Bundesgerichtshof Urteil, 20. Jan. 2004 - 5 StR 530/03

bei uns veröffentlicht am20.01.2004

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

5 StR 530/03

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 20. Januar 2004
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der nicht öffentlichen Sitzung
(§ 48 Abs. 1 JGG) vom 20. Januar 2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Basdorf,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt M
als Verteidiger des Angeklagten A ,
Rechtsanwalt V ,
Rechtsanwalt T
als Verteidiger des Angeklagten Y ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revisionen der Angeklagten A und Y gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 11. Juli 2003 werden verworfen.
Es wird davon abgesehen, den Angeklagten Kosten und Auslagen des Revisionsverfahrens aufzuerlegen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils des versuchten Tot- schlags (in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit Freiheitsberaubung ), des Raubes (u.a.) und des Diebstahls für schuldig befunden, A ferner des versuchten schweren Raubes (u.a.), Y des Raubes (u.a.), der vollendeten und der versuchten räuberischen Erpressung sowie der (vorsätzlichen) Körperverletzung. Gegen den zur Tatzeit 15-jährigen Angeklagten A wurden fünf Jahre und sechs Monate, gegen den damals 14-jährigen Angeklagten Y vier Jahre Jugendstrafe verhängt. Die jeweils mit der Sachrüge begründeten Revisionen der Angeklagten haben keinen Erfolg. Der Ausführung bedarf nur folgendes: 1. Der Senat hat über die Revisionen der jugendlichen Angeklagten nach § 48 Abs. 1 JGG nicht öffentlich verhandelt. Auch das Revisionsgericht ist erkennendes Gericht im Sinne dieser Vorschrift (vgl. Wickern in Löwe/ Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 169 GVG Rdn. 1 f. m.w.N.).
2. Die Schuldsprüche sind sachlichrechtlich auch insoweit nicht zu beanstanden, als die Beschwerdeführer wegen tateinheitlichen gemeinschaftlich versuchten Totschlags verurteilt worden sind.
Auf der Grundlage einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung hat sich die Jugendkammer davon überzeugt, daß die von den Beschwerdeführern und den beiden Mitangeklagten gemeinsam in wechselnder Beteiligung begonnenen Gewalttätigkeiten gegen ihr zuvor ausgeraubtes, gefangen gehaltenes Opfer in Form von Schlägen und Tritten, jeweils unter Billigung der von den drei anderen zugleich verübten Gewalttätigkeiten, bis zum Abschluß der Gewalthandlungen andauerten. Währenddessen versetzte der Mitangeklagte S dem Geschädigten mit direktem Tötungsvorsatz und Verdeckungsabsicht fünf Messerstiche, darunter einen heftigen Stich in die rechte Schläfe und einen weiteren in die linke Brustseite. Daß die Beschwerdeführer diese wiederholte Gewalteskalation ihres Mittäters wahrgenommen haben, versteht sich angesichts ihrer unmittelbaren Präsenz und ihres weiteren eigenen Vorgehens gegen das Opfer von selbst, ohne daß es hierfür noch deutlicherer Ausführungen im Urteil bedurft hätte. Die Jugendkammer hatte mit den Einlassungen der beiden Mitangeklagten und der Zeugenaussage des Geschädigten – bei A zusätzlich mit der Einlassung des Beschwerdeführers Y und der Aussage eines Zeugen vom Hörensagen, bei Y zusätzlich mit Feststellungen zu Blutanhaftungen des Opfers an Y s Schuh – vor dem Hintergrund des bereits vorangegangenen gemeinsamen Vorgehens aller vier Mittäter gegen das Opfer eine ausreichende Beweisgrundlage zur Widerlegung der ihre fortdauernden eigenen Gewaltaktivitäten bestreitenden Einlassungen der Angeklagten.
Auch ohne Nachweis vorheriger Kenntnis vom Tötungsvorhaben S s und eines eigenen Verdeckungsmotivs der Beschwerdeführer stellen die aus der Fortsetzung der eigenen Gewalthandlungen rechtsfehlerfrei abgeleitete Billigung des Messereinsatzes und dessen massive konkrete Gefährlichkeit eine ausreichende Beweisgrundlage für die Annahme des je- weils bedingten Tötungsvorsatzes der mittäterschaftlich handelnden Beschwerdeführer dar. Vor dem Hintergrund des insgesamt mit äußerster Rücksichtslosigkeit einhergehenden besonders gewalttätigen Vorgehens gegen das hilflos unterlegene Opfer im Rahmen eines gruppendynamischen Geschehens mußten bei der offensichtlichen Lebensgefährlichkeit des wiederholten Messereinsatzes keine weiter erörterungsbedürftigen Bedenken aus der allgemein gegebenen hohen Hemmschwelle vor einem Tötungsvorsatz hergeleitet werden, auch nicht unter Berücksichtigung des sehr jungen Lebensalters der Beschwerdeführer. Durch die lebensgefährliche Art des hier festgestellten Messereinsatzes unterscheidet sich der vorliegende Fall maßgeblich von dem Sachverhalt des Senatsbeschlusses vom 15. August 2000 – 5 StR 275/00, auf den der Generalbundesanwalt zur Begründung seines Terminsantrages hingewiesen hatte.
3. Die Annahme von Verantwortungsreife und uneingeschränkter Schuldfähigkeit des Angeklagten Y ist rechtsfehlerfrei. Sie ist auf der Grundlage sachverständiger Beratung ausreichend begründet, und zwar bei der gegebenen Sachlage ersichtlich auch ohne Bezeichnung von Klassifikationen nach Diagnose-Handbüchern. Schließlich läßt die Bemessung der Jugendstrafen bei beiden Beschwerdeführern keinen Rechtsfehler erkennen. Harms Basdorf Gerhardt Brause Schaal

