft. Während mit den beiden Vorstrafen aus den Jahren 2003 und 2017 die beiden die formelle Voraussetzung des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB begründenden Symptomtaten geahndet wurden, resultieren die beiden weiteren Vorstrafen aus nicht einschlägigen Vorverurteilungen aus dem Jahr 2000. Die zugrunde liegenden Taten hat das Landgericht nicht näher mitgeteilt und ihnen damit offenbar auch keine Bedeutung als sonstige Beweisanzeichen für eine Hangtäterschaft im Rahmen der Würdigung der Persönlichkeit des Angeklagten beigemessen (vgl. zur Verwertung von Vortaten, die wegen Eintritts der Rückfallverjährung nicht mehr als Symptomtaten herangezogen werden können, BGH, Urteile vom 30. März 1999 – 5StR 563/98, NStZ 1999, 502, 503; vom 18. Februar 2010 – 3 StR 568/09, NStZ-RR 2010, 172, 173; vom 24. Februar 2010 – 2 StR 509/09, NStZ-RR 2010, 238, 239 mwN).
7
4. Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass das neue Tatgericht zu Feststellungen gelangt, welche die Annahme des Hangs und der Gefährlichkeit des Angeklagten tragen. Über den Maßregelausspruch muss deshalb nochmals verhandelt und entschieden werden.
Mutzbauer Sander Schneider
Berger Mosbacher

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 192/18
vom
25. September 2018
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern
ECLI:DE:BGH:2018:250918B4STR192.18.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 25. September 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 9. Januar 2018 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Hiergegen wendet sich die Revision des Angeklagten mit einer Verfahrensbeschwerde und der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Erwägungen des Landgerichts zur Bemessung der Einzelstrafen sowie der Gesamtstrafe halten unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabes (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 10. April 1987 - GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 349; Urteil vom 17. September 1980 - 2 StR 355/80, BGHSt 29, 319, 320) in zweifacher Hinsicht einer rechtlichen Prüfung nicht stand.
3
a) Die Strafkammer hat jeweils strafschärfend berücksichtigt, dass der Angeklagte bei den Taten „unter zweifacher Bewährung wegen anderer Delikte“ stand. Diese Wertung wird von den Feststellungen des angefochtenen Urteils nicht getragen. Danach war zum Zeitpunkt der abgeurteilten, im Dezember 2016 und Mai 2017 begangenen Missbrauchstaten lediglich die Vollstreckung der durch Urteil des Amtsgerichts Haldensleben vom 21. September 2016 wegen gefährlicher Körperverletzung verhängten Freiheitsstrafe von zwölf Monaten zur Bewährung ausgesetzt. Die frühere Bewährungsstrafe von sieben Monaten und zwei Wochen aus dem Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Burg vom 6. April 2011 war bereits mit Wirkung vom 1. Juni 2013 erlassen worden.
4
b) Darüber hinaus begegnet die Berücksichtigung der sich aus den Taten für das Tatopfer ergebenden psychischen Belastungen zum Nachteil des Angeklagten durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Bei Delikten gemäß § 176 StGB können zwar - entgegen der Ansicht der Revision - solche Tatfolgen beim Opfer als verschuldete Auswirkungen der Tat im Sinne von § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB strafschärfend gewertet werden, die über die tatbestandlich vorausgesetzte abstrakte Gefährdung des Kindeswohls hinausgehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. Februar 1991 - 2 StR 648/90, BGHR StGB § 176 Abs. 1 Strafzumessung 3; vom 17. Januar 1995 - 4 StR 737/94, StV 1995, 470; vom 25. April 2001 - 1 StR 143/01, StV 2002, 75). Dies setzt aber voraus, dass die Folgewirkungen der Tat vom Tatrichter im Einzelfall konkret festgestellt werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. April 2001 - 1 StR 143/01 aaO; vom 20. August 2003 - 2 StR 285/03, NStZ-RR 2004, 41; vgl. Fischer, StGB, 65. Aufl., § 176 Rn. 36 mwN). Eine zum Nachteil des Angeklagten auf bloße Vermutungen gestützte Strafzumessung ist unzulässig (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. August 2003 - 2 StR 285/03 aaO; vom 7. Juli 1998 - 4 StR 300/98, StV 1998, 656). Dieser Anforderung ist die Strafkammer, die ausdrücklich keine Feststellungen zum Umfang der psychischen Belastungen des Tatopfers getroffen hat, nicht gerecht geworden.
5
c) Der Senat kann nicht ausschließen, dass sich die fehlerhaften Strafzumessungserwägungen zum Nachteil des Angeklagten auf die Bemessung der verhängten Einzelfreiheitsstrafen und der Gesamtstrafe ausgewirkt haben.
6
2. Die Aufhebung des Strafausspruchs entzieht der Maßregelanordnung die Grundlage.
7
3. Für die neuerliche Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
8
a) Trotz missverständlicher Formulierungen entnimmt der Senat den bisherigen Urteilsausführungen, dass keine Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass beim Angeklagten die engen Voraussetzungen vorliegen, unter denen eine mögliche Pädophilie im Einzelfall als schwere andere seelische Abartigkeit gewertet werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 15. März 2016 - 1 StR 526/15, BGHR StGB § 63 Zustand 45; vom 25. März 2015 - 2 StR 409/14, NStZ 2015, 688; Beschluss vom 6. Juli 2010 - 4 StR 283/10, NStZ-RR 2010, 304).
9
b) Das Merkmal des Hangs im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB verlangt einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige , der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 10. Juni 2010 - 4 StR 474/09, NStZ-RR 2011, 143, 145). Der Hang als „eingeschliffenes Verhaltensmuster" , bei dem es sich um einen Rechtsbegriff handelt, der als solcher dem Sachverständigenbeweis nicht zugänglich ist (BGH, Beschluss vom 12. Januar 2010 - 3 StR 436/09, NStZ 2010, 586), bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand. Seine Feststellung obliegt - nach sachverständiger Beratung - unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner Taten maßgeblichen Umstände dem Richter in eigener Verantwortung (vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. März 2010 - 3 StR 69/10, StV 2010, 484; vom 25. Mai 2011 - 4 StR 87/11, NStZ-RR 2011, 272).
10
Hangtätereigenschaft und Gefährlichkeit für die Allgemeinheit sind, wie die begriffliche Differenzierung in § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB zeigt, keine identischen Merkmale. Der Hang ist nur ein wesentliches Kriterium der Prognose. Während der Hang einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand bezeichnet, schätzt die Gefährlichkeitsprognose die Wahrscheinlichkeit dafür ein, ob sich der Täter in Zukunft trotz seines Hangs erheblichen Straftaten enthalten kann oder nicht (vgl. BGH, Urteil vom 8. Juli 2005 - 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188, 196; Beschluss vom 30. März 2010 - 3 StR 69/10 aaO).
11
Der neue Tatrichter wird bei der Prüfung von Hang und Gefährlichkeit auch in den Blick zu nehmen haben, dass der Angeklagte nach seiner Entlassung aus der Strafhaft am 13. Juni 2006 bis zu den im Dezember 2016 und Mai 2017 begangenen Anlasstaten nicht mit Sexualstraftaten zum Nachteil von Kindern in Erscheinung getreten ist.
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Bender Quentin

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 444/18
vom
14. März 2019
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen schweren Raubes u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:140319U4STR444.18.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 14. März 2019, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible, Richterin am Bundesgerichtshof Roggenbuck, Richter am Bundesgerichtshof Dr. Quentin, Dr. Feilcke, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Bartel als beisitzende Richter, Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof als Vertreterin des Generalbundesanwalts, Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten zu 1., Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten zu 2., Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 2. Februar 2018 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben , soweit betreffend die Angeklagten R. und G. von der Anordnung von Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Auf die Revision des Angeklagten R. wird das vorgenannte Urteil dahin geändert, dass gegen diesen Angeklagten die weitere Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 160 € (statt von 1.175 €) als Gesamtschuldner angeordnet wird.
Die weiter gehende Revision des Angeklagten R. wird als unbegründet verworfen.
Der Angeklagte R. hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
3. Die Revision des Angeklagten G. gegen das vorgenannte Urteil wird als unbegründet verworfen.
Der Angeklagte G. hat die Kosten seinesRechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten R. wegen schwerer räuberischer Erpressung, wegen schweren Raubes in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und im anderen Fall in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, sowie wegen versuchten schweren Raubes zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Den Angeklagten G. hat es wegen schweren Raubes in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und wegen versuchten schweren Raubes unter Einbeziehung weiterer Einzelstrafen aus einer Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt. Das Landgericht hat die Einziehung von Wertersatz angeordnet: gegen den Angeklagten R. und den nicht revidierenden Mitangeklagten S. in Höhe von 81.800 € als Gesamtschuldner , in Höhe von 37.680 € gegen die Angeklagten R. und G. als Gesamtschuldner und in Höhe von weiteren 1.175 € nur gegen den Angeklagten R. . Es hat ferner die Einziehung eines näher bezeichneten Motorrades gegen den Angeklagten R. angeordnet. Mit ihren wirksam auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung bei den Angeklagten R. und G. beschränkten Revisionen rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung sachlichen Rechts. Die vom Generalbundesanwalt vertretenen Rechtsmittel haben Erfolg. Die auf Ver- fahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten R. führt nur zur geringfügigen Abänderung der Anordnung der Einziehung von Wertersatzverfall. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten G. hat keinen Erfolg.

