Bundesgerichtshof Urteil, 06. März 2013 - 5 StR 597/12

bei uns veröffentlicht am06.03.2013

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung : ja
Voraussetzungen der Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus bei „Spielsucht“.
BGH, Urteil vom 6. März 2013 – 5 StR 597/12
LG Göttingen –

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 6. März 2013
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlungen
vom 19. Februar 2013 und vom 6. März 2013, an der teilgenommen
haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Prof. Dr. Sander,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Dölp,
Richter Prof. Dr. König
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
am 6. März 2013 für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 5. September 2012 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung und wegen Betruges in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer hierauf beschränkten und auf die Sachrüge gestützten Revision gegen die unterbliebene Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB. Das Rechtsmittel ist unbegründet.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der 37-jährige Angeklagte an einer extremen Form pathologischen Spielens (ICD 10: F63.0), beruhend auf einer mittelgradigen kombinierten Persönlichkeitsstörung mit selbstunsicheren, depressiven und narzisstischen Zügen. Er begann im Alter von 16 Jahren zu spielen, wendete bald sein ganzes Lehrgeld dafür auf und bestahl Vater und Bruder. Seit dem Alter von 18 Jahren unternahm er immer wieder „Spieltouren“ durch das Bundesgebiet, übernachtete dabei in seinem Auto und verspielte ganztägig in Spielhallen sein Geld. Eine der „Touren“ führte zu seiner Entlassung aus der Bundeswehr wegen Fahnenflucht.
3
Der Angeklagte ist bereits mehrfach wegen Vermögens- und Eigentumsdelikten vorbestraft. Im Januar 2004 verübte er binnen kurzer Zeit zwei Raubüberfälle auf Spielotheken, nachdem ihm auf einer im Oktober 2003 angetretenen „Spieltour“ das Geld ausgegangen war. Er wurde zunächst nicht als Täter ermittelt. Getrieben von schlechtem Gewissen stellte er sich jedoch 2007 freiwillig der Polizei; er wurde wegen der Taten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Bereits im damaligen Urteil wurde eine Unterbringung nach § 63 StGB geprüft, jedoch mangels Wiederholungsgefahr verneint, weil sich der Angeklagte vier Jahre lang straffrei geführt hatte.
4
In mehreren Therapien, u.a. während der Haftzeit, konnte der Angeklagte seine Sucht nicht überwinden. Noch vor Beendigung seiner letzten stationären Therapie wurde er rückfällig, weshalb er im Februar 2012 aus der Behandlung entlassen wurde.
5
2. Auch die verfahrensgegenständlichen Taten stehen in Zusammenhang mit der Spielsucht des Angeklagten. Nachdem ihm eine Verlängerung der Therapie versagt worden war, brach er abermals zu einer „Spieltour“ auf. Hierfür verschaffte er sich am 16. März 2012 betrügerisch ein Auto (Tat 1) und beging noch am selben Tag einen Tankbetrug (Tat 2). Binnen kurzer Zeit hatte er sein Geld verspielt. Am 18. März 2012 litt er unter „extremen Entzugserscheinungen“ (UA S. 22). Er „verspürte den immer stärker werdenden Drang, sich Geld zur Befriedigung seines Spieldrucks zu besorgen“ (UA S. 13), und überfiel deshalb unter Verwendung einer Spielzeugpistole eine Spielothek (Tat 3). Die erbeuteten 1.250 € verspielte er. Nach einem weite- ren Tankbetrug am 4. April 2012 (Tat 4) stellte er sich der Polizei.
6
Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass die Schuldfähigkeit des Angeklagten bei dem Überfall auf die Spielothek sicher und bei den übrigen Taten nicht ausschließbar erheblich vermindert war (§ 21 StGB). Es hat die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus trotzdem abgelehnt, weil die Spielsucht des Angeklagten nur auf einer nicht den Schweregrad einer anderen seelischen Abartigkeit erreichenden kombinierten Persönlichkeitsstörung beruhe.
7
3. Die Ablehnung der Unterbringung des Angeklagten im psychiatrischen Krankenhaus ist im Ergebnis rechtsfehlerfrei.
8
Voraussetzung für die Unterbringung gemäß § 63 StGB ist, dass der Täter eine rechtswidrige Tat im gesicherten Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) begangen hat (nachfolgend unter a), der durch einen länger dauernden und nicht nur vorübergehenden geistigen Defekt hervorgerufen worden sein muss (nachfolgend unter b).
9
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stellt Spielsucht zwar für sich genommen keine krankhafte seelische Störung oder schwere andere seelische Abartigkeit dar, welche die Schuldfähigkeit erheblich einschränken oder ausschließen kann (vgl. BGH, Urteil vom 25. November 2004 – 5 StR 411/04, BGHSt 49, 365, 369 ff.; Beschlüsse vom 24. Januar 1991 – 4 StR 580/90, BGHR StGB § 21 Seelische Abartigkeit 17, und vom 9. Oktober 2012 – 2 StR 297/12, NJW 2013, 181, 182; kritisch hierzu Kellermann , StV 2005, 287). Indes können in schweren Fällen psychische Defekte und Persönlichkeitsveränderungen auftreten, die eine ähnliche Struktur und Schwere wie bei den stoffgebundenen Suchterkrankungen aufweisen, und es kann zu schweren Entzugserscheinungen kommen (vgl. Schöch in Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Band 1, 2007, S. 92, 128; Leygraf in Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Band 2, 2010, S. 514, 523; Nedopil /Müller, Forensische Psychiatrie, 4. Aufl., S. 240).
10
Wie bei der Substanzabhängigkeit (vgl. BGH, Urteile vom 5. Mai 1999 – 2 StR 529/98, NStZ 1999, 448, 449, vom 19. September 2000 – 1 StR 310/00, und vom 7. November 2000 – 5 StR 326/00, NStZ 2001, 83 und 85; vgl. MünchKomm StGB/van Gemmeren, 2. Aufl., § 63 Rn. 24) kann deshalb auch bei Spielsucht eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit angenommen werden, wenn diese zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen geführt oder der Täter bei den Beschaffungstaten unter starken Entzugserscheinungen gelitten hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. November 1988 – 1 StR 544/88, BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 8, vom 22. Juli 2003 – 4 StR 199/03, NStZ 2004, 31, 32, und vom 9. Oktober 2012 – 2 StR 297/12, aaO; vgl. auch BGH, Urteil vom 25. November 2004 – 5 StR 411/04, BGHSt 49, 365, 370 f.).
11
Das Landgericht geht auf der Grundlage dieser Rechtsprechung rechtsfehlerfrei davon aus, dass die gravierenden Entzugserscheinungen des Angeklagten zumindest im Fall II.3 sicher zu einer erheblichen Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit führten. Der „intensive, kaum kontrollierbare Drang zum Glücksspiel“ (UA S. 21) habe bei ihm einen erheblichen Motivationsdruck zur Begehung des Raubüberfalls ausgelöst und den spontanen Tatentschluss unter bewusster Eingehung eines erheblichen Entdeckungsrisikos begründet (Videoüberwachung der Spielhalle, Fingerabdrücke und Lichtbild des Angeklagten waren der Polizei bekannt).
12
b) Die sich schubweise in schweren Entzugserscheinungen äußernde Spielsucht des Angeklagten vermag dessen Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus gleichwohl nicht zu begründen.
13
aa) In Fällen stoffgebundener Süchte, in denen erst eine (vorübergehende ) Alkohol- oder Drogenintoxikation zu einer rechtlich erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit führt, ist eine Unterbringung nach § 63 StGB nach der Rechtsprechung nur ausnahmsweise dann gerechtfertigt, wenn eine krankhafte Alkohol- oder Drogensucht im Sinne der Überempfindlichkeit gegeben ist oder der Betroffene aufgrund eines von der Drogensucht unterscheidbaren psychischen Defekts alkohol- oder drogensüchtig ist, der in seinem Schweregrad einer krankhaften seelischen Störung im Sinne der §§ 20, 21 StGB gleichsteht (vgl. BGH, Urteil vom 8. Januar 1999 – 2 StR 430/98, BGHSt 44, 338, 339; Beschlüsse vom 23. November 1999 – 4 StR 486/99, StV 2001, 677, vom 21. November 2001 – 3 StR 423/01, NStZ 2002, 197, vom 24. Juni 2004 – 4 StR 210/04, NStZ-RR 2004, 331, 332, und vom 22. März 2007 – 4 StR 56/07). Demgemäß sind eine Neigung zum Alkoholmissbrauch (vgl. BGH, Urteil vom 20. September 1983 – 5 StR 401/83), eine Alkoholabhängigkeit (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2006 – 4 StR 530/06, BGHR StGB § 63 Zustand 38) und selbst chronischer Alko- holismus als Folge jahrelangen Alkoholmissbrauchs (vgl. BGH, Urteil vom 8. Januar 1999 – 2 StR 430/98, aaO, S. 341 mwN) für sich allein nicht als hinreichende Gründe für eine Unterbringung nach § 63 StGB anerkannt worden. Nicht anders wird bei einer Abhängigkeit von illegalen Drogen entschieden , bei der die Schuldfähigkeit aufgrund vorübergehender starker Entzugserscheinungen erheblich vermindert ist (vgl. BGH, Beschluss vom 21. November 2001 – 3 StR 423/01, aaO).
14
bb) Die Voraussetzungen für die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus können auch aus Gründen der verfassungsrechtlich verankerten Verhältnismäßigkeit nicht weniger streng sein als bei stoffgebundenen Süchten. Die unbefristete Unterbringung gemäß § 63 StGB stellt einen überaus gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen dar. Das gilt hier umso mehr, als der Maßregelvollzug nach § 63 StGB auf die Behandlung Spielsüchtiger ersichtlich nicht ausgerichtet ist. Demgemäß wäre zu besorgen , dass der nicht oder nicht genügend behandelte Betroffene im Fall fortbestehender Gefährlichkeit lange Zeit im Maßregelvollzug untergebracht bliebe.
15
Der Senat verkennt dabei nicht, dass die Rechtsprechung zur Rauschmittelabhängigkeit auch vor dem Hintergrund steht, dass für rausch- mittelabhängige Täter die befristete und damit weniger beschwerende Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB zur Verfügung steht (vgl. BGH, Urteil vom 8. Januar 1999 – 2 StR 430/98, aaO), die in Fällen der Spielsucht nicht in Betracht kommt (vgl. BGH, Urteil vom 25. November 2004 – 5 StR 411/04, aaO). Dies kann jedoch nicht dazu führen, dass die Schwelle zur Unterbringung Spielsüchtiger im psychiatrischen Krankenhaus niedriger als dort angesetzt wird. Eine durch die Nichtanwendbarkeit des § 64 StGB unter Umständen begründete „Schutzlücke“ hat der Gesetzgeber in Kauf ge- nommen. Auch im Zuge der Novellierung des Rechts der psychiatrischen Maßregeln durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl. I 1327) wurde die Erweiterung der Unterbringung nach § 64 StGB auf Spielsüchtige nicht erwogen; das Gesetz sollte vielmehr vor dem Hintergrund wachsenden Belegungsdrucks im Maßregelvollzug zu einer „zielgerichteteren Nutzung seiner Kapazitäten“ beitragen (BT-Drucks. 16/1110, S. 1). Im Übrigen könnte eine angenommene Schutzlücke die Unterbringung des „nur“ Spielsüchtigen im psychiatrischen Krankenhaus ebenso wenig gebieten wie des die Voraussetzungen des § 64 StGB nicht (mehr) erfüllenden „nur“ Rauschmittelabhängigen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Mai 1983 – 5 StR 182/83, NStZ 1983, 429, und vom 23. November 1999 – 4StR 486/99, aaO), der nach geltender Rechtslage aus den angeführten Gründen regelmäßig in den Strafvollzug überwiesen wird. Hinzu kommt, dass der Strafvollzug versucht, dem Problem etwa durch Einrichtung von Therapiegruppen gerecht zu werden. Dem entspricht, dass sich auch der Angeklagte nach dem Vortrag seines Verteidigers bereits in einer solchen Therapiegruppe befindet.
16
cc) Nach den vorgenannten Grundsätzen käme die Unterbringung des Angeklagten im psychiatrischen Krankenhaus damit nur noch in Betracht, wenn sich dessen Abhängigkeit bereits in schwersten Persönlichkeitsveränderungen manifestiert hätte. Davon ist nach den Feststellungen jedoch nicht auszugehen. Der Sachverständige, dem das Landgericht folgt, gelangt ledig- lich zu der Diagnose einer mittelgradigen kombinierten Persönlichkeitsstörung , die zum Suchtverhalten des Angeklagten geführt habe, „wenn auch mittlerweile beide Störungen sich gegenseitig bedingen“ (UA S. 29). Auch der in den Urteilsgründen dargestellte Lebensweg des noch im Wesentlichen sozial eingeordneten Angeklagten lässt einen derartigen Persönlichkeitsverfall nicht erkennen.
Basdorf Sander Schneider Dölp König

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 06. März 2013 - 5 StR 597/12

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Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

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Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

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IM NAMEN DES VOLKES
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in der Strafsache
gegen
wegen Betruges u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. November
2004, an der teilgenommen haben:
Richter Basdorf
als Vorsitzender,
Richter Häger,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 16. März 2004 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in dreizehn Fällen, versuchten Betruges in vier Fällen und Computerbetruges in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die zuungunsten des Angeklagten eingelegte, auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten und mit der die Verletzung sachlichen Rechts gerügt wird, hat Erfolg.