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 20. Jan. 2004 - 5 StR 530/03

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Referenzen - Gesetze

Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 48 Nichtöffentlichkeit


(1) Die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht einschließlich der Verkündung der Entscheidungen ist nicht öffentlich. (2) Neben den am Verfahren Beteiligten ist dem Verletzten, seinem Erziehungsberechtigten und seinem gesetzlichen Vertreter und,
Bundesgerichtshof Urteil, 20. Jan. 2004 - 5 StR 530/03 zitiert 3 §§.

Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 48 Nichtöffentlichkeit


(1) Die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht einschließlich der Verkündung der Entscheidungen ist nicht öffentlich. (2) Neben den am Verfahren Beteiligten ist dem Verletzten, seinem Erziehungsberechtigten und seinem gesetzlichen Vertreter und,

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Bundesgerichtshof Beschluss, 15. Aug. 2000 - 5 StR 275/00

bei uns veröffentlicht am 15.08.2000

5 StR 275/00 BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS vom 15. August 2000 in der Strafsache gegen wegen versuchten Mordes u. a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. August 2000 beschlossen: 1. Auf die Revision des Angeklagten B wird das
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Bundesgerichtshof Urteil, 19. Aug. 2004 - 5 StR 218/04

bei uns veröffentlicht am 19.08.2004

5 StR 218/04 BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL vom 19. August 2004 in der Strafsache gegen 1. 2. 3. wegen Mordes u. a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19. August 2004, an der teilgenommen haben: Rich

Referenzen

(1) Die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht einschließlich der Verkündung der Entscheidungen ist nicht öffentlich.

(2) Neben den am Verfahren Beteiligten ist dem Verletzten, seinem Erziehungsberechtigten und seinem gesetzlichen Vertreter und, falls der Angeklagte der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers oder der Betreuung und Aufsicht eines Betreuungshelfers untersteht oder für ihn ein Erziehungsbeistand bestellt ist, dem Helfer und dem Erziehungsbeistand die Anwesenheit gestattet. Das gleiche gilt in den Fällen, in denen dem Jugendlichen Hilfe zur Erziehung in einem Heim oder einer vergleichbaren Einrichtung gewährt wird, für den Leiter der Einrichtung. Andere Personen kann der Vorsitzende aus besonderen Gründen, namentlich zu Ausbildungszwecken, zulassen.

(3) Sind in dem Verfahren auch Heranwachsende oder Erwachsene angeklagt, so ist die Verhandlung öffentlich. Die Öffentlichkeit kann ausgeschlossen werden, wenn dies im Interesse der Erziehung jugendlicher Angeklagter geboten ist.

