Bundesgerichtshof Urteil, 25. Feb. 2010 - 4 StR 596/09

bei uns veröffentlicht am25.02.2010

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 596/09
vom
25. Februar 2010
in der Strafsache
gegen
wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. Februar
2010, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
die Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Athing,
Dr. Ernemann,
Dr. Mutzbauer
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 19. August 2009 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Das Verfahren wird eingestellt, soweit dem Angeklagten mit der Anklageschrift vom 26. Februar 2009 eine gefährliche Körperverletzung (Fall III 2. der Urteilsgründe) zur Last gelegt wird. Im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last. 3. Im Übrigen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die weiteren Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten von den Vorwürfen der gefährlichen Körperverletzung in drei Fällen wegen nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit zum Zeitpunkt der Taten freigesprochen. Mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision wendet sich die Staatsanwaltschaft gegen die Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Urteils und zur Einstellung des Verfahrens im Fall III 2. der Urteilsgründe.

I.

2
1. Der Angeklagte leidet seit seinem 15. Lebensjahr an einer paranoidhalluzinatorischen Psychose und hat sich seit mehr als zehn Jahren regelmäßig stationären psychiatrischen Behandlungen unterzogen. In dem Zeitraum von Juli 2007 bis zum November 2008 wurde der Angeklagte im Abstand von 14 Tagen mit Depotspritzen behandelt, die für einen stabilen Zustand sorgten. Als der Angeklagte diese Behandlung im Frühjahr 2008 vernachlässigte, kam es zu einem Selbstmordversuch und zu einer mehrere Wochen dauernden stationären psychiatrischen Behandlung. In der Zeit von November 2008 bis Januar 2009 wurde die Behandlung mit Depotspritzen erneut unterbrochen. Seit seinem letzten Klinikaufenthalt im Februar 2009 befindet sich der Angeklagte in regelmäßiger ambulanter Behandlung in einer psychiatrischen Klinik und erhält im Abstand von 14 Tagen Depotspritzen.
3
2. Zu den dem Angeklagten zur Last gelegten Taten hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:
4
Fall III 1. der Urteilsgründe (Anklageschrift vom 19. Februar 2008):
5
Bei dem Versuch, sich nach einer Fahrausweiskontrolle in der U-Bahn der Feststellung der Personalien zu entziehen, zog der Angeklagte ein Küchenmesser aus der Tasche und „fuchtelte damit wild herum.“ Dabei nahm er Verletzungen der ihn verfolgenden Fahrausweisprüfer billigend in Kauf. Er verletzte einen von ihnen an der Hand und einen anderen am Oberarm. In den Urteilsgründen werden zum Tattag widersprüchliche Angaben gemacht. So wird zum einen das Datum 27. August 2007 und zum anderen das Datum 12. Februar 2008 genannt. Im Rahmen der Feststellungen zur Person und zur Schuldfähigkeit wird dagegen mitgeteilt, dass der Angeklagte die Tat in dem Zeitraum von November 2008 bis Februar 2009, in dem er nicht behandelt wurde, beging.
6
Fall III 2. der Urteilsgründe (Anklageschrift vom 26. Februar 2009):
7
Während eines Aufenthalts in einer Spielhalle wurde der Angeklagte gegenüber der Spielhallenaufsicht aggressiv und warf einen Glasaschenbecher auf die Theke, an der der Zeuge F. stand. Der Zeuge wurde durch einen Glassplitter an der Nase verletzt. Der Angeklagte hätte dies vorhersehen können und müssen.
8
3. Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen, weil "jedenfalls" nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Angeklagte aufgrund seiner zu den jeweiligen Tatzeitpunkten virulenten paranoiden Schizophrenie nicht in der Lage gewesen sei, das Unrecht der Taten einzusehen. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB hat das Landgericht abgelehnt, weil von dem Angeklagten "bei sichergestellter Medikation keine Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht", und nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme die Behandlung des Angeklagten derzeit sichergestellt sei.

II.