I.


Nach den Feststellungen des Landgerichts betrog der Angeklagte im Frühjahr 2003 eine Vielzahl älterer, teils hochbetagter alleinstehender Frauen um ihr Erspartes. Er spiegelte – überwiegend erfolgreich – den Geschädigten
vor, er käme von einem Rentenversicherungsträger, ähnlichen öffentlichen Stellen oder einer Bank und könnte ihnen zu höherer Rente oder sonstigen finanziellen Vorteilen verhelfen. Dafür müßten sie ihm lediglich ihr vorhandenes Bargeld aushändigen, es gemeinsam mit ihm bei der Bank abheben oder ihm die EC-Karte nebst Geheimnummer überlassen. Im ersten Fall der Tatserie suchte er eine 82jährige Frau auf, die bereits 1998 Opfer einer Straftat des Angeklagten geworden war, und gab sich als Rechtsanwalt aus, der ihr das damals erbeutete Geld in Höhe von 30.000 DM zurückbringen wolle, wofür sie lediglich Rechtsanwaltsgebühren von über 1.000 Euro an ihn zu zahlen hätte. Von den gutgläubigen und teils infolge ihres hohen Alters verwirrten Geschädigten erlangte der Angeklagte auf diese Weise Beträge zwischen 100 und 15.000 Euro, insgesamt 35.600 Euro.
Am Beginn dieser Tatserie war der Angeklagte nach Verbüßung einer über vierjährigen Gesamtfreiheitsstrafe wegen Betruges und anderer Delikte zwecks Entlassungsvorbereitung im Freigang. Schon zuvor war er immer wieder wegen Betrugs- und Diebstahlstaten zu jahrelangen Freiheitsstrafen verurteilt worden; zwischen 1980 und 2003 befand er sich deshalb insgesamt ca. 21 Jahre in Haft.
Die Strafkammer hat – gestützt lediglich auf die Angaben des Angeklagten in der Hauptverhandlung und gegenüber den ihn begutachtenden Sachverständigen – festgestellt, daß der Angeklagte schon als Heranwachsender dem Glücksspiel zugewandt gewesen sei, bis dieses zur Leidenschaft und schließlich zur Sucht geworden sei. Sein ganzes Leben habe sich – auch in Haft – stets nur um das Spielen und die Beschaffung der hierfür notwendigen finanziellen Mittel gedreht. Die Spielleidenschaft sei auch Ursache der von ihm begangenen Straftaten gewesen. Jahrelang habe er seine wahre Situation verschwiegen und erstmals in dem letzten Strafverfahren im Jahr 1999 vorsichtige Andeutungen hierzu gemacht, weshalb es auch bislang zu keiner therapeutischen Behandlung gekommen sei. Bei den Taten im Frühjahr 2003 habe er stets unter dem Druck gehandelt, Geld für das Spielen
zu erlangen; sein gesamter Alltag sei auf das Spielen und die Beschaffung der hierfür erforderlichen Mittel eingeengt gewesen. Er weise im gleichen Maß den Hang zum Spielen auf wie ein alkohol- oder drogenabhängiger Mensch den Hang, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen.
Das Landgericht hat zur Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten und der Voraussetzungen einer Maßregelanordnung zwei psychiatrische Sachverständige herangezogen. Der eine Sachverständige hat bei dem Angeklagten eine mit durchgängiger Verantwortungslosigkeit einhergehende dissoziale Persönlichkeitsstörung als Grundlage seines pathologischen Spielens diagnostiziert; beides zusammen erreiche den Schweregrad einer „schweren seelischen Abartigkeit“, weshalb eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit bei Tatbegehung nicht ausgeschlossen werden könne. Der andere Sachverständige, dem die Strafkammer im Ergebnis gefolgt ist, sieht in der Abhängigkeit vom Glücksspiel die für das delinquente Verhalten ursächliche primäre Störung; in Verbindung mit den dadurch bedingten negativen Persönlichkeitsveränderungen stelle dies eine „schwere andere seelische Abartigkeit“ dar, aufgrund derer eine erhebliche Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit bei allen Taten als sicher angenommen werden müsse.
Das Landgericht ist demnach davon ausgegangen, daß die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten infolge seiner Spielsucht bei Tatbegehung jeweils erheblich eingeschränkt gewesen sei, und hat aus diesem Grund trotz Annahme des Regelbeispiels einer gewerbsmäßigen Begehung keine besonders schweren Fälle des Betruges nach § 263 Abs. 3 StGB angenommen. Die Unterbringung in der Entziehungsanstalt nach § 64 StGB hat es mit der Erwägung begründet, bei dem Angeklagten lägen zwar die Voraussetzungen zur Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 StGB und zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB vor. Da er über seine Sucht hinaus aber kein weiteres Gefährdungspotential aufweise und diese in der Entziehungsanstalt erfolgreich behandelt
werden könne, sei nach § 72 Abs. 1 StGB die den Angeklagten am wenigsten belastende Maßregel anzuordnen.

II.


Die Ausführungen des Landgerichts zum Rechtsfolgenausspruch halten revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
1. Der Maßregelausspruch kann nicht bestehen bleiben.

a) Einer Unterbringung in der Entziehungsanstalt steht entgegen, daß diese Maßregel nach dem Wortlaut des § 64 StGB nur dann Anwendung findet , wenn der Täter den Hang hat, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Dies hat das Landgericht bei dem Angeklagten nicht festgestellt. Eine analoge Anwendung des § 64 StGB auf den Fall der „Spielsucht“ kommt mangels planwidriger Regelungslücke nicht in Betracht. Für eine Planwidrigkeit sprechen weder Wortlaut noch Systematik der Norm, dagegen zudem historische Argumente: Der Gesetzgeber hat bei Einführung der Vorgängernorm des heutigen § 64 StGB durch das – in weiten Teilen noch aus langjährigen Reformbemühungen der Weimarer Zeit hervorgegangene (vgl. BGH NJW 2004, 3350, 3353) – Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über die Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24. November 1933 (RGBl I 995) nach der amtlichen Begründung den Fall des straffälligen Spielers bedacht und die Anordnung besonderer Maßregeln für ihn abgelehnt (vgl. ReichsAnz Nr. 277 vom 27. November 1933 Erste Beilage S. 3). Die Neufassung des § 64 StGB durch das 2. StrRG vom 4. Juli 1969 (BGBl I 717; vgl. Begründung in BTDrucks. V/4095 S. 26 f.) gibt – nicht anders als die seitherigen Reformvorhaben zur Änderung des Maßregelrechts (vgl. zuletzt den Refe rentenentwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 19. Mai 2004) – keinen Anlaß zu einer abweichenden Beurteilung des Willens des Gesetzgebers.

b) Verfassungsrechtliche Erwägungen drängen ebenfalls nicht zu einer erweiterten Anwendung des § 64 StGB auf nicht stoffgebundene „Süchte“ wie die „Spielsucht“. Die Entscheidung des Gesetzgebers, aus der Vielzahl delinquenzfördernder psychischer Fehlentwicklungen lediglich den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, zur Voraussetzung einer Unterbringung in der Entziehungsanstalt auszuwählen, ist verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BGH, Beschluß vom 7. September 1993 – 1 StR 536/93). Auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (vgl. § 62 StGB), der im Maßregelrecht eine spezielle Ausprägung im Subsidiaritätsprinzip des § 72 Abs. 1 StGB gefunden hat (vgl. Hanack in LK 11. Aufl. § 72 Rdn. 16), erfordert keine über den Wortlaut hinausgehende Erweiterung des Anwendungsbereichs von § 64 StGB.
Sofern eine Maßregel nach § 63 StGB nicht in Betracht kommt, sind Fehlentwicklungen der Persönlichkeit im Strafvollzug im Rahmen der Bemühungen um ein Erreichen des Vollzugsziels (§ 2 Satz 1 StVollzG) mit den im Strafvollzug zur Verfügung stehenden Mitteln (vgl. §§ 6 ff. StVollzG, insbesondere §§ 7 und 9 StVollzG) zu behandeln. Hierzu bedarf es indes der Mitwirkung des Gefangenen (§ 4 Abs. 1 StVollzG), woran es nach den Feststellungen des Landgerichts bei dem Angeklagten in der Vergangenheit schon insoweit gemangelt hat, als er in den letzten zwanzig Jahren im Strafvollzug seine „Spielsucht“ stets verheimlicht und nie um Hilfe zu deren Behandlung gebeten haben will. Der Senat verkennt dabei nicht das grundsätzlich nachvollziehbare kriminalpolitische Anliegen des Landgerichts, wonach zur Verhinderung weiterer Straftaten solche Täter einer möglichst optimalen Behandlung zugeführt werden sollen, deren delinquentes Verhalten ähnlich wie bei der Alkohol- oder Drogensucht vornehmlich auf einer der Therapie grundsätzlich zugänglichen Zwangsstörung beruht.
2. Der Senat sieht Anlaß, die in diesem Zusammenhang – und damit auch zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB – getroffenen Feststellungen aufzuheben.

a) „Pathologisches Spielen“ oder „Spielsucht“ stellt für sich genommen keine die Schuldfähigkeit erheblich einschränkende oder ausschließende krankhafte seelische Störung oder schwere andere seelische Abartigkeit dar (BGH NStZ 2004, 31; BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 8 mit Anm. Kröber JR 1989, 380; vgl. aus forensisch-psychiatrischer und kriminologischer Sicht hierzu auch Mergen in Festschrift für Werner Sarstedt 1981 S. 189; Schumacher ebd. S. 361, 367 ff.; Meyer MSchrKrim 1988, 213; Meyer /Fabian/Wetzels StV 1990, 464; Rasch StV 1991, 126, 129 f.; ders., Forensische Psychiatrie 2. Aufl. S. 283 f.; Knecht ArchKrim 191, 65; ders. Kriminalistik 1992, 661; Schreiber Kriminalistik 1993, 469; Kellermann NStZ 1996, 335; vgl. zu Diagnosekriterien: ICD-10 F63.0; DSM-IV 312.31). Maßgeblich ist insoweit vielmehr, ob der Betroffene durch seine „Spielsucht“ gravierende psychische Veränderungen in seiner Persönlichkeit erfährt, die in ihrem Schweregrad einer krankhaften seelischen Störung gleichwertig sind (vgl. BGH NStZ 2004, 31; BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 7, 8, 17; ferner auch BGH NStZ 1999, 448, 449; 1994, 501; StV 1993, 241). Nur wenn die „Spielsucht“ zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen führt oder der Täter bei Beschaffungstaten unter starken Entzugserscheinungen gelitten hat, kann ausnahmsweise eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit im Sinne von § 21 StGB anzunehmen sein (vgl. BGH aaO).

