Bundesgerichtshof Urteil, 31. Okt. 2013 - X ZR 100/10

bei uns veröffentlicht am31.10.2013
vorgehend
Bundespatentgericht, 2 Ni 17/09, 25.03.2010

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 100/10 Verkündet am:
31. Oktober 2013
Wermes
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 31. Oktober 2013 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die
Richter Gröning, Dr. Grabinski und Hoffmann sowie die Richterin Schuster

für Recht erkannt:
Die Berufung gegen das am 25. März 2010 verkündete Urteil des 2. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Der Beklagte ist Inhaber des am 14. Mai 1998 angemeldeten, mit Wirkung für
1
die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 889 334 (Streitpatents ), das sechs Ansprüche umfasst. Patentanspruch 1 lautet: "Verfahren zur Feinabtastung beliebiger Gegenstände, z.B. Glaskörper, Gegenstände mit reflektierenden Metall-, Lack- oder Kunststoffoberflächen , bei einem auf Retroreflexion und Polarisationsdrehung basierenden Lasersensorsystem, bei dem die retroreflektierende Fläche aus mehreren würfelförmigen Fullcube-Tripeln besteht, wobei das einfallende Laserstrahlbündel durch Vergrößerung oder Verkleinerung seiner Form auf die Größe der Fullcube-Tripel derart angepasst wird, dass es bei Bewegung über den Retroreflektor in jeder Position mindestens fünf oder mehr Fullcube-Tripel zugleich berührt und so unabhängig von der Position ein konturenscharfes, retroreflektiertes Laserstrahlbündel erzeugt wird, und wobei die Schlüsselweite der Fullcube-Tripel 0,002 mm bis 1,4 mm beträgt."
2
Die Klägerin zu 2 hat das Streitpatent insgesamt, die Klägerin zu 1 hat es im Umfang der Ansprüche 1, 2, 4 und 5 angegriffen. Die Klägerinnen haben geltend gemacht, sein Gegenstand sei insoweit nicht patentfähig, er sei nicht neu, beruhe jedenfalls aber nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und das Streitpatent hilfsweise
3
beschränkt verteidigt durch Eingrenzung der Anzahl zugleich berührter FullcubeTripel auf mindestens fünf oder mehr, aber nicht alle Tripel (Hilfsantrag I) bzw. auf mindestens fünf und höchstens sieben (Hilfsantrag II); ferner dadurch, dass Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung durch die Merkmale von Unteranspruch 3 ergänzt wird. Danach ist die von den Mikrotripeln gebildete Reflexfläche des Retroreflektors von großformatigeren Tripeln umgeben (Hilfsantrag III). Das Patentgericht hat das Streitpatent dadurch teilweise für nichtig erklärt,
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dass Patentanspruch 1 die Fassung des Hilfsantrags III erhält und die ursprünglichen Unteransprüche 4 bis 6 als Unteransprüche 2 bis 4 auf den so gefassten Hauptanspruch rückbezogen sind. Dagegen richtet sich die Berufung des Beklagten mit dem Antrag, die Klagen
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vollständig abzuweisen. Hilfsweise verteidigt er das Streitpatent in der beschränkten Fassung gemäß den bereits in erster Instanz gestellten Hilfsanträgen I und II.
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Die Klägerinnen treten dem Rechtsmittel entgegen.
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Im Auftrag des Senats hat Prof. Dr. O. ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.

Entscheidungsgründe:


I. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren für eine auf der Retroreflexion ei8 nes Laserstrahls basierende Sensoreinrichtung. Bei den seiner Beschreibung zufolge im Stand der Technik bekannten, auf Retroreflexion und Polarisationsdrehung beruhenden Lasersensorsystemen wird von einer Laserlichtquelle ein Laserstrahl so ausgesendet , dass er auf einen Retroreflektor trifft und von diesem reflektiert wird. Unter einem Retroreflektor wird ein Reflektor verstanden, der - anders als ein Spiegel - das einfallende Licht auch dann genau in die Einfallsrichtung reflektiert, wenn der Einfallswinkel nicht exakt 90° beträgt, sondern innerhalb eines bestimmten Toleranzbereichs hiervon abweicht. Als Retroreflektoren dienen unter anderem Fullcube-Tripel, die durch drei aneinander angrenzende quadratische Flächen einer Würfelecke gebildet werden. Das auftreffende Licht wird mit einem gewissen Versatz reflektiert, der mit der Tripelgröße in Zusammenhang steht. Diese wird im Streitpatent nach der Schlüsselweite bemessen, womit der Abstand zwischen zwei parallelen Seiten des Sechsecks gemeint ist, als das sich das Fullcube-Tripel aus der Draufsicht darstellt. Je kleiner das Tripel, umso geringer ist der mögliche Versatz. Der zurückgeworfene Laserstrahl wird sodann ausgewertet. Eine Unterbre9 chung dieses Strahls zwischen Sender/Empfänger und Reflektor wird als binäres Signal interpretiert. Der Empfang des reflektierten Lichtstrahls kann durch Fremdstrahlen oder Irrstrahlen beeinträchtigt werden. Trifft der Laserstrahl etwa auf einen Gegenstand, der zwischen der Lichtquelle und dem Retroreflektor liegt und eine reflektierende Oberfläche aufweist, wird das Laserlicht von dieser Oberfläche reflektiert. Zur Vermeidung einer Fehlinterpretation reflektierten Lichts wird das ausgesandte Licht im Sensorsystem polarisiert. Der Einsatz einer Polarisationsdrehung ermöglicht es dem System zu erkennen, ob der Laserstrahl vom Retroreflektor - dann
ist die Polarisation gedreht - oder von einem anderen Gegenstand - dann ist sie nicht gedreht - reflektiert wurde.
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Entscheidend ist nach der Streitpatentschrift, jeweils einen möglichst konturenscharfen , retroreflektierten Strahl für die Signalauswertung zu erhalten, der von Fremdlicht oder unerwünschten Reflexionsstrahlen unterschieden werden kann. Im Stand der Technik verwendete Retroreflektoren seien entweder in der Herstellung unwirtschaftlich oder bewirkten nachteilige Veränderungen des Laserstrahls, wenn die Lichtquelle sich - etwa durch Erschütterungen oder Vibrationen - bewegt. Vor diesem Hintergrund will das Streitpatent die Feinabtastung wesentlich
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verbessern. Dazu schlägt es mit Patentanspruch 1 ein Verfahren vor, dessen Merkmale sich wie folgt gliedern lassen (abweichende Merkmalsgliederung des Patentgerichts in Klammern: Merkmale 5a und 5b entsprechen der Fassung von Merkmal 5 nach den Hilfsanträgen I und II): 1. Verfahren zur Feinabtastung beliebiger Gegenstände, z.B. Glaskörper , Gegenstände mit reflektierenden Metall-, Lack- oder Kunststoffoberflächen , mit einem auf Retroreflexion und Polarisationsdrehung basierenden Lasersensorsystem (1), 2. bei dem die retroreflektierende Fläche aus mehreren würfelförmigen Fullcube-Tripeln besteht (2), 3. wobei die Schlüsselweite der Tripel 0,002 mm bis 1,4 mm beträgt

(6).

