Bundesgerichtshof Urteil, 05. Apr. 2011 - X ZR 1/09

bei uns veröffentlicht am05.04.2011
vorgehend
Bundespatentgericht, 4 Ni 66/06, 16.09.2008

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 1/09 Verkündet am:
5. April 2011
Wermes
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Dentalgerätesatz
EPÜ Art. 54 Abs. 1, 2
Für die Annahme mangelnder Neuheit eines Gerätesatzes, dessen Bestandteile
in ihren technischen Merkmalen zur Erreichung eines bestimmten Zwecks aufeinander
abgestimmt sind, reicht es nicht aus, dass im Stand der Technik eine
Mehrzahl von Einzelteilen eines solchen Satzes ohne funktionale Abstimmung
bekannt ist.
BGH, Urteil vom 5. April 2011 - X ZR 1/09 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 5. April 2011 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck,
die Richter Gröning, Dr. Bacher, Hoffmann und die Richterin Schuster

für Recht erkannt:
Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
Auf die Anschlussberufung der Beklagten wird das Urteil des 4. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 16. September 2008 abgeändert und wie folgt neu gefasst: Das europäische Patent 892 625 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Patentansprüche 8 bis 13 für nichtig erklärt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 2/3 und die Beklagte 1/3.

Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 892 625 (Streitpatents ), das am 8. April 1997 unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 10. April 1996 angemeldet worden ist. Das Streitpatent betrifft eine Vorrichtung zum Bestimmen der approximalen Gängigkeit eines Zahnzwischenraums. Es umfasst 13 Patentansprüche, wobei die verteidigten Ansprüche 1 bis 7 einen Gerätesatz betreffen. Patentanspruch 1 lautet wie folgt: "Gerätesatz umfassend eine Anzahl von unterschiedlichen Interdentalbürstentypen sowie mindestens ein Sondiergerät mit mehreren flexiblen Sondierelementen (4.1, …, 4.6; 12.1, …, 12.3) mit unterschiedlichen Parametern zur Messung der approximalen Gängigkeit von Zahnzwischenräumen, wobei die Sondierelemente (4.1, …, 4.6; 12.1, …, 12.3) mit den unterschiedlichen Parametern auf die unterschiedlichen Interdentalbürstentypen abgestimmt sind, so dass durch Einführen des Sondiergeräts in einen Zahnzwischenraum unmittelbar die richtige Interdentalbürste ermittelt werden kann."
2
Die Klägerin hat beantragt, das Streitpatent im vollen Umfang für nichtig zu erklären. Sie hat geltend gemacht, sein Gegenstand sei nicht auf eine technische Lehre gerichtet, da sich der erfindungsgemäße Erfolg erst nach Zwischenschaltung menschlicher Verstandestätigkeit zeige. Der Lösungsbeitrag des Streitpatents bestehe in der Zuordnung der Kennzeichnungen von Sondiergerät und Bürste, die für sich kein technisches Merkmal darstellten. Darüber hinaus sei Kern der Erfindung eine verfahrensmäßige Lehre, nämlich die Zahnpflege , die als therapeutisches Verfahren von der Patentierung ausgenommen sei. Im Übrigen beruhe der Gegenstand des Streitpatents insbesondere im Hinblick auf die europäische Patentschrift 277 156 (Anlage Ni3) sowie die US- Patentschriften 4 959 014 (Anlage Ni4), 5 178 537 (Anlage Ni5) und 5 044 951 (Anlage Ni7) nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
3
Die Beklagte hat das Streitpatent hilfsweise mit mehreren Anspruchssätzen verteidigt.
4
Das Patentgericht hat unter Abweisung der weitergehenden Klage das Streitpatent für nichtig erklärt, soweit es über die Patentansprüche 1 bis 6 in der Fassung des in erster Instanz geltend gemachten Hilfsantrags 5 hinausgeht.
5
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die weiterhin Nichtigerklärung in vollem Umfang begehrt. Sie beruft sich als weiteren Stand der Technik auf die europäische Patentanmeldung 584 489 (Anlage Ni9), die internationale Anmeldung WO 88/01153 (Anlage Ni10) und einen Auszug aus dem Katalog Nordenta (Anlage Ni11). Mit der Anschlussberufung verteidigt die Beklagte zuletzt die erteilte Fassung des Streitpatents im Umfang der Patentansprüche 1 bis 7. Hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent mit den Hilfsanträgen 1 bis 3 vom 5. April 2011.
6
Im Auftrag des Senats hat Univ.-Prof. Dr. S. Z. , Abteilung für Zahnerhaltung und präventive Zahnmedizin der Universität W. , ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.
7
Unter Berufung auf das schriftliche Gutachten hat die Klägerin mangelnde Ausführbarkeit der patentgemäßen Lehre geltend gemacht und sich zur Begründung unter anderem auf den vom Sachverständigen genannten Aufsatz von Dörfer, Spiry, Staehle, Reinigungseffizienz von Interdentalraumbürsten in vitro, Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift, Januar 1997, Seiten 427 bis 430 (Anlage Ni12), bezogen.

Entscheidungsgründe:


8
Die Berufung der Klägerin bleibt ohne Erfolg. Die Anschlussberufung der Beklagten führt zur Abänderung des erstinstanzlichen Urteils und zur Abweisung der Klage, soweit sie die Patentansprüche 1 bis 7 in der erteilten Fassung des Streitpatents betrifft (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 und 2 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 Buchst. a und b, Art. 52, 53, 54, 56 EPÜ). Hinsichtlich der nicht mehr verteidigten Patentansprüche 8 bis 13 ist das Streitpatent ohne weitere Sachprüfung für nichtig zu erklären (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 19. Dezember 2006 - X ZR 236/01, BGHZ 170, 215 - Carvedilol II; Urteil vom 4. Juni 1996 - X ZR 49/94, GRUR 1996, 857 - Rauchgasklappe; insoweit nicht in BGHZ 133, 57 abgedruckt).
9
I. Das Streitpatent betrifft das Gebiet der Zahnpflege, insbesondere die Reinigung der Zahnzwischenräume, deren Größe auch innerhalb eines Gebisses variieren kann. Die Patentbeschreibung führt aus, für die Reinigung seien Interdentalbürsten entwickelt worden, die im Wesentlichen aus einem feinen Drahtstiel mit radial nach außen ragenden Borsten bestünden, so dass sie in die Zahnzwischenräume eingeführt werden könnten. Zum Messen der Abstände der Zähne gebe es im Stand der Technik ein Sondiergerät, welches bei der Durchführung von Zahnstellungskorrekturen verwendet werde. Dieses Gerät weise mehrere zylindrische Abschnitte mit unterschiedlichen Durchmessern auf. Weiter sei ein Gerät zum Messen der Tiefe der periodontischen Tasche bekannt. Die Sondierspitze dieses Geräts, ein Wegwerfprodukt, sei mit Farbringen versehen, um das Ablesen der Tiefe der Tasche zu ermöglichen.
10
Für eine optimale Zahnpflege sei wichtig, dass die am besten angepasste Zahnbürste verwendet werde. Die Auswahl der geeigneten Bürste sei für den Benutzer bisher eher eine Frage des Zufalls oder der mühsamen Erprobung verschiedener Bürsten als eine Frage der zielstrebigen Bestimmung gewesen. Aufgabe der Erfindung sei es daher, Mittel zur Verfügung zu stellen, die es ermöglichten , das für die Reinigung der Zahnzwischenräume hinsichtlich Größe und erforderlichenfalls Flexibilität etc. optimale Zahnreinigungsgerät zu bestimmen (Abs. 6 der Streitpatentschrift). Die Bestimmung der geeigneten Bürste war jedoch auch vorher schon möglich, und das Streitpatent lässt offen, wie man sie optimiert. Richtigerweise kommt es darauf an, eine möglichst einfache und kostengünstige Möglichkeit bereitzustellen, zuverlässig eine für den Patienten geeignete Interdentalbürste zu bestimmen.
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Zur Lösung dieses Problems schlägt Patentanspruch 1 vor (in der Fassung des angefochtenen Urteils hinzugefügtes Merkmal 2.2.3 kursiv) 1. einen Gerätesatz, umfassend 1.1 eine Anzahl von unterschiedlichen Interdentalbürstentypen und 1.2 mindestens ein Sondiergerät. 2. Das Sondiergerät hat mehrere Sondierelemente, die 2.1 flexibel sind, 2.2 unterschiedliche Parameter zur Messung der approximalen Gängigkeit von Zahnzwischenräumen haben, 2.2.1 die auf die unterschiedlichen Interdentalbürstentypen abgestimmt sind, 2.2.2 so dass durch Einführen des Sondiergeräts in einen Zahnzwischenraum unmittelbar die richtige Interdentalbürste ermittelt werden kann, 2.2.3 wobei sich zur Schaffung unterschiedlicher Sondierelemente der Durchmesser (des Sondiergeräts ) in Sondenlängsrichtung kontinuierlich ändert.
12
Beim Streitpatent geht es darum, die Zahnzwischenräume auszumessen und dabei deren Gängigkeit für eine Interdentalbürste zu bestimmen. Das Wort "approximal" hat für das Verständnis von Ansprüchen und Beschreibung keine eigenständige Bedeutung, da es lediglich verdeutlicht, dass es um die Gängigkeit des Raums zwischen zwei (unmittelbar) benachbarten Zähnen geht. Auch der gerichtliche Sachverständige hat "approximal" in dem hier verwendeten Zusammenhang als tautologisch bezeichnet. Die Messung und Bestimmung der Gängigkeit soll durch dasjenige Sondierelement geschehen, das gerade noch durch den Zahnzwischenraum durchgeführt werden kann (Abs. 8 und 25). Durch Einführen des Sondiergeräts in den Zahnzwischenraum soll unmittelbar eine zu dem so erhaltenen Messwert der Größe nach passende Interdentalbürste ermittelt werden können (Merkmal 2.2.2); ein Ausprobieren verschiedener Bürstengrößen am Patienten wird damit entbehrlich. Dies setzt eine - im Patentanspruch 1 nicht ausdrücklich geforderte - für den Anwender erkennbare Zuordnung des ermittelten Parameters zu einem bestimmten Interdentalbürstentyp (z.B. durch eine Farbkodierung, Patentanspruch 7) voraus. Das Sondiergerät kann (muss aber nach Patentanspruch 1 nicht) sterilisierbar und damit, wie der gerichtliche Sachverständige ausgeführt hat, im Gegensatz zu den zum Ausprobieren benutzten Bürsten wieder verwendbar sein.
13
Die nachfolgend wiedergegebenen Figuren 1 und 2 des Streitpatents zeigen ein Sondiergerät mit kontinuierlich in Längsrichtung variierendem Durchmesser (Figur 1) bzw. ein Instrument mit zwei Sondiergeräten (Figur 2).


14
II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung - soweit mit Blick auf die beschränkte Verteidigung des Streitpatents noch von Interesse - wie folgt begründet :
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Der durch das Streitpatent beanspruchte Gegenstand enthalte technische Mittel und weise als Ganzes technischen Charakter auf. Es handle sich dabei auch nicht um ein therapeutisches Verfahren, da die Patentansprüche auf Vorrichtungen gerichtet seien. Die in der erteilten Fassung sowie in den Fassungen der in erster Instanz geltend gemachten Hilfsanträge 1, 2 und 3 beanspruchten Geräte beruhten im Hinblick auf die Druckschriften Ni3 und Ni4 nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Aus der Ni3 seien zu Sets mit diversen Größen zusammengestellte Interdentalbürsten zur Reinigung der Zahnzwischenräume bekannt. Um die für den jeweiligen Zahnzwischenraum passende Bürste auszuwählen , müsse der Benutzer unterschiedliche Bürsten ausprobieren. Eine gezielte Bestimmung der richtigen Bürste sei damit nicht möglich. Um die passende Bürste einfacher bestimmen zu können, werde sich der Fachmann - ein mit der Entwicklung von Geräten für die Dentalhygiene befasster berufserfahrener Zahntechniker oder Zahnarzt - nach Messgeräten für den Zahnzwischenraum umsehen und die Entgegenhaltung Ni4 heranziehen, aus der ein Sondiergerät mit mehreren flexiblen Sondierelementen zur Messung der approximalen Gängigkeit von Zahnzwischenräumen bekannt sei. Die durch das Einführen des Sondiergeräts in einen Zahnzwischenraum ermittelten Messwerte der Weite der Zahnzwischenräume sollten dabei als Grundlage für eine optimale Zahnbe- handlung dienen. Dazu zähle der Fachmann auch das Reinigen der Zahnzwischenräume. Für ihn liege es somit nahe, das aus Ni4 bekannte Messgerät bei der Bestimmung der passenden Interdentalbürste aus dem Bürstenset der Ni3 zu verwenden. Dabei werde er zwangsläufig die Sondierelemente mit den unterschiedlichen Parametern auf die unterschiedlichen Interdentalbürsten abstimmen , um ein optimales Zusammenspiel der Messwerte des Sondiergeräts mit den unterschiedlichen Interdentalbürsten zu erreichen, so dass damit durch Einführen des Sondiergeräts in einen Zahnzwischenraum unmittelbar die richtige Interdentalbürste ermittelt werden könne. Wegen des vorteilhaften Zusammenwirkens von Sondiergerät und Interdentalbürsten liege es für den Fachmann ebenfalls nahe, diese in einem Gerätesatz zusammenzufassen.
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Demgegenüber sei der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 5 mit dem hinzugefügten Merkmal 2.2.3 durch den Stand der Technik weder bekannt noch nahegelegt. Dieses Merkmal ergebe sich weder aus der Ni4 noch aus der US-Patentschrift 5 044 951 (Anlage Ni7), denn bei den dort gezeigten Sondiergeräten ändere sich der Durchmesser in Sondenlängsrichtung nicht kontinuierlich, sondern stufenweise. Eine kontinuierliche Änderung in Sondenlängsrichtung ergebe sich lediglich aus der US-Patentschrift 5 178 537 (Anlage Ni5). Mit dem dort vorgestellten Sondiergerät würden jedoch keine Zahnzwischenräume, sondern die Tiefe von Zahntaschen gemessen. Somit sei auch eine Abstimmung der Sondierelemente des Sondiergeräts mit unterschiedlichen Interdentalbürstentypen, die für unterschiedliche Zahnzwischenräume ausgebildet sind, nicht möglich.
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III. Dies hält den Angriffen der Berufung, nicht aber der Anschlussberufung stand.
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1. Zurecht hat das Patentgericht angenommen, dass die patentgemäße Lehre auf technischem Gebiet liegt (Art. 52 Abs. 1 EPÜ). Die Klägerin meint, es fehle an der Technizität, da das Wesen der Lehre nach dem Streitpatent in dem Auswahlverfahren eines an sich bekannten Interdentalbürstentyps liege, wozu das Messergebnis des bekannten Sondiergeräts diene. Dies trifft nicht zu. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es für das Technizitätserfordernis unerheblich, ob der Gegenstand einer Anmeldung neben technischen Merkmalen auch nichttechnische aufweist. Ob solche Kombinationen von technischen und nichttechnischen Merkmalen vom Patentschutz ausgeschlossen sind, hängt allein davon ab, ob sie neu sind und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Januar 2009 - X ZB 22/07, GRUR 2009, 288 - Steuerungseinrichtungen für Untersuchungsmodalitäten; Beschluss vom 22. April 2010 - Xa ZB 20/08, BGHZ 185, 214 = GRUR 2010, 613 - Dynamische Dokumentengenerierung; Urteil vom 26. Oktober 2010 - X ZR 47/07, GRUR 2011, 125 - Wiedergabe topografischer Informationen). Danach kann dem beanspruchten Gegenstand Technizität nicht abgesprochen werden. Mit dem Streitpatent wird ein Gerätesatz unter Schutz gestellt, der konkrete technische Merkmale aufweist. Er umfasst mehrere Interdentalbürsten und mindestens ein Sondiergerät. Dieses wiederum weist mehrere Sondierelemente auf, die ihrerseits flexibel sind und unterschiedliche Parameter zur Messung der Zahnzwischenräume haben (Merkmale 1.1, 1.2, 2, 2.1 und 2.2). Der Umstand, dass aufgrund einer Abstimmung zwischen den Sondierelementen und den Bürsten deren Auswahl erleichtert oder erst ermöglicht wird, steht dem technischen Charakter des Patentgegenstandes nicht entgegen.
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2. Der Gegenstand des Streitpatents ist auch nicht nach Art. 53 Buchst. c Satz 1 EPÜ von der Patentierung ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift, die der Regelung in § 2a Abs. 1 Nr. 2 PatG (der inhaltlich mit Ausnahme der Einordnung in die gewerbliche Anwendbarkeit an der vor dem 13. Dezember 2007 geltenden Rechtslage (§ 5 Abs. 2 PatG aF) nichts geändert hat) entspricht, sind bestimmte medizinische Verfahren von der Patentierung ausgeschlossen. Die Regelung schützt die Freiheit der ärztlichen Therapie. Ihr Zweck ist es, Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers vom Patentschutz auszunehmen, um die Entscheidungsfreiheit des Arztes bei der Auswahl von Maßnahmen zur Beseitigung von Krankheiten oder von Untersuchungsmethoden zu deren Erkennung zu erhalten (BGH, Urteil vom 19. Dezember 2006 - X ZR 236/01, BGHZ 170, 215 = GRUR 2007, 404 - Carvedilol II; Beschluss vom 28. November 2000 - X ZB 20/99, GRUR 2001, 321 - Endoprotheseeinsatz; zur Schutzfähigkeit eines im Zusammenhang mit der Durchführung eines chirurgischen Verfahrens verwendeten Verfahrens vgl. auch BGH, Beschluss vom 31. August 2010 - X ZB 9/09, GRUR 2010, 1081 - Bildunterstützung bei Katheternavigation). Nach dem Gesetzeswortlaut und dem erläuterten Zweck der Regelung betrifft der Patentierungsausschluss aber nur zur Patentierung vorgesehene Verfahren. Erzeugnisse zur Anwendung in einem solchen Verfahren unterfallen nach Art. 53 Buchst. c Satz 2 EPÜ ausdrücklich nicht dem Patentierungsausschluss. Als Erzeugnisse sind in der Regelung beispielhaft Stoffe und Stoffgemische benannt. Dazu gehören aber auch Vorrichtungen oder Geräte, die in einem solchen Verfahren verwendet werden sollen. Das hier in Frage stehende Verfahren ist die Reinigung der Zahnzwischenräume mit einer Interdentalbürste, bei der der beanspruchte Gerätesatz nicht unmittelbar mitwirkt. Erst die Abstimmung des Sondiergeräts mit der Bürste ermöglicht die Durchführung der Zahnreinigung, eines Verfahrens, dessen therapeutischer Charakter fraglich ist, das aber jedenfalls nicht beansprucht ist.
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3. Der Angriff der Klägerin gegen die ausführbare Offenbarung der erfindungsgemäßen Lehre (Art. 138 Abs. 1 b EPÜ) ist als sachdienliche Klageänderung zulässig, greift aber nicht durch. Eine Lehre ist ausführbar, wenn der Fachmann ohne erfinderisches Zutun und ohne unzumutbare Schwierigkeiten in der Lage ist, die Lehre des Patentanspruchs aufgrund der Gesamtoffenbarung der Patentschrift in Verbindung mit dem allgemeinen Fachwissen so zu verwirklichen, dass der angestrebte Erfolg erreicht wird. Dabei reicht es aus, wenn dem Fachmann ein allgemeines Lösungsschema an die Hand gegeben wird. Der Patentanspruch muss nicht alle zur Ausführung der Erfindung erforderlichen Angaben enthalten (vgl. BGH, Urteil vom 25. Februar 2010 - Xa ZR 100/05, GRUR 2010, 414 - Thermoplastische Zusammensetzung; Urteil vom 13. Juli 2010 - Xa ZR 126/07, GRUR 2010, 916 - Klammernahtgerät).
21
Diesen Anforderungen genügen die Angaben im Streitpatent. Es erläutert , dass die Gängigkeit der Zahnzwischenräume durch dasjenige Sondierelement bestimmt wird, das gerade noch durch den Zwischenraum durchgeführt werden kann (Beschreibung Abs. 8). Das Streitpatent verlangt lediglich, dass diesem Sondierelement ein bestimmter Interdentalbürstentyp zugewiesen wird. Bestimmte Vorgaben, wie diese Zuordnung zu treffen ist, macht das Streitpatent nicht. Dem Fachmann wird es dennoch durch Versuche gelingen, eine geeignete , nicht zwingend die optimale, Bürste zu ermitteln. Dies hat der gerichtliche Sachverständige nachvollziehbar bestätigt. Er hat zur Abstimmung zwischen Sondiergerät und Bürste erklärt, die Abstimmung zwischen dem gemessenen Zahnzwischenraum und der geeigneten Bürste erfolge durch Ausprobieren , indem man den Zahnzwischenraum messe und eine Bürste finde, die ein wenig dicker als der gemessene Zahnzwischenraum sei. Eine Berechnung der in Abhängigkeit von der Breite des Zahnzwischenraums jeweils passenden Bürstengröße sei zwar theoretisch möglich, in der Praxis aber zu kompliziert; der Fachmann werde deshalb die Abstimmung durch Ausprobieren vornehmen.
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Auch der auf den (nach dem Prioritätstag des Streitpatents veröffentlichten ) Aufsatz von Dörfer, Spiry und Staehle (Anlage Ni12) gestützte weitere Einwand der Klägerin, bei der Messung von Zahnzwischenräumen und der Zuord- nung von Bürsten bestünden zu große Spielräume, so dass keine vernünftige Korrelation zwischen dem Messergebnis und der erforderlichen Bürstengröße möglich sei, steht der Ausführbarkeit der patentgemäßen Lehre nicht entgegen. Beim Streitpatent geht es nicht darum, abstrakt anzugeben, welche Korrelation, also Wechselbeziehung, zwischen der Größe eines Zahnzwischenraums und der am besten passenden Interdentalbürste besteht. Es soll vielmehr ein Gerätesatz zusammengestellt werden, dessen Komponenten - Interdentalbürsten und Sondiergeräte - durch bestimmte Parameter aufeinander abgestimmt sind, wobei diese Abstimmung ablesbar und damit nach außen sofort erkennbar ist und die auf diese Weise ausgewählte Bürste typischerweise zu einem praktisch brauchbaren Reinigungsergebnis führt.
23
4. Der Gegenstand des Streitpatents im verteidigten Umfang ist gegenüber den vorgelegten Entgegenhaltungen aus dem Stand der Technik neu (Art. 54 Abs. 1 und 2 EPÜ).
24
a) Die europäische Patentschrift 277 156 (Ni3) beschreibt einen Zahnreiniger , der insbesondere auch zur Reinigung der Zahnzwischenräume geeignet ist. Er ist mit feinen Kunststoffborsten versehen (beflockt) und durch seine dünne Gestaltung geeignet, auch die engsten Zahnzwischenräume reinigen zu können. Von einer Messung der Zahnzwischenräume ist in dieser Veröffentlichung nicht die Rede.
25
b) Die US-Patentschrift 4 959 014 (Ni4) zeigt ein Instrument zum Messen der Breite von Zahnzwischenräumen als Grundlage für eine kieferorthopädische Behandlung. Das Instrument hat einen mittig angeordneten Griff, der mit abgestuften Zylindern ausgestattet ist, die sich nach außen erstrecken. Sie definieren verlängerte kalibrierte Spitzen zum Einführen in die Zahnzwischenräume ; die Spitzen können sich in gerader Linie vom Griff erstrecken, die Zylinder können angewinkelt sein und der Durchmesser eines jeden Zylinders ist zum Identifizieren der Größe auf dem Griff angegeben. Durch diese Entgegenhaltung ist der Gerätesatz nach Patentanspruch 1 nicht vorweggenommen. In der Ni4 ist kein Gerätesatz mit einer Anzahl von unterschiedlichen Interdentalbürstentypen gezeigt. Sie offenbart zwar wie das Streitpatent ein Instrument zur Messung des Zahnzwischenraums. Die Möglichkeit der unmittelbaren Ermittlung einer Interdentalbürste infolge der Messung und der Zuordnung des Messergebnisses zu einer bestimmten Bürstengröße wird jedoch nicht erwähnt. Bei der Ni4 geht es um die Messung der Zahnzwischenräume zur Vorbereitung einer kieferorthopädischen Behandlung. Weiter geht der Sinngehalt dieser Entgegenhaltung nicht. Sie bietet, wie auch der gerichtliche Sachverständige angenommen hat, keinen Anhalt für die Annahme, aus fachmännischer Sicht werde das Problem und die Möglichkeit der Bestimmung von Interdentalbürsten "mitgelesen" (vgl. BGH, Urteil vom 16. Dezember 2008 - X ZR 89/07, BGHZ 179, 168 Rn. 26 - Olanzapin).
26
c) Die US-Patentschrift 5 178 537 (Ni5) offenbart eine Parodontalsonde. Es geht dabei, wie der gerichtliche Sachverständige ausgeführt hat, um eine Messung parallel zur Zahnachse zur Bestimmung der Tiefe von Zahnfleischtaschen bei Zahnfleischerkrankungen. Mit diesem Instrument werden jedoch keine Zahnzwischenräume gemessen. Eine Abstimmung der Sondierelemente des Instruments mit unterschiedlichen Interdentalbürstentypen ist somit nicht vorgesehen und nicht möglich.
27
d) Die US-Patentschrift 5 044 951 (Ni7), die auf denselben Erfinder wie die Ni4 zurückgeht, betrifft ein Instrument zur Messung des Zahnabstands und des Parodontalraums zum Zwecke der kieferorthopädischen Behandlung. Eine Abstimmung mit Interdentalbürsten, die aufgrund bestimmter Parameter an dem vorgestellten Instrument unmittelbar erfolgt, ist nicht erwähnt.
28
e) Die Veröffentlichung der europäischen Patentanmeldung 584 489 (Ni9), die ein chirurgisches Gerät zur Bestimmung des Innendurchmessers eines Hohlorgans, insbesondere des menschlichen Darms betrifft, nimmt den Gegenstand des Streitpatents ebenfalls nicht vorweg. Dies gilt auch für die Veröffentlichung der internationalen Anmeldung WO 88/01153 (Ni10), die sich auf Zahnstocher bezieht. Interdentalbürsten und die Messung von Zahnzwischenräumen sind nicht erwähnt.
29
f) Die Neuheit der patentgemäßen Lehre kann auch nicht mit der Erwägung in Frage gestellt werden, dass vor dem Anmeldetag die beanspruchten Elemente - nämlich die Interdentalbürsten und ein Instrument zum Messen des Zahnzwischenraums bzw. eine Sonde zum Vermessen von Körperöffnungen - im Stand der Technik bekannt gewesen und im Streitpatent beide Elemente oder eine bestimmte Anzahl eines jeden Elements lediglich zu einem Gerätesatz zusammengefasst seien. Der Senat hat bereits entschieden, dass unter "Satz" aus fachmännischer Sicht in der Regel nicht eine Mehrheit von Einzelgegenständen , die in beliebiger Weise zu einem Gebinde zusammengestellt sind, zu verstehen ist. Es handelt sich vielmehr um eine Zusammenstellung unter technischen Gesichtspunkten, bei der gleichartige Gegenstände unterschiedlichen , aufeinander abgestimmten Ausmaßes zu einem Zweck funktionsbestimmt zusammengefügt werden (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 12. November 2002 - X ZR 118/99, juris; Gegenstand des dortigen Streitpatents war ein Satz zylindrischer Körper für Osteosynthesearbeiten). Daran wird festgehalten. Für die Annahme mangelnder Neuheit eines Gerätesatzes, dessen Bestandteile in ihren technischen Merkmalen zur Erreichung eines bestimmten Zwecks aufeinander abgestimmt sind, reicht es nicht aus, dass im Stand der Technik eine Mehrzahl von Einzelteilen eines solchen Satzes oder ein Sortiment, etwa nach verkaufsorientierten Gesichtspunkten, aber ohne funktionale Abstimmung, bekannt sind. Im Streitfall besteht der beanspruchte Gerätesatz aus einer Anzahl von unterschiedlichen Interdentalbürstentypen, also mehreren gleichartigen Gegenständen und mindestens einem Sondiergerät, wobei der Sinn der Kombination in einem Gerätesatz gerade in der funktionsbestimmten Zusammenfügung der Bestandteile liegt. Eine solche funktionsbestimmte Zusammenfügung war im Stand der Technik mit der voneinander unabhängigen Offenbarung von Interdentalbürsten und Sondiergeräten nicht bekannt.
30
Mit Blick hierauf kann auch das Argument der Klägerin, ein Zahnarzt, der beide Elemente benutzt hätte, hätte damit die unter Schutz gestellte Lehre verwirklicht , nicht durchdringen. Die Klägerin hat eine derartige Benutzung weder mit Zeit-, Personen- und Ortsangaben konkret behauptet noch sie unter Beweis gestellt. Im Übrigen spricht - wie der gerichtliche Sachverständige nachvollziehbar ausgeführt hat - gegen eine Anwendung der Lehre des Streitpatents vor dem Prioritätstag der Umstand, dass mit der Einführung der im Streitpatent beschriebenen Lehre das damals in der Praxis bestehende Problem der Auswahl der passenden Interdentalbürste beseitigt worden ist.
31
5. Der verteidigte Gerätesatz gemäß den erteilten Patentansprüchen 1 bis 7 ist durch den Stand der Technik nicht nahegelegt (Art. 56 EPÜ).
32
Die Ni3 beschreibt - wie ausgeführt - einen mit feinen Kunststoffborsten versehenen Zahnreiniger, der insbesondere auch zur Reinigung der Zahnzwischenräume geeignet ist. Es handelt sich damit um eine Interdentalbürste zur Reinigung von Zahnzwischenräumen; die Bürsten können in unterschiedlichen Größen zusammengestellt und zu einem Set verpackt sein (vgl. Ni3, Sp. 2 Z. 54 ff.; Merkmal 1.1). Eine zielstrebige Bestimmung der richtigen Bürstengröße ist nach dieser Entgegenhaltung nicht möglich. Aus fachmännischer Sicht - Fachmann ist hier wie vom Patentgericht festgestellt und vom gerichtlichen Sachverständigen bestätigt ein berufserfahrener Zahnarzt, der mit der Entwick- lung von Geräten für die Dentalhygiene befasst ist - kommt es somit für das Einführen der richtigen Bürstengröße auf die Erfassung von Größe und Form der Zahnzwischenräume an.
33
Wenn diese zuverlässig bestimmt werden sollen, mag der Fachmann das im Stand der Technik, nämlich in der Ni4, vorgestellte Messgerät zum Messen des Zahnzwischenraums für die kieferorthopädische Behandlung in Betracht ziehen. Der gerichtliche Sachverständige hat allerdings bezweifelt, ob das Gerät der Ni4 aus fachmännischer Sicht zum Messen der Zahnzwischenräume heranzuziehen sei. Die Ni4 stehe in einem anderen Zusammenhang: Nach der kieferorthopädischen Behandlung müssten die Zahnzwischenräume vermessen werden, damit die Zähne einen strammen Kontaktpunkt zueinander haben könnten. Dadurch solle vorgebeugt werden, dass sich Nahrungsmittel zwischen den Zähnen einklemmten; mit der Reinigung von Zähnen oder Zahnzwischenräumen bestehe kein Zusammenhang. Jedoch kann dies dahinstehen.
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Selbst wenn man trotz dieser bedenkenswerten Überlegungen des Sachverständigen das in der Ni4 vorgestellte Instrument als auch für Prophylaxezwecke verwendbares Gerät auf dem Gebiet der Zahnheilkunde zur Messung von Zahnzwischenräumen betrachtet und seine Gestaltung zur Messung des Zwischenraums heranzieht, spricht dies nicht gegen das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit. Durch eine derartige Messung erhält man bestimmte Werte, die erfasst und ausgewertet werden müssen. Damit ist aber noch nicht der Gegenstand des Streitpatents erreicht. Eine Abstimmung des Messgeräts durch bestimmte Parameter mit Zielrichtung auf die Auswahl der passenden Interdentalbürste ist jedenfalls in den Entgegenhaltungen nicht vorgesehen und auch nicht angedeutet. Es mag sich zwar die Möglichkeit einer Kombination von Sondiergeräten und Interdentalbürsten ergeben haben, wie der Demonstrationsschaukasten mit Hilfsmitteln zur Patienteninformation (Auszug aus dem Nordenta- Katalog (Ni11), dessen Vorveröffentlichung unterstellt) mit verschiedenen Interdentalbürsten und Sondierinstrumenten zeigt. Allein aus der gemeinsamen Anordnung der Geräte in einem Schaukasten folgt aber nicht eine Anregung für den Fachmann, die einzelnen Sondierelemente des Sondiergeräts jeweils einer bestimmten Interdentalbürste zuzuordnen (Merkmal 2.2.1; zu der erforderlichen Anregung beim Vorliegen erfinderischer Tätigkeit vgl. BGH, Urteil vom 30. April 2009 - Xa ZR 92/05, BGHZ 182, 1 Rn. 20 - Betrieb einer Sicherheitseinrichtung; Urteil vom 8. Dezember 2009 - X ZR 65/05, GRUR 2010, 407 Rn. 17 - einteilige Öse). Im Stand der Technik musste man bis zur Veröffentlichung der patentgemäßen Lehre mit jeder Bürste neu den Abstand der Zahnzwischenräume messen und unter Berücksichtigung mehrerer Parameter der Bürste (z.B. Weichheit und Länge der Borsten) ihre Gängigkeit ausprobieren. Ein sich dem Fachmann aufdrängender Zusammenhang zwischen bestimmten Abmessungen des Sondierelements und einer bestimmten Bürstengröße bestand nicht, wie der gerichtliche Sachverständige ausgeführt hat und nicht zuletzt durch die Bemühungen in der Anlage Ni12 deutlich wird, die Reinigungseffizienz von Interdentalraumbürsten bei verschieden großen und unterschiedlich geformten Zahnzwischenräumen zu untersuchen und in Relation zu dem beim Einführen der Interdentalraumbürste zu überwindenden Widerstand zu setzen, um auf diese Weise die Auswahlentscheidung zu erleichtern und zu verbessern. Mit dem Streitpatent wird diese immer wieder notwendige Einzelfallentscheidung durch das Treffen einer Vorauswahl vereinfacht, die die bisherige Vielzahl von Parametern nach erfolgter, zweckmäßigerweise durch eine Kodierung erkennbar gemachte Abstimmung zwischen Sondiergerät und Bürsten auf einen Parameter, nämlich das noch gängige Sondierelement reduziert. Für diese Zuordnung der Bürsten zu den Sondierelementen findet sich weder in der Ni3 noch in der Ni4 eine Anregung. Im Übrigen spricht für das Vorliegen einer erfinderischen Leistung, dass die erfindungsgemäße Lehre einen zum Zeitpunkt der Anmeldung nicht erwarteten Fortschritt dahingehend erbracht hat, dass mit ihrer Veröffentlichung die Größe geeigneter Interdentalbürsten standardisiert und reproduzierbar ermittelt werden konnte.
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Entsprechendes gilt für die Bewertung der übrigen Entgegenhaltungen, die wie Ni5 und Ni7 Messgeräte für den zahnärztlichen Bereich betreffen, in denen sich ebenfalls keine Anregung für die patentgemäße Gestaltung findet.
36
Die Klägerin kann auch nicht mit dem unter Berufung auf das Urteil "Dreinahtschlauchfolienbeutel" des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 30. Juli 2009 - Xa ZR 22/06, GRUR 2010, 44) vorgetragenen Argument durchdringen, die Erfordernisse einer optimalen Zahnreinigung stellten kein technisches, sondern ein zahnmedizinisches Problem dar, aufgrund dessen der Zahnarzt eine Vorgabe formuliere, die der Hersteller und Entwickler von Interdentalbürsten zu berücksichtigen habe (und das folglich bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht zu berücksichtigen sei). Der zahnmedizinische Hintergrund der Erfindung ändert nichts daran, dass der Zahnarzt nach dem Stand der Technik nur die Anforderung formulieren kann, eine möglichst einfache und zuverlässige Methode zur Bestimmung der geeigneten Interdentalbürste(n) zur Verfügung zu stellen. Diese Methode bzw. hierzu geeignete Gerätschaften zu schaffen, ist ein technisches Problem, und es wird durch den erfindungsgemäßen Gerätesatz mit den aufeinander abgestimmten Bestandteilen Sondiergerät und Bürstensatz gelöst. Dass die hierdurch erreichbaren Vorteile (schnellere Bestimmung der geeigneten Bürste, Wiederverwendbarkeit des Sondiergeräts) zahnmedizinischer bzw. ökonomischer Natur sind, ist unerheblich.
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6. Die Unteransprüche 2 bis 7 haben mit Anspruch 1 Bestand.
38
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG i.V.m. §§ 92 Abs. 1 Satz 1, 97 Abs. 1 ZPO.
Meier-Beck Richter am Berufungsgericht Gröning Bacher kann wegen Urlaubs nicht unterschreiben. Meier-Beck Hoffmann Schuster
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 16.09.2008 - 4 Ni 66/06 (EU) -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 05. Apr. 2011 - X ZR 1/09