b) Zwar hat das Landgericht vorliegend solche Persönlichkeitsveränderungen angenommen; diese Annahme findet angesichts der hohen Voraussetzungen für das Vorliegen einer die Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigenden „Spielsucht“ aber keine ausreichende Grundlage. Die Feststellungen zu einer solchen – in Dauer und Intensität ganz ungewöhnlich tiefgreifenden – Spielsucht, die den Angeklagten von frühester Jugendzeit bis heute trotz jahrzehntelanger Haftzeit umfassend beherrscht haben soll, hat die Strafkammer allein auf die Angaben des wegen Betruges vielfach vorbestraften Angeklagten gegenüber den Sachverständigen und in der Hauptverhandlung gestützt. Diese Feststellungen werden jedoch nicht durch objektive Umstände oder Bekundungen Dritter bestätigt, sondern nur von den – aller-
dings nicht zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit herangezogenen – Sachverständigen als in sich realistisch angesehen.
Einlassungen eines Angeklagten, für die es keine Beweise gibt, sind indes nicht ohne weiteres ungeprüft hinzunehmen. An die Bewertung einer entlastenden Einlassung des Angeklagten sind vielmehr grundsätzlich die gleichen Anforderungen zu stellen wie an die Beurteilung sonstiger Beweismittel. Der Tatrichter hat sich aufgrund einer Gesamtwürdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme seine Überzeugung von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Einlassung zu bilden (BGHSt 34, 29, 34; BGHR StPO § 261 Einlassung 6). Die Feststellung der Anknüpfungstatsachen für die Beurteilung einer „Spielsucht“ obliegt ebenfalls dem Tatrichter, nicht dem Sachverständigen (vgl. BGH, Urteil vom 21. August 2003 – 3 StR 234/03).
Die Urteilsausführungen lassen eine solche umfassende Würdigung der Einlassung des Angeklagten zu seiner Spielsucht vermissen. Eine Auseinandersetzung mit Umständen, die gegen die Glaubhaftigkeit der Einlassung sprechen, war aber angesichts der besonderen Umstände des vorliegenden Falls notwendig. Hierzu zählen etwa die ungewöhnlich erscheinende Suchtentwicklung trotz jahrzehntelangen Strafvollzuges und die festgestellte besondere „Begabung“ des Angeklagten, „verschiedensten Menschen … Sachverhalte vorzutäuschen, die ihn hilfsbedürftig erscheinen ließen“.
3. Die Einzelstrafen, die unter der – nunmehr neu zu prüfenden – Voraussetzung erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit für sich gesehen unbedenklich gebildet sind, haben demnach ebenfalls keinen Bestand. Ein Ausschluß der Steuerungsfähigkeit scheidet nach den Feststellungen zum planvollen Vorgehen des Angeklagten sowie nach übereinstimmender Einschätzung beider Sachverständiger hingegen aus.
4. Der neue Tatrichter wird nicht nur die Einlassung des Angeklagten zu seiner Spielsucht kritisch zu hinterfragen haben, sondern auch – sachver-
ständig beraten und unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus dem zwischenzeitlichen Aufenthalt des Angeklagten im Maßregelvollzug – erneut prüfen müssen, ob die Voraussetzungen für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (vgl. hierzu bei „Spielsucht“ auch BGH NStZ 2004, 31; BGH, Urteil vom 27. April 1993 – 1 StR 838/92; BGH, Beschluß vom 4. Juli 2002 – 4 StR 192/02) oder in der Sicherungsverwahrung (vgl. hierzu bei „Spielsucht“ auch BGH NStZ 2004, 438) vorliegen.
Basdorf Häger Gerhardt Raum Brause

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 310/00
vom
19. September 2000
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Raubes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
19. September 2000, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Schluckebier,
Hebenstreit,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof ,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 14. Dezember 1999, soweit es den Angeklagten B. betrifft,
a) im Schuldspruch dahin klargestellt, daß der Angeklagte des schweren Raubes schuldig ist,
b) im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten B. wegen (gemeinschaftlichen ) Raubes zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Der Angeklagte hatte mit dem ebenfalls verurteilten Angeklagten O. ein Lokal überfallen und die Einnahmen weggenommen. Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer nur zuungunsten des Angeklagten B. eingelegten und auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Revision. Das auf die Sachrüge gestützte Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Die Beschwerdeführerin hat zwar den Schuldspruch nicht angegriffen. Auf Antrag des Generalbundesanwalts war jedoch in der Urteilsformel klarzustellen , daß der Angeklagte des schweren Raubes schuldig ist. Diese Klarstellung ist geboten, weil die Strafkammer selbst in der rechtlichen Würdigung und in der im Anschluß an die Urteilsformel angeführten Bezeichnung des zur Anwendung gebrachten Strafgesetzes von einem schweren Raub nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB ausgegangen ist.
2. Der Strafausspruch kann allerdings keinen Bestand haben. Mit Recht rügt die Beschwerdeführerin, daß das Landgericht dem Angeklagten B. verminderte Schuldfähigkeit nach § 21 StGB zugebilligt hat.

a) Der Angeklagte hat sich dahin eingelassen, er sei seit längerer Zeit rauschgiftabhängig. Er konsumiere regelmäßig Amphetamin oder "Speed", auch Kokain und gelegentlich Haschisch. Alkohol trinke er eigentlich weniger. Am Tage vor der Tat habe er etwa 1 ½ Gramm "Speed" geraucht. Durch die Einnahme von "Speed" habe er sich wie ein ”Supermann” gefühlt. Danach habe er keine Drogen mehr gehabt. Außerdem habe er bis gegen 24.00 Uhr Chantré undBier getrunken; die Menge könne er nicht mehr angeben.

b) Die Strafkammer stützt ihre Schuldfähigkeitsbeurteilung auf die Angaben des Angeklagten und das in der Hauptverhandlung mündlich erstattete Gutachten des Medizinaloberrats S. . Dieser hatte den Angeklagten nicht untersucht und nicht exploriert. Der Sachverständige hat ausgeführt, aus den Akten und aufgrund des Eindrucks in der Beweisaufnahme hätten sich keine Hinweise auf eine schwere psychische Auffälligkeit ergeben. Die Angaben des Angeklagten zum Drogenkonsum seien glaubhaft, weil er die Symptome der
verschiedenen Betäubungsmittel zutreffend beschrieben habe, er kenne sie also. Er habe auch glaubhaft einen Zustand geschildert, in den sich ein Drogenabhängiger durch die regelmäßige Einnahme versetze. Dabei habe er sich in einer gewissen Ausgeglichenheit befunden, aus der er sowohl durch Entzug oder durch die Einnahme größerer Drogenmengen herausfalle. Es sei denkbar, daß der Angeklagte nach der Einnahme von Drogen sich einerseits wie ein ”Supermann” gefühlt habe, andererseits im Bewußtsein, daß er keine Betäubungsmittel und auch kein Geld mehr besaß, in einen Zustand geraten sei, den er als Sachverständiger ”als erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit nicht ausschließen könne”.
Die Strafkammer hat den Ausführungen des Sachverständigen entnommen , daß der Angeklagte ”mit Sicherheit” für seine Tat im Sinne des § 20 StGB strafrechtlich verantwortlich war. Allerdings vermochte die Kammer nicht auszuschließen , daß beim Angeklagten im Zeitpunkt der Tat die Voraussetzungen verminderter Schuldfähigkeit nach § 21 StGB vorlagen. Dieser Schluß ist nach den bisher getroffenen Feststellungen über den behaupteten Drogenkonsum des Angeklagten und den mitgeteilten Ausführungen des Sachverständigen nicht gerechtfertigt.
3. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können der Betäubungsmittelkonsum, aber auch die Abhängigkeit von Betäubungsmitteln nur ausnahmsweise erheblich verminderte Schuld begründen, wenn langjähriger Betäubungsmittelmißbrauch namentlich unter Verwendung ”harter” Drogen zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen geführt hat oder der Täter durch starke Entzugserscheinungen oder bei Heroinabhängigen aus Angst davor dazu getrieben wird, sich durch eine Straftat Drogen zu verschaffen oder wenn er
die Tat im Zustand eines aktuellen Drogenrausches begeht (BGH StV 1997, 517 m.w.Nachw.). Ob eine hierauf beruhende Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit erheblich ist, ist eine Rechtsfrage, die der Tatrichter in eigener Verantwortung zu entscheiden hat (BGHSt 8, 113, 124; BGH NStZ 1997, 485; Jähnke in LK 11. Aufl. § 21 Rdn. 8 m.w.Nachw.).

a) Bei langjährig Rauschgiftabhängigen kann die Anwendung des § 21 StGB dann erfolgen, wenn schwerste Persönlichkeitsveränderungen erkennbar sind (BGHR StGB § 21 BtM-Auswirkungen 8). Fehlen objektive Beweisanzeichen über das Ausmaß der Drogenabhängigkeit, muß der Tatrichter das Vorliegen der medizinisch-psychiatrischen Anknüpfungspunkte mit Hilfe des Sachverständigen selbständig und eigenverantwortlich prüfen.
Die Urteilsgründe teilen genauere Einzelheiten über die Art der gebrauchten Drogen, die Dauer des Konsums, die Dosierung, die Hinweise auf das Ausmaß der Drogenabhängigkeit des Angeklagten geben könnten, nicht mit. Der Mittäter hat ausgesagt, er könne über den Rauschgiftkonsum des Angeklagten keine näheren Angaben machen, allerdings habe dieser ”sich im Zeitraum vor der Tat” gegenüber früher verändert.
Die Urteilsgründe legen nicht dar, ob der Sachverständige beim Angeklagten überhaupt die allgemeinen psychiatrischen Kriterien einer Substanzabhängigkeit gemäß ICD-10 (Internationale Klassifikation psychischer Störungen, Dilling/Mombour/Schmidt (Hrsg.) 3. Aufl. [1999]) oder DSM-IV (Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen [1996]) als erfüllt angesehen hat. Sind diese nicht gegeben, so sind in der Regel keine forensischpsychiatrischen Folgerungen möglich (vgl. Venzlaff/Förster, Psychiatrische Be-
gutachtung, 3. Aufl. S. 175 ff.). Zwar besagt das Vorliegen eines bestimmten Zustandsbildes nach der Klassifikation ICD-10 noch nichts über das Ausmaß drogeninduzierter psychischer Störungen (vgl. BGH NStZ 1997, 383). Gleichwohl weist eine solche Zuordnung in der Regel auf eine nicht ganz geringfügige Beeinträchtigung hin, dem der Tatrichter mit Hilfe des Sachverständigen nachgehen muß (BGH NStZ 1999, 630; StV 1998, 342).
Da hierzu nähere Darlegungen fehlen, kann der Senat nicht nachprüfen, ob der Tatrichter sich bei seiner Entscheidung über die Erheblichkeit der Einschränkung der Steuerungsfähigkeit zu Recht auf die ”seit längerer Zeit” bestehende Rauschgiftabhängigkeit gestützt hat.

b) Den Urteilsgründen ist ebenso wenig zu entnehmen, ob der Angeklagte den schweren Raub im Zustand eines akuten Rausches verübt hat (vgl. BGH JR 1987, 206 m. zust. Anm. Blau; BGHR StGB § 21 BtM-Auswirkungen 12) oder ob eine Entzugssymptomatik oder eine Angst vor Entzugserscheinungen vorlag.
aa) Gegen eine akute Drogenintoxikation zum Tatzeitpunkt – dazu hätte es der Feststellung einer massiven psychopathologischen Symptomatik im Sinne von Realitätsverlust, Halluzinationen oder Wahnvorstellungen (Venzlaff /Foerster aaO S. 176) bedurft - sprechen die eigenen Angaben des Angeklagten zu seinem Konsum vor der Tat. Der Konsum von 1 ½ Gramm Amphetamin erfolgte am Tag vor der Tat. Dabei fühlte er sich wie ein ”Supermann”. Andererseits hatte er danach keine Drogen mehr, sondern nur bis gegen Mitternacht eine nicht näher bestimmbare Menge Alkohol konsumiert. Damit bleibt letztlich offen, ob die Strafkammer annimmt, der Angeklagte könnte den Über-
fall im Zustand eines akuten Amphetaminrausches begangen haben und sei deshalb in seiner Steuerungsfähigkeit eingeschränkt gewesen.
bb) Der Bundesgerichtshof hat zu Beschaffungsdelikten Heroinabhängiger ausgesprochen, daß die Anwendbarkeit des § 21 StGB nicht in jedem Fall ”akute körperliche” Entzugserscheinungen des Täters zur Tatzeit voraussetzt (BGHR StGB § 21 BtM-Auswirkungen 2). Es ist rechtlich nicht ausgeschlossen, daß die Angst des Heroinabhängigen vor Entzugserscheinungen, die er schon als äußerst unangenehm erlebt hat und als nahe bevorstehend einschätzt, seine Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigen kann.
Ob bei Abhängigkeit oder nach Konsum von Amphetamin vergleichbare Entzugserscheinungen auftreten oder Angst vor Entzugserscheinungen hervorrufen können und ob gegebenenfalls deshalb eine Verminderung der Steuerungsfähigkeit in Betracht kommt, ist eine Frage, die der Tatrichter nach dem oben dargelegten Maßstab zu entscheiden hat. Bei Amphetamin sind die Suchtfolgen ohnehin nicht so schwer wie bei Heroin (BGHSt 33, 169, 171; BGH StV 1997, 227).
Die Urteilsgründe lassen nicht erkennen, ob die Strafkammer angenommen hat, der Angeklagte habe unter ”akuten und schwerwiegenden” Entzugserscheinungen gelitten oder seine Handlung sei maßgeblich von der Angst vor Entzugserscheinungen bestimmt gewesen. Der Mittäter hat über schwere Entzugserscheinungen des Angeklagten bei der Ausführung der Tat nichts berichtet. Die Kammer teilt auch nichts darüber mit, ob im Zusammenhang mit der kurze Zeit später erfolgten Festnahme Entzugssymptome festgestellt wurden. Der Sachverständige sieht es aufgrund der Angaben des Angeklagten als
”durchaus denkbar” an, daß diesem - während oder nach der Wirkung des Amphetamins - bewußt war, es könne zu Entzugserscheinungen kommen, wenn er keine Betäubungsmittel mehr bekäme. Die mitgeteilten Ausführungen des Sachverständigen legen nahe, daß er beim Angeklagten diesen Zustand der Angst vor Entzugserscheinungen für möglich gehalten hat. Diese mehr allgemeinen Erörterungen reichen indes nicht aus.

