Bundesgerichtshof Urteil, 09. Juni 2011 - X ZR 68/08

bei uns veröffentlicht am09.06.2011
vorgehend
Bundespatentgericht, 3 Ni 59/05, 11.12.2007

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 68/08 Verkündet am:
9. Juni 2011
Wermes
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Memantin
EPÜ Art. 52 Abs. 2 Buchst. a, Art. 54 Abs. 1
Die Entdeckung, dass ein bestimmter Wirkstoff einem bei einer bestimmten Krankheit
- hier: Morbus Alzheimer - auftretenden pathologischen Zustand - hier: dem exzessiven
Einstrom von Calciumionen durch N-Methyl-D-Aspartat-Rezeptorkanäle -
entgegen wirkt, kann keine neue Lehre zum technischen Handeln begründen, wenn
es im Stand der Technik bekannt war, an dieser Krankheit leidende Patienten zur
Linderung der Krankheitssymptome mit dem Wirkstoff zu behandeln und weder eine
neue Art und Weise der Wirkstoffgabe gelehrt noch eine Patientengruppe als erfolgreich
behandelbar aufgezeigt wird, die mit dem Wirkstoff bislang nicht behandelt
worden ist.
BGH, Urteil vom 9. Juni 2011 - X ZR 68/08 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 9. Juni 2011 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. MeierBeck
, die Richter Gröning, Dr. Grabinski und Hoffmann sowie die Richterin
Schuster

für Recht erkannt:
Die Berufung gegen das Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 11. Dezember 2007 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des aufgrund einer Anmeldung vom 14. April 1989 erteilten, im Verlaufe des Berufungsverfahrens durch Zeitablauf erloschenen europäischen Patents 392 059 (Grundpatents), das die Verwendung von Adamantanderivaten zur Prävention und Behandlung der zerebralen Ischämie betrifft. Es umfasst in der erteilten Fassung zwölf Patentansprüche , von denen die Ansprüche 1 und 11 wie folgt lauten: "1. Verwendung von Adamantanderivaten der allgemeinen Formel worin R1 und R2 gleich oder verschieden sind und Wasserstoff oder geradkettige oder verzweigte Alkylgruppen mit 1 bis 6 C-Atomen bedeuten oder zusammengenommen mit N eine heterocyclische Gruppe mit 5 oder 6 Ringgliedern darstellen, R3 und R4 jeweils gleich oder verschieden sind und ausgewählt sind aus Wasserstoff, einem geradkettigen oder verzweigten Alkylrest mit 1 bis 6 C-Atomen, einem Cycloalkylrest mit 5 oder 6 C-Atomen, dem Phenylrest, und worin R5 Wasserstoff oder einen geradkettigen oder verzweigten C1-C6-Alkylrest darstellt, sowie deren pharmazeutisch verträglichen Salze, zur Herstellung eines Medikaments zur Behandlung der Schädigung von Hirnzellen infolge einer zerebralen Ischämie. 11. Verwendung von Adamantan-Derivaten, wie sie in den Ansprüchen 1 bis 9 offenbart werden, zur Herstellung eines Medikaments zur Behandlung von Morbus Alzheimer."
2
Die Beklagte ist ferner Inhaberin des am 15. November 2002 beim Deutschen Patent- und Markenamt angemeldeten und mit Beschluss vom 13. Februar 2006 erteilten ergänzenden Schutzzertifikats 102 99 048 für "Memantin, sowie dessen pharmazeutisch verträgliche Salze, insbesondere Memantinhydrochlorid" (Streitzertifikat). Als erste Genehmigung für das Inverkehrbringen des Erzeugnisses in Deutschland und in der Gemeinschaft sind in dem Erteilungsbeschluss Zulassungen vom 15. Mai 2002 für das Humanarzneimittel "Ebixa-Memantine" mit dem Wirkstoff Memantinhydrochlorid angegeben. Die Laufzeit des Zertifikats begann am 15. April 2009 und endet am 14. April 2014.
3
Noch unter der Geltung des Arzneimittelgesetzes (AMG) 1961 hatte die Beklagte das Arzneimittel "Akatinol-Memantine" mit dem Wirkstoff Memantinhydrochlorid in den Verkehr gebracht, für das sie gemäß dem Arzneimittelgesetz 1976 eine fiktive Zulassung erhielt. Diese ist aufgrund einer Verzichtserklärung der Beklagten vom 9. Juli 2002 erloschen. Die Beklagte bzw. ihre Rechtsvorgängerin erhielt für "Akatinol-Memantine" ferner Zulassungen in anderen europäischen Staaten, unter anderem mit der Indikation "hirnorganisches Psychosyndrom".
4
Die Klägerinnen zu 1 und 2 sowie die Streithelferin haben geltend gemacht , der Gegenstand des Grundpatents sei nicht patentfähig. Zur Begründung haben sie sich insbesondere auf einen Artikel von Fleischhacker et al., Progress in Neuro-Psycho-Pharmacology and Biological Psychiatry, 1986, Ausgabe 10, Seiten 87 bis 93 (Anlage NIK12), auf die Veröffentlichung zum 1. Memantine Workshop 1987, Expertengespräch, Zuckschwerdt-Verlag München 1987 (Anlage NIK4) und zahlreiche weitere Unterlagen berufen. Die Klägerin zu 2 und ihre Streithelferin haben auch die Nichtigerklärung des Streitzertifikats wegen der mangelnden Patentfähigkeit des Grundpatents begehrt. Sie haben darüber hinaus, ebenso wie die Klägerinnen zu 3 und 4, geltend gemacht , dass das Streitzertifikat zu Unrecht erteilt worden sei, weil die EUZulassungen vom 15. Mai 2002 nicht die erste Genehmigung für das Inverkehrbringen der zugelassenen Erzeugnisse als Arzneimittel in Deutschland gemäß Art. 3 d der Verordnung (EWG) 1789/92 seien.
5
Die Beklagte hat das Grundpatent beschränkt verteidigt und im Übrigen Klageabweisung beantragt.
6
Das Patentgericht hat die vier gesonderten Klageverfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Mit dem angefochtenen Urteil hat es das Grundpatent und das Streitzertifikat für nichtig erklärt.
7
Hiergegen wendet sich die Berufung der Beklagten. Sie hat angekündigt, das Grundpatent in erster Linie mit folgendem Patentanspruch verteidigen zu wollen: "Verwendung von 1-Amino-3,5-Dimethyl-Adamantan sowie seiner pharmazeutisch verträglichen Salze zur Herstellung eines Medikaments zur Behandlung der Schädigung von Hirnzellen infolge einer cerebralen Ischämie nach Morbus Alzheimer."
8
Ferner hat sie fünf Hilfsanträge angekündigt, die wie folgt lauten: Hilfsantrag I: "Verwendung von 1-Amino-3,5-Dimethyl-Adamantan sowie seiner pharmazeutisch verträglichen Salze zur Herstellung eines Medikaments zur Behandlung von Morbus Alzheimer." Hilfsantrag II: "Verwendung von 1-Amino-3,5-Dimethyl-Adamantan sowie seiner pharmazeutisch verträglichen Salze zur Herstellung eines Medikaments zur Behandlung der Schädigung von Hirnzellen infolge einer cerebralen Ischämie nach Morbus Alzheimer, wobei das Medikament zur oralen Verabreichung hergerichtet ist." Hilfsantrag III: "Verwendung von 1-Amino-3,5-Dimethyl-Adamantan sowie seiner pharmazeutisch verträglichen Salze zur Herstellung eines Medikaments zur Behandlung der Schädigung von Hirnzellen aufgrund eines exzessiven Einstroms von Calcium durch NMDARezeptorkanäle nach Morbus Alzheimer." Hilfsantrag IV: "Verwendung von 1-Amino-3,5-Dimethyl-Adamantan sowie seiner pharmazeutisch verträglichen Salze zur Herstellung eines Medikaments zur Behandlung der Schädigung von Hirnzellen aufgrund eines exzessiven Einstroms von Calcium durch NMDARezeptorkanäle nach Morbus Alzheimer, wobei das Medikament zur oralen Verabreichung hergerichtet ist." Hilfsantrag V: "Verwendung von 1-Amino-3,5-Dimethyl-Adamantan sowie seiner pharmazeutisch verträglichen Salze zur Herstellung eines Medikaments zur neuroprotektiven Behandlung der Schädigung von Hirnzellen aufgrund eines exzessiven Einstroms von Calcium durch NMDA-Rezeptorkanäle nach Morbus Alzheimer, wobei das Medikament zur oralen Verabreichung hergerichtet ist."
9
Mit Rücksicht auf den Ablauf der Schutzdauer des Grundpatents haben die Klägerinnen zu 1 und 2 und die Beklagte den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, soweit die Nichtigerklärung des Grundpatents begehrt worden ist. Die Klägerinnen zu 1, 3 und 4 haben ihre Klagen auf den Antrag erweitert, das Streitzertifikat wegen mangelnder Patentfähigkeit des Gegenstands des Grundpatents für nichtig zu erklären.
10
Die Beklagte beantragt, die Klagen abzuweisen, soweit sie sich gegen das Streitzertifikat richten.
11
Im Auftrag des Senats hat Universitätsprofessor Dr. M. G. H. , Direktor der Neurologischen Universitätsklinik der Medizinischen Fakultät M. der Universität H. , ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.

Entscheidungsgründe:


12
Nach den übereinstimmenden Erledigungserklärungen ist nur noch über die Rechtsbeständigkeit des Streitzertifikats zu entscheiden.
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Die zulässige Berufung der Beklagten bleibt hinsichtlich des Streitzertifikats ohne Erfolg, denn der Gegenstand des erloschenen Grundpatents ist nicht patentfähig (Art. 15 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung [EG] Nr. 469/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Mai 2009 über das ergänzende Schutzzertifikat für Arzneimittel [nachfolgend AMVO], durch die die insoweit gleichlautende Verordnung (EWG) Nr.1768/92 aufgehoben wurde, i.V.m. Art. 138 Abs. 1 Buchst. a, Art. 54 EPÜ).
14
I. Das Grundpatent betrifft die Verwendung von Adamantanderivaten der im Tatbestand dargestellten allgemeinen Formel I, zu denen das in den verteidigten Patentansprüchen allein genannte 1-Amino-3,5-DimethylAdamantan (Memantin) gehört, und deren pharmazeutisch verträglicher Säureadditionssalze zur Behandlung cerebraler Ischämien u.a. nach Schlaganfall oder Herzinfarkt und von Morbus Alzheimer.
15
1. Nach der Patentbeschreibung waren vor dem Anmeldetag des Grundpatents bereits Verbindungen der Formel I als Mittel zur Behandlung von Morbus Parkinson und parkinsonähnlichen Erkrankungen bekannt. Ihre Wirkungsweise werde auf eine dopaminerge Beeinflussung des zentralen Nervensystems zurückgeführt, vermittelt entweder durch vermehrte Freisetzung oder durch Aufnahmehemmung der Transmittersubstanz Dopamin. Dadurch werde das Ungleichgewicht im Dopamin/Acethylcolinsystem aufgehoben (S. 4 Z. 42 bis 46). Auf den dopaminergen Einfluss werde auch das akute Verschwinden charakteristischer Veränderungen im Elektroenzephalogramm bei Patienten mit Jakob-Creutzfeld-Krankheit zurückgeführt. Die erfindungsgemäßen Verbindungen sollen sich demgegenüber zur Behandlung der Schädigung von Neuronen infolge eines exzessiven Calciumüberschusses über N-Methyl-DAspartat (NMDA)-Rezeptorkanäle, insbesondere nach einer cerebralen Ischämie , eignen (S. 3 Z. 31/32).
16
Im Gegensatz zu der bei Parkinson oder Jakob-Creutzfeldvorliegenden Art von Erkrankungen bestehe bei der cerebralen Ischämie eine pathophysiologische Situation, in der die neuronalen Erregungsmechanismen aus dem Gleichgewicht gerieten. Dabei führe der exzessive Einstrom von Calcium durch die NMDA-Rezeptorkanäle zur Zerstörung von Nervenzellen bestimmter Hirnareale. Um diese pathologische Situation beheben zu können, müsse dem Calciumeinstrom durch die NMDA-Rezeptorkanäle entgegengewirkt werden. Bekannte Antagonisten seien nur relativ aufwendig herzustellen.
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Das Grundpatent bezeichnet es vor diesem Hintergrund als Aufgabe der Erfindung, chemisch einfach zugängliche Verbindungen mit einer NMDARezeptorkanal -antagonistischen und einer antikonvulsiven Wirkung zur Verwendung bei der Prävention und Behandlung der cerebralen Ischämie bereitzustellen (S. 5 Z. 17 bis 19).
18
2. Die Parteien streiten mit Blick auf die Formulierung der Aufgabe darüber, was das Streitpatent unter "cerebraler Ischämie" versteht und in welchem Verhältnis Morbus Alzheimer dazu steht.
19
a) Das Patentgericht hat hierzu ausgeführt, unter dem Fachbegriff cerebrale Ischämie sei eine Mangeldurchblutung des Gehirns zu verstehen, durch die u.a. neurotoxische Prozesse initiiert würden, wie die zelluläre Calci- umhomöostase oder die Freisetzung excitatorischer Neurotransmitter. Dieses könne wiederum zum Zelltod führen, weshalb eine Folge der cerebralen Ischämie die Entwicklung neurologischer Defizite sei. Dieses Verständnis sei auch der Streitpatentschrift zu entnehmen (S. 3 Z. 31/32; S. 8 Z. 46 bis 50). Entgegen der Auffassung der Beklagten sei der Beschreibung (S. 5 Z. 4 bis 7 und 17 bis 19) nicht zu entnehmen, dass unter cerebraler Ischämie im Sinne des Streitpatents auch diejenige physiopathologische Situation zu verstehen sei, bei der es zu einem übermäßigen Calciumeinstrom durch NMDA-Rezeptorkanäle komme. Dieses Phänomen werde nämlich auch aaO als Folge der cerebralen Ischämie beschrieben.
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b) Dies ist zutreffend. Mit dem Patentgericht sieht der Senat keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass dem Grundpatent eine von dem üblichen Fachverständnis abweichende Bedeutung des Begriffs der cerebralen Ischämie zugrunde liegt.
21
Die Patentschrift bemerkt, es sei überraschend gefunden worden, dass bei Verwendung von Verbindungen der Formel I die Schädigung von Hirnzellen nach einer Ischämie verhindert werden könne (S. 5 Z. 22/23). Die Adamantanderivate eigneten sich daher, so fährt das Streitpatent fort, "zur Prävention und zur Therapie cerebraler Ischämien nach Schlaganfall, Herzoperationen, Herzstillstand, Subarachnoidalblutungen, transienter cerebralischämischer Attacken , perinataler Asphyxie, Anoxie, Hypoglykämie, Apnoe und Morbus Alzheimer" (S. 5 Z. 23 bis 26).
22
Schon sprachlich bezieht sich die Wendung "cerebraler Ischämien nach" nur auf die nachfolgenden Indikationen Schlaganfall, Herzoperationen, Herzstillstand und Subarachnoidalblutungen, bei denen, wie die Beklagte einräumt, in der Tat cerebrale Ischämien im üblichen Sinne auftreten. Danach wechselt die Aufzählung in den Genitiv und schließt damit an die einleitende Wendung "zur Prävention und zur Therapie" an. Es werden mithin transiente cerebralischämische Attacken, perinatale Asphyxie, Anoxie, Hypoglykämie, Apnoe und Morbus Alzheimer als weitere Verwendungsfälle neben der cerebralen Ischämie genannt. Es ergibt, wie auch die Beklagte sieht, auch wenig Sinn, von cerebraler Ischämie nach transienter cerebralischämischer Attacke zu sprechen.
23
Die weiteren Erläuterungen bestätigen dieses Verständnis. Es wird nämlich beschrieben, dass bei Ratten eine cerebrale Ischämie ausgelöst und die Wirkung der Gabe der Testverbindung 1 (Memantin) vor der Ischämie geprüft wird (S. 8 Z. 44 ff.). Die Ergebnisse zeigen, so das Grundpatent, dass die erfindungsgemäßen Verbindungen eine neuroprotektive Wirkung bei cerebraler Ischämie haben (S. 9 Z. 18/19).
24
Schließlich ist auch der auf die Behandlung von Morbus Alzheimer gerichtete erteilte Patentanspruch 11 nicht etwa ein Unteranspruch zu Patentanspruch 1, sondern diesem Anspruch nebengeordnet.
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Das Grundpatent lehrt mithin die Verwendung von Adamantanderivaten sowohl bei cerebraler Ischämie als auch bei Morbus Alzheimer. Nach den im Berufungsverfahren verteidigten Anspruchsfassungen und mit Blick auf das Streitzertifikat ist nur noch die Verwendung bei Morbus Alzheimer von Interesse.
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II. Das Patentgericht hat den so verstandenen Gegenstand des Grundpatents im Hinblick auf den wissenschaftlichen Artikel von Fleischhacker et al. (NIK12) als nicht neu angesehen und dies im Wesentlichen wie folgt begründet:
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Neuheit einer medizinischen Indikation sei nur dann gegeben, wenn die Anwendung eines Wirkstoffes auf dem ins Auge gefassten Einsatzgebiet noch nicht als zumindest erfolgversprechend vorbeschrieben sei und sich die in einer Druckschrift einem Wirkstoff zugeschriebene therapeutische Wirkung auch tatsächlich als nicht erzielbar erweise. Beides treffe nicht zu. Im Dokument NIK12 werde die Verwendung des Wirkstoffs Memantin zur Behandlung einer konkreten Krankheit, nämlich SDAT (Senile Demenz vom Alzheimer Typ), beschrieben , wobei der therapeutische Erfolg - jedenfalls zum Teil - diesem Wirkstoff zugerechnet werde. Diese Wirkung sei, wie die im Prüfungsverfahren vorgelegten Vergleichsversuche zeigten, auch erzielbar. Zur Beurteilung der Patentfähigkeit komme es dabei auf die wissenschaftliche Erklärung der Wirkungsursachen , mithin auf die theoretische Begründung der Lehre zum technischen Handeln , nicht an. In der NIK12 sei eine Studie über die Behandlung von Patienten mit Memantin beschrieben, die an einer schweren Form der SDAT litten. Die begleitenden Untersuchungen hätten gezeigt, dass bei fünf Patienten aus der Memantingruppe und vier Patienten aus der mit Placebo behandelten Kontrollgruppe Verbesserungen festgestellt werden konnten. Signifikante, statistisch berechenbare Unterschiede zwischen beiden Gruppen hätten nicht festgestellt werden können. Eine Bewertung der Studie dahingehend, dass die Autoren Memantin im Ergebnis nicht als wirksam angesehen hätten, sei dem Dokument an keiner Stelle zu entnehmen. Vielmehr könnten nach Meinung der Verfasser Langzeitstudien wahrscheinlich einen deutlicheren Unterschied zwischen beiden Gruppen aufzeigen. Im Ergebnis sei das Zusammenwirken der medikamentösen und der psychotherapeutischen Behandlung für eine Verbesserung des Krankheitsbildes verantwortlich. Die Verfasser der Studie hätten Memantin als Wirkstoff eingestuft, der jedenfalls einen Beitrag zur Behandlung von an SDAT erkrankten Patienten leisten könne. Das Patientenkollektiv sei für eine auswertbare Studie auch nicht zu klein gewesen; die Studie habe zunächst ei- nen Überblick über die Erfolgsaussichten der ins Auge gefassten Therapie liefern sollen. Dass eine eklatante Verbesserung des Krankheitsbildes nicht nach kurzzeitiger Medikation eingetreten sei, stelle bei einer chronisch fortschreitenden Erkrankung einen zu erwartenden Ablauf dar. Im Übrigen widerspreche es üblicher Praxis, in einer Studie wie der NIK12 gegebenenfalls erhaltene Erkenntnisse zur Unwirksamkeit einer als Wirkstoff angesehenen Substanz zu veröffentlichen, noch bevor die Fachwelt diese Substanz überhaupt für das betreffende therapeutische Anwendungsgebiet beschrieben habe.
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Die gemäß Hilfsantrag II vorgesehene Herrichtung des Medikaments zur oralen Verabreichung könne die Neuheit nicht begründen, da durch die neue Zubereitungsform keine andere therapeutische Wirkung erzielt werde als mit der bekannten Zubereitungsform und mit ihr auch keine neue Wirkungsweise verbunden sei. Die zusätzlich in die Ansprüche nach den Hilfsanträgen III und IV aufgenommenen Merkmale erklärten den Wirkungsmechanismus der beanspruchten Verwendung; es handle sich dabei nicht um eine neue technische Lehre. Dies treffe auch für die in Hilfsantrag V zusätzlich aufgenommene Verwendung zur neuroprotektiven Behandlung zu, die - wenn sie das Erfordernis zur Dauerbehandlung zum Ausdruck bringen solle - zu einer dem Patentschutz nicht zugänglichen Therapieanweisung führe.
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III. Diese Beurteilung der Patentfähigkeit des Grundpatents hält der Überprüfung im Berufungsverfahren im Ergebnis stand. Die Nichtigkeit des Streitzertifikats folgt deshalb bereits gemäß Art. 15 Abs. 1 Buchst. c AMVO aus der Nichtigkeit des Grundpatents. Es kann daher dahinstehen, ob das Streitzertifikat entgegen Art. 15 Abs. 1 Buchst. a, Art. 3 i.V.m. Art. 2 AMVO erteilt worden ist.
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1. Gegenstand der Prüfung ist die beschränkte Fassung, in der die Beklagte das Grundpatent zuletzt (auch hilfsweise) verteidigt hat. Aus Art. 15 Abs. 1 Buchst. c Halbsatz 1 AMVO ergibt sich, dass eine beschränkte Fassung des Grundpatents Grundlage für die Beurteilung der Patentfähigkeit des Schutzzertifikats sein kann. Nach Art. 15 Abs. 1 Buchst. c Halbsatz 2 AMVO gilt dies auch dann, wenn das Grundpatent abgelaufen ist. Das Streitzertifikat kann also mit einer Fassung des abgelaufenen Grundpatents verteidigt werden, die sich als bestandsfähig erweist und das Streitzertifikat abdeckt (vgl. hierzu BPatGE 50, 6 = Mitt. 2007, 68 - Alendronsäure; die Klage wurde im Laufe des Berufungsverfahrens zurückgenommen). Dabei bedarf der Hauptantrag keiner Erörterung, weil er auf der wie ausgeführt unzutreffenden Prämisse beruht, unter cerebraler Ischämie im Sinne des Grundpatents sei die pathophysiologische Situation zu verstehen, in der die neuronalen Erregungsmechanismen aus dem Gleichgewicht geraten und es durch die NMDA-Rezeptorkanäle zu einem übermäßigen Calciumeinstrom in die Hirnnervenzellen kommt.
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2. In der Fassung des Hilfantrags I ist der Gegenstand des Grundpatents durch den Stand der Technik vorweggenommen (Art. 54 Abs. 1 und 2 EPÜ). Die Neuheit einer (zweiten) medizinischen Indikation setzt voraus, dass die Verwendung des Arzneimittels in der Art seiner Anwendung oder für sein medizinisches Einsatzgebiet noch nicht als wirksam oder zumindest erfolgversprechend vorbeschrieben oder vorbenutzt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juni 1972 - X ZB 5/71, BlPMZ 1973, 257 - Herbicide; Benkard/Melullis, Patentgesetz , 10. Aufl., § 3 Rn. 91c; Busse/Keukenschrijver, Patentgesetz, 6. Aufl., § 3 Rn. 202). Dies ist hier nicht der Fall. Die Verwendung eines Arzneimittels mit dem Wirkstoff Memantin zur Behandlung von Morbus Alzheimer war zum Anmeldezeitpunkt im Stand der Technik als wirksam vorbeschrieben.
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a) Allerdings ist die Verwendung von Memantin zur Behandlung von Morbus Alzheimer nicht bereits durch den Bericht von Fleischhacker et al. (NIK12) vorweggenommen.
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Die Beurteilung, ob der Gegenstand eines Patents durch eine Vorveröffentlichung neuheitsschädlich getroffen ist, erfordert die Ermittlung des Gesamtinhalts der Vorveröffentlichung. Maßgeblich ist, welche technische Information dem Fachmann offenbart wird. Der Offenbarungsbegriff ist dabei kein anderer, als er auch sonst im Patentrecht zugrunde gelegt wird (Senat, Urteil vom 16. Dezember 2008 - X ZR 89/07, BGHZ 179, 168 - Olanzapin; Urteil vom 16. Dezember 2003 - X ZR 206/98, GRUR 2004, 407, 411 - Fahrzeugleitsystem ). Zu ermitteln ist deshalb nicht, in welcher Form der Fachmann etwa mit Hilfe seines Fachwissens eine gegebene allgemeine Lehre ausführen kann oder wie er diese Lehre gegebenenfalls abwandeln kann, sondern ausschließlich , was der Fachmann der Vorveröffentlichung als den Inhalt der gegebenen (allgemeinen) Lehre "unmittelbar und eindeutig" entnimmt (Senat, Urteil vom 11. September 2001 - X ZR 168/98, BGHZ 148, 383, 389 - Luftverteiler; Urteil vom 14. Oktober 2003 - X ZR 4/00, GRUR 2004, 133, 135 - Elektronische Funktionseinheit; Urteil vom 30. Januar 2008 - X ZR 107/04, GRUR 2008, 597 Rn. 17 - Betonstraßenfertiger; vgl. auch EPA (GrBK), ABl. 2001, 413 = GRUR Int. 2002, 80; EPA GRUR Int. 2008, 511 - Traction sheave elevator/KONE).
34
Fleischhacker et al. berichten über eine placebokontrollierte Studie über Alzheimer-Patienten, die mit 20-30 mg Memantin pro Tag als Infusion behandelt wurden. Bei der statistischen Auswertung konnten keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich des Verlaufs der Krankheit zwischen den beiden Patientengruppen festgestellt werden. Die Untersuchung liefert keinen errechenbaren Beweis für die Überlegenheit von Memantin gegenüber Placebo bei Patienten, die an SDAT leiden. Die Autoren erwägen, dass ein Teil des therapeutischen Erfolgs in beiden Gruppen auf die optimierte innere Behandlung und die erhöhte Aufmerksamkeit gegenüber den Patienten und die regelmäßige Herausforderung ihrer Gehirnleistung zurückzuführen sein könnte. Nach ihrer Meinung könnten Langzeitstudien diese Verzerrung ausschließen (NIK12, S. 89). Im Ergebnis erscheine es als höchst unwahrscheinlich, dass eine dopaminerge Behandlung alleine in der Lage sei, die therapeutischen Probleme von SDAT zu bewältigen.
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Die Beurteilung der Entgegenhaltung durch das Patentgericht leidet bereits daran, dass das Patentgericht nicht ermittelt hat, was der Fachmann der Publikation über die Wirksamkeit einer Behandlung von Alzheimer-Patienten mit Memantin entnehmen konnte, sondern sich wesentlich auf die Annahme gestützt hat, dass die Autoren von einer Wirksamkeit von Memantin ausgegangen seien, obwohl diese gerade nicht nachgewiesen werden konnte. Insoweit ist aber nur von Interesse, dass ein die Ergebnisse der Memantin-Gruppe und der Kontrollgruppe, der ein Placebo gegeben worden ist, praktisch identisch waren und sich jedenfalls nicht signifikant unterschieden haben, wie Fleischhacker et al. zutreffend schreiben. Es trifft mithin nicht zu, dass NIK12 offenbarte , dass Memantin bei Alzheimer-Patienten arzneilich wirksam ist. Dies hat auch der gerichtliche Sachverständige - in Übereinstimmung mit dem dem Patentgericht vorgelegten Parteigutachten Prof. Dr. K. (Anlage B2) - so gesehen und das Ergebnis der Studie als negativ bezeichnet.
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Im Übrigen kann auch der vom Patentgericht geäußerten Ansicht, die Autoren der Studie stuften Memantin als einen Wirkstoff ein, der auf jeden Fall einen Beitrag zur Behandlung von an SDAT erkrankten Patienten leisten kön- ne, nicht gefolgt werden. Die Autoren der Studie kommen vielmehr zu der Schlussfolgerung, dass angesichts der beschriebenen Untersuchung die Rolle von dopaminergen Substanzen in der Behandlung von SDAT unklar bleibe. Dies ist eine neutrale Aussage dahingehend, dass eine Wirkung der getesteten Substanz nicht ausgeschlossen, aber auch nicht belegt werden konnte. Der weiteren Annahme des Patentgerichts, es entspreche üblicher Praxis, das Ergebnis einer Studie wie sie in NIK12 beschrieben wird, nur dann zu veröffentlichen , wenn die damit befassten Wissenschaftler eine Wirksamkeit voraussichtlich als gegeben ansehen, kann ebenso wenig beigetreten werden. Eine derartige Praxis hat das Patentgericht nicht belegt und für ihr Bestehen sind auch keine Anhaltspunkte ersichtlich. Selektiv nur positive Ergebnisse zu veröffentlichen hat Prof. F. in seinem Privatgutachten vom 14. Februar 2011 (Anlage HE-29) einleuchtend als aus wissenschaftlicher Sicht unethisch bezeichnet. Auch nach Meinung des gerichtlichen Sachverständigen sind negative Studien als Ausdruck guter klinischer Praxis zu publizieren.
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b) Zum Anmeldezeitpunkt des Grundpatents war jedoch dem Fachmann - hier wie vom Patentgericht angenommen und von den Parteien und dem gerichtlichen Sachverständigen nicht in Zweifel gezogen ein in der klinischen Forschung tätiger Facharzt für Neurologie und/oder Psychiatrie, der mit einem klinischen Chemiker oder Biochemiker in einem Team zusammenarbeitet - bekannt, dass Patienten mit Symptomen des hirnorganischen Psychosyndroms mit Memantin als Wirkstoff des zugelassenen Arzneimittels Akatinol erfolgreich behandelt werden können. Dies hat der gerichtliche Sachverständige bestätigt. Belege hierfür finden sich auch in mehreren, vor dem Anmeldetag datierten medizinischen Veröffentlichungen, beispielsweise in der Abhandlung von Ambrozi und Danielczyk (Pharmacopsychiatry 1988, S. 144 bis 146, Anla- ge D3), in dem Artikel von Marcea und Tempel (Therapiewoche 38, S. 3097 bis 3100, 1988, Anlage NIK10) und auch in dem Verzeichnis von Fertigarzneimitteln der Mitglieder des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie e.V. "Rote Liste 1986" (Anlage NIK5), in dem das Arzneimittel Akatinol Memantine mit dem Anwendungsbereich "hirnorganisches Psychosyndrom" eingetragen ist.
38
aa) Der gerichtliche Sachverständige hat den Begriff "hirnorganisches Psychosyndrom" als Krankheitsphänomen bezeichnet, als "Mix" von unterschiedlichsten Ursachen von Hirnfunktionsstörungen, die in einem phänomenologisch ähnlichen klinischen Bild resultierten; dies stimmt mit der Definition in der Internationalen Klassifikation der Krankheiten, Verletzungen und Todesursachen (ICD, Anlage NIK 27) überein. In der Abhandlung von Ambrozi und Danielczyk (D3) wird anschaulich beschrieben, das am häufigsten auftretende klinische Bild bei geriatrischen Patienten sei die Trias von Gedächtnis-, Assoziations - und Affektstörungen, die Bleuer 1916 das organische Psychosyndrom genannt habe und die auch als Beeinträchtigung der Zerebralfunktion, Hirnleistungsinsuffizienz oder Demenz bezeichnet werde (S. 144 linke Sp.). Es wird aufgezeigt, dass eine Vielzahl traumatischer und nicht traumatischer, teils auch noch unbekannter Ursachen in Betracht kommen und dass das "Problem" der dementiellen Degeneration hauptsächlich ein Vigilanzproblem (etwa: Problem der Aufmerksamkeit und Reaktionsbereitschaft) sei, weshalb die Autoren es als wichtig bezeichnen, neben anderen therapeutischen Maßnahmen insbesondere dieses Symptom günstig zu beeinflussen (S. 144 rechte Sp. oben). Es sei bekannt , dass das Parkinson-Mittel Amantadin neben seinen AntiparkinsonWirkungen eine Erhöhung der Vigilanz bewirke. Dies habe zur Suche nach chemisch verwandten Substanzen mit stärkerer psychotroper Wirkung geführt, und als eine solche Substanz sei das Adamantanderivat Memantin gefunden worden, das ein Neuromodulator mit deutlichem dopaminergen Effekt sei. Es sollte deswegen in einer Doppelblindstudie (gegen Placebo) untersucht werden , ob Memantin die für eine Demenz charakteristischen Gedächtnisstörungen beeinflusse. Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass bei den Memantin -Patienten signifikante Verbesserungen der Vigilanz und des Kurzzeitgedächtnisses feststellbar seien.
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bb) Marcea und Tempel (NIK10) berichten über eine randomisierte Doppelblind -Studie (d.h. die zufällig ausgewählten Patienten und der behandelnde Arzt wissen nicht, welcher der Patienten welche Substanz erhält), in der Patienten mit einem mittelschwer ausgeprägten hirnorganischen Psychosyndrom mit Memantin oder dh-Ergotoxin behandelt wurden. Beide Substanzen führten zu einer Verbesserung der Psychopathologie; Memantin erwies sich im Vergleich zu dh-Ergotoxin als "durchaus gleichrangig hinsichtlich der therapeutischen Wirksamkeit und Verträglichkeit".
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cc) Die übrigen Entgegenhaltungen, die sich mit der Behandlung des hirnorganischen Psychosyndroms befassen, ergeben im Ergebnis nichts wesentlich Anderes. Der Fachmann wusste hiernach, dass durch den Wirkstoff Memantin Symptome, die bei dem unspezifischen Krankheitsphänomen "hirnorganisches Psychosyndrom" auftreten, namentlich die verminderte Vigilanz, positiv beeinflusst werden können.
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c) Zu den Patienten, die Symptome des Krankheitsphänomens "hirnorganisches Psychosyndrom" zeigten, gehörten zum Anmeldezeitpunkt auch Morbus-Alzheimer-Patienten. Sie wurden als Patienten, die die Symptome dieses Syndroms aufwiesen, mit den für dessen Behandlung zur Verfügung stehenden Medikamenten, u.a. Akatinol, behandelt und sind damit von der Patientengruppe , die mit Memantin behandelt wurde, umfasst. Das Grundpatent gibt mithin weder eine technische Lehre, nach der eine Krankheit behandelt werden kann, die mit Memantin bislang nicht behandelt worden ist, noch offenbart es die Eignung von Memantin zur Behandlung einer Patientengruppe, bei der der Wirkstoff zuvor nicht eingesetzt worden ist.
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Aufgrund der unerforschten Ätiologie der Krankheit gehörte Morbus Alzheimer zu denjenigen Krankheiten, die unter der Sammelbezeichnung "Hirnorganisches Psychosyndrom" zusammengefasst wurden, weil die Patienten ein jedenfalls teilweise ähnliches Krankheitsbild und Krankheitssymptome aufwiesen. Im Hinblick auf die vom gerichtlichen Sachverständigen hervorgehobenen jedenfalls zum Prioritätszeitpunkt bestehenden Schwierigkeiten bei der Diagnose des Morbus Alzheimer konnten die Fachleute zwar schwerlich über genaue Kenntnisse darüber verfügen, wie hoch der Anteil der Alzheimer-Patienten an der Gesamtgruppe der Patienten mit hirnorganischem Psychosyndrom war. Alzheimer-Patienten bildeten jedoch jedenfalls keine zu vernachlässigende Randgruppe unter den chronisch Kranken, zu deren Behandlung unter anderem Memantin eingesetzt worden ist. Wie der gerichtliche Sachverständige ausgeführt hat, sprach aus fachmännischer Sicht auch nichts für die Annahme, die bei Patienten mit hirnorganischem Psychosyndrom beobachtete Wirksamkeit von Memantin könnte bei den unter Morbus Alzheimer leidenden Patienten des jeweils behandelten Patientenkollektivs nicht eingetreten sein. Dagegen spricht schon die unspezifische, symptombezogene beobachtete Wirkung, aufgrund derer insbesondere die festgestellte Verbesserung der Vigilanz auch bei Alzheimer-Patienten mit entsprechender Symptomatik erwartet werden konnte. Von der Annahme einer Wirksamkeit von Memantin auch bei AlzheimerPatienten geht auch die Studie von Fleischhacker et al (NIK12) aus; sie kann lediglich von den Autoren mit der Untersuchung einer sehr kleinen Patientengruppe nicht belegt werden. Die anderweitig im Stand der Technik als wirksam beschriebene Memantin-Behandlung ist mithin - auch - eine Behandlung von an Morbus Alzheimer leidenden Patienten.
43
d) In Kenntnis des Grundpatents kann die Behandlung - wie der gerichtliche Sachverständige ausgeführt hat - gezielter erfolgen. Grund dafür ist, dass das Patent eine wissenschaftliche Bestätigung der im Stand der Technik üblichen Behandlung von Alzheimer-Patienten mit Memantin bietet. Der durch das Grundpatent vermittelte Erkenntnisgewinn liegt darin, dass das Patent den biologischen Wirkmechanismus von Memantin, nämlich die Blockade der NMDA-Rezeptorkanäle und damit die Verhinderung von Neuronenschädigungen durch exzessiven Calciumüberschuss aufzeigt und auf diese Weise - wie der gerichtliche Sachverständige bestätigt und aus wissenschaftlicher Sicht als Fortschritt gewürdigt hat - eine wissenschaftliche Grundlage für die bereits Jahre zuvor begonnene Verwendung von Memantin bei der Behandlung von Alzheimerpatienten liefert. Das Patent hat damit nicht nur ein besseres Verständnis des biologischen Wirkmechanismus des verabreichten Wirkstoffs ermöglicht. Es begründet wegen dieses Verständnisses aus ärztlicher Sicht auch eine besser verantwortbare Indikation der Memantingabe, weil das Präparat nicht lediglich mit Blick auf eine beobachtete Verbesserung einer unspezifischen Krankheitssymptomatik gegeben wird, sondern zur Erzielung einer bestimmten neuroprotektiven Wirkung bei Morbus Alzheimer.
44
Damit offenbart das Grundpatent jedoch keine neue Lehre zum technischen Handeln, sondern nur eine Entdeckung biologischer Zusammenhänge, die als solche dem Patentschutz nicht zugänglich ist (Art. 52 Abs. 2 Buchst. a EPÜ). Die Lehre zum technischen Handeln geht weiterhin dahin, (auch) Alzheimer -Patienten zur Linderung ihres Leidens mit Memantin zu behandeln. Weder gibt das Grundpatent mit Blick auf den aufgedeckten Wirkungsmecha- nismus eine andere Dosierungsanweisung, noch konkretisiert es in anderer Hinsicht die Art und Weise, wie der Wirkstoff Memantin verwendet wird. Die - durchaus verdienstvolle - wissenschaftliche Erklärung der Wirkungsursachen bzw. die theoretische Begründung der Lehre zum technischen Handeln ist aus medizinischer und pharmakologischer Sicht ein Fortschritt, kann aber zur Beurteilung der Patentfähigkeit nicht herangezogen werden.
45
Entgegen der Auffassung der Beklagten ergibt sich auch unter dem Gesichtspunkt der Auswahlerfindung nichts anderes. Wenn man unterstellt, die Erfinder hätten aus dem Bereich der Patienten mit dem Krankheitsphänomen "hirnorganisches Psychosyndrom" die Patienten, die unter Morbus Alzheimer leiden, zur Behandlung mit Memantin "ausgewählt", ändert dies nichts daran, dass die erfolgversprechende Behandlungsmöglichkeit dieser Patientengruppe mit Memantin bereits bekannt war.
46
3. Auch die in die Ansprüche der weiteren Hilfsanträge aufgenommenen Merkmale führen nicht zu einem schutzfähigen Gegenstand.
47
a) Bei der nach Hilfsantrag II beanspruchten Verwendung soll das zur Behandlung vorgesehene Medikament zur oralen Verabreichung hergerichtet werden. Dies war im Stand der Technik ebenfalls bereits bekannt (NIK10, S. 3097).
48
b) Nach den Hilfsanträgen III und IV ist die Verwendung von Memantin zur Behandlung der Schädigung von Hirnzellen aufgrund eines exzessiven Einstroms von Calcium durch NDMA-Rezeptorkanäle nach Morbus Alzheimer vorgesehen , wobei mit Hilfsantrag IV zusätzlich die orale Verabreichung des Medikaments beansprucht wird. Wie bereits dargelegt handelt es sich bei dem Hinweis , dass die Neuronen durch exzessiven Calciumeinstrom geschädigt wer- den, um die Erklärung des biologischen Wirkmechanismus, der bei Morbus Alzheimer imGehirn auftritt und der durch Memantin beeinflusst werden kann, und nicht um die Behandlung einer anderen Erkrankung. Eine neue technische Lehre wird nicht aufgezeigt.
49
c) Dies gilt auch für den mit Hilfsantrag V verteidigten Anspruch.Dort ist das Merkmal hinzugefügt, dass das hergestellte Medikament zur neuroprotektiven Behandlung der Schädigung von Hirnzellen verwendet wird. Dieses Merkmal besagt, dass durch die Behandlung mit Memantin die Nervenzellen und das Nervengewebe geschützt werden sollen. Es erläutertergänzend den Wirkmechanismus von Memantin dahingehend, dass durch die Blockierung der NMDA-Rezeptorkanäle das Absterben von Nervenzellen verhindert wird und damit die Nervenzellen und das Nervengewebe geschützt werden. Das zusätzliche Merkmal ist sonach Teil der wissenschaftlichen Erklärung der bereits bekannten technischen Lehre.