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 05. Apr. 2011 - X ZR 1/09

Referenzen - Gesetze

Zivilprozessordnung - ZPO | § 92 Kosten bei teilweisem Obsiegen


(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last. (2) Das Ger

Patentgesetz - PatG | § 121


(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend. (2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über d

Patentgesetz - PatG | § 5


Eine Erfindung gilt als gewerblich anwendbar, wenn ihr Gegenstand auf irgendeinem gewerblichen Gebiet einschließlich der Landwirtschaft hergestellt oder benutzt werden kann.

Patentgesetz - PatG | § 2a


(1) Patente werden nicht erteilt für 1. Pflanzensorten und Tierrassen sowie im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen und Tieren und die ausschließlich durch solche Verfahren gewonnenen Pflanzen und Tiere;2. Verfahren zur chirur
Bundesgerichtshof Urteil, 05. Apr. 2011 - X ZR 1/09 zitiert 4 §§.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 92 Kosten bei teilweisem Obsiegen


(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last. (2) Das Ger

Patentgesetz - PatG | § 121


(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend. (2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über d

Patentgesetz - PatG | § 5


Eine Erfindung gilt als gewerblich anwendbar, wenn ihr Gegenstand auf irgendeinem gewerblichen Gebiet einschließlich der Landwirtschaft hergestellt oder benutzt werden kann.

Patentgesetz - PatG | § 2a


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Bundesgerichtshof Urteil, 05. Apr. 2011 - X ZR 1/09 zitiert oder wird zitiert von 8 Urteil(en).

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Bundesgerichtshof Urteil, 26. Okt. 2010 - X ZR 47/07

bei uns veröffentlicht am 26.10.2010

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 47/07 Verkündet am: 26. Oktober 2010 Anderer Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR:

Bundesgerichtshof Urteil, 12. Nov. 2002 - X ZR 118/99

bei uns veröffentlicht am 12.11.2002

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 118/99 Verkündet am: 12. November 2002 Wermes Justizhauptsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Der X. Zivilsenat des Bundesger

Bundesgerichtshof Urteil, 08. Dez. 2009 - X ZR 65/05

bei uns veröffentlicht am 08.12.2009

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 65/05 Verkündet am: 8. Dezember 2009 Wermes Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGH

Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Jan. 2009 - X ZB 22/07

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS X ZB 22/07 vom 20. Januar 2009 in dem Rechtsbeschwerdeverfahren betreffend die Patentanmeldung 101 56 215.2-53 Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein Steuerungseinrichtung für Untersuchungsmodalitäten PatG § 1 Abs. 1, Abs

Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Nov. 2000 - X ZB 20/99

bei uns veröffentlicht am 28.11.2000

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS X ZB 20/99 vom 28. November 2000 in der Rechtsbeschwerdesache betreffend die Patentanmeldung 195 44 559.0 Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein Endoprotheseeinsatz PatG 1981 § 5 Abs. 2 Satz 1 Ein Verfahren zum Entfernen

Bundesgerichtshof Urteil, 19. Dez. 2006 - X ZR 236/01

bei uns veröffentlicht am 19.12.2006

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 236/01 Verkündet am: 19. Dezember 2006 Wermes Justizhauptsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja B

Bundesgerichtshof Urteil, 16. Dez. 2008 - X ZR 89/07

bei uns veröffentlicht am 16.12.2008

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 89/07 Verkündetam: 16. Dezember 2008 Wermes Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja BGHR:

Bundesgerichtshof Beschluss, 31. Aug. 2010 - X ZB 9/09

bei uns veröffentlicht am 31.08.2010

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS X ZB 9/09 vom 31. August 2010 in dem Rechtsbeschwerdeverfahren betreffend die Patentanmeldung 103 59 317.9-35 Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja BGHR: ja Bildunterstützung bei Katheternavigation PatG §§ 14, 34 Ab

Referenzen

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 236/01 Verkündet am:
19. Dezember 2006
Wermes
Justizhauptsekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
Carvedilol II
EPÜ Art. 52 Abs. 4; PatG § 5 Abs. 2

a) Die Verabreichung einer für die Behandlung einer bestimmten Krankheit
vorgesehenen Medizin als solche ist ein therapeutisches Verfahren zur Behandlung
des menschlichen Körpers. Sie ist nicht Element der Herrichtung
eines Stoffes zur Verwendung bei der Behandlung einer Krankheit (Abgrenzung
zu BGHZ 88, 209, 217 - Hydropyridin).

b) Ist eine dem Patentschutz nicht zugängliche Dosierungsempfehlung eines
von mehreren Merkmalen eines Patentanspruches, so ist sie jedenfalls nicht
zur Beurteilung von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit heranzuziehen. Es
bleibt offen, ob die Aufnahme der Dosierungsempfehlung dazu führt, dass
der Patentanspruch insgesamt vom Schutz ausgeschlossen ist.
BGH, Urt. vom 19. Dezember 2006 - X ZR 236/01 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 19. Dezember 2006 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, den
Richter Keukenschrijver, die Richterin Mühlens und die Richter Prof. Dr. MeierBeck
und Dr. Kirchhoff

für Recht erkannt:
Die Berufung gegen das am 18. September 2001 verkündete Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen, die auch die Kosten der Nebeninterventionen zu tragen hat.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 7. Februar 1996 unter Inanspruchnahme der Prioritäten der deutschen Patentanmeldung 195 03 995 vom 8. Februar 1995 sowie der US-amerikanischen Patentanmeldung 483 635 vom 7. Juni 1995 angemeldeten und mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 808 162 (Streitpatents ). Es betrifft die "Verwendung von Carbazolverbindungen zur Herstellung eines Arzneimittels für die Behandlung von kongestivem Herzversagen".
Das Streitpatent umfasst 12 Ansprüche. Die Patentansprüche 1, 3, 4, 6 und 10 haben in der Verfahrenssprache Englisch folgenden Wortlaut:
1. The use of a compound which is both a β-adrenoreceptor antagonist and a α1-adrenoreceptor antagonists for the manufacture of a medicament for decreasing mortality resulting from congestive heart failure in mammals, alone or in conjunction with one or more other therapeutic agents, said agents selected from the group consisting of an angiotensin converting enzyme inhibitor, a diuretic and a cardiac glycosides.
3. The use of a compound according to claim 1 or 2, wherein said compound is carvedilol.
4. The use of a compound according to claim 3, whereby a pharmaceutical formulation containing either 3.125 or 6.25 mg carvedilol in a single unit are administered for a period of 7-28 days, once or twice daily as an initial dose.
6. The use of a compound according to claim 3, whereby a pharmaceutical formulation containing either 25.0 or 50.0 mg carvedilol in a single unit are administered once or twice as a maintenance dose.
10. The use of carvedilol for the manufacture of a medicament for decreasing mortality resulting from congestive heart failure in mammals according to the following regimen:

a) administering a pharmaceutical formulation which contains either 3.125 or 6.25 mg carvedilol per single unit for a period of 7-28 days, given once or twice daily,

b) administering thereafter a pharmaceutical formulation which contains 12.5 mg carvedilol per single unit for a period of additional 7-28 days, given once or twice daily and

c) administering finally a pharmaceutical formulation which contains either 25.0 or 50.0 mg carvedilol per single unit, given once or twice daily as a maintenance dose.
2
Wegen des Wortlauts der unmittelbar und mittelbar auf Patentanspruch 1 rückbezogenen Patentansprüche 2, 5, 7-9 und 12 sowie des unmittelbar auf Patentanspruch 10 rückbezogenen Patentanspruchs 11 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.
3
Die Klägerin hat die Nichtigerklärung des Streitpatents für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland begehrt. Sie hat zur Begründung geltend gemacht, die Lehre des Streitpatents sei nicht neu und beruhe jedenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
4
Das Bundespatentgericht hat das Streitpatent antragsgemäß für nichtig erklärt. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, in der sie das Streitpatent mit folgenden Patentansprüchen 1 und 2 verteidigt: "1. Verwendung von Carvedilol zur Herstellung eines Medikaments zur Senkung der Mortalität aufgrund kongestiven Herz- versagens bei menschlichen Patienten in Verbindung mit einem Hemmer für Angiotensin umwandelndes Enzym, einem Diuretikum und einem Digitalis-Glykosid, wobei das Medikament in einer Eingangsdosis von 3,125 mg oder 6,250 mg Carvedilol pro Tag über einen Zeitraum von 7 bis 28 Tagen verabreicht wird, gefolgt von Dosierungssteigerungen jeweils im Abstand von 14 Tagen bis zu einer maximalen Dosis von 2 x 25 mg Carvedilol pro Tag.
2. Verwendung von Carvedilol zur Herstellung eines Medikaments zur Senkung der Mortalität aufgrund kongestiven Herzversagens bei Säugern in Verbindung mit mehreren anderen therapeutischen Mitteln, wobei diese Mittel ausgewählt sind aus der Gruppe, bestehend aus einem Hemmer für Angiotensin umwandelndes Enzym, einem Diuretikum und einem Digoxin , wobei das Medikament in einer Anfangsdosis von 3,125 mg oder 6,25 mg Carvedilol vorzugsweise 2 x täglich über einen Zeitraum von 14 Tagen verabreicht wird, gefolgt von einer Verdoppelung der Dosis jeweils im Abstand von 14 Tagen bis zu einer Erhaltungsdosis zwischen 25 und 50 mg, vorzugsweise 2 x täglich."
5
In einem ersten Hilfsantrag verteidigt die Beklagte das Streitpatent mit zwei Patentansprüchen, die sich von denjenigen des Hauptantrags durch Weglassung der Dosierungsanweisungen unterscheiden: "1. Verwendung von Carvedilol zur Herstellung eines Medikaments zur Senkung der Mortalität aufgrund kongestiven Herzversagens bei menschlichen Patienten in Verbindung mit ei- nem Hemmer für Angiotensin umwandelndes Enzym, einem Diuretikum und einem Digitalis-Glykosid.
2. Verwendung von Carvedilol zur Herstellung eines Medikaments zur Senkung der Mortalität aufgrund kongestiven Herzversagens bei Säugern in Verbindung mit mehreren anderen therapeutischen Mitteln, wobei diese Mittel ausgewählt sind aus der Gruppe, bestehend aus einem Hemmer für Angiotensin umwandelndes Enzym, einem Diuretikum und einem Digoxin."
6
In einem zweiten Hilfsantrag verteidigt die Beklagte das Streitpatent mit folgenden Patentansprüchen: "1. Verwendung von Carvedilol zur Herstellung eines Medikaments zur Senkung der Mortalität aufgrund kongestiven Herzversagens bei menschlichen Patienten in Verbindung mit einem Hemmer für Angiotensin umwandelndes Enzym, einem Diuretikum und einem Digitalis-Glykosid, wobei das Medikament zur Verabreichung in einer Eingangsdosis von 3,125 mg oder 6,25 mg Carvedilol pro Tag über einen Zeitraum von 7 bis 28 Tagen, gefolgt von Dosierungssteigerungen jeweils im Abstand von 14 Tagen bis zu einer maximalen Dosis von 2 x 25 mg pro Tag hergerichtet ist.
2. Verwendung von Carvedilol zur Herstellung eines Medikaments zur Senkung der Mortalität aufgrund kongestiven Herzversagens bei Säugern in Verbindung mit mehreren anderen therapeutischen Mitteln, wobei diese Mittel ausgewählt sind
aus der Gruppe, bestehend aus einem Hemmer für Angiotensin umwandelndes Enzym, einem Diuretikum und einem Digoxin , wobei das Medikament zur Verabreichung in einer Anfangsdosis von 3,125 mg oder 6,25 mg Carvedilol vorzugsweise 2 x täglich über einen Zeitraum von 14 Tagen, gefolgt von einer Verdoppelung der Dosis jeweils im Abstand von 14 Tagen bis zu einer Erhaltungsdosis zwischen 25 und 50 mg, vorzugsweise 2 x täglich, hergerichtet ist."
7
In der Berufungsinstanz haben die Streithelferinnen ihren Beitritt zum Rechtsstreit auf Seiten der Klägerin erklärt. Der Senat hat die Nebeninterventionen durch Beschluss vom 17. Januar 2006 zugelassen (BGHZ 166, 18 - Carvedilol I).
8
Der Senat hat ein schriftliches Gutachten und ein Ergänzungsgutachten des Professors Dr. T. M. eingeholt; seine Ausführungen hat der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt. Die Beklagte hat ein Gutachten des Professors Dr.M. H. sowie fünf gutachtliche Stellungnahmen des Professors Dr. Dr. E. E. zu den Akten gereicht. Die Klägerin hat zwei gutachtliche Stellungnahmen des Professors Dr. R. H. , die Streithelferin zu 1 ein Gutachten des Dr. J. B. und die Streithelferin zu 2 eine Stellungnahme des Dr. Dr. W. A. vorgelegt.