9
Das Urteil hat insgesamt keinen Bestand.
10
1. Soweit das Landgericht den Angeklagten im Fall III 2. der Urteilsgründe freigesprochen hat, ist das Urteil aufzuheben und das Verfahren in entsprechender Anwendung von § 206 a StPO einzustellen, weil es insoweit an einem wirksamen Eröffnungsbeschluss fehlt. Dieses Verfahrenshindernis ist - unbeschadet der Frage, ob die Revision der Staatsanwaltschaft wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt ist, von Amts wegen zu berücksichtigen (vgl. Meyer-Goßner StPO 52. Aufl. Einl. Rdn. 151 m.N.).
11
Das Landgericht hat die ihm im Hinblick auf die bei ihm bereits anhängige Sache 85 Js 2688/07 (Anklageschrift vom 19. Februar 2008) vorgelegte Sache 85 Js 119/09 (Anklageschrift vom 26. Februar 2009) erst in der Hauptverhandlung am 19. August 2009 "durch Kammerbeschluss" zur Hauptverhandlung zugelassen, das Hauptverfahren eröffnet und die Verbindung zu der bereits anhängigen Sache beschlossen. Dies war rechtsfehlerhaft.
12
Entsprechend dem Eröffnungs- und Besetzungsbeschluss vom 9. Juni 2009, war die Strafkammer in der Hauptverhandlung gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG mit zwei Berufsrichtern besetzt. Wird eine zunächst unterbliebene Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens in der Hauptverhandlung nachgeholt, so entscheidet darüber aber beim Landgericht auch dann die Große Strafkammer in ihrer Besetzung außerhalb der Hauptverhandlung mit drei Berufsrichtern ohne Mitwirkung der Schöffen, wenn die Kammer die Hauptverhandlung in reduzierter Besetzung durchführt (Senat, Beschluss vom 2. November 2005 - 4 StR 418/05, BGHSt 50, 267).
13
2. Auch der Freispruch wegen der Vorwürfe der gefährlichen Körperverletzung in zwei Fällen (III 1. der Urteilsgründe) hat keinen Bestand. Die Beschränkung der Revision der Staatsanwaltschaft auf den Rechtsfolgenausspruch ist unwirksam. Die Feststellungen bilden keine tragfähige Grundlage für die Beurteilung der Schuldfähigkeit. Sie ermöglichen dem Revisionsgericht deshalb nicht die isolierte Überprüfung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 63 StGB für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (vgl. BGH Beschluss vom 10. Januar 2001 - 2 StR 500/00, BGHSt 46, 257, 259). Es ist nicht rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der Angeklagte die Tat beging, als seine paranoide Schizophrenie virulent war,weil er nicht mit Depotspritzen behandelt wurde. Sowohl der in den Urteilsgründen als Tattag genannte 27. August 2007 als auch der 12. Februar 2008 fallen in den Zeitraum, in dem der Angeklagte nach den Feststellungen im Abstand von 14 Tagen mit Depotspritzen behandelt wurde.

III.

14
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat vorsorglich auf Folgendes hin:
15
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB setzt voraus, dass die Voraussetzungen des § 20 StGB oder die des § 21 StGB zweifelsfrei festgestellt sind (vgl. Senat, Urteil vom 6. März 1986 - 4 StR 40/86; Fischer StGB 57. Aufl. § 63 Rdn. 11 m.w.N.). Auf die Feststellung, dass eine Aufhebung der Einsichtsfähigkeit nicht auszuschließen sei, kann die Anordnung der Maßregel nicht gestützt werden, weil damit weder die Voraussetzungen des § 20 StGB noch die des § 21 StGB festgestellt sind, denn eine verminderte Einsichtsfähigkeit ist strafrechtlich erst dann von Bedeutung, wenn sie das Fehlen der Einsicht zur Folge hat (vgl. Senat, Beschluss vom 10. Dezember 2009 - 4 StR 437/09; Fischer aaO, jew. m.w.N.). Ist das nicht der Fall, wird der neue Tatrichter, sofern die paranoide Schizophrenie des Angeklagten zur Tatzeit virulent war, auch die Frage einer (sicheren) erheblichen Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit zu prüfen haben.
16
2. Im Falle einer ohne Behandlung bestehenden Gefährlichkeit wird die Notwendigkeit einer Unterbringung gemäß § 63 StGB entgegen der Auffassung der Strafkammer in der Regel nicht durch minder einschneidende Maßnahmen außerhalb des Bereichs der strafrechtlichen Maßregeln aufgehoben. Vorrangig wird eine Minderung der Gefährlichkeit durch flankierende Maßnahmen bei der Frage der Vollstreckung, nicht aber bei der Frage der Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung zu beachten sein (vgl. BGH, Urteil vom 11. Dezember 2008 - 3 StR 469/08, NStZ 2009, 260 m.N.). Tepperwien RiBGH Maatz ist Athing infolge Urlaubs gehindert zu unterschreiben Tepperwien Ernemann Mutzbauer