50
IV. Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich des Streitzertifikats auf § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG i.V.m. § 97 Abs. 1, § 101 Abs. 2, § 69 ZPO. Die Kosten des erledigten Teils des Rechtsstreits hat die Beklagte nach § 91a Abs. 1 ZPO zu tragen, da ohne das erledigende Ereignis auch das Grundpatent für nichtig zu erklären gewesen wäre.
Meier-Beck Gröning Grabinski
Richter am Bundesgerichtshof Hoffmann kann infolge Urlaubsabwesenheit nicht unterschreiben. Meier-Beck Schuster
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 11.12.2007 - 3 Ni 59/05 (EU) -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 09. Juni 2011 - X ZR 68/08

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 09. Juni 2011 - X ZR 68/08

Referenzen - Gesetze

Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Zivilprozessordnung - ZPO | § 91a Kosten bei Erledigung der Hauptsache


(1) Haben die Parteien in der mündlichen Verhandlung oder durch Einreichung eines Schriftsatzes oder zu Protokoll der Geschäftsstelle den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, so entscheidet das Gericht über die Kosten unter Berücksich

Zivilprozessordnung - ZPO | § 101 Kosten einer Nebenintervention


(1) Die durch eine Nebenintervention verursachten Kosten sind dem Gegner der Hauptpartei aufzuerlegen, soweit er nach den Vorschriften der §§ 91 bis 98 die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat; soweit dies nicht der Fall ist, sind sie dem Nebeninte

Patentgesetz - PatG | § 121


(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend. (2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über d
Bundesgerichtshof Urteil, 09. Juni 2011 - X ZR 68/08 zitiert 7 §§.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Zivilprozessordnung - ZPO | § 91a Kosten bei Erledigung der Hauptsache


(1) Haben die Parteien in der mündlichen Verhandlung oder durch Einreichung eines Schriftsatzes oder zu Protokoll der Geschäftsstelle den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, so entscheidet das Gericht über die Kosten unter Berücksich

Zivilprozessordnung - ZPO | § 101 Kosten einer Nebenintervention


(1) Die durch eine Nebenintervention verursachten Kosten sind dem Gegner der Hauptpartei aufzuerlegen, soweit er nach den Vorschriften der §§ 91 bis 98 die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat; soweit dies nicht der Fall ist, sind sie dem Nebeninte

Patentgesetz - PatG | § 121


(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend. (2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über d

Zivilprozessordnung - ZPO | § 69 Streitgenössische Nebenintervention


Insofern nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts die Rechtskraft der in dem Hauptprozess erlassenen Entscheidung auf das Rechtsverhältnis des Nebenintervenienten zu dem Gegner von Wirksamkeit ist, gilt der Nebenintervenient im Sinne des § 61 al

Referenzen - Urteile

Bundesgerichtshof Urteil, 09. Juni 2011 - X ZR 68/08 zitiert oder wird zitiert von 11 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Urteil, 09. Juni 2011 - X ZR 68/08 zitiert 5 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Urteil, 30. Jan. 2008 - X ZR 107/04

bei uns veröffentlicht am 30.01.2008

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 107/04 Verkündet am: 30. Januar 2008 Potsch Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR:

Bundesgerichtshof Urteil, 11. Sept. 2001 - X ZR 168/98

bei uns veröffentlicht am 11.09.2001

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 168/98 Verkündet am: 11. September 2001 Wermes Justizhauptsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja

Bundesgerichtshof Urteil, 16. Dez. 2008 - X ZR 89/07

bei uns veröffentlicht am 16.12.2008

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 89/07 Verkündetam: 16. Dezember 2008 Wermes Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja BGHR:

Bundesgerichtshof Urteil, 16. Dez. 2003 - X ZR 206/98

bei uns veröffentlicht am 16.12.2003

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 206/98 Verkündet am: 16. Dezember 2003 Wermes Justizhauptsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja BGHZ: ne

Bundesgerichtshof Urteil, 14. Okt. 2003 - X ZR 4/00

bei uns veröffentlicht am 14.10.2003

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 4/00 Verkündet am: 14. Oktober 2003 Wermes Justizhauptsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja BGHZ : nein
6 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Urteil, 09. Juni 2011 - X ZR 68/08.

Bundesgerichtshof Urteil, 20. Dez. 2011 - X ZR 53/11

bei uns veröffentlicht am 20.12.2011

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 53/11 Verkündet am: 20. Dezember 2011 Wermes Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja BGHZ:

Bundesgerichtshof Urteil, 27. März 2018 - X ZR 143/15

bei uns veröffentlicht am 27.03.2018

Berichtigt durch Beschluss vom 19. Juni 2018 Anderer Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 143/15 Verkündet am: 27. März 2018 Anderer Justizangestellte

Bundesgerichtshof Urteil, 24. Sept. 2013 - X ZR 40/12

bei uns veröffentlicht am 24.09.2013

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 40/12 Verkündet am: 24. September 2013 Beširović Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja BGHZ:

Bundesgerichtshof Urteil, 31. Okt. 2013 - X ZR 100/10

bei uns veröffentlicht am 31.10.2013

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 100/10 Verkündet am: 31. Oktober 2013 Wermes Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Der X. Zivilsenat des Bundesgericht

Referenzen

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 89/07 Verkündetam:
16. Dezember 2008
Wermes
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
Olanzapin
EPÜ Art. 54; PatG § 3
a) Die Beurteilung, ob der Gegenstand eines Patents durch eine Vorveröffentlichung
neuheitsschädlich getroffen ist, erfordert die Ermittlung des Gesamtinhalts
der Vorveröffentlichung. Maßgeblich ist, welche technische Information
dem Fachmann offenbart wird. Der Offenbarungsbegriff ist dabei kein
anderer, als er auch sonst im Patentrecht zugrunde gelegt wird (Fortführung
des Sen.Urt. v. 16.12.2003 - X ZR 206/98, GRUR 2004, 407 - Fahrzeugleitsystem
).
b) Offenbart kann auch dasjenige sein, was im Patentanspruch und in der Beschreibung
nicht ausdrücklich erwähnt ist, aus der Sicht des Fachmanns jedoch
für die Ausführung der unter Schutz gestellten Lehre selbstverständlich
ist und deshalb keiner besonderen Offenbarung bedarf, sondern "mitgelesen"
wird. Die Einbeziehung von Selbstverständlichem erlaubt jedoch keine
Ergänzung der Offenbarung durch das Fachwissen, sondern dient, nicht
anders als die Ermittlung des Wortsinns eines Patentanspruchs, lediglich
der vollständigen Ermittlung des Sinngehalts, d.h. derjenigen technischen
Information, die der fachkundige Leser der Quelle vor dem Hintergrund seines
Fachwissens entnimmt (Fortführung von BGHZ 128, 270 - Elektrische
Steckverbindung).
c) Mit der Offenbarung einer chemischen Strukturformel sind die unter diese
Formel fallenden Einzelverbindungen grundsätzlich noch nicht offenbart
(Fortführung von BGHZ 103, 150 - Fluoran).
BGH, Urt. v. 16. Dezember 2008 - X ZR 89/07 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 16. Dezember 2008 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis,
die Richterin Mühlens und die Richter Prof. Dr. Meier-Beck, Asendorf und
Gröning

für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats ) des Bundespatentgerichts vom 4. Juni 2007 abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
Die Gerichtskosten des Rechtsstreits und die außergerichtlichen Kosten der Beklagten haben die Klägerinnen und die Streithelferinnen der Klägerin zu 1 zu tragen. Ihre eigenen außergerichtlichen Kosten tragen die Klägerinnen und die Streithelferinnen jeweils selbst. Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Beklagte ist Inhaberin des am 24. April 1991 unter Inanspruchnahme einer britischen Priorität vom 25. April 1990 angemeldeten und mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 454 436, das 22 Patentansprüche umfasst, von denen die Ansprüche 2, 6, 8, 20 und 21 wie folgt lauten: 2. 2-Methyl-10-(4-methyl-1-piperazinyl)-4H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepine or a pharmaceutically acceptable acid addition salt thereof.
6. The use of a compound according to claim 2 or 3 for the manufacture of a medicament for the treatment of schizophrenia.
8. The use of a compound according to claim 2 or 3 for the manufacture of a medicament for the treatment of acute mania.
20. A process for producing a compound according to claim 1, which comprises
(a) reacting N-methylpiperazine with a compound of the formula
in which Q is a radical capable of being split off, or
(b) ring-closing a compound of the formula

21. A compound of the formula

in which Q is -NH2, -OH or -SH, and when Q is -NH2 salts thereof.
2
Wegen des Wortlauts der übrigen Patentansprüche wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.
3
Die Klägerinnen machen geltend, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig.
4
Das Patentgericht hat das Streitpatent mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
5
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie den Antrag auf Abweisung der Klage weiterverfolgt.
6
Die Klägerinnen sowie die Streithelferinnen der Klägerin zu 1, die dem Verfahren im zweiten Rechtszug beigetreten sind, treten dem Rechtsmittel entgegen.
7
Als gerichtlicher Sachverständiger hat Professor Dr. Michael Müller, Inhaber des Lehrstuhls für Pharmazeutische und Medizinische Chemie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, in der mündlichen Verhandlung ein Gutachten erstattet.

Entscheidungsgründe:


8
Die zulässige Berufung hat Erfolg und führt zur Abweisung der Klage. Das Patentgericht hat das Streitpatent zu Unrecht für nichtig erklärt.
9
I. Das Streitpatent betrifft (in der vom Patentgericht und den Parteien verwendeten Nomenklatur) die Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl )-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin mit dem Freinamen Olanzapin, ihre Verwendung als Arzneimittel insbesondere als Antipsychotikum zur Behandlung von Schizophrenie und akuter Manie und ein Verfahren zur Herstellung dieser Verbindung.
10
Die Streitpatentschrift schildert, dass seit der Einführung von Antipsychotika zur Behandlung von Störungen des Zentralnervensystems therapiebedingte extrapyramidale Symptome (Störungen der extrapyramidalen motorischen Nebenbahnen des zentralen Nervensystems) beobachtet würden, zu denen Parkinsonismus , akute dystonische Reaktionen, Akathisie, tardive Dyskenisie und tardive Dystonie gehörten. Starke extrapyramidale Symptome träten etwa bei dem häufig angewandten Haloperidol auf.
11
Aus der großen Gruppe trizyklischer Verbindungen sei Clozapin mit dem Anspruch eingeführt worden, frei von solchen extrapyramidalen Wirkungen zu sein. Die Verbindung verursache jedoch bei einigen Patienten Agranulozytose, eine lebensbedrohliche Verringerung der Zahl weißer Blutkörperchen. Die Strukturformel von Clozapin ist die Folgende:
12
Die Streitpatentschrift erörtert sodann eine Gruppe von Thienobenzodiazepinen , die im britischen Patent 1 533 235 (Anl. K 2) beschrieben sei. Die Verbindung 7-Fluor-2-methyl-10-(4-methyl-a-piperazinyl)-4H-thieno[2,3-b][1,5]- benzodiazepin (Flumezapin) aus dieser Gruppe sei bis zur klinischen Anwendung an Schizophreniepatienten entwickelt worden. Jedoch habe die klinische Phase wegen mögliche Toxizität anzeigender erhöhter Enzymgehalte beendet werden müssen. Hinsichtlich der Tendenz zu einem erhöhten Leberenzymgehalt ähnele Flumezapin dem Antipsychotikum Chlorpromazin, das seit längerem verwandt werde, dessen Sicherheit jedoch in Frage gestellt sei.
13
Flumezapin hat die Strukturformel:
14
Aus dieser Kritik am Stand der Technik und der vorgeschlagenen Lösung ergibt sich als das mit den Mitteln des Streitpatents zu lösende technische Problem, eine weitere Verbindung zur Verfügung zu stellen, die als Antipsychotikum wirksam ist, keine extrapyramidalen Symptome erzeugt und in möglichst wenigen Fällen andere gravierende Nebenwirkungen hat.
15
Dieses Problem soll durch die Verbindung Olanzapin mit der folgenden Strukturformel gelöst werden:
16
Olanzapin hat somit wie Clozapin und Flumezapin eine trizyklische Grundstruktur mit einem zentralen Diazepinring (B) und einem ("linken") Phenylring (A); der dritte ("rechte") Ring (C), der bei Clozapin wie der linke ein Phenylring ist, wird bei Olanzapin wie bei Flumezapin durch einen Thiophenring mit einem Methylrest (Thienylring) gebildet. Wie bei Clozapin und Flumezapin ist an den Diazepinring in Position 4 ein Piperazinring mit einem an das Stickstoffatom bindenden Methylrest (Piperazinylring) angebunden. Anders als Clozapin und Flumezapin ist der Phenylring (A) bei Olanzapin weder in Position 7 noch in Position 8 halogeniert.
17
Nach den Angaben der Streitpatentschrift hat Olanzapin überraschende und exzellente Ergebnisse bei Screeningtests zur Untersuchung der Aktivität im zentralen Nervensystem gezeigt. Die Verbindung habe sich als wirksamer Dopamin -Antagonist erwiesen und bei der klinischen Evaluierung bei - mit geringerem Nebenwirkungsrisiko verbundenen - niedrigen Dosierungen hohe antipsychotische Wirkung gezeigt.
18
II. Das Patentgericht hat angenommen, der Gegenstand der Patentansprüche 1 bis 9 sei nicht neu, da durch den Aufsatz "4-Piperaninyl-10Hthieno [2,3-b][1,5]benzodiazepines as Potential Neuroleptics" von Chakrabarti et al in Journal of Medicinal Chemistry (J. Med. Chem.) 1980, 878 (Anl. K 4, Chakrabarti 1980) vorweggenommen. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Gegenstand der (Olanzapin und seine Säureadditionssalze betreffenden ) Patentansprüche 1 bis 3 ist weder durch die Entgegenhaltung Chakrabarti 1980 noch sonst im Stand der Technik offenbart.
19
1. Zur Begründung seiner Auffassung hat das Patentgericht ausgeführt :
20
Die chemische Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10Hthieno [2,3-b][1,5]benzodiazepin sei in K 4 zwar nicht expressis verbis beschrieben. Der Offenbarungsgehalt einer vorveröffentlichten Druckschrift umfasse aber auch solche Abwandlungen, die nach dem Gesamtzusammenhang der Schrift für den Fachmann derart naheliegen, dass sie sich ihm bei aufmerksamer , weniger auf die Worte als ihren erkennbaren Sinn achtenden Lektüre ohne weiteres erschließen, so dass er sie gewissermaßen in Gedanken gleich mitliest , auch wenn er sich dessen nicht bewusst ist. Diese Grundsätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGHZ 128, 270, 276 f. - Elektrische Steckverbindung ) seien auch im Bereich der Stoffchemie mit der Maßgabe anzuwenden, dass eine chemische Verbindung dann offenbart sei, wenn dem Fachmann ein konkreter Hinweis auf die betreffende Verbindung vermittelt werde, er also diese Verbindung in Gedanken ohne weiteres mitlese und aufgrund dieses Hinweises ohne weiteres in die Lage versetzt werde, den betreffenden Stoff in die Hand zu bekommen (BGHZ 103, 150 - Fluoran; Sen.Urt. v. 30.5.1978 - X ZR 16/76, GRUR 1978, 696 - α-Aminobenzylpenicillin).
21
Bei der Druckschrift K 4 handele es sich um eine wissenschaftliche Abhandlung , die sich ausweislich ihres Titels mit 4-Piperazinyl-10H-thieno[2,3-b] [1,5]benzodiazepinen als potentiellen Neuroleptika befasse. Das Potential dieser Titelverbindungen zur Anwendung als neuroleptische Wirkstoffe werde exemplarisch anhand von Versuchen mit insgesamt 45 Verbindungen am Tier aufgezeigt und außerdem mit Verbindungen davon zum Teil erheblich abweichender Struktur sowie mit als therapeutisch wirksam anerkannten Standardverbindungen verglichen. Im Textteil setze sich die Druckschrift im Wesentlichen mit der Beziehung zwischen Struktur und Wirkung (structure-activity relationship , SAR) von 4-Piperazinyl-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepinen auseinander ; daneben werde auch deren chemische Synthese beschrieben.
22
Ausgehend von der bereits im Titel benannten Verbindungsgruppe werde der Leser zu der erheblich enger gefassten, besonders bevorzugten pharmakologischen Leitstruktur der Formel I mit ihren beiden variablen Resten R1 und R2, dem eigentlichen Ziel der Studie, hingeführt (S. 878 re. Sp. unten i. V. m. S. 879 re. Sp. "4'-(N-Methylpiperazinyl) compounds are most active"). Tatsächlich stünden damit nicht 4-Piperazinyl-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepine allgemein , sondern speziell die 4'-(N-Methylpiperazinyl)-10H-thieno[2,3b] [1,5]benzodiazepine der Formel I mit den beiden variablen Resten R1 und R2 im Fokus der SAR-Studie. Der aufmerksame Leser könne deshalb auch nicht diejenigen Textstellen übersehen, in denen ausgehend von der vorangestellten Textstelle "4'-(N-Methylpiperazinyl) compounds are most active" zum Rest R1 der Formel I festgestellt werde, dass die Substitution des Phenylrings in Position 7, d.h. der Ersatz des Wasserstoffatoms in 7-Position durch ein Halogenatom (Cl, F) die Aktivität verbessere. Zum variablen Rest R2 werde des Weiteren ausgeführt, dass ein kurzkettiger Alkylrest (Me, Et, i-Pr) als Substituent in Position 2 des Thiophenrings die Aktivität zu erhöhen scheine. Diese Aussagen zur Relation zwischen Struktur und Wirkung (SAR) innerhalb der Gruppe der 4' (N-Methylpiperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepine der Formel I ba- sierten auf den Messwerten am Tier betreffend die Verbindungen der Tabelle 1, soweit sich diese auf die Formel I bezögen (Verbindungen 6 bis 30), in denen für R1 in 7-Position u.a. H, Cl, F und für R2 in 2-Position H, Me, Et, i-Pr stünden.
23
Die Offenbarung zu den Verbindungen der Formel I beschränke sich damit ersichtlich nicht auf die expressis verbis genannten Verbindungen 6 bis 30. Vielmehr stünden die aufgelisteten Verbindungen lediglich exemplarisch für sämtliche, unter Berücksichtigung der verschiedenen Bedeutungen der Reste R1 und R2 unter die allgemeine Formel I fallenden Verbindungen mit der Konsequenz , dass die stoffliche Lehre der K 4 sämtliche Verbindungen der Formel I einbeziehe, die sich aus der Kombination von in der Beschreibung oder in der Tabelle explizit genannten Substituenten R1 und R2 zwanglos ergäben, und zwar davon insbesondere diejenigen, die den exemplarisch tatsächlich hergestellten und auf ihre neuroleptische Aktivität hin untersuchten Verbindungen strukturell unmittelbar benachbart seien. Darüber hinaus werde anhand der Beschreibung aus dem stofflich und zahlenmäßig überschaubaren Kollektiv von Verbindungen der Formel I mit den beiden variablen Resten R1 und R2, das in der Tabelle 1 exemplarisch anhand der Verbindungen 6 bis 30 dargestellt sei, insbesondere jene sehr kleine Gruppe von Verbindungen näher identifiziert, deren Gruppenmitglieder in 7-Position Wasserstoff, Fluor oder Chlor und in 2Position Wasserstoff, Methyl, Ethyl oder Isopropyl aufwiesen, und dadurch gegenüber anderen Verbindungen der Formel I sowie der Tabelle 1 deutlich hervorgehoben. Aus dieser sehr kleinen Gruppe von lediglich zwölf Verbindungen stelle 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin damit eine bereits aus der K 4 unmittelbar zu entnehmende Ausführungsform der pharmakologischen Leitstruktur der allgemeinen Formel I mit der Bedeutung R1 = Wasserstoff in 7-Position und R2 = Methyl in 2-Position dar. Beide Substituenten seien als individuelle Substituenten expressis verbis genannt und in der Kombination 7-H, 2-CH3 als unmittelbar benachbart zu gleich drei expressis verbis beschriebenen Verbindungen, nämlich Nr. 6 (7-H, 2-C2H5), Nr. 8 (7-F, 2-
H) sowie Nr. 9 (7-F, 2-CH3) ohne Weiteres mitzulesen. Zwischen diesen drei unmittelbar benachbarten Verbindungen finde sich quasi eine durch die Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin aufzufüllende Lücke oder, photographisch betrachtet, das "Negativ" dieser Verbindung , welches es lediglich zu kopieren gelte.
24
Damit hat das Patentgericht den Bereich des durch Chakrabarti 1980 Offenbarten verkannt.
25
2. Die Beurteilung, ob der Gegenstand eines Patents durch eine Vorveröffentlichung neuheitsschädlich getroffen ist, erfordert die Ermittlung des Gesamtinhalts der Vorveröffentlichung. Maßgeblich ist, welche technische Information dem Fachmann offenbart wird. Der Offenbarungsbegriff ist dabei kein anderer, als er auch sonst im Patentrecht zugrunde gelegt wird (Sen.Urt. v. 16.12.2003 - X ZR 206/98, GRUR 2004, 407, 411 - Fahrzeugleitsystem; Benkard /Melullis, EPÜ, Art. 54 Rdn. 54; PatG, 10. Aufl., § 3 Rdn. 20 f.). Zu ermitteln ist deshalb nicht, in welcher Form der Fachmann etwa mit Hilfe seines Fachwissens eine gegebene allgemeine Lehre ausführen kann oder wie er diese Lehre gegebenenfalls abwandeln kann, sondern ausschließlich, was der Fachmann der Vorveröffentlichung als den Inhalt der gegebenen (allgemeinen) Lehre entnimmt. In der Rechtsprechung des Senats und der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts wird dies auch dahin ausgedrückt, dass maßgeblich ist, was aus fachmännischer Sicht einer Schrift "unmittelbar und eindeutig" zu entnehmen ist (BGHZ 148, 383, 389 - Luftverteiler; Sen.Urt. v. 14.10.2003 - X ZR 4/00, GRUR 2004, 133, 135 - Elektronische Funktionseinheit; Sen.Urt. v. 30.1.2008 - X ZR 107/04, GRUR 2008, 597 Tz. 17 - Betonstraßenfertiger; EPA (GrBK) Amtsbl. 2001, 413 = GRUR Int. 2002, 80; EPA GRUR Int. 2008, 511 - Traction sheave elevator/KONE; s. dazu auch Benkard/Melullis, EPÜ aaO Rdn. 59; Rogge, GRUR 1996, 931, 934).
26
Hierzu steht es nicht in Widerspruch, dass der Senat insbesondere im Hinblick auf den Zweck der (gesonderten) Neuheitsprüfung, Doppelpatentierungen zu vermeiden, eine Ausdehnung des neuheitsschädlich Offenbarten über den "reinen Wortlaut" hinaus für unabdingbar gehalten hat (BGHZ 128, 270, 277 - Elektrische Steckverbindung). Die Erfassung desjenigen, was in den Merkmalen des Patentanspruchs und im Wortlaut der Beschreibung nicht ausdrücklich erwähnt, aus der Sicht des Fachmanns jedoch nach seinem allgemeinen Fachwissen für die Ausführung der unter Schutz gestellten Lehre selbstverständlich oder unerlässlich ist und deshalb keiner besonderen Offenbarung bedarf (BGHZ 128, 270, 276), zielt nicht auf eine Ergänzung der Offenbarung durch das Fachwissen, sondern, nicht anders als bei der Ermittlung des Wortsinns eines Patentanspruchs, auf die Ermittlung des Sinngehalts, d.h. derjenigen technischen Information, die der fachkundige Leser der jeweiligen Quelle vor dem Hintergrund seines Fachwissens entnimmt (Benkard/Melullis aaO Rdn. 75). Nichts anderes gilt für die in der Entscheidung "Elektrische Steckverbindung" weiterhin in den Offenbarungsgehalt einbezogenen Abwandlungen, die nach dem Gesamtzusammenhang der Schrift für den Fachmann derart naheliegen , dass sie sich ihm bei aufmerksamer, weniger auf die Worte als ihren erkennbaren Sinn achtenden Lektüre ohne weiteres erschließen, so dass er sie gewissermaßen in Gedanken gleich mitliest, auch wenn er sich dessen nicht bewusst ist (BGHZ 128, 270, 276 f.). Das Wort "naheliegen" mag in diesem Zusammenhang vordergründig auf den Äquivalenzbereich hinweisen. Der Begriff des Mitlesens macht jedoch deutlich, dass es nicht um die Einbeziehung von Austauschmitteln geht, sondern darum, die technische Information, die der Fachmann durch eine Schrift erhält, in ihrer Gesamtheit zu erfassen (vgl. Rogge , GRUR 1996, 931, 935). Abwandlungen und Weiterentwicklungen dieser Information gehören ebenso wenig zum Offenbarten wie diejenigen Schlussfolgerungen , die der Fachmann kraft seines Fachwissens aus der erhaltenen technischen Information ziehen mag (Benkard/Melullis, EPÜ, aaO Rdn. 68, 71, 77; PatG, aaO Rdn. 35 f.; Busse/Keukenschrijver, PatG, 6. Aufl., § 3 Rdn. 100).
27
Diese Grundsätze gelten, wie das Patentgericht insoweit zutreffend angenommen hat, auch im Bereich der Stoffchemie und insbesondere auch bei der Beurteilung des Informationsgehalts einer Strukturformel. Dass eine chemische Verbindung unter eine vorveröffentlichte Formel fällt, besagt deshalb für die Offenbarung der konkreten Verbindung ebenso wenig wie der Umstand, dass die konkrete Ausführungsform einer Vorrichtung unter einen allgemein formulierten Vorrichtungsanspruch fällt, etwas über die Offenbarung dieser konkreten Ausführungsform aussagt (BGHZ 103, 150, 157 - Fluoran). Maßgeblich ist vielmehr, ob die konkrete Verbindung offenbart wird. Dazu bedarf es Angaben , die den Fachmann ohne weiteres in die Lage versetzen, die eben diese chemische Verbindung betreffende Erfindung auszuführen, d.h. den betreffenden Stoff in die Hand zu bekommen (BGH aaO).
28
Hierbei darf, wiederum nicht anders als bei Vorrichtungspatenten, die Fähigkeit des Fachmanns, mit Hilfe bekannter Verfahren und seines sonstigen Fachwissens eine mehr oder weniger große Anzahl von Einzelverbindungen herzustellen, die unter eine offenbarte Strukturformel fallen, nicht mit der Offenbarung dieser Einzelverbindungen gleichgesetzt werden (Sen.Urt. v. 30.9.1999 - X ZR 168/96, GRUR 2000, 296, 297 - Schmierfettzusammensetzung). Vielmehr stellen die Einzelverbindungen, jedenfalls regelmäßig, Nutzanwendungen der technischen Information dar, die dem Fachmann durch die Offenbarung der Strukturformel oder sonst einer allgemeineren Formel gegeben wird. Durch deren Mitteilung sind die darunter fallenden einzelnen Verbindungen als solche nicht offenbart; um sie dem Fachmann im Sinne der Neuheitsprüfung "in die Hand zu geben", bedarf es in der Regel weitergehender Informationen insbesondere zu ihrer Individualisierung. Soweit der noch zum Patentgesetz 1968 ergangenen Entscheidung "Fluoran", in der der Senat sich im Rechtsbeschwerdeverfahren an die Feststellung des Patentgerichts gebunden gesehen hat, dem Fachmann seien durch eine allgemeine Formel fast 2000 unter die betreffende Formel fallende Einzelverbindungen als herstellbar offenbart, etwas an- deres zu entnehmen sein sollte, wird daran für das geltende Recht nicht festgehalten. Als offenbart kann eine nicht ausdrücklich genannte Einzelverbindung vielmehr nur dann gelten, wenn der Fachmann sie im vorstehend ausgeführten Sinne "mitliest", etwa weil sie ihm als die übliche Verwirklichungsform der genannten allgemeinen Formel geläufig ist und sich ihm daher sofort als jedenfalls auch gemeint aufdrängt, wenn er die allgemeine Formel liest.
29
Der Senat sieht sich mit dieser allgemeinen Beurteilung des Offenbarungsgehalts chemischer Formeln im Wesentlichen in Einklang mit der - auch vom High Court für England und Wales (Floyd J.) in dem das Streitpatent betreffenden Nichtigkeitsverfahren zugrunde gelegten ([2008] EWHC 2345 (Pat)) - Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts , nach der nur solche technische Lehren neuheitsschädlich sind, die einen Stoff als zwangsläufiges Ergebnis eines vorbeschriebenen Verfahrens oder in spezifischer, d.h. individualisierter, Form offenbaren (Amtsbl. 1982, 296 - Diastereomere/BAYER; Amtsbl. 1984, 401 - Spiroverbindungen/CIBA GEIGY; Amtsbl. 1988, 381 - Xanthines/DRACO; Amtsbl. 1990, 195 - Enantiomere /HOECHST; Entscheidung vom 19.2.2003 - T 940/98 - Diastereomere des 3Cephem -4-carbonsäure-1-(isopropoxycarbonyloxy)ethylesters/HOECHST).
30
3. Für den Streitfall folgt hieraus:
31
Chakrabarti 1980 gibt mit der nachfolgend wiedergegebenen Formel I auf S. 878 unten eine Strukturformel für 4'-(N-Methylpiperazinyl)-10H-thieno[2,3b ][1,5]benzodiazepine mit den Substituenten R1 und R2 an.
Es kann offenbleiben, ob diese Formel, obwohl die Schrift keine aus32 drücklichen Substituentenlisten enthält, aufgrund der in Tabelle 1 aufgeführten, von den Verfassern tatsächlich verwendeten Substituenten als sogenannte Markush-Formel gelesen werden kann, bei der R1 Wasserstoff, Fluor oder Chlor und R2 Wasserstoff, Methyl, Ethyl oder Isopropyl sein kann. Denn die erfindungsgemäße Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno [2,3b ][1,5]benzodiazepin, bei der R1 Wasserstoff und R2 Methyl ist, ist damit noch nicht offenbart. Sie ist lediglich eine von zwölf Verbindungen, die der Fachmann , ein mit Pharmakologen und Medizinern zusammenarbeitender erfahrener organischer oder pharmazeutischer Chemiker, bei der gedanklichen Aufstellung der Substituentenlisten als unter die allgemeine Formel fallend erkennen kann. Sie ist aber weder in Tabelle 1 der Schrift als von den Verfassern hergestellte Einzelverbindung aufgeführt, noch im Text der Abhandlung an irgendeiner Stelle erwähnt.
33
Es lässt sich auch nicht sagen, dass der Fachmann die individuelle Verbindung gleichwohl "mitlese". Das würde voraussetzen, dass sich dem Fachmann beim Lesen der Strukturformel und der (gedachten) Substituentenlisten sogleich die Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b] [1,5]benzodiazepin als gemeint aufdrängt. Dafür gibt es weder im Vorbringen der Parteien einen Anhalt, noch haben hierfür die erst- und die zweitinstanzliche Beweisaufnahme etwas erbracht.
34
Die Erwägungen des Patentgerichts tragen diese Annahme ebenfalls nicht. Sie befassen sich, ausgehend von der Formel I und dem Hinweis "4'-(NMethylpiperazinyl ) compounds are most active" mit der Frage, inwieweit der Fachmann Veranlassung hat, sich außer den hergestellten und diskutierten Einzelverbindungen auch mit 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno [2,3-b][1,5]benzodiazepin zu befassen. Das Patentgericht sieht dies deshalb als veranlasst an, weil die Substituenten R1 = H in 7-Position und R2 = CH3 in 2- Position als individuelle Substituenten expressis verbis genannt und in der Kombination 7-H, 2-CH3 unmittelbar benachbart zu gleich drei ausdrücklich beschriebenen Verbindungen, nämlich Nr. 6 (7-H, 2-C2H5), Nr. 8 (7-F, 2-H) sowie Nr. 9 (7-F, 2-CH3) seien. Damit hat das Patentgericht jedoch den Bereich der Ermittlung der Offenbarung der Vorveröffentlichung verlassen und sich der Frage zugewandt, was den Fachmann dazu veranlassen (oder möglicherweise auch drängen) könnte, eine weitere "Ausführungsform" der in Formel I definierten Gruppe von 4'-(N-Methylpiperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepinen in den Blick zu nehmen und damit, wie es das Patentgericht ausgedrückt hat, eine "Lücke" in der Tabelle 1 der Schrift zu füllen. Eine solche Untersuchung ist indessen der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit vorbehalten.
35
Dass sich das Patentgericht bei seiner Untersuchung außerhalb des Offenbarungsgehalts der Veröffentlichung bewegt, wird auch daran deutlich, dass sich die Füllung der vermeintlichen Lücke in Tabelle 1 gar nicht bewerkstelligen ließe, ohne die Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3b ][1,5]benzodiazepin zunächst herzustellen und sodann mit ihr diejenigen Versuche auszuführen, die die Verfasser der Abhandlung mit den von ihnen synthetisierten Verbindungen durchgeführt haben. Denn über die in der Tabelle ausgewiesenen experimentellen Werte wie die CAR- und CAT-Werte für Olanzapin könnte der Fachmann nur spekulieren.
36
4. Ebenso wenig ist Olanzapin in der britischen Patentschrift 1 533 235 (Anl. K 2), der dieser Patentschrift zugrunde liegenden Anmeldung 51 240 (Anl. K 35) oder einer der weiteren, auf diese Prioritätsanmeldung zurückgehenden Patentanmeldungen und Patentschriften (der deutschen Offenlegungsschrift 25 52 403 [Anl. RA 1], dem deutschen Patent 25 52 403 [Anl. RA 2 = Anl. N 10] und dem US-Patent 4 115 574 [Anl. K 10]) offenbart. Die in diesen Vorveröffentlichungen enthaltenen allgemeinen Formeln sind jeweils noch weit breiter gefasst als in der Abhandlung Chakrabarti 1980; 2-Methyl-4-(4- methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin ist weder hergestellt noch sonst erwähnt worden.
37
Nichts anderes gilt, soweit die britische Patentanmeldung als "preferred compounds falling within the scope of compounds defined in any of formulae (I) - (VII) above … those having one or more of the following charakterictics" erwähnt und unter den insgesamt 14 "Charakteristika" unter (J) die Strukturformeln II oder V, von denen die Formel II das Ringsystem von Olanzapin mit den Substituenten R1 und R2 des Benzolrings und den Substituenten R5 des Diazepinrings aufweist, (E) R1 und R2 mit Wasserstoff,
(I)
R5 als eine Gruppe der Formel N N – R6 wobei R6 Methyl, Carbothoxy oder Phenyl, insbesondere oMethoxyphenyl ist, (K) den Thiophenring als durch eine C1-4-Alkylgruppe wie Ethyl substituiert angibt. Kombiniert man diese "Charakteristika", ist zwar Olanzapin eine der unter diese Kombination fallenden Verbindungen. Dies ändert aber nichts daran, dass die Verbindung als solche nicht offenbart ist und erst erhalten wird, wenn nicht nur die "Charakteristika" J, E, I und K kombiniert werden, sondern auch bei I und K jeweils Methyl ausgewählt wird. Entsprechend verhält es sich bei den Patentansprüchen 2 und 3 des deutschen Patents 25 52 403, die auf Thieno [1,5]benzodiazepine der allgemeinen Formel I' nach Anspruch 1 gerichtet sind, worin R1 und R2 unabhängig voneinander jeweils Wasserstoff, Halogen oder C1-4-Halogenalkyl bedeuten und Y (richtig: R5) eine Gruppe der Formel N N – R6 ist, wobei R6 Methyl bedeutet, und der Thiophenring durch eine C1-4-Alkylgruppe substituiert ist.
38
Auch die Erwähnung von 2-Ethyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10Hthieno [2,3-b][1,5]benzodiazepin ("Ethyl-Olanzapin") als erste der für "besonders bevorzugte Verbindungen" genannten mehr als 70 Beispiele (GB 51 240 A, S. 8 Z. 20; DE 25 52 403 C2 S. 7 Z. 15-17) ändert daran nichts. Ein EthylSubstituent ist aus fachmännischer Sicht kein Methyl-Substituent; der Austausch einer Alkylgruppe gegen eine andere ist vielmehr eine Abwandlung der Verbindung, die gegebenenfalls naheliegen oder sich auch geradezu aufdrängen mag, aber nicht Inhalt der Offenbarung einer bestimmten Alkylverbindung ist. Dies gilt zumal im pharmazeutischen Kontext, in dem dem Fachmann, wie der Gutachter Prof. Dr. Dannhardt der Beklagten unwidersprochen dargelegt hat (Anl. B 51, S. 4) und das Gutachten bestätigt, das Prof. Dr. Dr. Mutschler für die Streithelferin zu 2 der Klägerin zu 1 erstattet hat (Anl. RA 3, S. 2 f.), eine Reihe von Verbindungen bekannt sind, die trotz identischer Struktur aufgrund ihrer unterschiedlichen Methyl- bzw. Ethylseitenketten deutlich unterschiedliche biologische Aktivität zeigen.
39
5. Schließlich ist Olanzapin auch nicht in der Abhandlung "A FreeWilson Study of 4-Piperazinyl-10H-thienobenzodiazepine Analogues" von Schauzu und Mager (Pharmazie 38 [1983], 562, Anl. K 6) offenbart.
40
Bei einer Free-Wilson-Analyse handelt es sich um ein mathematisches Verfahren zur Ermittlung des quantitativen Gewichts, das ein einzelner Substituent einer Verbindung an einer gegebenen biologischen Aktivität dieser Verbindung hat.
41
In Tabelle 1 der Abhandlung sind zwar für die analysierte Verbindung 11 als Substituenten R1 und R2 Wasserstoff und Methyl genannt. Die der Tabelle vorangestellte Strukturformel zeigt jedoch keine Piperazinyl-, sondern Piperidinylverbindungen. Es besteht somit ein Widerspruch zwischen Strukturformel und Titel der Arbeit. Der Fachmann wird zumindest aus diesem Grund die in der Arbeit von Schauzu und Mager zitierte Referenz für die zugrunde gelegten experimentellen Daten zu Rate ziehen. Dabei handelt es sich um die Arbeit "Effects of Conformationally Restricted 4-Piperazinyl-10H-thienobenzodiazepine Neuroleptics on Central Dopaminergic and Cholinergic Systems" von Chakrabarti et al. in J. Med. Chem. 1982, 1133 (Anl. B 41, Chakrabarti 1982). Dieser Abhandlung ist auf S. 1135 die - dem Titel der Arbeit von Schauzu entsprechende - Strukturformel für die untersuchten 4-Piperazinyl-10H-thienobenzodiazepine zu entnehmen. Die Verbindungen 1 bis 12 sowie die Vergleichsverbindungen Clozapin und Haloperidol sind - in anderer Reihenfolge - identisch mit den von Schauzu analysierten; die experimentellen IC50-Werte bei Chakrabarti 1982 entsprechen, wie die Beklagte unwidersprochen dargetan hat, (bis auf zwei Rundungsfehler) umgerechnet den Werten in der Spalte "log I50 obtd." bei Schauzu. Aus fachmännischer Sicht ergibt sich somit, dass die fehlerhafte Strukturformel bei Schauzu in Übereinstimmung mit der Strukturformel bei Chakrabarti 1982 zu korrigieren ist.
42
Die Strukturformel in Tabelle 1 bei Chakrabarti 1982 zeigt aber auch, dass der linke Phenylring einen Halogensubstituenten in Gestalt eines 7-Fluorrestes trägt, der bei der ohnehin fehlerhaften Darstellung bei Schauzu am linken Rand der Textspalte "abgeschnitten" ist. Die als Nr. 11 bei Schauzu offenbarte Verbindung ist somit nicht Olanzapin, sondern Flumezapin.
43
III. Verhandlung und Beweisaufnahme haben auch keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Gegenstand des Streitpatents dem Fachmann am Prioritätstag durch die Schrift Chakrabarti 1980 oder auf andere Weise nahegelegt war.
44
1. Von Chakrabarti und seinen Mitautoren wird dargelegt, dass bis vor kurzem angenommen worden sei, das Auftreten extrapyramidaler Nebenwirkungen stehe in engem Zusammenhang mit der therapeutischen Wirksamkeit von Neuroleptika. Inzwischen gehe man jedoch davon aus, dass die extrapyramidalen Symptome durch eine Blockade der Dopaminrezeptoren im Striatum hervorgerufen werde, während die antipsychotische Wirkung durch eine ähnliche Interaktion in der mesolimbischen Hirnregion bedingt sei. Daraus wird die Erwartung abgeleitet, dass eine Verbindung mit einer spezifischeren Wirkung auf die dopaminergen Rezeptoren im mesolimbischen System eine geringere Katalepsie bei Tieren bewirken und auch beim Menschen weniger extrapyramidale Symptome hervorrufen werde.
45
Es werden sodann die mit Clozapin gemachten Erfahrungen erörtert. In diesem Zusammenhang heißt es, jüngste Studien deuteten darauf hin, dass Clozapin - wie nach dem Vorstehenden wünschenswert - im mesolimbischen System aktiver als im striatalen sei. Clozapin unterscheide sich chemisch von anderen Neuroleptika der Dibenzozepinreihe durch eine Substitution mit einem Chloratom in Position 8 (Ring A), jedoch nicht in Position 2 (Ring C). Hingegen verhalte sich sein Ring-C-substituiertes 2-Chlor-Isomer wie ein klassisches Neuroleptikum. Ähnliche Veränderungen des Aktivitätsprofils seien auch für Oc- toclothepin und Doclothepin berichtet worden. Für die tiefgreifende Veränderung der Aktivität durch die Transposition der Halogensubstitution gebe es keine eindeutige Erklärung.
46
Die Autoren bilden vor diesem Hintergrund die Hypothese, dass die Ursache für die unterschiedliche Aktivität darin liegen könne, dass die Verschiebung der nuklearen Substitution zu einem elektronischen Ungleichgewicht zwischen den beiden Benzolringen des asymmetrischen trizyklischen Systems führe. Da ähnliche Effekte durch geeignete Heteroarengruppen an Stelle eines Benzolrings erzielt werden könnten, sei es interessant zu untersuchen, ob Verbindungen wie diejenigen der Formel I, bei der der Benzolring C durch einen relativ elektronenreichen Thiophenring ersetzt werde, zu einer ähnlichen biologischen Reaktion wie nicht-klassische Neuroleptika (wie Clozapin) führten.
47
Diesem Ziel dient die Synthese einer Reihe von 4-substituierten 10HThieno [2,3-b][1,5]benzodiazepinen und deren Vergleich mit bekannten Antipsychotika , über die nachfolgend berichtet wird. Dazu wird einleitend weiter erläutert , dass bei den synthetisierten Verbindungen Modifikationen an den Substituenten des Phenylrings und des Thiophenrings sowie geeignete Veränderungen der basischen Seitenkette vorgenommen worden seien, um den Zusammenhang zwischen Struktur und Aktivität zu untersuchen. Die neuroleptische Aktivität sei anhand der Fähigkeit beurteilt worden, bei Mäusen eine Hypothermie zu produzieren und bei Ratten eine konditionierte Vermeidungsreaktion (conditioned avoidance response, CAR) zu blockieren und eine Katalepsie (CAT) hervorzurufen.
48
Die insgesamt 59 synthetisierten Verbindungen und die für diese ermittelten CAR- und CAT-Werte werden in Tabelle 1 wiedergegeben und in dem Kapitel "Structure-Activity Relationships" diskutiert. Es wird dabei als (aufgrund der ermittelten Daten) evident bezeichnet, dass ein basischer und in Position 4 mit dem Thienobenzodiazepinring verbundener Piperanzinring unerlässlich sei.
Am aktivsten seien 4'-(N-Methylpiperazinyl)-Verbindungen. Eine höhere Alkylsubstitution (Et, n-Pr) (Verbindungen 31 bis 33) bewirke eine Reduktion der Aktivität. Dagegen behielten die Verbindungen 34 bis 36 mit 4'-[N-(Hydroxyalkyl)]- gruppen (2-Hydroxyethyl, 3-Hydroxypropyl) eine gute Aktivität. Die Substitution des Phenylrings mit einem Halogenatom (Cl, F) in Position 7 verstärkte die Aktivität. Obwohl die 7,8-Difluorverbindung (Verbindung 29) eine gute Aktivität behalten habe, zeigten die 8-Fluor- und 6,8-Difluor-Positionsisomerverbindungen (27 und 30) eine verminderte Aktivität. Das 8-Methyl-Derivat (28) weise eine mittlere Aktivität auf, wohingegen die Substitution in Position 7 mit NO2, SCH3, SO2CH3 und SO2N(CH3)2 (23 bis 26) keinen Vorteil ergeben habe. Eine kurze Alkylsubstitution (Me, Et, i-Pr) in Position 2 des Thiophenrings scheine die Aktivität zu erhöhen. Verbindungen mit einer sperrigen t-Bu-Gruppe oder einer langen n-Hexankette in dieser Position oder mit 3-Methyl- oder 2,3Dialkylsubstituenten zeigten nur eine minimale Aktivität. Von den beiden Umsetzungsprodukten , die durch Oxidation der Ethylseitenkette von Verbindung 12 entstanden seien, habe Verbindung 15 mit einer 1'-Hydroxylethylkette eine mittelmäßige Aktivität behalten, während die andere Verbindung (16) mit einer elektronenziehenden Acetylgruppe inaktiv gewesen sei.
49
Die berichteten Tests korrelierten mit der Fähigkeit der Verbindung, Dopaminrezeptoren zu blockieren. Einige Verbindungen, z.B. 9, 12, 17, 29 und 34, hätten sich als aktiver als Clozapin erwiesen und eine ähnliche, wenn auch weniger deutliche Trennung der Aktivität im CAR- und CAT-Test gezeigt. Dieses Aktivitätsprofil erfordere, so resümieren die Autoren, eine weitere Entwicklung dieser Klasse von Verbindungen.
50
2. Die Autoren finden somit grundsätzlich die Hypothese bestätigt oder jedenfalls nicht widerlegt, sondern eine weitere Untersuchung rechtfertigend , dass Verbindungen wie diejenigen der Formel I, bei der der Benzolring C durch einen relativ elektronenreichen Thiophenring ersetzt ist, zu einer ähnli- chen biologischen Reaktion wie Clozapin oder andere nicht-klassische Neuroleptika führen (können). Die Verbindungen 9 (= Flumezapin), 12, 17, 29 und 34 werden dafür ausdrücklich nur als Beispiele genannt. Da 4'-(N-Methylpiperazinyl )-Verbindungen als die aktivsten bezeichnet werden, mag dem Patentgericht in der Annahme gefolgt werden, dass der Fachmann, der der Frage nach einer Clozapin-Alternative weiter nachgehen will, Veranlassung hat, sich insbesondere diesen Verbindungen zuzuwenden. Gleichwohl liegt hierin ein erster nicht ganz selbstverständlicher Schritt, da er zum einen voraussetzt, dass der Fachmann überhaupt Chakrabarti 1980 zum Ausgangspunkt weiterer Bemühungen wählt, und zum anderen die Formel I auf S. 878 unten nur beispielhaft genannt wird ("such as I") und die linke Strukturformel in der Oberzeile der Tabelle 1 (zu der die synthetisierten Verbindungen 1-45 gehören) erheblich weiter ist und insgesamt 1.452 Verbindungen umfasst.
51
Diese erste Auswahlentscheidung kann auch nicht mit der Erwägung vernachlässigt werden, dass der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit stets der nächstkommende Stand der Technik zugrunde zu legen wäre und dieser hier in den von Chakrabarti beschriebenen 4'-(N-Methylpiperazinyl)-Verbindungen oder gar einer bestimmten Verbindung aus dieser Gruppe läge. Ein solcher Vorrang des "nächstkommenden Standes der Technik" besteht nicht. Erst aus rückschauender Sicht wird erkennbar, welche Vorveröffentlichung der Erfindung am nächsten kommt und wie der Entwickler hätte ansetzen können, um zu der erfindungsgemäßen Lösung zu gelangen. Die Wahl des Ausgangspunktes bedarf daher der Rechtfertigung, die in der Regel in dem Bemühen des Fachmanns liegt, für einen bestimmten Zweck eine bessere Lösung zu finden, als sie der bekannte Stand der Technik zur Verfügung stellt.
52
Bei den 4'-(N-Methylpiperazinyl)-Verbindungen handelt es sich immer noch um eine relativ große Gruppe von Verbindungen, von denen 24 synthetisiert worden sind (Verbindungen 6 bis 30), die jedoch, schon wenn nur die in Tabelle 1 aufgeführten Substituenten berücksichtigt werden, insgesamt (11 x 11 =) 121 Verbindungen umfasst (vgl. Gutachten Prof. Dr. Kleemann [Anl. RA 5, S. 2] und Gutachten Prof. Dr. Ritter [Anl. RA 8, S. 3 f.]). Um 2-Methyl-4-(4-methyl1 -piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin als einen Kandidaten für die Synthetisierung und weitere CAR- und CAT-Tests nahezulegen, bedürfte es daher zusätzlicher Hinweise, die dem Fachmann innerhalb der Gruppe der 4' (N-Methylpiperazinyl)-Verbindungen eine Eingrenzung der Kandidaten nach Kriterien erlauben, die 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3b ][1,5]benzodiazepin einschließen. Solche Hinweise zur Eingrenzung einer engeren Gruppe interessanter Verbindungen sind Chakrabarti 1980 auch zu entnehmen. Sie schließen jedoch Olanzapin nicht ein.
53
Die maßgeblichen Hinweise hat das Patentgericht bereits herausgearbeitet : Sie ergeben sich aus der Bewertung, dass die Substitution des Phenylrings mit einem Halogenatom (Cl, F) in Position 7 die Aktivität verstärkt habe, sowie aus dem vorsichtiger formulierten Hinweis, dass eine kurze Alkylsubstitution (Me, Et, i-Pr) in Position 2 des Thiophenrings die Aktivität zu erhöhen scheine. Der Fachmann wird damit zu den Verbindungen mit einem Halogenatom, namentlich einem Fluoratom, in Position 7 hingelenkt. Andere Substituenten in Position 7 werden als ungünstiger bezeichnet, lediglich von der Verbindung 29 mit dem Substituenten 7,8-F2 heißt es, dass er eine gute Aktivität behalten habe (CAR 3 [10], CAT 3 [25]; in eckigen Klammern ist die Dosierung in Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht angegeben: der CAT-Wert wird somit erst bei dem 2,5 fachen der für den CAR-Wert 3 notwendigen Dosierung erreicht). Die Verbindungen mit nicht halogeniertem Benzolring (6 und 7) werden gar nicht erst erwähnt. Dass sie ähnlich der 7,8-Difluorverbindung wenigstens eine gute Aktivität zeigen, erschließt sich dem Fachmann nicht. Chakrabarti 1980 setzt dafür einen CAR-Wert von 3 voraus, wie sich außer an der Verbindung 29 auch daran zeigt, dass die als beispielhaft für mögliche interessante Verbindungen genannten sämtlich einen CAR-Wert von 3 oder 4 (sowie ein günstiges CARCAT -Verhältnis) aufweisen. Für die nicht-halogenierte (im Übrigen aber mit einem Ehthylrest am Thiophen der fluorsubstituierten Verbindung 12 entsprechende ) Verbindung 6 ist jedoch lediglich ein CAR-Wert von 2 [10] (bei CAT 1 [16]) angegeben, der CAR-Wert für die Verbindung 7 ist 0 [10]; sie ist daher auf den CAT-Wert nicht getestet worden.
54
Dem lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass der CAR-Wert ein relativ grobes Raster darstelle. Ein Wert von 2 bedeutet, wie Chakrabarti et al. in Fußnote d erläutern, eine Hemmung von 31 bis 50 % des erlernten Verhaltens zur Vermeidung eines unangenehmen Reizes, ein Wert von 3 entspricht einer Hemmung von 51 bis 75 %. Wenn daher, wie die Gutachter Dr. Ellenbroek (Anl. B 53, S. 8), Prof. Dr. Greksch (Anl. B 55, S. 3) und Prof. Dr. Hiemke (Anl. B 56, S. 2 f.) unwidersprochen ausgeführt haben, eine Hemmung von 70 bis 80 % für wichtig gehalten worden ist, lag ein CAR-Wert von 2 deutlich außerhalb desjenigen Bereichs, der dem nacharbeitenden Fachmann nach den gegebenen Informationen für weitergehende Forschungen interessant und erfolgversprechend erscheinen musste.
55
An diesem Befund ändert es auch nichts, dass Chakrabarti et al. die kurze Alkylsubstitution in Position 2 des Thiophenrings, die die Aktivität zu erhöhen "scheine", nicht ausdrücklich zu der Halogenierung des Aromaten in Beziehung setzen. Denn da von den 48 synthetisierten 4-Piperazinylthieno[2,3-b][1,5]benzodiazepinen in Tabelle 1 überhaupt nur zehn keinen Substituenten am Aromaten haben und bei acht von diesen zehn wiederum der Substituent in Position 2 des Thiophenrings Ethyl ist, wird, wie die Erörterung mit dem gerichtlichen Sachverständigen bestätigt hat, aufgrund der durchweg schlechten Aktivität dieser Verbindungen und mangels Vergleichswerten zu nicht alkylsubstituierten Verbindungen ersichtlich, dass die Vermutung von der günstigen Wirkung der kurzen Alkylsubstitution in Position 2 des Thiophenrings auf die Testergebnisse der halogenierten Verbindungen gestützt ist (vgl. auch Gutachten Prof. Dr. Dannhardt, Anl. B 51, S. 5).
56
So zutreffend daher der Hinweis der Klägerinnen und ihrer Streithelferinnen ist, dass die Untersuchung primär nicht auf die Auswirkung der Halogenierung des Benzolrings, sondern auf die Auswirkung eines elektronenreichen Rings wie des Thiophenrings auf das Aktivitätsprofil angelegt ist, so wenig kann außer Betracht bleiben, dass die Ergebnisse der Untersuchung die halogensubstituierten Verbindungen - in Übereinstimmung mit der Bedeutung, die im Prioritätszeitpunkt auch sonst elektronenziehenden Substituenten, wie sie Chlorpromazin , Haloperidol und auch Clozapin haben, häufig beigemessen worden ist (vgl. Kaiser/Setler in Burger's Medicinal Chemistry, 4. Aufl. [Anl. E 16], S. 912; gutachtliche Äußerung Dr. Ellenbroek [Anl. E 18], S. 5 mit Literaturzitaten; gutachtliche Äußerung Prof. Dr. Hippius [Anl. B 52], S. 3; gutachtliche Äußerung Prof. Nichols [Anl. E 12] Tz. 26 ff.; gutachtliche Äußerung Prof. Dr. Oßwald [Anl. K 25], S. 4) - als diejenigen ausweisen, die vornehmlich weitere Aufmerksamkeit verdienen.
57
Zwar mag der Fachmann einen solchen Fokus nicht für zwingend halten. Sieht man von ihm ab, gibt es aber auch keinen zureichenden Grund, sich auf 4'-(N-Methylpiperazinyl)-Verbindungen zu beschränken. Denn auch diese werden zwar als die aktivsten bezeichnet, Alternativen sind deswegen jedoch nicht von vornherein zu verwerfen. Dies wird schon dadurch deutlich, dass die Verbindung 34, bei der R = (CH2)2OH und R1 wiederum Wasserstoff ist und die einen CAR-Wert von 4 [20] bei einem CAT-Wert von 2 [20] aufweist, ebenfalls zu den von den Autoren im Resümee als ein Beispiel für die weiterer Entwicklung bedürftige Stoffgruppe bezeichnet wird.
58
3. Auch unter Berücksichtigung der übrigen in das Verfahren eingeführten Entgegenhaltungen ist der Gegenstand des Streitpatents nicht nahegelegt. Was Hinweise anbelangt, die den Fachmann dazu veranlassen könnten, insbesondere der Gruppe der 4'-(N-Methylpiperazinyl)-Verbindungen weiter nachzugehen und diese Gruppe nach Kriterien einzugrenzen, die 2-Methyl-4-(4methyl -1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin einschließen, gehen die britische Patentschrift 1 533 235 (K 2) und die weiteren, auf die dieser Patentschrift zugrunde liegende Prioritätsanmeldung zurückgehenden Schriften (die deutsche Offenlegungsschrift 25 52 403 [Anl. RA 1], das deutsche Patent 25 52 403 [Anl. RA 2 = Anl. N 10] und das US-Patent 4 115 574 [Anl. K 10]) über Chakrabarti 1980 nicht hinaus. Auch der gerichtliche Sachverständige hat hierfür keinen Anhaltspunkt gesehen. Der europäischen Patentanmeldung 354 781 (Anl. K 30), die keine Thieno-, sondern Thiazolobenzodiazepine betrifft, und der US-Patentschrift 4 216 148 (Anl. K 34), bei deren Verbindungen der Thienoring nicht substituiert ist, ist dazu ebenfalls nichts Weiterführendes zu entnehmen.
59
4. Die Patentansprüche 4 bis 19 werden von der Patentfähigkeit des Gegenstands der Patentansprüche 1 bis 3 getragen.
60
IV. Auch im Umfang der Patentansprüche 20 bis 22 liegen die Voraussetzungen für eine Nichtigerklärung des Streitpatents nicht vor.
61
1. Das Patentgericht hat hierzu ausgeführt: Die Herstellung von 2Methyl -4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin erschließe sich dem fachkundigen Leser unmittelbar aus dem in Anl. K 4 (Chakrabarti 1980) angegebenen Syntheseschema I in Verbindung mit Tabelle II sowie den Ausführungen in den Abschnitten "Chemistry" und "Experimental Section". Demnach sei auch eine Zwischenverbindung mit R1 = H in Position 7 des Phenylrings sowie mit R2 = CH3 in Position 2 des Thienylrings als 4-Ketobzw. in tautomerer Form als 4-Hydroxy-Zwischenverbindung in der Tabelle II mitzulesen. Dass anstelle der 4-Keto-Zwischenverbindungen ebenso deren 4Thio -Derivate herstellbar und als Zwischenverbindungen geeignet seien, lasse sich dem experimentellen Teil der K 4 direkt entnehmen. Entsprechendes gelte für ein über diese Zwischenverbindungen führendes Verfahren. In der Bedeutung Q = NH2 sei die 4-Amino-Zwischenverbindung gemäß Patentansprüchen 21 und 22 zwar aus der K 4 nicht expressis verbis zu entnehmen. Sie sei jedoch dem Fachmann als offensichtliche Vorstufe einer 4-Keto-Verbindung ohnehin geläufig. Es könne auch nicht festgestellt werden, dass die Herstellbarkeit des 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepins mit den angegebenen Arbeitsweisen nicht ohne Weiteres gegeben sein sollte. Denn die nicht fluorierte Verbindung Nr. 60 aus Tabelle II weise in Position 2 des Thienylrings anstelle der Methylgruppe die strukturell nächstkommende homologe Ethylgruppe auf, so dass in Analogie dazu weder an der Verfügbarkeit der erforderlichen unsubstituierten bzw. anstelle von Ethyl durch Methyl substituierten Edukte noch an dem Gelingen der chemischen Synthese zu den entsprechenden Endprodukten gemäß dem in K 4 angegebenen Syntheseverfahren A auch nur der geringste Zweifel bestehe.
62
2. Diese Ausführungen tragen aus den zu II 3 ausgeführten Gründen nicht die Annahme, das erfindungsgemäße Verfahren sei durch Chakrabarti 1980 vorweggenommen. Sie rechtfertigen aber auch nicht die Annahme, das Verfahren habe für den Fachmann nahegelegen. Ihm mag zwar die theoretische Möglichkeit zur Verfügung gestanden haben, mit den Angaben bei Chakrabarti zum Herstellungsverfahren und zu den dabei erhältlichen Zwischenprodukten auch 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b] [1,5]benzodiazepin herzustellen. Nahegelegt war das Verfahren aber erst dann, wenn für den Fachmann auch Veranlassung zu der Herstellung von 2-Methyl-4 (4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin bestand. Dies war, wie ausgeführt, im Prioritätszeitpunkt nicht der Fall.
63
Für die Zwischenprodukte des Verfahrens gilt Entsprechendes.
64
V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG i.V.m. § 91 Abs. 1, § 100 Abs. 1, § 101 Abs. 2 ZPO (vgl. Sen.Urt. v. 16.10.2007 - X ZR 226/02, GRUR 2008, 60 Tz. 44 - Sammelhefter II).
Melullis Mühlens Meier-Beck
Asendorf Gröning
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 04.06.2007 - 3 Ni 21/04 (EU) -