I.


2
Nach den Feststellungen des Landgerichts begingen die Angeklagten die folgenden Taten:
3
1. Der vielfach wegen Diebstahlsdelikten vorbestrafte Angeklagte R. und sein Stiefsohn, der nicht revidierende Mitangeklagte S. , befanden sich Anfang 2015 in schwierigen finanziellen Verhältnissen. Sie kamen spätestens am 12. Mai 2015 überein, die Volksbankfiliale in K. zu überfallen. Entsprechend ihrem gemeinsamen Tatplan, der auch die Bereitschaft zur Gewaltanwendung umfasste, drangen sie in der Nacht auf den 13. Mai 2015 in die Volksbankfiliale ein und warteten dort maskiert auf die Mitarbeiter. Als erste traf die Angestellte W. ein. Die Angeklagten bedrohten sie mit der Pistole und forderten sie auf, den Tresor zu öffnen. Frau W. hielt die Pistole für echt und empfand Todesangst. Sie konnte den Tresor nicht allein öffnen, weil hierfür ein sogenannter Fingerscan von zwei Mitarbeitern erforderlich war. Die Angeklagten brachten sie daraufhin in einen Heizungsraum und fesselten ihre Hände auf dem Rücken mit Kabelbindern. Als nächstes erschien der Bausparkassenmitarbeiter V. . Er wurde ebenfalls unter Bedrohung mit der Pistole in den Heizungsraum gebracht und dort gefesselt. Unvorhergesehen erschien nun der Hausmeister Re. in der Filiale. Einer der Angeklagten stürzte sich auf ihn und entfaltete erhebliche Kraft gegen dessen Körper. Re. erlitt eine Platzwunde am Kopf und sank zu Boden, er wurde bewusstlos. Unmittelbar danach traf die Angestellte Kü. ein. Frau Kü. wurde schon beim Öffnen der Tür vom Mitangeklagten S. mit Wucht in die Filiale gezogen und dann vom Angeklagten R. mit der Pistole bedroht. Während sie das Programm für den Fingerscan startete, hielt ihr der Angeklagte die Waffe unmittelbar in den Rücken. Die Angestellte W. wurde ebenfalls zum Computer gebracht, um den Fingerscan durchzuführen. Während sie anschließend wieder in den Heizungsraum gebracht wurde, musste Frau Kü. , die Todesangst verspürte, den Tresor öffnen. Der Angeklagte R. hielt ihr dabei die Pistole in den Rücken und dann unmittelbar an den Kopf. Nach dem Öffnen des Tresors wurde Frau Kü. zu den anderen in den Heizungsraum gebracht, dessen Tür abge- schlossen wurde. Die Angeklagten entnahmen dem Tresor 90.000 €. Der An- geklagte R. kaufte sich von seinem Beuteanteil ein Motorrad der Marke Harley Davidson für 8.200 €.
4
Der Hausmeister Re. lag zwei Tage im Krankenhaus und war anschließend fünf Wochen arbeitsunfähig. Er begab sich in eine sechswöchige psychologische Behandlung und litt noch zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung unter der Tat. Die Angestellte W. war vier Wochen krankgeschrieben. Daraufhin erfolgte eine Eingliederung, so dass sie erst nach zwölf Wochen wieder in Vollzeit arbeitete. Sie befand sich in psychotherapeutischer Behandlung und stand zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung noch deutlich unter dem Eindruck des Geschehens. Die Angestellte Kü. war sieben Monate in psychologischer Behandlung. Sie konnte nicht mehr in der Filiale K. und mit der Kollegin W. zusammenarbeiten, weil sie dann an das Geschehen erinnert wurde. Sie leidet noch heute unter verschiedenen Ängsten.

5
2. Der Angeklagte R. und der Mitangeklagte S. beschlossen, einen weiteren Überfall zu begehen. Der Mitangeklagte S. sollte abweichend von der ersten Tat in eine geöffnete Bankfiliale gehen, den Mitarbeiter mit einer (unechten und ungeladenen) Pistole bedrohen und Geld fordern. Beide Angeklagten begannen dementsprechend, Filialen auszukundschaften. Der Überfall fand am 23. März 2016 statt. Der Angeklagte R. fuhr seinen Stiefsohn in die Nähe der Volksbankfiliale H. . Unterwegs gab er ihm genaue Anweisungen bezüglich der Begehungsweise. Der Mitangeklagte S. begab sich daraufhin zur Filiale, während der Angeklagte R. absprachegemäß nahe des Tatortes im Fahrzeug wartete. Beide sollten einen Teil der Beute erhalten. Der Mitangeklagte S. betrat die Bank zunächst unmaskiert. Er nahm eine schwarze unechte Pistole aus der Jackentasche und richtete diese auf die Angestellte St. , die sie für echt hielt. Frau St. hatte Todesangst und schrie in Panik. S. zog sich ein Tuch als Maskierung über dieuntere Gesichtshälfte. Er erklärte ihr, er wolle nur das Geld, und ließ sich insgesamt 1.175 € aushändigen. Anschließend schloss er die Frau auf der Toilette ein. Der Mitangeklagte S. übergab dem Angeklagten R. jedenfalls einen Teil der Beute in Höhe von 160 €.
6
Frau St. war vier Wochen krankgeschrieben. Sie konnte eine Woche nicht allein zu Hause sein und traute sich erst nach zwei Wochen wieder, das Haus zu verlassen. Die Filiale in H. kann sie bis heute nicht betreten. Sie arbeitet jetzt in einer großen Filiale. Frau St. nahm zehn Sitzungen bei einem Psychologen war.
7
Der Mitangeklagte S. wurde am 30. März 2016 festgenommenund wegen dieser Tat durch rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts Stadthagen vom 15. August 2016 zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt.
8
3. Der Angeklagte R. und der ebenfalls vielfach vorbestrafte Angeklagte G. , die sich während der Verbüßung von Untersuchungshaft 2014/2015 kennengelernt hatten, beschlossen nun, gemeinsam einen Überfall zu begehen. In der Nacht vom 10. auf den 11. April 2016 drangen sie in das Gebäude der Volksbank-Filiale in O. ein und warteten maskiert aufdas Eintreffen der Bankangestellten. Als sich die Bankangestellte M. an ihren Schreibtisch begab, legte ihr der Angeklagte G. von hinten einen Arm um den Hals und hielt ihr eine unechte und ungeladene Pistole an den Kopf. Er zog sie in ein Büro und forderte sie auf, den Tresor zu öffnen, was sie aus Angst tat. Der Angeklagte R. brachte Frau M. nun in eine leerstehende Wohnung über der Bankfiliale und fesselte sie in einem fensterlosen Abstellraum mit Kabelbindern an ein Metallregal. Beide Angeklagte verließen die Bankfiliale mit einer Beute in Höhe von 37.680 €, die sie untereinander aufteilten. Frau M. , die nach einer halben Stunde vom Filialleiter befreit wurde, war nach der Tat drei Wochen krankgeschrieben. Sie nahm zwei Termine bei einem Psychologen wahr.
9
4. Die Angeklagten R. und G. wollten weitere gemeinsame Überfälle begehen. Sie schauten sich mehrere Bankfilialen an und fuhren dann am 8. Juni 2016 gegen 22.20 Uhr nach We. . Sie blieben zunächst inder Nähe der Bankfiliale im Auto sitzen und besprachen den bevorstehenden Überfall. Sie wollten wie bei der vorangegangenen Tat in die Bank einsteigen und auf das Eintreffen der Mitarbeiter warten. Einer der Angeklagten versuchte sodann , ein rückwärtiges Fenster der Bankfiliale mit einem Schraubendreher auf- zuhebeln. Dadurch wurde ein lauter akustischer Alarm ausgelöst. Den Angeklagten wurde bewusst, dass sie aufgrund des Alarms nicht mehr mit dem Erscheinen argloser Bankangestellter rechnen konnten. Aus Angst vor Entdeckung liefen sie zurück zu ihrem Fahrzeug. Kurze Zeit später wurden sie festgenommen.
10
Das Landgericht, das für die Taten des Angeklagten R. Einzelstrafen von acht Jahren, fünf Jahren, sechs Jahren und drei Jahren sechs Monaten sowie diejenigen des Angeklagten G. von sieben Jahren und sechs Monaten sowie von drei Jahren und sechs Monaten verhängt hat, hat von der Unterbringung beider Angeklagter in der Sicherungsverwahrung abgesehen, weil sich ihr Hang nicht auf erhebliche rechtswidrige Taten im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB richte. Der Täter eines Raubdeliktes oder einer räuberischen Erpressung mit Droh- und ohne Gewaltelement nehme keinen Eingriff vor, der typischerweise zu körperlichen und sehr schweren seelischen Schäden bei den Opfern führe. Die Art der Begehungsweise der hier gegenständlichen Taten erreiche noch nicht den Schweregrad, der die einschneidende Maßnahme der Sicherungsverwahrung rechtfertigen würde.

