Bundesgerichtshof Urteil, 21. Mai 2003 - IV ZR 327/02

bei uns veröffentlicht am21.05.2003

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 327/02 Verkündet am:
21. Mai 2003
Heinekamp
Justizobersekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
_____________________
AVB f. Rechtsschutzvers. (ARB 75) § 4 Abs. 1 c
Das Geltendmachen von Ansprüchen aus § 45 BörsG ist nicht als Wahrnehmung
rechtlicher Interessen aus dem Bereich des Rechtes der Handelsgesellschaften
anzusehen.
BGH, Urteil vom 21. Mai 2003 - IV ZR 327/02 - LG Hannover
AG Hannover
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting und Seiffert und die
Richterinnen Ambrosius und Dr. Kessal-Wulf auf die mündliche Verhandlung
vom 21. Mai 2003

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 20. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 19. August 2002 aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 21. Januar 2002 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger unterhält bei der Beklagten seit Dezember 1999 eine Rechtsschutzversicherung, die Verkehrsrechtsschutz und Familienrechtsschutz umfaßt. Dem Vertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen der Beklagten für die Rechtsschutzversicherung (ARB 1975/2000, künftig : AVB) zugrunde, die - soweit hier von Interesse - mit den ARB 75

übereinstimmen. Der Kläger begehrt Rechtsschutz für eine inzwischen in erster Instanz beim Landgericht Frankfurt am Main anhängige Klage auf Schadensersatz gegen die Deutsche Telekom AG. Er hat im Rahmen des dritten Börsenganges der Deutschen Telekom AG im Juli 2000 500 Aktien erworben. Er stützt seinen Schadensersatzanspruch in erster Linie auf § 45 BörsG in der Fassung des Dritten Finanzmarktförderungsgesetzes vom 24. März 1998 (BGBl. I 529). Er behauptet, der im Mai 2000 veröffentlichte Börsenzulassungsprospekt sei unrichtig gewesen, weil in der Bilanz der Deutschen Telekom AG der Immobilienbesitz erheblich zu hoch bewertet worden sei.
Die Beklagte hat die erbetene Kostenzusage abgelehnt, weil sich der Versicherungsschutz nach § 4 Abs. 1c AVB nicht auf die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus dem Bereich des Rechtes der Handelsgesellschaften beziehe. Erstmals im Deckungsprozeß stützt sie ihre Ablehnung auch auf fehlende Erfolgsaussicht der Klage gegen die Deutsche Telekom AG.
Der Kläger verlangt unter Abzug einer Selbstbeteiligung die Erstattung von verauslagten Prozeßkosten in Höhe von 300 DM. Die Beklagte hat Widerklage erhoben mit dem Antrag festzustellen, daß sie nicht verpflichtet sei, den Kläger von den weiteren Kosten freizustellen, die diesem bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen die Deutsche Telekom AG wegen des Wertverlustes der von ihm im Juli 2000 erworbenen Aktien der Deutschen Telekom AG entstehen. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen, das Landgericht hat gegenteilig entschieden (NVersZ 2002, 578). Mit der

zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:


Die Revision hat Erfolg. Die Beklagte hat dem Kläger für die auf Zahlung von 28.949,02 DM/14.801,40 gegen die Deutsche Telekom AG bedingungsgemäß Rechtsschutz zu gewähren. Der Anspruch ist entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht durch § 4 Abs. 1c AVB ausgeschlossen.
1. Der Versicherungsschutz umfaßt nach § 25 Abs. 2a i.V. mit § 14 Abs. 1 AVB die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen. Unter gesetzlichen Haftpflichtbestimmungen sind Rechtsnormen zu verstehen, die unabhängig vom Willen der beteiligten Parteien an die Verwirklichung eines dem Anspruch zugrunde liegenden Schadenereignisses Rechtsfolgen knüpfen (vgl. zu § 1 Nr. 1 AHB Senatsurteil vom 8. Dezember 1999 - IV ZR 40/99 - VersR 2000, 311 unter II 3a). Bei § 45 BörsG handelt es sich um eine solche auf die Leistung von Schadensersatz gerichtete gesetzliche Haftpflichtbestimmung, und zwar sowohl nach dem Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers wie nach allgemeiner Ansicht in Rechtslehre und Rechtspraxis (vgl. Baumbach/Hopt, HGB 30. Aufl. BörsG § 45 Rdn. 10, 11; Groß, Kapitalmarktrecht §§ 45, 46 BörsG Rdn. 53, 54; Grundmann in Bankrechts-Handbuch, 2. Aufl. § 112 Rdn. 62; Sittmann, NJW 1998, 3761 ff.; Krämer/Baudisch, WM 1998,