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 206/98 Verkündet am:
16. Dezember 2003
Wermes
Justizhauptsekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Fahrzeugleitsystem
EPÜ Art. 83, Art. 138 Abs. 2; IntPatÜG Art. II § 6 Abs. 2; PatG § 84; GVG § 184

a) Anders als für die Bejahung der Ausführbarkeit einer Erfindung genügt es für
die Zulässigkeit einer Beschränkung auf eine bestimmte Ausführungsform
nicht, daß der Fachmann erst dann zu dieser die Ausführung der Erfindung
gestattenden Ausgestaltung kommt, wenn er sich nähere und weiterführende
Gedanken über die Ausführbarkeit macht und dabei durch die Beschreibung
nicht vermittelte Informationen mit seinem Fachkönnen aus seinem Fachwissen
ergänzt, auch wenn dies erfinderische Überlegungen nicht erfordert.

b) Die Bestimmung des § 184 GVG über die Gerichtssprache steht der beschränkten
Verteidigung eines europäischen Patents in der maßgeblichen
Verfahrenssprache (hier: Englisch) im deutschen Patentnichtigkeitsverfahren
nicht entgegen.
BGH, Urt. v. 16. Dezember 2003 - X ZR 206/98 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Ver-
handlung vom 14. Oktober 2003 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis,
den Richter Keukenschrijver, die Richterin Mühlens und die Richter Dr. MeierBeck
und Asendorf

für Recht erkannt:
Die Berufung gegen das Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats ) des Bundespatentgerichts vom 2. Juli 1998 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Der Beklagte war eingetragener Inhaber des am 5. Januar 1979 unter Inanspruchnahme der ("inneren") Priorität einer europäischen Patentanmeldung vom 4. Dezember 1978 angemeldeten europäischen Patents 0 011 880 (Streitpatents ), das während des Nichtigkeitsverfahrens abgelaufen ist. Das Streitpatent betrifft "a vehicle guidance system" (ein Fahrzeugleitsystem) und umfaßt in der Fassung der nach Abschluß des europäischen Einspruchsverfahrens (Beschwerdeentscheidung T 251/84 vom 30.10.1987, nicht im Druck veröffentlicht) herausgegebenen neuen europäischen Patentschrift zwei Patentansprüche, die in der Verfahrenssprache Englisch wie folgt lauten:
"1. Vehicle guidance system comprising - (a) memory means for storing groups of binary data, in which each group includes a coded distance, instruction and direction signal, (b) means (SUR) for addressing the memory means, (c) a register (CMR) for storing one of said groups of binary data selected by said addressing means, (d) means for generating a signal representing a distance travelled , (e) comparator means (UDC) responsive to the coded distance signal in the register (CMR) and to the signal representing distance travelled for generating a signal representing the difference between the coded distance and the distance travelled, (f) means responsive to the signal from the comparator means for switching through the instruction and direction signal in the register (CMR) to an instruction and direction unit (IAD), (g) means (SPT) for generating a signal representing a change of course of the vehicle, and (h) control means (SCU) responsive to signals from the instruction and direction unit (IAD), the register (CMR) and the signal representing the change of course of the vehicle for checking whether the driver correctly followed the instruction and direction, and for triggering the addressing means (SUR) to select the next group of data if the driver has followed the instruction and direction correctly , characterised in that the control means (SCU) is so arranged that if the driver does not follow the instruction and direction signal correctly , the system instructs the driver to make a U-turn to bring the vehicle back to the point where the error occurred and then issues the correct instruction. 2. A vehicle guidance system according to Claim 1 in which means are provided for producing one pulse for each meter of the distance travelled." Als deutsche Fassung dieser Patentansprüche enthält die neue europäische Patentschrift folgenden Text:
"1. Fahrzeugleitsystem bestehend aus:
a) Speichermöglichkeiten für binäre Datengruppen. Jede Gruppe enthält eine kodierte Strecke, ein Anweisungs- und ein Richtungszeichen.
b) Möglichkeiten (SUR) zur Eingabe des Speichers.
c) ein Register (CMR) zur Speicherung eine der obengenannten binären Datengruppen gewählt über die erwähnten Eingabemöglichkeiten ,
d) Möglichkeiten zur Erzeugung eines Signals zur Wiedergabe des zurückgelegten Weges.
e) Ein Vergleicher (UDC) reagierend auf die kodierte abzufahrende Strecke im Register (CMR) und auf das Signal des zurückgelegten Weges. Der Vergleicher erzeugt ein Signal, das die Abweichung zwischen der eingegebenen Strecke und dem zurückgelegten Weg anzeigt.
f) Die Angabesignale des Vergleichers geben Anweisungen mittels Anweisungs- und Richtungssignale aus dem Register (CMR) an eine Anweisungs- und Richtungseinheit (IAD).
g) Möglichkeiten (SPT) um ein Signal zu erzeugen, das eine Kursänderung des Fahrzeugs anzeigt und
h) Steuerbefehle reagierend auf Signale der Anweisungs- und Richtungseinheit (IAD), des Registers (CMR) das Signal, das die Kursänderung des Wagens darstellt zur Prüfung ob der Fahrer den Anweisungen und der Strecke richtig folgt, und für das Löschen der Adressen um die folgenden binären Datengruppen zu wählen, wenn der Fahrer die Anweisung und Richtung richtig ausgeführt hat. Kennzeichnend ist das die Steuerglieder (SCU) so geordnet sind, dass bei nicht genau folgen des Anweisungs- und Richtungssignals das System den Fahrer auffordert umzudrehen und das Fahrzeug zurückzubringen zu dem Punkt wo der Fehler gemacht wurde und dann wieder die richtigen Anweisungen erteilt. 2. Ein Fahrzeugleitsystem gemäss Forderung I mit Vorrichtungen um einen Puls für jeden zurückgelegten Meter Weg zu erzeugen." Die Klägerin, der gegenüber der Beklagte nach Ablauf der Schutzdauer des Streitpatents u.a. hat erklären lassen, er halte sie wegen Verletzung des Streitpatents für schadensersatzpflichtig, hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents gehe über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmel-
dung hinaus, die Erfindung sei im Streitpatent nicht so deutlich und vollständig offenbart, daß ein Fachmann sie ausführen könne, und der Gegenstand des Streitpatents sei gegenüber dem Stand der Technik nicht patentfähig. Hierzu hat sich die Klägerin im wesentlichen auf die britische Patentschrift 1 414 490, die US-Patentschriften 3 505 749 und 3 845 289 sowie eine Veröffentlichung von French und Lang in IEEE Transactions On Vehicular Technology aus Mai 1973 gestützt. Der Beklagte ist dem entgegengetreten.
Das Bundespatentgericht hat das Streitpatent wegen mangelnder Ausführbarkeit für nichtig erklärt. Seine Entscheidung ist bei Bausch, Nichtigkeitsrechtsprechung in Patentsachen, Bd. II, S. 406 veröffentlicht.
Mit der Berufung verteidigt der Beklagte das Streitpatent in erster Linie in der Fassung der neuen europäischen Patentschrift. Er beantragt, das Urteil des Bundespatentgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen. Hilfsweise verteidigt er das Streitpatent in der Weise, daß am Ende des Patentanspruchs 1 angefügt werden soll: "before the vehicle again reaches the point where the error occured" (Hilfsantrag 1), weiter hilfsweise (Hilfsantrag 2) in der Weise, daß die Merkmale (a) – (c) des Patentanspruchs 1 wie folgt lauten sollen: "(a) a punch card for storing groups of binary data, in which each group includes a coded distance, instruction and direction signal, (b) a step up relay (SUR) for addressing the punch card, (c) a register (CMR) for storing one of said groups of binary data selected by the step up relay," Höchst hilfsweise verteidigt er das Patent mit einer Fassung des Patentanspruchs 1, die beide vorgenannten Änderungen aufweist (Hilfsantrag 3).
Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen. Sie hält die hilfsweise verteidigten Fassungen schon deshalb für unzulässig, weil die Regelungen über die Gerichtssprache nicht eingehalten seien.
Im Auftrag des Senats hat Prof. Dr.-Ing. W. M. , Leiter des Instituts A. Bauwesen der Universität ... , ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.