II.


11
Die Nichtanordnung der Maßregel der Sicherungsverwahrung begegnet bezüglich beider Angeklagter durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Das Landgericht hat die formellen Voraussetzungen von § 66 Abs. 2 und
12
3 Satz 2 StGB beim Angeklagten R. bzw. § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB beim Angeklagten G. sowie das Vorliegen eines Hanges zur Begehung von Straftaten zutreffend bejaht. Die Begründung, mit der es die Erheblichkeit im Sinne von § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB der von den Angeklagten zu erwartenden Straftaten verneint hat, hält hingegen revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
13
1. Erhebliche Straftaten sind solche, die eine erhebliche Störung des Rechtsfriedens darstellen (vgl. BGH, Urteil vom 26. April 2017 – 5 StR 572/16, juris Rn. 13 mwN; LK/Rissing-van Saan/Peglau, StGB, 12. Aufl., § 66 Rn. 148; MüKoStGB/Ullenbruch/Drenkhahn/Morgenstern, 3. Aufl., § 66 Rn. 99).
14
Kriterien für die Erheblichkeit in diesem Sinne ergeben sich zunächst aus den gesetzgeberischen Wertungen, die maßgeblich für die Normierung der formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung geworden sind (LK/Rissing-van Saan/Peglau, aaO, § 66 Rn. 149, 154; SSWStGB /Harrendorf, 4. Aufl., § 66 Rn. 26 mwN; vgl. BGH, Beschluss vom 28. November 2002 – 5 StR 334/02, NStZ-RR 2003, 73, 74). Als erhebliche Straftaten kommen danach vornehmlich solche in Betracht, die in den Deliktskatalog von § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe a) bis c) StGB fallen (SSWStGB /Harrendorf, aaO) und die – wie Vorverurteilungen im Sinne von § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB – im konkreten Fall mit mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe zu ahnden wären, ohne dass Letzteres allein zur Annahme der Erheblichkeit ausreicht (BGH, Urteil vom 27. Juli 2017 – 3 StR 196/17, juris Rn. 8 ff.; Beschluss vom 28. November 2002 – 5 StR 334/02, NStZ-RR 2003, 73, 74; LK/Rissing-van Saan/Peglau, aaO, § 66 Rn. 154; S/S/Kinzig, StGB, 30. Aufl., § 66 Rn. 33).
15
Ein weiterer entscheidender Maßstab zur Bestimmung der Erheblichkeit ergibt sich aus der Hervorhebung der schweren seelischen oder körperlichen Schädigung der Opfer in § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB (MüKoStGB/Ullenbruch /Drenkhahn/Morgenstern, aaO, § 66 Rn. 98, 103 f.; LK/Rissing-van Saan/Peglau, aaO, § 66 Rn. 149; SSW-StGB/Harrendorf, aaO), wobei das Gesetz durch die Verwendung des Wortes "namentlich", welches der Wortbedeutung und dem Sinne nach wie "beispielsweise" oder "vor allem" zu verstehen ist, zum Ausdruck gebracht hat, dass mit der Nennung solcher Folgen keine abschließende Festlegung verbunden ist; damit sollen vielmehr lediglich Straftaten von geringerem Schweregrad ausgeschieden werden (BGH, Urteile vom 18. Mai 1971 – 4 StR 100/71, BGHSt 24, 153, 154 f.; vom 17. Dezember 1985 – 1 StR 539/85, NStZ 1986, 165; vom 9. Oktober 2001 – 5 StR 360/01, NStZ-RR 2002, 38; vom 18. Februar 2010 – 3 StR 568/09, NStZ-RR 2010, 172; S/S/Kinzig, aaO; LK/Rissing-van Saan/Peglau, aaO). Allerdings ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber durch die Streichung des weiteren Beispiels des schweren wirtschaftlichen Schadens in § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF durch das "Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen" vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I, S. 2300) eine stärkere Konzentration auf Delikte gegen höchstpersönliche Rechtsgüter, insbesondere gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit und die sexuelle Selbstbestimmung, erreichen wollte, ohne damit aber den Gesichtspunkt schwerer wirtschaftlicher Schäden ganz auszublenden; die Berücksichtigung wirtschaftlicher Schäden, zum Beispiel bei den ausweislich der expliziten Nennung der Delikte des 20. Abschnitts des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs in § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b) StGB weiterhin erfassten Raub- und Erpressungsdelikten, sollte nicht ausgeschlossen sein (BTDrucks. 17/4062, S. 14; BGH, Urteil vom 27. Juli 2017 – 3 StR 196/17, juris Rn. 8 ff.; so auch S/S/Kinzig, aaO, Rn. 36; SSW-StGB/Harrendorf, aaO, Rn. 28).
16
Bei der Beurteilung, ob die von einem Angeklagten hangbedingt zu erwartenden Taten in diesem Sinne "erheblich" sind, kommt es danach auf die Umstände des Einzelfalles an, die im Wege einer sorgfältigen Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten in den Blick zu nehmen sind (BGH, Urteile vom 27. Juli 2017 – 3 StR 196/17, juris Rn. 11; vom 18. Februar 2010 – 3 StR 568/09, NStZ-RR 2010, 172; vom 18. Mai 1971 – 4 StR 100/71, BGHSt 24, 153, 155). Bei dieser Gesamtwürdigung können neben der Schwere der zu erwartenden Taten und den genannten – auch nur potentiell bzw. typischerweise eintretenden (vgl. BGH, Urteile vom 24. März 2010 - 2 StR 10/10, NStZ-RR 2010, 239, 240; vom 9. Oktober 2001 – 5 StR 360/01, NStZ-RR 2002, 38) – Folgen für die Opfer auch die Tathäufigkeit oder die Rückfallgeschwindigkeit ins Gewicht fallen (BGH, Urteile vom 12. Juli 1988 - 1 StR 280/88, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Erheblichkeit 2; vom 26. Juni 1991 - 3 StR 186/91, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Erheblichkeit

3).