4. Das einfallende Laserstrahlbündel wird durch Vergrößerung oder Verkleinerung seiner Form auf die Größe der Tripel angepasst (3), 5. und zwar derart, dass bei Bewegung des Laserstrahlbündels über den Retroreflektor in jeder Position mindestens fünf oder mehr Tripel zugleich berührt werden (4); 5a ... dass ... mindestens fünf oder mehr aber nicht alle Tripel zugleich berührt werden; 5b ... dass ... mindestens und höchstens sieben Tripel zugleich berührt werden;
6. wodurch unabhängig von der Position ein konturenscharfes, von Irrstrahlen freies, formstabiles retroreflektiertes Laserstrahlbündel erzeugt wird (5).
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II. Das Patentgericht hat den Gegenstand von Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung sowie in der Fassung der Hilfsanträge I und II für nicht patentfähig erachtet, weil er nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe und dies im Wesentlichen wie folgt begründet: Im Stand der Technik sei bekannt gewesen, zur Feinabtastung ein Sensorsys13 tem mit einem Retroreflektor einzusetzen, das mit Laserlicht und Polarisationsdrehung arbeite. Bekannt gewesen sei ferner der Einsatz von Retroreflektoren mit Fullcube -Tripeln, deren Schlüsselweite unter 1,5 mm liege. Ein Fachmann, der den aus der deutschen Gebrauchsmusterschrift 297 01 903 (NK7) bekannten Retroreflektor in einem Lasersensorsystem habe einsetzen wollen, habe sich zwangsläufig Gedanken über die Dimensionierung des auf den Reflektor auftreffenden Laserstrahls machen müssen, wobei er sich darüber im Klaren gewesen sei, dabei eine Abwägung zwischen den Gesichtspunkten der Messwertstabilität und Erkennungssicherheit einerseits und der Auflösung andererseits treffen zu müssen. Es habe keiner erfinderischen Bemühungen bedurft, um zu den beanspruchten Werten und den damit verbundenen Ergebnissen zu kommen. Es sei nicht ersichtlich, dass die in Patentanspruch 1 in der Fassung des Hauptantrags und der Hilfsanträge I und II vorgeschlagene Anpassung des Laserstrahls zu besonderen, überraschenden Effekten führe. III. Gegen diese Beurteilung wendet die Berufung sich im Ergebnis ohne
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Erfolg. 1. Für den zugrunde zu legenden fachmännischen Ausbildungs- und
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Kenntnisstand ist nach den Ausführungen des Patentgerichts, die der Einschätzung des Sachverständigen entsprechen und von den Parteien nicht angegriffen werden, auf einen Ingenieur mit Fachhochschul- oder Hochschulabschluss mit mehrjähriger Berufserfahrung in der Entwicklung optischer Mess- und Prüfverfahren abzustellen. 2. Für diesen Fachmann lag der Gegenstand des Streitpatents - auch in
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den Fassungen der Hilfsanträge I und II - nahe.
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a) Zutreffend und von der Berufung auch nicht beanstandet hat das Patentgericht angenommen, dass die fachmännischen Überlegungen für die Entwicklung eines Sensorsystems mit einer verbesserten Feinabtastung an die Lehre von NK7 anknüpfen konnten. Dieses Dokument offenbart ein Feinabtastsystem, das auf Retroreflexion basiert und mit dem z.B. die Position eines Fadens vor dem Hintergrund eines Reflektors mit einem engen Lichtstrahl wie einem Laserstrahl bestimmt werden kann (S. 7 Z. 11 ff.).
b) Auf die nach Merkmal 1 des Streitpatents vorgesehene Polarisations18 drehung wird in NK7 zwar nicht ausdrücklich hingewiesen. Jedoch ergibt sich aus mehreren in das Verfahren eingeführten Dokumenten, mit denen die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen übereinstimmen, dass die Nützlichkeit der mit der Polarisationsdrehung verbundenen Effekte für eine fehlerfreie Detektion insbesondere von Gegenständen mit stark spiegelnder Oberfläche lange vor dem Prioritätstag zum fachmännischen Wissen gehörte (Krieg, Automatisieren mit Optoelektronik , Vogel Fachbuch 1990, NK14; Aldiek, Der effektive Einsatz von Tripelreflektorarrays , NB8) und es deshalb keiner erfinderischen Tätigkeit bedurfte, um die Polarisationsdrehung bei einem verbesserten Feinabtastungsverfahren vorzusehen.
c) Der Einsatz von Fullcube-Tripeln zur Retroreflexion war schon am An19 meldetag von NK7 bekannt (dort S. 3 Z. 12 ff.). Die Bemessung ihrer Schlüsselweite auf den Bereich zwischen 1,4 mm und 0,002 mm (Merkmal 3) war durch NK7 jedenfalls nahegelegt. Die dort für eine Ausführungsform vorgeschlagene Tripelgröße von < 1,5 mm gibt, wie die Erörterung mit dem gerichtlichen Sachverständigen bestätigt hat, aus fachlicher Sicht eine hinreichend konkrete und damit der Annahme einer erfinderischen Tätigkeit entgegenstehende Anregung (vgl. BGH, Urteil vom 30. April 2009 - Xa ZR 92/05, BGHZ 182, 1 - Betrieb einer Sicherheitseinrichtung), in einem verbesserten Sensorsystem zur Feinabtastung Tripelgrößen von etwa 1,0 oder 0,5 mm vorzusehen. Soweit der gerichtliche Sachverständige es für möglich hält, dass der unterste Wert von 0,002 mm nicht (mehr) mit der Anweisung in Verbindung gebracht wird, die Tripelgröße kleiner als 1,5 mm zu halten, sondern gewählt worden sein könnte, weil jenseits dieser Grenze unerwünschte Lichtbeugungseffekte auftreten und das Ziel einer sicheren Detektion konterkarieren könnten, ist dies für den Bestand von Patentanspruch 1 unerheblich. Wenn dem Fachmann die Wahl einzelner Werte aus einer einheitlich beanspruchten Spanne durch den Stand der Technik nahegelegt ist, kann die (Naheliegendes umfassende) Angabe der Spanne nicht als erfinderisch gewertet werden.
d) Der Gegenstand des Streitpatents kann nicht wegen der in Merkmal 5
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bzw. 5a oder 5b beschriebenen gezielten Anpassung des einfallenden Laserstrahlbündels in der Weise, dass stets mindestens fünf Fullcube-Tripel zugleich berührt werden, als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend bewertet werden (Art. 56 EPÜ). aa) Wie die Erörterung mit dem gerichtlichen Sachverständigen bestätigt
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hat, gehörten zum fachlichen Grundlagenwissen am Anmeldetag des Streitpatents Kenntnisse über die Gesetzmäßigkeiten, auf denen die Retroreflexion von auf Tripelreflektoren auftreffenden Lichtstrahlen namentlich in Reflexions-Lichtschranken beruht , einschließlich des Wissens darüber, dass die auf Fullcube-Tripel auftreffenden Lichtstrahlen stets mit einem gewissen Versatz reflektiert werden, der unter anderem von der Größe des Tripels und dem Auftreffpunkt des Lichtstrahls abhängt. Dieser Gesichtspunkt wird im Übrigen in NK7 ausgiebig erläutert. Fachlich war auch bekannt , dass das Sensorsystem insbesondere kleine Gegenstände zwar umso genauer erfassen kann, je feiner der eingesetzte Lichtstrahl ist, dass einer solchen Verfeinerung aber aus gegenläufigen technischen Gründen Grenzen gesetzt sind. Wird nämlich der Lichtstrahl so fein eingestellt, dass er kleiner ist als die Schlüsselweite eines Tripels, können schon kleine laterale Verschiebungen des einfallenden Strahls, etwa infolge von Erschütterungen der Lichtquelle oder des Retroreflektors, zu erheblichen Verschiebungen des ausfallenden Strahls führen und damit dessen Formstabilität beeinträchtigen. Solche Verschiebungen können sich als Folge des je nach Auftreffpunkt des Lichts auf dem Tripel unterschiedlichen Versatzes des reflektierten Strahls einstellen. Die Reflexion kann zudem beeinflusst werden, je nachdem ob dieser Punkt auf eine der Tripelflächen fällt oder auf eine Kante, von wo aus er undefiniert gestreut werden kann. Probleme können sich ferner durch Verschmutzungen ergeben oder dann, wenn ein sehr dünner Lichtstrahl auf eine Stelle trifft, die - etwa aufgrund fertigungsbedingter Ungenauigkeiten - Streulicht hervorruft oder auch nur durch leichte Relativbewegungen der Komponenten. Der Einsatz eines sehr feinen Lichtstrahls kann sich also im praktischen Betrieb als gleichermaßen vorteilhaft wie nachteilig erweisen. Zum fachlichen Grundwissen gehörte in diesem Zusammenhang , dass die Anfälligkeit eines Sensorsystems für derartige Beeinträchtigungen verringert wird, wenn der einfallende Lichtstrahl mehrere retroreflektierende Elemente (Fullcube-Tripel), abdeckt und - in Anwendung des Prinzips der Mittelung - höhere Formstabilität erhält, die eine verlässlichere Signalauswertung ermöglicht. Ausdruck dieser Erkenntnisse sind die bereits in den frühen sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts veröffentlichte deutsche Auslegeschrift NK11 und die 1982 bekannt gemachte deutsche Gebrauchsmusterschrift NK10. Dass letzteres Dokument sich auf Perlen als Reflexionskörper bezieht und insoweit aus fachlicher Sicht keine weiterführenden Erkenntnisse für die Lasersensorik mit Fullcube-Tripeln als Reflexionskörper erwarten ließ, ist unerheblich. Entscheidend ist, dass NK10 Grundsätze offenbart , die aus fachmännischer Sicht gleichermaßen für die Lasersensorik gelten. bb) Es trifft nach allem entgegen der Ansicht des Beklagten nicht zu, dass
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die Fachkreise von dem Vorurteil geleitet gewesen wären, eine verbesserte Feinabtastung bedinge eine immer feinere Bündelung des Lichtstrahls und dass die Lehre des Streitpatents dieses Vorurteil überwunden hätte. Auch NK7, die nach Ansicht des Beklagten noch von diesem Vorurteil geprägt sein soll, lehrt nicht einseitig, den Strahl so eng wie möglich zu bündeln, sondern will einen hochleistungsfähigen Tripelspiegel für die Messtechnik schaffen, der auch bei einem veränderlichen Beobachtungslichtkegel vom Durchmesser-Maximum bis zum Durchmesser nahe Null arbeitet (Beschreibung S. 6 oben).
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NK7 regt mit ihrer Anweisung, die Schlüsselweite der Tripel sehr klein, in einer Größenordnung von < 1,5 mm, zu wählen, fachmännisch dazu an, über die Tripelgröße eine genaue Detektion trotz feinen Lichtstrahls sicherzustellen. Die Beschreibung erläutert, der Messtechnikreflektor erlange eine besondere Leistungsfähigkeit durch Verwendung von Mikrotripeln oder zumindest sehr kleinen Tripelabmessungen. Der Einsatz von kleinen Tripeln ermögliche, den Durchmesser des kreisförmigen , ungestörten Durchmessers des Beobachtungslichtkegels besonders klein zu wählen (Beschreibung S. 7 oben), was sich aus fachlicher Sicht daraus erklärt, dass bei Wahl kleiner Tripel auch ein besonders feiner Lichtstrahl immer noch mehrere Tripel zugleich berührt und dementsprechend auch im Bereich der Feinabtastung eine sichere Detektion erwarten lässt. cc) Das Streitpatent leistet über diese aus NK7 folgenden Anregungen hin24 aus lediglich noch eine Anpassung des Lichtstrahlbündels nach Maßgabe von Merkmal 5 bzw. 5a oder 5b. Diese Anpassung stellt sich als Ergebnis versuchsweiser Annäherungen an optimale Einstellungswerte dar und entspricht im Übrigen, wie der gerichtliche Sachverständige ausgeführt hat, einer mathematischen Funktion, die belegt, dass mit der Erhöhung der zugleich vom Strahl berührten Tripel der Zuwachs an Abtastsicherheit abnimmt, wobei hier mit der Erhöhung der Zahl der angestrahlten Tripel, wie ausgeführt, zusätzlich der Nachteil einer abnehmenden Abtastschärfe einhergeht. Aus Gründen der erforderlichen Abtastsicherheit musste der untere Wert für
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die gleichzeitig berührten Tripel für den empirisch vorgehenden Fachmann größer als eins sein. Um den Grenzwert auf mindestens fünf Tripel festzulegen, brauchte ledig- lich das visuelle Ergebnis einer schrittweisen Aufweitung des Strahls bzw. umgekehrt , der Verkleinerung der Tripel bei Beibehaltung des Durchmessers des Strahlenbündels qualitativ bewertet zu werden. Demgegenüber sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Festlegung auf diesen Mindestwert etwa das Ergebnis von Untersuchungen gewesen sein könnte, mit denen es gelungen wäre, bislang nicht erkannte naturwissenschaftliche Zusammenhänge nutzbar zu machen. Anlage 1 hält insoweit lediglich bildlich fest und stellt grafisch dar, was bei versuchsweiser Führung des Laserstrahls über eine steigende Anzahl von Tripeln unmittelbar sichtbar wird. Dass die fachmännische Wahrnehmung eines Qualitätsunterschieds bei weniger als fünf oder mehr als vier Tripeln nunmehr wissenschaftlich interpretiert werden kann (ungleichmäßige und zerfranste Verteilung der Energie um das Zentrum herum einerseits , ausreichende Wiederholungsgenauigkeit infolge symmetrischer Energieverteilung andererseits) rechtfertigt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Gewährung von Patentschutz nicht (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juni 2011 - X ZR 68/08, GRUR 2011, 999 Rn. 44 - Memantin; Urteil vom 24. September 2013 - X ZR 40/12 - Fettsäuren). Damit erweist sich Patentanspruch 1 in allen drei zur Entscheidung gestellten
26
Fassungen als nicht patentfähig. In der erteilten Fassung und derjenigen nach Hilfsantrag I ist Patentanspruch 1 unabhängig vom vorstehend Ausgeführten auch deshalb nicht patentfähig, weil die beanspruchte Spanne (mindestens fünf Tripel "oder mehr" bzw. mindestens fünf Tripel "oder mehr aber nicht alle") auch im oberen Bereich durch den Stand der Technik nahegelegt war. Wie ausgeführt ist in NK7 von Beobachtungslichtkegeln mit minimalen bis maximalen Durchmessern die Rede und Figur 3 gibt dafür einen zusätzlichen visuellen Beleg. Die Schrift regt dementsprechend auch zu einer Ausführung an, bei der die Anzahl berührter Tripel in einer Größenordnung liegt, in die auch die beanspruchte Spanne fällt, weshalb der Anspruch in diesen Fassungen auch aus diesem Grunde insgesamt nicht patentfähig ist (oben III 2 c).
27
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG, § 97 Abs. 1 ZPO. Meier-Beck Gröning Grabinski Hoffmann Schuster
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 25.03.2010 - 2 Ni 17/09 (EU) -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 31. Okt. 2013 - X ZR 100/10