Entscheidungsgründe:

A. Die Berufung ist zulässig. Dem steht nicht entgegen, daß das Streitpatent während des Berufungsverfahren abgelaufen ist. Der Beklagte berühmt sich, aus dem Streitpatent gegen die Klägerin Schadensersatzansprüche herleiten zu können. Damit kann die Klägerin ein Rechtsschutzbedürfnis an der Nichtigerklärung weiterhin in Anspruch nehmen.
B. Das Rechtsmittel bleibt im Ergebnis ohne Erfolg.
I. 1. Das Streitpatent betrifft ein System (Fahrzeugleitsystem), das Richtungsanweisungen erteilt, wodurch es einem Fahrzeugführer ermöglicht werden soll, sein Fahrzeug zu einem gewünschten Bestimmungsort zu steuern, auch wenn er die Fahrstrecke noch nicht kennt.
Die Beschreibung des Streitpatents schildert als aus der britischen Patentschrift 1 297 644 bekannt eine mechanische Streckenfortschrittsanzeigevorrichtung , bei der ständig eine Position entlang einer vorherbestimmten Strecke angezeigt wird und Anweisungen erteilt werden, welches Verhalten bei Errei-
chen einer bestimmten Position erforderlich sei. Dazu werde bei der Streckenfortschrittsanzeigevorrichtung mit einem am Armaturenbrett zu befestigenden Gehäuse über ein Vorschubrad auf einer Führungsbahn ein Bahnmaterial bewegt. Zugleich würden Angaben über die Position entlang der Fahrstrecke angezeigt , während bestimmte Kalibrierungen Anweisungen erteilten, wie weiter zu fahren sei. Der Vorschub erfolge mittels eines Untersetzungsgetriebes mit einem Hauptantriebsgetriebe, das wiederum als Geschwindigkeitsmeßantriebseinheit ausgebildet sei. Hieran bemängelt das Streitpatent, daß ein Fehler des Fahrers diesen in die gleiche Lage versetze, wie wenn ein Leitsystem nicht vorhanden wäre (Beschreibung Sp. 1 Z. 30 - 58).
Als aus der britischen Patentschrift 1 414 490 bekannt bezeichnet die Beschreibung des Streitpatents Navigationshilfen für Landfahrzeuge, bei denen codierte Entfernungssignale und verbale Anweisungen zum Befolgen einer ausgewählten Strecke auf Band aufgenommen sind und die Anweisungen unter Überwachung der zurückgelegten Entfernung durch Vergleich der bekannten Entfernungsdaten mit Signalen der zurückgelegten Entfernung durch eine entsprechende Einrichtung hörbar ausgegeben werden. Dieses System weise Mittel zum Aufzeichnen und Wiedergeben von Datensignalen auf, die einer zurückzulegenden Entfernung und Ausmaß und Richtung einer Richtungsänderung entsprächen, weiter einen Kompaß und Mittel zur Erzeugung von Richtungsänderungssignalen sowie Mittel zum Vergleichen dieser Signale mit den aufgezeichneten Richtungsänderungssignalen, auf die aufgezeichneten bekannten Entfernungssignale ansprechende Mittel zur Auslösung der Richtungsvergleichsmittel und von einem Entfernungsmeßgerät gesteuerte Mittel, die den korrekten Richtungsfortschritt an den ausgewählten Punkten bestätigten oder bei einem inkorrekten Vorgang ein Alarmsignal erzeugten (Beschreibung Sp. 2 Z. 8 - 45). Falls ein Abbiegen nicht korrekt erfolgt sei, werde die mangelnde
Übereinstimmung der Signale registriert und es werde ein Alarmsignal ausgegeben ; die weitere Ausgabe hörbarer Anweisungen werde unterdrückt, bis eine manuelle Rücksetzsteuerung betätigt werde. Der Fahrer könne die inkorrekte Strecke zurückverfolgen und die Rücksetzsteuerung betätigen. Auch dieses System weise den Nachteil auf, daß ein Fehler des Fahrers diesen in die gleiche Lage versetze wie einen Fahrer ohne Leitsystem (Beschreibung Sp. 3 Z. 9 - 41).
2. Durch das Streitpatent soll demgegenüber, wie sich dem Gesamtzusammenhang der Beschreibung entnehmen läßt, ein Fahrzeugleitsystem zur Verfügung gestellt werden, das den Fahrer möglichst sicher zum gewählten Ziel führt.
3. Als Lösung schlägt Patentanspruch 1 ein Leitsystem mit ("comprising" , d.h. umfassend, und nicht wie in der deutschen Fassung des Patentanspruchs in der Patentschrift "bestehend aus") den in den Merkmalen des Patentanspruchs unter (a) bis (h) genannten Komponenten vor, die das Bundespatentgericht ohne sachliche Abweichung in die Merkmale 1 - 8 gegliedert hat, wobei
(i) die Steuermittel (SCU; h) so ausgestaltet sind, daß der Fahrer eine Aufforderung zum Wenden und zur Rückkehr an den Ort, an dem der Fehler geschah, erhält, wenn das Anweisungs- und Richtungssignal nicht richtig befolgt wurde, und
(j) dem Fahrer dann die richtige Anweisung erteilt wird.
4. Dabei erschließen sich die einzelnen Schritte des Systems (einer durch logische Verknüpfungen einzelner Meß-, Verarbeitungs-, Schalt- und Ausgabeelemente gekennzeichneten komplexen Vorrichtung) teilweise näher durch den Rückgriff auf den in der Beschreibung näher abgehandelten Stand der Technik, insbesondere die britische Patentschrift 1 414 490.
Jedoch enthält die Beschreibung des Streitpatents keinen ausdrücklichen Hinweis darauf, wie das Merkmal (j) zu verstehen ist, daß nach dem Umkehren durch das System die "richtige" Anweisung erteilt wird. Die Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts hat in der Beschwerdeentscheidung T 251/84 hierzu ausgeführt (Entscheidungsgründe unter 7.3.5), allein auf Grund des Wortlauts der Anspruchsformulierung beständen Zweifel, ob diese Anweisung gleich nach der Wendeanweisung, nach Durchführung des Wendemanövers oder erst bei Ankunft des Fahrzeugs an die Stelle der Wegabweichung erteilt werde. Nach dem Gesamtzusammenhang könne die Formulierung jedoch nur dahin verstanden werden, daß eine Anweisung, die den Fahrer wieder auf den rechten Weg bringe, notwendig nach dem Wendemanöver, aber vor Erreichen der Stelle der Abweichung erfolgen müsse. Das sachkundig besetzte Bundespatentgericht ist dem mit der zusätzlichen Überlegung beigetreten, die Ausgabe der regulären Anweisung (erst) nach oder bei Wiedererreichen der Stelle der Abweichung sei derjenige Stand der Technik, dessen Nachteile durch das Streitpatent gerade überwunden werden sollten. Auch der Beklagte hat die Lehre des Streitpatents in der Berufungsbegründung in dieser Weise interpretiert. Schon zu dem Wortlaut des Patentanspruchs steht dies in einem gewissen Widerspruch ; danach kommt als "richtige" Anweisung jegliche Anweisung in Betracht , die den Fahrer nach dem Wenden wieder auf den richtigen Weg bringt, mithin also auch die Anweisung, das Fahrzeug wieder in eine Position zu bringen , die es eingenommen hat, bevor der Fehler geschehen ist, und die nicht
befolgte Anweisung dann nochmals zu erteilen. Der Beschreibung des Streit- patents ist, soweit sich diese mit dem Geschehen nach dem Fehler befaßt, nichts Näheres zu entnehmen; dort heißt es nur (in der deutschen Übersetzung ): "Falls dagegen die Anweisung nicht richtig befolgt worden ist, so erfaßt das System diesen Fehler und erteilt die Anweisung zum Wenden, um das Fahrzeug zurückzubringen zu dem Punkt, an dem der Fehler ursprünglich geschah. Es erteilt dann die richtige Anweisung". Diese Formulierung könnte allenfalls darauf hindeuten, daß die "richtige" Anweisung erst nach dem Wiedererreichen der Fehlerstelle erteilt wird; sie bietet dagegen keinen Hinweis darauf, daß vom Patentanspruch ausschließlich der Fall erfaßt sein soll, die "richtige" Anweisung werde bereits vor oder spätestens bei Erreichen der Fehlerstelle erteilt. Die gegenteilige, nur ganz pauschal begründete Auffassung der Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts findet in der Beschreibung des Streitpatents keine hinreichende Stütze. Daß, worauf der Beklagte in der mündlichen Verhandlung nochmals hingewiesen hat, nach der Beschreibung des Streitpatents die Anweisungen von der Anweisungs- und Richtungseinheit (IAD) analysiert und anschließend von der Systemsteuereinheit darauf überprüft werden , ob die Anweisung befolgt worden ist, besagt entgegen der Auffassung des Beklagten nicht, daß schon bei dem Analyseschritt eine Erfassung des Fahrfehlers oder gar dessen Zuordnung zu einem bestimmten Fehlertyp erfolgen müßte; die Fehlerfeststellung erfolgt nach der Beschreibung des Streitpatents nämlich erst in der Systemsteuereinheit (SCU) (Beschreibung Sp. 4 Z. 12 - 20). Danach enthält der Hinweis auf die Analyse in der Anweisungs- und Richtungseinheit jedenfalls keinen eindeutigen Aussagegehalt dahin, daß durch die Analyse Informationen ermittelt werden, die es ermöglichen, bereits die vor Erreichen der Fehlerstelle "richtige" Anweisung darzustellen. Die zusätzliche Überlegung des Bundespatentgerichts, daß die Ausgabe der richtigen Anweisung nach oder bei Wiederreichen der Fehlerstelle derjenige Stand der Technik wä-
re, dessen Nachteile durch das Streitpatent überwunden werden sollen, ist demgegenüber nicht überzeugend. Das Bundespatentgericht scheint nämlich einen Erfahrungssatz unterstellen zu wollen, daß ein Patent jedenfalls im Zweifel einen Überschuß gegenüber einem in der Beschreibung abgehandelten Stand der Technik tatsächlich aufweise, für den der Senat aber keine Grundlage sieht. Auch der gerichtliche Sachverständige hat in der mündlichen Verhandlung auf wiederholtes und eingehendes Befragen angegeben, daß der Fachmann das Merkmal jedenfalls nicht nur in der einschränkenden Weise verstehen werde, daß die "richtige" Anweisung im Sinn des Patentanspruchs nur die Anweisung sei, die vor dem nochmaligen Erreichen der Fehlerstelle die richtige ist, sondern daß auch die Wiederholung der nicht befolgten Anweisung unter das Merkmal des Patentanspruchs fällt. Dieser Beurteilung tritt der Senat schon deshalb bei, weil es für die Annahme eines engeren Verständnisses des Fachmanns an jeglicher tragfähigen sachlichen Rechtfertigung fehlt. Ob dabei auch der Auffassung des gerichtlichen Sachverständigen beizutreten ist, daß es sich bei dem maßgeblichen Fachmann um einen Universitätsabsolventen und nicht - wie vom Bundespatentgericht angenommen - um einen erfahrenen Fachhochschulabsolventen der Elektrotechnik, des Maschinenbaus, der Informatik oder benachbarter Disziplinen handelt, kann dabei dahingestellt bleiben, weil sich diese Frage auf das Verständnis des Fachmanns nicht auswirkt.
Keinerlei Hinweis enthält das Streitpatent ferner darauf, ob zur Erteilung der "richtigen" Anweisung auch der "Up and down counter" (UDC) (in der Übersetzung der Patentansprüche in der Patentschrift "Vergleicher", in der Übersetzung der Beschreibung "Rauf- und Runter-Zähler") verwendet werden soll. Dieses Mittel ist in der Beschreibung nämlich lediglich unter dem Gesichtspunkt der Ermittlung der zurückgelegten Strecke im Verhältnis zu der zurückzulegenden, d.h. der vorgegebenen, genannt (Beschreibung Sp. 3 Z. 63 bis Sp. 4 Z. 7); ein
Hinweis auf eine Bedeutung dieses Mittels beim Verlassen der vorgesehenen Strecke ist weder in der Beschreibung noch in den Patentansprüchen enthalten. Allerdings erscheinen Lösungen, bei denen dies geschieht, denkbar, und sie könnten ebenfalls unter das Patent fallen.
Schließlich ist die Lehre nach Patentanspruch 1 des Streitpatents nicht auf solche Fälle beschränkt, bei denen die "richtige" Anweisung ohne einen zusätzlichen menschlichen Eingriff, etwa ein Wiederingangsetzen des zuvor angehaltenen Systems, erteilt wird. Zwar bezeichnet die Beschreibung des Streitpatents eine Vorrichtung als bekannt, bei der eine Wiederbetätigung vorgenommen werden muß, auch insoweit finden sich in der Beschreibung aber keine hinreichenden Anhaltspunkte, die diese unter den Wortlaut des Patentanspruchs fallende Möglichkeit als nicht erfaßt anzusehen gestatten könnten. Daß zur nächsten Anweisung weitergegangen wird, ist nämlich nur für den Fall beschrieben , daß festgestellt wird, die Anweisung sei korrekt befolgt worden (Beschreibung Sp. 4 Z. 15 - 20); in der in der Beschreibung unmittelbar anschließenden Passage, die den Fall betrifft, daß die Anweisung nicht korrekt ausgeführt wurde, findet sich ein derartiger Hinweis dagegen nicht. Dies schließt es aus, eine derartige Beschränkung in den Patentanspruch hineinzulesen.
II. Allerdings vermag der Senat der Beurteilung des Bundespatentgerichts nicht beizutreten, daß das Streitpatent die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbare, daß ein Fachmann sie ausführen kann (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 2 IntPatÜG; Art. 138 Abs. 1 Nr. 2 EPÜ). Auch dies entspricht der Auffassung des gerichtlichen Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung.
1. Merkmal (j), gemäß dem das System dem Fahrer nach dem Wendevorgang die "richtige" Anweisung erteilt, enthält für den Fachmann eine jeden-
falls unter günstigen äußeren Bedingungen, insbesondere in einem einfachen Straßennetz mit rechtwinkligen Kreuzungen und ohne Abbiege- und Wendeverbote , ohne erfinderischen Aufwand nachvollziehbare Lehre. Deren Verwirklichung setzt dann, wenn das Fahrzeug zunächst an die Stelle vor dem Begehen des Fahrfehlers zurückgebracht wird, lediglich voraus, die nicht befolgte Anweisung nochmals anzuzeigen. Wie dies geschehen kann, zeigt zum Beispiel die britische Patentschrift 1 414 490. Aber auch die vom Wortlaut des Patentanspruchs weiter umfaßte Lehre, daß nach dem Umkehren, aber vor dem Wiedererreichen der Fehlerstelle die nicht mit der nicht befolgten Anweisung übereinstimmende , sondern zu dieser komplementäre "richtige" Anweisung erteilt und nicht die ursprüngliche, aber nicht befolgte Anweisung wiederholt wird, ist nach Auffassung des Senats deshalb ausführbar, weil der Fachmann die im Streitpatent nicht genannten weiteren Maßnahmen auf Grund seines Fachkönnens und Fachwissens auffinden und ausführen kann. Schon mit einfachen Überlegungen kann, wie der gerichtliche Sachverständige in der mündlichen Verhandlung auf Fragen des Senats überzeugend bestätigt hat, der Fachmann nämlich erkennen, daß sich die Fehler in einem einfachen Straßensystem typisieren lassen und jedem Fehler eine bestimmte richtige Anweisung bei Wiederannäherung an die Fehlerstelle zugeordnet werden kann. So ist etwa in dem Fall, daß eine Anweisung zum Rechtsabbiegen nicht beachtet und statt dessen geradeaus weitergefahren wurde, nach dem Wenden bei Erreichen der versäumten Abbiegestelle mit einem Linksabbiegevorgang fortzufahren. Hierfür genügt es zwar nicht, gespeicherte Streckendaten abzuarbeiten, sondern das System muß, wie das Bundespatentgericht im Ansatz zutreffend ausgeführt hat, als "intelligentes" System ausgestaltet sein und aus den systemgemäß erfaßten Daten die "richtige", den gespeicherten binären Datengruppen nicht zu entnehmende Anweisung selbst errechnen können. Wie dies zu geschehen hatte, konnte der Fachmann auch ohne nähere Angaben in der Patentschrift erken-
nen. Voraussetzung war nämlich lediglich, nicht nur die Tatsache der Abweichung der eingeschlagenen Fahrtrichtung von der vorgegebenen festzustellen, sondern zusätzlich zu analysieren, welcher Art die Abweichung war (im vorstehenden Fall also anstatt rechts entweder geradeaus oder links oder gewendet), worauf die Beschreibung des Streitpatents in Sp. 2 Z. 10 - 12 unmittelbar hinweist und was mit den aus dem Stand der Technik bekannten Richtungsdetektoren ohne weiteres möglich war, und dem auf diese Weise klassifizierten Fehler die konkrete komplementäre "richtige" Anweisung zuzuordnen (im Beispielsfall entweder links oder geradeaus oder rechts). Eine derartige Auswertung und einen derartigen Vergleich in das System zu implementieren und das Ergebnis anzuzeigen, konnte dem Fachmann auch zum Prioritätszeitpunkt keine Schwierigkeiten bereiten.
2. Allerdings können - wie sich auch aus dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen ergibt - Zweifel daran bestehen, daß die Erfindung, wie sie im Streitpatent beschrieben ist, marktreif war, so z.B. deshalb, weil, wie der gerichtliche Sachverständige eingehend dargelegt hat und wovon auch der Senat überzeugt ist, mit ihr nur Standardsituationen in einem einfachen Straßennetz bewältigt werden können. Das steht der Ausführbarkeit jedoch nicht entgegen (vgl. zur insoweit nicht abweichenden Rechtslage im Gebrauchsmusterrecht Sen.Beschl. vom 28.4.1999 - X ZB 12/98, GRUR 1999, 920 - Flächenschleifmaschine , vgl. weiter Benkard, EPÜ, Art. 83 Rdn. 49).
III. Es kann dahinstehen, ob der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents durch die ursprüngliche Offenbarung in den Anmeldeunterlagen gedeckt ist. Wollte man die Auslegung des Bundespatentgerichts zugrunde legen, die sich maßgeblich auf die Überlegung stützt, daß sich das Streitpatent vom Stand der Technik abheben wolle, beständen diesbezüglich allerdings
schon deshalb Bedenken, weil ein konkreter Stand der Technik in den ur- sprünglichen Unterlagen noch nicht angegeben war und die Beschreibung insoweit erst nach dem Anmeldezeitpunkt ergänzt worden ist.
IV. Es kann dahinstehen, ob der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents neu ist. Er beruht jedenfalls gegenüber dem nächstkommenden Stand der Technik, als den der Senat in Übereinstimmung mit der Technischen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts die britische Patentschrift 1 414 490 ansieht, von der auch das Streitpatent ausgeht, nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
Die Abweichungen des Streitpatents gegenüber dieser Veröffentlichung beschränken sich - abgesehen von der für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht bedeutsamen Frage, welche Mittel jeweils konkret beschrieben sind - auf die Merkmale (i) und (j). Dabei besteht der Unterschied hinsichtlich des Merkmals (i) lediglich darin, daß nach der britischen Patentschrift 1 414 490 allgemein ein Warnsignal erzeugt wird (s. z.B. Patentanspruch 1: "giving an error warning"; Patentanspruch 2: "where in the error warning includes an inhibit signal which stops further functioning"), während nach dem Streitpatent eine Anweisung zum Umkehren erteilt wird. Das ist nichts anderes als ein Warnsignal , jedoch verknüpft mit einem konkreteren Bedeutungsinhalt. Ein technischer Beitrag zur Lehre des Patents wird mit der Zuweisung eines besonderen Bedeutungsinhalts zu einem Warnsignal nicht geleistet; deshalb kann dieser (zudem hier sich ohne weiteres aufdrängende und - auch ohne druckschriftlichen Nachweis - naheliegende Bedeutungsinhalt, anstatt eines bloßen Alarms die entsprechende Anweisung zum Umkehren zu erteilen) zur Stützung der erfinderischen Tätigkeit nicht herangezogen werden (vgl. zur Problematik Sedlmair Mitt. 2002, 448, 450; Anders GRUR 2001, 555, 560; Melullis, Festschrift für Willi
Erdmann, 2002, 401, 418 f.; Keukenschrijver, Festschrift für Reimar König, 2003, 255 ff., 263 f.). Es kommt hinzu, daß auch die US-Patentschrift 3 505 749 das Alarmsignal mit einem Bedeutungsinhalt ("off-course-indicator" 46) verknüpft ; auch das belegt, daß ein Alarmsignal letztlich mit einem beliebigen Aussagegehalt verbunden werden kann.
Merkmal (j) besagt, daß dem Fahrer nach Rückkehr an den Ort, an dem der Fehler geschah, die richtige Anweisung erteilt wird.
Soweit dieses Merkmal die Möglichkeit umfaßt, daß das Fahrzeug zunächst an eine Stelle zurückgebracht wird, die vor der Fehlerstelle, d.h. der Stelle, an der die vorgesehene Anweisung nicht ausgeführt wurde, ist dies - auch in Zusammenschau mit den übrigen Merkmalen - durch die britische Patentschrift 1 414 490 zumindest nahegelegt, denn dort ist ausgeführt, daß der Fahrer, der erkennt, daß er den Richtungswechsel an der vorherbestimmten Stelle versäumt hat, nun die inkorrekte Strecke zurückverfolgen kann, bis er den vorgesehenen Abbiegevorgang durchführen kann, und dann über eine Wiederbetätigung die Datenaufzeichnungen reaktivieren kann, worauf die Einrichtung ihren Betrieb wieder aufnimmt (Beschreibung S. 2 Z. 47 - 55: "If the driver recognises that he has missed the turn at the preselected point, he may now retrace his incorrect route until he can make the appropriate turn and operate the reset-control to re-activate the recording of the verbal instructions and associated data signal, whereupon the equipment resumes its regular function" ). Dies läßt allenfalls offen, ob vorgesehen ist, auch die nicht befolgte Anweisung zu wiederholen oder erst mit der nächsten Anweisung einzusetzen. Der Fachmann sieht aber ohne weiteres, daß es eine deutliche Beeinträchtigung des Systems darstellt, wenn die nicht befolgte Anweisung nicht wiederholt wird, und wird deshalb die Möglichkeit ins Auge fassen, auch diese Anweisung,
die noch befolgt werden muß, zu wiederholen, d.h. die Aufzeichnung vor den Fehler zurückzusetzen. Das hat auch der gerichtliche Sachverständige in der mündlichen Verhandlung bestätigt. Damit ist jedenfalls eine von Patentanspruch 1 des Streitpatents erfaßte Lehre für den Fachmann naheliegend gewesen; dies führt dazu, das das Streitpatent mit Patentanspruch 1 in der Fassung der neuen europäischen Patentschrift keinen Bestand haben kann.
Soweit das Merkmal die Möglichkeit umfaßt, daß die "richtige" Anweisung nicht die Wiederholung der versäumten, sondern die sich aus dem Versäumen ergebende (komplementäre) Anweisung ist, wobei ersichtlich nur das Verhalten nach dem Umkehren gemeint sein kann, weil das Umkehrsignal bereits in Merkmal (i) enthalten ist (also z.B. bei Rechtsabbiegen anstelle von Linksabbiegen die Anweisung, nach dem Umkehren an der Fehlerstelle geradeaus zu fahren), ist es dem Fachmann ein Leichtes zu erkennen, daß jedem definierten Fahrfehler eine ebenso definierte "richtige" Anweisung zuzuordnen ist. Ebenfalls ohne weiteres erkennbar ist, daß die Zuordnung von Fahrfehlern und "richtigen" Anweisungen tabellarisch erfaßt werden kann und daß es lediglich der Analyse des Fahrfehlers bedarf, um diesem die richtige Anweisung zuzuordnen. Eine derartige Fehleranalyse sieht z.B. die vorveröffentlichte, ein besonderes Leitsystem bei der Zeitungszustellung betreffende US-Patentschrift 3 845 289 vor (Beschreibung Übersetzung S. 29 ff., 61 f., 74). Dem hoch qualifizierten Fachmann konnte zum Anmeldezeitpunkt des Streitpatents zugetraut werden, dieses Problem routinemäßig zu lösen. Die Mittel zur Umsetzung einer solchen Anweisung sind nicht Gegenstand der in der Patentschrift offenbarten Lehre, sondern bleiben dem Fachmann überlassen.
Die vom Streitpatent insoweit vorausgesetzte, im Stand der Technik so nicht angesprochene Darstellung der danach ermittelten "richtigen" Anweisung
bereitete ihm keinen besonderen Aufwand. Insoweit bot ihm die USPatentschrift 3 845 289 Anregungen, weil dort die Einzelheiten des Fehlers ausgedruckt und dem Fahrer mitgeteilt werden können (Beschreibung deutsche Übersetzung S. 61 f. = Patentschrift Sp. 26 Z. 53 ff.; S. 74 f. = Patentschrift Sp. 31 Z. 60 ff.). Demnach wird der nächste Ort angegeben, an dem der Fehler beseitigt werden kann ("giving the next location at which a recovery can be made" , Sp. 26 Z. 57/58). Ein weiterer Hinweis findet sich dort, wenn (Sp. 32 Z. 32 - 34 = Übersetzung S. 75 Z. 18 - 21) ausgeführt wird: "... the driver may, after aligning his vehicle with the location which has been printed ..."; demnach dient die ausgedruckte Ortsangabe hier als Richtungsanweisung, ohne allerdings notwendigerweise selbst eine solche darzustellen.
V. Patentanspruch 2 des Streitpatents fügt der Lehre des Patentanspruchs 1 nach den insoweit überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen den Einsatz eines Pulsgebers für die zurückgelegte Strecke hinzu, der z.B. in Form eines Radumdrehungszählers (Odometers) zum Stand der Technik gehörte (vgl. wiederum die US-Patentschrift 3 845 289). Eine erfinderische Leistung kann hierin auch in Kombination mit den Merkmalen des Patentanspruchs 1 nicht gesehen werden.
VI. 1. Der Berücksichtigung der hilfsweise verteidigten Fassungen des Patentanspruchs 1 des Streitpatents steht entgegen der Auffassung der Klägerin nicht entgegen, daß diese Einfügungen enthalten, die nicht in deutscher Sprache, sondern in der Verfahrenssprache Englisch erfolgt sind. Wie der Senat bereits vor längerer Zeit entschieden hat, ist es zwar möglich, ein europäisches Patent im Nichtigkeitsverfahren vor deutschen Gerichten auch dann durch eine in deutscher Sprache gehaltene einschränkende Neufassung der Patentansprüche beschränkt zu verteidigen, wenn Deutsch nicht die Verfah-
renssprache des Erteilungsverfahrens war (BGHZ 118, 121 - Linsenschleif- maschine). Der Patentinhaber ist jedoch nicht gehindert, die beschränkte Verteidigung durch eine eingeschränkte Neufassung des in der maßgeblichen Verfahrenssprache erteilten Patentanspruchs vorzunehmen (Sen.Urt. v. 8.6.1993 - X ZR 121/90, Schulte-Kartei 81-85 Nr. 151 - Schließvorrichtung/ locking device). Dem ist das Schrifttum einhellig gefolgt (Rogge in Benkard, PatG 9. Aufl. § 22 Rdn. 58a; ders. in Benkard, EPÜ, Art. 138 Rdn. 30, und in GRUR 1993, 284, 287; Schulte PatG 6. Aufl. § 81 Rdn. 127 f.; Schennen in Singer/Stauder EPÜ 2. Aufl., Art. 138 Rdn. 19; Keukenschrijver in Busse, PatG, 5. Aufl., Art. II § 6 IntPatÜG Rdn. 6; ders. GRUR 2001, 571, 575 und in Das Patentnichtigkeits- und Nichtigkeitsberufungsverfahren, 2003, Rdn. 164). Dabei ergibt sich die Verbindlichkeit der Fassung des europäischen Patents in der Verfahrenssprache auch für die nationalen Folgeverfahren aus Art. 70 Abs. 1 EPÜ (vgl. Rogge in Benkard EPÜ Art. 70 Rdn. 7). Die Bestimmung über die Gerichtssprache in § 184 GVG steht dem nicht entgegen, denn diese gilt nur, soweit sie nicht durch spezielle andere Regelungen durchbrochen wird, wie dies hier der Fall ist (vgl. Manfred Wolf in MünchKomm/ZPO 2. Aufl., § 184 GVG Rdn. 7; vgl. weiter zu der vergleichbaren Regelung der Amtssprache in § 126 PatG, Sen.Beschl. v. 19.11.2002 - X ZB 23/01, GRUR 2003, 226, 227 - Läägeünnerloage, zur Veröffentlichung in BGHZ 153, 1 vorgesehen).
2. Das nach Hilfsantrag 1 angefügte Merkmal
(k) wonach die Anweisung erteilt wird, bevor das Fahrzeug die Stelle, an der der Fehler unterlief, wieder erreicht, ist in den ursprünglichen Unterlagen nicht offenbart. Dem steht es nicht entgegen , daß, wie oben ausgeführt, der Fachmann in der Lage ist, eine solche Ausführungsform auf Grund der Offenbarung in den ursprünglichen Unterlagen
ohne erfinderisches Zutun zu entwickeln. Zwar ist der Offenbarungsbegriff grundsätzlich ein einheitlicher (vgl. Busse, PatG, 6. Aufl., § 3 Rdn. 92; zur früheren Rechtslage BGHZ 80, 323, 328 - Etikettiermaschine; zum Verhältnis Neuheitsprüfung - Identitätsprüfung zuletzt Sen.Urt. v. 14.10.2003 - X ZR 4/00 - elektrische Funktionseinheit, Umdruck S. 16, zur Veröffentlichung vorgesehen ). Allerdings darf die unterschiedliche Funktion der Offenbarung etwa im Kontext der Neuheitsprüfung, der Ausführbarkeitsprüfung, der Identitätsprüfung oder der Prüfung der Beschränkungsmöglichkeit nicht außer acht gelassen werden. Zwar hat der Senat - noch zu § 26 Abs. 4 PatG 1968 - als zur Beschränkung ausreichend eine solche Offenbarung verstanden, die eine Benutzung durch andere Sachverständige als möglich erscheinen läßt (BGHZ 111, 21, 26 - Crackkatalysator I). Er hat weiter - ebenfalls noch zur früheren Rechtslage - dahin erkannt, daß die Feststellung genüge, nach dem Gesamtinhalt der Beschreibung solle zumindest auch eine bestimmte Ausgestaltung der Erfindung geschützt sein (BGH, Beschl. v. 6.10.1994 - X ZB 4/92, GRUR 1995, 113 - Datenträger). Daran fehlt es hier jedoch. Es kann nämlich - anders als für die Bejahung der Ausführbarkeit (vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 20.11.2001 - X ZB 3/00, Mitt. 2002, 176 - Gegensprechanlage) - für die Zulässigkeit einer Beschränkung auf eine bestimmte Ausführungsform nicht genügen, daß der Fachmann nicht durch die bloße Lektüre der Patentschrift, sondern erst dann zu dieser die Ausführung der Erfindung gestattenden Ausgestaltung kommt, wenn er sich nähere und weiterführende Gedanken über die Ausführbarkeit der Erfindung macht und dabei durch die Beschreibung nicht vermittelte Informationen mit seinem Fachkönnen aus seinem Fachwissen ergänzt, auch wenn dies erfinderische Überlegungen nicht erfordert. Die die Beschränkung ermöglichende Offenbarung muß vielmehr auch nach geltendem Recht ihre Stütze in einer dem Gesamtinhalt der maßgeblichen Unterlagen entnehmbaren bestimmten Ausgestaltung finden. Einen Hinweis darauf, die "richtige" Anweisung bereits
vor Erreichen der Fehlerstelle nach dem Umkehren zu erteilen, geben die ur- sprünglichen Unterlagen indessen ebensowenig wie das erteilte Patent; es fehlt vielmehr an jeglichem Hinweis auf diese Maßnahme. Damit kann sich der Beklagte auf einen solchermaßen eingeschränkt formulierten Gegenstand nicht zurückziehen.
3. Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 führt bestimmte allgemeine Begriffe (Speichermöglichkeiten bzw. -mittel; Möglichkeiten bzw. Mittel; Eingabemöglichkeiten bzw. -mittel), deren Ursprungsoffenbarung zweifelhaft ist, auf konkretere Begriffe, wie sie in den ursprünglichen Unterlagen genannt sind (punch card - Lochkarte, step up relay - Schrittschaltrelais) zurück. Damit versucht der Beklagte, Bedenken hinsichtlich der ursprünglichen Offenbarung Rechnung zu tragen, auf die es indessen wegen der mangelnden Patentfähigkeit des Gegenstands des Patentanspruchs 1 nicht ankommt. Daß sich aus der Rückführung auf die konkreteren Angaben eine andere Beurteilung der Schutzfähigkeit ergeben könnte, ist weder erkennbar noch geltend gemacht.
4. Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 3 kann jedenfalls aus den zu Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 genannten Gründen, die hier gleichermaßen zutreffen, nicht zum Erfolg führen.
C. Die Kostenentscheidung folgt aus dem nach Art. 29 des 2. PatG˜ndG für den vorliegenden Fall noch maßgeblichen § 110 Abs. 3 PatG in der vor Inkrafttreten des 2.PatGÄndG geltenden Fassung in Verbindung mit § 97 ZPO.
Melullis Keukenschrijver Mühlens
Meier-Beck Asendorf