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 25. Feb. 2010 - 4 StR 596/09

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Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und
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Gerichtsverfassungsgesetz - GVG | § 76


(1) Die Strafkammern sind mit drei Richtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Schöffen (große Strafkammer), in Verfahren über Berufungen gegen ein Urteil des Strafrichters oder des Schöffengerichts mit dem Vorsitzenden und zwei Schöffen (klein

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Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

(1) Die Strafkammern sind mit drei Richtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Schöffen (große Strafkammer), in Verfahren über Berufungen gegen ein Urteil des Strafrichters oder des Schöffengerichts mit dem Vorsitzenden und zwei Schöffen (kleine Strafkammer) besetzt. Bei Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung wirken die Schöffen nicht mit.

(2) Bei der Eröffnung des Hauptverfahrens beschließt die große Strafkammer über ihre Besetzung in der Hauptverhandlung. Ist das Hauptverfahren bereits eröffnet, beschließt sie hierüber bei der Anberaumung des Termins zur Hauptverhandlung. Sie beschließt eine Besetzung mit drei Richtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Schöffen, wenn

1.
sie als Schwurgericht zuständig ist,
2.
die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, deren Vorbehalt oder die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu erwarten ist oder
3.
nach dem Umfang oder der Schwierigkeit der Sache die Mitwirkung eines dritten Richters notwendig erscheint.
Im Übrigen beschließt die große Strafkammer eine Besetzung mit zwei Richtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Schöffen.

(3) Die Mitwirkung eines dritten Richters nach Absatz 2 Satz 3 Nummer 3 ist in der Regel notwendig, wenn die Hauptverhandlung voraussichtlich länger als zehn Tage dauern wird oder die große Strafkammer als Wirtschaftsstrafkammer zuständig ist.

(4) Hat die Strafkammer eine Besetzung mit zwei Richtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Schöffen beschlossen und ergeben sich vor Beginn der Hauptverhandlung neue Umstände, die nach Maßgabe der Absätze 2 und 3 eine Besetzung mit drei Richtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Schöffen erforderlich machen, beschließt sie eine solche Besetzung.

(5) Ist eine Sache vom Revisionsgericht zurückverwiesen oder ist die Hauptverhandlung ausgesetzt worden, kann die jeweils zuständige Strafkammer erneut nach Maßgabe der Absätze 2 und 3 über ihre Besetzung beschließen.

(6) In Verfahren über Berufungen gegen ein Urteil des erweiterten Schöffengerichts (§ 29 Abs. 2) ist ein zweiter Richter hinzuzuziehen. Außerhalb der Hauptverhandlung entscheidet der Vorsitzende allein.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
1. Der Rechtsmittelverzicht eines Angeklagten ist unwirksam, wenn er
lediglich aufgrund einer - auch irrtümlich - objektiv unrichtigen Erklärung oder
Auskunft des Gerichts (hier: zu beamtenrechtlichen Nebenfolgen des Urteils)
zustandegekommen ist.
2. Die Beschränkung der Revision auf den Strafausspruch ist unwirksam
, wenn eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit nicht rechtsfehlerfrei
begründet wurde und Schuldunfähigkeit nicht auszuschließen ist.
BGH, Beschluß vom 10. Januar 2001 - 2 StR 500/00 - LG Darmstadt -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 500/00
vom
10. Januar 2001
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter Erpressung
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 10. Januar 2001 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 11. August 2000 mit den Feststellungen - mit Ausnahme der Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen - aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