5 StR 275/00

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 15. August 2000
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. August 2000

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten B wird das Urteil des Landgerichts Görlitz vom 28. Januar 2000, soweit es diesen Angeklagten betrifft, nach § 349 Abs. 4 StPO
a) wegen der Tat vom 5. Januar 1999 im Schuldspruch dahin abgeändert, daß die Verurteilung wegen tateinheitlichen versuchten Mordes entfällt,
b) im Einzelstrafausspruch wegen dieser Tat und im Gesamtstrafausspruch aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten der Revision, an eine für allgemeine Strafsachen zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e Das Landgericht hat den Beschwerdeführer wegen schwerer Körperverletzung (zum Nachteil des Nebenklägers F ) in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung (zum Nachteil des Nebenklägers S – Tat vom 5. April 1998, Einzelstrafe: drei Jahre und sechs Monate Freiheitsstrafe – und wegen gemeinschaftlich mit dem Nichtrevidenten G begangenen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (zum Nachteil des Zeugen K – Tat vom 5. Januar 1999, Einzelstrafe: sieben Jahre und sechs Monate – zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und neun Monaten verurteilt. Die Revision führt mit der Sachrüge zur Schuldspruchänderung im zweiten Fall sowie zur Aufhebung der zugehörigen Einsatzstrafe und der Gesamtstrafe; im übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Die Besetzungsrüge ist jedenfalls offensichtlich unbegründet. Soweit die auf Verletzung des § 265 Abs. 3 StPO gestützte Verfahrensrüge nicht durch den sachlichrechtlichen Teilerfolg der Revision gänzlich erledigt ist, erweist sie sich ebenfalls als unbegründet. Die Aufklärungsrüge ist unzulässsig. Die sachlichrechtliche Überprüfung des Schuldspruchs im ersten Fall ergibt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten. Der zugehörige Einzelstrafausspruch erweist sich als rechtsfehlerfrei; ebenso läßt sich ausschließen, daß er von der Höhe der aufzuhebenden Einsatzstrafe mitbestimmt sein könnte. Schließlich ist auch die Ablehnung einer Maßregel nach § 64 StGB sachlichrechtlich nicht zu beanstanden.
Als rechtsfehlerfrei erweist sich auch der Schuldspruch wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung (in den Begehungsweisen des § 224 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 StGB) im zweiten Fall. Hingegen hält die Annahme bedingten Tötungsvorsatzes beim Beschwerdeführer sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Tatinitiative war vom Mitangeklagten aus- gegangen, bei diesem lag die eigentliche Tatmotivation; der andere vollzog auch eigenhändig den – nicht besonders tiefgehenden, ohne tatsächlich lebensgefährliche Folgen gebliebenen – Messerstich in die Seite des Opfers. Allein die Billigung eines solchen Messereinsatzes des Mittäters durch den Beschwerdeführer vermag hier noch nicht hinreichend sicher zu belegen, daß er die hohe Hemmschwelle bis hin zur Billigung einer Tötung des Opfers überwunden hat (vgl. nur BGHR StGB § 212 Abs. 1 – Vorsatz, bedingter 8, 11, 13, 24, 32). Bei der gegebenen Beweislage ist auszuschließen, daß ein neuer Tatrichter insoweit weitergehend begründete tragfähige Feststellungen treffen könnte; der Senat ändert daher, wie letztlich auch vom Generalbundesanwalt beantragt, den Schuldspruch – mit der Folge des Wegfalls der Verurteilung wegen tateinheitlichen Mordes – von sich aus. Die Beweislage betreffend dem Mitangeklagten, der das – folglich gegen ihn abgekürzt gefaßte – Urteil nicht angefochten hat, ist nicht eindeutig gleich gelagert, so daß die Urteilsaufhebung nicht nach § 357 StPO auf diesen zu erstrecken ist.
Wegen des geänderten Strafrahmens zieht die Schuldspruchänderung die Aufhebung der Einsatzstrafe, diese die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich. Der Aufhebung zugehöriger Feststellungen, auch zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten und zur Beeinträchtigung seiner Schuldfähigkeit bei Tatbegehung, bedarf es nicht. Der neue Tatrichter – nach Wegfall des heranwachsenden Mitangeklagten und des Schuldspruchs wegen eines Kapitalverbrechens die große Strafkammer nach § 74 Abs. 1 GVG – wird die Einzelstrafe für den zweiten Fall – naheliegend aus dem nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Normalstrafrahmen des durch vier Qualifikationsmerkmale verwirklichten § 224 Abs. 1 StGB – und die Gesamtstrafe allein auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen festzusetzen haben, die allenfalls durch neue widerspruchsfreie Feststellungen ergänzbar sind.
Harms Häger Basdorf Gerhardt Raum