1161, 1163; BGHZ 139, 225, 228 zu der bis 31. März 1998 geltenden Fassung; LG München I NJW 2002, 1807 f.).
Die Revisionserwiderung meint unter Bezugnahme auf das Senatsurteil vom 17. Oktober 1984 (IVa ZR 78/83 - VersR 1985, 32), § 45 BörsG sei keine gesetzliche Haftpflichtbestimmung im Sinne der Versicherungsbedingungen , weil es sich bei der Vorschrift um gesetzlich geregelte Schadensersatzansprüche aus culpa in contrahendo beim Eingehen eines körperschaftlichen Rechtsverhältnisses handele. Damit kann die Rechtsnatur von § 45 BörsG als auf Leistung von Schadensersatz gerichtete gesetzliche Haftpflichtbestimmung aber nicht in Frage gestellt werden. Es kann allenfalls darum gehen, ob ein darauf gestützter Anspruch vom Risikoausschluß der Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus dem Bereich des Rechtes der Handelsgesellschaften nach § 4 Abs. 1c AVB erfaßt wird. Dementsprechend hat der Senat im Urteil vom 17. Oktober 1984 (aaO unter II 1) den Anspruch aus culpa in contrahendo auch bei der Reichweite des Risikoausschlusses für die Interessenwahrnehmung aus Spiel- und Wettverträgen nach § 4 Abs. 1g ARB 75 behandelt.
2. Der Anspruch auf Deckungsschutz ist nicht nach § 4 Abs. 1c AVB ausgeschlossen.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats sind Allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muß. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines

Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit - auch - auf seine Interessen an. Dieser Grundsatz erfährt je- doch eine Ausnahme, wenn die Rechtssprache mit dem verwendeten Ausdruck einen fest umrissenen Begriff verbindet. In diesen Fällen ist anzunehmen, daß auch die Allgemeinen Versicherungsbedingungen darunter nichts anderes verstehen wollen. Ein von der Rechtssprache abweichendes Verständnis kann allerdings dann in Betracht kommen, wenn das allgemeine Sprachverständnis von der Rechtssprache in einem Randbereich deutlich abweicht oder wenn der Sinnzusammenhang der Versicherungsbedingungen etwas anderes ergibt (Senatsurteil vom 8. Dezember 1999 aaO unter II 4 b aa).

b) aa) Die Formulierung "Bereich des Rechtes der Handelsgesellschaften" verweist zwar auf rechtliche Kategorien. Damit verbindet die Rechtssprache aber keinen fest umrissenen Begriff. Es ist schon zweifelhaft , ob das "Recht der Handelsgesellschaften" ein in seinen Konturen eindeutig festgelegter Begriff ist, der - soweit hier von Bedeutung - etwa nur das Aktiengesetz meint oder auch alle sonstigen Rechtsnormen, die dem Aktienrecht zugeordnet werden können. Der zusätzliche, in hohem Maße interpretationsbedürftige und interpretationsfähige Ausdruck "Bereich" führt jedenfalls dazu, daß ein fest umrissener Begriff der Rechtssprache nicht anzunehmen ist.
bb) Demgemäß kommt es für die Auslegung darauf an, was aus der Sicht eines verständigen Versicherungsnehmers zum Bereich des Rechtes der Handelsgesellschaften gehört. Er erkennt, daß es dabei um eine an rechtlichen Maßstäben ausgerichtete Zuordnung geht, mit der gewisse Risiken vom Versicherungsschutz ausgenommen werden. We-

gen der Verweisung auf rechtliche Kriterien wird und darf er annehmen, daß die vom Versicherungsschutz ausgeschlossene Interessenwahrnehmung jedenfalls keine Tatbestände betrifft, die nach allgemeiner Rechtsauffassung nicht zum Bereich des Rechtes der Handelsgesellschaften , sondern zu einem anderen Rechtsbereich gehören.
So verhält es sich bei den Ansprüchen aus § 45 BörsG. Sie sind nach allgemeiner Rechtsauffassung nicht dem Bereich des Rechtes der Handelsgesellschaften zuzuordnen, sondern dem Bereich des Kapitalmarktrechts. Zwischen Gesellschaftsrecht und sonstigem Privatrecht gibt es zwar aufgrund von Zusammenhängen und gemeinsamer Grundlagen einen Überschneidungsbereich, in dem eine eindeutige Zuordnung von Problemen häufig nicht möglich sein wird. In der Rechtslehre und in der Rechtspraxis wird jedoch seit längerer Zeit eine klare Trennung zwischen Kapitalmarktrecht und Gesellschaftsrecht vorgenommen. Dabei wird das Börsen- und Wertpapierhandelsrecht eindeutig dem Kapitalmarktrecht zugeordnet (vgl. Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht 4. Aufl. § 1 II 3; Pötsch, WM 1998, 949 ff.; Meixner, NJW 1998, 1896 ff.; Weber, NJW 2000, 2061 ff.). Assmann (in Handbuch des Kapitalanlagerechts § 1 Rdn. 71) und Weber (NJW 2000, 2061, 2065) bezeichnen das Emissionsrecht als Herzstück einer jeden kapitalmarktrechtlichen Regelung. Auch der Gesetzgeber hat dies so gesehen. Die Änderung des Börsengesetzes , auf der die ab 1. April 1998 geltende Fassung der §§ 45 ff. beruht, war Bestandteil des Dritten Finanzmarktförderungsgesetzes vom 24. März 1998. Die Änderungen der börsenrechtlichen Vorschriften sollten nach den Vorstellungen des Gesetzgebers dazu beitragen, den Aktienhandel zu fördern, den Emittenten den Börsenzugang zu erleichtern,