c) Nicht hinreichend dargelegt ist schließlich der Schluß auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB aufgrund der Möglichkeit - auf diese stellt die Verteidigung ab - , beim Angeklagten hätten zum Tatzeitpunkt ein ”Hochgefühl” nach der Einnahme von Amphetamin und ein ”drogenbedingtes Zukunftsbedenken” nebeneinander vorgelegen. Diese Annahme ist weder auf hinreichende Ausführungen des Sachverständigen gestützt noch ist sie bisher wissenschaftlich belegt.
4. Da die wesentlichen Anknüpfungstatsachen für die Beurteilung der Schuldfähigkeit nach § 21 StGB fehlen, bedarf die Sache insoweit erneuter Prüfung. Der Tatrichter wird in der neuen Verhandlung auch zu erwägen haben , ob eine Unterbringung des Angeklagten nach § 64 StGB in Betracht kommt.
Schäfer Wahl Boetticher Schluckebier Hebenstreit

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
5 StR 326/00
URTEIL
vom 7. November 2000
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 7. November
2000, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Basdorf,
Richterin Dr. Tepperwien,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 13. Dezember 1999 im gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in 224 Fällen, Urkundenfälschung in 47 Fällen, Steuerhinterziehung in drei Fällen, unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln und fahrlässigen Besitzes einer halbautomatischen Selbstladekurzwaffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Für die Betrugs- und Urkundsdelikte hat es Einzelstrafen zwischen drei und neun Monaten Freiheitsstrafe, im übrigen Geldstrafen verhängt. Mit ihrer Revision , die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, erstrebt die Staatsanwaltschaft die Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg, so daß es eines Eingehens auf die – jedenfalls unbegründeten – Verfahrensrügen nicht bedarf.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts litt der als Chirurg tätige Angeklagte nach einem schweren Unfall im Jahr 1988 unter stärksten Schmerzen, die mit einfachen Schmerzmitteln nicht zu lindern waren. Um seine Arbeitsfähigkeit – zunächst in einer Klinik, später in seiner unter hoher Verschuldung eingerichteten eigenen Praxis – zu erhalten, bekämpfte er die Schmerzen mit Morphium. Seine tägliche Dosis steigerte sich kontinuierlich bis auf siebzig Ampullen eines zur Bekämpfung stärkster Schmerzen bestimmten morphinhaltigen Schmerzmittels. Da er zur legalen Finanzierung seiner Sucht schließlich nicht mehr in der Lage war, beschaffte sich der Angeklagte die von ihm benötigten Ampullen von 1995 bis 1998 betrügerisch durch Praxisbedarfsrezepte. Daneben nahm er im Rahmen seiner Praxis weitere betrügerische Manipulationen zum Nachteil der Krankenkassen vor, die ihm zum Teil unmittelbare wirtschaftliche Vorteile brachten, zum überwiegenden Teil ohne unmittelbare eigene Bereicherung der Förderung des Ansehens der Praxis dienten. Weiterhin gab er in den Jahren 1994 bis 1996 unzutreffende Einkommensteuererklärungen ab, die zu Steuerverkürzungen führten.
2. Mit Recht beanstandet die Beschwerdeführerin, daß das Landgericht – mit Ausnahme des Waffendeliktes – bei allen Straftaten des Angeklagten von einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit ausgegangen ist.
Zur Begründung seiner Überzeugung hat das sachverständig beratene Landgericht ausgeführt, im Tatzeitraum sei die Kontrolle des Angeklagten über das eigene Verhalten von dem alles beherrschenden Gedanken an das Suchtmittel und die Angst vor dem Entzug in starkem Maße in den Hintergrund gedrängt worden. Die erhebliche Herabsetzung seines Hemmungsvermögens sei auch bei den Betrugshandlungen, die nicht unmittelbar der Beschaffung von Morphium gedient hätten, sowie den Urkunds- und Steuerdelikten zum Tragen gekommen, weil diese “Beschaffungskriminalität im weiteren Sinne” zum Gegenstand gehabt hätten. Die ungestörte Befriedigung seiner Sucht sei für den Angeklagten zumindest subjektiv an den Fortbe- stand seiner Praxis, die den in der Vergangenheit eingespielten ungehinderten Zugriff auf Morphium gewährleistete, gebunden gewesen. Die einer finanziellen Bereicherung dienenden Straftaten habe der Angeklagte, der keine erkennbaren Vermögenswerte angehäuft habe, in erster Linie begangen, um sich seine mit Schulden belastete und jedenfalls keinen Reichtum abwerfende Praxis als “Existenzgrundlage” auch unter Suchtgesichtspunkten zu erhalten.
Dem kann in dieser Allgemeinheit nicht gefolgt werden. Zwar begegnet die vom Landgericht im Anschluß an die auf zutreffender Tatsachengrundlage aufbauenden Ausführungen des Sachverständigen getroffene Wertung, der Angeklagte sei im Tatzeitraum in hohem Maße morphinabhängig gewesen , für sich genommen keinen Bedenken. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs begründet die Abhängigkeit von Suchtmitteln aber nur ausnahmsweise eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit (vgl. nur BGHR StGB § 21 BtM-Auswirkungen 12 m.w.N.). Eine solche Ausnahme wird unter anderem für den Fall angenommen, daß die Angst des Abhängigen vor Entzugserscheinungen diesen unter ständigen Druck setzt und ihn zu Straftaten treibt, die unmittelbar oder mittelbar der Beschaffung des Suchtmittels dienen sollte (BGHR StGB § 21 BtM-Auswirkungen 5).
Soweit das Landgericht diese Voraussetzungen im Tatkomplex II 1 der Urteilsgründe, der die unmittelbare Beschaffung des Morphiums mittels Praxisbedarfsrezepten betrifft, für gegeben erachtet hat, läßt dies Rechtsfehler nicht erkennen. Anders verhält es sich jedoch in den Tatkomplexen II 2-5. Begeht ein Abhängiger Vermögensdelikte unterschiedlichen Charakters, die nach seinen Angaben mittelbar der Befriedigung seiner Sucht dienen, liegt die Annahme einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit des Täters jedenfalls bei langfristiger Planung zukünftigen Suchtmittelzugriffs – wie sie hier insbesondere in den vom Angeklagten begangenen Steuerdelikten zum Ausdruck kommt – eher fern. Jedenfalls bedarf es über die Einlassung eines Angeklagten hinaus weiterer aussagekräftiger Indizien dafür, daß die ange- strebten Vermögensvorteile für den fortbestehenden Zugriff auf Suchtmittel aus der Sicht des Täters unverzichtbar erscheinen und daß sie ausschließlich für diesen Zweck eingesetzt werden. Daran fehlt es hier. Das Landgericht hat weder im einzelnen dargelegt, daß die Arztpraxis des Angeklagten in ihrer finanziellen Existenz akut bedroht war, noch hat es Feststellungen dazu getroffen, daß der Angeklagte Vermögensvorteile, die ihm aus seinen Straftaten zugeflossen sind, unmittelbar für den Fortbestand seiner Arztpraxis eingesetzt hat. Der Umstand, daß der Angeklagte “keine erkennbaren Vermögenswerte angehäuft” hat, reicht hierfür nicht aus, da er die Möglichkeit offen läßt, daß der Angeklagte den Erlös seiner Straftaten benutzt hat, um einen insgesamt hohen Lebensstandard zu finanzieren.
Auch soweit die abgeurteilten Taten von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht unmittelbar betroffen sind, hebt der Senat das Urteil im gesamten Rechtsfolgenausspruch auf, da zwischen den Taten ein enger motivatorischer Zusammenhang besteht, der auch für die Festsetzung der Einzelstrafen im Verhältnis untereinander von Bedeutung sein kann. Der neue Tatrichter wird unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB in Bezug auf die einzelnen Fallgruppen die Persönlichkeit des Angeklagten , dessen schicksalhafte Suchtverstrickung und den Erfolg seiner Bemühungen, sich von der Sucht zu lösen, bei der Straffindung zu berücksichtigen haben. Schließlich wird auch der weitere Zeitablauf von Belang sein.
Harms Basdorf Tepperwien Raum Brause

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 199/03
vom
22. Juli 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 22. Juli 2003 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Siegen vom 5. Februar 2003 im Maßregelausspruch mit den Feststellungen, einschließlich derjenigen zur erheblich verminderten Schuldfähigkeit, aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs in Tateinheit mit Urkundenfälschung in 53 Fällen unter Einbeziehung von Einzelstrafen aus einer früheren Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren zehn Monaten, sowie wegen Betrugs in 15 weiteren Fällen, davon in zwölf Fällen in Tateinheit mit Urkundenfälschung, zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren acht Monaten verurteilt. Außerdem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung
sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat zum Maßregelausspruch Erfolg; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Die Voraussetzungen für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus sind nicht rechtsfehlerfrei dargetan. § 63 StGB verlangt, daß die erhebliche Minderung der Schuldfähigkeit positiv festgestellt ist (st. Rspr. BGHSt 34, 22, 26). Dies ergeben die Urteilsgründe nicht.
Das Landgericht hat, dem Gutachten des forensisch-psychiatrischen Sachverständigen folgend, angenommen, die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sei bei Begehung der Taten im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert gewesen, da bei ihm "das psychiatrische Krankheitsbild des pathologischen Spielens" vorliege. Die Straftaten habe der Angeklagte begangen, um an Geld für Automatenglücksspiele zu gelangen.
Abgesehen davon, daß das Landgericht nicht mitteilt, was der Sachverständige unter "pathologischem Spielen" versteht, bedeutet dieser in der wissenschaftlichen Diskussion verwendete Begriff jedenfalls nicht ohne weiteres, daß derjenige, der damit behaftet ist, schon allein deshalb eine krankhafte seelische Störung oder eine schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB aufweist (BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 7, 8; vgl. Kröber, Forensia 1987, S. 113 ff.; Schumacher in Festschrift für Sarstedt S. 361 ff.; Venzlaff/Foerster Psychiatrische Begutachtung 3. Aufl. S. 269 ff.; Rasch in StV 1991, 126, 129 f.; Kellermann in NStZ 1996, 335 f.). Maßgebend ist vielmehr, inwieweit das gesamte Erscheinungsbild des Täters (bei Zugrundelegung der in der vorgenannten Literatur aufgezeigten Beurteilungskriterien) psychische Veränderungen der Persönlichkeit aufweist, die, wenn sie nicht pathologisch
bedingt sind, als andere seelische Abartigkeit in ihrem Schweregrad den krankhaften seelischen Störungen gleichwertig sind (vgl. BGHSt 34, 22, 24, 25). Dies zugrundegelegt ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit beim pathologischen Spielen nur ausnahmsweise dann gegeben, wenn die Sucht zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen geführt oder der Täter bei Beschaffungstaten unter starken Entzugserscheinungen gelitten hat (BGHR StGB aaO 7, 17; BGH NStZ 1999, 448, 449; BGH StV 1993, 241).
Dies hat die Strafkammer nicht dargetan.
Das Landgericht hat weder nachvollziehbare Feststellungen zum Verlauf der Sucht getroffen, noch hat es dargelegt, welche schwerwiegenden Persönlichkeitsveränderungen beim Angeklagten auf seine Spielleidenschaft zurückzuführen sind. Zwar geht das Landgericht rechtsfehlerfrei davon aus, daß der Angeklagte während des Tatzeitraums (von Mai bis Juli 2000 und ab März 2001 bis Mai 2002) nahezu täglich an Automaten spielte und das Glücksspiel mit Geld, das er aus seinen Straftaten erlangte, bestritt. Allein dieser äußere Zusammenhang zwischen der Spielleidenschaft des Angeklagten und seiner Straffälligkeit vermag indes eine strafrechtlich relevante Beeinträchtigung seiner Schuldfähigkeit nicht zu belegen. Nach den Feststellungen der Strafkammer wurde der Angeklagte nämlich bereits 1983 erstmals wegen Diebstahls verurteilt und trat seither in kurzen Zeitabständen vielfach und massiv wegen Eigentums- und Vermögensdelikten in Erscheinung. Von 1986 bis April 2000 verbüßte er mehr als zehn Jahre Strafhaft. Abgesehen davon, daß das Urteil widersprüchliche Angaben zu dem Zeitpunkt enthält, zu welchem der Angeklagte mit dem Automatenglücksspiel begonnen haben soll (nach der Haftent-
lassung im Januar 1990 - UA 3 -; Mitte der 80iger Jahre - UA 7/18 -), ist nach den bisherigen Feststellungen jedenfalls nicht auszuschließen, daß er bereits zur Begehung erheblicher Straftaten neigte, bevor er an Automaten zu spielen begann. Es ist deshalb nicht fernliegend, daß beim Angeklagten unabhängig von seiner Spielleidenschaft eine Verfestigung strafrechtlich relevanten Verhaltens eingetreten ist. Auch hiermit hat sich die Strafkammer bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht auseinandergesetzt.
Der Maßregelausspruch kann deshalb nicht bestehen bleiben. Der Senat kann nicht in der Sache selbst dahin entscheiden, daß die Maßregelanordnung entfällt. Angesichts der bisher unzureichenden Prüfung durch das Landgericht ist nicht mit der nötigen Sicherheit auszuschließen, daß sich noch Feststellungen treffen lassen, die die Maßregelanordnung tragen können.
Der aufgezeigte Rechtsfehler berührt zwar die Schuldfähigkeitsbeurteilung durch das Landgericht, läßt aber gleichwohl den Strafausspruch unberührt ; denn durch die Annahme der Voraussetzungen des § 21 StGB ist der Angeklagte bei der Strafzumessung nicht beschwert.
Die Vorsitzende Richterin am Maatz Athing Bundesgerichtshof Dr. Tepperwien ist infolge Urlaubs verhindert zu unterschreiben. Maatz
Ernemann Sost-Scheible