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 31. Okt. 2013 - X ZR 100/10

Referenzen - Gesetze

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Patentgesetz - PatG | § 121


(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend. (2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über d
Bundesgerichtshof Urteil, 31. Okt. 2013 - X ZR 100/10 zitiert 3 §§.

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

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(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

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Bundesgerichtshof Urteil, 31. Okt. 2013 - X ZR 100/10 zitiert oder wird zitiert von 3 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Urteil, 31. Okt. 2013 - X ZR 100/10 zitiert 2 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Urteil, 09. Juni 2011 - X ZR 68/08

bei uns veröffentlicht am 09.06.2011

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 68/08 Verkündet am: 9. Juni 2011 Wermes Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja BGHZ: ne

Bundesgerichtshof Urteil, 24. Sept. 2013 - X ZR 40/12

bei uns veröffentlicht am 24.09.2013

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 40/12 Verkündet am: 24. September 2013 Beširović Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja BGHZ:
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Urteil, 31. Okt. 2013 - X ZR 100/10.

Bundesgerichtshof Urteil, 03. Mai 2017 - X ZR 65/15

bei uns veröffentlicht am 03.05.2017

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL XZR 65/15 Verkündet am: 3. Mai 2017 Anderer Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache ECLI:DE:BGH:2017:030517UXZR65.15.0 Der X. Zivilse

Referenzen

44
Damit offenbart das Grundpatent jedoch keine neue Lehre zum technischen Handeln, sondern nur eine Entdeckung biologischer Zusammenhänge, die als solche dem Patentschutz nicht zugänglich ist (Art. 52 Abs. 2 Buchst. a EPÜ). Die Lehre zum technischen Handeln geht weiterhin dahin, (auch) Alzheimer -Patienten zur Linderung ihres Leidens mit Memantin zu behandeln. Weder gibt das Grundpatent mit Blick auf den aufgedeckten Wirkungsmecha- nismus eine andere Dosierungsanweisung, noch konkretisiert es in anderer Hinsicht die Art und Weise, wie der Wirkstoff Memantin verwendet wird. Die - durchaus verdienstvolle - wissenschaftliche Erklärung der Wirkungsursachen bzw. die theoretische Begründung der Lehre zum technischen Handeln ist aus medizinischer und pharmakologischer Sicht ein Fortschritt, kann aber zur Beurteilung der Patentfähigkeit nicht herangezogen werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 40/12 Verkündet am:
24. September 2013
Beširović
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Fettsäuren
EPÜ Art. 54 Abs. 5; PatG § 3 Abs. 4
- Das nachträgliche Auffinden der biologischen Zusammenhänge, die der
Wirkung eines Arzneimittels zugrunde liegen, offenbart keine neue Lehre zum
technischen Handeln, sofern der verabreichte Wirkstoff, die Indikation, die Dosierung
und die sonstige Art und Weise, in der der Wirkstoff verwendet wird, mit
einer bereits beschriebenen Verwendung eines Wirkstoffs zur Behandlung einer
Krankheit übereinstimmen (Bestätigung von BGH, Urteil vom 9. Juni 2011
- X ZR 68/08, GRUR 2011, 999 Rn. 44 - Memantin).
BGH, Urteil vom 24. September 2013 - X ZR 40/12 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 24. September 2013 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. MeierBeck
, die Richterin Mühlens, die Richter Dr. Bacher und Hoffmann sowie die
Richterin Schuster