I.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter Erpressung zu der Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Strafe und Maßregel wurden zur Bewährung ausgesetzt. Mit seiner auf den Strafausspruch beschränkten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Er erstrebt eine Freiheitsstrafe von weniger als einem Jahr mit Bewährung. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils in dem aus der Beschlußformel ersichtlichen Umfang.

II.

1. Das Rechtsmittel ist zulässig. Der in der Hauptverhandlung erklärte Rechtsmittelverzicht des Angeklagten ist unwirksam. Die Strafkammer ging in der Hauptverhandlung - ebenso wie die übrigen Verfahrensbeteiligten - versehentlich davon aus, der Status des Angeklagten als Kommunalbeamter werde nach § 24 Abs. 1 Nr. 1 BRRG nicht tangiert, wenn er wegen versuchter Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr verurteilt werde. Diese Auffassung äußerte der Vorsitzende auch in der mündlichen Urteilsbegründung. Lediglich aufgrund dieser Umstände erklärte der Angeklagte im Anschluß an die Urteilsverkündung nach Rücksprache mit seinem Verteidiger, er verzichte auf Rechtsmittel und nehme das Urteil an. Der Verzicht wurde protokolliert, verlesen und genehmigt. Auch der Staatsanwalt verzichtete auf Rechtsmittel. Dieser Verfahrensgang ergibt sich aus den übereinstimmenden dienstlichen und anwaltlichen Erklärungen der richterlichen Mitglieder der Strafkammer und des Verteidigers sowie dem Hauptverhandlungsprotokoll. In Wirklichkeit entsprach die Rechtsauffassung der Strafkammer jedoch nicht § 24 Abs. 1 Nr. 1 BRRG. Nach dieser Vorschrift endet das Beamtenverhältnis mit Rechtskraft der Verurteilung eines Beamten wegen einer vorsätzlichen Tat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr. Ein Rechtsmittelverzicht ist als Prozeßerklärung grundsätzlich unwiderruflich und unanfechtbar (st. Rspr., vgl. u.a. BGHSt 45, 51, 53). Die Rechtsprechung erkennt allerdings in eng begrenztem Umfang Ausnahmen an. In Betracht kommen insbesondere die Fälle schwerwiegender Willensmängel. Auch vom Gericht zu verantwortende Umstände der Art und Weise des Zustandekommens können einen Rechtsmittelverzicht unwirksam machen (BGHSt 45, 51, 53, 55). Deshalb kann ein Rechtsmittelverzicht ausnahmsweise unwirksam
sein, wenn er lediglich aufgrund einer - sei es auch irrtümlich - objektiv unrichtigen Erklärung oder Auskunft des Gerichts zustandegekommen ist (vgl. Kleinknecht /Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 302 Rdn. 10, 22; Gollwitzer in Löwe/ Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 302 Rdn. 52; Ruß in KK 4. Aufl. § 302 Rdn. 13; OLG Koblenz NStZ-RR 1996, 306 jeweils m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Die Strafkammer hat durch ihre objektiv unzutreffenden Erklärungen zu den beamtenrechtlichen Nebenfolgen des Urteils dem Angeklagten die Vorstellung vermittelt, sein Status als Beamter werde durch das Urteil nicht berührt. Nur deshalb hat der Angeklagte auf Rechtsmittel verzichtet. Daran , daß der Angeklagte auf die wiederholt geäußerte Beurteilung des Landgerichts vertraut hat, trifft ihn kein Verschulden. Wegen der dargelegten Umstände seines Zustandekommens war der Rechtsmittelverzicht des Angeklagten hier von Anfang an unwirksam. Auf eine Anfechtung wegen Irrtums kommt es daher nicht an. 2. Die Beschränkung der Revision auf den Strafausspruch ist unwirksam. Der Schuldspruch und die Strafzumessung sind hier so miteinander verknüpft , daß eine getrennte Überprüfung der Strafzumessung nicht möglich wäre , ohne den nicht angefochtenen Schuldspruch mit zu berühren (vgl. BGH NJW 1996, 2663, 2664 m.w.N.). Wird der Strafausspruch angefochten, ist auch die Frage einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit Gegenstand der revisionsrechtlichen Prüfung. Diese ergibt hier, daß das Urteil keine rechtsfehlerfreie Begründung für die Annahme einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit enthält. Auf der Grundlage des angefochtenen Urteils läßt sich auch nicht völlig ausschließen, daß der Angeklagte zur Tatzeit steuerungsunfähig war.