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 168/98 Verkündet am:
11. September 2001
Wermes
Justizhauptsekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
Luftverteiler
EPÜ Art. 87, 88; PVÜ Art. 4
Ein Gegenstand einer europäischen Patentanmeldung betrifft nur dann im Sinne
des Art. 87 Abs. 1 EPÜ dieselbe Erfindung wie eine Voranmeldung, wenn
die mit der europäischen Patentanmeldung beanspruchte Merkmalskombinati-
on dem Fachmann in der Voranmeldung in ihrer Gesamtheit als zu der angemeldeten
Erfindung gehörig offenbart ist. Einzelmerkmale können nicht in ein
und demselben Patentanspruch mit unterschiedlicher Priorität miteinander
kombiniert werden (im Anschluß an die Stellungnahme G 2/98 der Großen Beschwerdekammer
des Europäischen Patentamts).
BGH, Urteil vom 11. September 2001 - X ZR 168/98 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 11. September 2001 durch den Vorsitzenden Richter Rogge und
die Richter Prof. Dr. Jestaedt, Dr. Melullis, Scharen und Dr. Meier-Beck

für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des 1. Senats (Nichtigkeitssenats ) des Bundespatentgerichts vom 10. März 1998 abgeändert : Das europäische Patent 359 698 wird mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Patentansprüche 1 bis 7 und 10 und weiterhin insoweit für nichtig erklärt, als die Patentansprüche 16 bis 19, 21 bis 26 und 30 unmittelbar und/oder mittelbar auf die Patentansprüche 1 bis 7 und 10 rückbezogen sind.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Beklagten auferlegt.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Der Beklagte ist eingetragener Inhaber des deutschen Teils des am 27. April 1989 unter Inanspruchnahme der Priorität der deutschen Gebrauchsmusteranmeldung 88 07 929 vom 20. Juni 1988 angemeldeten europäischen Patents 359 698 (Streitpatents). Anspruch 1 des Streitpatents, das am 22. Dezember 1993 veröffentlicht worden ist, lautet:
"Gasverteiler, insbesondere Luftverteiler zum feinblasigen Belüften von Wasser, mit
- einem festen, platten Grundelement (1);
- einer über dem Grundelement (1) angeordneten Membrane (2) (= gummielastische, gelochte Gas- oder Luftverteiler-Folie oder -Platte);
- einer Verbindungsvorrichtung (4) zum lösbaren, gasdichten Verbinden von Randbereichen der Membrane (2) mit entsprechenden Randbereichen der Grundelemente (1), derart, daû die Membrane (2) bei fehlender oder geringer Gas-, insbesondere Luft- und/oder O -Zufuhr auf wenigstens einer Oberfläche des

2

Grundelements (1) satt aufliegt;
- über der Membrane (2), insbesondere auf deren Oberfläche, angeordneten , niederhaltenden im wesentlichen stegförmigen
Elementen, die ein Aufwölben der Membrane (2) bei Gas-, insbesondere Luft- und/oder O -Zufuhr verhindern;

2


- wobei die Verbindungsvorrichtung (4) wenigstens einen mindestens U-förmigen Umschlingungsbereich der Membrane (2) umfaût , in welchem die Membrane (2) entweder einen Randbereich des plattenartigen Grundelements (1) umgreift oder etwa U-förmig in einer nutartigen Ausnehmung (3; 13) des plattenartigen Grundelements (1) einliegt sowie ein KlemmsitzProfildichtungselement (9, 10; 14, 15; 19, 20; 19', 20') vorgesehen ist, welches spätestens im Betriebszustand mindestens zwei linienförmige Klemmungen der Membrane (2) in sich im wesentlichen gegenüberliegenden Klemmungsbereichen des Umschlingungsbereichs bewirkt."
Wegen des Wortlauts der weiteren, unmittelbar oder mittelbar auf diesen Anspruch rückbezogenen Patentansprüche wird auf die Streitpatentschrift verwiesen. Ein Ausführungsbeispiel der Erfindung zeigen die nachstehend wiedergegebenen Figuren 12 und 13 der Streitpatentschrift.
Fig. 12
Fig. 13
Mit der Nichtigkeitsklage hat die Klägerin geltend gemacht, das Streitpatent beruhe gegenüber dem Stand der Technik vor dem Prioritätstag sowie gegenüber dem Gebrauchsmuster 88 07 929, dessen Priorität es nicht in Anspruch nehmen könne, nicht auf erfinderischer Tätigkeit und sei durch eine offenkundige Vorbenutzung im Prioritätsintervall vorweggenommen. Sie hat beantragt ,
das Streitpatent dadurch teilweise für nichtig zu erklären, daû Patentanspruch 1 in seiner erteilten Fassung und in den Patentansprüchen 2, 6, 7, 25 und 30 die Rückbeziehung auf Patentanspruch 1 in seiner erteilten Fassung entfalle.
Das Bundespatentgericht hat die Klage abgewiesen; sein Urteil ist in Mitt. 1998, 430 veröffentlicht.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie sinngemäû beantragt,
das Streitpatent mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Patentansprüche 1 bis 7 und 10 und weiterhin insoweit für nichtig zu erklären, als die Patentansprüche 16 bis 19, 21 bis 26 und 30 unmittelbar und/oder mittelbar auf die Patentansprüche 1 bis 7 und 10 rückbezogen sind.
Der Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen.
Als gerichtlicher Sachverständiger hat Dipl.-Ing. B. B., K., ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.

Entscheidungsgründe:


Die zulässige Berufung ist begründet. Das Streitpatent erweist sich in dem mit der Nichtigkeitsklage angegriffenen Umfang als nicht patentfähig und ist daher insoweit für nichtig zu erklären (Art. 138 Abs. 1 lit. a EPÜ, Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG).
I. Das Streitpatent betrifft einen Gasverteiler, insbesondere einen Luftverteiler zum feinblasigen Belüften von Wasser. Wie sich aus dem Zusammenhang der Beschreibung ergibt, geht die Erfindung, die auf einen Gasverteiler "mit den Merkmalen des" (tatsächlich einteilig aufgebauten) "Oberbegriffs des Patentanspruchs 1" Bezug nimmt, von einem Gasverteiler aus, der ein festes , plattenartiges Grundelement aufweist, über dem eine gummielastische, gelochte Gas- oder Luftverteilerfolie oder –platte als Membrane angeordnet ist. Zur lösbaren, gasdichten Verbindung von Randbereichen der Membrane mit entsprechenden Randbereichen des Grundelements dient eine vom Streitpatent näher ausgestaltete Verbindungsvorrichtung. Die Membrane liegt bei fehlender Gaszufuhr auf wenigstens einer Oberfläche des Grundelements satt auf. Bei Gaszufuhr verhindern über der Membrane, insbesondere auf deren Oberfläche , angeordnete, im wesentlichen stegförmige niederhaltende Elemente ein Aufwölben der Membrane.
Einen solchen Gasverteiler beschreibt die in der Streitpatentschrift genannte europäische Patentanmeldung 171 452, wobei die Membrane an ihren Rändern mittels Randleisten derart mit dem Grundelement verbunden wird, daû die Randleisten mit der unter ihnen liegenden Membrane und dem Grun-
delement verschraubt oder vernietet werden. Alternativ erwähnt die Vorveröffentlichung eine Verbindung durch Klammern, die in Abständen den Rand des Grundelements mit der darüber angeordneten Randleiste und dem dazwischen liegenden Randbereich der Membrane umgreifen und gegebenenfalls zusätzlich mit dem Grundelement verschraubt oder vernietet sein können.
Als nachteilig sieht die Streitpatentschrift an, daû die Verbindung zwischen Grundelement, Membrane und als Dichtung dienender Randleiste verhältnismäûig material-, herstellungs- und montageaufwendig sei.
Daraus ergibt sich das technische Problem, einen Gasverteiler mit einer zuverlässig gasdichten Verbindungsvorrichtung zu schaffen, die kostengünstig herzustellen ist und eine einfache Montage sowie Demontage beim Austausch der Membran gestattet.
Die Lösung des Streitpatents besteht aus einem Gasverteiler mit folgenden Merkmalen:
1. Der Gasverteiler weist auf
1.1 ein festes, plattenartiges Grundelement (1),
1.2 eine über dem Grundelement (1) als Membrane angeordnete gummielastische, gelochte Gas- oder Luftverteilerfolie oder –platte.
2. Eine Verbindungsvorrichtung (4) dient zum lösbaren, gasdichten Verbinden von Randbereichen der Membrane (2) mit entsprechenden Randbereichen des Grundelementes (1), derart, daû die Membrane (2) bei fehlender oder geringer Gaszufuhr auf wenigstens einer Oberfläche des Grundelements (1) satt aufliegt.
3. Die Verbindungsvorrichtung (4)
3.1 umfaût wenigstens einen mindestens U-förmigen Umschlingungsbereich der Membrane (2), in welchem diese
3.1.1 entweder einen Randbereich des Grundelements (1) umgreift oder
3.1.2 etwa U-förmig in einer nutartigen Ausnehmung (3; 13) des Grundelements (1) einliegt,
3.2 weist ein Klemmsitz-Profildichtungselement (9, 10; 14, 15; 19, 20; 19©, 20©) auf, welches spätestens im Betriebszustand mindestens zwei linienförmige Klemmungen der Membrane (2) in sich im wesentlichen gegenüberliegenden Klemmungsbereichen des Umschlingungsbereichs bewirkt.
4. Über der Membrane (2), insbesondere auf deren Oberfläche, sind niederhaltende, im wesentlichen stegförmige Elemente
angeordnet, die ein Aufwölben der Membrane (2) bei Gaszufuhr verhindern.
II. Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist nicht patentfähig, da er dem Fachmann durch den Stand der Technik nahegelegt worden ist (Art. 52 Abs. 1, 56 EPÜ). Es kann daher dahinstehen, ob ihm gegenüber einem nach der Behauptung der Klägerin offenkundig vorbenutzten Gasverteiler bereits die Neuheit fehlt.
Für den angesprochenen Fachmann, als der ein auf dem Gebiet der Belüftungseinrichtungen tätiger Ingenieur der Fachrichtung Maschinenbau, aber auch, wie der Sachverständige ausgeführt hat, ein erfahrener Techniker in Betracht kommt, der sich aufgrund seiner Kenntnis vorhandener Bauformen mit herstellungs- und montagetechnischen Problemen dieser Vorrichtungen beschäftigt , ergab sich die Erfindung in naheliegender Weise aus einer Kombination der in dem Gebrauchsmuster 88 07 929 und in der europäischen Patentanmeldung 171 452 beschriebenen Gasverteiler.
1. Das Gebrauchsmuster, das am 18. August 1988 eingetragen worden ist, ist als Stand der Technik zu berücksichtigen, da die Priorität der betreffenden Anmeldung vom Streitpatent nicht wirksam in Anspruch genommen worden ist.

a) Der in Anspruch 1 des Streitpatents mit den Merkmalsgruppen 1 bis 4 umschriebene Gegenstand ist, wie bereits das Bundespatentgericht zutreffend angenommen hat, in der Gebrauchsmusteranmeldung nicht als zur angemeldeten Erfindung gehörig offenbart. In diesem Sinne offenbart ist dort
vielmehr nur ein Gasverteiler mit den Merkmalen 1 bis 3, nicht hingegen ein solcher, bei dem auûerdem über der Membrane niederhaltende, im wesentlichen stegförmige Elemente angeordnet sind, die ein Aufwölben der Membrane bei Gaszufuhr verhindern.
Die Beschreibung des Gebrauchsmusters erläutert, ein Luftverteiler zum feinblasigen Belüften von Wasser sei bereits aus der europäischen Patentanmeldung 171 452 bekannt, wobei dieser Luftverteiler eine über einer festen Platte angeordnete, gelochte Luftverteilerfolie aufweise, die an ihren Rändern mittels Randleisten dicht mit der festen Platte verbunden sei, und wobei ferner über der Luftverteilerfolie Stegleisten angeordnet seien, welche direkt mit der festen Platte verbunden seien. Zum gasdichten Verbinden der Luftverteilerfolie an ihren Rändern mit der festen Platte seien die als Dichtungselemente fungierenden Randleisten erforderlich, wobei die Verbindung zwischen diesen Randleisten, der Luftverteilerfolie und gegebenenfalls auch der Stegleisten mit der festen Platte durch selbstschneidende Schrauben oder durch Nieten erfolge , unter Umständen aber auch dadurch, daû Klammern vorgesehen seien, welche in Abständen den Rand der festen Platte mit der zugehörigen Randleiste und dem dazwischenliegenden Randbereich der Luftverteilerfolie umgriffen (S. 2 Z. 7 - 19). Die in der europäischen Patentanmeldung vorgesehene Verbindung zwischen fester Platte, Luftverteilerfolie und Randleisten wird als verhältnismäûig material-, herstellungs- und montageaufwendig bezeichnet (S. 2 Z. 27 - S. 3 Z. 4) und hieraus die Aufgabe abgeleitet, eine Verbindungsvorrichtung mit den Merkmalen des Oberbegriffs des Schutzanspruchs 1 zu schaffen und diese so auszubilden, daû sie bei sehr guter gasabdichtender Funktion verhältnismäûig geringen Konstruktions- und Fertigungsaufwand erfordert und Montage
bzw. Demontage sowie Wartung rasch und einfach erfolgen können (S. 3 Z. 9 - 19). Das soll dadurch erreicht werden, daû die Verbindungsvorrichtung aus wenigstens einem Klemmsitz-Profildichtungselement pro Randbereich besteht, dessen Profilform in der Weise ausgebildet ist, daû sich eine sowohl festklemmende als auch abdichtende Verbindung zwischen dem jeweiligen Randbereich der Luftverteilerfolie und dem zugeordneten Randbereich der festen Platte ergibt.
Stegleisten, die wie bei dem Gasverteiler nach der europäischen Patentanmeldung über der Luftverteilerfolie angeordnet wären oder angeordnet werden könnten, werden in der weiteren Beschreibung der Erfindung nicht erwähnt und sind auch in den Zeichnungen nicht dargestellt. Eine ausdrückliche Offenbarung, daû der erfindungsgemäûe Luftverteiler mit solchen Leisten versehen werden könne, fehlt daher. Daran ändert auch ihre Erwähnung in der Einleitung der Beschreibung nichts, da sie sich allein auf den vorbekannten Luftverteiler bezieht. In den im übrigen nach der europäischen Patentanmeldung gebildeten Gattungsbegriff des Schutzanspruchs sind die Stegleisten gerade nicht aufgenommen worden; die Erörterung ihrer Verbindung mit der festen Platte erfolgt vielmehr im Zusammenhang mit der Erörterung der als nachteilig angesehenen und vom Gebrauchsmuster zu verbessernden Randverbindungsvorrichtung des Standes der Technik (S. 2 Z. 7 - 19).
Der Fachmann entnimmt den Gebrauchsmusterunterlagen auch nicht als selbstverständlich die Möglichkeit, den zum Gebrauchsmusterschutz angemeldeten Luftverteiler mit Stegleisten zu versehen. Nach der Rechtsprechung des Senats ist allerdings über das Beschriebene hinaus durch eine zum Stand der Technik gehörende Schrift i.S.d. § 3 Abs. 1 Satz 2 PatG und des Art. 54 Abs. 2
EPÜ alles als offenbart und damit als vorweggenommen anzusehen, was für den Fachmann als selbstverständlich oder nahezu unerläûlich zu ergänzen ist oder was er bei aufmerksamer Lektüre der Schrift ohne weiteres erkennt und in Gedanken gleich mitliest (BGHZ 128, 270, 276 f. - elektrische Steckverbindung ; Sen.Urt. v. 30.9.1999 - X ZR 168/96, GRUR 2000, 296, 297 - Schmierfettzusammensetzung ). Das gilt auch für die Ermittlung des Inhalts einer für die wirksame Inanspruchnahme eines Prioritätsrechts oder die Prüfung einer unzulässigen Erweiterung maûgeblichen ursprünglichen Anmeldung mit der Maûgabe, daû es darauf ankommt, ob der mit durchschnittlichen Kenntnissen und Fähigkeiten ausgestattete Fachmann des betreffenden Gebiets der Technik eine solche selbstverständliche Ergänzung der Anmeldung als zur angemeldeten Erfindung gehörend entnehmen kann. Denn eine Lehre zum technischen Handeln geht über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus, wenn die Gesamtheit der Anmeldungsunterlagen nicht erkennen läût, daû sie als Gegenstand von dem mit der Anmeldung verfolgten Schutzbegehren umfaût sein soll (Sen.Urt. v. 21.9.1993 - X ZR 50/91, Mitt. 1996, 204, 206 - Spielfahrbahn ; Sen.Beschl. v. 20.6.2000 - X ZB 5/99, GRUR 2000, 1015, 1016 - Verglasungsdichtung; v. 5.10.2000 - X ZR 184/98, GRUR 2001, 140, 141 - Zeittelegramm). Daû indessen Gasverteiler mit Stegleisten nach dem Vorbild der europäischen Patentanmeldung 171 452 von dem mit der Gebrauchsmusteranmeldung verfolgten Schutzbegehren umfaût sein sollten, ist den Unterlagen dieser Anmeldung nicht zu entnehmen.
Die Anmeldung befaût sich nämlich nur mit der Randverbindung zwischen Folie und fester Platte, auf die auch sämtliche Schutzansprüche gerichtet sind, und nimmt die Oberseite der Folie und dort etwa anzubringende Stegleisten nicht in den Blick. Erwähnt ist lediglich, daû sich im Falle zuneh-
mender Zugbeanspruchung der erfindungsgemäûen Klemmverbindung beispielsweise aufgrund der sich aufwölbenden elastischen Folie bei zunehmendem Gasdruck die Klemmwirkung sogar noch in vorteilhafter Weise verstärke (S. 4 Z. 19 - 25). Das ist jedenfalls kein die Anbringung von Stegleisten erfordernder Effekt. Denn wie der Sachverständige überzeugend dargelegt hat, ging der Fachmann im Prioritätszeitpunkt nicht etwa als selbstverständlich davon aus, bei Gasverteilern der gattungsgemäûen Art eine übermäûige Aufwölbung durch Stegleisten verhindern zu müssen. Vielmehr stand ihm die Möglichkeit zu Gebote, je nach Gröûe der in Richtung der Aufwölbung wirkenden Kraft die Klemmverbindung entsprechend stärker auszubilden. Die angemeldete Erfindung umfaûte somit die Ausstattung des Gasverteilers mit Stegleisten nicht.

b) Danach ist die wirksame Inanspruchnahme der Priorität des Gebrauchsmusters für das Streitpatent nach Art. 87 Abs. 1 EPÜ nicht möglich, da das Streitpatent nicht dieselbe Erfindung betrifft wie die Gebrauchsmusteranmeldung.
Der Senat schlieût sich der Stellungnahme vom 31. Mai 2001 (G 2/98) an, in der die Groûe Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts das Erfordernis derselben Erfindung i.S.d. Art. 87 Abs. 1 EPÜ dahin ausgelegt hat, daû die Priorität einer früheren Anmeldung für einen Anspruch in einer europäischen Patentanmeldung gemäû Art. 88 EPÜ nur dann anzuerkennen ist, wenn der Fachmann den Gegenstand des Anspruchs unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens unmittelbar und eindeutig der früheren Anmeldung als Ganzes entnehmen kann. Maûgeblich dafür sind folgende Erwägungen:
Nach Art. 4 F PVÜ, gegenüber deren Prioritätsgrundsätzen das EPÜ den Anmelder nicht schlechter stellen darf (Sen., BGHZ 82, 88, 97 - Roll- und Wippbrett), kann zwar die Anerkennung einer Priorität nicht deswegen verweigert werden, weil eine Patentanmeldung ein oder mehrere Merkmale (französische Fassung: éléments; englische Fassung: elements) enthält, die in der Anmeldung , deren Priorität beansprucht wird, nicht enthalten waren, sofern Erfindungseinheit im Sinne des Landesgesetzes vorliegt. Ein élément im Sinne des Art. 4 F PVÜ ist jedoch nicht im Sinne eines Anspruchsmerkmals zu verstehen, sondern meint einen Erfindungsgegenstand, der explizit oder implizit in den Ursprungsunterlagen offenbart ist, aber nach Art. 4 H PVÜ nicht notwendigerweise in einem Anspruch definiert sein muû. Das stimmt mit der Schranke der Einheitlichkeit überein, die Art. 4 F PVÜ der Zusammenfassung mehrerer éléments in einer Nachanmeldung setzt, und entspricht dem verfahrensrechtlichen Zweck der Vorschrift, dem Anmelder eine Mehrzahl von Nachanmeldungen im Ausland zu ersparen (vgl. Lins, Das Prioritätsrecht für inhaltlich geänderte Nachmeldungen, S. 27). Eine Auslegung des Begriffs derselben Erfindung in Art. 87 Abs. 1 EPÜ, die diesen mit dem Begriff desselben Gegenstandes in Art. 87 Abs. 4 EPÜ gleichsetzt, steht danach nicht in Widerspruch zur PVÜ.
Allerdings bestimmt Art. 88 Abs. 2 Satz 2 EPÜ, daû für einen Anspruch mehrere Prioritäten in Anspruch genommen werden können. Nach der Entstehungsgeschichte der Vorschrift war jedoch, wie in der Stellungnahme der Groûen Beschwerdekammer dargelegt, nicht beabsichtigt, für Teile ein und desselben Patentanspruchs unterschiedliche Prioritäten zuzulassen. Vielmehr sollte lediglich der Fall geregelt werden, daû alternative Ausführungsformen
einer Erfindung ("Oder-Ansprüche") jeweils in unterschiedlichen Voranmeldungen offenbart sind.
Der - auch für die Stellungnahme der Groûen Beschwerdekammer - entscheidende Gesichtspunkt liegt schlieûlich in der Wirkung des Prioritätsrechts nach Art. 89 EPÜ, die darin besteht, daû der Prioritätstag für die Anwendung des Art. 54 Abs. 2, 3 sowie des Art. 60 Abs. 2 als Tag der europäischen Patentanmeldung gilt. Es wäre eine sachlich nicht gerechtfertigte Begünstigung des Nachanmelders, wenn diese Wirkung auch bei einer Weiterentwicklung der Erfindung (durch Hinzufügung eines weiteren Merkmals bei der Nachanmeldung ) dem Gegenstand der Nachanmeldung in seiner Gesamtheit zugebilligt würde. Das widerspräche dem Grundsatz der Gleichbehandlung von Anmeldern und Dritten durch einen einheitlichen Offenbarungsbegriff ebenso wie dem Zweck des Art. 54 Abs. 3 EPÜ, im Falle zweier europäischer Anmeldungen , die auf denselben Gegenstand gerichtet sind, das Recht auf das Patent (nur) demjenigen Anmelder zu geben, der den beanspruchten Gegenstand in seiner Gesamtheit zuerst offenbart hat.
Eine solche sachlich ungerechtfertigte Begünstigung des Nachanmelders lieûe sich jedoch allenfalls dann vermeiden, wenn es möglich wäre, hinsichtlich bei der Nachanmeldung hinzugefügten Merkmalen danach zu unterscheiden , ob sie Funktion und Wirkung der Erfindung (im Sinne des technischen Sinngehalts der ursprünglich offenbarten Merkmalskombination) beeinflussen oder nicht. Dafür stehen jedoch praktisch brauchbare Kriterien nicht zur Verfügung. Die von den Technischen Beschwerdekammern zum Teil praktizierte Unterscheidung zwischen wesentlichen und nicht wesentlichen Zusatzmerkmalen hat die Groûe Beschwerdekammer zu Recht für aus Gründen der
Rechtssicherheit nicht angängig gehalten. Die vom Bundespatentgericht in der angefochtenen Entscheidung vertretene Konzeption, in der der Nachanmeldung - nur im Umfang der in der Erstanmeldung offenbarten Merkmalskombination - deren Priorität zugebilligt wird, wenn die Nachanmeldung den ursprünglichen Erfindungsgedanken im Sinne einer weiteren Ausgestaltung ergänze, wie dies in der Regel die Merkmale eines echten Unteranspruchs täten, zwänge dazu, dem ursprünglichen Erfindungsgedanken eine Ausgestaltung zuzurechnen, die als solche in der Erstanmeldung gerade nicht offenbart ist, und damit zur Aufgabe des einheitlichen Begriffs der zum Patentschutz angemeldeten Erfindung, der diese allein aus der Anmeldung selbst danach bestimmt, was in ihr als zu der angemeldeten Erfindung gehörig offenbart ist. Ferner könnte die Abgrenzung zwischen einer Merkmalskombination 1 bis 4, bei der das Merkmal 4 die Merkmale 1 bis 3 lediglich ergänzt, und einer Merkmalskombination 1 bis 4, bei der auch die Merkmale 1 bis 3 im Rahmen der Gesamtkombination eine andere technische Bedeutung gewinnen, im Einzelfall Probleme bereiten, deren Inkaufnahme der Rechtssicherheit bei der Beurteilung der wirksamen Prioritätsinanspruchnahme abträglich wäre. Schlieûlich ergäbe sich die für den Anmelder gefährliche Konsequenz, daû ihm bei der Nachanmeldung der Gesamtkombination 1 bis 4 die Zubilligung des Prioritätsrechts für die Merkmalskombination 1 bis 3 nicht hülfe, wenn im Prioritätsintervall die Gesamtkombination 1 bis 4 von einem Dritten angemeldet oder - wie im Streitfall von der Klägerin behauptet - offenkundig würde, weil die Gesamtkombination lediglich die Priorität des Anmeldetages genösse (vgl. Sen., BGHZ 63, 150, 154 - Allopurinol; Lins/Gramm, GRUR Int. 1983, 634/635; v. Hellfeld, Mitt. 1997, 294, 296/297; Tönnies, GRUR Int. 1998, 451, 453). Insbesondere auf sich schnell entwikkelnden Gebieten der Technik wäre ein so verstandenes Prioritätsrecht daher
letztlich unzureichend (Joos, GRUR Int. 1998, 456, 459 f.) und geeignet, dem Anmelder die trügerische Sicherheit zu vermitteln, die Nachanmeldung der Erfindung in weiterentwickelter Form sei prioritätsunschädlich.
Ein Gegenstand einer europäischen Patentanmeldung betrifft hiernach nur dann im Sinne des Art. 87 Abs. 1 EPÜ dieselbe Erfindung wie eine Voranmeldung , wenn die mit der europäischen Patentanmeldung beanspruchte Merkmalskombination dem Fachmann in der Voranmeldung in ihrer Gesamtheit als zu der angemeldeten Erfindung gehörig offenbart ist. Einzelmerkmale können nicht in ein und demselben Patentanspruch mit unterschiedlicher Priorität miteinander kombiniert werden.
Für den Streitfall folgt hieraus, daû für das Streitpatent, zu dessen Gegenstand nach sämtlichen Patentansprüchen zwingend das Merkmal 4 gehört, die Priorität des Gebrauchsmusters 88 07 929 nicht in Anspruch genommen werden kann, das dieses Merkmal nicht als zur Erfindung gehörig offenbart.
2. Für den Fachmann, der sich Gedanken über die zweckmäûige Ausbildung eines Luftverteilers machte, wie er im Gebrauchsmuster 88 07 929 beschrieben ist, lag es ohne weiteres nahe, diesen mit Stegleisten zu versehen , wie sie die europäische Patentanmeldung 171 452 zeigt.
Sie dienen bei dem Luftverteiler nach der europäischen Patentanmeldung , wie dort auf S. 4 Z. 31 - 34 beschrieben, dazu, ein Aufwölben der gelochten Luftverteilerfolie bei Luftzufuhr zu verhindern. In dem Gebrauchsmuster ist zwar, wie erwähnt, die Aufwölbung als vorteilhaft beschrieben, weil sie die erwünschte Klemmwirkung der Randverbindungsvorrichtung in vorteilhafter
Weise verstärke (S. 4 Z. 19 - 25). Ein Aufwölben der Folie findet jedoch stets statt, sei es hinsichtlich der Folie insgesamt, sei es hinsichtlich ihrer von den Stegleisten eingefaûten Teile, so daû der Hinweis im Gebrauchsmuster auf den hierin zu sehenden Vorteil den Fachmann, wie der Sachverständige bestätigt hat, nicht von dem Einsatz von Stegleisten abhielt. Vielmehr erschien es dem Fachmann, wie der Sachverständige zur Überzeugung des Senats ausgeführt hat, am Anmeldetag gleichermaûen möglich, je nach Zweckmäûigkeit und Auslegung der Klemmkraft des Profildichtungselements den Luftverteiler so zu bauen, daû sich eine gröûere (ohne Stegleisten) oder kleinere Aufwölbung (mit Stegleisten) ergab. Mit der Wahl der zweiten Alternative gelangte er zum Gegenstand des Streitpatents.
III. Die weiterhin angegriffenen Unteransprüche des Streitpatents enthalten handwerkliche Ausgestaltungen der Lehre des Anspruchs 1 und können die Patentfähigkeit des Streitpatents gleichfalls nicht begründen. Der Beklagte hat hierfür auch nichts geltend gemacht.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 110 Abs. 3 Satz 2 PatG in der nach Art. 29 2. PatGÄndG weiter anwendbaren Fassung der Bekanntmachung vom 16. Dezember 1980 i.V.m. § 91 Abs. 1 ZPO. Rogge Jestaedt Melullis Scharen Meier-Beck