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 297/12
vom
9. Oktober 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 9.Oktober 2012 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 4. April 2012 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in 21 Fällen unter Einbeziehung von Einzelstrafen aus einem früheren Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat hinsichtlich der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus Erfolg. Im Übrigen ist es aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 6. Juli 2012 genannten Gründen unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2
Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Angeklagte unter einer Spielsucht, die sich auf Roulettespiele in Casinos bezieht. Er ist mehrfach wegen Betruges vorbestraft, weil er Frauen vorgespiegelt hatte, vermögend zu sein oder einer bedeutenden beruflichen Tätigkeit nachzugehen, um sie unter einem Vorwand zu veranlassen, ihm größere Geldbeträge zur Verfügung zu stellen. Im vorliegenden Fall gab er gegenüber der Geschädigten an, ein Millionenvermögen zu haben, das er erst mit Hilfe größerer Aufwendungen verfügbar machen müsse. Er veranlasste die Geschädigte dazu, ihm in 21 Einzelfällen insgesamt 248.000 Euro zu übergeben.
3
Das sachverständig beratene Landgericht ist davon ausgegangen, dass der Angeklagte bei der Begehung der Taten zwar nicht infolge von Spielsucht dazu unfähig gewesen sei, das Unrecht der Taten einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln (§ 20 StGB). Er habe realitätsbezogen handeln können und sich in unterschiedlichen sozialen Situationen anpassungsfähig gezeigt, weshalb das Störungsbild nicht den Schweregrad einer krankhaften seelischen Störung erlangt habe. Auch habe er in der Hauptverhandlung nicht den Eindruck hinterlassen, als leide er unter einer schweren Persönlichkeitsstörung. Jedoch sei sein Hemmungsvermögen zur Tatzeit erheblich vermindert gewesen (§ 21 StGB). Er habe die Zwangsvorstellung entwickelt, über ein sicheres Spielsystem zu verfügen, das nur versage, wenn er es nicht richtig anwende. Er sei "abstinenzunfähig" gewesen. Seine Straftaten seien überwiegend als Delikte zur Beschaffung von Geldmitteln für das Spiel anzusehen. Das Spielen habe sein Denken und Handeln bestimmt. Es habe sich letztlich zu einem schwer kontrollierbaren Zwang entwickelt. Mit dem Zunehmen der Spieltätigkeit seien der Verlust von Freizeitaktivitäten, das Entstehen von Verleugnungstendenzen, eine Bagatellisierung von Spielverlusten sowie das Erleben von Spannungsund Erregungsgefühlen einher gegangen. Ein übermäßiges Selbstwertgefühl, pathologisches Lügen und manipulatives Verhalten sowie ein parasitärer Lebensstil seien Symptome der Störung. Da der Angeklagte im Tatzeitraum von Gedanken und Vorstellungen in Bezug auf das Spielen, die Entwicklung seines Systems und die Geldbeschaffung für Spielzwecke beherrscht gewesen sei, habe er den Spielimpulsen kaum entgegen steuern können. Der Befund entspreche einer schweren anderen seelischen Abartigkeit.
4
Unter zusammenfassender Würdigung der Persönlichkeit des Angeklagten , seines Lebenswegs, der Spielsucht, seiner Einstellung zu der Erkrankung, seines sozialen Umfelds und der rechtswidrigen Taten sei mit künftigen erheblichen Straftaten zu rechnen, weshalb der Angeklagte für die Allgemeinheit gefährlich sei. Die Behandlung sei schwierig und es fehle an geeigneten Einrichtungen , jedoch sei die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erforderlich und bei Abwägung aller Umstände angemessen.

II.

5
Dieser Maßregelausspruch begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
6
Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB setzt die Feststellung eines länger andauernden Zustands voraus, der die Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) oder zumindest eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) begründet. Die Annahme des Landgerichts, dass bei den Betrugstaten die Voraussetzungen des § 21 StGB vorgelegen hätten, ist nicht rechtsfehlerfrei.
7
Pathologisches Spielen stellt für sich genommen noch keine die Schuldfähigkeit erheblich einschränkende oder ausschließende krankhafte seelische Störung oder schwere andere seelische Abartigkeit dar (vgl. BGH, Urteil vom 25. November 2004 - 5 StR 411/04, NStZ 2005, 207 f.). Maßgeblich ist insoweit vielmehr, ob der Betroffene durch seine Spielsucht gravierende Änderungen in seiner Persönlichkeit erfährt, die in ihrem Schweregrad einer krankhaften seelischen Störung gleichwertig sind. Nur wenn die Spielsucht zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen führt oder der Täter bei Geldbeschaffungstaten unter starken Entzugserscheinungen gelitten hat, kann ausnahmsweise eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit anzunehmen sein. Dafür fehlen hier ausreichende Tatsachenfeststellungen. Zudem trifft die rechtliche Würdigung des Landgerichts auf Bedenken.
8
Die Frage, ob eine "schwere" seelische Abartigkeit als Eingangsmerkmal im Sinne der §§ 20, 21 StGB vorliegt, ferner die Frage, ob die hierdurch bewirkte Einschränkung des Hemmungsvermögens im Rechtssinne "erheblich" ist (§ 21 StGB), unterliegen der Würdigung des Gerichts. Der Tatrichter hat das Gutachten des Sachverständigen im Rahmen seiner Gesamtwürdigung aller Tatsachen und Beweise eigenverantwortlich zu bewerten (vgl. BGHSt 7, 238, 239) und weiterzuverarbeiten. Er kann dabei zwar die psychiatrischen Feststellungen und Wertungen zur Art und zum Ausmaß des Vorliegens einer Störung im Sinne der psychiatrischen Krankheitslehren übernehmen, dies aber nur, wenn er nach eigener Überprüfung zu denselben Resultaten gelangt. Eine nähere Überprüfung wäre hier angezeigt gewesen, zumal vom Sachverständigen einerseits der Schweregrad einer "krankhaften seelischen Störung" verneint, andererseits derjenige einer "schweren anderen seelischen Abartigkeit" bejaht wurde. Dabei wurde verkannt, dass die gesetzlichen Eingangsmerkmale für eine Annahme von Schuldunfähigkeit oder erheblich verminderter Schuldfähigkeit auf unterschiedliche Ursachen des Störungsbildes hinweisen, aber nicht verschiedene Schweregrade der Beeinträchtigung des Täters bei der Begehung der jeweiligen Tat anzeigen. Als "schwer" kann vielmehr nur eine solche seelische Abartigkeit gelten, bei der die Störung auch das Gewicht krankhafter seelischer Störungen erreicht (vgl. BGH, Urteil vom 6. März 1986 - 4 StR 40/86, BGHSt 34, 22, 28; Urteil vom 4. Juni 1991 - 5 StR 122/91, BGHSt 37, 397,

401).

9
Bei der Gewichtung der Störung des Angeklagten bleibt unklar, weshalb das Landgericht einerseits nach seinem persönlichen Eindruck von seinem Erscheinungsbild in der Hauptverhandlung eine schwere Persönlichkeitsstörung ausgeschlossen und zur Ablehnung eines Falles des § 20 StGB auch angenommen hat, der Angeklagte habe durchaus realitätsbezogen handeln und sich in verschiedenen sozialen Situationen rasch anpassen können, während es andererseits die Wertung des Sachverständigen hingenommen hat, der Angeklagte habe "bei Aufkommen entsprechender Spielimpulse kaum gegensteuern können". Die Frage der erheblichen Verminderung des Hemmungsvermögens wäre zudem in Bezug auf die jeweilige Lage bei der Begehung der einzelnen Betrugstaten, nicht der Spielsituationen, zu prüfen gewesen. Ob die Steuerungsfähigkeit bei Begehung der rechtswidrigen Taten "erheblich" vermindert war, ist schließlich eine Rechtsfrage (vgl. BGH, Urteil vom 21. Januar 2004 - 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45, 53), die das Tatgericht auch in rechtlich wertender Betrachtung zu entscheiden hat.
Becker Appl Berger Eschelbach Ri'in BGH Dr. Ott befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker
Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung: ja
Keine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bei
"Spielsucht".
BGH, Urteil vom 25. November 2004 - 5 StR 411/04
LG Berlin -

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 25. November 2004
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. November
2004, an der teilgenommen haben:
Richter Basdorf
als Vorsitzender,
Richter Häger,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 16. März 2004 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in dreizehn Fällen, versuchten Betruges in vier Fällen und Computerbetruges in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die zuungunsten des Angeklagten eingelegte, auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten und mit der die Verletzung sachlichen Rechts gerügt wird, hat Erfolg.

I.


Nach den Feststellungen des Landgerichts betrog der Angeklagte im Frühjahr 2003 eine Vielzahl älterer, teils hochbetagter alleinstehender Frauen um ihr Erspartes. Er spiegelte – überwiegend erfolgreich – den Geschädigten
vor, er käme von einem Rentenversicherungsträger, ähnlichen öffentlichen Stellen oder einer Bank und könnte ihnen zu höherer Rente oder sonstigen finanziellen Vorteilen verhelfen. Dafür müßten sie ihm lediglich ihr vorhandenes Bargeld aushändigen, es gemeinsam mit ihm bei der Bank abheben oder ihm die EC-Karte nebst Geheimnummer überlassen. Im ersten Fall der Tatserie suchte er eine 82jährige Frau auf, die bereits 1998 Opfer einer Straftat des Angeklagten geworden war, und gab sich als Rechtsanwalt aus, der ihr das damals erbeutete Geld in Höhe von 30.000 DM zurückbringen wolle, wofür sie lediglich Rechtsanwaltsgebühren von über 1.000 Euro an ihn zu zahlen hätte. Von den gutgläubigen und teils infolge ihres hohen Alters verwirrten Geschädigten erlangte der Angeklagte auf diese Weise Beträge zwischen 100 und 15.000 Euro, insgesamt 35.600 Euro.
Am Beginn dieser Tatserie war der Angeklagte nach Verbüßung einer über vierjährigen Gesamtfreiheitsstrafe wegen Betruges und anderer Delikte zwecks Entlassungsvorbereitung im Freigang. Schon zuvor war er immer wieder wegen Betrugs- und Diebstahlstaten zu jahrelangen Freiheitsstrafen verurteilt worden; zwischen 1980 und 2003 befand er sich deshalb insgesamt ca. 21 Jahre in Haft.
Die Strafkammer hat – gestützt lediglich auf die Angaben des Angeklagten in der Hauptverhandlung und gegenüber den ihn begutachtenden Sachverständigen – festgestellt, daß der Angeklagte schon als Heranwachsender dem Glücksspiel zugewandt gewesen sei, bis dieses zur Leidenschaft und schließlich zur Sucht geworden sei. Sein ganzes Leben habe sich – auch in Haft – stets nur um das Spielen und die Beschaffung der hierfür notwendigen finanziellen Mittel gedreht. Die Spielleidenschaft sei auch Ursache der von ihm begangenen Straftaten gewesen. Jahrelang habe er seine wahre Situation verschwiegen und erstmals in dem letzten Strafverfahren im Jahr 1999 vorsichtige Andeutungen hierzu gemacht, weshalb es auch bislang zu keiner therapeutischen Behandlung gekommen sei. Bei den Taten im Frühjahr 2003 habe er stets unter dem Druck gehandelt, Geld für das Spielen
zu erlangen; sein gesamter Alltag sei auf das Spielen und die Beschaffung der hierfür erforderlichen Mittel eingeengt gewesen. Er weise im gleichen Maß den Hang zum Spielen auf wie ein alkohol- oder drogenabhängiger Mensch den Hang, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen.
Das Landgericht hat zur Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten und der Voraussetzungen einer Maßregelanordnung zwei psychiatrische Sachverständige herangezogen. Der eine Sachverständige hat bei dem Angeklagten eine mit durchgängiger Verantwortungslosigkeit einhergehende dissoziale Persönlichkeitsstörung als Grundlage seines pathologischen Spielens diagnostiziert; beides zusammen erreiche den Schweregrad einer „schweren seelischen Abartigkeit“, weshalb eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit bei Tatbegehung nicht ausgeschlossen werden könne. Der andere Sachverständige, dem die Strafkammer im Ergebnis gefolgt ist, sieht in der Abhängigkeit vom Glücksspiel die für das delinquente Verhalten ursächliche primäre Störung; in Verbindung mit den dadurch bedingten negativen Persönlichkeitsveränderungen stelle dies eine „schwere andere seelische Abartigkeit“ dar, aufgrund derer eine erhebliche Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit bei allen Taten als sicher angenommen werden müsse.
Das Landgericht ist demnach davon ausgegangen, daß die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten infolge seiner Spielsucht bei Tatbegehung jeweils erheblich eingeschränkt gewesen sei, und hat aus diesem Grund trotz Annahme des Regelbeispiels einer gewerbsmäßigen Begehung keine besonders schweren Fälle des Betruges nach § 263 Abs. 3 StGB angenommen. Die Unterbringung in der Entziehungsanstalt nach § 64 StGB hat es mit der Erwägung begründet, bei dem Angeklagten lägen zwar die Voraussetzungen zur Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 StGB und zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB vor. Da er über seine Sucht hinaus aber kein weiteres Gefährdungspotential aufweise und diese in der Entziehungsanstalt erfolgreich behandelt
werden könne, sei nach § 72 Abs. 1 StGB die den Angeklagten am wenigsten belastende Maßregel anzuordnen.