Das Landgericht teilt zwar die Entwicklung der psychischen Erkrankung des Angeklagten mit dem wiederholten Wechsel von manischen und depressiven Phasen näher mit. Die Beurteilung dieser Erkrankung durch das sachverständig beratene Landgericht ist jedoch unklar und widersprüchlich. Im Anschluß an den Sachverständigen meint das Landgericht, der Angeklagte sei zur Tatzeit an einer "aktuellen seelischen Störung" erkrankt gewesen, durch die seine Fähigkeit zur Willensbildung, seine Steuerungskontrolle und seine gesamte Reflexionsfähigkeit erheblich gestört gewesen seien. Die Steuerungsfähigkeit sei insbesondere auch deshalb erheblich vermindert gewesen, weil die manische Symptomatik durch die fortgeführte Einnahme von Antidepressiva verstärkt worden sei. Welche psychische Erkrankung der Sachverständige konkret festgestellt hat, wird aber nicht näher mitgeteilt. Nach den vom Landgericht beschriebenen Krankheitssymptomen kommen hier eine manische Episode zur Tatzeit, aber auch eine bipolare affektive Störung in Betracht , die früher nach Kurt Schneider als "Zyklothymie" bezeichnet wurde (vgl. hierzu Nedopil, Forensische Psychiatrie S. 113 ff.). Einer dahingehenden Beurteilung widerspricht aber, daß das Landgericht Schuldunfähigkeit ausschließt , weil der Angeklagte "nicht an einer Manie im Sinne einer Psychose" gelitten habe. Gerade bei den in Betracht kommenden affektiven Störungen handelt es sich aber um Psychosen. Sollte es zutreffen, daß der Angeklagte bei der Tat nicht an einer Psychose litt, fehlte schon die Grundlage für die Annahme einer erheblichen Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit. Hinzu kommt: Bei mittelgradigen Depressionen oder Manien kann die Willensbildung aufgehoben sein, wenn Motivation und Verhalten auf die affektive Störung zurückzuführen sind. Bei schweren manischen (oder depressiven) Episoden liegt daher eine Aufhebung der Steuerungsfähigkeit jedenfalls nicht fern (vgl. hierzu Nedopil aaO S. 117). Das Landgericht hätte daher die diagnostische Einord-
nung der Erkrankung und die Gewichtung ihrer Auswirkungen auf die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten näher darlegen müssen. Nach der bisherigen Erörterung dieser Fragen ist nicht auszuschließen, daß die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit nicht nur erheblich vermindert, sondern aufgehoben war. Da hierdurch nicht nur der Straf-, sondern auch der Schuldspruch betroffen ist und die Frage der Schuldfähigkeit nur einheitlich beurteilt werden kann, ist eine Beschränkung der Revision auf den Strafausspruch unzulässig. Ebensowenig kann unter diesen Umständen die Maßregelanordnung von der Anfechtung ausgenommen werden. 3. Die Sachrüge führt zur Aufhebung des Schuld- und Rechtsfolgenausspruchs. Der Schuldspruch hält der sachlich-rechtlichen Prüfung nicht stand, weil das Landgericht - wie bereits dargelegt - Schuldunfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen hat. Daneben ist auch die Strafzumessung rechtsfehlerhaft. Das Landgericht war der in den Urteilsgründen mitgeteilten Ansicht, daß die Beendigung des Beamtenverhältnisses als Nebenfolge der strafrechtlichen Verurteilung unangemessen wäre und der Tat und der Persönlichkeit des Angeklagten nicht gerecht würde. Die Strafkammer ging jedoch - wie bereits ausgeführt - unter Verkennung von § 24 BRRG irrtümlich davon aus, daß bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr diese Folge nicht eintreten werde. Daher wurde bei der Bemessung der Strafe auch die beamtenrechtliche Nebenfolge nicht zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt. Die Maßregelanordnung hat ebenfalls keinen Bestand, weil die Schuldfähigkeit des Angeklagten bisher nicht rechtsfehlerfrei geprüft wurde.
Die Feststellungen zum äußeren Tathergang können jedoch bestehen bleiben, weil sie von den dargelegten Rechtsfehlern nicht berührt werden. Jähnke Detter Bode Otten Elf