die Wettbewerbsposition der Börsen zu stärken und den Anlegerschutz zu verbessern (BT-Drucks. 13/8933 S. 55 ff.).
cc) Ein davon abweichendes Verständnis wird auch der juristisch nicht gebildete Versicherungsnehmer, der sich für den Erwerb von Wertpapieren als Kapitalanlage interessiert, nicht in Betracht ziehen. Aus seiner Sicht geht es in diesem Stadium erst um den Kauf von Aktien und nicht um die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus einer späteren Stellung als Aktionär. Daher wird er entgegen der Revisionserwiderung den Anspruch aus § 45 BörsG nicht etwa deshalb als zum Bereich des Rechtes der Handelsgesellschaften gehörig ansehen, weil er nach dem Erwerb der Aktie als Aktionär an einer Handelsgesellschaft beteiligt ist. Schon der Wortlaut des Gesetzes steht dem entgegen. Die §§ 45, 46 BörsG sprechen vom Erwerbspreis, dem Erwerb und dem Erwerbsgeschäft. Dem Gesetz ist auch ohne weiteres zu entnehmen, daß der haftungsbegründende Vorgang - der Erlaß und die Herausgabe des unrichtigen Prospekts - vor dem Zeitpunkt des Erwerbs liegt. Damit kommt klar zum Ausdruck, daß die Vorschriften nicht Ansprüche des Erwerbers als Aktionär, sondern als Teilnehmer am Kapitalmarkt betreffen. Er soll in seinem vor dem Erwerb gefaßten Vertrauen auf einen richtigen Prospekt geschützt werden, und zwar unabhängig davon, ob im Sinne der bürgerlich -rechtlichen culpa in contrahendo Vertragsverhandlungen stattgefunden oder ihm die Prospektverantwortlichen persönlich gegenübergetreten sind (vgl. BGHZ 123, 106, 109 und BGHZ 79, 337, 341 f., 348).
dd) Das Geltendmachen von Ansprüchen aus § 45 BörsG ist deshalb nicht als Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus dem Bereich des Rechtes der Handelsgesellschaften anzusehen (vgl. Prölss in Prölss/

Martin, VVG 26. Aufl. § 4 ARB 75 Rdn. 4 und Harbauer, Rechtsschutz- versicherung 6. Aufl. § 4 ARB 75 Rdn. 23 a.E.), jedenfalls nicht bei der gebotenen engen Auslegung von Risikoausschlußklauseln (vgl. dazu Senatsurteil vom 17. März 1999 - IV ZR 89/98 - VersR 1999, 748 unter 2 a und zum Erwerbsrisiko bei der Baurisikoklausel des § 4 Abs. 1k ARB 75 das Senatsurteil vom 19. Februar 2003 - IV ZR 318/02 - VersR 2003, 454 unter II 1 und 2).
3. Auf fehlende Erfolgsaussicht kann sich die Beklagte für die Ablehnung nicht berufen. Dies ist ihr schon deshalb verwehrt, weil sie die darauf gestützte Ablehnung dem Kläger nicht unverzüglich mitgeteilt hat (vgl. Senatsurteil vom 19. März 2003 - IV ZR 139/01 - unter 2, zur Veröffentlichung bestimmt). Der Kläger hat der Beklagten zwar seinerzeit keinen Klageentwurf übermittelt. Die Beklagte hat aber nicht geltend gemacht , den Kläger gemäß § 15 Abs. 1a AVB um weitere Informationen gebeten zu haben. Mit denselben Gründen, mit denen die Beklagte jetzt die Erfolgsaussichten verneint, hätte sie es bereits vorgerichtlich unverzüglich tun können.
Terno Dr. Schlichting Seiffert
Ambrosius Dr. Kessal-Wulf

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL IV ZR 141/04 Verkündet am: 6. Juli 2005 Fritz Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein _____________________ GG Art. 3 Abs. 1; BGB

Referenzen

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 318/02 Verkündet am:
19. Februar 2003
Heinekamp
Justizobersekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
_____________________
ARB 75 § 4 (1) k
Die Ausschlußklausel des § 4 (1) k ARB 75 umfaßt nicht auch das Erwerbsrisiko
(hier: Beteiligung an einem geschlossenen Immobilienfonds).
BGH, Urteil vom 19. Februar 2003 - IV ZR 318/02 - OLG Köln
LG Köln
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch die Richter
Seiffert und Dr. Schlichting, die Richterinnen Ambrosius und
Dr. Kessal-Wulf und den Richter Felsch auf die mündliche Verhandlung
vom 19. Februar 2003

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 13. August 2002 aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 24. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 13. Dezember 2001 wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, daß der Feststellungsausspruch wie folgt lautet: Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, den Klägern für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen aus deren Beteiligung an dem geschlossenen Immobilienfonds Nummer 35, S. M. der WGS, gegen 1. den Initiator des Projekts, K. N. , 2. den Geschäftsführer der Treuhandgesellschaft, T. F. , und 3. die Treuhandgesellschaft, F. Wirtschaftstreuhand GmbH, bedingungsgemäßen Versicherungsschutz aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Rechtsschutzversicherungsvertrag - Versicherungsnummer: .... - zu gewähren.
Die Beklagte trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin zu 2) unterhält bei der Beklagten eine Rechtsschutzversicherung , die den Kläger zu 1) als mitversicherte Person einschließt. Dem Vertrag liegen Allgemeine Versicherungsbedingungen zugrunde, die den ARB 75 entsprechen.
Im Jahre 1994 zeichneten die Kläger zwei Anteile an dem geschlossenen "WGS-Immobilien-Fonds Nr. 35". Gesellschaftszweck war die Vermietung von Wohn- und Geschäftsräumen in einem damals noch in Errichtung befindlichen Objekt in S. . Entgegen den Angaben im Prospekt wurden für das Gebäude statt 12 nur 7 Geschosse genehmigt, was die vermietbare Fläche entsprechend verringerte. Ferner waren die anfallenden Vertriebskosten nicht vollständig ausgewiesen. Die Kläger nehmen deshalb den geschäftsführenden Gesellschafter der Fonds-GbR und den Geschäftsführer der Treuhand-GmbH auf Schadensersatz in ! " Höhe von 96.503,18 DM (= 49.341,29