II.


Die Ausführungen des Landgerichts zum Rechtsfolgenausspruch halten revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
1. Der Maßregelausspruch kann nicht bestehen bleiben.

a) Einer Unterbringung in der Entziehungsanstalt steht entgegen, daß diese Maßregel nach dem Wortlaut des § 64 StGB nur dann Anwendung findet , wenn der Täter den Hang hat, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Dies hat das Landgericht bei dem Angeklagten nicht festgestellt. Eine analoge Anwendung des § 64 StGB auf den Fall der „Spielsucht“ kommt mangels planwidriger Regelungslücke nicht in Betracht. Für eine Planwidrigkeit sprechen weder Wortlaut noch Systematik der Norm, dagegen zudem historische Argumente: Der Gesetzgeber hat bei Einführung der Vorgängernorm des heutigen § 64 StGB durch das – in weiten Teilen noch aus langjährigen Reformbemühungen der Weimarer Zeit hervorgegangene (vgl. BGH NJW 2004, 3350, 3353) – Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über die Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24. November 1933 (RGBl I 995) nach der amtlichen Begründung den Fall des straffälligen Spielers bedacht und die Anordnung besonderer Maßregeln für ihn abgelehnt (vgl. ReichsAnz Nr. 277 vom 27. November 1933 Erste Beilage S. 3). Die Neufassung des § 64 StGB durch das 2. StrRG vom 4. Juli 1969 (BGBl I 717; vgl. Begründung in BTDrucks. V/4095 S. 26 f.) gibt – nicht anders als die seitherigen Reformvorhaben zur Änderung des Maßregelrechts (vgl. zuletzt den Refe rentenentwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 19. Mai 2004) – keinen Anlaß zu einer abweichenden Beurteilung des Willens des Gesetzgebers.

b) Verfassungsrechtliche Erwägungen drängen ebenfalls nicht zu einer erweiterten Anwendung des § 64 StGB auf nicht stoffgebundene „Süchte“ wie die „Spielsucht“. Die Entscheidung des Gesetzgebers, aus der Vielzahl delinquenzfördernder psychischer Fehlentwicklungen lediglich den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, zur Voraussetzung einer Unterbringung in der Entziehungsanstalt auszuwählen, ist verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BGH, Beschluß vom 7. September 1993 – 1 StR 536/93). Auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (vgl. § 62 StGB), der im Maßregelrecht eine spezielle Ausprägung im Subsidiaritätsprinzip des § 72 Abs. 1 StGB gefunden hat (vgl. Hanack in LK 11. Aufl. § 72 Rdn. 16), erfordert keine über den Wortlaut hinausgehende Erweiterung des Anwendungsbereichs von § 64 StGB.
Sofern eine Maßregel nach § 63 StGB nicht in Betracht kommt, sind Fehlentwicklungen der Persönlichkeit im Strafvollzug im Rahmen der Bemühungen um ein Erreichen des Vollzugsziels (§ 2 Satz 1 StVollzG) mit den im Strafvollzug zur Verfügung stehenden Mitteln (vgl. §§ 6 ff. StVollzG, insbesondere §§ 7 und 9 StVollzG) zu behandeln. Hierzu bedarf es indes der Mitwirkung des Gefangenen (§ 4 Abs. 1 StVollzG), woran es nach den Feststellungen des Landgerichts bei dem Angeklagten in der Vergangenheit schon insoweit gemangelt hat, als er in den letzten zwanzig Jahren im Strafvollzug seine „Spielsucht“ stets verheimlicht und nie um Hilfe zu deren Behandlung gebeten haben will. Der Senat verkennt dabei nicht das grundsätzlich nachvollziehbare kriminalpolitische Anliegen des Landgerichts, wonach zur Verhinderung weiterer Straftaten solche Täter einer möglichst optimalen Behandlung zugeführt werden sollen, deren delinquentes Verhalten ähnlich wie bei der Alkohol- oder Drogensucht vornehmlich auf einer der Therapie grundsätzlich zugänglichen Zwangsstörung beruht.
2. Der Senat sieht Anlaß, die in diesem Zusammenhang – und damit auch zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB – getroffenen Feststellungen aufzuheben.

a) „Pathologisches Spielen“ oder „Spielsucht“ stellt für sich genommen keine die Schuldfähigkeit erheblich einschränkende oder ausschließende krankhafte seelische Störung oder schwere andere seelische Abartigkeit dar (BGH NStZ 2004, 31; BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 8 mit Anm. Kröber JR 1989, 380; vgl. aus forensisch-psychiatrischer und kriminologischer Sicht hierzu auch Mergen in Festschrift für Werner Sarstedt 1981 S. 189; Schumacher ebd. S. 361, 367 ff.; Meyer MSchrKrim 1988, 213; Meyer /Fabian/Wetzels StV 1990, 464; Rasch StV 1991, 126, 129 f.; ders., Forensische Psychiatrie 2. Aufl. S. 283 f.; Knecht ArchKrim 191, 65; ders. Kriminalistik 1992, 661; Schreiber Kriminalistik 1993, 469; Kellermann NStZ 1996, 335; vgl. zu Diagnosekriterien: ICD-10 F63.0; DSM-IV 312.31). Maßgeblich ist insoweit vielmehr, ob der Betroffene durch seine „Spielsucht“ gravierende psychische Veränderungen in seiner Persönlichkeit erfährt, die in ihrem Schweregrad einer krankhaften seelischen Störung gleichwertig sind (vgl. BGH NStZ 2004, 31; BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 7, 8, 17; ferner auch BGH NStZ 1999, 448, 449; 1994, 501; StV 1993, 241). Nur wenn die „Spielsucht“ zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen führt oder der Täter bei Beschaffungstaten unter starken Entzugserscheinungen gelitten hat, kann ausnahmsweise eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit im Sinne von § 21 StGB anzunehmen sein (vgl. BGH aaO).

b) Zwar hat das Landgericht vorliegend solche Persönlichkeitsveränderungen angenommen; diese Annahme findet angesichts der hohen Voraussetzungen für das Vorliegen einer die Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigenden „Spielsucht“ aber keine ausreichende Grundlage. Die Feststellungen zu einer solchen – in Dauer und Intensität ganz ungewöhnlich tiefgreifenden – Spielsucht, die den Angeklagten von frühester Jugendzeit bis heute trotz jahrzehntelanger Haftzeit umfassend beherrscht haben soll, hat die Strafkammer allein auf die Angaben des wegen Betruges vielfach vorbestraften Angeklagten gegenüber den Sachverständigen und in der Hauptverhandlung gestützt. Diese Feststellungen werden jedoch nicht durch objektive Umstände oder Bekundungen Dritter bestätigt, sondern nur von den – aller-
dings nicht zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit herangezogenen – Sachverständigen als in sich realistisch angesehen.
Einlassungen eines Angeklagten, für die es keine Beweise gibt, sind indes nicht ohne weiteres ungeprüft hinzunehmen. An die Bewertung einer entlastenden Einlassung des Angeklagten sind vielmehr grundsätzlich die gleichen Anforderungen zu stellen wie an die Beurteilung sonstiger Beweismittel. Der Tatrichter hat sich aufgrund einer Gesamtwürdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme seine Überzeugung von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Einlassung zu bilden (BGHSt 34, 29, 34; BGHR StPO § 261 Einlassung 6). Die Feststellung der Anknüpfungstatsachen für die Beurteilung einer „Spielsucht“ obliegt ebenfalls dem Tatrichter, nicht dem Sachverständigen (vgl. BGH, Urteil vom 21. August 2003 – 3 StR 234/03).
Die Urteilsausführungen lassen eine solche umfassende Würdigung der Einlassung des Angeklagten zu seiner Spielsucht vermissen. Eine Auseinandersetzung mit Umständen, die gegen die Glaubhaftigkeit der Einlassung sprechen, war aber angesichts der besonderen Umstände des vorliegenden Falls notwendig. Hierzu zählen etwa die ungewöhnlich erscheinende Suchtentwicklung trotz jahrzehntelangen Strafvollzuges und die festgestellte besondere „Begabung“ des Angeklagten, „verschiedensten Menschen … Sachverhalte vorzutäuschen, die ihn hilfsbedürftig erscheinen ließen“.
3. Die Einzelstrafen, die unter der – nunmehr neu zu prüfenden – Voraussetzung erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit für sich gesehen unbedenklich gebildet sind, haben demnach ebenfalls keinen Bestand. Ein Ausschluß der Steuerungsfähigkeit scheidet nach den Feststellungen zum planvollen Vorgehen des Angeklagten sowie nach übereinstimmender Einschätzung beider Sachverständiger hingegen aus.
4. Der neue Tatrichter wird nicht nur die Einlassung des Angeklagten zu seiner Spielsucht kritisch zu hinterfragen haben, sondern auch – sachver-
ständig beraten und unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus dem zwischenzeitlichen Aufenthalt des Angeklagten im Maßregelvollzug – erneut prüfen müssen, ob die Voraussetzungen für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (vgl. hierzu bei „Spielsucht“ auch BGH NStZ 2004, 31; BGH, Urteil vom 27. April 1993 – 1 StR 838/92; BGH, Beschluß vom 4. Juli 2002 – 4 StR 192/02) oder in der Sicherungsverwahrung (vgl. hierzu bei „Spielsucht“ auch BGH NStZ 2004, 438) vorliegen.
Basdorf Häger Gerhardt Raum Brause