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 437/09
vom
10. Dezember 2009
in der Strafsache
gegen
wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 10. Dezember 2009 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der Strafkammer des Landgerichts Bochum bei dem Amtsgericht Recklinghausen vom 26. Mai 2009 mit Ausnahme der Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten von den Vorwürfen der gefährlichen Körperverletzung sowie der Nachstellung in Tateinheit mit Beleidigung in vier Fällen, mit vorsätzlicher Körperverletzung, mit gefährlicher Körperverletzung , mit Bedrohung in sechs Fällen und mit Diebstahl freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat zum Maßregelausspruch Erfolg; hinsichtlich der Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen hat die Nachprüfung des Urteils keinen den Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
1. Die Anordnung der Unterbringung kann keinen Bestand haben, weil die Voraussetzungen des § 20 StGB oder § 21 StGB nicht, wie für die Maßregel nach § 63 StGB erforderlich, zweifelsfrei festgestellt sind.
3
Das Landgericht hat - sachverständig beraten - die Überzeugung gewonnen , dass der Angeklagte an einer schweren kombinierten Persönlichkeitsstörung mit hypomanischen, paranoiden, narzisstischen, schizothymen und histrionischen Anteilen leidet. Infolge dieser Erkrankung unterliegt der Angeklagte periodisch Realitätsverzerrungen, Identitätsverkennungen, dem Verlust der affektiven Verhaltenskontrolle, Impulskontrollstörungen, sozialen Anpassungsstörungen und überwertigen wahnähnlichen Kognitionen [UA 7]. Davon ausgehend hat das Landgericht - auch insoweit den Sachverständigen folgend - angenommen, dass dem Angeklagten zum Zeitpunkt der sämtlich gegen seine Ehefrau gerichteten Taten die Fähigkeit zur Unrechtseinsicht nicht ausschließbar gefehlt habe [UA 7, 12].
4
Danach ist nicht festgestellt, dass die Unrechtseinsichtsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten sicher aufgehoben war. Dass - wie sich dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe entnehmen lässt - diese Fähigkeit jedenfalls erheblich vermindert war, genügt für die Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB nicht, weil damit die Voraussetzungen des § 21 StGB nicht festgestellt sind. Eine verminderte Einsichtsfähigkeit ist strafrechtlich erst dann von Bedeutung, wenn sie das Fehlen der Einsicht zur Folge hat (vgl. BGHSt 21, 27; 34, 22, 25; vgl. auch Fischer StGB 57. Aufl. § 63 Rdn. 11 m.w.N.). Ein Täter, der trotz erheblich verminderter Einsichtsfähigkeit im konkreten Fall die Einsicht in das Unrecht seiner Tat gehabt hat, ist - sofern nicht seine Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt war - voll schuldfähig. In ei- nem solchen Fall ist auch die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht zulässig.
5
2. Der aufgezeigte Mangel zwingt zur Aufhebung des Maßregelausspruchs , so dass die Sache insoweit erneuter umfassender Prüfung bedarf. Für den Fall, dass der neue Tatrichter eine Unterbringung nach § 63 StGB ablehnen sollte, weist der Senat auf § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO n.F. hin (vgl. hierzu auch Kuckein in KK StPO 6. Aufl. § 358 Rdn. 24 a).
6
Auch wenn es für die Gefährlichkeitsprognose ausreicht, wenn von einem Täter erhebliche rechtswidrige Taten nur gegen bestimmte Einzelpersonen zu erwarten sind (vgl. BGHSt 26, 321 f.; BGH, Urteil vom 7. Juni 1995 - 2 StR 206/95 = BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 21), wird es sich in der neuen Hauptverhandlung empfehlen, im Rahmen der Bewertung der Persönlichkeitsstörung auch das Verhalten des Angeklagten in seinen sonstigen Lebensbereichen zu berücksichtigen. Tepperwien Solin-Stojanović Ernemann Franke Mutzbauer