zufolge den Aufwendungen für den Erwerb der Fondsanteile einschließlich Nebenkosten und dem Verlust an Nettomieteinnahmen für die Zeit von Dezember 1994 bis September 1997 entspricht. Die Treuhandgesell- $# % & ' ( ) schaft halten sie in Höhe von 2.868,58 DM (= 1.466,68 sersatzpflichtig , weil diese zugunsten der bauausführenden Firma unberechtigt Gelder vom Treuhandkonto freigegeben habe.
Die Beklagte hat die Erteilung einer Deckungszusage unter Hinweis auf § 4 (1) k ARB 75 verweigert, der wie folgt lautet: " § 4 Allgemeine Risikoausschlüsse (1) Der Versicherungsschutz bezieht sich nicht auf die Wahrnehmung rechtlicher Interessen...
k) die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Planung, Errichtung oder genehmigungspflichtigen baulichen Veränderung eines im Eigentum oder Besitz des Versicherungsnehmers befindlichen oder von diesem zu erwerbenden Grundstückes , Gebäudes oder Gebäudeteiles stehen." Die Kläger begehren die Feststellung, daß die Beklagte ihnen bedingungsgemäßen Versicherungsschutz zu gewähren hat. Das LG hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Auf ihre Berufung ist die Klage abgewiesen worden. Dagegen wenden sich die Kläger mit ihrer - zugelassenen - Revision.

Entscheidungsgründe:


Das Rechtsmittel der Kläger hat Erfolg.

I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts sind die Voraussetzun- gen der Risikoausschlußklausel des § 4 (1) k ARB 75 erfüllt. Ein unmittelbarer Zusammenhang mit der Planung und Errichtung eines Bauwerkes sei gegeben. Die Kläger hätten ihr Anlagegeschäft zu einem Zeitpunkt getätigt, als die Immobilie, die Gegenstand ihrer Investition gewesen sei, sich noch in der Bauphase befunden habe. Die planmäßige Fertigstellung des Gebäudes mit 12 Stockwerken habe für sie entscheidende Bedeutung gehabt, weil davon der Wert ihrer Fondsanteile abhängig gewesen sei. Ob die Kläger als Eigentümer in das Grundbuch eingetragen worden seien, sei ohne Relevanz. Es genüge, daß der Prospekt eine solche Eigentümerstellung ausdrücklich vorsehe. Auf die rechtlichen Unterschiede zwischen einem geschlossenen Immobilienfonds und einem Bauherrenmodell komme es dabei nicht an. Ebenso sei unerheblich, daß die Kläger keine werkvertraglichen, sondern deliktische Ansprüche geltend machen wollten.
II. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Beklagte hat den Klägern für die von ihnen verfolgten Schadensersatzansprüche bedingungsgemäß Versicherungsschutz zu gewähren.
1. Nach der Rechtsprechung des Senats sind Allgemeine Versicherungsbedingungen - hier der Risikoausschluß des § 4 (1) k ARB 75 - so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muß. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeit eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit - auch - auf seine Inter-

essen an (BGHZ 84, 268, 272; BGHZ 123, 83, 85 und ständig). Bei Risikoausschlüssen geht das Interesse des Versicherungsnehmers regelmäßig dahin, daß der Versicherungsschutz nicht weiter verkürzt wird, als der erkennbare Zweck der Klausel dies gebietet. Ihr Anwendungsbereich darf mithin nicht weiter ausgedehnt werden, als es ihr Sinn unter Beachtung des wirtschaftlichen Ziels und der gewählten Ausdrucksweise erfordert. Denn der durchschnittliche Versicherungsnehmer braucht nicht damit zu rechnen, daß er Lücken im Versicherungsschutz hat, ohne daß ihm diese hinreichend verdeutlicht werden (BGHZ 65, 142, 145; Senatsurteil vom 17. März 1999 - IV ZR 89/98 - VersR 1999, 748 unter 2 a).
2. Die Ausschlußklausel des § 4 (1) k ARB 75 verfolgt den - auch für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbaren - Zweck, die erfahrungsgemäß besonders kostenträchtigen und im Kostenrisiko schwer überschaubaren und kaum kalkulierbaren rechtlichen Streitigkeiten um Baumaßnahmen aller Art und die sie unmittelbar begleitenden Vorgänge von der Versicherung auszunehmen, weil nur für einen verhältnismäßig kleinen Teil der in der Risikogemeinschaft zusammengeschlossenen Versicherungsnehmer ein solches Risiko entstehen kann.