Entscheidungsgründe:


9
Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg.
10
I. 1. Das Streitpatent betrifft in der in erster Linie verteidigten Fassung die Verwendung von Carvedilol zur Herstellung eines Medikaments zur Senkung der Mortalität aufgrund kongestiven Herzversagens, wobei das Carvedilol in Verbindung mit einem Hemmer für Angiotensin umwandelndes Enzym, einem Diuretikum und einem Digitalis-Glykosid (Patentanspruch 1) oder mit mehreren von diesen drei anderen therapeutischen Mitteln (Patentanspruch 2) verabreicht wird, und zwar nach dem Hauptantrag der Beklagten nach einem bestimmten, einschleichenden Dosierungsschema.
11
Das Streitpatent schildert als Stand der Technik, chronische (Stauungs-) Herzinsuffizienz (congestive heart failure; CHF) mit einer Kombination aus einem ACE-Hemmer (Verbindung, welche die Umwandlung von Angiotensin I in das gefäßverengend wirkende Angiotensin II verhindert), einem Diuretikum und einem Herzglykosid zu behandeln. Da Herzinsuffizienz zu hoher Sterblichkeit führe, seien Therapeutika sehr wünschenswert, welche die Sterblichkeit der an dieser Krankheit leidenden Patienten senkten. Die Streitpatentschrift erwähnt sodann erste Untersuchungen zur Behandlung von Herzinsuffizienz mit Carvedilol , wobei sich einige positive Wirkungen bei Hämodynamik und Symptomen gezeigt hätten (DasGupta P. et al., 1992, Entgegenhaltung 6) und eine günstige Wirkung von Carvedilol auf die Funktion der linken Herzkammer festgestellt worden sei (Senior R. et al., 1992, Entgegenhaltung 3).
12
Ausgehend von diesem Stand der Technik möchte das Streitpatent Carvedilol als Mittel zur Senkung der Mortalität aufgrund einer Stauungsherzinsuffizienz verfügbar machen. Dafür schlägt Patentanspruch 1 in der hauptsächlich verteidigten Fassung vor: 1. Verwendung von Carvedilol zur Herstellung eines Medikaments 2. zur Senkung der Mortalität aufgrund kongestiven Herzversagens bei menschlichen Patienten 3. in Verbindung mit 3.1 einem Hemmer für Angiotensin umwandelndes Enzym, 3.2 einem Diuretikum und 3.3 einem Digitalis-Glykosid, 4. wobei das Medikament verabreicht wird 4.1 in einer Eingangsdosis von 4.1.1 3,125 mg oder 6,250 mg Carvedilol pro Tag 4.1.2 über einen Zeitraum von 7 bis 28 Tagen, 4.2.1 gefolgt von Dosissteigerungen 4.2.2 jeweils im Abstand von 14 Tagen 4.3 bis zu einer maximalen Dosis von 2 x 25 mg Carvedilol pro Tag.
13
Patentanspruch 2 lässt sich wie folgt gliedern (Unterschiede zu Patentanspruch 1 fett hervorgehoben): 1. Verwendung von Carvedilol zur Herstellung eines Medikaments 2. zur Senkung der Mortalität aufgrund kongestiven Herzversagens bei Säugern 3. in Verbindung mit mehreren anderen therapeutischen Mitteln, wobei diese Mittel ausgewählt sind aus der Gruppe bestehend aus 3.1 einem Hemmer für Angiotensin umwandelndes Enzym, 3.2 einem Diuretikum und 3.3 einem Digoxin, 4. wobei das Medikament verabreicht wird 4.1 in einer Anfangsdosis von 4.1.1 3,125 mg oder 6,25 mg Carvedilol vorzugsweise 2 x täglich 4.1.2 über einen Zeitraum von 14 Tagen 4.2.1 gefolgt von einer Verdoppelung der Dosis 4.2.2 jeweils im Abstand von 14 Tagen 4.3 bis zu einer Erhaltungsdosis zwischen 25 und 50 mg, vorzugsweise 2 x täglich.
14
3. Die Streitpatentschrift schildert Carvedilol als Arzneimittel mit Mehrfachwirkung. Es wirke sowohl als kompetitiver nicht selektiver β-Adrenoreceptor -Antagonist (Betablocker) wie auch als Vasodilatator. Die gefäßerweiternde Wirkung von Carvedilol beruhe in erster Linie auf einer α1-Adrenoreceptor -Blockierung, während die β-Adrenoreceptor-blockierende Wirkung des Arzneimittels eine reflektorische Tachykardie (erhöhte Herzschlagfrequenz) verhindere, wenn es bei der Behandlung von Bluthochdruck verwendet werde. Carvedilol verringere auch die Infarktgröße beim akuten Myokardinfarkt am Ratten -, Hunde- und Schweinemodell (Ruffolo et al., Entgegenhaltung 5). Bei klinischen Studien sei entdeckt worden, dass Carvedilol bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz die Sterblichkeit um etwa 67 % vermindere. Dieses Ergebnis sei überraschend gewesen, weil Betablocker eine unerwünschte kardiodepressive Wirkung hätten und deshalb im Allgemeinen kontraindiziert bei Pati- enten seien, die an Herzinsuffizienz litten. Zudem hätten kurz vor dem Prioritätstag Studien mit den Betablockern Metoprolol und Bisoprolol bei der Behandlung der chronischen Herzinsuffizienz keinen Unterschied bei der Sterblichkeit zwischen mit diesen Mitteln behandelten Patienten und placebobehandelten Patienten gezeigt (S. 5 Z. 15-26).
15
II. Das Streitpatent ist, nachdem es jedenfalls auch in einer zulässigerweise eingeschränkten Fassung verteidigt wird, in dem Umfang, in dem es nicht mehr verteidigt wird, ohne weitere Sachprüfung für nichtig zu erklären (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urt. v. 04.06.1996 - X ZR 49/94, GRUR 1996, 857, 858 - Rauchgasklappe; insoweit nicht in BGHZ 133, 57 abgedruckt). Aber auch mit den Patentansprüchen 1 und 2 in den hauptsächlich und hilfsweise verteidigten Fassungen hat das Streitpatent keinen Bestand.
16
1. Es kann offenbleiben, ob die Patentansprüche in der mit dem Hauptantrag verteidigten Fassung zulässig sind. Bedenken ergeben sich insoweit daraus, dass sie in Merkmalsgruppe 4 eine bloße Dosisempfehlung enthalten, die angibt, in welchen Mengen das Carvedilol enthaltende Medikament zu welchen Zeiten Patienten verabreicht werden soll. Die Verabreichung einer für die Behandlung einer bestimmten Krankheit vorgesehenen Medizin als solche ist ein therapeutisches Verfahren zur Behandlung des menschlichen Körpers. Es ist nicht Element der Herrichtung eines Stoffs zur Verwendung bei der Behandlung einer Krankheit (vgl. BGHZ 88, 209, 217 - Hydropyridin), sondern folgt dieser. Die Bestimmung des geeigneten individuellen Therapieplans für einen Patienten einschließlich der Verschreibung und Dosierung von Medikamenten ist prägender Teil der Tätigkeit des behandelnden Arztes und damit ein nach Art. 52 Abs. 4 EPÜ und § 5 Abs. 2 PatG dem Patentschutz entzogenes Verfahren. Zwar kommt ein Verwendungsanspruch auch für die Herrichtung eines bestimmten Stoffs zur Behandlung einer Krankheit in Betracht, die durch einen im Vertrieb beigefügten Beipackzettel oder einen Verwendungshinweis auf der Packung erfolgt. Ein Patentschutz für von der Herrichtung des Stoffs gelöste, reine Dosierungsempfehlungen ergibt sich daraus jedoch nicht. Soweit das Bundespatentgericht in seiner neueren Praxis (Urt. v. 22.03.1996 - 14 W (pat) 116/94, GRUR 1996, 868 - Knochenzellenpräparat) hierzu einen anderen Standpunkt einnimmt, ist ihm nicht beizutreten. Ein anderes Ergebnis wäre mit dem Wortlaut des Art. 52 Abs. 4 EPÜ unvereinbar und würde diese Bestimmung eines wesentlichen Teils des ihr zugedachten Anwendungsbereichs berauben.
17
Es bedarf im Streitfall keiner Entscheidung, ob die Aufnahme der nicht patentfähigen Dosierungsempfehlung dazu führt, dass die Patentansprüche des Hauptantrags insgesamt vom Schutz ausgeschlossen sind, wie dies etwa das Europäische Patentamt annimmt (vgl. etwa Beschl. v. 11.06.1997 - T 329/94, GRUR Int. 1998, 608 - Verfahren zur Blutextraktion/BAXTER; v. 15.05.1995 - T 82/93, GRUR Int. 1996, 945 - Herzphasensteuerung/TELECTRONICS). Aus Art. 52 Abs. 4 EPÜ, der die Freiheit der ärztlichen Therapie schützt, ist jedenfalls abzuleiten, dass die Dosisempfehlung zur Beurteilung von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit nicht heranzuziehen ist. Gegenstand der Prüfung auf Schutzfähigkeit sind daher nur die Merkmale ohne diese Anweisung, wie sie auch in Hilfsantrag 1 zusammengefasst sind, der den Ansprüchen des Hauptantrags , jedoch ohne die Merkmale, welche die Dosierung von Carvedilol betreffen, entspricht.
18
2. Es kann auch dahinstehen, ob die Beklagte für die Patentansprüche des Hilfsantrags 1 zu Recht die von ihr genannten Prioritäten in Anspruch nimmt. Auch wenn dies unterstellt wird und damit die älteste beanspruchte Priorität (08.02.1995) heranzuziehen ist, erweisen sich die mit den Patentansprü- chen in der Fassung dieses Antrags beanspruchten Gegenstände als nicht patentfähig.
19
2.1. Zum unterstellten Prioritätstag wurde die Anwendung von Carvedilol zur Behandlung von Herzinsuffizienz auf der Grundlage klinischer Versuche in der Fachöffentlichkeit bereits in großem Umfang diskutiert (etwa Olsen et al., Entgegenhaltung 8, 1993; Krum et al., Entgegenhaltung 13, 1993; DasGupta et al., Entgegenhaltung 9, 1990; Kelly, Entgegenhaltung 57, 1993; Senior et al., Entgegenhaltung 3, 1992; Fowler, Entgegenhaltung 61, 1993, S. 62).
20
Jedenfalls in der Veröffentlichung von Krum wird ausdrücklich beschrieben , dass die mit Carvedilol behandelten Patienten weiterhin als Standardtherapie eine Kombination aus Digoxin, Diuretika und ACE-Hemmern erhielten. Digoxin ist ein Digitalis-Glykosid. Bereits Swedberg et al. berichteten 1979 über den gleichzeitigen Einsatz von Betablockern mit Digitalis und Diuretika (Entgegenhaltung 24). DasGupta (S. 118) und Kelly (S. 47 l. Sp.) schildern die parallele Behandlung an Herzinsuffizienz leidender Patienten mit Carvedilol und Diuretika , wobei Kelly (S. 47, r. Sp.) auch die gleichzeitige Einnahme von ACEHemmern vorschlägt. Fowler erwähnt vielversprechende, vorläufige Studien zum Einsatz von Carvedilol bei der Behandlung von Herzinsuffizienz bei Aufrechterhaltung der Standardtherapie aus Digoxin, Diuretika und ACE-Hemmern. Damit waren jedenfalls Merkmal 1 sowie die Merkmalsgruppe 3 beider verteidigter Patentansprüche im unterstellten Prioritätszeitpunkt aus dem Stand der Technik bekannt.
21
2.2. Der Patentschutz stützt sich vor diesem Hintergrund allein auf den spezifischen Zweck einer Senkung der Mortalität durch die Verwendung des als Arzneimittel bekannten Stoffes Carvedilol in Kombination mit der ebenso bekannten Standardtherapie der genannten drei weiteren Arzneimittel auf dem bekannten Anwendungsgebiet der Behandlung von Herzinsuffizienz. Es erscheint bereits zweifelhaft, ob sich aus dieser Zweckbestimmung hier die Neuheit der Lehre des Streitpatents herleiten lässt.
22
Bei als solchen bekannten Arzneimitteln hat der Senat bisher Neuheit nur angenommen, wenn es um die Herrichtung des Stoffes für die Behandlung einer Krankheit ging, die mit ihm bisher nicht therapiert worden war (Sen., aaO - Hydropyridin; BGHZ 164, 220 - Arzneimittelgebrauchsmuster). Eine Schutzfähigkeit eines weiteren Therapieziels (etwa Mortalitätssenkung gegenüber der Behandlung von Symptomen), das beim bekannten Einsatz eines bekannten Medikaments zur Behandlung einer bestimmten Krankheit schon im Stand der Technik erreicht, jedoch noch nicht beschrieben wurde, lässt sich der Rechtsprechung des Senats dagegen nicht entnehmen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Berufung herangezogenen Entscheidung BGHZ 101, 159 - Antivirusmittel. Dort hat der Senat zwar ausgeführt, in Bezug auf den zweckgebundenen Stoffschutz scheide eine Benutzung des Patentgegenstands aus, wenn ein anderer als der im Patent genannte Zweck verwirklicht werde (aaO S. 164). Aus dem Zusammenhang dieser zur früheren deutschen Rechtlage ergangenen Entscheidung ergibt sich aber, dass mit dem Zweck der Verwendung dort allein die Vorbeugung gegen und die Behandlung einer bestimmten Erkrankung gemeint war. Geschützt war der final determinierte Einsatz eines Stoffes als Antivirusmittel; er wurde jedoch von der dortigen Verletzungsbeklagten zur Behandlung der Parkinsonschen Krankheit eingesetzt.
23
Soweit der Senat in seiner Entscheidung "Arzneimittelgebrauchsmuster" (aaO S. 222) ausgeführt hat, bei der medizinischen Indikation werde zur Erzielung einer präventiven oder therapeutischen Wirkung auf einen menschlichen oder tierischen Körper eingewirkt, ging es um die Abgrenzung zu Arbeitsverfahren , die vom Gebrauchsmusterschutz ausgeschlossen sind. Aus dieser Ent- scheidung folgt daher nichts für die Auffassung der Berufung, der bekannte Einsatz eines bekannten Arzneimittels zur Behandlung einer bestimmten Krankheit solle dann patentfähig sein, wenn bei dieser Behandlung nunmehr bewusst ein Therapieziel verfolgt wird, das tatsächlich schon bisher erreicht wurde.
24
Zudem handelt es sich bei der Neuheit um einen patentrechtlichen Begriff normativen Charakters (vgl. Kraßer, Lehrbuch des Patentrechts, 5. Aufl., S. 280). Es ist daher unerheblich, ob der vom Europäischen Patentübereinkommen nicht benutzte Terminus der medizinischen Indikation im medizinischen Sprachgebrauch auch durch das jeweils mit der Behandlung einer Krankheit verfolgte Therapieziel und nicht nur durch Krankheit und Behandlungsmethode definiert wird. Nach dem Gedanken des Art. 54 Abs. 5 EPÜ ist maßgebend, ob die Anwendung des Stoffes in einem der in Art. 52 Abs. 4 EPÜ genannten Verfahren nicht zum Stand der Technik gehört. Dass dieses Merkmal durch bisher nicht bekannte weitere therapeutische Anwendungen bei dem gleichen Krankheitsbild erfüllt werden kann, erscheint auch mit Blick auf den Zweck der Regelung nicht ohne weiteres einsichtig.
25
Letztlich kann aber die Schutzfähigkeit der von der Beklagten beanspruchten Verwendung von Carvedilol zur Mortalitätssenkung ebenso dahinstehen wie die Frage, ob der Gegenstand des Streitpatents etwa in der Veröffentlichung von Fowler (Entgegenhaltung 61) vorweggenommen wurde. Jedenfalls beruht er auch in den noch verteidigten Fassungen der Patentansprüche nicht auf erfinderischer Tätigkeit (Art. 56 EPÜ).
26
2.3. Das Bundespatentgericht hat als für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit maßgeblichen Fachmann einen Facharzt für innere Medizin mit Erfahrungen in der Behandlung von Herz- und Kreislauferkrankungen angese- hen. Der Senat vermag dieser Auffassung nicht beizutreten. Die Bewertung der für eine Erfindung aufzubringenden Entwicklungsarbeit hängt davon ab, welche Kenntnisse und Fähigkeiten von einem mit Neuerungen auf dem jeweiligen Fachgebiet betrauten Fachmann erwartet werden dürfen (Sen. in st. Rspr., etwa Urt. v. 29.02.2000 - X ZR 166/97 - Warenregal, bei Bausch, Nichtigkeitsrechtsprechung in Patentsachen Bd. 3, 365, 369 f.). Es kann auch für den unterstellten Prioritätszeitpunkt nicht davon ausgegangen werden, dass Medikamente zur Behandlung von Herzinsuffizienz typischerweise von niedergelassenen oder klinischen Ärzten allein entwickelt wurden, die diese Medikamente später in ihrer Praxis anwendeten. Das hat der gerichtliche Sachverständige in der mündlichen Verhandlung bestätigt. Herzmittel werden und wurden - wie gemeinhin auch sonst Arzneimittel - von Spezialistenteams in pharmazeutischen Unternehmen, Universitätskliniken oder anderen medizinischen Forschungseinrichtungen entwickelt. Mitglied eines solchen Teams war hier jedenfalls auch ein Wissenschaftler, der als Kardiologe qualifiziert war und zusätzlich Kenntnisse der Pharmakologie besaß. Er verfügte über einschlägige Erfahrungen bei der Entwicklung von Herzmitteln. Dem Team wird ferner entweder angehört oder für Konsultationen zur Verfügung gestanden haben auch ein Biometriker , der Methoden zur Planung, Durchführung und Auswertung klinischer Experimente und Studien bereitstellen konnte, ohne die eine Zulassung von Arzneimitteln nicht möglich war. Der maßgebliche Fachmann wird daher entgegen der Auffassung der Beklagten bei seiner Entwicklungsarbeit keineswegs nur solche Publikationen berücksichtigt haben, die den Kriterien der evidenzbasierten Medizin genügen, also insbesondere mit Studien belegt sind, die einem besonders qualifizierten Studiendesign als Voraussetzung der Arzneimittelzulassung genügen.
27
2.4. Vor diesem Hintergrund war es schon im Februar 1995, dem früheren der beanspruchten Prioritätszeitpunkte, naheliegend, Carvedilol auch als Mittel zur Senkung der Mortalität bei Herzinsuffizienz zu verwenden. Der Senat stimmt damit im Ergebnis und weitgehend auch in der Begründung mit der Entscheidung des kanadischen Bundesgerichts (T-1871-01 v. 18.07.2003 - Ministry of Health and Pharmascience vs. Glaxo Smith Kline, 2002 FC 899, Noel J.) überein.
28
Im Stand der Technik fand der Fachmann die Behandlung von Herzinsuffizienz mit Carvedilol in Kombination mit einem ACE-Hemmer, einem Diuretikum und einem Digoxin bzw. Digitalis-Glykosid vor. Der Fachmann konnte der Fachliteratur auch verschiedene Hinweise auf eine mortalitätssenkende Wirkung von Carvedilol bei Patienten entnehmen, die an Herzinsuffizienz leiden.
29
a) Der gerichtliche Sachverständige hat ausgeführt, schon seit Ende der 1970er Jahre habe in der Fachwelt das Bedürfnis bestanden, die Frage zu prüfen , ob Beta-Rezeptorenblocker und unter ihnen auch speziell Carvedilol die Prognose - und damit die Überlebenschance - bei Patienten mit Herzinsuffizienz verbessern können. Er hat dazu auf die Studie von Swedberg et al. aus dem Jahr 1979 (Entgegenhaltung 24) verwiesen. In dieser Publikation wird auf der Grundlage einer kleinen klinischen Studie die Auffassung vertreten, dass Betablocker als zusätzliche Gabe zu Digitalis und Diuretika bei der Behandlung von schwerer dekompensierter Kardiomyopathie (COCM) die Myokardfunktion und damit die Prognose verbessern. Allerdings hatte diese Studie deutliche methodische Schwächen (z.B. geringe Patientenanzahl, retrospektive Auswahl der Kontrollgruppe, nicht randomisierte Prüfung) und Carvedilol gehörte nicht zu den geprüften Betablockern (vgl. Tabelle S. 1375 l. oben der Entgegenhaltung). Der Privatgutachter der Beklagten, Prof. H. , hat in seiner Stellungnahme ausgeführt, dass seit Beginn der 1980er Jahre das Interesse der medizinischen Fachwelt nicht mehr nur darauf ausgerichtet war, die Symptome der Patienten zu lindern, sondern auch deren Prognose zu verbessern.

30
Pitt (1992, Entgegenhaltung 23) berichtet in einer Abhandlung über die Bedeutung von Betablockern bei der Vorbeugung gegen den plötzlichen Herztod , dass Daten aus mehreren sorgfältig angelegten, großen, placebokontrollierten Doppelblindstudien nach Anwendung von Betablockern eine Senkung der Gesamtmortalität wie auch der Häufigkeit des plötzlichen Herztods vermuten ließen. Weiter heißt es, neue β-adrenerge Blocker mit vasodilatierenden (gefäßerweiternden) Eigenschaften eröffneten einen neuen Weg zur Überprüfung der Hypothese, dass β-adrenerge Blocker bei der Prophylaxe des plötzlichen Herztods nützlich seien (Einl. Entgegenhaltung 23, letzter Satz). Wie DasGupta (Entgegenhaltung 10) bereits 1991 ausführlich erläutert hat, ist Carvedilol ein vasodilatierender Betablocker. Carvedilol war laut Pitt (I-109 r.) auch einer von zwei für eine Studie der SOLVD-Gruppe des National Heart, Lung and Blood Institute der USA ausgewählten Betablocker. Mit dieser Studie sollten bei Patienten, die eine linksventrikuläre Auswurffraktion ≤ 35 % hatten, die Mortalität insgesamt und das Auftreten des plötzlichen Herztods geprüft werden. Der gerichtliche Sachverständige hat in der von Pitt diskutierten Verwendung von Carvedilol zur Prophylaxe des plötzlichen Herztods einen der Mechanismen erkannt, über den Carvedilol zur Verminderung der Sterblichkeit bei Herzinsuffizienz führen kann. Der Gutachter der Klägerin, Prof. Dr. R. H. , hat ausgeführt, dass der plötzliche Herztod (innerhalb einer Stunde nach Auftreten kardialer Beschwerden) in 40 % der Fälle Todesursache bei chronischer Herzinsuffizienz ist; dies ist von den Verfahrensbeteiligten nicht in Frage gestellt worden.
31
Auch Senior et al. (Entgegenhaltung 3) sprechen 1992 eine mögliche, signifikante Verringerung der Mortalität bei der Behandlung von Herzinsuffizienz mit Carvedilol an. Dass einer der Mitautoren zehn Jahre später die damaligen Ausführungen als durch Fakten nicht belegte Spekulation bezeichnet hat, steht ihrer Eignung, dem Fachmann Versuche in dieser Richtung nahezulegen, nicht entgegen. Anregungen dieser Art sind häufig das Ergebnis von Hypothesen, die umso mehr Gewicht erhalten, wenn sie - wie hier - zum maßgeblichen Zeitpunkt der Priorität durch andere, gleichartige Überlegungen und Erwartungen gestützt werden.
32
In dem ebenfalls 1992 erschienenen Aufsatz von Feuerstein et al. (Entgegenhaltung
7) wird berichtet, dass die Morbidität und Mortalität nach akutem Myokardinfarkt durch Betablocker sowohl in Tierstudien als auch in klinischen Prüfungen reduziert werde. Allerdings gebe es keinen Beweis, mit dem die schützenden Wirkungen des Betablockers und Vasodilatators Carvedilol auf das Myokard belegt werden könnten. Die Autoren fanden aber in Tierstudien mit Ratten, Schweinen und Hunden ihre Hypothese bestätigt, dass Carvedilol aufgrund seiner zusätzlichen Wirkungen zu höherem Herzschutz als ausschließliche Betablocker führe. Abschließend heißt es, diese Ergebnisse der Tiermodelle könnten möglicherweise dazu beitragen, dass Carvedilol bei der Behandlung von Herzinsuffizienz verwendet werde (S. 141 r. u.). Die mögliche Anwendung von Carvedilol bei Herzinsuffizienz wird in dieser Schrift also in Zusammenhang mit der mortalitätssenkenden Wirkung von Carvedilol nach einem Myokardinfarkt gebracht.
33
Kennedy et al. (Entgegenhaltung 26) veröffentlichten 1993 Ergebnisse einer retrospektiven Auswertung der sogenannten CAST-Studie, mit der sie insbesondere den Zusammenhang zwischen einer Betablocker-Therapie und der Morbidität bzw. Mortalität bei Patienten untersuchten, die einen Myokardinfarkt überlebt hatten und gleichzeitig unter dekompensierter Herzinsuffizienz litten. Als Ergebnis ihrer Studie wurde bekanntgegeben, dass die BetablockerTherapie mit einer signifikant besseren Überlebensrate bei neu aufgetretener oder sich verschlechternder dekompensierter Herzinsuffizienz einherging. Die Autoren erkennen darin einen zusätzlichen Beleg für Nutzen und Sicherheit einer Betablocker-Therapie bei Post-Infarkt-Patienten mit anamnestisch bekannter dekompensierter Herzinsuffizienz. Allerdings wird nicht berichtet, welcher Betablocker verwendet wurde. In dem ausführlichen Bericht über ihre Untersuchung (Entgegenhaltung 27) findet sich bei Kennedy et al. als Fig. 5 auf S. 679 eine Grafik, welche die Mortalität der untersuchten Patienten mit Herzinsuffizienz mit und ohne Einnahme von Betablockern anschaulich macht und die Vorteilhaftigkeit der Betablocker-Therapie im Hinblick auf die Mortalität zeigt.
34
Fowler (Entgegenhaltung 61, S. 62) befasst sich 1993 mit dem Potential von Carvedilol bei der Behandlung von Herzinsuffizienz. In den Schlussfolgerungen des Aufsatzes wird ausgeführt, Carvedilol besitze mit seiner Wirkung als Betablocker und Gefäßerweiterer zwei Eigenschaften, die mit verbesserten Überlebenschancen von Patienten mit Herzgefäßerkrankungen verbunden seien. Fowler fordert ausdrücklich große klinische Studien, um die Wirkung von Carvedilol auf die Mortalität von Patienten mit Herzinsuffizienz beurteilen zu können. Dabei erwartet er positive Ergebnisse, denn am Schluss seines Beitrags stellt er fest, dass sein gegenwärtiges Verständnis die Entwicklung eines Mittels mit kombiniert beta-blockierender und gefäßerweiternder Wirkung rechtfertige (S. 65 u. r. und S. 66 l. o.).
35
Einen zusammenfassenden Überblick zum Stand der Forschung bei der Verwendung von Betablockern zur Behandlung von Herzinsuffizienz geben Doughty et al. 1994 (Entgegenhaltung 2). Sie referieren die Ergebnisse aus Studien mit Betablockern, die bei Patienten nach Myokardinfarkt auf eine günstige Beeinflussung der Mortalität hinweisen, einschließlich solcher Patienten, die auch an Herzinsuffizienz leiden. Es bleibe jedoch unsicher, inwieweit die Ergebnisse der Post-Infarkt-Studien verallgemeinert werden könnten. In der auf S. 817 oben wiedergegebenen Tabelle wird Carvedilol als einer von sechs Be- tablockern ausdrücklich erwähnt. In ihren Schlussfolgerungen auf S. 819 stellen die Autoren die Erforderlichkeit weiterer Studien fest, um zu bestimmen, ob Betablocker die Mortalität bei Herzinsuffizienz weiter senken könnten und deshalb eine nützliche Ergänzung für die bestehende Therapie seien.
36
b) Zusammenfassend zeigt sich, dass in der Literatur der Einsatz von Betablockern und insbesondere auch von Carvedilol zur Behandlung von Herzinsuffizienz bereits als vielversprechende Therapie diskutiert wurde. Jedenfalls ab 1992/93 hatte der Fachmann aufgrund der Aufsätze von Pitt (Entgegenhaltung 23), Senior (Entgegenhaltung 3), Feuerstein (Entgegenhaltung 7) und insbesondere Fowler (Entgegenhaltung 61) Anlass, konkret Carvedilol für eine mortalitätssenkende Wirkung bei Herzinsuffizienz in Erwägung zu ziehen. Auch Doughty et al. haben 1994 die Frage der Auswirkung einer Therapie mit Betablockern unter Einbeziehung von Carvedilol auf die Mortalität der Patienten aufgeworfen. Für Patienten, die einen Myokardinfarkt überlebt hatten, war die Auswirkung von Betablockern (etwa CAST-Studie in der Auswertung von Kennedy 1993) und auch speziell von Carvedilol (Feuerstein 1992 am Tiermodell) mit positivem Ergebnis untersucht worden. Nach Durchführung einer geeigneten klinischen Studie konnte die mortalitätssenkende Wirkung von Carvedilol bei Herzinsuffizienz allgemein ohne weiteres festgestellt werden.
37
c) Nicht gefolgt werden kann der Beklagten, soweit sie eine erfinderische Leistung daraus ableiten will, dass nach den aus ihrer Sicht wenig überzeugenden Ergebnissen der Studien mit Metoprolol (MDC-Trial) und Bisoprolol (CIBIS) kein Anlass bestand, gerade Carvedilol zum Gegenstand vertiefter Untersuchungen zu machen. Beide Studien betrafen andere Stoffe; ihre Ergebnisse waren aus der Sicht des damaligen Fachmanns auf Carvedilol weder zu übertragen , noch ließen sie Schlüsse auf dessen Wirkung zu, wie auch durch das Schrifttum dieser Zeit belegt wird.