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 4/00 Verkündet am:
14. Oktober 2003
Wermes
Justizhauptsekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ : nein
BGHR : ja
Elektronische Funktionseinheit
EPÜ Art. 87, 88
Priorität für einen Anspruch in einer europäischen Patentanmeldung
gemäß Art. 88 EPÜ kann nur dann in Anspruch
genommen werden, wenn der Fachmann den Gegenstand des Patentanspruchs
unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens
unmittelbar und eindeutig der früheren Anmeldung als
Ganzes entnehmen kann; es muß sich um dieselbe Erfindung
handeln. Für die Beurteilung der identischen Offenbarung
gelten die Prinzipien der Neuheitsprüfung.
BGH, Urt. v. 14. Oktober 2003 - X ZR 4/00 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Ver-
handlung vom 22. Juli 2003 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, die
Richter Prof. Dr. Jestaedt und Scharen, die Richterin Mühlens sowie den Richter
Dr. Meier-Beck

für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Klägerin wird unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten das am 22. Juli 1999 verkündete Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts abgeändert : Das europäische Patent 0 624 272 wird mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland dadurch teilweise für nichtig erklärt, daß Patentanspruch 1 folgende Fassung erhält: "Elektrische Funktionseinheit (PC) und Röhrenbildschirmgerät (M) mit jeweiligen Anschlußpunkten für Verbindungsleitungen einer Standardschnittstelle (SS) zum Versorgen des Röhrenbildschirmgerätes mit für dessen grundlegende Funktion entsprechenden Signalen ausgehend von der elektrischen Funktionseinheit und aufeinander abgestimmten Mitteln (VC, PSBDC ) zur Übertragung einer Nachricht seitens der elektrischen Funktionseinheit an das Röhrenbildschirmgerät zur Steuerung des Röhrenbildschirmgeräts in einen Energiesparzustand d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , daß die genannten Mittel der Standardschnittstelle zugeordnet sind und Einrichtungselemente zum Erzeugen, Übertragen und Auswerten der Nachricht umfassen, die Einrichtungselemente zum Erzeugen der Nachricht in der elektrischen Funktionseinheit angeordnet sind, die Einrichtungselemente zum Auswerten der Nachricht im Röhrenbildschirmgerät angeordnet sind und die Einrichtungselemente derart betrieben werden, daß zum Einstellen des Röhrenbildschirmgerätes in einen vorbestimmten Energiesparzustand eine kodierte Nachricht erzeugt und ausgewertet wird, wodurch das Röhrenbildschirmgerät zunächst einen ersten vorbestimmten Energiesparzustand und zu einem späteren Zeitpunkt einen zweiten vorbestimmten Energiesparzustand einnimmt, wobei die elektrische Funktionseinheit (PC) eine Einrichtung zum Abschalten der Funktion der Übertragung der den Energiesparzustand des Röhrenbildschirmgerätes (M) steuernden Nachricht (PSB) aufweist und die Einrichtung zum Abschalten der Funktion der Übertragung der den Energiesparzustand des Röhrenbildschirmgerätes (M) steuernden Nachricht (PSG) durch einen Benutzer des Steuergerätes (PC) wahlfrei bedienbar ist." Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagte 4/5 und die Klägerin 1/5 zu tragen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 25. Januar 1993 ange- meldeten und u.a. mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 624 272 (Streitpatents), für das die Prioritäten der deutschen Patentanmeldungen 42 02 793 und 42 02 794 sowie der deutschen Gebrauchsmuster-Anmeldung 92 01 166, jeweils vom 31. Januar 1992, in Anspruch genommen worden sind. Das Streitpatent, das eine "elektrische Funktionseinheit mit in Energiesparzustände schaltbarem Röhrenbildschirmgerät" betrifft und vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer 593 00 827 geführt wird, umfaßt in der in der Verfahrenssprache Deutsch erteilten Fassung drei Patentansprüche. Patentanspruch 1 hat folgenden Wortlaut: "1. Elektrische Funktionseinheit (PC) und Röhrenbildschirmgerät (M) mit jeweiligen Anschlußpunkten für Verbindungsleitungen einer Standardschnittstelle (SS) zum Versorgen des Röhrenbildschirmgerätes mit für dessen grundlegende Funktion entsprechenden Signalen ausgehend von der elektrischen Funktionseinheit und mit aufeinander abgestimmten Mitteln (VC, PSB-DC) zur Übertragung einer Nachricht seitens der elektrischen Funktionseinheit an das Röhrenbildschirmgerät zur Steuerung des Röhrenbildschirmgerätes in einen Energiesparzustand,
d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , daß
die genannten Mittel der Standardschnittstelle zugeordnet sind und Einrichtungselemente zum Erzeugen, Übertragen
und Auswerten der Nachricht umfassen, daß die Einrichtungselemente zum Erzeugen der Nachricht in der elektrischen Funktionseinheit und zum Auswerten der Nachricht im Röhrenbildschirmgerät angeordnet sind und daß die Einrichtungselemente derart betrieben werden, daß zum Einstellen des Röhrenbildschirmgerätes in einem vorbestimmten Energiesparzustand eine kodierte Nachricht erzeugt und ausgewertet wird, wodurch das Röhrenbildschirmgerät zunächst einen ersten vorbestimmten Energiesparzustand und zu einem späteren Zeitpunkt wenigstens einen zweiten vorbestimmten Energiesparzustand einnimmt."
Wegen des Wortlauts der auf Patentanspruch 1 unmittelbar oder mittelbar zurückbezogenen Patentansprüche 2 und 3 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.
Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig. Er sei gegenüber den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen vom 25. Januar 1993 in unzulässiger Weise erweitert; denn dort sei nur "mindestens ein erster Energiesparzustand", nicht aber "ein erster und zu einem späteren Zeitpunkt wenigstens ein zweiter Energiesparzustand" offenbart. Darüber hinaus sei der Gegenstand des Streitpatents gegenüber der PCT-Anmeldung PCT/US 93/11579 (= WO 94/12969) mit der Priorität vom 2. Dezember 1992 nicht neu, da die Beklagte die Prioritäten vom 31. Januar 1992 zu Unrecht in Anspruch genommen habe.
Die Klägerin hat beantragt,
das europäische Patent 0 624 272 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
Die Beklagte hat um Klageabweisung gebeten. Hilfsweise hat sie das Streitpatent mit vier Hilfsanträgen verteidigt.
Das Bundespatentgericht hat unter Abweisung der weitergehenden Klage das europäische Patent 0 624 272 teilweise für nichtig erklärt und das Streitpatent in der Fassung des 4. Hilfsantrages der Beklagten neu formuliert. Dagegen wenden sich die Berufungen beider Parteien. Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Bundespatentgerichts die Nichtigkeitsklage mit der Maßgabe abzuweisen, daß das Wort "wenigstens" im Patentanspruch 1 entfällt.
Hilfsweise verteidigt sie Patentanspruch 1 des Streitpatents mit sechs zum Teil neuen Hilfsanträgen.
Die Klägerin beantragt,
1. die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
2. unter Abänderung des angefochtenen Urteils das Streitpatent in vollem Umfang für nichtig zu erklären.

Die Beklagte bittet um Zurückweisung des gegnerischen Rechtsmittels.
Als gerichtlicher Sachverständiger hat Prof. Dr. techn. J. S.
, ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat. Die Klägerin hat Gutachten des Prof. Dr.-Ing. N. F. , , und des Prof. Dr. H. M. , , vorgelegt.

Entscheidungsgründe:


Die zulässige Berufung der Klägerin hat zum Teil Erfolg. Sie führt unter Abänderung des angefochtenen Urteils zur weiteren Teilnichtigerklärung des Streitpatents; hingegen ist das Rechtsmittel der Beklagten unbegründet (Art. 138 Abs. 1 lit. a EPÜ, Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG).

I.


1. Das Streitpatent betrifft eine elektrische Funktionseinheit und ein Röhrenbildschirmgerät , das in Energiesparzustände geschaltet werden kann. Diese etwa in Form von Personalcomputer (PC) und Monitor (M) bekannten Geräte laufen an Arbeitsplätzen meist im Dauerbetrieb, obwohl sie häufig nur zu einem Bruchteil der Betriebszeit benutzt werden. Dabei verbraucht der Monitor unnötig Strom und erzeugt Wärme. Neben den vermeidbaren höheren Energiekosten verursacht die mit der Verlustleistung verbundene Wärmebildung eine be-
schleunigte Alterung des Monitors und seiner Bestandteile und verringert damit die Lebensdauer des Gerätes. Der nachteilige Energieverbrauch bei Nichtgebrauch läßt sich durch Abschalten des Geräts vermeiden. Ein völliges Abschalten bei kürzeren Nutzungspausen verbietet sich aber deshalb, weil das zu einem häufigen Ab- und Anschalten des Bildschirms führt, das dessen Bauteile wiederum altern läßt. Die genannten Nachteile können deutlich gemildert werden , wenn der Monitor während der Nutzungspausen lediglich in Zustände mit geringerem Energieverbrauch geschaltet wird.
Die Streitpatentschrift schildert einleitend Möglichkeiten, den Monitor bei längeren Ruhephasen in einen Energiesparzustand zu schalten (Sp. 1 Z. 16 bis 23). Danach ist bei fest miteinander verbundenen Geräten eine Steuerung der Energiesparzustände wegen der genauen gegenseitigen Abstimmung der Geräte problemlos möglich, weil z.B. die Synchronisierungssignale des Monitors abgeschaltet werden können. Die für diese Lösung erforderliche feste Verbindung schließt es - wie sich aus der Kritik der Streitpatentschrift am Stand der Technik ergibt - jedoch aus, Funktionseinheit und Monitor - wie insbesondere im Personalcomputerbereich üblich - frei auszuwählen; deren Kombination ist vielmehr durch die Funktion vorgegeben. Bei einer "offenen Anordnung", bei der Geräte unterschiedlicher Hersteller mit einer Standardschnittstelle betrieben werden, kann eine solche Steuerung in einen Energiesparzustand über die Standardschnittstelle nicht durchgeführt werden, weil nicht zur Anordnung gehörende Monitore ein nicht synchronisiertes Flimmerbild erzeugen würden (Sp. 1 Z. 24 ff.).
Nach den weiteren Ausführungen der Streitpatentschrift (Sp. 1 Z. 35 ff.) ist aus der europäischen Offenlegungsschrift 0 456 923 ein Bildschirmanzeigesystem mit einer Recheneinheit bekannt, das außer der üblichen Schnittstelle
für den Monitor eine zusätzliche serielle Schnittstelle für kodierte Signale zwischen Rechner und Monitor aufweist. Diese Druckschrift behandelt ebenso wie die amerikanische Patentschrift 5,059,961, bei der eine Dunkelschaltung des Bildschirms über ein Zeitüberwachungssystem bewirkt wird, nicht das Problem der Steuerung des Monitors in einen vorgegebenen Energiesparzustand. Der aus dem Abstract der japanischen Offenlegungsschrift 1 269 979 bekannte Monitor besitzt zwar eine Wartestellungsfunktion, wobei in einer Tastatursignalleitung eine Signalauswertungsschaltung vorgesehen ist, über die mittels eines Unterbrechungsschalters die Stromversorgung des Monitors abgeschaltet wird. Durch die Totalabschaltung bzw. die Aus- und Einschaltzyklen unterliegen die Bauteile des Monitors aber einem erheblichen Verschleiß. Zudem besteht bei Aufrechterhaltung der Röhrenheizung die Gefahr einer "Kathodenvergiftung". Aus dem deutschen Gebrauchsmuster 90 12 582 und der britischen Offenlegungsschrift 2 007 471 ist bekannt, zur Steuerung einer Wartestellungsfunktion des Bildschirms die Leitungsverbindungen, insbesondere die Videosignalleitung , einer Standardschnittstelle zum Betreiben des Monitors zu benutzen. Dabei ist nur eine Dunkelsteuerung der Bildröhre möglich, wodurch zwar ein Einbrennen der Bildröhreninnenfläche verhindert, jedoch wegen des ansonsten vollen Betriebszustandes keine Schonung der Bauteile durch Leistungsreduzierung oder Abschaltung erreicht wird. Die deutsche Patentschrift 38 37 620 schließlich regelt die Dunkelschaltung des Bildschirms über einen Näherungsschalter , der die Steuerung einer Wartestellungsfunktion unabhängig von der eigentlichen Steuerung des Monitors ermöglicht, den vollen Betriebszustand aber beibehält, so daß auch hier keine Schonung der Bauteile durch Reduzierung der Leistung oder durch Abschaltung erreicht wird. 2. Daraus ergibt sich das dem Streitpatent in der erteilten Fassung zugrundeliegende technische Problem, mit einer elektrischen Funktionseinheit (PC) das über die Standardschnittstelle angeschlossene Röhrenbildschirmgerät
(M) (stufenweise) in einen ersten und zu einem späteren Zeitpunkt in einen zweiten Energiesparzustand steuern (und später komplett abschalten) zu können.
3. Dies wird gemäß Patentanspruch 1 mit folgenden Merkmalen erreicht:
1. Elektrische Funktionseinheit (PC) und Röhrenbildschirmgerät (M)
1.1 mit jeweiligen Anschlußpunkten für Verbindungsleitungen einer Standardschnittstelle (SS) zum Versorgen des Röhrenbildschirmgerätes mit für dessen grundlegende Funktion entsprechenden Signalen ausgehend von der elektrischen Funktionseinheit und 1.2 aufeinander abgestimmten Mitteln (VC, PSB-DC) zur Übertragung einer Nachricht seitens der elektrischen Funktionseinheit an das Röhrenbildschirmgerät zur Steuerung des Röhrenbildschirmgerätes in einen Energiesparzustand ; 2.1 die genannten Mittel sind der Standardschnittstelle zugeordnet und 2.2 umfassen Einrichtungselemente zum Erzeugen, Übertragen und Auswerten der Nachricht; 2.2.1 die Einrichtungselemente zum Erzeugen der Nachricht sind in der elektrischen Funktionseinheit angeordnet ,
2.2.2 die Einrichtungselemente zum Auswerten der Nach- richt sind im Röhrenbildschirmgerät angeordnet: 2.2.3 die Einrichtungselemente werden derart betrieben, daß zum Einstellen des Röhrenbildschirmgerätes in einen vorbestimmten Energiesparzustand eine kodierte Nachricht erzeugt und ausgewertet wird, 2.2.3.1 wodurch das Röhrenbildschirmgerät zunächst einen ersten vorbestimmten Energiesparzustand und zu einem späteren Zeitpunkt wenigstens einen zweiten vorbestimmten Energiesparzustand einnimmt.
Nach der von der Beklagten im Berufungsverfahren mit Hauptantrag verteidigten Fassung des Streitpatents ist in Merkmal 2.2.3.1 das Wort "wenigstens" gestrichen. 4. Die in Patentanspruch 1 des Streitpatents beschriebene Lehre betrifft die Realisierung einer Energiezustandssteuerung zur Bauteileschonung (nicht zur reinen Minimierung des Energieverbrauchs) über eine unveränderte Standardschnittstelle , wobei auch bei einer Kombination einer beliebigen elektrischen Funktionseinheit (PC) mit einem beliebigen Röhrenbildschirmgerät (M) ("offene" Anordnung) eine unbeeinträchtigte Nutzung der Grundfunktion der Bilddarstellung sichergestellt ist (Sp. 3 Z. 54 ff.). Die Zusatzfunktion der Energiezustandssteuerung wird dabei dadurch erreicht, daß sowohl die Funktionseinheit als auch der Monitor entsprechend der Lehre des Streitpatents modifiziert sind. Fehlt es daran bei einem der beiden zusammenwirkenden Geräte, verbleibt es bei den eine Schaltung in einen Energiesparzustand nicht ein-
schließenden Grundfunktionen, die insbesondere mit der Darstellung des jeweiligen Bildes auf dem Monitor jedoch uneingeschränkt zur Verfügung stehen. Bei der patentgemäßen Ausgestaltung ist darüber hinaus im Steuergerät und im Monitor eine Erweiterung der mit der Standardschnittstelle verbundenen Schaltungsteile vorgesehen, die eine Übertragung einer in der Funktionseinheit erzeugten, kodierten Nachricht zur Steuerung der Energiesparzustände erlaubt. Dabei werden die Mittel, die in der Funktionseinheit die Nachricht erzeugen, diese über die Standardschnittstelle übertragen und die im Monitor diese empfangen und auswerten, nur ihrer Funktion nach beschrieben. Die Lehre des Patentanspruchs 1 umfaßt alle möglichen Übertragungen über eine Standardschnittstelle. Als ein Beispiel der technischen Umsetzung dieser Informationsübertragung wird im beschreibenden Teil der Streitpatentschrift anhand der Zeichnung erläutert (Sp. 4 Z. 53 ff.), daß die die Standardschnittstelle ansteuernde Schaltung in der Funktionseinheit um einen Videocoder (VC) erweitert wird, der die Standardsignale (VS, HSYNC und VSYNC) so verändert, daß neben der Grundfunktion der Bilddarstellung auch eine Übertragung der zusätzlichen Nachricht ermöglicht wird. Als Beispiele werden das Einfügen der Nachricht während des Strahlrücklaufs (Austastlücke) und auch die vollständige oder teilweise Abschaltung der Synchronisierungssignale genannt. Die an der Standardschnittstelle angeschlossene Empfängerschaltung des Monitors wird um einen Power-Stand-By-Decoder (PSB-DC) erweitert, der die Nachricht aus den empfangenen Signalen herausfiltert (Sp. 5 Z. 6 ff.). Die Bauteile schonenden Energiesparzustände sind dahin beschränkt, daß der Monitor zunächst den ersten vorbestimmten Energiesparzustand und zu einem späteren Zeitpunkt einen zweiten vorbestimmten Energiesparzustand einnimmt. Dabei besteht die Möglichkeit, nach einer ersten Zeitspanne nur diejenigen Teile des Monitors abzuschalten, deren Abschaltung einem schnellen Wiederstart nicht entgegen-
steht. Nach einer zweiten Zeitspanne kann der Monitor dann "komplett abgeschaltet werden, womit eine einhundertprozentige Energieeinsparung erzielt wird" (Sp. 3 Z. 46 bis 53). Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung mit den Parteien und dem gerichtlichen Sachverständigen den Begriff "Energiesparzustand" im Sinne der Lehre des Patentanspruchs 1 des Streitpatents vor allem im Hinblick auf den in Merkmal 2.2.3.1 vorgesehenen "zweiten vorbestimmten Energiesparzustand" eingehend erörtert. Nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen geht der Senat davon aus, daß der hier einschlägige Fachmann, ein an einer Fachhochschule oder Universität ausgebildeter Diplom-Ingenieur der Elektrotechnik mit der Fachrichtung der Nachrichtentechnik (Informationstechnik ) und mehrjähriger Erfahrung in einem Entwicklungslabor, den Begriff "Energiesparzustand" im Sinne des Streitpatents von seiner Funktion her versteht: Es sollen jeweils nur diejenigen Bauteile des Monitors abgeschaltet werden, die schnell etwa durch eine Dateneingabe wieder zu aktivieren sind, wenn eine erneute Benutzung des Gerätes gewünscht wird. Demgegenüber wird das völlige Abschalten der Geräte, bei dem jede Energiezufuhr unterbrochen wird, als Grenzfall verstanden, der eher nicht unter den Begriff des Energiesparzustandes im Sinne des Streitpatents subsumiert wird, weil es ein mechanisches Einschalten des Geräts erfordert, eine erneute Aktivierung aber nicht durch bloße Benutzung zu erreichen ist. In diesem Verständnis bestätigt sieht sich der Fachmann dadurch, daß in Spalte 3 Zeilen 23 ff. der Streitpatentschrift ausgeführt wird, es solle die Möglichkeit bestehen, durch Aussenden einer Nachricht an den Monitor durch Leistungsreduzierung oder Abschaltung einen ersten und zu einem späteren Zeitpunkt einen zweiten vorgegebenen, möglichst viele Bauteile schonenden Energiesparzustand des Monitor zu steuern. Daraus entnimmt der Fachmann, daß der Monitor stufenweise heruntergefahren werden soll, aber gleichwohl eine schnelle Reaktivierungsmöglichkeit verbleiben soll,
um bei Bedarf eine bequeme Reaktivierung durch den Benutzer zu ermöglichen. Dies ist nur möglich, wenn eine Stand-By-Schaltung verbleibt. Dagegen spricht auch nicht die in der Streitpatentschrift genannte japanische Offenlegungsschrift 1 269 979. Auch bei dieser Vorrichtung wird, wie in der mündlichen Verhandlung mit Hilfe des gerichtlichen Sachverständigen klargestellt worden ist, der Monitor nicht vollständig abgeschaltet. Vielmehr wird das Gerät bei Nichtbenutzung bis zum Stand-By-Zustand mit dem Ziel heruntergefahren , es bei Erfordernis aktivieren zu können (S. 3 Abs. 2 und 3 der Übersetzung).

II.