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 469/08
vom
11. Dezember 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. Dezember
2008, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
die Richter am Bundesgerichtshof
Hubert,
Dr. Schäfer
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 24. Juli 2008 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Nötigung, Bedrohung und Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung zur Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hat es abgelehnt. Gegen die Nichtanordnung der Maßregel richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft. Das wirksam beschränkte, vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.
2
Das sachverständig beratene Landgericht hat von der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgesehen, da durch die für die Freiheitsstrafe erteilten Bewährungsauflagen und -weisungen (überwachte ambulante medikamentöse Behandlung der schizoaffektiven Psychose) ein "sicheres anderes Abwehrmittel" die vom Angeklagten ausgehende Gefahr beseitige und die Verhängung der Maßregel unnötig mache. In einem derartigen Fall lasse der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit schon die Verhängung der Maßregel nicht zu; hingegen komme nicht etwa als "milderes Mittel" deren Anordnung bei gleichzeitiger Aussetzung (auch) des Vollzugs der Maßregel zur Bewährung in Betracht. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
3
Entgegen der Auffassung der Strafkammer wird im Falle der Gefährlichkeit des Täters für die Allgemeinheit die Notwendigkeit einer Unterbringung gemäß § 63 StGB nicht durch minder einschneidende Maßnahmen außerhalb des Bereichs der strafrechtlichen Maßregeln aufgehoben. Bei den freiheitsentziehenden Maßregeln der Sicherung gilt das Subsidiaritätsprinzip allein für die Frage der Vollstreckung, nicht aber für die Frage der Anordnung (h. M.; vgl. BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 28 m. w. N.; BGH, Urt. vom 14. Februar 2001 - 3 StR 455/00; Fischer, StGB 55. Aufl. § 63 Rdn. 23 m. w. N.; aA Schöch in LK 12. Aufl. § 63 Rdn. 133 ff.).
4
Daher ist es für die Entscheidung über die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus unerheblich, ob die von dem Angeklagten ausgehende Gefahr für die Allgemeinheit durch eine konsequente medizinische Behandlung abgewendet werden kann. Auch die Überwachung der Medikation oder die Bestellung eines Betreuers, eines Bewährungshelfers sowie die Erteilung von Bewährungsauflagen und -weisungen, die ohnehin allein die Aussetzung der Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe betreffen, sind insoweit ohne Belang. Solche "täterschonenden" Mittel und Maßnahmen erlangen vielmehr Bedeutung erst für die Frage, ob die Vollstreckung der Unterbringung gemäß § 67 b StGB zur Bewährung ausgesetzt werden kann (vgl. Fischer aaO § 67 b Rdn. 2 f.).
5
Die Sache bedarf daher - unter Beachtung von § 246 a StPO - zur Frage der Maßregelanordnung neuer Verhandlung und Entscheidung. Becker Pfister Sost-Scheible Hubert Schäfer