38
Ziel der MDC-Studie, in die 383 Patienten mit Herzinsuffizienz einbezogen waren, war die Prüfung, ob sich der Betablocker Metoprolol günstig auf Überlebenschancen und Morbidität auswirkt (Waagstein et. al., Lancet 1993, 1441, Dokument 18). Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass Metoprolol keine Auswirkung auf die Gesamtmortalität hat.
39
In der CIBIS-Studie wurde die Wirkung des Betablockers Bisoprolol bei 641 Patienten mit Herzinfarkt geprüft (vgl. Circulation 1994, 1765, Dokument 19). Die Studie konnte keinen statistisch signifikanten Unterschied bei der Mortalität zwischen der mit Bisoprolol und der mit Placebo behandelten Patientengruppe feststellen (Einl., l. Sp., S. 1767, r. o.). Allerdings heißt es auch, dass in der CIBIS-Studie eine Mortalitätssenkung (an enhounced effect on survival) bei Patienten ohne vorherigen Myokardinfarkt festgestellt worden sei (S. 1771 r. Mitte). Die beteiligten Wissenschaftler hielten Studien zum Nachweis einer vorteilhaften Wirkung von Bisoprolol auf die Mortalität für notwendig.
40
Es war am Prioritätstag bekannt, dass Carvedilol im Gegensatz zu vielen anderen Betablockern und insbesondere zu Metoprolol und Bisoprolol außer der β-rezeptorenblockierenden Wirkung auch die adrenergen α-Rezeptoren blockiert, die sich im Wesentlichen in der Gefäßwand von kleinen Arterien (Widerstandsgefäßen ) befinden. Carvedilol bewirkt deshalb im Gegensatz zu konventionellen Betablockern auch eine Gefäßerweiterung im Bereich der Widerstandsgefäße. Der gerichtliche Sachverständige meint zwar, bei Carvedilol habe sich aus den Wirkmechanismen keine Senkung der Mortalität vorhersagen lassen, weil die zusätzlichen gefäßerweiternden Effekte von Carvedilol sich zu denen der ACE-Hemmer addierten und so trotz günstiger symptomatischer Wirkungen zu einer Erhöhung der Mortalität hätten führen können (Ergänzungsgutachten S. 5 u. 6). Demgegenüber haben DasGupta et al. 1991 auf neue therapeutische Möglichkeiten aufgrund der auch gefäßerweiternden Wirkung des neuen Betablockers Carvedilol hingewiesen (Entgegenhaltung 10). Die Autoren äußern, es könne erwartet werden (may be expected), dass die Mehrfachwirkung von Carvedilol der negativen Inotropie, die konventionelle Betablocker bei Monotherapie hätten, entgegenwirke (S. 12, r. u.). Damit würden die wichtigsten Einschränkungen des Einsatzes von Betablockern, insbesondere bei dekompensierter Herzinsuffizienz ischämischen Ursprungs, überwunden. Zur Begründung ihrer Erwartung verweisen die Autoren auf eine Studie von Di Lanarda et al., die bei Patienten mit Herzinsuffizienz, die zuvor keinen Herzinfarkt erlitten hatten, die akuten hämodynamischen Wirkungen von Carvedilol mit denen von Metoprolol verglichen. Deren Ergebnisse legten ein ähnliches Maß an Betablockade nahe. Jedoch zeigten die mit Carvedilol behandelten Patienten zusätzliche Reaktionen, die bei Patienten, die Metoprolol genommen hätten, nicht beobachtet worden seien, nämlich einen gesenkten Blutdruck, verringerten Gefäßwiderstand und niedrigeren linksventrikulären Füllungsdruck (S. 15, r. u.). Unter Hinweis auf weitere, bereits durchgeführte Untersuchungen meinen DasGupta et al., die zu Carvedilol gewonnenen Daten könnten eine signifikante Auswirkung auf die klinische Behandlung der Herzinsuffizienz haben , wenn sie durch zukünftige Studien bestätigt würden. Abschließend wird ausgeführt, Carvedilol sei ein einzigartiger Vasodilatator, der zugleich als Betablocker wirke, und eine weiterführende Bewertung seiner Sicherheit und Wirksamkeit werde empfohlen.
41
Pitt berichtet 1992 (Entgegenhaltung 23), dass eine Schwierigkeit bei der Behandlung von Patienten mit Herzinsuffizienz mit Betablockern bisher darin bestehe, dass man befürchte, eine manifeste Herzinsuffizienz oder eine Lungenstauung zu verursachen, und dass die Substanzen hinsichtlich ihrer Verträglichkeit und Compliance langfristig problematisch seien. Einige der neueren β-adrenergen Blocker seien jedoch von Interesse, da sie über vasodilatierende Eigenschaften verfügten, die möglicherweise die langfristige Toleranz und Compliance des Patienten verbesserten. Die SOLVD-Gruppe ziehe daher für eine umfangreiche Mortalitätsstudie neben Nebivolol Carvedilol, einen selektiven Betablocker mit α-adrenergen blockierenden Eigenschaften, in Betracht (I-109, r. u.).
42
Auch Rosendorff (Entgegenhaltung 53) wies 1993 darauf hin, dass insbesondere Carvedilol die Vorteile einer β- und α1-Blockade einschließlich peripherer Gefäßerweiterung kombiniere. Es gebe einige noch zu bestätigende Hinweise darauf, dass Carvedilol die linksventrikuläre diastolische Funktion verbessere und eine Regression linksventrikulärer Hypertrophie bewirke und dass es bei der Behandlung einiger Patienten mit Herzinsuffizienz oder Arrhythmie nützlich sein könne (Einl., letzter Abs.). Die möglichen günstigen Wirkungen von Carvedilol durch Verbesserung der zentralen Hämodynamik bei Patienten mit Herzinsuffizienz müssten in groß angelegten, weitsichtig kontrollierten Untersuchungen bestätigt werden (S. 39, l. o.).
43
Lessem/Lukas (Entgegenhaltung 54) führen 1993 aus, Carvedilol als ein nicht selektives β- und α1-blockierendes Arzneimittel sei als antihypertensives, antianginales Arzneimittel und für eine Hilfstherapie gegen Herzinsuffizienz entwickelt worden. Nachdem Studien gezeigt hätten, dass Vasodilatatoren gut für Patienten mit Herzinsuffizienz seien, und wegen positiver Erfahrungen mit dem vasodilatierenden Betablocker Buzindolol sei Carvedilol bei Patienten mit Herzinsuffizienz getestet worden. Unter Hinweis auf eine Studie von DasGupta meinen die Autoren, Carvedilol könne aufgrund seines vasodilatatorischen Mechanismus im Vergleich zu anderen Betablockern die bessere Wahl für Patienten mit verschlechterter linksventrikulärer Funktion neben ischämischer Herzkrankheit sein. Die Nützlichkeit einer solchen Therapie müsse aber bei einer Patientengruppe nachgewiesen werden, die groß genug sei, um zu einer be- hördlichen Zulassung für eine Verbindung mit einem Hauptwirkmechanismus zu gelangen, der momentan in diesem Krankheitsstadium kontraindiziert sei.
44
Louis et al. berichten 1994 (Entgegenhaltung 55) unter Hinweis auf die Entgegenhaltung 8 und 13, bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz aufgrund von systolischer linksventrikulärer Dysfunktion sei festgestellt worden, dass Carvedilol signifikante Verbesserungen der myokardialen Hämodynamik in Langzeittherapie bewirke, und zwar auch bei Patienten, die eine Hintergrundtherapie mit ACE-Hemmern erhielten (S. 88, r. o.). Abschließend betrachten die Autoren Carvedilol als einen wichtigen neuen Wirkstoff bei der Behandlung insbesondere von chronischem Herzversagen (S. 91, r. o.). Es lagen also im Prioritätszeitpunkt bereits Studien vor, die gegen die vom gerichtlichen Sachverständigen berichtete, möglicherweise negative Addition der gefäßerweiternden Wirkungen von Carvedilol und ACE-Hemmern sprachen.
45
Diese zahlreichen Veröffentlichungen belegen, dass Carvedilol nach Auffassung zahlreicher Autoren gerade wegen seiner gefäßerweiternden Eigenschaften ein interessanter Betablocker für die Therapie von Herzinsuffizienz mit Betablockern war.
46
d) Carvedilol war, auch im Hinblick auf eine mortalitätssenkende Wirkung , Gegenstand intensiver wissenschaftlicher Diskussionen. Der gerichtliche Sachverständige hat es als wohl begründete Hypothese von Doughty et al. (Entgegenhaltung 2) bezeichnet, dass durch eine Betablockade die Mortalität bei Herzinsuffizienz weiter reduziert und dadurch die damals bekannte Therapie sinnvoll ergänzt werden könne (Gutachten, S. 6 u./7 o.). Der Aufsatz von Fowler bringt in der Schlussbemerkung deutlich eine Erfolgserwartung hinsichtlich der Feststellung einer mortalitätssenkenden Wirkung von Carvedilol bei Patienten mit Herzinsuffizienz nach einer entsprechenden, groß angelegten Studie zum Ausdruck (S. 65 r. u. bis S. 66 l. o.). Fowler schlägt vor, eine solche große klinische Studie zur Prüfung der Mortalitätswirkung von Carvedilol durchzuführen. Die Aufsätze von Pitt (Entgegenhaltung 23), Senior (Entgegenhaltung 3) und Feuerstein (Entgegenhaltung 7) begründeten ebenfalls für den Fachmann die Erwartung einer mortalitätssenkenden Wirkung von Carvedilol.
47
Pitt (Entgegenhaltung 23, S. 109, r. 2. Abs.) berichtet über eine von der SOLVD-Studiengruppe geplante, umfangreiche Mortalitätsstudie zur Überprüfung der Wirksamkeit von Carvedilol und Magnesium beim plötzlichen Herztod von Patienten mit Herzinsuffizienz. Dabei sollte die Standardtherapie mit ACEHemmer , Digoxin und Diuretika je nach Bedarf der Patienten aufrechterhalten bleiben.
48
Es gab, wie der gerichtliche Sachverständige ausgeführt hat, zwar auch Argumente, die gegen eine mortalitätssenkende Wirkung von oder sogar für eine Erhöhung der Mortalität durch Carvedilol sprachen. Dadurch bestand, was der gerichtliche Sachverständige bestätigt hat, in der Fachwelt aber gerade ein Bedürfnis, sich in einer aussagekräftigen Studie Klarheit über die Wirkung von Carvedilol auf die Mortalität von Patienten mit Herzinsuffizienz zu verschaffen.
49
e) Irrelevant ist in diesem Zusammenhang, dass es bis 1997 weder für Carvedilol noch für andere Betablocker eine behördliche Zulassung zur Behandlung der Herzinsuffizienz gab. Denn für ein neu entwickeltes Arzneimittel kann es per se noch keine Zulassung geben, da das Zulassungsverfahren notwendig am Ende der Entwicklung steht. Ebenfalls nicht entscheidend ist, dass die manifeste Herzinsuffizienz in der fachärztlichen Praxis als Kontraindikation für Carvedilol galt. Der im Bereich der Arzneimittelforschung und -entwicklung tätige Fachmann hatte unabhängig von Vorstellungen auf Seiten der Anwender aufgrund der Diskussion um die Wirkung von Carvedilol bei der Behandlung von Herzinsuffizienz am Prioritätstag Anlass, sich mit diesem Wirkstoff und seinen Auswirkungen auf die Mortalität der Patienten näher zu befassen.
50
III. Auch in der Fassung der Patentansprüche nach Hilfsantrag 2 erweist sich das Streitpatent nicht als schutzfähig.
51
1. Gegen die Zulässigkeit der Patentansprüche nach Hilfsantrag 2 bestehen allerdings keine Bedenken. Hilfsantrag 2 sieht in beiden Patentansprüchen vor, dass das Carvedilol enthaltende Medikament zur Verabreichung in bestimmten Dosierungen über bestimmte Zeiträume hergerichtet ist. Geschützt werden soll also die Verwendung einer chemischen Substanz bei der therapeutischen Behandlung des menschlichen Körpers, die zu dieser Verwendung hergerichtet ist, etwa durch eine zweckmäßige Konfektionierung der Tablettengrößen , einen Aufdruck auf der Packung oder den dieser beiliegenden Begleitzettel. Nach der Rechtsprechung des Senats ist eine solche Verwendung einer chemischen Substanz nicht durch § 5 Abs. 1 PatG vom Patentschutz ausgenommen (grundlegend BGHZ 88, 209, 215 - Hydropyridin). Für den mit § 5 Abs. 2 Satz 1 PatG wörtlich übereinstimmenden Art. 52 Abs. 4 EPÜ gilt nichts anderes. Den Patentansprüchen des Hilfsantrags 2 steht daher das Verbot der Patentierung von Verfahren zur chirurgischen und therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers nicht entgegen.
52
2. Der Vorschlag, das Medikament zur Verabreichung nach dem Dosierungsschema der Patentansprüche des Hilfsantrags 2 herzurichten, beruht jedoch jedenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Die einschleichende Dosierung von Betablockern und insbesondere Carvedilol bei der Behandlung von Herzinsuffizienz in Dosen und Zeiträumen, die sich allenfalls geringfügig und jedenfalls naheliegend von dem Dosierungsschema der Beklagten unterschei- den, ist auch bei Unterstellung der früheren der von der Beklagten beanspruchten Prioritäten im Stand der Technik nachgewiesen.
53
So haben Olsen et al. 1991 (Entgegenhaltung 62) und 1993 (Entgegenhaltung
8) über Studien berichtet, bei denen unter Herzinsuffizienz leidenden Patienten Carvedilol in einem Dosierungsschema verabreicht wurde, das demjenigen der verteidigten Patentansprüche sehr nahe kommt. Fowler (Entgegenhaltung 61) berichtet über diese Versuche unter Angabe des Dosierungsschemas.
54
Kelly schildert 1993 eine geplante Carvedilol-Studie. Die in dieser Studie vorgeschlagene Dosierung ist aus Sicht des Fachmanns mit derjenigen der verteidigten Patentansprüche praktisch identisch (S. 47 r.). Die bei Kelly angegebene Anfangsdosis von 3,125 mg zweimal täglich für sieben Tage ist als eine Alternative in Patentanspruch 1 (täglich 6,25 mg Carvedilol über einen Zeitraum von sieben Tagen) enthalten, die 6,25 mg zweimal täglich in der zweiten Woche bei Kelly sind es als erste Dosissteigerung nach einer Woche und damit Ausgangspunkt der weiteren Dosissteigerungen ebenfalls. Die Maximaldosen von zweimal 25 mg sind bei Kelly und in Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 identisch. Lediglich der zeitliche Abstand der Dosissteigerungen beträgt bei Kelly eine Woche und nicht wie im Patentanspruch 1 14 Tage. Die beanspruchten weiteren Dosissteigerungen im Zeitraum von 14 Tagen waren jedoch ebenfalls bei der einschleichenden Therapie von Herzinsuffizienz mit Carvedilol bekannt. So berichten Olsen et al. 1991 (Entgegenhaltung 62) und 1993 (Entgegenhaltung
8) darüber, bei der Behandlung von unter Herzinsuffizienz leidenden Patienten mit einer nach einer Woche verabreichten Initialdosis von 3,125 mg die Dosis während des nächsten Behandlungsmonats von zweimal täglich 6,25 mg bis zu einer maximalen Dosis von zweimal täglich 25 mg (bei Patienten mit einem Körpergewicht von weniger als 75 kg) gesteigert zu haben. Eine solche einschleichende Dosierung umfasst insbesondere einen Verdoppelungszeitraum von etwa 14 Tagen, da bei einer Verdoppelung auf zweimal 12,5 mg nach 14 Tagen die nächste Verdoppelung auf zweimal 25 mg in etwa innerhalb weiterer 14 Tage erfolgen muss, um die Maximaldosis binnen eines Monats zu erreichen. Dem Fachmann waren aus dem Stand der Technik daher Behandlungspläne mit Carvedilol bekannt, die eine wöchentliche oder eine etwa 14tägige Dosissteigerung einschlossen. Das Streitpatent hat hierunter eine Auswahl getroffen. Die Berufung hat jedoch nicht geltend gemacht, dass die Entscheidung für den 14tägigen Erhöhungszeitraum auf erfinderischer Tätigkeit beruhte. Insbesondere beruft sie sich nicht auf besondere Wirkungen, Eigenschaften , Vorteile oder Effekte einer Dosissteigerung im Abstand von 14 Tagen anstelle einer Woche.
55
Auch das Dosierungsschema des mit Hilfsantrag 2 verteidigten Patentanspruchs 2 unterscheidet sich von demjenigen bei Kelly lediglich durch den Verdoppelungszeitraum, der aber aus den Veröffentlichungen von Olsen bekannt war. Der anspruchsgemäßen Dosierung von 3,125 mg oder 6,25 mg Carvedilol vorzugsweise zweimal täglich über einen Zeitraum von 14 Tagen entspricht der Vorschlag bei Kelly, Patienten zweimal täglich über eine Woche 3,125 mg (insgesamt also 6,25 mg) zu verabreichen und die Dosis in der zweiten Woche auf zweimal täglich 6,25 mg Carvedilol zu steigern. Eine erfinderische Tätigkeit liegt in dem Dosierungsschema daher auch hier nicht.
56
Die Berufung macht nicht geltend, dass der Fachmann bei der Konfektionierung von Carvedilol in mit den beanspruchten Dosierungsschemata übereinstimmenden Einheiten für ein Medikament auf Schwierigkeiten stieß.
57
Da die Patentansprüche des Hilfsantrags 2 in allen übrigen Merkmalen dem Hauptantrag und Hilfsantrag 1 entsprechen, teilen sie auch deren Schicksal , die Schutzfähigkeit des Streitpatents nicht begründen zu können.
58
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 2 PatG in Verbindung mit §§ 97, 101 ZPO.
Melullis Keukenschrijver Mühlens
Meier-Beck Kirchhoff
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 18.09.2001 - 3 Ni 44/00 (EU) -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
X ZB 22/07
vom
20. Januar 2009
in dem Rechtsbeschwerdeverfahren
betreffend die Patentanmeldung 101 56 215.2-53
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
Steuerungseinrichtung für Untersuchungsmodalitäten
Jedenfalls dann, wenn das sich einer Datenverarbeitungsanlage bedienende
Verfahren in den Ablauf einer technischen Einrichtung eingebettet ist (wie etwa
bei der Einstellung der Bildauflösung eines Computertomografen), entscheidet
über die Patentierung nicht das Ergebnis einer Gewichtung technischer und
nichttechnischer Elemente. Maßgebend ist vielmehr, ob die Lehre bei der gebotenen
Gesamtbetrachtung der Lösung eines über die Datenverarbeitung hinausgehenden
konkreten technischen Problems dient.
BGH, Beschl. v. 20. Januar 2009 - X ZB 22/07 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Januar 2009 durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis sowie die Richter Scharen, Dr. Lemke,
Asendorf und Gröning

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Anmelderin wird der Beschluss des 17. Senats (Technischen Beschwerdesenats) des Bundespatentgerichts vom 17. April 2007 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Bundespatentgericht zurückverwiesen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 25.000,-- € festgesetzt.

Gründe:


1
I. Die Anmelderin hat beim Deutschen Patent- und Markenamt ein Patent mit der Bezeichnung "Verfahren zur Verarbeitung medizinisch relevanter Daten" eingereicht; das Amt hat die Anmeldung zurückgewiesen. Mit der Beschwerde hat die Anmelderin vor dem Bundespatentgericht - soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren von Interesse - beantragt, das Patent mit einem wie folgt lautenden Patentanspruch 1 zu erteilen, an den sich 14 weitere Ansprüche anschließen sollen (2. Hilfsantrag): "Verfahren zur Verarbeitung medizinisch relevanter Daten im Rahmen einer durchzuführenden Untersuchung eines Patienten, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , dass ein in einer Datenverarbeitungseinrichtung abgelegtes Programmmittel anhand von eingegebenen symptomspezifischen und/oder diagnosespezifischen Informationen unter Verwendung einer symptom- und/oder diagnosebasierten Datenbank eine oder mehrere zur Untersuchung des Patienten durchzuführende Untersuchungsmodalitäten auswählt, die an eine Wiedergabeeinrichtung ausgegeben werden, wobei zu einer bestimmten Untersuchungsmodalität ein oder mehrere die Untersuchung definierende Untersuchungs- oder Messprotokolle durch die Datenbank ausgewählt und ausgegeben werden und wobei die Untersuchungs- oder Messprotokolle von der Datenverarbeitungseinrichtung an eine Datenverarbeitungs- und/oder Steuerungseinrichtung einer ausgewählten Untersuchungsmodalität , die zur Untersuchung des Patienten verwendet wird, übertragen werden, wo sie gegebenenfalls bei Bedarf wiedergegeben und/oder zur Steuerung der Untersuchungsmodalität verwendet werden."
2
Der weitere Hilfsantrag 3 unterscheidet sich vom vorangegangenen lediglich in der abweichenden Fassung des letzten Halbsatzes von Patentanspruch 1, welcher lautet: "… wo sie wiedergegeben und zur Steuerung der Untersuchungsmodalität verwendet werden."
3
Das Bundespatentgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde beantragt die Anmelderin diese Entscheidung aufzuheben, soweit die Anmeldung mit den Patentansprüchen 1 bis 15 gemäß Hilfsantrag 2 bzw. Hilfsantrag 3 zurückgewiesen worden ist.
4
II. Die kraft Zulassung statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Bundespatentgericht.
5
1. Das Bundespatentgericht hat die Ansicht vertreten, die Anmeldung habe keine auf technischem Gebiet liegende Erfindung i.S. von § 1 PatG zum Gegenstand. Soweit es die richtige Auswahl von Untersuchungsmodalitäten (z.B. Röntgenuntersuchung, Computertomografie, Magnetresonanz) und gegebenenfalls die zweckmäßige Reihenfolge ihrer Anwendung bei einem Patienten durch ein Programmmittel unter Einsatz einer symptom- und/oder diagnosebasierten Datenbank betreffe, unterfalle das angemeldete Verfahren dem Ausschluss vom Patentschutz nach § 1 Abs. 3 Nr. 3 PatG. Auch der Anweisung, dass für jede bestimmte Untersuchungsmodalität ein oder mehrere Untersuchungs - oder Messprotokolle ausgewählt und ausgegeben werden sollen, liege keine konkrete technische Problemstellung zugrunde. Diese Anweisung sei, wie die Auswahl der Untersuchungsmodalitäten, von der Absicht bestimmt, bisher vom Arzt getroffene abwägende gedankliche Entscheidungen zu automatisieren. Das Verfahren sei nicht aufgrund dieser Anweisung patentierbar.
6
Neben diesen nichttechnischen Gesichtspunkten weise das Verfahren nach Anspruch 1 in der Fassung von Hilfsantrag 2 allerdings auch technische Gesichtspunkte auf, und zwar jedenfalls insofern, als die von dem Programmmittel in der Datenverarbeitungseinrichtung ausgewählten Protokolle an die Untersuchungsmodalitäten übertragen und dort fallweise zur direkten Ansteuerung der Untersuchungsmodalität verwendet werden. Dieser Schritt diene zwar der Lösung einer konkreten technischen Problemstellung, gereiche der Anmeldung jedoch ebenfalls nicht zur Patentfähigkeit. Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs "Anbieten interaktiver Hilfe" greife der Ausschlusstatbestand des § 1 Abs. 3 und 4 PatG zwar schon dann nicht, wenn wenigstens einem Teil der Lehre ein konkretes technisches Problem zugrunde liege. Nach anderen Entscheidungen sei aber eine Gesamtbetrachtung darüber anzustellen, was nach der beanspruchten Lehre im Vordergrund stehe. Das sei bei dem beanspruchten Verfahren der vom Programmmittel ausgeführte Abfrage- und Entscheidungsprozess. Entfielen diese auf Fachwissen zurückgreifenden und abwägende gedankliche Gesichtspunkte einbeziehenden Abläufe, könne weder die von der Anmelderin nach den Anmeldungsunterlagen angestrebte Unterstützung des Arztes bei der Auswahl der Untersuchungsmodalitäten und -protokolle, noch die Einstellung von geeigneten Geräteparametern an den Modalitäten realisiert werden. Die Übertragung der Protokolle an die Datenverarbeitungseinrichtungen der Untersuchungsmodalitäten sei demgegenüber eine ergänzende Maßnahme von untergeordneter Bedeutung. Das Verfahren nach dem Hauptanspruch in der Fassung des Hilfsantrags 2 könne daher nicht als Erfindung i.S. von § 1 Abs. 1 PatG anerkannt werden.
7
2. Gegen diese Beurteilung wendet sich die Rechtsbeschwerde mit Erfolg. Mit der vom Patentgericht gegebenen Begründung lässt sich die Zurückweisung der Anmeldung nicht rechtfertigen.
8
a) Der Gegenstand der Anmeldung weist nach den vom Patentgericht getroffenen Feststellungen in der Fassung der Hilfsanträge 2 und 3 die für die Patentfähigkeit eines Computerprogramms oder eines in Verfahrensansprüche gekleideten Gegenstands der datenverarbeitungsmäßigen Abarbeitung von Verfahrensschritten erforderliche Technizität (§ 1 Abs. 1 PatG) schon deshalb auf, weil er der Verarbeitung, Speicherung und Übermittlung von Daten mittels eines technischen Geräts dient.
9
Etwas anderes ergibt sich für den Standpunkt des Bundespatentgerichts auch nicht aus der Senatsentscheidung "Logikverifikation" (BGHZ 143, 255). Ziel der dort angesprochenen Gesamtbetrachtung (aaO, S. 262 f.) ist allein, ob - was vorliegend außer Streit steht - das Programm oder Verfahren in einer Weise in einen technischen Ablauf eingebettet ist, die das Merkmal der Technizität überhaupt als erfüllt erscheinen lässt. Daraus ergibt sich aber nicht, wie das Patentgericht zu meinen scheint, dass Technizität bei einem Nebeneinander technischer und nichttechnischer Elemente als Ergebnis einer Gewichtung negiert werden dürfe.
10
Unerheblich für das Technizitätserfordernis ist, ob der Gegenstand einer Anmeldung, wie es nach den getroffenen Feststellungen hier der Fall ist, neben technischen Merkmalen auch nichttechnische aufweist. Die auf der sogenannten Kerntheorie beruhende Rechtsprechung zur Abgrenzung nicht schutzfähiger Kombinationen, auf die sich das Patentgericht für seinen gegenteiligen Ansatz berufen hat (Sen.Urt. v. 11.3.1986 - X ZR 65/85, GRUR 1986, 531 - Flugkostenminimierung ), ist mit der Entscheidung "Tauchcomputer" vom 4. Februar 1992 (BGHZ 117, 144) aufgegeben worden (vgl. Benkard/Bacher/Melullis, PatG, 10. Aufl., § 1 PatG Rdn. 45b; Busse/Keukenschrijver, PatG, 6. Aufl. § 1 Rdn. 34). Ob Kombinationen von technischen und nichttechnischen bzw. vom Patentschutz ausgeschlossenen Merkmalen im Einzelfall patentfähig sind, hängt insoweit - abgesehen von etwa einschlägigen Ausschlusstatbeständen des § 1 Abs. 3 PatG - allein davon ab, ob sie auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen (vgl. Benkard/Bacher/Melullis, aaO).
11
b) Nach der Rechtsprechung des Senats muss eine Anmeldung, die ein Computerprogramm oder ein durch Software realisiertes Verfahren zum Gegenstand hat, über die für die Patentfähigkeit unabdingbare Technizität hinaus verfahrensbestimmende Anweisungen enthalten, welche die Lösung eines konkreten technischen Problems mit technischen Mitteln zum Gegenstand haben. Wegen des Patentierungsausschlusses von Computerprogrammen als solchen (§ 1 Abs. 3 Nr. 3 PatG) vermögen regelmäßig erst solche Anweisungen die Patentfähigkeit eines Verfahrens zu begründen, welche eine Problemlösung mit solchen Mitteln zum Gegenstand hat. Nicht der Einsatz eines Computerprogramms selbst, sondern die Lösung eines solchen Problems mit Hilfe eines (programmierten) Computers kann vor dem Hintergrund des Patentierungsverbotes eine Patentfähigkeit zur Folge haben. Das hat zur Folge, dass bei der Prüfung von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit diese Problemlösung in den Blick zu nehmen ist. Außerhalb der Technik liegende Anweisungen genügen in diesem Zusammenhang grundsätzlich nicht; sie sind nur in dem Umfang von Bedeutung, in dem sie auf die Lösung des technischen Problems mit technischen Mitteln Einfluss nehmen (Sen., BGHZ 149, 68 - Suche fehlerhafter Zeichenketten ; 159, 197 - elektronischer Zahlungsverkehr). Schutzfähig ist eine solche Lehre vielmehr erst dann, wenn die Lösung des konkreten technischen Problems neu und erfinderisch ist.
12
Jedenfalls soweit das hier angemeldete Verfahren nach Auswahl von Untersuchungsmodalität und Untersuchungs- bzw. Messprotokollen auch den Einsatz der jeweiligen Untersuchungsmodalität steuert (beispielsweise die Einstellung der Bildauflösung bei Computertomografien), löst es ein in diesem Sinne konkretes technisches Problem. Die programmgesteuerte Einstellung solcher Geräteparameter führt, an die Stelle der manuellen Einstellung durch das Bedienungspersonal tretend, einen technischen Erfolg herbei, der einem Anwendungsprogramm zur Überwachung und Regelung des Ablaufs einer technischen Einrichtung (Sen.Beschl. v. 13.05.1980 - X ZB 19/78 - Antiblockiersystem ) oder zur Aufarbeitung von Messergebnissen (Sen., BGHZ 117, 144 - Tauchcomputer) vergleichbar ist (vgl. zur Schutzfähigkeit einer von einem Ablaufprogramm gesteuerten Röntgeneinrichtung zur Erzielung optimaler Belichtung bei hinreichender Überlastungssicherheit der Röntgenröhren auch EPA GRUR Int. 1988, 585).
13
3. Die Schutzfähigkeit der angemeldeten Erfindung ist hier nach allem keine Frage der Technizität oder des Patentierungsausschlusses, sondern der erfinderischen Tätigkeit, die das Bundespatentgericht nunmehr zu prüfen haben wird. Dabei könnte auch auf die bisher nicht behandelte Frage einzugehen sein, ob die Anmeldung über die außertechnischen Vorgänge der Sammlung, Speicherung , Auswertung und Verwendung von Daten hinaus für deren Umsetzung eine dem Patentschutz zugängliche technische Lehre offenbart und, falls das der Fall sein sollte, ob deren Auffindung die Entfaltung erfinderischer Tätigkeit erforderte, oder ob diese Umsetzung dem Fachwissen des Anwenders überlassen bleibt.
14
Eine mündliche Verhandlung hat der Senat nicht für erforderlich erachtet.
Melullis Scharen Lemke
Asendorf Gröning
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 17.04.2007 - 17 W(pat) 6/04 -