17
2. Gemessen an diesen Maßstäben erweisen sich die Ausführungen, mit denen das Landgericht das Vorliegen eines Hanges zur Begehung erheblicher Taten abgelehnt hat, als rechtsfehlerhaft. Die Erwägungen im angefochtenen Urteil lassen besorgen, dass das Landgericht bei der Prüfung der Erheblichkeit einen zu hohen Maßstab angelegt und deshalb den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum überschritten hat (a). Zudem hat es den festgestellten Sachverhalt unvollständig gewürdigt sowie nicht nachvollziehbar relativiert (b).
18
a) Die hier in Rede stehenden Verbrechen der schweren räuberischen Erpressung beziehungsweise des schweren Raubes gemäß §§ 249, § 250 Abs. 1, §§ 253, 255 StGB sind schon mit Blick auf die Mindeststrafdrohung von drei Jahren Freiheitsstrafe und die für die Tatopfer mit der Tatbegehung regelmäßig verbundenen psychischen Auswirkungen grundsätzlich als erhebliche Straftaten anzusehen; dies gilt – auch nach der neuen Rechtslage – entgegen der Auffassung der Strafkammer ebenso dann, wenn bei einem Banküberfall nur mit einer ungeladenen Schreckschusspistole oder einer Waffenattrappe gedroht wird (BGH, Beschluss vom 4. August 2011 – 3 StR 235/11, StV 2011, 673; Urteile vom 26. April 2017 – 5 StR 572/16, juris Rn. 13 f.; vom 27. Juli 2017 – 3 StR 196/17, juris Rn. 15).
19
Das Landgericht führt demgegenüber auf UA S. 132 aus: „Jedoch weisen Raubtaten und räuberische Erpressungen im Vergleich zu Straftaten wie schweren Gewalt- und Sexualdelikten dennoch eine andere Intensität der Kriminalität auf und können nicht ohne weiteres als erhebliche Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB angesehen werden“. Demgemäß fordert das Landgericht den Eintritt „sehr schwerer“ seelischer Schäden (UA S. 132) bzw. solcher mit „Krankheitswert“ (UA S. 135, 140) bei den Tatopfern, womit es eine eigene, in § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB nicht enthaltene Kategorie für die Annahme der Erheblichkeit der Anlasstat und künftiger Taten aufstellt. § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB erfordert „schwere“ körperliche oder seelische Beeinträchtigungen. Diesen Schweregrad vermögen die festgestellten, teils mit mehrwöchigen Krankschreibungen einhergegangenen psychischen Beeinträchtigungen der Tatopfer, die in dieser Form typischerweise mit Taten des schweren Raubes bzw. der schweren räuberischen Erpressung verbunden sind, zu erfüllen. Überdurchschnittliche Tatfolgen, etwa dauerhafte körperliche Auswirkungen der seelischen Beeinträchtigungen, setzt das Gesetz nicht voraus.
20
b) Im Rahmen der Maßregelentscheidung hat die Strafkammer das Gewicht der festgestellten Tatumstände darüber hinaus unzutreffend relativiert. So trifft es bereits nicht zu, dass die ausgeurteilten Taten kein Gewaltelement beinhaltet hätten bzw. keine Gewaltbereitschaft der Angeklagten zum Ausdruck gekommen sei. Nach ständiger Rechtsprechung sind Fesseln und Einsperren Formen der Gewaltausübung (BGH, Urteil vom 15. Oktober 2003 – 2 StR 283/03, BGHSt 48, 365, 370).
21
Soweit die Strafkammer dem Angeklagten R. im Rahmen der Gesamtabwägung zugutehält, dass er früher ein anderes typisches Deliktsmuster ohne Gewalt- und Drohelement gezeigt habe (UA S. 133), ist nicht belegt, dass er zu diesem früheren Tatmuster zurückkehren würde. Desgleichen fehlt es an belastbaren Feststellungen für die Annahme der Strafkammer, dass eine Hemmschwelle den Angeklagten von der Begehung schwererer Gewalttaten abzuhalten scheine (UA S. 134). Zudem steht die Erwägung, dass sich der Angriff auf den Hausmeister Re. aus dem Augenblick heraus ergeben haben könnte, im Widerspruch zu der Feststellung, dass Gewalt gegen Personen zur Durchsetzung des Tatplans oder zur Ermöglichung der Flucht in den gemeinsamen Tatplan der Angeklagten R. und S. aufgenommen war (UA S. 41). Die Strafkammer verkennt bei ihrer Verneinung der Verfestigung des Kriminalitätsmusters der Überfälle in K. und O. (UA S. 135 f.), dass die gescheiterte Tat in We. ebenfalls nach diesem Muster ablaufen sollte. Auch ist es – worauf die Revisionsführerin zutreffend hingewiesen hat – bedenklich , dass die Strafkammer die Gefahr einer künftigen weiteren Steigerung des Maßes der bei den Taten angewandten Gewalt verneint hat, ohne zu erwägen , dass bereits die verfahrensgegenständlichen Taten gegenüber den früher insbesondere verübten Diebstahlstaten eine Steigerung der Gewaltbereitschaft belegen.
Die Frage, ob nach § 66 Abs. 2 bzw. Abs. 3 Satz 2 StGB Sicherungsver22 wahrung anzuordnen ist, bedarf daher erneuter Prüfung.

III.


23
Die Revision des Angeklagten R. hat nur zur Einziehungsentscheidung geringfügigen Erfolg.

24
1. Die Rüge der Verletzung von § 338 Nr. 6 StPO, § 169 GVG ist unbegründet. Die Revision beanstandet nicht den Beschluss zur Anordnung des Ausschlusses der Öffentlichkeit gemäß § 171b GVG als solchen, der allerdings nicht kongruent mit dem Gesetzeswortlaut des § 171b GVG war. Das Landge- richt hat die Öffentlichkeit „für den Zeitraum der Erörterung der persönlichen Verhältnisse“ des Angeklagten S. ausgeschlossen,nicht, wie es in § 171b GVG heißt, soweit „Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich“ zur Sprache kommen. Gerügt wird vielmehr nur die Erörterung der „finanziellen Verhält- nisse“ des Mitangeklagten S. während des Ausschlusses der Öffentlichkeit. Dieses war hier aber durch den anordnenden Beschluss gedeckt, denn zu den „persönlichen Verhältnissen“ gehören auch die „finanziellen Verhältnisse“.
25
2. Auch die Rüge der Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren durch die Anfertigung von Bewegungsbildern bzw. Videoaufnahmen des Angeklagten nach Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung greift nicht durch. Die Revision wendet sich nicht dagegen, dass die Vergleichsaufnahmen nicht gemäß § 81b StPO von den Ermittlungsbehörden, sondern von der Sachverständigen angefertigt worden sind. Es kann deshalb dahinstehen, ob insoweit ein durchgreifender Rechtsfehler bestünde.
26
Soweit die Revision die Verletzung des nemo-tenetur-Grundsatzes durch die Anfertigung von Fotos und Videoaufnahmen der Bewegungsabläufe des Angeklagten beim Gehen durch den Sitzungssaal zur Vorbereitung des anthropologischen Sachverständigengutachtens beanstandet, ist jedenfalls ein Beruhen des Urteils auf einem möglichen Rechtsfehler auszuschließen, weil das Landgericht keine Bewegungsbilder verwertet und nur die Ausführungen der Sachverständigen in ihrem Gutachten zugrunde gelegt hat, die diese anhand der auf Grundlage der Anordnung nach § 81b StPO gefertigten Standbilder getätigt hat (UA S. 77, 83 f.).
27
3. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils hat zum Schuld- und zum Strafausspruch keinen Rechtsfehler ergeben. Allerdings begegnet die Einziehungsentscheidung teilweise durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Aus den Feststellungen ergibt sich nicht, dass der bei der Tat vom 23. März 2016 nicht in der Bank anwesende Angeklagte R. die tatsächliche Verfügungsgewalt über die vom Mitangeklagten S. erbeuteten 1.175 € erlangte. Allerdings übergab ihm der Mitangeklagte jedenfalls einen Beuteanteil in Höhe von 160 € (UA S. 54). Der Senat hat die Einziehungsentscheidung insoweit geändert.
28
4. Angesichts des geringen Teilerfolgs ist es nicht unbillig, den Angeklagten R. mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).

IV.


29
Die Nachprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten G. ergeben.
Sost-Scheible Roggenbuck Quentin
Feilcke Bartel

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

(1) Auch wenn ein Jugendlicher mehrere Straftaten begangen hat, setzt das Gericht nur einheitlich Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel oder eine Jugendstrafe fest. Soweit es dieses Gesetz zuläßt (§ 8), können ungleichartige Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel nebeneinander angeordnet oder Maßnahmen mit der Strafe verbunden werden. Die gesetzlichen Höchstgrenzen des Jugendarrestes und der Jugendstrafe dürfen nicht überschritten werden.