a) Sie stellt dafür auf den unmittelbaren Zusammenhang mit der Planung und Errichtung eines Gebäudes ab. Maßgebend ist, ob die vom Versicherungsnehmer angestrebte Rechtsverfolgung der Planung und Errichtung eines Gebäudes zuzuordnen ist. Der geforderte Zusammenhang muß dabei nicht nur zeitlich bestehen, sondern es muß darüber hinaus auch ein innerer sachlicher Bezug gegeben sein (vgl. Senatsurteile vom 16. Oktober 1985 - IVa ZR 49/84 - VersR 1986, 132 unter 2; vom 1. Februar 1989 - IVa ZR 247/87 - VersR 1989, 470 unter 2; vom

14. Februar 1990 - IV ZR 4/89 - VersR 1990, 485 unter 4; vom 10. November 1993 - IV ZR 87/93 - VersR 1994, 44 unter 3). Die Klausel erfaßt das Baurisiko, für das Auseinandersetzungen typisch sind, die über die anläßlich eines Bauvorhabens erbrachten Leistungen geführt werden. Es geht um die Wahrung der rechtlichen Interessen, die der Bauherr an der Planung und Errichtung eines mangelfreien Gebäudes hat. Nur das offenbart sich dem verständigen Versicherungsnehmer bei unbefangener Lektüre der streitbefangenen Klausel. Es erschließt sich ihm hingegen nicht, daß er keinen Deckungsschutz für die Durchsetzung von Ansprüchen haben soll, die zu dem Bauvorhaben selbst in keinem unmittelbaren Bezug stehen, sich vielmehr aus dem Erwerb eines zur Bebauung vorgesehenen Grundstückes (Senatsurteil vom 10. November 1993 aaO unter 3) oder - wie hier - dem Erwerb von Fondsanteilen ergeben , selbst wenn der Zweck der Gesellschaft, der die Kläger beigetreten sind, in der Errichtung und der Verwaltung einer Immobilie besteht.

b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist dieser besondere Zusammenhang im Falle der Kläger zu verneinen. Die von ihnen verfolgten Ansprüche betreffen nicht das dem Leistungsausschluß allein unterfallende Baurisiko. Die Kläger halten nicht die Planung oder Errichtung des Objekts für fehlerhaft. Sie machen statt dessen geltend, der Prospekt enthalte wahrheitswidrige Angaben über die Höhe der anfallenden Vertriebskosten und über die Genehmigungsfähigkeit der dort ausgewiesenen , zur späteren Vermietung vorgesehenen 12 Geschosse. Sie fühlen sich über den Wert der erworbenen Fondsanteile getäuscht und von dem geschäftsführenden Gesellschafter der Immobilienfonds-GbR und dem Geschäftsführer der Treuhand-GmbH deliktisch geschädigt. Ähnlich verhält es sich mit den Ansprüchen aus unerlaubter Handlung,

die sich gegen die Treuhand-GmbH richten, weil diese in Kenntnis da- von, daß das Bauvorhaben nicht prospektgerecht umsetzbar war, ihr anvertraute Gelder unberechtigt ausgezahlt haben soll. Die Rechtsverfolgung der Kläger ist damit dem - anders gearteten - Erwerbsrisiko zuzuordnen. Ihr Vorwurf des Betruges und der Untreue steht außerhalb des mit der Klausel verfolgten Zwecks; er betrifft insbesondere keinen Vorgang , der die Baumaßnahme unmittelbar begleitet und mit dieser in dem geforderten qualifizierten Zusammenhang gestanden hat. Die Täuschung , auf die die Kläger sich berufen, mag die Werthaltigkeit der Fondsanteile zum Gegenstand haben, insbesondere weil sich eine geringere Geschoßzahl auf die aus der Immobilie zu erzielenden Mieterträge auswirkt; einen Baumangel hat dies jedoch nicht zur Folge. Das gilt erst recht für die der Treuhand-GmbH angelastete unerlaubte Handlung. Will der Versicherer auch diese mit dem Erwerb verbundenen Risiken vom Versicherungsschutz ausschließen, muß er die Klausel entsprechend deutlich formulieren. Da die Beklagte dies unterlassen hat, ist die Klausel in dem engeren Sinne zu verstehen, daß sie allein das - hier nicht berührte - Baurisiko umfaßt.
Der Senat hat diesen Standpunkt bereits in seinem Urteil vom 10. November 1993 (aaO unter 3 und 4) vertreten. Soweit sich aus dem Senatsurteil vom 16. Oktober 1985 (aaO unter 2) etwas anderes ergibt, hält er an der dortigen Sichtweise nicht fest.
3. Die Beklagte kann den Klägern nicht entgegenhalten, die Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen sei mutwillig. In §§ 1 Abs. 1 Satz 2, 17 Abs. 1 Satz 1 ARB 75 bringt der Versicherer zum Ausdruck, daß er Versicherungsschutz unter den sachlichen Voraussetzungen gewährt,

unter denen eine Partei Prozeßkostenhilfe gemäß § 114 ZPO beanspruchen kann (Senatsurteil vom 16. September 1987 - IVa ZR 76/86 - VersR 1988, 174 unter I 1). Einer mittellosen Partei, die sich zum Erhalt ihrer Ansprüche einen nach § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB n.F. 30 Jahre vollstreckbaren Titel verschaffen möchte und deshalb Prozeßkostenhilfe begehrt, ist indes kein Mutwillen anzulasten.
Seiffert Dr. Schlichting Ambrosius
Dr. Kessal-Wulf Felsch