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 47/07 Verkündet am:
26. Oktober 2010
Anderer
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Wiedergabe topografischer Informationen
EPÜ Art. 52 Abs. 2 Buchst. c und d, Art. 56, Art. 138 Abs. 1 Buchst. a;

a) Der Gegenstand eines die Wiedergabe topografischer Informationen mittels
eines technischen Geräts betreffenden Verfahrens ist nicht nach
Art. 52 Abs. 2 Buchst. c oder d EPÜ vom Patentschutz ausgeschlossen,
wenn zumindest ein Teilaspekt der im Patentanspruch unter Schutz gestellten
Lehre ein technisches Problem bewältigt.

b) Bei der Prüfung der Erfindung auf erfinderische Tätigkeit sind nur diejenigen
Anweisungen zu berücksichtigen, die die Lösung des technischen
Problems mit technischen Mitteln bestimmen oder zumindest beeinflussen.

c) Die Auswahl einer für die Navigation eines Fahrzeugs zweckmäßigen
(hier: zentralperspektivischen) Darstellung positionsbezogener topografischer
Informationen bleibt als nicht-technische Vorgabe für den technischen
Fachmann bei der Prüfung eines Verfahrens zur Wiedergabe topografischer
Informationen auf erfinderische Tätigkeit außer Betracht.
BGH, Urteil vom 26. Oktober 2010 - X ZR 47/07 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche
Verhandlung vom 26. Oktober 2010 durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Meier-Beck und die Richter Gröning, Dr. Berger, Dr. Grabinski und
Hoffmann

für Recht erkannt:
Die Berufung gegen das am 14. Dezember 2006 verkündete Urteil des 2. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des europäischen Patents 0 378 271 (Streitpatents), das am 8. Januar 1990 unter Inanspruchnahme der Priorität einer niederländischen Patentanmeldung vom 11. Januar 1989 angemeldet wurde. Das Streitpatent betrifft ein "Verfahren zum visuellen Darstellen eines Teils einer topographischen Karte, sowie eine für ein derartiges Verfahren geeignete Anordnung" und umfasst 19 Patentansprüche.
2
Patentansprüche 1 und 17 haben in der englischen Verfahrenssprache folgenden Wortlaut: "1. A method for the perspective display of a part of a topographic map by selecting, in dependence of a position (c) of a vehicle, topographic information from a data structure, where under the influence of a coordinate transformation the display takes place according to a viewing position (k) which moves together with the position (c) of the vehicle and with a solid angle (g) that takes into account the instantaneous motion of the vehicle, characterized in that for an earthbound vehicle the viewing position is above the earth and the solid angle (g) contains an actual simulated position of the vehicle itself. 17. A device for the perspective display of a part of a topographic map, comprising selection means for selecting, in dependence of a position (c) of a vehicle, topographic information form a data structure, coordinate transformation means for executing a coordinate transformation for effecting the display according to a viewing position (k) that moves together with the position (c) of the vehicle and with a solid angle (g) that takes into account the instantaneous motion of the vehicle, characterized in that for an earthbound vehicle the viewing position is above the earth and the solid angle (g) contains an actual simulated position of the vehicle itself."
3
Die Klägerin hat beantragt, das Streitpatent für nichtig zu erklären. Zur Begründung hat sie geltend gemacht, dass das Streitpatent den Zeitrang der niederländischen Patentanmeldung 89 00056 (K 8) vom 11. Januar 1989 zu Unrecht in Anspruch nehme und sein Gegenstand daher gegenüber der am 20. Oktober 1989 veröffentlichten japanischen Patentanmeldung Hei 1-263688 (Anlage K 10) nicht neu sei. Aber auch für den Fall, dass die Priorität in Anspruch genommen werden könne, hat die Beklagte die Ansicht vertreten, dass der Gegenstand des Streitpatents nicht neu sei oder sich zumindest für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergeben habe.
4
Das Patentgericht hat das Streitpatent mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt, weil sein Gegenstand nicht auf technischem Gebiet liege und deshalb nicht patentfähig sei.
5
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung und beantragt, das Urteil des Patentgerichts mit der Maßgabe abzuändern , dass in Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung hinter die Worte "above the earth" die Worte "and above and behind the vehicle" eingefügt und am Ende die Worte "herein the display is provided according to a principal viewing direction which includes an acute angle with respect to the surface of the earth" hinzugefügt werden sowie in Patentanspruch 17 hinter den Worten "according to a viewing point (k)" die Worte "which includes an acute angle with respect to the surface of the earth, and" und hinter den Worten "above the earth" die Worte "and above and behind the vehicle" eingefügt werden und die Klage im Übrigen abgewiesen wird.
6
Hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent in zusätzlich weiter eingeschränktem Umfang mit sechs Hilfsanträgen. Nach Hilfsantrag I sollen in Patentanspruch 1 nach dem eingefügten
7
Wort "provided" die Worte "via central projection" eingefügt werden.
8
Nach Hilfsantrag II sollen zusätzlich am Ende von Patentanspruch 1 die Worte "wherein the position of the vehicle on the map is displayed" und am Ende von Patentanspruch 17 die Worte "wherein the device further displays the position of the vehicle on the map" angefügt werden sowie Patentanspruch 4 entfallen.
9
Nach Hilfsantrag III sollen weiter zusätzlich am Ende der Patentansprüche 1 und 17 jeweils die Worte "and wherein the altitude of the apparent point of view comprises a function of the speed of the vehicle" angefügt werden sowie Patentanspruch 11 entfallen.
10
Nach Hilfsantrag IV sollen weiter zusätzlich in Patentanspruch 1 nach den Worten "the map is displayed" die Worte "wherein the selected information items to be displayed are determinated by a further selection operation" eingefügt und in Patentanspruch 17 nach den Worten "the speed of the vehicle" die Worte "and wherein the device also comprises second selection means for performing a further selection operation on the sub-information selected by the first selection means" angefügt werden sowie die Patentansprüche 6 und 19 entfallen.
11
Nach Hilfsantrag V sollen weiter zusätzlich in Patentanspruch 1 nach den durch Hilfsantrag IV eingefügten Worten und in Patentanspruch 17 am Ende die Worte "wherein the further selection is based on the distance between the items and the current position of the vehicle" ein- bzw. angefügt werden sowie Patentanspruch 7 entfallen.
12
Nach Hilfsantrag VI sollen weiter zusätzlich in den Patentansprüchen 1 und 17 jeweils am Ende die Worte "wherein the altitude of the apparent point of view depends on an index which indicates a category of a route segment in which the vehicle is present" angefügt werden sowie Patentanspruch 12 entfallen.
13
Die Klägerin beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
14
Im Auftrag des Senats hat Prof. Dr.-Ing. B. , Fachhochschule M. , Institut für Raumbezogene Informations- und Messtechnik, ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.

Entscheidungsgründe:


15
Die zulässige Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg.
16
I. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur visuellen Darstellung eines Teils einer topografischen Karte sowie eine Einrichtung zur Ausführung eines solchen Verfahrens.
17
1. In der Streitpatentschrift wird erläutert, dass es für die Navigation von Autos oder Schiffen nützlich ist, wenn topografische Informationen der Umgebung in visueller Form zur Verfügung stehen.
18
In der veröffentlichten französischen Patentanmeldung 2 610 752 (Anlage K 17) ist - nach den weiteren Ausführungen in der Streitpatentschrift - ein Verfahren beschrieben, in dem die Darstellung eines - nicht notwendigerweise ebenen - Geländes, das in einer Datenstruktur als Knotennetz (network of nodes) gespeichert ist, auf eine auf eine Hilfsfläche projizierte Oberfläche transponiert wird, die sich durch Interpolation über die einzelnen Knoten aufspannt. Eine Karte oder Fotografie des Geländes, die Farbinformationen enthält, wird der Oberfläche überlagert und auf die Hilfsfläche projiziert. Dadurch entsteht ein perspektivisches Bild des Geländes, das beispielsweise einen Piloten mit Informationen über ein Gelände versorgt , das er überfliegt. In der Streitpatentschrift wird angemerkt, dass ein solches Verfahren den Nachteil hat, dass das dem Benutzer gelieferte Bild auf den Inhalt beschränkt ist, den er selbst unter idealen Bedingungen wahrnehmen würde.
19
Dem Streitpatent liegt das Problem ("die Aufgabe") zugrunde, ein Verfahren für die Wiedergabe eines Teils einer topografischen Karte mit einer für den Benutzer eines erdgebundenen Fahrzeugs vorteilhafteren (kürzer: "nutzerfreundlicheren") Darstellung zu schaffen.
20
2. Um dies zu erreichen, sieht Anspruch 1 in der Fassung des Hilfsantrags I ein Verfahren für die (visuelle) Wiedergabe (display) eines Teils einer topografischen Karte mit folgenden Merkmalen vor: (1) Aus einer Datenstruktur werden topografische Informationen ausgewählt. (2) Die Auswahl erfolgt in Abhängigkeit von der Position (c) eines Fahrzeugs. (3) Die ausgewählten Informationen werden wiedergegeben (3.1) unter dem Einfluss einer Koordinatentransformation, (3.2) perspektivisch und (3.3) durch Zentralprojektion. (4) Die Wiedergabe erfolgt aus einer Betrachtungsposition (k), die (4.1) sich zusammen mit der Position (c) des Fahrzeugs bewegt (4.2) für ein erdgebundenes Fahrzeug oberhalb der Erdoberfläche und oberhalb des Fahrzeugs und hinter diesem liegt. (5) Die Wiedergabe erfolgt mit einer Hauptbetrachtungsrichtung , die einen spitzen Winkel im Hinblick auf die Erdoberfläche einschließt. (6) Die Wiedergabe erfolgt mit einem Raumwinkel (g), der (6.1) die momentane Bewegung des Fahrzeugs berücksichtigt und (6.2) eine simulierte Ist-Position (actual simulated position) des Fahrzeugs enthält.
21
3. Die Wiedergabe, d.h. die Bildschirmdarstellung eines Kartenausschnitts , wie er beispielsweise aus der nachfolgend wiedergegebenen Figur 1 des Streitpatents hervorgeht, soll durch die Auswahl (Selektion) von topografischen Informationen aus einer Datenstruktur erzeugt werden (Merkmal 1). In der Beschreibung des Streitpatents wird hierzu erläutert, dass die topografischen Daten in einem Speicher gespeichert sind, der beispielsweise eine CD-ROM sein kann (Sp. 3 Z. 34 bis 36). Die Auswahl soll abhängig von der (jeweiligen) Position eines Fahrzeugs ausgeführt werden (Merkmal 2). Die Beschreibung erläutert hierzu, dass das in Figur 1 gezeigte Bild von einem Mikroprozessor erzeugt werde, der die aktuelle Position des Fahrzeugs auf der Grundlage von Daten berechne, die von Sensoren geliefert würden, und einen wichtigen Teil der topografischen Daten aus dem Speicher selektiere (Sp. 3 Z. 36 bis 40). Der Patentanspruch lässt offen, wie die Position des Fahrzeugs festgestellt wird, von der abhängt, welche Daten ausgewählt werden. Er befasst sich lediglich mit der Erzeugung der Bildschirmdarstellung auf der Grundlage einer in beliebiger Weise festgestellten aktuellen tatsächlichen Fahrzeugposition.
22
Die Wiedergabe soll unter dem Einfluss einer dem Fachmann - bei dem es sich nach den von der Berufung nicht angegriffenen Feststellungen des Patentgerichts um einen Ingenieur auf dem Gebiet der Datenverarbeitung oder Informatiker handelt, der über praktische Erfahrung auf dem Gebiet der elektronischen Navigationsgeräte und insbesondere des Designs von Benutzerschnittstellen verfügt - geläufigen und in der Beschreibung näher erläuterten Koordinatentransformation als perspektivische Wiedergabe durch Zentralprojektion erzeugt werden (Merkmalsgruppe 3). Die Wiedergabe erfolgt zudem erfindungsgemäß aus einer Betrachtungsposition (Projektionszentrum ), die der Fortbewegung des Fahrzeugs folgt und (zweckmäßigerweise weit) oberhalb der Erdoberfläche sowie oberhalb und hinter dem Fahrzeug liegt, also aus einer beweglichen, hinter das Fahrzeug versetzten Vogelperspektive, wobei die Hauptbetrachtungsrichtung einen spitzen Winkel im Hinblick auf die Erdoberfläche einschließt (Merkmalsgruppe 4 und Merkmal 5). Sie erfolgt mit einem Raumwinkel (Projektionswinkel), der die Fahrtrichtung des Fahrzeugs berücksichtigt und seine Ist-Position simuliert (Merkmalsgruppe 6). Hierdurch erhält der Fahrzeugführer eine Darstellung, die einerseits wegen der zentralperspektivischen Wiedergabe und der Berücksichtigung der Orientierung des Bewegungsvektors der realen Wahrnehmung des Fahrzeugführers entspricht und die andererseits durch die nach hinten versetzte Vogelperspektive Informationen enthält, die für den Fahrzeugführer in der Wirklichkeit auch bei optimalen Bedingungen nicht wahrnehmbar sind.
23
II. Das Patentgericht hat angenommen, das erfindungsgemäße Verfahren sei nicht patentfähig, weil es nicht auf technischem Gebiet liege. Anspruch 1 des Streitpatents (in der erteilten Fassung) lehre generell, topografische Informationen so aufzubereiten, dass sie als perspektivische Darstellung wiedergegeben werden können. Mit der vorgeschlagenen Art der Aufbereitung solle nach den Angaben des Streitpatents eine Wiedergabe erreicht werden, die an den Bedürfnissen und Fähigkeiten eines menschli- chen Benutzers ausgerichtet sei. Auch die Anweisung, dass für die perspektivische Abbildung der topografischen Informationen eine (scheinbare) Betrachtungsposition zu wählen sei, die oberhalb der Erde liege, diene dazu , dem Benutzer möglichst viele für ihn relevante topografische Informationen zukommen zu lassen, ohne ihn mit Informationen zu überfluten. Die Anweisungen in Anspruch 1 zielten also insgesamt darauf ab, topografische Informationen in einer Form wiederzugeben, die für den menschlichen Benutzer leicht aufnehmbar sei. Über eine solche ergonomische Zielsetzung hinaus könnten im Anspruch 1 auch keine anderen Anweisungen erkannt werden, die der Lösung eines konkreten technischen Problems dienten. Die Erzeugung einer perspektivischen Wiedergabe aus den topografischen Daten erfordere eine Koordinatentransformation, der für sich gesehen eine mathematische Problemstellung zugrunde liege, deren Lösung im Übrigen in der Beschreibung zutreffend als allgemein bekannt bezeichnet werde. Dem patentgemäßen Verfahren könne die Lösung einer technischen Problemstellung auch insoweit nicht unterlegt werden, als das Verfahren eine Erfassung der momentanen Position des Fahrzeugs erfordere, weil dieser Umstand zwar als gegeben vorausgesetzt werde, aber nicht Gegenstand des Anspruchs 1 sei.
24
Selbst wenn dem Gegenstand der Erfindung wegen der automatisierten Ausführung entsprechend der Rechtsprechung der Technischen Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts ein technischer Charakter zugebilligt würde, wären bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit die Verfahrensanweisungen, die zu der benutzerfreundlichen Darstellung relevanter topografischer Informationen führten, mangels eines Beitrags zum Stand der Technik nicht zu berücksichtigen. Mangels einer besonderen technischen Ausprägung der im Anspruch genannten technischen Mittel sei die Patentfähigkeit daher auch bei einer solchen Betrachtungsweise zu verneinen.
25
III. Dies hält im Ergebnis der Nachprüfung im Berufungsverfahren stand.
26
1. Die erfindungsgemäße Lehre aus Anspruch 1 des Streitpatents in der Fassung des ersten Hilfsantrags liegt allerdings - entgegen der Ansicht des Patentgerichts - auf technischem Gebiet und ist daher als Erfindung im Sinne des Art. 52 Abs. 1 EPÜ zu qualifizieren.
27
a) Nach der Rechtsprechung des Senats genügt ein Verfahren, dessen Gegenstand die Abarbeitung von Verfahrensschritten mit Hilfe elektronischer Datenverarbeitung ist, dem Technizitätserfordernis bereits dann, wenn es der Verarbeitung, Speicherung oder Übermittlung von Daten mittels eines technischen Gerätes dient. Es kommt nicht darauf an, ob der Gegenstand des Anspruchs neben technischen Merkmalen auch nichttechnische aufweist und welche dieser Merkmale die beanspruchte Lehre prägen. Ob Kombinationen von technischen oder nichttechnischen bzw. vom Patentschutz ausgeschlossenen Merkmalen im Einzelfall patentfähig sind, hängt vielmehr - abgesehen von den Ausschlusstatbeständen des Art. 52 Abs. 2 EPÜ und des § 1 Abs. 3 PatG - allein davon ab, ob sie neu sind und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen. Da unerheblich ist, welche Merkmale den Gegenstand des Anspruchs prägen, ist bei einem Verfahrensanspruch auch nicht entscheidend, ob die Erfindung (prinzipielle) Abwandlungen der Arbeitsweise der Komponenten einer Datenverarbeitungsanlage lehrt. Es genügt vielmehr, dass sie die Nutzung solcher Komponenten betrifft und damit eine Anweisung zum technischen Handeln gibt (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Januar 2009 - X ZB 22/07, GRUR 2009, 479 = BlPMZ 2009, 183 Rn. 8 ff. - Steuerungseinrichtung für Untersuchungsmodalitäten ; Beschluss vom 22. April 2010 - Xa ZB 20/08, GRUR 2010, 613 = BlPMZ 2010, 326 Rn. 19 - Dynamische Dokumentengenerierung).
28
Damit liegt im Streitfall eine technische Lehre vor, die als Erfindung dem Patentschutz zugänglich ist. Denn Anspruch 1 betrifft ein Verfahren, bei dem zur Erzeugung der perspektivischen Wiedergabe eines Teils einer topografischen Karte, die um die in bestimmter Weise simulierte Position eines Fahrzeugs ergänzt ist, in Abhängigkeit von der Bewegungsrichtung und der tatsächlichen Position des Fahrzeugs topografische Informationen aus einer Datenstruktur selektiert werden, die Daten in bestimmter Weise verarbeitet werden und schließlich eine näher definierte Bildschirmausgabe erfolgt. Ein solches Verfahren kann nur mit einem technischen Gerät ausgeführt werden und ist damit technischer Natur.
29
b) Die Lehre des Patentanspruchs 1 in der Fassung des Hilfsantrags I ist auch nicht nach Art. 52 Abs. 2 Buchst. c oder d EPÜ vom Patentschutz ausgeschlossen.
30
Nach der Rechtsprechung des Senats ist ein Verfahren, das sich zur Herbeiführung des angestrebten Erfolges eines Programms bedient, mit dessen Hilfe eine Datenverarbeitungsanlage so gesteuert wird, dass der gewünschte Erfolg erzielt wird, nicht schon wegen des Vorgangs der elektronischen Datenverarbeitung dem Patentschutz zugänglich. Da das Gesetz Programme für Datenverarbeitungsanlagen als solche durch Art. 52 Abs. 2 Buchst. c EPÜ vom Patentschutz ausschließt, muss die beanspruchte Lehre Anweisungen enthalten, die der Lösung eines konkreten technischen Problems mit technischen Mitteln dienen. Außerhalb der Technik liegende Anweisungen genügen in diesem Zusammenhang nicht; sie sind nur dann von Bedeutung, wenn sie auf die Lösung des technischen Problems mit technischen Mitteln Einfluss nehmen (Senat, Beschluss vom 24. Mai 2004 - X ZB 20/03, BGHZ 159, 197, 204 - Elektronischer Zahlungsverkehr; Beschluss vom 19. Oktober 2004 - X ZB 34/03, GRUR 2005, 143, 144 - Rentabilitätsermittlung; Beschluss vom 20. Januar 2009 - X ZB 22/07, GRUR 2009, 479 Rn. 11 - Steuerungseinrichtung für Untersuchungsmodali- täten; BGH, Beschluss v. 22. April 2010 - Xa ZB 20/08, GRUR 2010, 613 Rn. 22 - Dynamische Dokumentengenerierung). Entsprechendes gilt für Verfahren zur Wiedergabe von Informationen (Senat, Urteil vom 19. Mai 2005 - X ZR 188/01, GRUR 2005, 749 - Aufzeichnungsträger).
31
Dafür genügt es jedoch, dass ein Teilaspekt der geschützten Lehre ein technisches Problem bewältigt. Das vom Gesetzgeber mit den Ausschlusstatbeständen verfolgte Anliegen wird nach der Rechtsprechung des Senats - nicht anders als nach der Rechtsprechung der Technischen Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts (vgl. EPA, GBK, Beschluss vom 12. Mai 2010 - G 3/08 Rn. 10.7.1, 10.8.2, 10.13 bis 10.13.2 - Program for computers) - im Wesentlichen dadurch verwirklicht, dass jedenfalls bei der Prüfung einer Erfindung auf erfinderische Tätigkeit nur diejenigen Anweisungen berücksichtigt werden, die die Lösung des technischen Problems mit technischen Mitteln bestimmen oder zumindest beeinflussen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. April 2010 - Xa ZB 20/08, GRUR 2010, 613 Rn. 23 f. - Dynamische Dokumentengenerierung, mwN). Die vorgelagerte Prüfung auf das Vorliegen eines Ausschlusstatbestands dient daher nur einer Art Grobsichtung zur Ausfilterung derjenigen Fälle, in denen der Patentanspruch überhaupt keine technische Anweisung enthält, die sinnvollerweise der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit zugrunde gelegt werden kann.
32
Das Verfahren nach dem Streitpatent dient wie ausgeführt der nutzerfreundlicheren Darstellung topografischer Informationen. Zu diesem Zweck werden die topografischen Informationen in Abhängigkeit von der Bewegungsrichtung und der Position des Fahrzeugs ausgewählt und wird die Bildschirmausgabe in einem automatisierten Prozess in bestimmter Weise gestaltet, die die Wiedergabe der topografischen Information mit der Darstellung einer simulierten Ist-Position des Fahrzeugs verbindet. Das Streitpatent betrifft damit eine technische Lösung für ein konkretes technisches Problem.
33
2. Die erfindungsgemäße Lehre aus Patentanspruch 1 in der Fassung des Hilfsantrags I ist dem Fachmann jedenfalls nahegelegt und beruht damit nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
34
a) Das Streitpatent betrifft im Kern ein Verfahren zur Auswahl und Wiedergabe von Informationen, dessen Bestandteile jedenfalls im Wesentlichen bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit nicht berücksichtigt werden können.
35
Die geschützte Lehre setzt sich aus zwei Grundbestandteilen zusammen , von denen der erste die Datenauswahl und der zweite die Art und Weise betrifft, wie die ausgewählten Daten auf dem Bildschirm dargestellt werden.
36
Bei der Datenauswahl (Merkmale 1 und 2) handelt es sich um einen gedanklichen Prozess, der zwar in Abhängigkeit von der aktuellen Position des Fahrzeugs automatisch erfolgen kann, bei dem sich aber der technische Aspekt auf die - sich mittelbar aus dem Gesamtzusammenhang der in Anspruch 1 unter Schutz gestellten Lehre ergebende - Anweisung beschränkt , dass die Auswahl mit Hilfe der elektronischen Datenverarbeitung erfolgt.
37
Die Lehre zur Informationswiedergabe besteht, wie der gerichtliche Sachverständige im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat, aus den Anweisungen , - die (bekannte und als solche nicht technische) perspektivische Darstellung eines Kartenausschnitts zugrunde zu legen (Merkmal 3.2), - sich dazu der (als mathematische Methode bekannten und als solcher ebenfalls nicht technischen) Koordinatentransformation zu bedienen (Merkmal 3.1), - hierbei ein - wiederum von der jeweiligen Position des Fahrzeugs abhängiges - Projektionszentrum zu wählen, das oberhalb der Erdoberfläche und oberhalb und hinter dem Fahrzeug liegt (nach hinten versetzte Vogelperspektive) (Merkmalsgruppe 4), - die Hauptbetrachtungsrichtung so zu bestimmen, dass sie einen spitzen Winkel im Hinblick auf die Erdoberfläche einschließt (Merkmal 5), und - einen Projektionswinkel zu wählen, der die Orientierung des Bewegungsvektors des Fahrzeugs berücksichtigt und eine simulierte Ist-Position des Fahrzeugs enthält (Merkmalsgruppe

6).