für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 22. November 2011 verkündete Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts abgeändert.
Das europäische Patent 1 152 755 wird mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland in vollem Umfang für nichtig erklärt.
Die Anschlussberufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Beklagte ist Inhaberin des europäischen Patents 1 152 755 (Streitpatents ), das am 7. Februar 2000 unter Inanspruchnahme der Priorität einer italienischen Anmeldung vom 17. Februar 1999 angemeldet worden ist und die Verwendung essentieller Fettsäuren zur Vorbeugung von kardiovaskulären Anfällen betrifft. Patentanspruch 1 lautet in der erteilten Fassung in der Verfahrenssprache : "Use of essential fatty acids containing a mixture of eicosapentaenoic acid ethyl ester (EPA) and docosahexaenoic acid ethyl ester (DHA) in the preparation of a medicament useful for preventing mortality in a patient who has suffered from a myocardial infarction where the content in EPA+DHA in such mixture is greater than 25% b.w; and the medicament is for oral administration."
2
In Patentanspruch 7 sind bei ansonsten übereinstimmendem Wortlaut die Worte "containing a mixture … of (EPA) and … (DHA)" ersetzt durch "containing … (EPA) and … (DHA)" und die Worte "the content in EPA+DHA in such mixture" ersetzt durch "the EPA or DHA content". Sieben weitere Patentansprüche sind auf die Patentansprüche 1 oder 7 zurückbezogen.
3
Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents gehe über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen hinaus. Er sei zudem unklar formuliert und beruhe nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Die Beklagte hat das Streitpatent in erster Instanz mit einem Hauptantrag und zwei Hilfsanträgen in geänderter Fassung verteidigt.
4
Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt, soweit sein Gegenstand über die mit dem zweiten Hilfsantrag verteidigte Fassung hinausgeht, und die Klage im Übrigen abgewiesen.
5
Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Berufung, mit der sie weiterhin die vollständige Nichtigerklärung des Streitpatents anstrebt. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen und verteidigt das Streitpatent mit ihrem Hauptantrag und einem ersten Hilfsantrag in Fassungen, die über die in erster Instanz verteidigte Fassung hinausgehen. Mit zwei weiteren Hilfsanträgen verteidigt sie das Streitpatent in der Fassung aus dem angefochtenen Urteil und in einer nochmals geänderten Fassung.

Entscheidungsgründe:


6
Die zulässige Berufung der Klägerin hat Erfolg und führt zur vollständigen Nichtigerklärung des Streitpatents. Die zulässige Anschlussberufung der Beklagten ist hingegen unbegründet.
7
I. Das Streitpatent betrifft die Verwendung essentieller Fettsäuren zur Herstellung eines Medikaments zur Behandlung von Patienten, die einen Herzinfarkt erlitten haben.
8
1. Im Stand der Technik war bekannt, dass bestimmte essentielle Fett- säuren, die in Fischölen enthalten sind und zu denen insbesondere (20:5ω3) Eicosapentaensäure und (22:6ω3) Docosahexaensäure gehören, therapeuti- sche Wirkung bei der Verhinderung und Behandlung von kardiovaskulären Störungen haben. Nach den Ausführungen in der Streitpatentschrift hatte sich die einschlägige Behandlung von Patienten, die bereits einen Herzinfarkt erlitten hatten, als ungenügend zur Verhinderung von (weiteren) Herz-Kreislauf-Erkrankungen und insbesondere zur Verringerung der Sterberate erwiesen.
9
Dem Streitpatent liegt vor diesem Hintergrund das technische Problem zugrunde, ein Medikament zur Verfügung zu stellen, mit dem die Sterberate in der genannten Patientengruppe verringert werden kann.
10
2. Zur Lösung dieses Problems schlägt das Streitpatent in der Fassung, die es im angefochtenen Urteil erhalten hat und die die Beklagte im Berufungsverfahren mit ihrem zweiten Hilfsantrag verteidigt, in Patentanspruch 1 eine Verwendung vor, deren Merkmale sich wie folgt gliedern lassen (die abweichende Gliederung des Patentgerichts ist in eckigen Klammern wiedergegeben ): 1. Verwendet werden essentielle Fettsäuren [1.1], die eine Mischung aus Eicosapentaensäureethylester (EPA) und Docosahexaensäureethylester (DHA) enthalten [1.2].
2. Der Gehalt an EPA und DHA in der Mischung beträgt 85 Gewichtsprozent [1.5'].
3. Die Verwendung erfolgt zur Herstellung eines Medikaments [1.3] zur Verhinderung der Sterberate bei Patienten, die einen Herzinfarkt erlitten haben [1.4].
4. Das Medikament dient
a) zur oralen Verabreichung [1.6]
b) bei einer Dosierung von 0,7 bis 1,5 g täglich [1.7].
11
Die in Patentanspruch 4 beanspruchte Verwendung unterscheidet sich dadurch, dass die essentiellen Fettsäuren EPA oder DHA enthalten (Merkmal 1'), also nicht zwingend eine Mischung dieser beiden Stoffe verwendet werden muss.
12
Nach dem mit der Anschlussberufung verfolgten Hauptantrag soll Merkmal 2 dahin geändert werden, dass der Gehalt an EPA und DHA 80 bis 100 Gewichtsprozent beträgt (Merkmal 2'). Die Hilfsanträge I und III sehen gegenüber den jeweils vorangehenden Anträgen eine zusätzliche Änderung von Merkmal 4 b vor, nach der die Dosierung 1 g täglich betragen soll (Merkmal 4 b').
13
II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
14
Die in erster Instanz mit Hauptantrag und erstem Hilfsantrag verteidigten Fassungen des Streitpatents genügten nicht dem in Art. 84 EPÜ niedergelegten Gebot der Klarheit. Sie enthielten unterschiedliche Angaben zur Wirkstoffkonzentration , nämlich zum einen die Bereichsangabe nach Merkmal 1 [1.2], zum anderen die (in den im Berufungsverfahren verteidigten Fassungen nicht mehr enthaltene) Vorgabe, dass die Verabreichung basierend auf einem Titer von 85 Gewichtsprozent erfolgen solle. Damit sei nicht ohne weiteres erkennbar, was tatsächlich unter Schutz gestellt werden solle.
15
Die mit Hilfsantrag II verteidigte Fassung des Streitpatents erweise sich hingegen als bestandsfähig. Insbesondere sei hinreichend deutlich, worauf sich die Dosierung beziehe, nämlich auf die in den Patentansprüchen genannte Fettsäuremischung. Mit der Dosierungsangabe werde nicht ein Verfahren zur therapeutischen Behandlung des menschlichen Körpers beansprucht, sondern die Verwendung von Fettsäuren, die in einer zweckmäßigen Konfektionierung hergerichtet seien.
16
Der Gegenstand des Streitpatents in der mit Hilfsantrag II verteidigten Fassung sei patentfähig. In der Veröffentlichung von Swahn et al. (Omega-3 Ethyl Ester Concentrate Decreases Total Apolipoprotein CIII and Increases Antithrombin III in Postmyocardial Infarction Patients, Clinical Drug Investigation 15 (1998), 473-482, BM3) seien Untersuchungen beschrieben, bei denen den beteiligten Patienten eine Fettsäurezubereitung in einer Dosierung von 4 g pro Tag verabreicht worden sei. In der US-Patentschrift 5 698 594 (BM2) und den internationalen Patentanmeldungen WO 87/03899 (BM5) und WO 89/11521 (BM6) würden Post-Myokardinfarkt-Patienten nicht als Zielgruppe genannt. In den Veröffentlichungen von Burr et al. (Effects of changes in fat, fish, and fibre intakes on death and myocardial reinfarction: diet and reinfarction trial (DART), The Lancet 334 (1989), 757-761, (BM8); Diet and reinfarction trial (DART): design , recruitment, and compliance, European Heart Journal 10 (1989), 558-567, (BM14) werde die Verabreichung von Fischöl an solche Patienten beschrieben. Ester der in Rede stehenden Ω3-Fettsäuren würden dort aber nicht erwähnt. Keine dieser Entgegenhaltungen habe dem Fachmann, einem Team aus einem Kardiologen und einem Pharmakologen mit langjähriger Erfahrung auf dem Gebiet der Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, eine Anregung gegeben , essentielle Fettsäuren mit der im Streitpatent angegebenen Zusammensetzung und Dosierung zur Behandlung der genannten Patientengruppe in Betracht zu ziehen.
17
III. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsverfahren in einem entscheidenden Punkt nicht stand.
18
1. Entgegen der Auffassung der Klägerin genügen die in der Berufungsinstanz verteidigten Fassungen der Patentansprüche allerdings den - grundsätzlich auch bei der Formulierung beschränkter Patentansprüche in Patentnichtigkeitsverfahren zu beachtenden (BGH, Urteil vom 18. März 2010 - Xa ZR 54/06, GRUR 2010, 709 Rn. 55 - Proxyserversystem) - Anforderungen des Art. 84 EPÜ.
19
Aus dem Wortlaut der Patentansprüche kann zwar nicht ohne weiteres entnommen werden, welche Bezugsgrößen für die Angaben zu Konzentration und Dosierung in den Merkmalen 2 und 4 b maßgeblich sind. Die fehlenden Angaben lassen sich aber, wie das Patentgericht zutreffend entschieden hat, den auf diese Merkmale bezogenen Ausführungen in der Beschreibung entnehmen.
20
a) Die in Merkmal 2 angegebenen Prozentwerte für den Gehalt an EPA und DHA beziehen sich auf das Gesamtgewicht aller als Wirkstoff verwendeten essentiellen Fettsäuren.
21
In der Beschreibung des Streitpatents wird für den Anteil von EPA und DHA ein Bereich von 25 bis 100 Gewichtsprozent als vorzugswürdig angegeben. Als besonders vorzugswürdig wird ein Anteil von 85 Gewichtsprozent hervorgehoben (Abs. 28). Auf dieser Grundlage werden zwei konkrete Formulierungsbeispiele für eine Kapsel mit einem Gramm Wirkstoff und der zusätzlichen Angabe "EPA + DHA, 85 % titer" angeführt (Abs. 33). Als Inhaltsstoffe der ersten Formulierung werden unter anderem 525 mg "EPA-ethyl ester" und 315 mg "DHA-ethyl ester" angegeben. Für die zweite Formulierung werden 1.000 mg Ethylester aus mehrfach ungesättigten Fettsäuren angeführt, wovon 850 mg auf "Ethylester von ω3-poly-ungesättigten Fettsäuren (EPA, DHA)" entfallen. Für beide Formulierungen sind mehrere Hilfs- und Zusatzstoffe angegeben , darunter Gelatine (246 mg bzw. 233 mg) und Glycerin (118 mg bzw. 67 mg).
22
Aus dem Zusammenhang dieser Angaben ist zu entnehmen, dass sich die im Patentanspruch aufgeführten Werte einerseits nicht auf die essentiellen Fettsäuren in freier Form, sondern auf deren Ethylester beziehen und andererseits nicht auf das Gesamtgewicht einer Kapsel einschließlich Zusatz- und Hilfsstoffen, sondern auf den Wirkstoffgehalt, also auf das als Wirkstoff verwendete Gemisch von Ethylestern essentieller Fettsäuren. Die für die erste Formulierung angegebene Gesamtmenge an EPA und DHA beträgt zwar nur 840 mg und macht damit bezogen auf ein Gramm nur einen Anteil von 84 Gewichtsprozent aus. Aus dieser geringfügigen Abweichung kann jedoch nicht gefolgert werden, dass dem als besonders vorzugswürdig hervorgehobenen Wert von 85 Gewichtsprozent eine andere Bezugsgröße zugrunde liegt, zumal dieser Wert im zweiten Formulierungsbeispiel exakt eingehalten ist.
23
Im unmittelbaren Zusammenhang mit diesen Ausführungen werden für die Dosierung ein Bereich von 0,7 g bis 1,5 g pro Tag als vorzugswürdig und ein Wert von 1 g pro Tag als besonders vorzugswürdig hervorgehoben (Abs. 29). Diese Angabe bezieht sich aus den bereits dargelegten Gründen ebenfalls auf den im Medikament enthaltenen Wirkstoff.
24