1. Der Gegenstand des Streitpatents in der mit Hauptantrag verteidigten Fassung geht nicht über die Gesamtheit der Anmeldungsunterlagen in der ursprünglichen Fassung vom 25. Januar 1993 hinaus.
In Patentanspruch 1 der PCT-Anmeldung PCT/DE 93/00056 wird Schutz begehrt für eine Geräteanordnung bestehend aus einer elektrischen Funktionseinheit und einem Röhrenbildschirmgerät "mit jeweiligen Anschlußpunkten für Verbindungsleitungen einer Standardschnittstelle zum Versorgen des Röhrenbildschirmgerätes für dessen grundlegende Funktion mit entsprechenden Signalen ausgehend von der Funktionseinheit" (Merkmal 1.1) und "mit aufeinander abgestimmten Mitteln zur Übertragung einer Nachricht seitens der elektrischen Funktionseinheit an das Röhrenbildschirmgerät zur Steuerung des Röhrenbildschirmgerätes in einen Energiesparzustand" (Merkmal 1.2). Diese Geräteanordnung ist dadurch gekennzeichnet, "daß die Mittel Einrichtungselemente zur Erzeugung in der elektrischen Funktionseinheit (PC), zur Übertragung und zur Auswertung im Röhrenbildschirmgerät (M) der den Energiespar-
zustand des Röhrenbildschirmsgerätes (M) steuernden Nachricht (PSB) in kodierter Form umfassen" (Merkmale 2.1 - 2.2.3.). Nach der Beschreibung der PCT-Anmeldung wird durch diese Steuerung des Röhrenbildschirmgerätes in einen Energiesparzustand die Möglichkeit geschaffen, "nach einer ersten Zeitspanne nur diejenigen Teile des Röhrenbildschirmgerätes abzuschalten, die für einen schnellen Wiederstart nicht erforderlich sind. Damit ist ein Bauteile schonender Energiesparbetrieb möglich. Nach einer zweiten Zeitspanne kann das Röhrenbildschirmgerät dann komplett abgeschaltet werden, womit eine einhundertprozentige Energieeinsparung erzielt wird" (S. 3 Z. 20 bis 30). Als Ausführungsbeispiel dieser Lehre werden in den Figuren 1 bis 7 eine Standardschnittstelle SS bestehend aus drei Leitungsverbindungen beschrieben, von denen zwei für die Übertragung von Synchronisiersignalen HSYNC, VSYNC in X- bzw. Y-Richtung des Bildschirms des Monitors und die dritte für die Übertragung eines Videosignals VS dienen können. Es wird darauf hingewiesen, daß aber auch beliebig andere Standardschnittstellen denkbar sind (S. 4 Z. 33 bis S. 5 Z. 3). Nach dem Beispiel gemäß Figur 3 wird die Nachricht zur Steuerung des Energiesparzustandes des Monitors in kodierter Form auf den Leitungsverbindungen der Standardschnittstelle übertragen, wobei nach entsprechenden Veränderungen des Steuergerätes PC und des Monitors M beispielsweise die Nachricht während des Strahlrücklaufs (Austastlücke) eingefügt werden kann.
Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung ist der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents gegenüber der Offenbarung der PCT-Anmeldung jedenfalls nicht erweitert. Denn diese enthält ebenso wie Patentanspruch 1 des Streitpatents die Aussagen, daß eine Nachricht in der Funktionseinheit (PC) erzeugt, übertragen und im Röhrenbildschirmgerät (M) ausgewertet wird und daß diese Nachricht (PSB, Power Stand-By) den Energiesparzustand des Röhrenbildgerätes (M) in mehreren Stufen steuert. Der gerichtliche Sach-
verständige hat überzeugend ausgeführt, daß der einschlägige Fachmann den Begriff "Energiesparzustand" im Zusammenhang der genannten Beschreibungsstelle der PCT-Anmeldung (S. 3 Z. 20 bis 30) in einem allgemeinen Sinn als einen Bauteile schonenden Zustand versteht, in dem Energie gespart wird, wobei unterschiedliche Stufen des Energiesparens in diesem Begriff zusammengefaßt werden. Ausgehend von ihrer Funktion sehe der Fachmann, so der gerichtliche Sachverständige, auch eine komplette Abschaltung als Energiesparzustand im Sinne dieser Druckschrift an, wobei trotz des Hinweises, mit der kompletten Abschaltung des Röhrenbildschirmgerätes könne eine hundertprozentige Energieeinsparung erzielt werden (S. 3 Z. 29 f.), auch hier nur an ein Herunterfahren bis zur Stand-By-Position gedacht sei; denn auch bei der Lehre der PCT-Anmeldung gehe es um ein Bauteile schonendes Energiesparen mit der Möglichkeit eines bequemen und schnellen Wiederstarts. Ein völliges Abschalten schone Bauteile aber nicht.
2. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der verteidigten Fassung ist aber nicht neu (Art. 52 EPÜ); er ist durch die PCT-Anmeldung PCT/US 93/11579 (= WO 94/12969) neuheitsschädlich getroffen, weil das Streitpatent die Prioritäten der deutschen Patentanmeldungen 42 02 793 und 42 02 794 sowie der deutschen Gebrauchsmuster-Anmeldung 92 01 166, jeweils vom 31. Januar 1992, nicht in Anspruch nehmen kann.

a) Art. 87 Abs. 1 EPÜ gewährt jedermann für die Anmeldung derselben Erfindung zum europäischen Patent während einer Frist von zwölf Monaten nach der Einreichung der ersten Anmeldung ein Recht auf Inanspruchnahme der Priorität (Prioritätsrecht). Priorität für einen Anspruch in einer europäischen Patentanmeldung gemäß Art. 88 EPÜ kann jedoch nur dann in Anspruch genommen werden, wenn der Fachmann den Gegenstand des Anspruchs unter
Heranziehung des allgemeinen Fachwissens unmittelbar und eindeutig der frü- heren Anmeldung als Ganzes entnehmen kann. Der Gegenstand der beanspruchten Erfindung muß im Prioritätsdokument identisch offenbart sein; es muß sich um dieselbe Erfindung handeln (EPA GBK - G 2/98 - GRUR Int. 2002, 80; EPA ABl. 1993, 40). Dabei ist die Offenbarung des Gegenstandes der ersten Anmeldung jedoch nicht auf die dort formulierten Ansprüche beschränkt; vielmehr ist dieser aus der Gesamtheit der Anmeldungsunterlagen zu ermitteln. Maßgeblich ist das Verständnis der Fachmanns zum Zeitpunkt der Einreichung der (prioritätsbeanspruchenden) europäischen Patentanmeldung. Für die Beurteilung der identischen Offenbarung gelten die Prinzipien der Neuheitsprüfung (EPA GBK - G 2/98 - GRUR Int. 2002, 80; EPA ABl. 1990, 250; EPA ABl. 1993, 40; vgl. auch Sen.Urt. v. 11.9.2001 - X ZR 168/98, BGHZ 148, 383 = GRUR 2002, 146 - Luftverteiler; Benkard/Ullmann/Grabinski, EPÜ, Art. 88 Rdn. 8).

b) Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben. Die deutsche Patentanmeldung 42 02 793 betrifft wie das Streitpatent eine sog. offene "Geräteanordnung" , bei dem ein Steuergerät mit einem Röhrenbildschirmgerät über eine Standardschnittstelle verbunden ist. Diese Geräteanordnung ist dadurch gekennzeichnet , "daß zwischen dem Steuer- (PC) und dem Röhrenbildschirmgerät (M) Mittel für eine von der Funktion der Standardschnittstelle (SS) unabhängige Übertragung einer die Wartestellungsfunktion des Röhrenbildschirmgerätes (M) steuernden Nachricht (PSB) seitens des Steuergerätes (PC) an das Röhrenbildschirmgerät (M) vorgesehen sind". Über die Ausgestaltung der Nachricht oder die Wartestellungsfunktion enthält die Patentanmeldung allerdings keine expliziten Informationen. Zwar wird einleitend in der Beschreibung (S. 1 Z. 9 ff.) auf die Notwendigkeit hingewiesen, den Energieverbrauch während der Benutzungspausen zu reduzieren. Jedoch wird in der Patentan-
meldung nur von einer "Wartestellung", die nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen inhaltlich dem in der Streitpatentschrift offenbarten "Energiesparzustand" entspricht, und von einer "Wartestellungsfunktion" gesprochen. In der Beschreibung heißt es, Aufgabe der Erfindung sei, "eine Geräteanordnung der eingangs genannten Art anzugeben, bei der die Möglichkeit besteht, seitens des Steuergerätes die Wartestellungsfunktion des Röhrenbildschirmgerätes zu steuern, ohne daß damit die Verwendung der Einzelgeräte auf eine Anordnung beschränkt ist, bei der sowohl das Steuergerät die Wartestellung des Röhrenbildschirmgerätes steuern kann, als auch das Röhrenbildschirmgerät bezüglich einer Wartestellungsfunktion steuerbar ist" (S. 2 Z. 1 bis 9). Zum Ausführungsbeispiel in Figur 1 wird ausgeführt, daß eine zur Steuerung der Wartestellungsfunktion des Monitors M maßgebende Nachricht seitens des Steuergerätes PC an den Monitor M unabhängig von der Standardschnittstelle SS auf der Leitungsverbindung ZV übertragen werden kann und der Monitor M auf Grund der Nachricht nach Ablauf einer vorgegebenen Zeitspanne in eine Wartestellung schaltet (S. 3 Z. 27 bis 34). In Figur 3, die dem einzigen Ausführungsbeispiel der Streitpatentschrift entspricht, wird die Nachricht zur Steuerung der Wartestellungsfunktion des Monitors M in kodierter Form auf den Leitungsverbindungen der Standardschnittstelle SS übertragen, so daß außer den Leitungsverbindungen der Standardschnittstelle SS keine weiteren Leitungsverbindungen benötigt werden (S. 4 Z. 10 ff.). Dazu ist das Steuergerät mit einem Videocoder VC ausgestattet, der die Nachricht kodiert und in das Videosignal integriert. Der Monitor M weist einen "Power-Stand-By"-Decoder PSB-DC auf, der aus den übertragenen Signalen eine für die Steuerung der Wartestellungsfunktion maßgebende Nachricht PSB herausfiltert. Als vorteilhaft wird geschildert, wenn die Steuereinheit eine Einrichtung zum Abschalten der den PSB-Decoder steuernden Funktion aufweist, die z.B. von einem Benutzer des Steuergeräts wahlfrei bedient werden kann (S. 4 Z. 32 bis 38).
Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung, insbesondere den ergänzenden und klarstellenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen , ist der Senat davon überzeugt, daß die deutsche Patentanmeldung 42 02 793 dem einschlägigen Fachmann explizit nur eine Wartestellung offenbart. Dieser hatte auch keine Veranlassung, aus der ausdrücklichen Erwähnung einer eine Wartestellung bzw. Wartestellungsfunktion steuernden Nachricht auf mehrere mögliche Nachrichten und mehrere Wartestellungen zu schließen. Ein Hinweis in dieser Richtung ergibt sich weder aus dem Wortlaut der Ansprüche und der Beschreibung der Patentanmeldung noch aus einer speziellen Interpretation der Fachbegriffe "Nachricht" und "Wartestellungsfunktion". Zwar ist nach Auffassung des gerichtlichen Sachverständigen das Ein- und Ausschalten des Monitors als Teil der Wartestellungsfunktion anzusehen und in den Unteransprüchen 9 und 10 auch ausdrücklich erwähnt. Mehrere Zustände seien auch denkbar, etwa bei Benutzung der in dem Ausführungsbeispiel Figur 3 ausdrücklich genannten SYNC-Signale. Zwingend sei dies für den Fachmann aber nicht und auch nicht aus der Patentanmeldung zu entnehmen.
Die Patentanmeldung 42 02 794, die ein Röhrenbildschirmgerät betrifft, und das deutsche Gebrauchsmuster 92 01 166, das eine elektrische Funktionseinheit zum Gegenstand hat, kommen für die Beurteilung der Priorität nicht in Betracht, weil sie ebenfalls nicht dieselbe Erfindung wie das Streitpatent betreffen.
c) Die von der Klägerin allein entgegengehaltene PCT-Anmeldung PCT/US 93/11579 (= WO 94/12929), die am 9. Juni 1994 nach dem Anmeldetag des Streitpatents veröffentlicht worden ist, ist bei der Neuheitsprüfung des Streitpatents als Stand der Technik zu berücksichtigen (Art. 54 Abs. 2 und 3
EPÜ), weil sie wirksam die Priorität der US-Anmeldung 07/984,370 vom 2. Dezember 1992 in Anspruch genommen hat.
Auf Grund der eingehenden Erörterung in der mündlichen Verhandlung sieht der Senat als erwiesen an, daß die PCT/US 93/11579, die ein "Stand-BySystem mit niedrigem Energieverbrauch für einen Monitor" betrifft, alle Merkmale des Patentanspruchs 1 des Streitpatents in der verteidigten Fassung des Hauptantrages neuheitsschädlich vorwegnimmt. Diese Druckschrift befaßt sich mit einem Computer, der über eine beliebige Schnittstelle und ein Kabel mit einem Monitor verbunden ist, wobei der Computer horizontale SYNC- (HSYNC) und vertikale SYNC- (VSYNC) sowie Videosignale an den Monitor sendet, um dort ein Bild herzustellen. Bei Bedarf kann der Monitor in unterschiedliche Energieverbrauchszustände (Energiesparzustände) geschaltet werden. Für die Steuerung dieser Zustände werden zunächst die Zeiten der Inaktivität seit der letzten Aktivität des Benutzers gemessen. Die Steuerung erfolgt sodann durch Signale über eine Standardschnittstelle (VGA-Kabel) an den Monitor. Nach dem Ausführungsbeispiel 2 B sind zwei Energiesparzustände vorgesehen. Durch Abschalten von Schaltkreisen wird in einem ersten Schritt (Niveau Zwei der Signalleitung ) der Energieverbrauch des Bildschirms um 80 bis 90 % reduziert und sodann der Verbrauch in einem zweiten Schritt (Niveau Eins) durch weiteres Abschalten mit Ausnahme des Microcontrollers um mehr als 90 % abgesenkt (S. 9 Abs. 1 der Übersetzung).

III.

Patentanspruch 1 des Streitpatents ist auch in den Fassungen der Hilfsanträge 1, 3 a, 3 b und 4 nicht patentfähig.
1. Von Patentanspruch 1 in der Fassung des Hauptantrages unterscheidet sich Hilfsantrag 1 lediglich durch folgenden (markierten) Zusatz zu Merkmal 2.2.3.1: "wodurch das Röhrenbildschirmgerät zunächst in einen ersten vorbestimmten Energiesparzustand und zu einem späteren Zeitpunkt einen zweiten vorbestimmten Energiesparzustand einnimmt , der ein Abschaltzustand sein kann".
Hilfsantrag 1 enthält damit keine Beschränkung des Gegenstandes des Patentanspruchs 1 gegenüber der Fassung des Hauptantrages. Vielmehr wird der zweite Energiesparzustand nur erläuternd in einer Form beschrieben, die den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen zufolge in Merkmal 2.2.3.1 der verteidigten Fassung enthalten ist. Wie bereits oben ausgeführt, versteht der einschlägige Fachmann das Abschalten des Monitors als Grenzfall des Energiesparzustandes. Entscheidend kommt hinzu, daß die Erläuterung lediglich eine mögliche Ausführungsform beschreibt, die wiederum nicht ausschließt , daß der weite Zustand auch ein bloßer Stand-By-Zustand und damit eine zweite Wartestellung sein kann. Damit gelten für die rechtliche Bewertung die gleichen Grundsätze wie für den Hauptantrag, von dem sich der erste Hilfsantrag insoweit sachlich nicht unterscheidet.
2. Nach Hilfsantrag 3 a erhält Merkmal 2.2.3 folgende Fassung:
"und die Einrichtungselemente derart betrieben werden, daß zum Einstellen des Röhrenbildschirmgerätes in einen vorbestimmten Energiesparzustand eine von der Funktion der Standardschnittstelle (SS) unabhängige kodierte Nachricht erzeugt , übertragen und ausgewertet wird, wobei zur Auswer-
tung der an den Monitor (M) übertragenen Nachricht der Monitor (M) einen Decoder (PSB-DC) aufweist, der durch vollständigen oder teilweisen Entzug der SYNC-Signale aktiviert wird".
Es kann dahinstehen, ob diese Ergänzung des Merkmals mangels Bestimmtheit unzulässig ist. Jedenfalls ist Patentanspruch 1 in dieser beanspruchten Fassung nicht offenbart. Zwar wird in der Beschreibung des Streitpatents (Sp. 5 Z. 6 bis 14) und der internationalen Anmeldung PCT/DE 93/00056 (S. 6 Z. 19 bis 25) ein Monitor dargestellt, der einen "Power-StandBy" -Decoder (PSB-DC) aufweist. Dieser soll zum einen in der Lage sein, aus den übertragenen Signalen eine für die Steuerung des Energiesparzustandes maßgebende Nachricht PSB herauszufiltern. Zum anderen soll er durch vollständiges oder teilweises Abschalten der SYNC-Signale dazu veranlaßt werden können, einen "Power-Stand-By"-Zustand zu aktivieren. Nicht offenbart ist hingegen , daß zur Steuerung der Energiesparzustände eine von der Funktion der Standardschnittstelle unabhängige kodierte Nachricht erzeugt werden soll und daß der Decoder durch vollständigen oder teilweisen Entzug der SYNC-Signale aktiviert werden soll.
3. Hilfsantrag 3 b ergänzt Merkmale 2.2.3 und 2.2.3.1 wie folgt: "und die Einrichtungselemente derart betrieben werden, daß zum Einstellen des Röhrenbildschirmgerätes in einen vorbestimmten Energiesparzustand eine kodierte Nachricht in Form von vollständigem oder teilweisem Entzug der SYNC-Signale erzeugt, von der Funktion der Standardschnittstelle (SS) unabhängig übertragen und ausgewertet wird, wobei zur Aus-
wertung der an den Monitor (M) übertragenen Nachricht der Monitor (M) einen Decoder (PSB-DC) aufweist 2.2.3.1. und infolge der Nachricht das Röhrenbildschirmgerät zunächst in einen ersten vorbestimmten Energiesparzustand und zu einem späteren Zeitpunkt in einen zweiten vorbestimmten Energiesparzustand steuert".
Der Hilfsantrag ist zulässig. Patentanspruch 1 in der Fassung dieses Hilfsantrages ist in der Streitpatentschrift (Sp. 5 Z. 6 bis 14) und in der internationalen Anmeldung PCT/DE 93/00056 (S. 6 Z. 19 bis 25) offenbart. Danach kann die kodierte Nachricht, welche die beiden Energiesparzustände steuert, in Form von vollständigem oder teilweisem Entzug der SYNC-Signale erzeugt, von der Funktion der Standardschnittstelle unabhängig übertragen und von einem PSB-Decoder des Monitors mit der Folge ausgewertet werden, daß das Röhrenbildschirmgerät zunächst in einen ersten vorbestimmten Energiesparzustand und zu einem späteren Zeitpunkt in einen zweiten vorbestimmten Energiesparzustand gesteuert wird. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der Fassung des Hilfsantrags 3 b ist aber ebenfalls nicht neu. Auch er kann die Priorität der deutschen Patentanmeldung 42 02 793 nicht in Anspruch nehmen, weil durch ihn - anders als in der Patentanmeldung - zwei Energiesparzustände beansprucht werden. Neuheitsschädlich steht damit auch ihm die internationale Anmeldung PCT/US 93/11579 entgegen. Wie bereits oben dargestellt, offenbart diese ein System für einen Universalrechner, welcher mit Hilfe der SYNC-Signale dem Monitor signalisiert , verschiedene Zustände anzunehmen, wobei in einem Ausführungsbeispiel zwei Sparzustände genannt werden (S. 9 Abs. 1 der Übersetzung). Das System umfaßt Zeitmeßmittel zur Messung von Perioden der Inaktivität sowie
"Mittel zum Abschalten der Synchronisation für die Unterbrechung von wenigstens einem der beiden Signale HSYNC und VSYNC zum Monitor in Abhängigkeit der Überlaufzustände der Zeitmeßmittel" (S. 3 Abs. 2 der Übersetzung). Bei einer bevorzugten Ausführungsform wird geschildert, daß das Signal zum Bildschirm auf der Unterbrechung eines der beiden HSYNC- oder VSYNC-Signale basiert (S. 6 Abs. 1 der Übersetzung). Damit nimmt diese Druckschrift die mit Hilfsantrag 3 b beanspruchten Merkmale vorweg. Auf mögliche Bedenken gegenüber dem in dieser Fassung des Anspruchs enthaltenen Merkmal, "von der Standardschnittstelle unabhängig", auf dessen Aufnahme die Beklagte hilfsweise verzichtet hat, kommt es daher in diesem Zusammenhang nicht an.
4. Nach Hilfsantrag 4 wird der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der Fassung des Hauptantrags durch Merkmal 3 in folgender Fassung ergänzt:
"wobei die Nachricht zur Steuerung des Energiesparzustandes des Monitors (M) in kodierter Form auf den Leitungsverbindungen für das Videosignal (VS) und für die beiden Synchronisiersignale (HSYNC und VSYNC) der Standardschnittstelle (SS) übertragen wird."
Mit diesem Hilfsantrag wird eine spezielle Übertragungsart zum Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents gemacht. Dieser Gegenstand ist jedenfalls in Figur 1 der Streitpatentschrift und in Figur 3 der internationalen Anmeldung PCT/DE 93/00056 offenbart. Da auch hier zwei Energiesparzustände beansprucht werden, kann er ebenfalls die Priorität der deutschen Patentanmeldung 42 02 793 nicht für sich in Anspruch nehmen. Auch dieser Fassung des Patentanspruchs 1 steht die internationale Anmeldung PCT/US 93/11579 neuheitsschädlich entgegen. Diese bereits genannte Druck-
schrift schildert ein Stand-By-System mit niedrigem Energieverbrauch für einen Monitor, bei dem die Nachricht zur Steuerung der Energiesparzustände des Monitors über die Leitungsverbindungen für das Videosignal und für die SYNCSignale der Standardschnittstelle übertragen werden können (S. 10 der Übersetzung und Fig. 3).

IV.


Bestand hat Patentanspruch 1 des Streitpatents hingegen in der Fassung des 5. Hilfsantrages, bei dem der Fassung des Hauptantrages die weiteren Merkmale 3 und 4 mit folgendem Wortlaut angefügt sind:
"3. wobei die elektrische Funktionseinheit eine Einrichtung zum Abschalten der Funktion der Übertragung der den Energiesparzustand des Röhrenbildschirmgerätes (M) steuernden Nachricht (PSB) aufweist
4. und die Einrichtung zum Abschalten der Funktion der Übertragung der den Energiesparzustand des Röhrenbildschirmgerätes (M) steuernden Nachricht (PSB) durch einen Benutzer des Steuergerätes (PC) wahlfrei bedienbar ist."
Diese Fassung beschränkt den Gegenstand des Patentanspruchs 1 durch kumulative Aufnahme der in den Patentansprüchen 2 und 3 der erteilten Fassung beanspruchten Ausführungsbeispiele. Danach soll die Funktion der Übertragung der den Energiesparzustand des Monitors steuernden Nachricht mit einer Einrichtung des Computers abgeschaltet (Merkmal 3) und ferner dem Benutzer die Möglichkeit eröffnet werden, die Einrichtung zum Abschalten
wahlfrei zu bedienen. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in dieser Fas- sung ist auch nicht unzulässig gegenüber der PCT-Anmeldung 93/00056 erweitert , weil der Gegenstand der Unteransprüche 2 und 3 der erteilten Fassung in den Unteransprüchen 9 und 10 der ursprünglichen Fassung enthalten und in der Anmeldung (S. 6 Z. 24 ff.) beschrieben ist. In der Fassung des Hilfsantrages 5 kann Patentanspruch 1 ebenso wie die erteilte Fassung des Streitpatents die Priorität der deutschen Anmeldung 42 02 793 nicht für sich in Anspruch nehmen, weil anders als bei dieser zwei Energiesparzustände vorgesehen sind. Patentanspruch 1 in der Fassung des Hilfsantrages 5 ist aber gegenüber der bereits erwähnten internationalen Anmeldung PCT/US 93/11579 neu (Art. 52 EPÜ). Diese Druckschrift schildert alternative Ausführungsbeispiele, die es dem Benutzer erlauben, die Steueroperation über Befehlsschritte, wie z.B. Menüs, Dialogboxen oder Kommandozeilen zu steuern. Solche Steuerungen können das bewußte Abschalten der Bildschirmenergie durch Drücken einer "Spezialtaste", durch Eingabe einer Kommandozeile oder eines anderen Programmschnittstellenschritts , einschließen. Andere Eigenschaften können dem Benutzer erlauben, die Ruhezeit, die benötigt wird, um das Bildschirmenergieemanagement (MPM) auszulösen, zu verändern und die MPM-Überwachung ein- oder auszuschalten. Die internationale Anmeldung offenbart damit zwar Mittel, auf die Zeitdauer einzuwirken, die Ruhezeit, die benötigt wird, um das Bildschirmenergiemanagement auszulösen, zu verändern, sowie Mittel, um die MPM-Überwachung ein- und auszuschalten. Die Druckschrift enthält aber keinen Hinweis dahin, das den Energiezustand im Monitor steuernde Signal bei seinem Entstehen durch Einrichtungen in der elektrischen Funktionseinheit abzuschalten und die Einrichtung hierfür durch den Benutzer wahlfrei bedienbar zu machen.
Patentanspruch 1 in der vorliegenden Fassung beruht auch auf erfinderi- scher Tätigkeit (Art. 56 EPÜ). Das Patentamt und das Bundespatentgericht haben dies festgestellt. Entgegenstehenden Stand der Technik haben die Parteien nicht in das Verfahren eingeführt.

V.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO, 110 Abs. 3 PatG.
Melullis Jestaedt Scharen
Mühlens Meier-Beck
17
a) Bei Anmeldung eines Patents kann das Prioritätsrecht einer vorangegangenen Anmeldung in Anspruch genommen werden, wenn beide dieselbe Erfindung betreffen (Art. 87 Abs. 1 EPÜ). Diese Voraussetzung ist nach der Rechtsprechung des Senats erfüllt, wenn die mit der Nachanmeldung beanspruchte Merkmalskombination in der Voranmeldung in ihrer Gesamtheit als zu der angemeldeten Erfindung gehörend offenbart ist (BGHZ 148, 383 - Luftverteiler; vgl. auch Busse/Keukenschrijver, PatG 6. Aufl. § 40 Rdn. 16; Benkard/Ullmann/Grabinski, EPÜ Art. 88 Rdn. 9). Der Gegenstand der Erfindung ist bei der prioritätsbeanspruchenden Anmeldung aus den Patentansprüchen zu ermitteln, bei der prioritätsbegründenden aus der Gesamtheit der Anmeldungsunterlagen. Ebenso wenig wie eine Beschränkung des Gegenstands der Erfindung in der Nachanmeldung dessen Identität mit dem (weiteren) Gegenstand der prioritätsbegründenden Anmeldung aufhebt (vgl. Benkard /Ullmann/Grabinski aaO Art. 88 Rdn. 10 m.w.N.), wird das Prioritätsrecht der Nachanmeldung davon berührt, dass ihr Gegenstand erst nach Patenterteilung infolge nachträglicher Beschränkung deckungsgleich mit der prioritätsbegründenden Anmeldung wird (vgl. Sen.Urt. v. 14.10.2004 - X ZR 4/00, GRUR 2004, 133 - elektronische Funktionseinheit). Entscheidend ist, dass der beschränkte Gegenstand in der Nachanmeldung enthalten war und insoweit mit der ersten Anmeldung übereinstimmt. Dabei muss der Gegenstand der beanspruchten Erfindung der früheren Anmeldung in ihrer Gesamtheit unmittelbar und eindeutig entnommen werden können. Für die Beurteilung der identischen Offenbarung gelten die Prinzipien der Neuheitsprüfung (vgl. BGHZ 148, 383 - Luftverteiler; Senat GRUR 2003, 133 - elektronische Funktionseinheit, jew. mwN). Aus diesem engen Verständnis des Begriffs "derselben Erfindung" folgt indes nicht, dass die Identität bei jeder äußerlichen Inkongruenz von Text oder Zeichnung der prioritätsbegründenden und -beanspruchenden Anmeldung entfällt. Wenn beide nur deshalb nicht deckungsgleich sind, weil in Letzterer erkennbar lediglich sprachliche oder zeichnerische Unvollkommenheiten der Ersteren behoben worden sind, ohne dass unterschiedliche Erfindungsgegenstände oder Erweiterungen vorliegen, ist die erforderliche unmittelbare und eindeutige Übereinstimmung gewahrt.

(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend.

(2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkosten (§§ 91 bis 101) sind entsprechend anzuwenden, soweit nicht die Billigkeit eine andere Entscheidung erfordert; die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Kostenfestsetzungsverfahren (§§ 103 bis 107) und die Zwangsvollstreckung aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen (§§ 724 bis 802) sind entsprechend anzuwenden.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)

(1) Die durch eine Nebenintervention verursachten Kosten sind dem Gegner der Hauptpartei aufzuerlegen, soweit er nach den Vorschriften der §§ 91 bis 98 die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat; soweit dies nicht der Fall ist, sind sie dem Nebenintervenienten aufzuerlegen.

(2) Gilt der Nebenintervenient als Streitgenosse der Hauptpartei (§ 69), so sind die Vorschriften des § 100 maßgebend.

Insofern nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts die Rechtskraft der in dem Hauptprozess erlassenen Entscheidung auf das Rechtsverhältnis des Nebenintervenienten zu dem Gegner von Wirksamkeit ist, gilt der Nebenintervenient im Sinne des § 61 als Streitgenosse der Hauptpartei.

(1) Haben die Parteien in der mündlichen Verhandlung oder durch Einreichung eines Schriftsatzes oder zu Protokoll der Geschäftsstelle den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, so entscheidet das Gericht über die Kosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen durch Beschluss. Dasselbe gilt, wenn der Beklagte der Erledigungserklärung des Klägers nicht innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen seit der Zustellung des Schriftsatzes widerspricht, wenn der Beklagte zuvor auf diese Folge hingewiesen worden ist.

(2) Gegen die Entscheidung findet die sofortige Beschwerde statt. Dies gilt nicht, wenn der Streitwert der Hauptsache den in § 511 genannten Betrag nicht übersteigt. Vor der Entscheidung über die Beschwerde ist der Gegner zu hören.