38
Der technische Beitrag beschränkt sich dabei auf die allgemeinen Anweisungen, die Ist-Position des Fahrzeugs (in beliebiger Weise) zu ermitteln (Merkmal 2), die Darstellung mit Hilfe der elektronischen Datenverarbeitung zu bewirken, bei der Wahl des Raumwinkels die momentane Bewegung des Fahrzeugs (Merkmal 6.1) und die simulierte Ist-Position des Fahrzeugs zu berücksichtigen (Merkmal 6.2).
39
Die übrigen Bestandteile betreffen eine für Navigationszwecke zweckmäßige Projektion der topografischen Daten. Ihre Verwendung in der erfindungsgemäßen Lösung ist daher nicht Teil der technischen Lösung, sondern gehört zu der dieser vorgelagerten Auswahl einer für Navigationszwecke zweckmäßigen kartografischen Darstellung, die dem Fachmann, sofern er sie nicht bereits selbst als zweckmäßig erkennen kann, von dem hierfür zuständigen Fachmann, einem Kartografen, Geografen oder Geodäten , vorgegeben wird (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 30. Juli 2009 - Xa ZR 22/06, GRUR 2010, 44 = BlPMZ 2010, 187 - Dreinahtschlauchfolienbeutel

).

40
Das technische Problem, ein Verfahren für die Wiedergabe eines Teils einer topografischen Karte in einer nutzerfreundlicheren Darstellung zur Verfügung zu stellen, beschränkt sich daher auf die Aufgabe, die tatsächliche Position eines Fahrzeugs zu ermitteln, ein Verfahren zu automatisieren , das eine den Merkmalen 3 bis 5.1 entsprechende Projektion einer den Merkmalen 1 und 2 entsprechenden topografischen Information ermöglicht und bei dieser Projektion die Bewegungsrichtung und die Position des Fahrzeugs zu berücksichtigen.
41
b) Im Stand der Technik waren die Ermittlung der Ist-Position des Fahrzeugs, die positions- und bewegungsabhängige automatisierte Darstellung topografischer Informationen und die Simulation derselben in dieser Darstellung bekannt.
42
Die Veröffentlichung der internationalen Patentanmeldung 86/02764 (D3, Anlage K 12) betrifft eine Einrichtung zum Anzeigen einer Karte als Navigationshilfe in einem auf Straßen bewegbaren Fahrzeug. Die Einrichtung umfasst eine Datenbank für eine gespeicherte topografische Karte sowie Mittel, die auf Daten über den Ort von Straßen anspricht, um eine Kartenanzeige zu produzieren, die Informationen über die Straßen der Karte in Abhängigkeit von einem ausgewählten Maßstabswert anzeigt (S. 1 Abs. 1; S. 3 Abs. 3; Anspruch 1). Es handelt sich damit um ein Verfahren für die Wiedergabe eines Teils einer topografischen Karte, bei dem die Auswahl topografischer Informationen aus einer Datenstruktur erfolgt.
43
Aus der Entgegenhaltung geht zudem hervor, dass die Auswahl abhängig von einer Position des Fahrzeugs ausgeführt wird (vgl. S. 8 Abs. 3).
Die Wiedergabe erfolgt unter dem Einfluss einer Koordinatentransformation, so wie dies beispielsweise in Figur 2-2 gezeigt und in der Beschreibung (S. 12 letzter Abs., übergehend auf S. 13) erläutert wird. Auch wird die Wiedergabe entsprechend einer Betrachtungsposition ausgeführt, die sich zusammen mit der Position des Fahrzeugs bewegt. In der Entgegenhaltung wird dies dadurch verwirklicht, dass sich bei Bewegungen des Fahrzeugs V die Kartenanzeige M in Translation und/oder Drehung verschiebt, während das das Fahrzeug repräsentierende Bezugszeichen SV dort, wo es auf der Kartenanzeige M wiedergegeben ist, stehenbleibt (vgl. S. 8 Abs. 3; Figur 1). Das in Figur 1 gezeigte und in der Beschreibung erläuterte Betrachtungsfenster W setzt überdies - ohne dass es hierauf ankäme - eine Betrachtungsposition voraus, die für das erdgebundene Fahrzeug oberhalb der Erde liegt (vgl. auch S. 9 Abs. 2). Wiedergegeben wird auch eine simulierte Ist-Position des Fahrzeugs, die in Figur 1 mit dem Bezugszeichen "SV" gekennzeichnet ist.
44
Wollte der Fachmann eine nutzerfreundlichere Darstellung der topografischen Informationen zur Verfügung stellen, musste er lediglich in einem hierzu geeigneten Rechner die erfindungsgemäße Projektion implementieren. Dazu bedurfte es - abgesehen von entsprechenden Rechenkapazitäten - nur des Handwerkszeugs eines Programmierers. Etwas anderes macht auch die Beklagte insoweit nicht geltend.
45
c) Es kann damit dahinstehen, ob der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der Fassung des Hilfsantrags I neu ist. Auch einer abschließenden Entscheidung, ob bei der Prüfung der Neuheit die Gesamtheit der im Patentanspruch unter Schutz gestellten Merkmale nur diejenigen Anweisungen zu berücksichtigen sind, die die Lösung des technischen Problems mit technischen Mitteln bestimmen oder zumindest beeinflussen oder ob dieser Ansatz allein für die Frage relevant ist, ob die Erfindung auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, bedarf es daher nicht.
46
3. Die Lehre aus Patentanspruch 1 des Streitpatents in der Fassung des Hauptantrags beruht ebenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, weil sie sich für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Das folgt ohne weiteres aus den vorstehenden Ausführungen zu Anspruch 1 des Streitpatents in der Fassung des Hilfsantrags I. Daraus ergibt sich zudem, dass Anspruch 17, der sich von Anspruch 1 im Wesentlichen dadurch unterscheidet, dass darin statt eines Verfahrens eine Einrichtung zur Ausübung desselben geschützt wird, keine erfinderische Tätigkeit zugrunde liegt.
47
4. Die Patentansprüche 1 und 17 (Anspruchsnummerierung der erteilten Fassung) in der Fassung der Hilfsanträge II bis VI gehen gleichfalls auf keine erfinderische Tätigkeit zurück.
48
a) Die in Ansprüchen 1 und 17 in der Fassung der Hilfsanträge II bis V gegenüber der Fassung des Hilfsantrags I weiter hinzugefügten Anweisungen , nämlich - die tatsächliche Position des Fahrzeugs auf der Karte wiederzugeben (Hilfsantrag II, Ansprüche 1 und 17), - die Höhe des scheinbaren Blickpunktes von der Geschwindigkeit des Fahrzeugs abhängig zu machen (Hilfsantrag III, Ansprüche 1 und 17), - aus der ausgewählten Information durch eine weitere Auswahloperation wiederzugebende Elemente zu bestimmen (Hilfsantrag IV, Anspruch 1), - eine Einrichtung vorzusehen, die auch zweite Auswahlmittel umfasst, um an der von den ersten Auswahlmitteln ausgewählten Teilinformationen eine weitere Auswahloperation auszuführen (Hilfsantrag IV, Anspruch 17), und - eine weitere Auswahl auf dem Abstand zwischen den Elementen und der aktuellen Position des Fahrzeugs beruhen zu lassen (Hilfsantrag V, Ansprüche 1 und 17), betreffen weitere Einzelheiten der perspektivischen Darstellung, die zwar zu benutzerfreundlichen Verbesserungen bei der Informationswiedergabe führen , zur technischen Lösung des Anspruchs 1 und 17 zugrunde liegenden technischen Problems aber keinen Beitrag leisten.
49
b) Die den Ansprüchen 1 und 17 in der Fassung des Hilfsantrags VI weiter hinzugefügte Anweisung, dass die Höhe des scheinbaren Blickpunktes von einem Index abhängt, der eine Kategorie eines Routenabschnitts angibt, in dem sich das Fahrzeug befindet, betrifft zwar insoweit nicht allein die perspektivische Darstellung mit dem Ziel einer benutzerfreundlichen Wiedergabe, als diese an einen Index gekoppelt ist. Für den Fachmann ist es jedoch nicht mehr als eine von seinem Fachwissen- und -können umfasste Routineaufgabe, einen solchen Index etwa unter dem Gesichtspunkt der Einsparung von Rechenkapazitäten vorzusehen. Das wird bestätigt durch die am 6. Mai 1988 veröffentlichte japanische Patentanmeldung Sho 63-101706, welche für die Wiedergabe einer Karte in einer Anzeigevorrichtung für Fahrzeuge vorsieht, dass in Abhängigkeit von der Kategorie der Straße (eine städtische oder eine andere Straße), auf welcher das Fahrzeug fährt, eine unterschiedliche Art der Darstellung (vergrößerte Anzeige in einem bestimmten Maßstab oder vollständige Anzeige) indexabhängig gewählt wird (vgl. englische Übersetzung, "Abstract", S. 1 und Beschreibung , S. 6).
50
5. Die auf Patentanspruch 1 rückbezogenen Unteransprüche sowie die auf Patentanspruch 17 (Anspruchsnummerierung der erteilten Fassung) rückbezogenen Unteransprüche in den Fassungen des Hauptantrages und der sechs Hilfsanträge, vermögen eine erfinderische Tätigkeit schließlich auch nicht zu begründen. Im Hinblick auf die Unteransprüche 4, 6, 7, 11 und 19 (Anspruchsnummerierung der erteilten Fassung) ergibt sich dies bereits aus den vorstehenden Ausführungen. Im Übrigen ist das Gegenteil weder ersichtlich noch von der Beklagten geltend gemacht worden.
51
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG i.V.m. §§ 91, 97 ZPO.
Meier-Beck Gröning Berger Grabinski Hoffmann
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 14.12.2006 - 2 Ni 12/05 (EU) -

(1) Patente werden nicht erteilt für

1.
Pflanzensorten und Tierrassen sowie im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen und Tieren und die ausschließlich durch solche Verfahren gewonnenen Pflanzen und Tiere;
2.
Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers und Diagnostizierverfahren, die am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen werden. Dies gilt nicht für Erzeugnisse, insbesondere Stoffe oder Stoffgemische, zur Anwendung in einem der vorstehend genannten Verfahren.

(2) Patente können erteilt werden für Erfindungen,

1.
deren Gegenstand Pflanzen oder Tiere sind, wenn die Ausführung der Erfindung technisch nicht auf eine bestimmte Pflanzensorte oder Tierrasse beschränkt ist;
2.
die ein mikrobiologisches oder ein sonstiges technisches Verfahren oder ein durch ein solches Verfahren gewonnenes Erzeugnis zum Gegenstand haben, sofern es sich dabei nicht um eine Pflanzensorte oder Tierrasse handelt.
§ 1a Abs. 3 gilt entsprechend.

(3) Im Sinne dieses Gesetzes bedeuten:

1.
"biologisches Material" ein Material, das genetische Informationen enthält und sich selbst reproduzieren oder in einem biologischen System reproduziert werden kann;
2.
"mikrobiologisches Verfahren" ein Verfahren, bei dem mikrobiologisches Material verwendet, ein Eingriff in mikrobiologisches Material durchgeführt oder mikrobiologisches Material hervorgebracht wird;
3.
"im Wesentlichen biologisches Verfahren" ein Verfahren zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren, das vollständig auf natürlichen Phänomenen wie Kreuzung oder Selektion beruht;
4.
"Pflanzensorte" eine Sorte im Sinne der Definition der Verordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates vom 27. Juli 1994 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz (ABl. EG Nr. L 227 S. 1) in der jeweils geltenden Fassung.

Eine Erfindung gilt als gewerblich anwendbar, wenn ihr Gegenstand auf irgendeinem gewerblichen Gebiet einschließlich der Landwirtschaft hergestellt oder benutzt werden kann.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 236/01 Verkündet am:
19. Dezember 2006
Wermes
Justizhauptsekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
Carvedilol II
EPÜ Art. 52 Abs. 4; PatG § 5 Abs. 2

a) Die Verabreichung einer für die Behandlung einer bestimmten Krankheit
vorgesehenen Medizin als solche ist ein therapeutisches Verfahren zur Behandlung
des menschlichen Körpers. Sie ist nicht Element der Herrichtung
eines Stoffes zur Verwendung bei der Behandlung einer Krankheit (Abgrenzung
zu BGHZ 88, 209, 217 - Hydropyridin).

b) Ist eine dem Patentschutz nicht zugängliche Dosierungsempfehlung eines
von mehreren Merkmalen eines Patentanspruches, so ist sie jedenfalls nicht
zur Beurteilung von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit heranzuziehen. Es
bleibt offen, ob die Aufnahme der Dosierungsempfehlung dazu führt, dass
der Patentanspruch insgesamt vom Schutz ausgeschlossen ist.
BGH, Urt. vom 19. Dezember 2006 - X ZR 236/01 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 19. Dezember 2006 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, den
Richter Keukenschrijver, die Richterin Mühlens und die Richter Prof. Dr. MeierBeck
und Dr. Kirchhoff

für Recht erkannt:
Die Berufung gegen das am 18. September 2001 verkündete Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen, die auch die Kosten der Nebeninterventionen zu tragen hat.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 7. Februar 1996 unter Inanspruchnahme der Prioritäten der deutschen Patentanmeldung 195 03 995 vom 8. Februar 1995 sowie der US-amerikanischen Patentanmeldung 483 635 vom 7. Juni 1995 angemeldeten und mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 808 162 (Streitpatents ). Es betrifft die "Verwendung von Carbazolverbindungen zur Herstellung eines Arzneimittels für die Behandlung von kongestivem Herzversagen".
Das Streitpatent umfasst 12 Ansprüche. Die Patentansprüche 1, 3, 4, 6 und 10 haben in der Verfahrenssprache Englisch folgenden Wortlaut:
1. The use of a compound which is both a β-adrenoreceptor antagonist and a α1-adrenoreceptor antagonists for the manufacture of a medicament for decreasing mortality resulting from congestive heart failure in mammals, alone or in conjunction with one or more other therapeutic agents, said agents selected from the group consisting of an angiotensin converting enzyme inhibitor, a diuretic and a cardiac glycosides.
3. The use of a compound according to claim 1 or 2, wherein said compound is carvedilol.
4. The use of a compound according to claim 3, whereby a pharmaceutical formulation containing either 3.125 or 6.25 mg carvedilol in a single unit are administered for a period of 7-28 days, once or twice daily as an initial dose.
6. The use of a compound according to claim 3, whereby a pharmaceutical formulation containing either 25.0 or 50.0 mg carvedilol in a single unit are administered once or twice as a maintenance dose.
10. The use of carvedilol for the manufacture of a medicament for decreasing mortality resulting from congestive heart failure in mammals according to the following regimen:

a) administering a pharmaceutical formulation which contains either 3.125 or 6.25 mg carvedilol per single unit for a period of 7-28 days, given once or twice daily,

b) administering thereafter a pharmaceutical formulation which contains 12.5 mg carvedilol per single unit for a period of additional 7-28 days, given once or twice daily and

c) administering finally a pharmaceutical formulation which contains either 25.0 or 50.0 mg carvedilol per single unit, given once or twice daily as a maintenance dose.
2
Wegen des Wortlauts der unmittelbar und mittelbar auf Patentanspruch 1 rückbezogenen Patentansprüche 2, 5, 7-9 und 12 sowie des unmittelbar auf Patentanspruch 10 rückbezogenen Patentanspruchs 11 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.
3
Die Klägerin hat die Nichtigerklärung des Streitpatents für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland begehrt. Sie hat zur Begründung geltend gemacht, die Lehre des Streitpatents sei nicht neu und beruhe jedenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
4
Das Bundespatentgericht hat das Streitpatent antragsgemäß für nichtig erklärt. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, in der sie das Streitpatent mit folgenden Patentansprüchen 1 und 2 verteidigt: "1. Verwendung von Carvedilol zur Herstellung eines Medikaments zur Senkung der Mortalität aufgrund kongestiven Herz- versagens bei menschlichen Patienten in Verbindung mit einem Hemmer für Angiotensin umwandelndes Enzym, einem Diuretikum und einem Digitalis-Glykosid, wobei das Medikament in einer Eingangsdosis von 3,125 mg oder 6,250 mg Carvedilol pro Tag über einen Zeitraum von 7 bis 28 Tagen verabreicht wird, gefolgt von Dosierungssteigerungen jeweils im Abstand von 14 Tagen bis zu einer maximalen Dosis von 2 x 25 mg Carvedilol pro Tag.
2. Verwendung von Carvedilol zur Herstellung eines Medikaments zur Senkung der Mortalität aufgrund kongestiven Herzversagens bei Säugern in Verbindung mit mehreren anderen therapeutischen Mitteln, wobei diese Mittel ausgewählt sind aus der Gruppe, bestehend aus einem Hemmer für Angiotensin umwandelndes Enzym, einem Diuretikum und einem Digoxin , wobei das Medikament in einer Anfangsdosis von 3,125 mg oder 6,25 mg Carvedilol vorzugsweise 2 x täglich über einen Zeitraum von 14 Tagen verabreicht wird, gefolgt von einer Verdoppelung der Dosis jeweils im Abstand von 14 Tagen bis zu einer Erhaltungsdosis zwischen 25 und 50 mg, vorzugsweise 2 x täglich."
5
In einem ersten Hilfsantrag verteidigt die Beklagte das Streitpatent mit zwei Patentansprüchen, die sich von denjenigen des Hauptantrags durch Weglassung der Dosierungsanweisungen unterscheiden: "1. Verwendung von Carvedilol zur Herstellung eines Medikaments zur Senkung der Mortalität aufgrund kongestiven Herzversagens bei menschlichen Patienten in Verbindung mit ei- nem Hemmer für Angiotensin umwandelndes Enzym, einem Diuretikum und einem Digitalis-Glykosid.
2. Verwendung von Carvedilol zur Herstellung eines Medikaments zur Senkung der Mortalität aufgrund kongestiven Herzversagens bei Säugern in Verbindung mit mehreren anderen therapeutischen Mitteln, wobei diese Mittel ausgewählt sind aus der Gruppe, bestehend aus einem Hemmer für Angiotensin umwandelndes Enzym, einem Diuretikum und einem Digoxin."
6
In einem zweiten Hilfsantrag verteidigt die Beklagte das Streitpatent mit folgenden Patentansprüchen: "1. Verwendung von Carvedilol zur Herstellung eines Medikaments zur Senkung der Mortalität aufgrund kongestiven Herzversagens bei menschlichen Patienten in Verbindung mit einem Hemmer für Angiotensin umwandelndes Enzym, einem Diuretikum und einem Digitalis-Glykosid, wobei das Medikament zur Verabreichung in einer Eingangsdosis von 3,125 mg oder 6,25 mg Carvedilol pro Tag über einen Zeitraum von 7 bis 28 Tagen, gefolgt von Dosierungssteigerungen jeweils im Abstand von 14 Tagen bis zu einer maximalen Dosis von 2 x 25 mg pro Tag hergerichtet ist.
2. Verwendung von Carvedilol zur Herstellung eines Medikaments zur Senkung der Mortalität aufgrund kongestiven Herzversagens bei Säugern in Verbindung mit mehreren anderen therapeutischen Mitteln, wobei diese Mittel ausgewählt sind
aus der Gruppe, bestehend aus einem Hemmer für Angiotensin umwandelndes Enzym, einem Diuretikum und einem Digoxin , wobei das Medikament zur Verabreichung in einer Anfangsdosis von 3,125 mg oder 6,25 mg Carvedilol vorzugsweise 2 x täglich über einen Zeitraum von 14 Tagen, gefolgt von einer Verdoppelung der Dosis jeweils im Abstand von 14 Tagen bis zu einer Erhaltungsdosis zwischen 25 und 50 mg, vorzugsweise 2 x täglich, hergerichtet ist."
7
In der Berufungsinstanz haben die Streithelferinnen ihren Beitritt zum Rechtsstreit auf Seiten der Klägerin erklärt. Der Senat hat die Nebeninterventionen durch Beschluss vom 17. Januar 2006 zugelassen (BGHZ 166, 18 - Carvedilol I).
8
Der Senat hat ein schriftliches Gutachten und ein Ergänzungsgutachten des Professors Dr. T. M. eingeholt; seine Ausführungen hat der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt. Die Beklagte hat ein Gutachten des Professors Dr.M. H. sowie fünf gutachtliche Stellungnahmen des Professors Dr. Dr. E. E. zu den Akten gereicht. Die Klägerin hat zwei gutachtliche Stellungnahmen des Professors Dr. R. H. , die Streithelferin zu 1 ein Gutachten des Dr. J. B. und die Streithelferin zu 2 eine Stellungnahme des Dr. Dr. W. A. vorgelegt.

Entscheidungsgründe:


9
Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg.
10
I. 1. Das Streitpatent betrifft in der in erster Linie verteidigten Fassung die Verwendung von Carvedilol zur Herstellung eines Medikaments zur Senkung der Mortalität aufgrund kongestiven Herzversagens, wobei das Carvedilol in Verbindung mit einem Hemmer für Angiotensin umwandelndes Enzym, einem Diuretikum und einem Digitalis-Glykosid (Patentanspruch 1) oder mit mehreren von diesen drei anderen therapeutischen Mitteln (Patentanspruch 2) verabreicht wird, und zwar nach dem Hauptantrag der Beklagten nach einem bestimmten, einschleichenden Dosierungsschema.
11
Das Streitpatent schildert als Stand der Technik, chronische (Stauungs-) Herzinsuffizienz (congestive heart failure; CHF) mit einer Kombination aus einem ACE-Hemmer (Verbindung, welche die Umwandlung von Angiotensin I in das gefäßverengend wirkende Angiotensin II verhindert), einem Diuretikum und einem Herzglykosid zu behandeln. Da Herzinsuffizienz zu hoher Sterblichkeit führe, seien Therapeutika sehr wünschenswert, welche die Sterblichkeit der an dieser Krankheit leidenden Patienten senkten. Die Streitpatentschrift erwähnt sodann erste Untersuchungen zur Behandlung von Herzinsuffizienz mit Carvedilol , wobei sich einige positive Wirkungen bei Hämodynamik und Symptomen gezeigt hätten (DasGupta P. et al., 1992, Entgegenhaltung 6) und eine günstige Wirkung von Carvedilol auf die Funktion der linken Herzkammer festgestellt worden sei (Senior R. et al., 1992, Entgegenhaltung 3).
12
Ausgehend von diesem Stand der Technik möchte das Streitpatent Carvedilol als Mittel zur Senkung der Mortalität aufgrund einer Stauungsherzinsuffizienz verfügbar machen. Dafür schlägt Patentanspruch 1 in der hauptsächlich verteidigten Fassung vor: 1. Verwendung von Carvedilol zur Herstellung eines Medikaments 2. zur Senkung der Mortalität aufgrund kongestiven Herzversagens bei menschlichen Patienten 3. in Verbindung mit 3.1 einem Hemmer für Angiotensin umwandelndes Enzym, 3.2 einem Diuretikum und 3.3 einem Digitalis-Glykosid, 4. wobei das Medikament verabreicht wird 4.1 in einer Eingangsdosis von 4.1.1 3,125 mg oder 6,250 mg Carvedilol pro Tag 4.1.2 über einen Zeitraum von 7 bis 28 Tagen, 4.2.1 gefolgt von Dosissteigerungen 4.2.2 jeweils im Abstand von 14 Tagen 4.3 bis zu einer maximalen Dosis von 2 x 25 mg Carvedilol pro Tag.
13
Patentanspruch 2 lässt sich wie folgt gliedern (Unterschiede zu Patentanspruch 1 fett hervorgehoben): 1. Verwendung von Carvedilol zur Herstellung eines Medikaments 2. zur Senkung der Mortalität aufgrund kongestiven Herzversagens bei Säugern 3. in Verbindung mit mehreren anderen therapeutischen Mitteln, wobei diese Mittel ausgewählt sind aus der Gruppe bestehend aus 3.1 einem Hemmer für Angiotensin umwandelndes Enzym, 3.2 einem Diuretikum und 3.3 einem Digoxin, 4. wobei das Medikament verabreicht wird 4.1 in einer Anfangsdosis von 4.1.1 3,125 mg oder 6,25 mg Carvedilol vorzugsweise 2 x täglich 4.1.2 über einen Zeitraum von 14 Tagen 4.2.1 gefolgt von einer Verdoppelung der Dosis 4.2.2 jeweils im Abstand von 14 Tagen 4.3 bis zu einer Erhaltungsdosis zwischen 25 und 50 mg, vorzugsweise 2 x täglich.
14
3. Die Streitpatentschrift schildert Carvedilol als Arzneimittel mit Mehrfachwirkung. Es wirke sowohl als kompetitiver nicht selektiver β-Adrenoreceptor -Antagonist (Betablocker) wie auch als Vasodilatator. Die gefäßerweiternde Wirkung von Carvedilol beruhe in erster Linie auf einer α1-Adrenoreceptor -Blockierung, während die β-Adrenoreceptor-blockierende Wirkung des Arzneimittels eine reflektorische Tachykardie (erhöhte Herzschlagfrequenz) verhindere, wenn es bei der Behandlung von Bluthochdruck verwendet werde. Carvedilol verringere auch die Infarktgröße beim akuten Myokardinfarkt am Ratten -, Hunde- und Schweinemodell (Ruffolo et al., Entgegenhaltung 5). Bei klinischen Studien sei entdeckt worden, dass Carvedilol bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz die Sterblichkeit um etwa 67 % vermindere. Dieses Ergebnis sei überraschend gewesen, weil Betablocker eine unerwünschte kardiodepressive Wirkung hätten und deshalb im Allgemeinen kontraindiziert bei Pati- enten seien, die an Herzinsuffizienz litten. Zudem hätten kurz vor dem Prioritätstag Studien mit den Betablockern Metoprolol und Bisoprolol bei der Behandlung der chronischen Herzinsuffizienz keinen Unterschied bei der Sterblichkeit zwischen mit diesen Mitteln behandelten Patienten und placebobehandelten Patienten gezeigt (S. 5 Z. 15-26).
15
II. Das Streitpatent ist, nachdem es jedenfalls auch in einer zulässigerweise eingeschränkten Fassung verteidigt wird, in dem Umfang, in dem es nicht mehr verteidigt wird, ohne weitere Sachprüfung für nichtig zu erklären (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urt. v. 04.06.1996 - X ZR 49/94, GRUR 1996, 857, 858 - Rauchgasklappe; insoweit nicht in BGHZ 133, 57 abgedruckt). Aber auch mit den Patentansprüchen 1 und 2 in den hauptsächlich und hilfsweise verteidigten Fassungen hat das Streitpatent keinen Bestand.
16
1. Es kann offenbleiben, ob die Patentansprüche in der mit dem Hauptantrag verteidigten Fassung zulässig sind. Bedenken ergeben sich insoweit daraus, dass sie in Merkmalsgruppe 4 eine bloße Dosisempfehlung enthalten, die angibt, in welchen Mengen das Carvedilol enthaltende Medikament zu welchen Zeiten Patienten verabreicht werden soll. Die Verabreichung einer für die Behandlung einer bestimmten Krankheit vorgesehenen Medizin als solche ist ein therapeutisches Verfahren zur Behandlung des menschlichen Körpers. Es ist nicht Element der Herrichtung eines Stoffs zur Verwendung bei der Behandlung einer Krankheit (vgl. BGHZ 88, 209, 217 - Hydropyridin), sondern folgt dieser. Die Bestimmung des geeigneten individuellen Therapieplans für einen Patienten einschließlich der Verschreibung und Dosierung von Medikamenten ist prägender Teil der Tätigkeit des behandelnden Arztes und damit ein nach Art. 52 Abs. 4 EPÜ und § 5 Abs. 2 PatG dem Patentschutz entzogenes Verfahren. Zwar kommt ein Verwendungsanspruch auch für die Herrichtung eines bestimmten Stoffs zur Behandlung einer Krankheit in Betracht, die durch einen im Vertrieb beigefügten Beipackzettel oder einen Verwendungshinweis auf der Packung erfolgt. Ein Patentschutz für von der Herrichtung des Stoffs gelöste, reine Dosierungsempfehlungen ergibt sich daraus jedoch nicht. Soweit das Bundespatentgericht in seiner neueren Praxis (Urt. v. 22.03.1996 - 14 W (pat) 116/94, GRUR 1996, 868 - Knochenzellenpräparat) hierzu einen anderen Standpunkt einnimmt, ist ihm nicht beizutreten. Ein anderes Ergebnis wäre mit dem Wortlaut des Art. 52 Abs. 4 EPÜ unvereinbar und würde diese Bestimmung eines wesentlichen Teils des ihr zugedachten Anwendungsbereichs berauben.
17
Es bedarf im Streitfall keiner Entscheidung, ob die Aufnahme der nicht patentfähigen Dosierungsempfehlung dazu führt, dass die Patentansprüche des Hauptantrags insgesamt vom Schutz ausgeschlossen sind, wie dies etwa das Europäische Patentamt annimmt (vgl. etwa Beschl. v. 11.06.1997 - T 329/94, GRUR Int. 1998, 608 - Verfahren zur Blutextraktion/BAXTER; v. 15.05.1995 - T 82/93, GRUR Int. 1996, 945 - Herzphasensteuerung/TELECTRONICS). Aus Art. 52 Abs. 4 EPÜ, der die Freiheit der ärztlichen Therapie schützt, ist jedenfalls abzuleiten, dass die Dosisempfehlung zur Beurteilung von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit nicht heranzuziehen ist. Gegenstand der Prüfung auf Schutzfähigkeit sind daher nur die Merkmale ohne diese Anweisung, wie sie auch in Hilfsantrag 1 zusammengefasst sind, der den Ansprüchen des Hauptantrags , jedoch ohne die Merkmale, welche die Dosierung von Carvedilol betreffen, entspricht.
18
2. Es kann auch dahinstehen, ob die Beklagte für die Patentansprüche des Hilfsantrags 1 zu Recht die von ihr genannten Prioritäten in Anspruch nimmt. Auch wenn dies unterstellt wird und damit die älteste beanspruchte Priorität (08.02.1995) heranzuziehen ist, erweisen sich die mit den Patentansprü- chen in der Fassung dieses Antrags beanspruchten Gegenstände als nicht patentfähig.
19
2.1. Zum unterstellten Prioritätstag wurde die Anwendung von Carvedilol zur Behandlung von Herzinsuffizienz auf der Grundlage klinischer Versuche in der Fachöffentlichkeit bereits in großem Umfang diskutiert (etwa Olsen et al., Entgegenhaltung 8, 1993; Krum et al., Entgegenhaltung 13, 1993; DasGupta et al., Entgegenhaltung 9, 1990; Kelly, Entgegenhaltung 57, 1993; Senior et al., Entgegenhaltung 3, 1992; Fowler, Entgegenhaltung 61, 1993, S. 62).
20
Jedenfalls in der Veröffentlichung von Krum wird ausdrücklich beschrieben , dass die mit Carvedilol behandelten Patienten weiterhin als Standardtherapie eine Kombination aus Digoxin, Diuretika und ACE-Hemmern erhielten. Digoxin ist ein Digitalis-Glykosid. Bereits Swedberg et al. berichteten 1979 über den gleichzeitigen Einsatz von Betablockern mit Digitalis und Diuretika (Entgegenhaltung 24). DasGupta (S. 118) und Kelly (S. 47 l. Sp.) schildern die parallele Behandlung an Herzinsuffizienz leidender Patienten mit Carvedilol und Diuretika , wobei Kelly (S. 47, r. Sp.) auch die gleichzeitige Einnahme von ACEHemmern vorschlägt. Fowler erwähnt vielversprechende, vorläufige Studien zum Einsatz von Carvedilol bei der Behandlung von Herzinsuffizienz bei Aufrechterhaltung der Standardtherapie aus Digoxin, Diuretika und ACE-Hemmern. Damit waren jedenfalls Merkmal 1 sowie die Merkmalsgruppe 3 beider verteidigter Patentansprüche im unterstellten Prioritätszeitpunkt aus dem Stand der Technik bekannt.
21
2.2. Der Patentschutz stützt sich vor diesem Hintergrund allein auf den spezifischen Zweck einer Senkung der Mortalität durch die Verwendung des als Arzneimittel bekannten Stoffes Carvedilol in Kombination mit der ebenso bekannten Standardtherapie der genannten drei weiteren Arzneimittel auf dem bekannten Anwendungsgebiet der Behandlung von Herzinsuffizienz. Es erscheint bereits zweifelhaft, ob sich aus dieser Zweckbestimmung hier die Neuheit der Lehre des Streitpatents herleiten lässt.
22
Bei als solchen bekannten Arzneimitteln hat der Senat bisher Neuheit nur angenommen, wenn es um die Herrichtung des Stoffes für die Behandlung einer Krankheit ging, die mit ihm bisher nicht therapiert worden war (Sen., aaO - Hydropyridin; BGHZ 164, 220 - Arzneimittelgebrauchsmuster). Eine Schutzfähigkeit eines weiteren Therapieziels (etwa Mortalitätssenkung gegenüber der Behandlung von Symptomen), das beim bekannten Einsatz eines bekannten Medikaments zur Behandlung einer bestimmten Krankheit schon im Stand der Technik erreicht, jedoch noch nicht beschrieben wurde, lässt sich der Rechtsprechung des Senats dagegen nicht entnehmen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Berufung herangezogenen Entscheidung BGHZ 101, 159 - Antivirusmittel. Dort hat der Senat zwar ausgeführt, in Bezug auf den zweckgebundenen Stoffschutz scheide eine Benutzung des Patentgegenstands aus, wenn ein anderer als der im Patent genannte Zweck verwirklicht werde (aaO S. 164). Aus dem Zusammenhang dieser zur früheren deutschen Rechtlage ergangenen Entscheidung ergibt sich aber, dass mit dem Zweck der Verwendung dort allein die Vorbeugung gegen und die Behandlung einer bestimmten Erkrankung gemeint war. Geschützt war der final determinierte Einsatz eines Stoffes als Antivirusmittel; er wurde jedoch von der dortigen Verletzungsbeklagten zur Behandlung der Parkinsonschen Krankheit eingesetzt.
23
Soweit der Senat in seiner Entscheidung "Arzneimittelgebrauchsmuster" (aaO S. 222) ausgeführt hat, bei der medizinischen Indikation werde zur Erzielung einer präventiven oder therapeutischen Wirkung auf einen menschlichen oder tierischen Körper eingewirkt, ging es um die Abgrenzung zu Arbeitsverfahren , die vom Gebrauchsmusterschutz ausgeschlossen sind. Aus dieser Ent- scheidung folgt daher nichts für die Auffassung der Berufung, der bekannte Einsatz eines bekannten Arzneimittels zur Behandlung einer bestimmten Krankheit solle dann patentfähig sein, wenn bei dieser Behandlung nunmehr bewusst ein Therapieziel verfolgt wird, das tatsächlich schon bisher erreicht wurde.
24
Zudem handelt es sich bei der Neuheit um einen patentrechtlichen Begriff normativen Charakters (vgl. Kraßer, Lehrbuch des Patentrechts, 5. Aufl., S. 280). Es ist daher unerheblich, ob der vom Europäischen Patentübereinkommen nicht benutzte Terminus der medizinischen Indikation im medizinischen Sprachgebrauch auch durch das jeweils mit der Behandlung einer Krankheit verfolgte Therapieziel und nicht nur durch Krankheit und Behandlungsmethode definiert wird. Nach dem Gedanken des Art. 54 Abs. 5 EPÜ ist maßgebend, ob die Anwendung des Stoffes in einem der in Art. 52 Abs. 4 EPÜ genannten Verfahren nicht zum Stand der Technik gehört. Dass dieses Merkmal durch bisher nicht bekannte weitere therapeutische Anwendungen bei dem gleichen Krankheitsbild erfüllt werden kann, erscheint auch mit Blick auf den Zweck der Regelung nicht ohne weiteres einsichtig.
25
Letztlich kann aber die Schutzfähigkeit der von der Beklagten beanspruchten Verwendung von Carvedilol zur Mortalitätssenkung ebenso dahinstehen wie die Frage, ob der Gegenstand des Streitpatents etwa in der Veröffentlichung von Fowler (Entgegenhaltung 61) vorweggenommen wurde. Jedenfalls beruht er auch in den noch verteidigten Fassungen der Patentansprüche nicht auf erfinderischer Tätigkeit (Art. 56 EPÜ).
26
2.3. Das Bundespatentgericht hat als für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit maßgeblichen Fachmann einen Facharzt für innere Medizin mit Erfahrungen in der Behandlung von Herz- und Kreislauferkrankungen angese- hen. Der Senat vermag dieser Auffassung nicht beizutreten. Die Bewertung der für eine Erfindung aufzubringenden Entwicklungsarbeit hängt davon ab, welche Kenntnisse und Fähigkeiten von einem mit Neuerungen auf dem jeweiligen Fachgebiet betrauten Fachmann erwartet werden dürfen (Sen. in st. Rspr., etwa Urt. v. 29.02.2000 - X ZR 166/97 - Warenregal, bei Bausch, Nichtigkeitsrechtsprechung in Patentsachen Bd. 3, 365, 369 f.). Es kann auch für den unterstellten Prioritätszeitpunkt nicht davon ausgegangen werden, dass Medikamente zur Behandlung von Herzinsuffizienz typischerweise von niedergelassenen oder klinischen Ärzten allein entwickelt wurden, die diese Medikamente später in ihrer Praxis anwendeten. Das hat der gerichtliche Sachverständige in der mündlichen Verhandlung bestätigt. Herzmittel werden und wurden - wie gemeinhin auch sonst Arzneimittel - von Spezialistenteams in pharmazeutischen Unternehmen, Universitätskliniken oder anderen medizinischen Forschungseinrichtungen entwickelt. Mitglied eines solchen Teams war hier jedenfalls auch ein Wissenschaftler, der als Kardiologe qualifiziert war und zusätzlich Kenntnisse der Pharmakologie besaß. Er verfügte über einschlägige Erfahrungen bei der Entwicklung von Herzmitteln. Dem Team wird ferner entweder angehört oder für Konsultationen zur Verfügung gestanden haben auch ein Biometriker , der Methoden zur Planung, Durchführung und Auswertung klinischer Experimente und Studien bereitstellen konnte, ohne die eine Zulassung von Arzneimitteln nicht möglich war. Der maßgebliche Fachmann wird daher entgegen der Auffassung der Beklagten bei seiner Entwicklungsarbeit keineswegs nur solche Publikationen berücksichtigt haben, die den Kriterien der evidenzbasierten Medizin genügen, also insbesondere mit Studien belegt sind, die einem besonders qualifizierten Studiendesign als Voraussetzung der Arzneimittelzulassung genügen.
27
2.4. Vor diesem Hintergrund war es schon im Februar 1995, dem früheren der beanspruchten Prioritätszeitpunkte, naheliegend, Carvedilol auch als Mittel zur Senkung der Mortalität bei Herzinsuffizienz zu verwenden. Der Senat stimmt damit im Ergebnis und weitgehend auch in der Begründung mit der Entscheidung des kanadischen Bundesgerichts (T-1871-01 v. 18.07.2003 - Ministry of Health and Pharmascience vs. Glaxo Smith Kline, 2002 FC 899, Noel J.) überein.
28
Im Stand der Technik fand der Fachmann die Behandlung von Herzinsuffizienz mit Carvedilol in Kombination mit einem ACE-Hemmer, einem Diuretikum und einem Digoxin bzw. Digitalis-Glykosid vor. Der Fachmann konnte der Fachliteratur auch verschiedene Hinweise auf eine mortalitätssenkende Wirkung von Carvedilol bei Patienten entnehmen, die an Herzinsuffizienz leiden.
29
a) Der gerichtliche Sachverständige hat ausgeführt, schon seit Ende der 1970er Jahre habe in der Fachwelt das Bedürfnis bestanden, die Frage zu prüfen , ob Beta-Rezeptorenblocker und unter ihnen auch speziell Carvedilol die Prognose - und damit die Überlebenschance - bei Patienten mit Herzinsuffizienz verbessern können. Er hat dazu auf die Studie von Swedberg et al. aus dem Jahr 1979 (Entgegenhaltung 24) verwiesen. In dieser Publikation wird auf der Grundlage einer kleinen klinischen Studie die Auffassung vertreten, dass Betablocker als zusätzliche Gabe zu Digitalis und Diuretika bei der Behandlung von schwerer dekompensierter Kardiomyopathie (COCM) die Myokardfunktion und damit die Prognose verbessern. Allerdings hatte diese Studie deutliche methodische Schwächen (z.B. geringe Patientenanzahl, retrospektive Auswahl der Kontrollgruppe, nicht randomisierte Prüfung) und Carvedilol gehörte nicht zu den geprüften Betablockern (vgl. Tabelle S. 1375 l. oben der Entgegenhaltung). Der Privatgutachter der Beklagten, Prof. H. , hat in seiner Stellungnahme ausgeführt, dass seit Beginn der 1980er Jahre das Interesse der medizinischen Fachwelt nicht mehr nur darauf ausgerichtet war, die Symptome der Patienten zu lindern, sondern auch deren Prognose zu verbessern.

30
Pitt (1992, Entgegenhaltung 23) berichtet in einer Abhandlung über die Bedeutung von Betablockern bei der Vorbeugung gegen den plötzlichen Herztod , dass Daten aus mehreren sorgfältig angelegten, großen, placebokontrollierten Doppelblindstudien nach Anwendung von Betablockern eine Senkung der Gesamtmortalität wie auch der Häufigkeit des plötzlichen Herztods vermuten ließen. Weiter heißt es, neue β-adrenerge Blocker mit vasodilatierenden (gefäßerweiternden) Eigenschaften eröffneten einen neuen Weg zur Überprüfung der Hypothese, dass β-adrenerge Blocker bei der Prophylaxe des plötzlichen Herztods nützlich seien (Einl. Entgegenhaltung 23, letzter Satz). Wie DasGupta (Entgegenhaltung 10) bereits 1991 ausführlich erläutert hat, ist Carvedilol ein vasodilatierender Betablocker. Carvedilol war laut Pitt (I-109 r.) auch einer von zwei für eine Studie der SOLVD-Gruppe des National Heart, Lung and Blood Institute der USA ausgewählten Betablocker. Mit dieser Studie sollten bei Patienten, die eine linksventrikuläre Auswurffraktion ≤ 35 % hatten, die Mortalität insgesamt und das Auftreten des plötzlichen Herztods geprüft werden. Der gerichtliche Sachverständige hat in der von Pitt diskutierten Verwendung von Carvedilol zur Prophylaxe des plötzlichen Herztods einen der Mechanismen erkannt, über den Carvedilol zur Verminderung der Sterblichkeit bei Herzinsuffizienz führen kann. Der Gutachter der Klägerin, Prof. Dr. R. H. , hat ausgeführt, dass der plötzliche Herztod (innerhalb einer Stunde nach Auftreten kardialer Beschwerden) in 40 % der Fälle Todesursache bei chronischer Herzinsuffizienz ist; dies ist von den Verfahrensbeteiligten nicht in Frage gestellt worden.
31
Auch Senior et al. (Entgegenhaltung 3) sprechen 1992 eine mögliche, signifikante Verringerung der Mortalität bei der Behandlung von Herzinsuffizienz mit Carvedilol an. Dass einer der Mitautoren zehn Jahre später die damaligen Ausführungen als durch Fakten nicht belegte Spekulation bezeichnet hat, steht ihrer Eignung, dem Fachmann Versuche in dieser Richtung nahezulegen, nicht entgegen. Anregungen dieser Art sind häufig das Ergebnis von Hypothesen, die umso mehr Gewicht erhalten, wenn sie - wie hier - zum maßgeblichen Zeitpunkt der Priorität durch andere, gleichartige Überlegungen und Erwartungen gestützt werden.
32
In dem ebenfalls 1992 erschienenen Aufsatz von Feuerstein et al. (Entgegenhaltung
7) wird berichtet, dass die Morbidität und Mortalität nach akutem Myokardinfarkt durch Betablocker sowohl in Tierstudien als auch in klinischen Prüfungen reduziert werde. Allerdings gebe es keinen Beweis, mit dem die schützenden Wirkungen des Betablockers und Vasodilatators Carvedilol auf das Myokard belegt werden könnten. Die Autoren fanden aber in Tierstudien mit Ratten, Schweinen und Hunden ihre Hypothese bestätigt, dass Carvedilol aufgrund seiner zusätzlichen Wirkungen zu höherem Herzschutz als ausschließliche Betablocker führe. Abschließend heißt es, diese Ergebnisse der Tiermodelle könnten möglicherweise dazu beitragen, dass Carvedilol bei der Behandlung von Herzinsuffizienz verwendet werde (S. 141 r. u.). Die mögliche Anwendung von Carvedilol bei Herzinsuffizienz wird in dieser Schrift also in Zusammenhang mit der mortalitätssenkenden Wirkung von Carvedilol nach einem Myokardinfarkt gebracht.
33
Kennedy et al. (Entgegenhaltung 26) veröffentlichten 1993 Ergebnisse einer retrospektiven Auswertung der sogenannten CAST-Studie, mit der sie insbesondere den Zusammenhang zwischen einer Betablocker-Therapie und der Morbidität bzw. Mortalität bei Patienten untersuchten, die einen Myokardinfarkt überlebt hatten und gleichzeitig unter dekompensierter Herzinsuffizienz litten. Als Ergebnis ihrer Studie wurde bekanntgegeben, dass die BetablockerTherapie mit einer signifikant besseren Überlebensrate bei neu aufgetretener oder sich verschlechternder dekompensierter Herzinsuffizienz einherging. Die Autoren erkennen darin einen zusätzlichen Beleg für Nutzen und Sicherheit einer Betablocker-Therapie bei Post-Infarkt-Patienten mit anamnestisch bekannter dekompensierter Herzinsuffizienz. Allerdings wird nicht berichtet, welcher Betablocker verwendet wurde. In dem ausführlichen Bericht über ihre Untersuchung (Entgegenhaltung 27) findet sich bei Kennedy et al. als Fig. 5 auf S. 679 eine Grafik, welche die Mortalität der untersuchten Patienten mit Herzinsuffizienz mit und ohne Einnahme von Betablockern anschaulich macht und die Vorteilhaftigkeit der Betablocker-Therapie im Hinblick auf die Mortalität zeigt.
34
Fowler (Entgegenhaltung 61, S. 62) befasst sich 1993 mit dem Potential von Carvedilol bei der Behandlung von Herzinsuffizienz. In den Schlussfolgerungen des Aufsatzes wird ausgeführt, Carvedilol besitze mit seiner Wirkung als Betablocker und Gefäßerweiterer zwei Eigenschaften, die mit verbesserten Überlebenschancen von Patienten mit Herzgefäßerkrankungen verbunden seien. Fowler fordert ausdrücklich große klinische Studien, um die Wirkung von Carvedilol auf die Mortalität von Patienten mit Herzinsuffizienz beurteilen zu können. Dabei erwartet er positive Ergebnisse, denn am Schluss seines Beitrags stellt er fest, dass sein gegenwärtiges Verständnis die Entwicklung eines Mittels mit kombiniert beta-blockierender und gefäßerweiternder Wirkung rechtfertige (S. 65 u. r. und S. 66 l. o.).
35
Einen zusammenfassenden Überblick zum Stand der Forschung bei der Verwendung von Betablockern zur Behandlung von Herzinsuffizienz geben Doughty et al. 1994 (Entgegenhaltung 2). Sie referieren die Ergebnisse aus Studien mit Betablockern, die bei Patienten nach Myokardinfarkt auf eine günstige Beeinflussung der Mortalität hinweisen, einschließlich solcher Patienten, die auch an Herzinsuffizienz leiden. Es bleibe jedoch unsicher, inwieweit die Ergebnisse der Post-Infarkt-Studien verallgemeinert werden könnten. In der auf S. 817 oben wiedergegebenen Tabelle wird Carvedilol als einer von sechs Be- tablockern ausdrücklich erwähnt. In ihren Schlussfolgerungen auf S. 819 stellen die Autoren die Erforderlichkeit weiterer Studien fest, um zu bestimmen, ob Betablocker die Mortalität bei Herzinsuffizienz weiter senken könnten und deshalb eine nützliche Ergänzung für die bestehende Therapie seien.
36
b) Zusammenfassend zeigt sich, dass in der Literatur der Einsatz von Betablockern und insbesondere auch von Carvedilol zur Behandlung von Herzinsuffizienz bereits als vielversprechende Therapie diskutiert wurde. Jedenfalls ab 1992/93 hatte der Fachmann aufgrund der Aufsätze von Pitt (Entgegenhaltung 23), Senior (Entgegenhaltung 3), Feuerstein (Entgegenhaltung 7) und insbesondere Fowler (Entgegenhaltung 61) Anlass, konkret Carvedilol für eine mortalitätssenkende Wirkung bei Herzinsuffizienz in Erwägung zu ziehen. Auch Doughty et al. haben 1994 die Frage der Auswirkung einer Therapie mit Betablockern unter Einbeziehung von Carvedilol auf die Mortalität der Patienten aufgeworfen. Für Patienten, die einen Myokardinfarkt überlebt hatten, war die Auswirkung von Betablockern (etwa CAST-Studie in der Auswertung von Kennedy 1993) und auch speziell von Carvedilol (Feuerstein 1992 am Tiermodell) mit positivem Ergebnis untersucht worden. Nach Durchführung einer geeigneten klinischen Studie konnte die mortalitätssenkende Wirkung von Carvedilol bei Herzinsuffizienz allgemein ohne weiteres festgestellt werden.
37
c) Nicht gefolgt werden kann der Beklagten, soweit sie eine erfinderische Leistung daraus ableiten will, dass nach den aus ihrer Sicht wenig überzeugenden Ergebnissen der Studien mit Metoprolol (MDC-Trial) und Bisoprolol (CIBIS) kein Anlass bestand, gerade Carvedilol zum Gegenstand vertiefter Untersuchungen zu machen. Beide Studien betrafen andere Stoffe; ihre Ergebnisse waren aus der Sicht des damaligen Fachmanns auf Carvedilol weder zu übertragen , noch ließen sie Schlüsse auf dessen Wirkung zu, wie auch durch das Schrifttum dieser Zeit belegt wird.