(2) Ist gegen den Jugendlichen wegen eines Teils der Straftaten bereits rechtskräftig die Schuld festgestellt oder eine Erziehungsmaßregel, ein Zuchtmittel oder eine Jugendstrafe festgesetzt worden, aber noch nicht vollständig ausgeführt, verbüßt oder sonst erledigt, so wird unter Einbeziehung des Urteils in gleicher Weise nur einheitlich auf Maßnahmen oder Jugendstrafe erkannt. Die Anrechnung bereits verbüßten Jugendarrestes steht im Ermessen des Gerichts, wenn es auf Jugendstrafe erkennt. § 26 Absatz 3 Satz 3 und § 30 Absatz 1 Satz 2 bleiben unberührt.

(3) Ist es aus erzieherischen Gründen zweckmäßig, so kann das Gericht davon absehen, schon abgeurteilte Straftaten in die neue Entscheidung einzubeziehen. Dabei kann es Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel für erledigt erklären, wenn es auf Jugendstrafe erkennt.

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 478/15
vom
6. April 2016
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:060416U2STR478.15.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 6. April 2016, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Krehl, Dr. Eschelbach, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Ott, Richter am Bundesgerichtshof Zeng,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung, Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof bei der Verkündung, als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt in der Verhandlung als Verteidiger des Angeklagten, Rechtsanwältin als Vertreterin der Nebenklägerin C. , Rechtsanwältin in der Verhandlung als Vertreterin der Nebenklägerin A. , Justizhauptsekretärin in der Verhandlung, Justizangestellte bei der Verkündung, als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 23. März 2015 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren insoweit entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. 2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren insoweit entstandenen notwendigen Auslagen, an eine Strafkammer des Landgerichts Bonn zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Der Angeklagte war durch Urteil des Landgerichts Köln vom 29. November 2013 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen und wegen exhibitionistischer Handlungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt worden. Von einer Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung hatte das Landgericht abgesehen. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hat der Senat mit Urteil vom 15. Oktober 2014 (2 StR 240/14, NStZ 2015, 510 ff.) das Urteil des Landgerichts mit den Feststellungen aufgehoben, soweit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist, sowie – zu Gunsten des Angeklagten – im Strafausspruch. Die Revision des Angeklagten hat der Senat verworfen.
2
Das Landgericht hat den Angeklagten nunmehr – erneut – zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt und von der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung abgesehen. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts. Die Staatsanwaltschaft hat ihre zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte und mit der Sachrüge und mit mehreren Verfahrensbeanstandungen begründete Revision auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung beschränkt. Die Revision des Angeklagten ist erfolglos; das vom Generalbundesanwalt vertretene – wirksambeschränkte – Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat dagegen Erfolg.

I.

3
Die Revision des Angeklagten ist unbegründet. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben.

II.

4
Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
5
1. a) Die Staatsanwaltschaft hat zwar eingangs ihrer Revisionsbegründungsschrift keine Beschränkung erklärt und die (uneingeschränkte) Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs und die Zurückverweisung der Sache an eine andere Strafkammer zur erneuten Verhandlung und Entscheidung beantragt. Mit diesem umfassenden Revisionsantrag steht jedoch der übrige Inhalt der Revisionsbegründungsschrift nicht in Einklang. Daraus ergibt sich, dass die Revisionsführerin das Urteil ausschließlich – und ersichtlich abschließend – deswegen für fehlerhaft hält, weil das Landgericht die Sicherungsverwahrung nicht angeordnet hat. Somit widersprechen sich Revisionsantrag und Inhalt der Revisionsbegründung. Unter Berücksichtigung von Nr. 156 Abs. 2 RiStBV (vgl. auch Senat, Urteil vom 11. Juni 2014 - 2 StR 90/14, NStZ-RR 2014, 285 mwN) versteht der Senat daher das gesamte Revisionsvorbringen dahin, dass sich die Staatsanwaltschaft allein gegen die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung wendet.
6
b) Diese Revisionsbeschränkung auf den Maßregelausspruch ist wirksam. Weder aus den Strafzumessungserwägungen noch aus den Erwägungen zur unterbliebenen Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass das Landgericht zwischen beiden Rechtsfolgenentscheidungen einen Zusammenhang hergestellt hat, der eine getrennte Prüfung beider Rechtsfolgen ausschließt (vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober 2015 - 4 StR 275/15; Senat, Urteil vom 15. Oktober 2014 - 2 StR 240/14, insoweit in NStZ 2015, 510 ff. nicht abgedruckt).
7
Dass die Beschwerdeführerin mit ihrer Revision Feststellungen angreift, die nach den Erwägungen des Landgerichts sowohl – strafmildernd – für den Strafausspruch als auch für die Entscheidung über die Anordnung der Maßregel tragend, mithin doppelrelevant sind, führt hier ebenfalls nicht zu einer unwirksamen Revisionsbeschränkung. Denn neue und abweichende Feststellungen können keine Auswirkungen auf den Teil des Urteils haben, der nicht angegriffen werden soll. Zwar entzögen abweichende Feststellungen der strafmildernden Erwägung des Urteils die tatsächliche Grundlage. Indes schließt § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO die Verhängung einer höheren Strafe aus, da der Strafausspruch des ersten tatrichterlichen Urteils entsprechend § 301 StPO ausschließlich zu Gunsten des Angeklagten aufgehoben worden war (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2011 - 3 StR 374/11, NStZ-RR 2012, 106 f.). Danach wäre selbst eine Revision der Staatsanwaltschaft gegen den Strafausspruch zu Ungunsten des Angeklagten von vorneherein unbegründet, weil auf begünstigenden Strafzumessungsfehlern – egal welcher Art – nichts beruhen könnte.
8
2. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der Sachrüge Erfolg; auf die Verfahrensrüge, mit der die Staatsanwaltschaft die Verletzung des § 261 StPO beanstandet, kommt es nicht an.
9
Die Erwägungen des Landgerichts zum Absehen von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung sind rechtsfehlerhaft.
10
a) Das Landgericht hat schon nicht tragfähig begründet, dass nicht auch die Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB vorliegen.
11
aa) Wie schon der Senat in seinem in dieser Sache ergangenen Urteil vom 15. Oktober 2014 ausgeführt hat, erfüllt eine in einem früheren Verfahren ausgesprochene einheitliche Jugendstrafe nach § 31 JGG die Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 Nr. 1 StGB, wenn zu erkennen ist, dass der Täter wenigstens bei einer der ihr zugrundeliegenden Straftaten eine Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hätte, sofern sie als Einzeltat gesondert abgeurteilt worden wäre. Dies festzustellen, ist tatrichterliche Aufgabe, die dem über die Sicherungsverwahrung entscheidenden Richter obliegt. Dabei hat der Tatrichter festzustellen, wie der Richter des Vorverfahrens die einzelnen Taten bewertet hat; er darf sich nicht an dessen Stelle setzen und im Nachhinein eine eigene Strafzumessung vornehmen. Entsprechende Feststellungen muss der Tatrichter so belegen, dass eine ausreichende revisionsgerichtliche Überprüfung möglich ist (vgl. Senat, Urteil vom 15. Oktober 2014 - 2 StR 240/14, NStZ 2015, 510, 511 mwN).
12
bb) Die Erwägungen des Landgerichts werden diesen Anforderungen nicht gerecht. Sie beschränken sich im Ergebnis auf das, was sich bereits unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Relevante Angaben zu (weiteren, hypothetischen ) Strafzumessungserwägungen des Jugendschöffengerichts, die über dessen schriftliche Urteilsgründe hinausgehen, waren weder von der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft noch der Vorsitzenden des Jugendschöffengerichts zu erwarten.
13
Zwar hat das Landgericht den ersichtlich relevanten Teil der schriftlichen Urteilsgründe des Jugendschöffengerichts mitgeteilt, sich damit jedoch nicht erkennbar auseinandergesetzt. Dies wäre aber in jedem Fall erforderlich gewesen , zumal hier besonderer Anlass dazu bestanden hätte, weil sowohl die Begründungen zur Erforderlichkeit und Bemessung der Jugendstrafe als auch die Ausführungen zur Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung es zumindest nahelegen, dass das Jugendschöffengericht allein wegen der versuchten Vergewaltigung eine Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verhängt hätte.
14
cc) Die unzureichend begründete Annahme, dass nicht auch die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB vorliegen, kann sich auf die Überzeugungsbildung zum Vorliegen eines Hangs ausgewirkt haben. Die darin zum Ausdruck kommende gesetzliche Bewertung würde das indizielle Gewicht der vom Angeklagten begangenen Taten – insbesondere der Vorverurteilung – erhöhen.
15
b) Der Generalbundesanwalt hat im Einzelnen zutreffend ausgeführt, dass die Erwägungen des Landgerichts, gegen einen Hang des Angeklagten spreche der deutlich zurückgegangene Gewalteinsatz bei den letzten Taten, Wertungsfehler beinhalten, lückenhaft sind und teilweise nicht von den Feststellungen getragen werden. Entsprechendes gilt, soweit das Landgericht von unterschiedlicher Motivation des Angeklagten bei der Begehung der jeweiligen Taten ausgegangen ist.
16
Die fehlende Steigerung oder die Abnahme von Gewalt spricht nicht gegen eine intensive Neigung zu Rechtsbrüchen. Einen Hang kann auch haben, wer auf gleichbleibendem Niveau oder sogar mit abnehmender Intensität Straftaten begeht. Das Landgericht hätte die Tatumstände in Beziehung zu der in den Urteilsgründen beschriebenen Devianz des Angeklagten setzen müssen. Das sexuelle Interesse des Angeklagten an Kindern hat seinen Grund in deren Hilf- und Wehrlosigkeit. Es korrespondiert mit dem in der Familie des Angeklagten dominanten Bild der schwachen, sich im Hintergrund haltenden Frau. Vor diesem Hintergrund können – was das Vorliegen eines Hangs betrifft – aus dem Vergleich der bei den Taten angewendeten Gewalt keine relevanten Schlüsse gezogen werden. Vielmehr drängt sich auf, dass auch die zuletzt begangenen Taten typischer Ausdruck der beim Angeklagten vorhandenen Devianz sind.
17
Auch die jeweilige Tatmotivation des Angeklagten spricht – bei vergleichender Betrachtung – erheblich für eine Steigerung oder zumindest Verfestigung der Devianz des Angeklagten.
18
c) Schließlich hat das Landgericht dem Gesichtspunkt der "Nachreifung" des Angeklagten ein unvertretbar hohes Gewicht beigemessen. Die in diesem Zusammenhang angestellte Erwägung, wonach der Angeklagte außerhalb des Einflussbereichs seines Vaters für sich in einem 'sanktionsfreien Raum' lebte, wird von den Feststellungen nicht getragen. Im Übrigen beschränken sich die in diesem Zusammenhang geschilderten Aktivitäten des Angeklagten auf reine Ankündigungen. Die zukünftig möglichen Auswirkungen von Therapien sind in diesem Zusammenhang unerheblich, da das Vorliegen eines Hangs zum Urteilszeitpunkt entscheidend ist. Behandlungsaussichten können (erst) im Rahmen der Ermessensausübung oder bei der Frage der Aussetzung der Maßregel berücksichtigt werden.
19
3. Die – nicht ausgeführte – Kostenbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist gegenstandslos, da die Teilaufhebung des Urteils auch die Kostenentscheidung erfasst.