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 139/01 Verkündet am:
19. März 2003
Fritz
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
_____________________
AVB f. Rechtsschutzvers. (ARB 75) §§ 14 Abs. 1, 17

a) Unter einem den Versicherungsfall nach § 14 Abs. 1 Satz 1 ARB 75 auslösenden
Schadenereignis ist nur ein solches zu verstehen, für das derjenige, der auf
Schadensersatz in Anspruch genommen wird, in haftungsrechtlich zurechenbarer
Weise verantwortlich sein soll.

b) Der Versicherer verliert das Recht, die Leistung wegen fehlender Erfolgsaussicht
oder Mutwilligkeit abzulehnen, wenn er dies dem Versicherungsnehmer
entgegen § 17 Abs. 1 Satz 2 ARB 75 nicht unverzüglich schriftlich mitteilt. Er
kann sich dieses Recht auch dann nicht wirksam vorbehalten, wenn er die Leistung
aus anderen Gründen ablehnt (Aufgabe von BGH VersR 1986, 132).
BGH, Urteil vom 19. März 2003 - IV ZR 139/01 - OLG Celle
LG Hannover
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Seiffert und Wendt, die Richterin
Dr. Kessal-Wulf und den Richter Felsch auf die mündliche Verhandlung
vom 19. März 2003

für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 29. März 2001 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger unterhält bei der Beklagten seit dem 1. Dezember 1983 eine Rechtsschutzversicherung, die Familien- und Verkehrs-Rechtsschutz umfaßt. Dem Vertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 75) zugrunde.
Der Kläger begehrt Rechtsschutz für eine Klage auf Schadensersatz gegen den Zigarettenhersteller R. . Seit 1964 raucht der Kläger, und zwar ausschließlich Zigaretten der von der Firma R. hergestellten Marke "E. ". Im Jahr 1993 erlitt er einen Herzinfarkt. Danach mußte er mehrere operative Eingriffe vornehmen lassen, unter anderem eine Bypass-Operation im März 1999.

Mit der beabsichtigten Klage gegen die Firma R. sollen An- sprüche aus § 823 BGB und nach dem Produkthaftungsgesetz geltend gemacht werden. Der Kläger lastet der Firma R. an, keine Warnhinweise auf ihren Produkten angebracht zu haben, obwohl ihr aufgrund von Forschungsergebnissen eines amerikanischen Tabakkonzerns aus dem Jahr 1983 seit 1984 bekannt gewesen sei, daß beim Rauchen der suchterregende Wirkstoff Acetaldehyd freigesetzt werde. Außerdem seien dem Zigarettentabak seit 1984 Ammoniak und andere Zusatzstoffe beigemischt worden, um dadurch die Suchterzeugung zu verstärken und eine Suchtverhaftung auszulösen. Ohne diese Beimischung und bei rechtzeitigem Hinweis auf die suchterregende Wirkung von Acetaldehyd wäre es ihm - dem Kläger - gelungen, sich das Rauchen rechtzeitig abzugewöhnen. Dann wäre es nicht zu der erst 1989/1990 aufgetretenen kardiovaskulären Erkrankung und dem späteren Herzinfarkt gekommen.
Die Beklagte hat die erbetene Kostenzusage für die erste Instanz im beabsichtigten Schadensersatzprozeß gegen die Firma R. abgelehnt , weil das den Versicherungsfall im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 1 ARB 75 darstellende Schadenereignis schon vor Beginn des Rechtsschutzversicherungsvertrages eingetreten sei. Die Beklagte sieht als Schadenereignis die Nikotinsucht des Klägers an, die bereits seit 1975 bestanden habe. Zu den Erfolgsaussichten der Klage gegen die Firma R. hat sie in den vorgerichtlichen Ablehnungsschreiben vom 2. August und 10. September 1999 Bedenken und Zweifel geäußert, die abschließende Prüfung der Erfolgsaussichten jedoch im zuletzt genannten Schreiben ausdrücklich offengelassen. Im Deckungsprozeß hat sie ihre Ablehnung in der Berufungsinstanz auch auf fehlende Erfolgsaussicht gestützt.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht (VersR 2002, 91) hat ihr stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:


Die Revision hat keinen Erfolg. Die Beklagte hat dem Kläger im beantragten Umfang Rechtsschutz zu gewähren.
1. Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, daß der Versicherungsfall erst während der Dauer des Versicherungsschutzes eingetreten ist, der gemäß § 5 ARB 75 hier am 1. Dezember 1983 begonnen hat.