b) Aus den Ausführungen des Patentgerichts zur Unzulässigkeit der in erster Instanz mit Hauptantrag und erstem Hilfsantrag verteidigten Fassungen ergibt sich entgegen der Auffassung der Klägerin nichts Abweichendes.
25
Das Patentgericht hat diese Fassungen als unzulässig angesehen, weil sie einerseits eine Bereichsangabe (85 bis 100 Gewichtsprozent), andererseits aber einen festen Wert (85 Gewichtsprozent) als "Titer" vorsahen. Diese Ungereimtheit weist die in erster Instanz mit Hilfsantrag II verteidigte Fassung nicht auf. Das Patentgericht hat sie deshalb zu Recht als zulässig angesehen. Für die übrigen in der Berufungsinstanz verteidigten Fassungen, die ebenfalls nicht mehr die Angabe eines "Titers" enthalten, gilt nichts anderes.
26
2. Entgegen der Auffassung der Klägerin geht der Gegenstand des Streitpatents in den in der Berufungsinstanz verteidigten Fassungen nicht über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen hinaus.
27
a) Hinsichtlich der Hilfsanträge II und III, die eine Festlegung auf den Wert von 85 Gewichtsprozent enthalten, ergibt sich dies schon daraus, dass dieser Wert bereits in der ursprünglichen Anmeldung als besonders vorzugswürdig angegeben ist (vgl. WO 00/48592, S. 5 Z. 6).
28
b) Der mit dem Hauptantrag und mit Hilfsantrag I beanspruchte Bereich von 80 bis 100 Gewichtsprozent ist in der ursprünglichen Anmeldung zwar nicht ausdrücklich genannt. Er kann ihr aber ebenfalls unmittelbar und eindeutig als zur Erfindung gehörend entnommen werden.
29
Ebenso wie in der Beschreibung des Streitpatents wird auch in der Anmeldung als vorzugswürdig ein Bereich von 30 bis 100 Gewichtsprozent und als besonders vorzugswürdig ein Bereich von 85 Gewichtsprozent angegeben. Daraus ist zu entnehmen, dass der obere Teil des zuerst genannten Bereichs bevorzugt wird, dass aber auch eine geringfügige Unterschreitung des als besonders geeignet eingeschätzten Werts von 85 Gewichtsprozent noch als vorteilhaft angesehen wird. Dass dieser Wert keine starre Grenze darstellt, ergibt sich zudem aus dem bereits erwähnten und auch in der Anmeldung wiedergegebenen ersten Formulierungsbeispiel, bei dem der Anteil von EPA und DHA zusammen 84 Gewichtsprozent ausmacht.
30
c) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht zu entnehmen, dass sich die dort genannten Mengenangaben von 0,7 g bis 1,5 g und vorzugsweise 1 g nur auf einen Wirkstoffgehalt von 85 Gewichtsprozent beziehen.
31
Der genannte, auch in der Anmeldung nur als vorzugswürdig, nicht aber als zwingend einzuhalten angeführte Bereich weist mit 0,8 g eine Spannbreite auf, die mehr als 100 % des niedrigsten Werts beträgt. Daraus lässt sich jedenfalls für den im Berufungsverfahren noch zur Beurteilung stehenden Bereich von 80 bis 100 Gewichtsprozent unmittelbar und eindeutig entnehmen, dass eine prozentuale Änderung des Gehalts an EPA und DHA nicht zwingend eine Änderung der insgesamt zu verabreichenden Wirkstoffdosis nach sich ziehen muss. Angesichts dessen ist die Kombination der Merkmale 2 und 4 b in allen im Berufungsverfahren verteidigten Fassungen in den ursprünglichen Unterlagen als zur Erfindung gehörend offenbart.
32
3. Entgegen der Auffassung des Patentgerichts ist der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der Fassung des angefochtenen Urteils nicht patentfähig.
33
a) Zu Recht hat das Patentgericht allerdings die in Merkmal 4 b enthaltene Dosierungsanleitung bei der Beurteilung der Patentfähigkeit berücksichtigt.
34
Der Senat hat in einer früheren Entscheidung ausgeführt, für von der Herrichtung des Stoffs gelöste, reine Dosierungsempfehlungen komme ein Patentschutz nicht in Betracht (BGHZ 170, 215, 220 f. = GRUR 2007, 404 Rn. 16 - Carvedilol II). Gegenstand jener Entscheidung war ein Patent, dessen Anspruch unter anderem vorsah, dass das Medikament in einer bestimmten Dosis verabreicht wird. Als zulässig hat der Senat in derselben Entscheidung einen Patentanspruch angesehen, der stattdessen vorsah, dass das Medikament zur Verwendung in der in Rede stehenden Dosierung hergerichtet ist (BGHZ 170, 215, 225 f. = GRUR 2007, 404 Rn. 51 - Carvedilol II). Diesen Anforderungen werden die im Streitfall zu beurteilenden Patentansprüche gerecht.
35
b) Die Veröffentlichung von Burr et al. (BM 8) gab dem Fachmann jedoch entgegen der Auffassung des Patentgerichts Veranlassung, die in Patentanspruch 1 geschützte Verwendung in Betracht zu ziehen.
36
aa) In BM8 wird eine mit der Abkürzung "DART" bezeichnete klinische Studie beschrieben, in der untersucht wurde, welche Auswirkungen eine Änderung von Ernährungsgewohnheiten auf die Sterberate und das erneute Auftreten eines Herzinfarkts bei männlichen Infarktpatienten unter 70 Jahren hat. In der Studie wurden drei Maßnahmen untersucht: die Reduzierung der Fettaufnahme bei gleichzeitiger Erhöhung des Anteils an mehrfach ungesättigten Fettsäuren (Fett-Empfehlung), der Verzehr von fettem Fisch (Fisch-Empfehlung) und die erhöhte Aufnahme von Getreidefasern (Faser-Empfehlung). Jedem der untersuchten Patienten wurden nach dem Zufallsprinzip 0 bis 3 dieser Maßnahmen aufgegeben. Personen aus der Fischgruppe, die eine Abneigung ge- gen Fisch hatten, erhielten die Anweisung, täglich drei Kapseln des Medikaments "Maxepa" einzunehmen. Als Ergebnis der Studie wird berichtet, keine der Maßnahmen habe zu einer signifikanten Änderung bei der Anzahl der aufgetretenen Reinfarkte geführt. Bei der Fett- und der Faser-Empfehlung seien auch keine signifikanten Unterschiede bei der Zahl der tödlichen Herzinfarkte erkennbar. Bei Patienten mit Fisch-Empfehlung sei das Todesrisiko hingegen um 29 % geringer als bei Patienten ohne diese Empfehlung. Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Maßnahmen seien nicht zu beobachten gewesen.
37
bb) Damit sind die Merkmale 1, 3 und 4a des Streitpatents offenbart.
38
Das Medikament "Maxepa", das als Wirkstoffe Eicosapentaensäure und Docosahexaensäure in Form von Triglyceriden enthält, wurde in der DARTStudie zur Behandlung von Patienten eingesetzt, die bereits einen Herzinfarkt hatten. Ziel der Behandlung war jedenfalls auch die Verringerung der Sterberate. Dieses Ziel wurde nach der in BM8 wiedergegebenen Einschätzung - anders als bei Befolgung der Fett- oder der Faser-Empfehlung - sowohl durch erhöhten Verzehr von Fisch als auch durch Einnahme von Maxepa erreicht.
39
cc) Die in BM8 offenbarte Dosierung von Eicosapentaensäure und Docosahexaensäure liegt zumindest bei den Patienten, die anstelle von Fisch ausschließlich das Medikament "Maxepa" eingenommen haben, bei 0,9 g pro Tag und damit innerhalb des in Merkmal 4 b definierten Bereichs. Dies wird in BM8 zwar nicht ausdrücklich aufgezeigt. Die dort offenbarte Behandlungsvorgabe führte aber zwangsläufig zu einer solchen Dosierung.
40
(1) In BM8 wird angegeben, Patienten mit Fisch-Empfehlung und Abneigung gegen Fisch seien täglich drei Kapseln (0,5 g) Maxepa verabreicht worden (BM8 S. 758 liSp oben). Die Angabe "0,5 g" bezieht sich dabei entgegen der Auffassung der Beklagten nicht auf die Gesamtmasse einer verabreichten Kap- sel, sondern auf die pro Tag verabreichte Menge des darin enthaltenen Wirkstoffs EPA, also Eicosapentaensäure in Form von Triglyceriden.
41
Dies ergibt sich zwar nicht ohne weiteres aus den Angaben in BM8. Diese lassen nicht eindeutig erkennen, worauf sich die Mengenangabe "0,5 g" bezieht. Der Fachmann hatte aber Anlass, zur Klärung dieser Frage ergänzend die in BM8 (S. 761 Fn. 13) zitierte, aus demselben Autorenkreis stammende Veröffentlichung BM14 heranzuziehen. Dort wird die in der DART-Untersuchung verabreichte Menge an EPA mit 0,5 g pro Tag angegeben (BM14 S. 559 reSp oben). Dies entspricht im Wesentlichen der Wirkstoffmenge, die in drei Kapseln zu je 1 g Maxepa enthalten sind. In einer solchen Kapsel sind als Wirkstoffe 180 mg EPA, 120 mg DHA und 1,75 mg Tocopherol (Vitamin E) enthalten (Guide pratique des Médicaments, 18e Edition, 1998, BM12, S. 876). Drei dieser Kapseln entsprechen mithin einer täglichen Dosis von 540 mg EPA. Dies lässt sich ohne weiteres mit der Angabe "0,5 g" in Einklang bringen.
42