III.

20
Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO). Fischer Krehl Eschelbach Frau RinBGH Dr. Ott Zeng ist an der Unterschrift gehindert. Fischer

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 S t R 2 4 0 / 1 4
vom
15. Oktober 2014
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 15. Oktober
2014, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Schmitt,
Dr. Eschelbach,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
Richter am Bundesgerichtshof
Zeng,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung,
Richterin am Amtsgericht bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin C. ,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin A. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 29. November 2013 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren insoweit entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. 2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist,
b) sowie zu Gunsten des Angeklagten im Strafausspruch. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren insoweit entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen und wegen exhibitionistischer Handlungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt. Von einer Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung hat es abgesehen. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts. Die Staatsanwaltschaft hat ihre zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte und mit der Sachrüge begründete Revision auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung beschränkt. Die Revision des Angeklagten ist erfolglos. Dagegen hat das vom Generalbundesanwalt vertretene – nicht wirksam beschränkte – Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang Erfolg.

I.

2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts ist der 23 Jahre alte Angeklagte u. a. wie folgt vorbestraft:
3
a) Das Amtsgericht Köln verwarnte ihn am 25. November 2010 wegen „Beleidigung mittels Tätlichkeit“ jugendrichterlich und erteilte eine Weisung. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Angeklagte im März 2010 auf der Damentoilette hinter die ihm nicht bekannte 16 Jahre alte Geschädigte getreten war, beide Hände um ihre Hüften gelegt und – ohne ihre Gegenwehr zu beachten – seinen Unterleib an ihrem Gesäß gerieben hatte.
4
Der Angeklagte, der aufgrund der ihm erteilten jugendrichterlichen Weisung eine Beratungsstelle aufgesucht hatte, bagatellisierte dort den Sachverhalt und „kommunizierteein in der Familie herrschendes, abwertendes Frauenbild.
Da er aber Behandlungsmotivation signalisierte“, sprach sich die zuständige Mitarbeiterin für weitere Gesprächstermine aus, zu denen es allerdings in der Folge nicht kam.
5
b) Am 5. August 2011 sprach das Amtsgericht Köln den Angeklagten der versuchten Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung und der schwe- ren räuberischen Erpressung in Tateinheit mit „gemeinschaftlicher“ gefährlicher Körperverletzung schuldig und verhängte unter Einbeziehung des vorgenannten Urteils eine Jugendstrafe von einem Jahr und neun Monaten. Der Verurteilung lag folgendes zugrunde:
6
Der Angeklagte hatte am 21. November 2010 gegen Mitternacht die ihm unbekannte 18-jährige Geschädigte, der er zuvor gefolgt war, darauf angesprochen , sie näher kennen lernen zu wollen. Der Angeklagte hatte sich hinter ihr durch eine Haustür gedrängt und wurde zunehmend aggressiver. Er griff der Geschädigten von vorn in die Hose und Unterhose und berührte mit seiner Hand mehrfach ihre Vagina. Sodann drängte er die Geschädigte die Kellertreppe hinunter und versuchte ihre Stoffhose herunterzuziehen, was ihm aufgrund ihrer Gegenwehr nicht gelang. Als die Geschädigte um Hilfe rief, hielt ihr der Angeklagte den Mund zu. Eine Nachbarin, die auf das Geschehen aufmerksam geworden war, machte sich bemerkbar, woraufhin der Angeklagte die weitere Tatausführung aufgab und flüchtete.
7
Bereits Anfang Oktober 2010 hatte der Angeklagte mit sechs weiteren Mittätern entsprechend einem gemeinsamen Tatplan die Wohnung eines weiteren Geschädigten aufgesucht. Unter dem Eindruck zuvor erhaltener Schläge durch zwei Mittäter und des Vorhaltens eines Teleskopschlagstockes durch den Angeklagten hatte der Geschädigte einen Umschlag mit 100 € übergeben; das Geld hatten die Täter untereinander aufgeteilt.
8
Der Angeklagte verbüßte die Jugendstrafe bis Mitte November 2012. Im Anschluss daran hat das Amtsgericht Wuppertal die Dauer der Führungsaufsicht auf drei Jahre festgesetzt und dem Angeklagten u.a. die Weisung erteilt, Kontakt bei einer Beratungsstelle für die Behandlung sexualisierter Gewalt aufzunehmen und dort regelmäßig Beratungsgespräche wahrzunehmen, wozu es indes in der Folgezeit nicht kam.
9
2. Zur Sache hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:
10
a) Am 22. März 2013 begab sich der Angeklagte in den Garten der Erdgeschosswohnung der Familie L. . Er stellte sich unmittelbar vor eines der großen Fenster des Wohnzimmers, ließ seine Hose herunter und begann, an seinem erigierten Penis zu manipulieren. Dabei kam es ihm sowohl darauf an, die beiden etwa ein bis zwei Meter von dem Fenster entfernt auf einer Couch sitzenden 13- und 14-jährigen Mädchen, deren Alter er „unwiderlegbar auf etwa 17 Jahre schätzte, zu sehen, als auch von diesen bei Vornahme der sexuellen Handlung gesehen zu werden, was diese auch taten“. Die Mädchen waren durch den Anblick des onanierenden Angeklagten geschockt und empfanden Ekel, was der Angeklagte in Kauf nahm. Der Angeklagte ejakulierte sodann auf den Terrassenboden (Fall II. 1. der Urteilsgründe).
11
b) Am 30. April 2013 stand der Angeklagte in einem Flur eines Mehrfamilienhauses der 7-jährigen Nebenklägerin A. gegenüber, öffnete seine Hose und entblößte seinen Penis. Er forderte die Nebenklägerin „etwa fünfmal auf“, seinen Penis in den Mund zu nehmen, was diese jedoch mit Kopfschütteln ablehnte. Der Angeklagte, der im Wohnhaus eine Tür schlagen hörte, zog sich wieder an und forderte die Nebenklägerin auf, mit ihm in den Keller zu kommen. Dort entblößte der Angeklagte seinen Penis erneut und forderte die Nebenklägerin mehrfach auf, diesen in den Mund zu nehmen. Die Nebenklägerin lehnte dieses Ansinnen wiederum ab. Der Angeklagte zog sodann der Nebenklägerin die Hose herunter, betrachtete ihre unbekleidete Scheide und streichelte sie im Genitalbereich. Als die Nebenklägerin sich die Hose wieder hochzog, sich umdrehte und weglaufen wollte, hielt sie der Angeklagte am T-Shirt fest und zog sie zurück. Erneut forderte er sie auf, seinen Penis in den Mund zu nehmen, was die Nebenklägerin jedoch wiederum ablehnte. Als diese zu weinen begann, ließ der Angeklagte von ihr ab und ergriff die Flucht (Fall II. 3. der Urteilsgründe

).