a) Der Familien- und Verkehrs-Rechtsschutz umfaßt nach § 26 Abs. 3 a ARB 75 die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen im Rahmen des § 14 Abs. 1 ARB 75. Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 ARB 75 gilt bei Schadensersatzansprüchen aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen als Versicherungsfall der Eintritt des dem Anspruch zugrunde liegenden Schadenereignisses. Als ein dem Anspruch zugrunde liegendes Schadenereignis kann bei der Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs nach dem Wortlaut und dem Sinn der Bestimmung von vornherein nur ein Ereignis in Betracht kommen, das geeignet ist, den Anspruch rechtlich zu begründen. Auf eigenes Verhalten des Versicherungsnehmers und in seiner Person liegende Umstände, die für den Schaden mitur-

sächlich waren, kann der Anspruch gegen den Schädiger nicht gestützt werden. Sie sind kein dem geltend gemachten Anspruch zugrunde liegendes Schadenereignis und damit kein Versicherungsfall im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 1 ARB 75. Der verständige Versicherungsnehmer wird deshalb unter dem Schadenereignis nur ein solches verstehen, für das der Schadensersatzpflichtige, gegen den er Ansprüche erhebt, in haftungsrechtlich zurechenbarer Weise verantwortlich ist (vgl. zu § 4 (1) a ARB 94 Senatsurteil vom 25. September 2002 - IV ZR 248/01 - VersR 2002, 1503 unter 2 b bb).
Demgemäß kommt es für den Eintritt des Versicherungsfalls darauf an, mit welchem Tatsachenvortrag der Versicherungsnehmer den Schadensersatzanspruch begründet. Als frühest möglicher Zeitpunkt kommt das dem Anspruchsgegner vorgeworfene pflichtwidrige Verhalten in Betracht , aus dem der Anspruch hergeleitet wird. Ob der Tatsachenvortrag des Versicherungsnehmers schlüssig und beweisbar ist, ist für den Eintritt des Versicherungsfalls nach § 14 Abs. 1 Satz 1 ARB 75 unerheblich. Diese Frage ist nur für die Erfolgsaussicht im Sinne von §§ 1 Abs. 1 Satz 2, 17 Abs. 1 Satz 1 ARB 75 von Bedeutung.

b) Der Versicherungsfall ist hier nicht vor dem 1. Dezember 1983 und damit in versicherter Zeit eingetreten. Der Kläger lastet der Firma R. als schadenursächliches Verhalten an, sie habe ab 1984 Warnhinweise auf die ihr bekannte suchterregende Wirkung von Acetaldehyd pflichtwidrig unterlassen und dem Zigarettentabak bewußt suchtsteigernde Stoffe beigemischt. Mit einem früheren pflichtwidrigen Verhalten der Firma R. begründet er die beabsichtigte Klage nicht. Deshalb kommt es entgegen der Ansicht der Beklagten nicht darauf an, ob der Kläger

schon seit 1975 nikotinsüchtig war. Dies ist gegebenenfalls im Schadensersatzprozeß gegen die Firma R. zu klären und rechtlich zu würdigen. Ebenso bedarf es keiner Stellungnahme dazu, ob bei § 14 Abs. 1 Satz 1 ARB 75 das Kausalereignis oder das Folgeereignis maßgebend und welcher sinnfällige objektive Vorgang hier als Folgeereignis anzusehen ist. Es wäre jedenfalls nach Vertragsbeginn eingetreten.
2. Dem Berufungsgericht ist auch darin zuzustimmen, daß die Beklagte sich nicht mehr darauf berufen kann, die beabsichtigte Klage biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Das ist ihr verwehrt, weil sie dem Kläger diesen Ablehnungsgrund entgegen § 17 Abs. 1 Satz 2 ARB 75 nicht unverzüglich schriftlich mitgeteilt hat.

a) Die Auslegung dieser Bestimmung ergibt nach den Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Versicherungsnehmers (vgl. dazu BGHZ 123, 83, 85), daß sich der Versicherer bei Verletzung der Mitteilungspflicht im Deckungsprozeß nicht mehr auf die fehlende Erfolgsaussicht berufen kann. Dies entspricht auch der ganz überwiegenden Meinung in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte (OLG Düsseldorf VersR 2001, 233 unter II 2, OLG Hamm VersR 1999, 1362 unter II 2, OLG Köln r+s 1991, 419, 420 f., jeweils mit Hinweisen auf frühere Rechtsprechung; OLG Frankfurt VersR 1984, 857 unter II; a.A. OLG Karlsruhe VersR 1999, 613 unter I 1 b).
aa) Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 ARB 75 kann der Versicherer seine Leistungspflicht verneinen, wenn er der Auffassung ist, die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg oder erscheine mutwillig. Macht er von