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 56/07
vom
22. März 2007
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 22. März 2007 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Münster vom 29. September 2006 im Maßregelausspruch mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat zum Maßregelausspruch Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung kann nicht bestehen bleiben. Zwar hat das Landgericht die formellen und materiellen Vorraussetzungen der Unterbringung nach § 66 Abs. 1 StGB rechtsfehlerfrei bejaht. Ebenso hat es - sachverständig beraten - von einer Unterbringung gemäß § 64 StGB wegen deren Aussichtslosigkeit abgese- hen. Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet aber die Entscheidung, von einer Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB abzusehen, die nach den Grundsätzen des § 72 StGB die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung entbehrlich machen kann (vgl. BGHSt 42, 306, 308; BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2006 - 4 StR 530/06).
3
Das Landgericht hat die Voraussetzungen einer Unterbringung des Angeklagten gemäß § 63 StGB deshalb verneint, weil die für beide Taten angenommene erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) jeweils durch die hochgradige Tatzeit-Alkoholisierung des Angeklagten (3,0 ‰ bei Begehung der gefährlichen Körperverletzung) bewirkt wurde. Das schloss eine Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB indes noch nicht von vornherein aus. Zwar kommt die Anwendung des § 63 StGB nur bei Personen in Betracht, deren Schuldunfähigkeit oder erheblich verminderte Schuldfähigkeit durch einen länger andauernden und nicht nur vorübergehenden Zustand im Sinne der §§ 20, 21 StGB hervorgerufen worden ist (st. Rspr.; BGHSt 34, 22, 27). In Fällen, in denen die Verminderung der Schuldfähigkeit letztlich auf Alkoholgenuss zurückzuführen ist, kann § 63 StGB aber ausnahmsweise angewendet werden, wenn der Täter an einer krankhaften Alkoholsucht leidet oder in krankhafter Weise alkoholüberempfindlich ist (st. Rspr.; BGHSt 34, 313, 314; BGHR StGB § 63 Zustand 9). Nichts anderes gilt bei einer Politoxikomanie, die auf einer krankhaften Sucht beruht. Das Landgericht hätte sich deshalb mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob bei dem Angeklagten eine krankhafte Sucht nach Alkohol und anderen Drogen vorliegt.
4
Anhaltspunkte dafür ergeben sich aus dem festgestellten Verlauf des Alkohol - und Drogenmissbrauchs, der bereits im Jahre 1995 zur Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB führte, die - mit mehreren Unterbrechungen infolge des Entweichens des Angeklagten - von Mitte 1996 bis Mitte Juli 1998 dauerte und im Ergebnis erfolglos blieb. Der Angeklagte setzte danach seinen Alkohol- und Drogenmissbrauch (Heroin, Marihuana, Amphetamine, Kokain und Medikamente) fort. Er befand sich im März 2006 einige Tage in stationärer Entzugsbehandlung und kurz danach nochmals in stationärer Behandlung in einer psychiatrischen Klinik. Dort wurden eine akute Intoxikation mit multiplen Substanzen sowie eine Politoxikomanie diagnostiziert. Damit liegen Umstände vor, die üblicherweise mit dem Begriff einer Sucht verbunden werden.
5
Die Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen einer die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus rechtfertigenden krankhaften Sucht nach Alkohol und anderen Drogen war hier nicht etwa deshalb entbehrlich, weil das Landgericht - auch darin dem Sachverständigen folgend - das Vorliegen eines überdauernden psychischen Sachverhalts, der als krankhaft seelische Störung im Sinne der §§ 20, 21 StGB einzuordnen wäre, und ebenso eine schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne dieser Vorschriften ausgeschlossen hat. Soweit es letzteres Kriterium betrifft, hat das Landgericht ausgeführt, es bestünden "zwar viele Auffälligkeiten in der Persönlichkeit des Angeklagten", insoweit handele es sich aber bei dem Angeklagten lediglich um eine "dissoziale" Persönlichkeit. Auch wenn diese Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten in ihrer Ausprägung noch nicht den Grad erreicht hat, der bereits für sich genommen zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit geführt hat, die vom Landgericht sicher angenommene Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten letztlich erst durch seine jeweils akute Alkoholintoxikation - möglicherweise in Verbindung mit der Wirkung auch anderer Drogen - herbeigeführt worden ist, kann darin nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein Zustand gesehen werden, der die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB zu rechtfertigen vermag (vgl. BGHSt 44, 338; 44, 369; Senatsbeschluss vom 18. Januar 2000 - 4 StR 583/99 - NZV 2000, 213).
6
Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht - wäre es davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für eine Unterbringung des Angeklagten nach § 63 StGB vorliegen - von einer Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung abgesehen hätte. Zwar ist die Unterbringung nach § 63 StGB nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kein "geringeres“, sondern ein "anderes“ Übel als die Sicherungsverwahrung , zumal beide Maßregeln zeitlich unbegrenzt sind. Jedoch erweist sich die Unterbringung nach § 63 StGB schon deshalb regelmäßig als die weniger beschwerende Maßregel, weil ihr Vollzug grundsätzlich vor dem Vollzug der Strafe stattfindet und auf die Strafe angerechnet wird (§ 67 Abs. 1 und 4 StGB). Auch aus diesem Grund ist - und zwar unabhängig von der Frage der Therapierbarkeit - der Maßregelanordnung nach § 63 StGB in der Regel gegenüber der Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung der Vorrang einzuräumen (BGHSt 42, 306, 308; BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2006 - 4 StR 530/06).
7
Der Maßregelausspruch bedarf mithin insgesamt neuer Prüfung und Entscheidung.
Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Sost-Scheible

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 530/06
vom
19. Dezember 2006
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 19. Dezember 2006 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 28. Juni 2006 im Maßregelausspruch mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Daneben hat es die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat zum Maßregelausspruch Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuld- und zum Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
3
2. Dagegen kann die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung nicht bestehen bleiben. Zwar hat das Landgericht sowohl die formellen als auch die materiellen Voraussetzungen der Unterbringung nach § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB rechtsfehlerfrei bejaht. Ebenso hat es - sachverständig beraten - eine hinreichend konkrete Aussicht auf einen Behandlungserfolg in einer Entziehungsanstalt verneint und deshalb von einer Unterbringung nach § 64 StGB abgesehen. Jedoch hat die Schwurgerichtskammer versäumt zu prüfen, ob auch eine Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) in Betracht kommt, die nach den Grundsätzen des § 72 StGB die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung entbehrlich machen kann (vgl. BGHSt 42, 306, 308). Der darin liegende Rechtsfehler ist bereits auf die Sachrüge hin zu beachten, so dass es auf die den Maßregelausspruch betreffende Aufklärungsrüge nicht ankommt.
4
a) Das Landgericht hat sich ersichtlich deshalb nicht mit der Anordnung einer Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) befasst, weil die für beide Gewaltdelikte angenommene erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) jeweils durch die hochgradige Tatzeit-Alkoholisierung des Angeklagten von 2,7 bzw. 3,0 ‰ bewirkt wurde. Das schloss eine Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB indes noch nicht von vornherein aus. Zwar kommt die Anwendung des § 63 StGB nur bei Personen in Betracht, deren Schuldunfähigkeit oder erheblich verminderte Schuldfähigkeit durch einen länger andauernden und nicht nur vorübergehenden Zustand im Sinne der §§ 20, 21 StGB hervorgerufen ist (st. Rspr.; BGHSt 34, 22, 27). In Fällen, in denen die Verminderung der Schuldfähigkeit letztlich auf Alkoholgenuss zurückzuführen ist, kann § 63 StGB aber ausnahmsweise angewendet werden, wenn der Täter an einer krankhaften Alkoholsucht leidet oder in krankhafter Weise alkoholüber- empfindlich ist (st. Rspr.; BGHSt 34, 313, 314; BGHR StGB § 63 Zustand 9). Das Landgericht musste sich deshalb mit der Frage auseinandersetzen, ob der Angeklagte nicht nur - was der Sachverständige sicher diagnostiziert hat - alkoholabhängig ist, sondern ob bei ihm bereits eine krankhafte Alkoholsucht vorliegt.
5
Anhaltspunkte dafür ergeben sich schon aus dem Verlauf des Alkoholmissbrauchs , der bereits im Jahr 1980 zu einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber des Angeklagten führte. Der Angeklagte setzte seinen exzessiven Alkoholkonsum seither durchgehend - unterbrochen nur durch "Abstinenzzeiten" auf Grund seiner Inhaftierung - fort. Mehrfach musste er sich - im Ergebnis erfolglosen - stationären Entgiftungen unterziehen. 1998 erlitt er einen Herzinfarkt. Der jahrelange Alkoholismus führte bei ihm zur Schwerhörigkeit. Hinzu kamen als Folge des jahrzehntelang eingeschliffenen Alkoholmissbrauchs auch hirnorganisch bedingte kognitive Leistungsminderungen (UA 3, 23). Diese mithin auch physischen Veränderungen beim Angeklagten haben bewirkt, dass er nicht mehr in der Lage ist, abstinent zu leben (UA 23). Damit liegen Umstände vor, die üblicherweise mit dem Begriff der Alkoholsucht verbunden werden (vgl. Peters, Wörterbuch Psychiatrie, 5. Aufl., Stichwort : Alkoholsucht). Dies hätte deshalb näherer Prüfung durch das Landgericht bedurft.
6
b) Die Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen einer die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus rechtfertigenden krankhaften Alkoholsucht war nicht etwa deshalb entbehrlich, weil das Schwurgericht - auch darin dem gehörten Sachverständigen folgend - keine Anhaltspunkte für "weiter gehende Beeinträchtigungen" zu den jeweiligen Tatzeiten zu erkennen vermochte. Zudem ist die Einschätzung im angefochtenen Urteil, der Angeklagte weise keine die Schuldfähigkeit beeinträchtigende psychische Störung oder Persönlichkeitsstörung auf (UA 17), auch nicht ohne Weiteres vereinbar mit der Erwägung im Rahmen der Strafzumessung zu Gunsten des Angeklagten , "seine Alkoholkrankheit (habe) zu einer möglicherweise kriminalitätsbegünstigenden Beeinträchtigung seiner Persönlichkeit" geführt (UA 19). Für das Vorliegen einer auch unter dem Gesichtspunkt einer anderen schweren seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB relevanten Persönlichkeitsveränderung könnte der von dem gehörten Sachverständigen dargelegte psychologische Befund sprechen, wonach die Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten durch erhebliche Sozialisationsdefizite, Dissozialität, Haltschwäche und hochgradige Impulsivität und Überspanntheit gekennzeichnet sei (UA 23). Auch wenn diese Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten in ihrer Ausprägung noch nicht den Grad erreicht hat, der bereits für sich genommen zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit geführt hat, die vom Landgericht sicher angenommene Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten letztlich vielmehr erst durch seine jeweils aktuelle Alkoholintoxikation herbeigeführt worden ist, kann darin nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein Zustand gesehen werden, der die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB zu rechtfertigen vermag (vgl. BGHSt 44, 338; 44, 369; Senatsbeschluss vom 18. Januar 2000 - 4 StR 583/99 - NZV 2000, 213).
7
3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht - wäre es davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für eine Unterbringung des Angeklagten nach § 63 StGB vorliegen - von einer Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung abgesehen hätte. Zwar ist die Unterbringung nach § 63 StGB nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kein „geringeres“, sondern ein „anderes“ Übel als die Sicherungsver- wahrung, zumal beide Maßregeln zeitlich unbegrenzt sind. Jedoch erweist sich die Unterbringung nach § 63 StGB schon deshalb regelmäßig als die weniger beschwerende Maßregel, weil ihr Vollzug grundsätzlich vor dem Vollzug der Strafe stattfindet und auf die Strafe angerechnet wird (§ 67 Abs. 1 und 4 StGB). Auch aus diesem Grund ist – und zwar unabhängig von der Frage der Therapierbarkeit – der Maßregelanordnung nach § 63 StGB in der Regel gegenüber der Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung der Vorrang einzuräumen (BGHSt 42, 306, 308).
8
Der Maßregelausspruch bedarf mithin insgesamt neuer Prüfung und Entscheidung.
Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Sost-Scheible

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung: ja
Keine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bei
"Spielsucht".
BGH, Urteil vom 25. November 2004 - 5 StR 411/04
LG Berlin -

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 25. November 2004
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. November
2004, an der teilgenommen haben:
Richter Basdorf
als Vorsitzender,
Richter Häger,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 16. März 2004 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in dreizehn Fällen, versuchten Betruges in vier Fällen und Computerbetruges in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die zuungunsten des Angeklagten eingelegte, auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten und mit der die Verletzung sachlichen Rechts gerügt wird, hat Erfolg.

I.