12
c) Am 19. Mai 2013 gegen 06.45 Uhr begab sich der Angeklagte in ein Kinderkrankenhaus und betrat verschiedene Krankenzimmer. In dem ersten Zimmer, in das er ging, schlief eine Frau, die er an ihrem Kopftuch und an ihrem Rücken berührte. Als die Frau davon erwachte, verließ er das Zimmer. In dem nächsten Raum, den der Angeklagte betrat, schlief ebenfalls eine Frau. Er hob die Bettdecke an und betrachtete deren bekleideten Genitalbereich. Als die Frau erwachte verließ er das Zimmer.
13
Sodann betrat er das Zimmer der 10-jährigen Nebenklägerin C. , die dort mit einem anderen Mädchen schlief. Der Angeklagte trat an das Bett heran, zog die Bettdecke herunter und streichelte die Nebenklägerin zunächst am Bauch, wovon diese aufwachte. Der Angeklagte zog sodann deren Hose und Unterhose herunter, betrachtete ihre unbekleidete Scheide und streichelte sie im Genitalbereich. „Anschließend zog er sich selbst die Hose herunter, näherte sich mit seinem erigierten Penis dem Gesicht der Nebenklägerin und forderte sie auf, ihn in den Mund zu nehmen“. Die Nebenklägerin lehnte jedoch mehrfach ab. Als der Angeklagte auf dem Krankenhausflur ein Geräusch hörte, verließ er das Zimmer und das Krankenhaus (Fall II. 5. der Urteilsgründe).
14
3. Die Strafkammer hat gegenüber dem umfassend geständigen Angeklagten im Fall II. 1. der Urteilsgründe wegen exhibitionistischer Handlungen gemäß § 183 Abs. 1 StGB auf eine Freiheitsstrafe von neun Monaten, im Fall II. 3. und II. 5. der Urteilsgründe jeweils wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176 Abs. 1 StGB auf Freiheitsstrafen von drei Jahren und sechs Monaten bzw. vier Jahren erkannt. Von jeweils (tateinheitlichen) versuchtem schwerem sexuellem Missbrauch eines Kindes (in den Fällen II. 3. und II. 5. der Urteilsgründe) bzw. von einer (tateinheitlich) versuchten Vergewaltigung (im Fall II. 3. der Urteilsgründe) sei der Angeklagte strafbefreiend zurückgetreten.

II.

15
Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Insbesondere hat das Tatgericht den vom Revisionsgericht hinzunehmenden Rahmen vertretbarer Strafbemessung nicht überschritten.

III.

16
Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg; zugleich führt das Rechtsmittel – zu Gunsten des Angeklagten – zur Aufhebung des Strafausspruchs.
17
1. Der Senat kann offen lassen, ob die Revision auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung deswegen beschränkt ist, weil – trotz eines den Schuld- und Strafausspruch umfassenden Revisionsantrags – der Inhalt der Revisionsbegründungsschrift ausschließlich Ausführungen zur Nichtanordnung der Maßregelentscheidung enthält (vgl. zur Auslegung des Angriffsziels unter Berücksichtigung von Nr. 156 Abs. 2 RiStBV: Senat, Urteil vom 11. Juni 2014 – 2 StR 90/14, NStZ-RR 2014, 285 mwN).
18
Die Beschränkung der Revision auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung , die grundsätzlich isoliert auf Rechtsfehler überprüfbar ist (vgl. BGH, Urteil vom 24. November 2011 – 4 StR 331/11, NStZ-RR 2012, 156, 157 mwN), wäre indes hier unwirksam. Das Landgericht hat den Angeklagten unter anderem auch deswegen nicht in der Sicherungsverwahrung untergebracht, weil aufgrund der Wirkungen des langjährigen Strafvollzugs bei dem Angeklagten eine Haltungsänderung erwartet werden könne. Damit hat es Strafhöhe und Maßregelanordnung in einen inneren Zusammenhang gesetzt, der eine getrennte Prüfung beider Rechtsfolgen ausschließt (vgl. BGH, Urteil vom 3. Februar 2011 – 3 StR 466/10, insoweit in NStZ-RR 2011, 172 nicht abgedruckt; Urteil vom 11. Juli 2013 – 3 StR 148/13, insoweit in NStZ 2013, 707 nicht abgedruckt

).