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist diese Angabe auch nicht aus sonstigen Gründen als unplausibel anzusehen. Zwar ist sowohl in BM8 (S. 758 reSp unten) als auch in BM14 ergänzend angegeben, bei Patienten mit FischEmpfehlung habe die tatsächliche Aufnahme von EPA nach sechs Monaten durchschnittlich 2,3 g und nach zwei Jahren durchschnittlich 2,4 g pro Woche betragen, was einer täglichen Dosis von rund 0,35 g (= 350 mg) EPA entspricht. In diesen Durchschnittswert sind indes auch - und zum überwiegenden Teil - Daten von Teilnehmern eingeflossen, die sich von Fisch ernährt haben. Die Vorgabe für diese Personen - mindestens zwei Portionen Fisch pro Woche (200 bis 400 g) - weist eine relativ große Bandbreite auf, die zusätzlich dadurch vergrößert wird, dass die auf diese Weise aufgenommene Menge des Wirkstoffs EPA nicht nur vom Gewicht, sondern auch von der konkreten Zusammensetzung der Fischportion abhängt. Zudem kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass diejenigen Teilnehmer, die Maxepa eingenommen haben, die Dosierungsverordnung stets regelmäßig befolgt haben. Vor diesem Hinter- grund erscheint es weder widersprüchlich noch aus sonstigen Gründen auffällig , dass der in BM8 und BM14 angegebene Durchschnittswert für die tatsächliche Aufnahme des Wirkstoffs unterhalb der in BM14 wiedergegebenen Vorgabe liegt.
43
Die Annahme der Beklagten, die Mengenangabe "0,5 g" habe sich auf die Gesamtmasse einer Maxepa-Kapsel bezogen, erscheint demgegenüber fernliegend. Wären pro Tag nur drei Kapseln zu je 0,5 g vorgegeben worden, hätten höchstens 270 mg EPA zugeführt werden können. Bezogen auf den Gehalt an EPA läge diese Vorgabe am unteren Rand des Bereichs, der für Fischmahlzeiten als Mindestwert vorgegeben war. Dies wäre mit der Gefahr verbunden gewesen , dass selbst bei kleinen Abweichungen von der Vorgabe eine nach der Versuchskonzeption nicht ausreichende Wirkstoffmenge zugeführt worden wäre. Die Vorgabe läge zudem unter dem Durchschnittswert von 0,35 g EPA. Dieser Durchschnittswert hätte also nur dann erreicht werden können, wenn gerade diejenigen Teilnehmern, die Fisch gegessen haben, überdurchschnittlich hohe Mengen an EPA zu sich genommen hätten. All dies ist zwar theoretisch nicht auszuschließen. Diese theoretische Möglichkeit reicht indes nicht aus, um die in BM14 enthaltene Angabe "0,5 g EPA pro Tag" ernsthaft in Zweifel zu ziehen. Den Angaben in BM8 und BM14 ist vielmehr zu entnehmen, dass der Wirkstoff EPA in der DART-Studie in dieser Dosierung verordnet wurde.
44
(2) Die in BM8 offenbarte Behandlung mit Maxepa führte mithin dazu, dass den betroffenen Patienten pro Tag 540 mg EPA und zusätzlich 360 mg DHA verordnet wurden. Die Gesamtmenge dieser Wirkstoffe beträgt folglich 900 mg. Dies liegt innerhalb des in Merkmal 4 b definierten Bereichs von 0,7 g bis 1,5 g pro Tag.
45
(3) Dass in BM8 nur EPA als Wirkstoff ausdrücklich genannt wird, führt entgegen der Auffassung des Patentgerichts nicht zu einer Einschränkung des Offenbarungsgehalts.
46
Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Fachmann am Prioritätstag Anlass hatte, anhand der öffentlich zugänglichen Informationen über die Zusammensetzung des Medikaments "Maxepa" oder über die in Fischgerichten üblicherweise enthaltenen Fettsäuren nähere Erkundigungen darüber einzuholen, welche Wirkstoffe den Patienten mit Fisch-Empfehlung im Rahmen der DARTStudie im Einzelnen verordnet wurden. Mit der in BM8 beschriebenen Verabreichung von Maxepa ist unmittelbar und eindeutig eine Lehre offenbart, deren Befolgung zwangsläufig zur Verabreichung von Eicosapentaensäure und Docosahexaensäure mit der bereits erwähnten Dosierung führt.
47
Dass in BM8 die biologischen Zusammenhänge der beobachteten Wirkungen nicht im Einzelnen dargelegt werden, ist für die patentrechtliche Beurteilung unerheblich. Das nachträgliche Auffinden solcher Zusammenhänge kann zwar eine Entdeckung von hohem wissenschaftlichem Stellenwert sein. Die Beschreibung einer solchen Entdeckung offenbart jedoch keine neue Lehre zum technischen Handeln, sofern der verabreichte Wirkstoff, die Indikation, die Dosierung und die sonstige Art und Weise, in der der Wirkstoff verwendet wird, mit einer bereits beschriebenen Verwendung eines Wirkstoffs zur Behandlung einer Krankheit übereinstimmen (BGH, Urteil vom 9. Juni 2011 - X ZR 68/08, GRUR 2011, 999 Rn. 44 - Memantin).
48
dd) Das zusätzliche, in BM8 nicht offenbarte Merkmal 2 und die in Merkmal 1 vorgesehene Verwendung der Wirkstoffe in Form von Ethylestern vermögen die Annahme erfinderischer Tätigkeit nicht zu begründen.
49
Wie die Klägerin anhand der Produktbeschreibung des Präparats Seacor (BM11) unwidersprochen aufgezeigt hat, war am Prioritätstag einMedikament bekannt, das EPA und DHA in Form von Ethylestern und mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 85 % enthält.
50
Die Verwendung eines solchen Medikaments anstelle von Maxepa war durch die Ausführungen in BM8 nahegelegt. In BM8 wird im Zusammenhang mit Dosierungsangaben zwar nur EPA erwähnt. Die beobachteten positiven Wirkungen werden jedoch nicht nur auf diesen Wirkstoff zurückgeführt, sondern auf Fischöle im Allgemeinen. Dementsprechend wird auch nicht näher differenziert zwischen Patienten, die Fisch gegessen, und solchen, die ausschließlich Maxepa eingenommen haben. Vor diesem Hintergrund hatte der Fachmann Veranlassung, auch andere bekannte Wege zur Verabreichung von EPA und ähnlichen Fettsäuren in Erwägung zu ziehen.
51
Dem in der Veröffentlichung von Dyerberg et al. (Bioavailability of n-3 Fatty Acid Formulations, in: Kristensen et al. (ed.), n-3 Fatty Acids: Prevention and Treatment in Vascular Disease, 1995, 217-226, WW1) geschilderten Umstand, dass Ethylester im Vergleich zu natürlichen Triglyceriden eine um 27 % geringere Bioverfügbarkeit aufweisen, kommt dabei keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Selbst wenn der Fachmann diesen Umstand berücksichtigt hätte - was die Beklagte in anderem Zusammenhang wegen der den Ausführungen in WW1 zugrunde liegenden kurzen Verabreichungsdauer in Zweifel zieht - hätte sich ausgehend von den in BM8 offenbarten Werten eine Erhöhung der Dosierung von 0,9 g pro Tag auf 1,23 g pro Tag ergeben. Auch dies liegt innerhalb des in Merkmal 4 b definierten Bereichs.
52
ee) Die von der Beklagten angeführten späteren Veröffentlichungen von Morris et al. (Fish Consumption and Cardiovascular Disease in the Physicians' Health Study: A Prospective Study, American Journal of Epidemiology 142 (1995), 166-175, WW8) und Kromhout (Fish Consumption and Sudden Cardiac Death, Journal of the American Medical Association 279 (1998), 65-66, WW12) führen nicht zu einer abweichenden Beurteilung.
53
In WW8 werden die Ergebnisse einer Langzeitstudie mit rund 22.000 männlichen Ärzten auf einen Zusammenhang zwischen dem Konsum von Fisch und Herz-Kreislauf-Erkrankungen untersucht. Die Aufnahme von langkettigen Ω3-Fettsäuren, nämlich Eicosapentaensäure und Docosahexaensäure, wurde anhand von in Fragebögen enthaltenen Angaben zum Verzehr bestimmter Fischarten ermittelt (WW8 S. 167 liSp unten). Daraus ergab sich eine durchschnittliche Aufnahme dieser Stoffe von 0,24 g pro Tag (WW8 S. 168 reSp unten ). Als Ergebnis der Auswertung wurde die Einschätzung geäußert, der Konsum von Fisch weise keinen Zusammenhang mit einem verringerten Risiko von Herzinfarkt, Schlaganfall oder Tod aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf (WW8 S. 170 reSp unten).
54
In WW12 wird auf einen Artikel hingewiesen, in dem aus einer Analyse desselben Datenbestandes die Schlussfolgerung gezogen wurde, schon der Konsum von mindestens einer Fischmahlzeit pro Woche reduziere das Risiko eines plötzlichen Herztodes um 52 %. Dieser Einschätzung werden in WW12 die Ergebnisse einer andere Studie gegenübergestellt, aus der sich ein solcher Zusammenhang nicht ergab (WW12 S. 65 liSp). Zudem wird auf Berichte hingewiesen , die darauf hindeuteten, dass ein hoher Konsum von Fisch und mehrfach ungesättigten Ω3-Fettsäuren das Risiko eines Herztodes erhöhe (WW12 S. 65 reSp vorletzter Absatz). Für die klinische Praxis wird in WW12 die Schlussfolgerung gezogen, der Konsum von Fisch einmal pro Woche könne zur Vermeidung von koronaren Herzerkrankungen beitragen und sollte deshalb Bestandteil einer gesunden Ernährung sein. Für Patienten mit Herzerkrankungen sei die Empfehlung gerechtfertigt, zwei Fischmahlzeiten pro Woche einzunehmen (WW12 S. 65 reSp letzter Absatz).
55