seinem Ablehnungsrecht Gebrauch, hat der dies nach Satz 2 der Be- stimmung dem Versicherungsnehmer unter Angabe der Gründe unverzüglich schriftlich mitzuteilen. Schon dieser Zusammenhang zwischen Satz 1 und Satz 2 legt es nahe, daß die Ablehnung innerhalb des Zeitraums erfolgen muß und auch nur erfolgen kann, den der Versicherer bei sachgerechter, nicht schuldhaft verzögerter Prüfung für seine Entschließung benötigt. Die Prüfungspflicht des Versicherers beginnt, sobald der Versicherungsnehmer seine Obliegenheit nach § 15 Abs. 1 a ARB 75 erfüllt hat, den Versicherer unverzüglich vollständig und wahrheitsgemäß über sämtliche Umstände des Versicherungsfalles zu unterrichten sowie Beweismittel und Unterlagen anzugeben und auf Verlangen zur Verfügung zu stellen (Prölss in Prölss/Martin, VVG 26. Aufl. § 17 ARB 75 Rdn. 5). Bei Verletzung dieser Obliegenheit hat sich der Versicherer Leistungsfreiheit nach Maßgabe von § 15 Abs. 2 ARB 75 ausbedungen (vgl. dazu Harbauer, Rechtsschutzversicherung 6. Aufl. § 15 ARB 75 Rdn. 79 ). Beim Blick auf den Anspruchsverlust bei Verletzung der Obliegenheit zur unverzüglichen vollständigen und wahrheitsgemäßen Unterrichtung des Versicherers drängt es sich auf, daß der Versicherer seinerseits nicht nur gehalten ist, die Leistungsablehnung wegen fehlender Erfolgsaussicht oder Mutwilligkeit dem Versicherungsnehmer unverzüglich mitzuteilen, sondern auch die Prüfung der Erfolgsaussicht unverzüglich vorzunehmen, und daß ein Verstoß dagegen auf seiten des Versicherers den Verlust dieses Ablehnungsrechts zur Folge hat. Denn der verständige Versicherungsnehmer kann nicht davon ausgehen, daß ihm selbst mit der Sanktion des Leistungsverlustes verknüpfte unverzüglich zu erfüllende Aufklärungsobliegenheiten aufgegeben werden, der Versicherer aber seine Entschließung über das Vorliegen von Ablehnungsgründen beliebig - und ohne gleichzeitigen Verlust des Ablehnungsrechts - hinausschie-

ben kann. Was insoweit für den Versicherungsnehmer gilt, muß in entsprechender Weise für den Versicherer gelten.
bb) Die Regelungen in § 17 Abs. 2 und 3 ARB 75 bestätigen dieses Auslegungsergebnis.
Gegen diese Ablehnung kann der Versicherungsnehmer, anders als bei sonstigen Ablehnungsgründen, nicht nur mit der Deckungsklage vorgehen. Er hat vielmehr nach § 17 Abs. 2 ARB 75 - allerdings erst nach einer Leistungsablehnung gemäß Abs. 1 - das Recht, auf Kosten des Versicherers einen sogenannten Stichentscheid des für ihn tätigen oder noch zu beauftragenden Rechtsanwalts herbeizuführen. Dessen Entscheidung ist für beide Teile bindend, sofern sie nicht offenbar von der wirklichen Sach- oder Rechtslage erheblich abweicht. Damit wird dem Versicherungsnehmer ein schnelles, einfaches und für ihn nicht mit Kosten verbundenes Verfahren an die Hand gegeben, die Notwendigkeit der Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen (vgl. § 1 Abs. 1 ARB 75) verbindlich klären zu lassen. Eine solche rasche Klärung ist insbesondere dann geboten, wenn bei einer Verzögerung der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung Nachteile drohen. Diesem Zweck des Verfahrens nach § 17 Abs. 1 ARB 75 widerspräche es, wenn der Versicherer sich trotz schuldhaft verzögerter Prüfung der Erfolgsaussicht und der Mitteilung der Leistungsablehnung noch auf diesen Ablehnungsgrund berufen könnte.
Mit § 17 Abs. 3 ARB 75 hat sich der Versicherer schließlich ausbedungen , dem Versicherungsnehmer zur Beschleunigung des Verfahrens nach Absatz 2 eine Frist dafür zu setzen, den mit dem Stichent-

scheid beauftragten Rechtsanwalt vollständig zu unterrichten. Die Versäumung der Frist führt nach Absatz 3 Satz 2 zum Entfallen des Versicherungsschutzes. Wiederum wird also mit der Androhung des Leistungsverlustes darauf hingewirkt, eine schnelle abschließende Entscheidung herbeizuführen. Das muß nach dem Gesamtzusammenhang dann aber auch für die vom Versicherer zu treffende Entscheidung nach Absatz 1 gelten. Trifft sie der Versicherer nicht ohne schuldhaftes Zögern , verliert er das Ablehnungsrecht.
cc) Der bei nicht unverzüglicher Prüfung und schriftlicher Ablehnung eintretende Verlust des Ablehnungsrechts wegen fehlender Erfolgsaussicht oder Mutwilligkeit hat zur Folge, daß der Versicherer sich die spätere Berufung auf diese Ablehnungsgründe auch dann nicht wirksam vorbehalten kann, wenn er die Leistung aus anderen Gründen ablehnt. An der im Senatsurteil vom 16. Oktober 1985 (IVa ZR 49/84 - VersR 1986, 132 unter 1) vertretenen gegenteiligen Ansicht wird nicht festgehalten.

b) Die Beklagte hat die Leistung wegen fehlender Erfolgsaussicht erst im hier zu entscheidenden Deckungsprozeß und damit nicht unverzüglich abgelehnt. Die Auslegung des Berufungsgerichts, die Schreiben der Beklagten vom 2. August und 10. September 1999 enthielten keine Ablehnung wegen fehlender Erfolgsaussicht, ist richtig. Die Prüfungspflicht der Beklagten begann mit Zugang des Schreibens des für den Kläger tätigen Rechtsanwalts Dr. O. vom 19. Juli 1999. Dem Schreiben waren der Entwurf der Klageschrift und Kopien sämtlicher darin erwähnter Unterlagen beigefügt. Die Beklagte hat mit Recht nicht geltend

gemacht, der Kläger habe damit seine Obliegenheit nach § 15 Abs. 1 a ARB 75 nicht erfüllt gehabt.

Terno Seiffert Wendt
Dr. Kessal-Wulf Felsch