19
2. Die Revision beanstandet mit Recht, dass das Landgericht rechtsfehlerhaft von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen hat.
20
a) Die Strafkammer hat zutreffend die formellen und materiellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB bejaht. Dem Sachverständigen folgend hat das Landgericht einen Hang des Angeklagten zur Begehung erheblicher Straftaten und dessen („hohe“) Gefährlichkeit für die Allgemeinheit im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB festgestellt. Dagegen ist rechtlich nichts zu erinnern.
21
Das Landgericht hat allerdings aufgrund seines unzutreffenden rechtlichen Ansatzes verkannt, dass auch die – formellen und materiellen – Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB vorgelegen haben könnten. Das für die Verhängung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 2 StGB erforderliche Vorliegen von drei vorsätzlichen Taten setzt nicht voraus, dass diese Taten – wovondie Strafkammer fehlerhaft ausgegangen ist – gemeinsam in der Ent- scheidung abgeurteilt werden, in der die Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 StGB angeordnet werden könnte. Vielmehr können eine oder zwei von diesen Taten schon vorher rechtskräftig abgeurteilt sein, sofern der Täter wenigstens eine der Symptomtaten als Erwachsener begangen hat (vgl. auch Senat , Beschluss vom 20. Dezember 2001 – 2 StR 513/01, BGHR StGB § 66 Abs. 3 Katalogtat 2; BGH, Beschluss vom 12. Januar 2010 – 3 StR 439/09, NStZ-RR 2010, 142, 143).
22
Neben den Fällen II. 3. und II. 5. der Urteilsgründe ist der Angeklagte durch das Amtsgericht Köln am 5. August 2011 zu einer einheitlichen Jugendstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt worden; dieser Verurteilung lagen ausschließlich Katalogtaten gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. a) und lit.
b) StGB zugrunde. Eine in einem früheren Verfahren ausgesprochene einheitliche Jugendstrafe nach § 31 JGG erfüllt indes die Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 Nr. 1 StGB nur, wenn zu erkennen ist, dass der Täter wenigstens bei einer der ihr zugrundeliegenden Straftaten eine Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hätte, sofern sie als Einzeltat gesondert abgeurteilt worden wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 23. August 2001 – 3 StR 261/01, NStZ 2002, 29; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 66 Rdn. 26, jeweils mwN). Dies festzustellen , ist tatrichterliche Aufgabe, die dem über die Sicherungsverwahrung entscheidenden Richter obliegt. Dabei hat der Tatrichter festzustellen, wie der Richter des Vorverfahrens die einzelnen Taten bewertet hat; er darf sich nicht an dessen Stelle setzen und im Nachhinein eine eigene Strafzumessung vornehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 23. August 2001 – 3 StR 261/01, NStZ 2002, 29 mwN). Entsprechende Feststellungen muss der Tatrichter so belegen, dass eine ausreichende revisionsgerichtliche Überprüfung möglich ist.
23
b) Soweit die Strafkammer im Folgenden im Rahmen ihrer Ermessensausübung die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung auch damit be- gründet hat, der Angeklagte habe „in keinem der Fälle […] den Taterfolg eines qualifizierten Sexualdelikts herbeigeführt“, hat sie beiPrüfung der Verhältnismäßigkeit der Maßregel einen unzutreffenden Bezugspunkt gewählt. Entscheidend ist, welche Straftaten vom Angeklagten zukünftig zu erwarten sind; die Anlasstaten haben dafür nur indizielle Bedeutung (vgl. auch Fischer, aaO, § 62 Rdn. 3a ff. mwN). Bezogen auf Hang und Gefährlichkeit hat das Landgericht insoweit aber ausgeführt, dass der Angeklagte, dem jegliche Opferempathie fehle, „durchaus auch bereit (sei),seine sexuellen Interessen mittels Einsatzes von Gewalt und das Eindringen in persönlichste Schutzbereiche seiner Opfer zu begehen“. Aufgrund seiner – durch Impulsivität und Aggressivität gekennzeich- neten – Persönlichkeitsstruktur seien seine sexuellen Übergriffe regelmäßig gegen besonders schwache und hilflose Frauen oder Mädchen gerichtet. Diese Umstände hat das Landgericht im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht ausreichend in den Blick genommen.
24
c) Auch im Übrigen hat das Landgericht das ihm durch § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB eingeräumte Ermessen – auch eingedenk eingeschränkter revisionsgerichtlicher Nachprüfung – rechtsfehlerhaft ausgeübt. Die Erwägung des Landgerichts, eine Haltungsänderung des Angeklagten während der Dauer des Strafvollzugs sei zu erwarten, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
25
aa) Die Beurteilung, ob ein Angeklagter infolge seines Hanges zur Begehung schwerer Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist, richtet sich nach der Sachlage zum Zeitpunkt der Aburteilung (§ 66 Abs. 3 Satz 2 StGB iVm § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB). Dieses hat die Strafkammer im Ansatz auch nicht verkannt.
26
Soweit indes die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 StGB oder – wie vom Landgericht angenommen – nach § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB in Betracht kommt, ist es dem Tatrichter grundsätzlich gestattet, bei der Ausübung seines Ermessens die zu erwartenden Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs auf die Gefährlichkeit des Angeklagten zu berücksichtigen. Ihm ist die Möglichkeit eröffnet, sich ungeachtet der hangbedingten Gefährlichkeit des Angeklagten zum Zeitpunkt der Urteilsfindung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich der Angeklagte schon die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt (vgl. auch BGH, Urteil vom 11. Juli 2013 – 3 StR 148/13, NStZ 2013, 707).
27
Ein Absehen von der Verhängung der Sicherungsverwahrung bei Ausübung dieses Ermessens ist jedoch nur gerechtfertigt, wenn konkrete Anhaltspunkte erwarten lassen, dass dem Täter aufgrund der Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs und diesen begleitender resozialisierender sowie therapeutischer Maßnahmen zum Strafende eine günstige Prognose gestellt werden kann. Nur denkbare positive Veränderungen und Wirkungen künftiger Maßnahmen im Strafvollzug reichen nicht aus (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 3. Februar 2011 – 3 StR 466/10, NStZ-RR 2011, 172; Urteil vom 11. Juli 2013 – 3 StR 148/13, NStZ 2013, 707, jeweils mwN).
28
bb) Diesen Maßstäben wird die Entscheidung des Landgerichts nicht gerecht.
29
(1) Im Rahmen der Prognosebeurteilung hat das Landgericht ausgeführt, „dass ohne eine erfolgreiche therapeutische Einwirkung auf den Angeklagten auch für die Zukunft ernsthaft damit zu rechnen ist, dass er seinen devianten sexuellen Impulsen in strafbarer Weise nachgehen wird“. Daraus ergibt sich bereits, dass allein durch Strafverbüßung eine Haltungsänderung des Angeklagten , die zu einer Verminderung seiner Gefährlichkeit führen wird, nicht zu erwarten ist.
30
(2) Die vom Landgericht zugrunde gelegten „erkennbaren positiven An- sätze im Hinblick auf eine therapiebedingte Verhaltensänderung“ des Angeklag- ten sind nicht belegt. Während seiner ersten Inhaftierung war der Angeklagte zu einer Therapie „allenfalls“ vordergründig bereit. Eine Haltungsänderung im Ver- lauf der Haft habe sich lediglich insoweit abgezeichnet, dass der Angeklagte zu Beginn der Haft „frech, fordernd und respektlos“ aufgetreten sei, gegen Ende der Haftzeit hingegen „angepasst und ruhiger“. Nach Entlassung aus derHaft habe der Angeklagte entsprechende Therapieauflagen – sanktionslos – nicht erfüllt. Die Versicherung des Angeklagten in der Hauptverhandlung, „nunmehr eingesehen (zu haben), dass er Hilfe brauche und bereit sei, aktiv an sich zu arbeiten“, hat das Landgericht als „wenig emotional fundiert und noch nicht von der Einsicht in die Komplexität seiner Problematik getragen“ bewertet, zumal er schon in der Vergangenheit Therapiebereitschaft und Kooperation vorgetäuscht habe. Da jedoch während der Inhaftierung des Angeklagten „eine Unterbrin- gung in der sozialtherapeutischen Abteilung […] möglich“ sei, bestehe „vor dem Hintergrund des jungen Alters des Angeklagten, der durch die Inhaftierung eingetretenen Isolierung von seiner Familie sowie der Tatsache, dass im Rahmen der ersten Inhaftierung bereits Verhaltensänderungen zu beobachten waren, […] die begründete Erwartung einer erfolgreichen Therapie“.
31
Damit hat das Landgericht indes nur denkbare Wirkungen des künftigen Strafvollzugs benannt, die kaum mehr als eine Hoffnung beschreiben. Über die im Ansatz vorhandene allgemeine Unrechtseinsicht und – möglicherweise nur vorgetäuschte – Therapiebereitschaft des Angeklagten hinaus werden konkrete Anhaltspunkte für einen erwartbaren Erfolg der resozialisierenden und therapeutischen Maßnahmen im Strafvollzug – unbeschadet nicht mitgeteilter Sachverständigenprognose – nicht benannt.
32

d) Nach alledem muss über die Anordnung der Sicherungsverwahrung nochmals entschieden werden.
33
Die aufgrund der Weitergeltungsanordnung im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365/09 u.a., BVerfGE 128, 326) auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebots in vorliegendem Fall weiterhin (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 17. April 2014 – 3 StR 355/13, NStZ-RR 2014, 207 mwN) vorzunehmende "strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung" steht der Anordnung der Sicherungsverwahrung hier nicht von vornherein entgegen (vgl. zur Anlasstat gemäß § 176 Abs. 1 StGB: BGH, Urteil vom 19. Februar 2013 – 1 StR 465/12, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 9 mwN).
34
Sofern auch nach erneuter Verhandlung keine konkreten Anhaltspunkte für einen erwartbaren Erfolg der resozialisierenden und therapeutischen Maßnahmen im Strafvollzug vorliegen sollten, bleibt es der Prüfung nach § 67c StGB vorbehalten, ob der Angeklagte nach Strafverbüßung weiterhin für die Allgemeinheit gefährlich und daher der Vollzug der Sicherungsverwahrung geboten ist (vgl. BGH, Urteil vom 4. Februar 2004 – 1 StR 474/03, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 7; Urteil vom 3. Februar 2011 – 3 StR 466/10, NStZRR 2011, 172).
35
3. Die Aufhebung des angefochtenen Urteils im (unterbliebenen) Maßregelausspruch führt zu Gunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) zur Aufhebung auch des gesamten Strafausspruchs. Im Hinblick auf die Erwägungen des angefochtenen Urteils zu den möglichen Wirkungen des langjährigen Strafvollzugs vermag der Senat nicht auszuschließen, dass die verhängten Einzelstrafen sowie die Gesamtstrafe niedriger ausgefallen wären, wenn das Landgericht die nunmehr erneut im Raum stehende Sicherungsverwahrung verhängt hätte (vgl.
auch BGH, Urteil vom 11. Juli 2013 – 3 StR 148/13 mwN, insoweit in NStZ 2013, 707 nicht abgedruckt). Im Übrigen hat die Überprüfung des Strafausspruchs keinen Rechtsfehler ergeben. Appl Schmitt Eschelbach Ott Zeng