Aus diesen Veröffentlichungen ergab sich für den Fachmann zwar, dass die in BM8 geäußerte Einschätzung gewissen Zweifeln unterlag. Diese Zweifel gaben dem Fachmann jedoch keinen Anlass, die sich aus BM8 ergebende Anregung zu verwerfen. Auch in BM8 werden die dort aufgestellten Hypothesen nicht als sicher dargestellt. Trotz der in diesem Stadium nahezu unvermeidbaren Unsicherheiten hatte der Fachmann Anlass, bei der Suche nach erfolgver- sprechenden Medikamenten Stoffe und Verwendungen in Betracht zu ziehen, für die sich bereits konkrete Anhaltspunkte für den Eintritt der angestrebten Wirkungen ergeben hatten. Solche konkreten Anhaltspunkte wurden in BM8 trotz der dort und in nachfolgenden Veröffentlichungen geäußerten Vorbehalte aufgezeigt. Den in WW8 wiedergegebenen Zweifeln kommt demgegenüber auch deshalb keine durchschlagende Bedeutung zu, weil die dort untersuchten Personen vor Beginn der Untersuchung keinen Herzinfarkt erlitten hatten (WW8 S. 166 reSp unten).
56
Eine weitere Untersuchung dieses Wegs bot sich darüber hinaus auch deshalb an, weil mit Maxepa und Seacor mindestens zwei Medikamente in geeigneter Konfektionierung zur Verfügung standen. Diese waren damals zwar noch nicht für die hier in Rede stehende Verwendung zugelassen. Dennoch waren sie leichter verfügbar als andere Wirkstoffe, die für entsprechende Versuche eigens hätten hergestellt oder konfektioniert werden müssen.
57
4. Für den Gegenstand von Patentanspruch 1 in den anderen von der Beklagten verteidigten Fassungen gilt nichts anderes.
58
a) Für die mit der Anschlussberufung verteidigte Fassung gemäß Hauptantrag ergibt sich dies schon daraus, dass deren Gegenstand weiter ist als derjenige der Fassung nach dem angefochtenen Urteil.
59
Merkmal 2' umfasst nicht nur Mischungen mit einem Anteil von 85 Gewichtsprozent , sondern Mischungen mit einem Anteil von 80 bis 100 Gewichtsprozent umfasst. Da schon die Kombination der Merkmale 1 bis 4 durch den Stand der Technik nahegelegt ist, gilt dies erst recht für die Kombination der Merkmale 1, 2', 3 und 4.
60
b) Der Gegenstand der mit den Hilfsanträgen I und III verteidigten Fassungen von Patentanspruch 1 beruht ebenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
Die in Merkmal 4' beanspruchte Dosierung von 1 g täglich ist ebenfalls durch BM8 nahegelegt.
61
aa) Wie bereits dargelegt führt die in BM8 offenbarte Behandlung zwar nur zu einer Dosierung von 0,9 g pro Tag. Der Fachmann hatte dennoch Anlass , auch Dosierungen in Betracht zu ziehen, die diesen Wert zwar geringfügig überschreiten, aber noch innerhalb derselben Größenordnung liegen. Zwar gab es, wie bereits im Zusammenhang mit WW12 aufgezeigt wurde, gewisse Hinweise darauf, dass eine höhere Dosierung nicht von Vorteil sein könnte. Dennoch ergab sich aus BM8, dass die Dosierung innerhalb einer gewissen Bandbreite schwanken kann. Hinweise darauf waren insbesondere aus Tabelle II zu entnehmen, die für die wöchentliche Einnahme von EPA einen Durchschnittswert von 2,3 g bzw. 2,4 g pro Woche und eine Standardabweichung von 1,3 g bzw. 1,4 g ausweist. Angesichts dessen waren durch BM8 auch Dosierungen nahegelegt, die geringfügig oberhalb der dort verordneten Menge von 0,9 g EPA und DHA pro Tag liegen.
62
bb) Anlass für eine geringfügig höhere Dosierung hatte der Fachmann zudem auch deshalb, weil in verschiedenen anderen Veröffentlichungen eine Dosierung zwischen 1 g und 4 g pro Tag beschrieben ist.
63
In den Unterlagen zu dem Medikament "Maxepa" (BM12) wird eine tägliche Dosis von sechs Kapseln zu je 1 g empfohlen. Dies entspricht insgesamt 1,8 g EPA und DHA.
64
In den Unterlagen zu dem Medikament "Seacor" (BM11) wird eine tägliche Dosis von einer bis drei Kapseln zu je 1 g empfohlen, zur Einstellung der Dosis und bei der Erhaltungstherapie zwei bis drei Kapseln zu je 0,5 g. Die Empfehlung umfasst damit einen Dosierungsbereich von 1 g bis 3 g pro Tag. Diese Angaben beziehen sich, wie sich aus der Liste der Inhaltsstoffe ergibt, auf die Menge der Ethylester von mehrfach ungesättigten Fettsäuren.
65
In der Veröffentlichung von Swahn et al. (BM3) wird für die Behandlung von Patienten, die bereits einen Herzinfarkt erlitten hatten, eine tägliche Dosis von 4 g angegeben (BM3 S. 473), wovon 3,5 g auf Ω3-Fettsäuren entfallen (BM3 S. 474 reSp unten).
66
cc) Zusammen mit den in BM8 offenbarten Werten ergab sich für den Fachmann damit ein durchgehender Bereich von Dosierungsmöglichkeiten ohne Hinweise darauf, dass es innerhalb dieses Bereichs zu grundlegend unterschiedlichen Wirkungen kommen könnte. Angesichts der zum Beispiel in WW8 und WW12 geäußerten Vermutung, eine hohe Konzentration sei wahrscheinlich nutzlos und möglicherweise sogar schädlich, bestand kein Anlass, noch höhere Dosierungen in Betracht zu ziehen oder sich ausschließlich am oberen Ende des üblichen Bereichs zu bewegen.
67
Die Auswahl einer bestimmten Dosierung innerhalb eines bereits bekannten Bereichs führt für sich gesehen grundsätzlich nicht zur Bejahung der Patentfähigkeit. Auch in der Entscheidungspraxis des Europäischen Patentamts kann die Auswahl aus der Lehre einer breiteren Vorveröffentlichung Neuheit nur unter besonderen Voraussetzungen begründen. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn die im Anspruch definierte Dosierungsanleitung gegenüber dem bekannten Stand der Technik nachweislich eine besondere technische Wirkung hervorgebracht hat (EPA ABl. 2010, 456 Rn. 6.3 - Dosierungsanleitung /Abbott Respiratory mwN). Solche Besonderheiten sind im Streitfall nicht ersichtlich. Die in der Beschreibung des Streitpatents geschilderten Wirkungen unterscheiden sich, was die Verringerung der Sterberate angeht, nicht wesentlich von den in BM8 offenbarten Ergebnissen. Besondere technische Wirkungen der beanspruchten Dosierung werden vom Streitpatent ebenfalls nicht aufgezeigt. Vor diesem Hintergrund kann eine geringfüge Steigerung der Dosis gegenüber den in BM8 offenbarten Werten nicht zur Bejahung der Patentfähigkeit führen. Dass die im Streitpatent beschriebene Dosierung die Möglichkeit eröff- net hat, eine arzneimittelrechtliche Zulassung zu erlangen, reicht für die Annahme erfinderischer Tätigkeit nicht aus.
68
5. Ebenfalls nichts anderes ergibt sich für den Gegenstand von Patentanspruch 4 bzw. Patentanspruch 5 in den mit der Anschlussberufung verteidigten Fassungen des Streitpatents.
69
Der Gegenstand dieses Anspruchs unterscheidet sich von demjenigen des Patentanspruchs 1 nur dadurch, dass er auch solche Verwendungen umfasst , bei denen nur EPA oder nur DHA als Wirkstoff zum Einsatz kommt. Solche Verwendungen sind ebenfalls durch BM8 nahegelegt.
70
Dabei kann dahingestellt bleiben, ob Patentanspruch 4 auch Mischungen von EPA und DHA umfasst - mit der Folge, dass Patentanspruch 1 der Sache nach als Unteranspruch anzusehen wäre - oder ob sein Gegenstand auf Verwendungen beschränkt ist, bei denen nur EPA oder nur DHA zum Einsatz kommt.
71
In BM8 sind zwar nur Anwendungen offenbart, bei denen der Patient zwangsläufig eine Mischung verschiedener Fettsäuren aufnimmt. Bei der Diskussion der Ergebnisse wird aber weder zwischen einzelnen Fettsäuren unterschieden noch die Vermutung geäußert, dass die beobachtete Wirkung gerade auf der kombinierten Aufnahme mehrerer Fettsäuren beruht. Dies gab dem Fachmann Veranlassung, die beiden in dem dort verwendeten Medikament enthaltenen Wirkstoffe EPA und DHA auch zur alleinigen Verwendung in Betracht zu ziehen. Dass die alleinige Verwendung eines dieser Wirkstoffe zu besonderen technischen Wirkungen führt, wird auch vom Streitpatent nicht aufgezeigt.
72
IV. Der Senat hat gemäß § 119 Abs. 5 Satz 2 PatG in der Sache zu entscheiden , weil diese zur Endentscheidung reif ist.
73
Das Patentgericht hat aus dem Umstand, dass die Verabreichung von DHA in BM8 nicht ausdrücklich erwähnt wird, unzutreffende rechtliche Schlussfolgerungen gezogen. Die von ihm getroffenen rechtsfehlerfreien Tatsachenfeststellungen ermöglichen es dem Senat dennoch, die Frage der Patentfähigkeit abschließend zu beurteilen.
74
V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 und § 91 Abs. 1 ZPO.
Meier-Beck Mühlens Bacher
Hoffmann Schuster
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 22.11.2011 - 3 Ni 28/10 (EP) -

(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend.

(2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkosten (§§ 91 bis 101) sind entsprechend anzuwenden, soweit nicht die Billigkeit eine andere Entscheidung erfordert; die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Kostenfestsetzungsverfahren (§§ 103 bis 107) und die Zwangsvollstreckung aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen (§§ 724 bis 802) sind entsprechend anzuwenden.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)