Nach den Feststellungen des Landgerichts betrog der Angeklagte im Frühjahr 2003 eine Vielzahl älterer, teils hochbetagter alleinstehender Frauen um ihr Erspartes. Er spiegelte – überwiegend erfolgreich – den Geschädigten
vor, er käme von einem Rentenversicherungsträger, ähnlichen öffentlichen Stellen oder einer Bank und könnte ihnen zu höherer Rente oder sonstigen finanziellen Vorteilen verhelfen. Dafür müßten sie ihm lediglich ihr vorhandenes Bargeld aushändigen, es gemeinsam mit ihm bei der Bank abheben oder ihm die EC-Karte nebst Geheimnummer überlassen. Im ersten Fall der Tatserie suchte er eine 82jährige Frau auf, die bereits 1998 Opfer einer Straftat des Angeklagten geworden war, und gab sich als Rechtsanwalt aus, der ihr das damals erbeutete Geld in Höhe von 30.000 DM zurückbringen wolle, wofür sie lediglich Rechtsanwaltsgebühren von über 1.000 Euro an ihn zu zahlen hätte. Von den gutgläubigen und teils infolge ihres hohen Alters verwirrten Geschädigten erlangte der Angeklagte auf diese Weise Beträge zwischen 100 und 15.000 Euro, insgesamt 35.600 Euro.
Am Beginn dieser Tatserie war der Angeklagte nach Verbüßung einer über vierjährigen Gesamtfreiheitsstrafe wegen Betruges und anderer Delikte zwecks Entlassungsvorbereitung im Freigang. Schon zuvor war er immer wieder wegen Betrugs- und Diebstahlstaten zu jahrelangen Freiheitsstrafen verurteilt worden; zwischen 1980 und 2003 befand er sich deshalb insgesamt ca. 21 Jahre in Haft.
Die Strafkammer hat – gestützt lediglich auf die Angaben des Angeklagten in der Hauptverhandlung und gegenüber den ihn begutachtenden Sachverständigen – festgestellt, daß der Angeklagte schon als Heranwachsender dem Glücksspiel zugewandt gewesen sei, bis dieses zur Leidenschaft und schließlich zur Sucht geworden sei. Sein ganzes Leben habe sich – auch in Haft – stets nur um das Spielen und die Beschaffung der hierfür notwendigen finanziellen Mittel gedreht. Die Spielleidenschaft sei auch Ursache der von ihm begangenen Straftaten gewesen. Jahrelang habe er seine wahre Situation verschwiegen und erstmals in dem letzten Strafverfahren im Jahr 1999 vorsichtige Andeutungen hierzu gemacht, weshalb es auch bislang zu keiner therapeutischen Behandlung gekommen sei. Bei den Taten im Frühjahr 2003 habe er stets unter dem Druck gehandelt, Geld für das Spielen
zu erlangen; sein gesamter Alltag sei auf das Spielen und die Beschaffung der hierfür erforderlichen Mittel eingeengt gewesen. Er weise im gleichen Maß den Hang zum Spielen auf wie ein alkohol- oder drogenabhängiger Mensch den Hang, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen.
Das Landgericht hat zur Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten und der Voraussetzungen einer Maßregelanordnung zwei psychiatrische Sachverständige herangezogen. Der eine Sachverständige hat bei dem Angeklagten eine mit durchgängiger Verantwortungslosigkeit einhergehende dissoziale Persönlichkeitsstörung als Grundlage seines pathologischen Spielens diagnostiziert; beides zusammen erreiche den Schweregrad einer „schweren seelischen Abartigkeit“, weshalb eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit bei Tatbegehung nicht ausgeschlossen werden könne. Der andere Sachverständige, dem die Strafkammer im Ergebnis gefolgt ist, sieht in der Abhängigkeit vom Glücksspiel die für das delinquente Verhalten ursächliche primäre Störung; in Verbindung mit den dadurch bedingten negativen Persönlichkeitsveränderungen stelle dies eine „schwere andere seelische Abartigkeit“ dar, aufgrund derer eine erhebliche Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit bei allen Taten als sicher angenommen werden müsse.
Das Landgericht ist demnach davon ausgegangen, daß die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten infolge seiner Spielsucht bei Tatbegehung jeweils erheblich eingeschränkt gewesen sei, und hat aus diesem Grund trotz Annahme des Regelbeispiels einer gewerbsmäßigen Begehung keine besonders schweren Fälle des Betruges nach § 263 Abs. 3 StGB angenommen. Die Unterbringung in der Entziehungsanstalt nach § 64 StGB hat es mit der Erwägung begründet, bei dem Angeklagten lägen zwar die Voraussetzungen zur Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 StGB und zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB vor. Da er über seine Sucht hinaus aber kein weiteres Gefährdungspotential aufweise und diese in der Entziehungsanstalt erfolgreich behandelt
werden könne, sei nach § 72 Abs. 1 StGB die den Angeklagten am wenigsten belastende Maßregel anzuordnen.

II.


Die Ausführungen des Landgerichts zum Rechtsfolgenausspruch halten revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
1. Der Maßregelausspruch kann nicht bestehen bleiben.

a) Einer Unterbringung in der Entziehungsanstalt steht entgegen, daß diese Maßregel nach dem Wortlaut des § 64 StGB nur dann Anwendung findet , wenn der Täter den Hang hat, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Dies hat das Landgericht bei dem Angeklagten nicht festgestellt. Eine analoge Anwendung des § 64 StGB auf den Fall der „Spielsucht“ kommt mangels planwidriger Regelungslücke nicht in Betracht. Für eine Planwidrigkeit sprechen weder Wortlaut noch Systematik der Norm, dagegen zudem historische Argumente: Der Gesetzgeber hat bei Einführung der Vorgängernorm des heutigen § 64 StGB durch das – in weiten Teilen noch aus langjährigen Reformbemühungen der Weimarer Zeit hervorgegangene (vgl. BGH NJW 2004, 3350, 3353) – Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über die Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24. November 1933 (RGBl I 995) nach der amtlichen Begründung den Fall des straffälligen Spielers bedacht und die Anordnung besonderer Maßregeln für ihn abgelehnt (vgl. ReichsAnz Nr. 277 vom 27. November 1933 Erste Beilage S. 3). Die Neufassung des § 64 StGB durch das 2. StrRG vom 4. Juli 1969 (BGBl I 717; vgl. Begründung in BTDrucks. V/4095 S. 26 f.) gibt – nicht anders als die seitherigen Reformvorhaben zur Änderung des Maßregelrechts (vgl. zuletzt den Refe rentenentwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 19. Mai 2004) – keinen Anlaß zu einer abweichenden Beurteilung des Willens des Gesetzgebers.

b) Verfassungsrechtliche Erwägungen drängen ebenfalls nicht zu einer erweiterten Anwendung des § 64 StGB auf nicht stoffgebundene „Süchte“ wie die „Spielsucht“. Die Entscheidung des Gesetzgebers, aus der Vielzahl delinquenzfördernder psychischer Fehlentwicklungen lediglich den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, zur Voraussetzung einer Unterbringung in der Entziehungsanstalt auszuwählen, ist verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BGH, Beschluß vom 7. September 1993 – 1 StR 536/93). Auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (vgl. § 62 StGB), der im Maßregelrecht eine spezielle Ausprägung im Subsidiaritätsprinzip des § 72 Abs. 1 StGB gefunden hat (vgl. Hanack in LK 11. Aufl. § 72 Rdn. 16), erfordert keine über den Wortlaut hinausgehende Erweiterung des Anwendungsbereichs von § 64 StGB.
Sofern eine Maßregel nach § 63 StGB nicht in Betracht kommt, sind Fehlentwicklungen der Persönlichkeit im Strafvollzug im Rahmen der Bemühungen um ein Erreichen des Vollzugsziels (§ 2 Satz 1 StVollzG) mit den im Strafvollzug zur Verfügung stehenden Mitteln (vgl. §§ 6 ff. StVollzG, insbesondere §§ 7 und 9 StVollzG) zu behandeln. Hierzu bedarf es indes der Mitwirkung des Gefangenen (§ 4 Abs. 1 StVollzG), woran es nach den Feststellungen des Landgerichts bei dem Angeklagten in der Vergangenheit schon insoweit gemangelt hat, als er in den letzten zwanzig Jahren im Strafvollzug seine „Spielsucht“ stets verheimlicht und nie um Hilfe zu deren Behandlung gebeten haben will. Der Senat verkennt dabei nicht das grundsätzlich nachvollziehbare kriminalpolitische Anliegen des Landgerichts, wonach zur Verhinderung weiterer Straftaten solche Täter einer möglichst optimalen Behandlung zugeführt werden sollen, deren delinquentes Verhalten ähnlich wie bei der Alkohol- oder Drogensucht vornehmlich auf einer der Therapie grundsätzlich zugänglichen Zwangsstörung beruht.
2. Der Senat sieht Anlaß, die in diesem Zusammenhang – und damit auch zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB – getroffenen Feststellungen aufzuheben.

a) „Pathologisches Spielen“ oder „Spielsucht“ stellt für sich genommen keine die Schuldfähigkeit erheblich einschränkende oder ausschließende krankhafte seelische Störung oder schwere andere seelische Abartigkeit dar (BGH NStZ 2004, 31; BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 8 mit Anm. Kröber JR 1989, 380; vgl. aus forensisch-psychiatrischer und kriminologischer Sicht hierzu auch Mergen in Festschrift für Werner Sarstedt 1981 S. 189; Schumacher ebd. S. 361, 367 ff.; Meyer MSchrKrim 1988, 213; Meyer /Fabian/Wetzels StV 1990, 464; Rasch StV 1991, 126, 129 f.; ders., Forensische Psychiatrie 2. Aufl. S. 283 f.; Knecht ArchKrim 191, 65; ders. Kriminalistik 1992, 661; Schreiber Kriminalistik 1993, 469; Kellermann NStZ 1996, 335; vgl. zu Diagnosekriterien: ICD-10 F63.0; DSM-IV 312.31). Maßgeblich ist insoweit vielmehr, ob der Betroffene durch seine „Spielsucht“ gravierende psychische Veränderungen in seiner Persönlichkeit erfährt, die in ihrem Schweregrad einer krankhaften seelischen Störung gleichwertig sind (vgl. BGH NStZ 2004, 31; BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 7, 8, 17; ferner auch BGH NStZ 1999, 448, 449; 1994, 501; StV 1993, 241). Nur wenn die „Spielsucht“ zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen führt oder der Täter bei Beschaffungstaten unter starken Entzugserscheinungen gelitten hat, kann ausnahmsweise eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit im Sinne von § 21 StGB anzunehmen sein (vgl. BGH aaO).

b) Zwar hat das Landgericht vorliegend solche Persönlichkeitsveränderungen angenommen; diese Annahme findet angesichts der hohen Voraussetzungen für das Vorliegen einer die Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigenden „Spielsucht“ aber keine ausreichende Grundlage. Die Feststellungen zu einer solchen – in Dauer und Intensität ganz ungewöhnlich tiefgreifenden – Spielsucht, die den Angeklagten von frühester Jugendzeit bis heute trotz jahrzehntelanger Haftzeit umfassend beherrscht haben soll, hat die Strafkammer allein auf die Angaben des wegen Betruges vielfach vorbestraften Angeklagten gegenüber den Sachverständigen und in der Hauptverhandlung gestützt. Diese Feststellungen werden jedoch nicht durch objektive Umstände oder Bekundungen Dritter bestätigt, sondern nur von den – aller-
dings nicht zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit herangezogenen – Sachverständigen als in sich realistisch angesehen.
Einlassungen eines Angeklagten, für die es keine Beweise gibt, sind indes nicht ohne weiteres ungeprüft hinzunehmen. An die Bewertung einer entlastenden Einlassung des Angeklagten sind vielmehr grundsätzlich die gleichen Anforderungen zu stellen wie an die Beurteilung sonstiger Beweismittel. Der Tatrichter hat sich aufgrund einer Gesamtwürdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme seine Überzeugung von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Einlassung zu bilden (BGHSt 34, 29, 34; BGHR StPO § 261 Einlassung 6). Die Feststellung der Anknüpfungstatsachen für die Beurteilung einer „Spielsucht“ obliegt ebenfalls dem Tatrichter, nicht dem Sachverständigen (vgl. BGH, Urteil vom 21. August 2003 – 3 StR 234/03).
Die Urteilsausführungen lassen eine solche umfassende Würdigung der Einlassung des Angeklagten zu seiner Spielsucht vermissen. Eine Auseinandersetzung mit Umständen, die gegen die Glaubhaftigkeit der Einlassung sprechen, war aber angesichts der besonderen Umstände des vorliegenden Falls notwendig. Hierzu zählen etwa die ungewöhnlich erscheinende Suchtentwicklung trotz jahrzehntelangen Strafvollzuges und die festgestellte besondere „Begabung“ des Angeklagten, „verschiedensten Menschen … Sachverhalte vorzutäuschen, die ihn hilfsbedürftig erscheinen ließen“.
3. Die Einzelstrafen, die unter der – nunmehr neu zu prüfenden – Voraussetzung erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit für sich gesehen unbedenklich gebildet sind, haben demnach ebenfalls keinen Bestand. Ein Ausschluß der Steuerungsfähigkeit scheidet nach den Feststellungen zum planvollen Vorgehen des Angeklagten sowie nach übereinstimmender Einschätzung beider Sachverständiger hingegen aus.
4. Der neue Tatrichter wird nicht nur die Einlassung des Angeklagten zu seiner Spielsucht kritisch zu hinterfragen haben, sondern auch – sachver-
ständig beraten und unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus dem zwischenzeitlichen Aufenthalt des Angeklagten im Maßregelvollzug – erneut prüfen müssen, ob die Voraussetzungen für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (vgl. hierzu bei „Spielsucht“ auch BGH NStZ 2004, 31; BGH, Urteil vom 27. April 1993 – 1 StR 838/92; BGH, Beschluß vom 4. Juli 2002 – 4 StR 192/02) oder in der Sicherungsverwahrung (vgl. hierzu bei „Spielsucht“ auch BGH NStZ 2004, 438) vorliegen.
Basdorf Häger Gerhardt Raum Brause

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.