38
Ziel der MDC-Studie, in die 383 Patienten mit Herzinsuffizienz einbezogen waren, war die Prüfung, ob sich der Betablocker Metoprolol günstig auf Überlebenschancen und Morbidität auswirkt (Waagstein et. al., Lancet 1993, 1441, Dokument 18). Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass Metoprolol keine Auswirkung auf die Gesamtmortalität hat.
39
In der CIBIS-Studie wurde die Wirkung des Betablockers Bisoprolol bei 641 Patienten mit Herzinfarkt geprüft (vgl. Circulation 1994, 1765, Dokument 19). Die Studie konnte keinen statistisch signifikanten Unterschied bei der Mortalität zwischen der mit Bisoprolol und der mit Placebo behandelten Patientengruppe feststellen (Einl., l. Sp., S. 1767, r. o.). Allerdings heißt es auch, dass in der CIBIS-Studie eine Mortalitätssenkung (an enhounced effect on survival) bei Patienten ohne vorherigen Myokardinfarkt festgestellt worden sei (S. 1771 r. Mitte). Die beteiligten Wissenschaftler hielten Studien zum Nachweis einer vorteilhaften Wirkung von Bisoprolol auf die Mortalität für notwendig.
40
Es war am Prioritätstag bekannt, dass Carvedilol im Gegensatz zu vielen anderen Betablockern und insbesondere zu Metoprolol und Bisoprolol außer der β-rezeptorenblockierenden Wirkung auch die adrenergen α-Rezeptoren blockiert, die sich im Wesentlichen in der Gefäßwand von kleinen Arterien (Widerstandsgefäßen ) befinden. Carvedilol bewirkt deshalb im Gegensatz zu konventionellen Betablockern auch eine Gefäßerweiterung im Bereich der Widerstandsgefäße. Der gerichtliche Sachverständige meint zwar, bei Carvedilol habe sich aus den Wirkmechanismen keine Senkung der Mortalität vorhersagen lassen, weil die zusätzlichen gefäßerweiternden Effekte von Carvedilol sich zu denen der ACE-Hemmer addierten und so trotz günstiger symptomatischer Wirkungen zu einer Erhöhung der Mortalität hätten führen können (Ergänzungsgutachten S. 5 u. 6). Demgegenüber haben DasGupta et al. 1991 auf neue therapeutische Möglichkeiten aufgrund der auch gefäßerweiternden Wirkung des neuen Betablockers Carvedilol hingewiesen (Entgegenhaltung 10). Die Autoren äußern, es könne erwartet werden (may be expected), dass die Mehrfachwirkung von Carvedilol der negativen Inotropie, die konventionelle Betablocker bei Monotherapie hätten, entgegenwirke (S. 12, r. u.). Damit würden die wichtigsten Einschränkungen des Einsatzes von Betablockern, insbesondere bei dekompensierter Herzinsuffizienz ischämischen Ursprungs, überwunden. Zur Begründung ihrer Erwartung verweisen die Autoren auf eine Studie von Di Lanarda et al., die bei Patienten mit Herzinsuffizienz, die zuvor keinen Herzinfarkt erlitten hatten, die akuten hämodynamischen Wirkungen von Carvedilol mit denen von Metoprolol verglichen. Deren Ergebnisse legten ein ähnliches Maß an Betablockade nahe. Jedoch zeigten die mit Carvedilol behandelten Patienten zusätzliche Reaktionen, die bei Patienten, die Metoprolol genommen hätten, nicht beobachtet worden seien, nämlich einen gesenkten Blutdruck, verringerten Gefäßwiderstand und niedrigeren linksventrikulären Füllungsdruck (S. 15, r. u.). Unter Hinweis auf weitere, bereits durchgeführte Untersuchungen meinen DasGupta et al., die zu Carvedilol gewonnenen Daten könnten eine signifikante Auswirkung auf die klinische Behandlung der Herzinsuffizienz haben , wenn sie durch zukünftige Studien bestätigt würden. Abschließend wird ausgeführt, Carvedilol sei ein einzigartiger Vasodilatator, der zugleich als Betablocker wirke, und eine weiterführende Bewertung seiner Sicherheit und Wirksamkeit werde empfohlen.
41
Pitt berichtet 1992 (Entgegenhaltung 23), dass eine Schwierigkeit bei der Behandlung von Patienten mit Herzinsuffizienz mit Betablockern bisher darin bestehe, dass man befürchte, eine manifeste Herzinsuffizienz oder eine Lungenstauung zu verursachen, und dass die Substanzen hinsichtlich ihrer Verträglichkeit und Compliance langfristig problematisch seien. Einige der neueren β-adrenergen Blocker seien jedoch von Interesse, da sie über vasodilatierende Eigenschaften verfügten, die möglicherweise die langfristige Toleranz und Compliance des Patienten verbesserten. Die SOLVD-Gruppe ziehe daher für eine umfangreiche Mortalitätsstudie neben Nebivolol Carvedilol, einen selektiven Betablocker mit α-adrenergen blockierenden Eigenschaften, in Betracht (I-109, r. u.).
42
Auch Rosendorff (Entgegenhaltung 53) wies 1993 darauf hin, dass insbesondere Carvedilol die Vorteile einer β- und α1-Blockade einschließlich peripherer Gefäßerweiterung kombiniere. Es gebe einige noch zu bestätigende Hinweise darauf, dass Carvedilol die linksventrikuläre diastolische Funktion verbessere und eine Regression linksventrikulärer Hypertrophie bewirke und dass es bei der Behandlung einiger Patienten mit Herzinsuffizienz oder Arrhythmie nützlich sein könne (Einl., letzter Abs.). Die möglichen günstigen Wirkungen von Carvedilol durch Verbesserung der zentralen Hämodynamik bei Patienten mit Herzinsuffizienz müssten in groß angelegten, weitsichtig kontrollierten Untersuchungen bestätigt werden (S. 39, l. o.).
43
Lessem/Lukas (Entgegenhaltung 54) führen 1993 aus, Carvedilol als ein nicht selektives β- und α1-blockierendes Arzneimittel sei als antihypertensives, antianginales Arzneimittel und für eine Hilfstherapie gegen Herzinsuffizienz entwickelt worden. Nachdem Studien gezeigt hätten, dass Vasodilatatoren gut für Patienten mit Herzinsuffizienz seien, und wegen positiver Erfahrungen mit dem vasodilatierenden Betablocker Buzindolol sei Carvedilol bei Patienten mit Herzinsuffizienz getestet worden. Unter Hinweis auf eine Studie von DasGupta meinen die Autoren, Carvedilol könne aufgrund seines vasodilatatorischen Mechanismus im Vergleich zu anderen Betablockern die bessere Wahl für Patienten mit verschlechterter linksventrikulärer Funktion neben ischämischer Herzkrankheit sein. Die Nützlichkeit einer solchen Therapie müsse aber bei einer Patientengruppe nachgewiesen werden, die groß genug sei, um zu einer be- hördlichen Zulassung für eine Verbindung mit einem Hauptwirkmechanismus zu gelangen, der momentan in diesem Krankheitsstadium kontraindiziert sei.
44
Louis et al. berichten 1994 (Entgegenhaltung 55) unter Hinweis auf die Entgegenhaltung 8 und 13, bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz aufgrund von systolischer linksventrikulärer Dysfunktion sei festgestellt worden, dass Carvedilol signifikante Verbesserungen der myokardialen Hämodynamik in Langzeittherapie bewirke, und zwar auch bei Patienten, die eine Hintergrundtherapie mit ACE-Hemmern erhielten (S. 88, r. o.). Abschließend betrachten die Autoren Carvedilol als einen wichtigen neuen Wirkstoff bei der Behandlung insbesondere von chronischem Herzversagen (S. 91, r. o.). Es lagen also im Prioritätszeitpunkt bereits Studien vor, die gegen die vom gerichtlichen Sachverständigen berichtete, möglicherweise negative Addition der gefäßerweiternden Wirkungen von Carvedilol und ACE-Hemmern sprachen.
45
Diese zahlreichen Veröffentlichungen belegen, dass Carvedilol nach Auffassung zahlreicher Autoren gerade wegen seiner gefäßerweiternden Eigenschaften ein interessanter Betablocker für die Therapie von Herzinsuffizienz mit Betablockern war.
46
d) Carvedilol war, auch im Hinblick auf eine mortalitätssenkende Wirkung , Gegenstand intensiver wissenschaftlicher Diskussionen. Der gerichtliche Sachverständige hat es als wohl begründete Hypothese von Doughty et al. (Entgegenhaltung 2) bezeichnet, dass durch eine Betablockade die Mortalität bei Herzinsuffizienz weiter reduziert und dadurch die damals bekannte Therapie sinnvoll ergänzt werden könne (Gutachten, S. 6 u./7 o.). Der Aufsatz von Fowler bringt in der Schlussbemerkung deutlich eine Erfolgserwartung hinsichtlich der Feststellung einer mortalitätssenkenden Wirkung von Carvedilol bei Patienten mit Herzinsuffizienz nach einer entsprechenden, groß angelegten Studie zum Ausdruck (S. 65 r. u. bis S. 66 l. o.). Fowler schlägt vor, eine solche große klinische Studie zur Prüfung der Mortalitätswirkung von Carvedilol durchzuführen. Die Aufsätze von Pitt (Entgegenhaltung 23), Senior (Entgegenhaltung 3) und Feuerstein (Entgegenhaltung 7) begründeten ebenfalls für den Fachmann die Erwartung einer mortalitätssenkenden Wirkung von Carvedilol.
47
Pitt (Entgegenhaltung 23, S. 109, r. 2. Abs.) berichtet über eine von der SOLVD-Studiengruppe geplante, umfangreiche Mortalitätsstudie zur Überprüfung der Wirksamkeit von Carvedilol und Magnesium beim plötzlichen Herztod von Patienten mit Herzinsuffizienz. Dabei sollte die Standardtherapie mit ACEHemmer , Digoxin und Diuretika je nach Bedarf der Patienten aufrechterhalten bleiben.
48
Es gab, wie der gerichtliche Sachverständige ausgeführt hat, zwar auch Argumente, die gegen eine mortalitätssenkende Wirkung von oder sogar für eine Erhöhung der Mortalität durch Carvedilol sprachen. Dadurch bestand, was der gerichtliche Sachverständige bestätigt hat, in der Fachwelt aber gerade ein Bedürfnis, sich in einer aussagekräftigen Studie Klarheit über die Wirkung von Carvedilol auf die Mortalität von Patienten mit Herzinsuffizienz zu verschaffen.
49
e) Irrelevant ist in diesem Zusammenhang, dass es bis 1997 weder für Carvedilol noch für andere Betablocker eine behördliche Zulassung zur Behandlung der Herzinsuffizienz gab. Denn für ein neu entwickeltes Arzneimittel kann es per se noch keine Zulassung geben, da das Zulassungsverfahren notwendig am Ende der Entwicklung steht. Ebenfalls nicht entscheidend ist, dass die manifeste Herzinsuffizienz in der fachärztlichen Praxis als Kontraindikation für Carvedilol galt. Der im Bereich der Arzneimittelforschung und -entwicklung tätige Fachmann hatte unabhängig von Vorstellungen auf Seiten der Anwender aufgrund der Diskussion um die Wirkung von Carvedilol bei der Behandlung von Herzinsuffizienz am Prioritätstag Anlass, sich mit diesem Wirkstoff und seinen Auswirkungen auf die Mortalität der Patienten näher zu befassen.
50
III. Auch in der Fassung der Patentansprüche nach Hilfsantrag 2 erweist sich das Streitpatent nicht als schutzfähig.
51
1. Gegen die Zulässigkeit der Patentansprüche nach Hilfsantrag 2 bestehen allerdings keine Bedenken. Hilfsantrag 2 sieht in beiden Patentansprüchen vor, dass das Carvedilol enthaltende Medikament zur Verabreichung in bestimmten Dosierungen über bestimmte Zeiträume hergerichtet ist. Geschützt werden soll also die Verwendung einer chemischen Substanz bei der therapeutischen Behandlung des menschlichen Körpers, die zu dieser Verwendung hergerichtet ist, etwa durch eine zweckmäßige Konfektionierung der Tablettengrößen , einen Aufdruck auf der Packung oder den dieser beiliegenden Begleitzettel. Nach der Rechtsprechung des Senats ist eine solche Verwendung einer chemischen Substanz nicht durch § 5 Abs. 1 PatG vom Patentschutz ausgenommen (grundlegend BGHZ 88, 209, 215 - Hydropyridin). Für den mit § 5 Abs. 2 Satz 1 PatG wörtlich übereinstimmenden Art. 52 Abs. 4 EPÜ gilt nichts anderes. Den Patentansprüchen des Hilfsantrags 2 steht daher das Verbot der Patentierung von Verfahren zur chirurgischen und therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers nicht entgegen.
52
2. Der Vorschlag, das Medikament zur Verabreichung nach dem Dosierungsschema der Patentansprüche des Hilfsantrags 2 herzurichten, beruht jedoch jedenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Die einschleichende Dosierung von Betablockern und insbesondere Carvedilol bei der Behandlung von Herzinsuffizienz in Dosen und Zeiträumen, die sich allenfalls geringfügig und jedenfalls naheliegend von dem Dosierungsschema der Beklagten unterschei- den, ist auch bei Unterstellung der früheren der von der Beklagten beanspruchten Prioritäten im Stand der Technik nachgewiesen.
53
So haben Olsen et al. 1991 (Entgegenhaltung 62) und 1993 (Entgegenhaltung
8) über Studien berichtet, bei denen unter Herzinsuffizienz leidenden Patienten Carvedilol in einem Dosierungsschema verabreicht wurde, das demjenigen der verteidigten Patentansprüche sehr nahe kommt. Fowler (Entgegenhaltung 61) berichtet über diese Versuche unter Angabe des Dosierungsschemas.
54
Kelly schildert 1993 eine geplante Carvedilol-Studie. Die in dieser Studie vorgeschlagene Dosierung ist aus Sicht des Fachmanns mit derjenigen der verteidigten Patentansprüche praktisch identisch (S. 47 r.). Die bei Kelly angegebene Anfangsdosis von 3,125 mg zweimal täglich für sieben Tage ist als eine Alternative in Patentanspruch 1 (täglich 6,25 mg Carvedilol über einen Zeitraum von sieben Tagen) enthalten, die 6,25 mg zweimal täglich in der zweiten Woche bei Kelly sind es als erste Dosissteigerung nach einer Woche und damit Ausgangspunkt der weiteren Dosissteigerungen ebenfalls. Die Maximaldosen von zweimal 25 mg sind bei Kelly und in Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 identisch. Lediglich der zeitliche Abstand der Dosissteigerungen beträgt bei Kelly eine Woche und nicht wie im Patentanspruch 1 14 Tage. Die beanspruchten weiteren Dosissteigerungen im Zeitraum von 14 Tagen waren jedoch ebenfalls bei der einschleichenden Therapie von Herzinsuffizienz mit Carvedilol bekannt. So berichten Olsen et al. 1991 (Entgegenhaltung 62) und 1993 (Entgegenhaltung
8) darüber, bei der Behandlung von unter Herzinsuffizienz leidenden Patienten mit einer nach einer Woche verabreichten Initialdosis von 3,125 mg die Dosis während des nächsten Behandlungsmonats von zweimal täglich 6,25 mg bis zu einer maximalen Dosis von zweimal täglich 25 mg (bei Patienten mit einem Körpergewicht von weniger als 75 kg) gesteigert zu haben. Eine solche einschleichende Dosierung umfasst insbesondere einen Verdoppelungszeitraum von etwa 14 Tagen, da bei einer Verdoppelung auf zweimal 12,5 mg nach 14 Tagen die nächste Verdoppelung auf zweimal 25 mg in etwa innerhalb weiterer 14 Tage erfolgen muss, um die Maximaldosis binnen eines Monats zu erreichen. Dem Fachmann waren aus dem Stand der Technik daher Behandlungspläne mit Carvedilol bekannt, die eine wöchentliche oder eine etwa 14tägige Dosissteigerung einschlossen. Das Streitpatent hat hierunter eine Auswahl getroffen. Die Berufung hat jedoch nicht geltend gemacht, dass die Entscheidung für den 14tägigen Erhöhungszeitraum auf erfinderischer Tätigkeit beruhte. Insbesondere beruft sie sich nicht auf besondere Wirkungen, Eigenschaften , Vorteile oder Effekte einer Dosissteigerung im Abstand von 14 Tagen anstelle einer Woche.
55
Auch das Dosierungsschema des mit Hilfsantrag 2 verteidigten Patentanspruchs 2 unterscheidet sich von demjenigen bei Kelly lediglich durch den Verdoppelungszeitraum, der aber aus den Veröffentlichungen von Olsen bekannt war. Der anspruchsgemäßen Dosierung von 3,125 mg oder 6,25 mg Carvedilol vorzugsweise zweimal täglich über einen Zeitraum von 14 Tagen entspricht der Vorschlag bei Kelly, Patienten zweimal täglich über eine Woche 3,125 mg (insgesamt also 6,25 mg) zu verabreichen und die Dosis in der zweiten Woche auf zweimal täglich 6,25 mg Carvedilol zu steigern. Eine erfinderische Tätigkeit liegt in dem Dosierungsschema daher auch hier nicht.
56
Die Berufung macht nicht geltend, dass der Fachmann bei der Konfektionierung von Carvedilol in mit den beanspruchten Dosierungsschemata übereinstimmenden Einheiten für ein Medikament auf Schwierigkeiten stieß.
57
Da die Patentansprüche des Hilfsantrags 2 in allen übrigen Merkmalen dem Hauptantrag und Hilfsantrag 1 entsprechen, teilen sie auch deren Schicksal , die Schutzfähigkeit des Streitpatents nicht begründen zu können.
58
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 2 PatG in Verbindung mit §§ 97, 101 ZPO.
Melullis Keukenschrijver Mühlens
Meier-Beck Kirchhoff
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 18.09.2001 - 3 Ni 44/00 (EU) -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
X ZB 20/99
vom
28. November 2000
in der Rechtsbeschwerdesache
betreffend die Patentanmeldung 195 44 559.0
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
Endoprotheseeinsatz
PatG 1981 § 5 Abs. 2 Satz 1
Ein Verfahren zum Entfernen eines Einsatzes aus einer Hüftgelenkendoprothese
dient der chirurgischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers.
BGH, Beschluß vom 28. November 2000 - X ZB 20/99 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 28. November 2000
durch den Vorsitzenden Richter Rogge, die Richter Dr. Jestaedt, Scharen, die
Richterin Mühlens und den Richter Dr. Meier-Beck

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß des 21. Senats (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts vom 6. Juli 1999 wird zurückgewiesen.
Der Wert des Gegenstandes der Rechtsbeschwerde wird auf 100.000,-- DM festgesetzt.

Gründe:


I. Die Rechtsbeschwerdeführerin reichte am 26. Oktober 1996 eine Patentanmeldung unter Inanspruchnahme der inneren Priorität aus der Voranmeldung DE 196 25 331.4 vom 25. Juni 1996 betreffend ein Werkzeug und ein Verfahren zum Entfernen konisch geklemmter Keramik-Pfanneneinsätze aus der Metallschale einer Hüftgelenkendoprothese beim Deutschen Patentamt ein.
Die Prüfungsstelle des Deutschen Patentamtes hat die Anmeldung zurückgewiesen , weil das Schutzbegehren auch auf ein nicht gewerblich anwendbares Verfahren gerichtet sei. Ein Verfahren zum Auswechseln eines Pfanneneinsatzes der in einer Metallschale gelagert sei, welche direkt oder über eine Außenschale im Beckenknochen verankert sei, sei offensichtlich mit einem chirurgischen Eingriff am menschlichen oder tierischen Körper verbunden und erfordere ärztliche Fachkenntnisse. Chirurgische Verfahren seien aber dem Patentschutz nicht zugänglich.
Im Beschwerdeverfahren hat die Anmelderin ihr Patentbegehren mit den ursprünglichen Ansprüchen als Hauptantrag sowie zwei Hilfsanträgen weiterverfolgt.
Ansprüche 1 und 5 des Hauptantrages lauten:
"1. Werkzeug zum Entfernen konisch geklemmter Keramik-Pfanneneinsätze (1) aus der Metallschale (4) einer Hüftgelenkendoprothese, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , daß das Werkzeug aus mit dem Pfanneneinsatz (1) verspannbaren Elementen besteht.
5. Verfahren zum Entfernen konisch geklemmter Keramik-Pfanneneinsätze (1) aus der Metallschale (4) einer Hüftgelenkendoprothese mit einem Werkzeug nach einem der Ansprüche 1 bis 4, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , daß das Werkzeug im Pfanneneinsatz (1) verspannt wird und dadurch im Pfanneneinsatz fixiert ist und anschließend der Pfannen-
einsatz (1) durch einen Schlagimpuls oder eine Hebelkraft aus seiner Verankerung in der Metallschale (4) gelöst wird."
Die Ansprüche 2 bis 4 betreffen Ausgestaltungen des Werkzeugs, der Anspruch 6 eine Ausgestaltung des Verfahrens nach Anspruch 5.
Der Hilfsantrag 1 hat die Ansprüche 1 bis 5, wobei die Ansprüche 1 bis 4 identisch mit denen des Hauptantrages sind.
Anspruch 5 des Hilfsantrages 1 hat folgenden Wortlaut:
"Verwendung eines Werkzeugs nach einem der Ansprüche 1 bis 4 zum Entfernen konisch geklemmter Keramik-Pfanneneinsätze (1) aus der Metallschale (4) einer Hüftgelenkendoprothese, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , daß das Werkzeug im Pfanneneinsatz (1) verspannt wird und dadurch im Pfanneneinsatz fixiert ist und anschließend der Pfanneneinsatz (1) durch einen Schlagimpuls oder eine Hebelkraft aus seiner Verankerung in der Metallschale (4) gelöst wird."
Der Hilfsantrag 2 beseht aus den ursprünglichen Ansprüchen 1 bis 4.
Das Bundespatentgericht hat den Beschluß der Prüfungsstelle aufgehoben und die Sache mit den ursprünglichen Ansprüchen 1 bis 4 an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückverwiesen. Die weitergehende Beschwerde hat es zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Bundespatentgericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Anmelderin mit der sie beantragt, den an-
gefochtenen Beschluß aufzuheben, soweit die Beschwerde der Anmelderin zurückgewiesen wurde.
II. Die Rechtsbeschwerde ist kraft Zulassung statthaft; in der Sache bleibt sie jedoch ohne Erfolg.
1. Nach Ansicht des Bundespatentgerichts handelt es sich bei dem von der Anmelderin beanspruchten Verfahren um ein solches zur chirurgischen Behandlung des menschlichen Körpers, das nach § 5 Abs. 2 PatG nicht als gewerblich anwendbare Erfindung gilt. Denn die Metallschale der Hüftgelenkendoprothese , aus der der konisch geklemmte Keramik-Pfanneneinsatz entfernt werden solle, sei nach der Patentbeschreibung direkt oder über eine äußere Schale im Beckenknochen verankert. Infolgedessen sei es ein instrumenteller Eingriff in den lebenden Körper eines Menschen, wenn der Pfanneneinsatz - wie anspruchsgemäß vorgesehen - ausgewechselt werde. Es handele sich um einen einheitlichen Vorgang, der nicht in einzelne chirurgische und nicht-chirurgische Schritte (Zugänglichmachen der Prothese, etc.) aufgegliedert werden könne. Den Anmeldungsunterlagen sei kein Hinweis darauf zu entnehmen, daß das Verfahren unter bestimmten Umständen auch außerhalb des menschlichen Körpers anwendbar sei. Die Anmelderin habe auch keine ein chirurgisches Verfahren ausschließende Unterlagen vorgelegt. Der Grundsatz, daß nur diejenigen Verfahren zur therapeutischen Behandlung des menschlichen Körpers vom Patentschutz ausgenommen worden seien, die sich ausschließlich in einem nicht gewerblichen Bereich vollzögen, könne schon deshalb nicht auf Verfahren zur chirurgischen Behandlung des menschlichen Körpers angewendet werden, weil chirurgische Verfahren ohne Rücksicht darauf,
ob sie aus medizinischen oder anderen - z.B. kosmetischen - Gründen erfolgten , nicht als gewerblich anwendbare Erfindungen anzusehen seien.
2. Die Rechtsbeschwerde meint demgegenüber, daß das von der Anmelderin beanspruchte Verfahren keinen Eingriff in den lebenden menschlichen Körper lehre. Zwar sei es richtig, daß die Metallschale, aus der der Pfanneneinsatz entfernt werden solle, direkt oder über eine äußere Schale im Bekkenknochen verankert sein könne. Dadurch würden aber weder der Pfanneneinsatz noch die Metallscheibe zu Bestandteilen des lebenden Körpers eines Menschen. Zudem bedürfe es für die Ausübung der beanspruchten Lehre keinerlei chirurgischer oder auch nur medizinischer Kenntnisse und handele es sich auch nicht um eine dem Arzt vorbehaltene Tätigkeit. Daß der Chirurg in praxi doch selbst nach dem Verfahren vorgehen und dies nicht irgendeinem halbwegs geschickten Laien überlassen werde, sei nach Wortlaut, Sinn und Zweck von § 5 Abs. 2 PatG völlig unerheblich. Im übrigen sei der Anwendungsbereich der Vorschrift auf Fälle eingeschränkt, in denen es um Verfahren gehe, die ausschließlich eine Anwendbarkeit im Rahmen einer chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers gestatten. Um ein solches handele es sich hier jedoch nicht, weil das beanspruchte Verfahren auch in nicht intraoperativer Weise angewendet werden könne, etwa, wenn eine Hüftgelenkendoprothese vollständig entfernt worden sei, aber weiterhin verwendet werden solle, nachdem der beschädigte oder abgenutzte Pfanneneinsatz ausgetauscht sei, oder sich vor Durchführung einer Operation zur Implantation einer Hüftgelenkendoprothese die Notwendigkeit ergebe, einen bereits eingesetzten Keramik-Pfanneneinsatz auszutauschen oder zu verändern.
Die Angriffe der Rechtsbeschwerde greifen nicht durch.

a) Das von der Anmelderin in Anspruch 5 des Hauptantrages beanspruchte Verfahren betrifft das Entfernen konisch geklemmter KeramikPfanneneinsätze aus der Metallschale einer Hüftgelenkendoprothese mit einem Werkzeug nach einem der Ansprüche 1 bis 4. Nach den Angaben der Beschreibung bestehen Hüftgelenkendoprothesen aus einem Prothesenschaft, der im Oberschenkelknochen verankert ist, und einem auf den Prothesenschaft aufgesetzten Kugelkopf. Der Kugelkopf ist in einem Pfanneneinsatz gelagert, der wiederum in einer Metallschale eingesetzt ist, die direkt oder über eine Außenschale im Beckenknochen verankert ist. Die Fixation von KeramikPfanneneinsätzen in einer Metallschale einer Hüftgelenkendoprothese mit Hilfe einer konischen Klemmung ist - wie in der Beschreibung weiter ausgeführt wird - mittlerweile bewährter Stand der Technik. Dabei ist jedoch die Technik zum intra- oder postoperativen Extrahieren eines einmal fixierten Pfanneneinsatzes bisher noch nicht befriedigend gelöst. Das zerstörungsfreie Entfernen des Pfanneneinsatzes mit Hilfe von Greifwerkzeugen erfordert einen unvertretbar hohen konstruktiven Aufwand, während die Entfernung durch Zerstören des Pfanneneinsatzes wegen der auftretenden Keramiksplitter bzw. toxischen Schleifschlämme eine medizinisch nicht akzeptable Lösung darstellt.
Nach den Darlegungen in der Beschreibung ergibt sich daraus das Problem , ein Werkzeug und ein Verfahren zum Entfernen konisch geklemmter Keramik -Pfanneneinsätze aus der Metallscheibe einer Hüftgelenkendoprothese anzugeben, mit denen das Entfernen einfach und sicher gewährleistet ist.
Zur Lösung des Problems wird neben einem Werkzeug, das aus mit dem Pfanneneinsatz verspannbaren Elementen besteht, ein Verfahren vorgeschlagen , bei dem ein solches Werkzeug im Pfanneneinsatz so verspannt wird, daß es darin fixiert ist. Anschließend soll dann der Pfanneneinsatz durch einen Schlagimpuls oder eine Hebelkraft aus seiner Verankerung in der Metallschale gelöst werden.

b) Ein solches Verfahren dient der chirurgischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers und wird am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen, § 5 Abs. 2 Satz 1 PatG.
(1) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde dient das von der Anmelderin beanspruchte Verfahren der Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers. Zwar ist eine Hüftgelenkendoprothese nicht von vornherein Teil des menschlichen oder tierischen Körpers. Zu einem solchen wird sie jedoch, wenn sie - bestimmungsgemäß - durch Implantation an die Stelle eines natürlichen Hüftgelenks tritt und dessen Funktion ausübt. Zweck von § 5 Abs. 2 Satz 1 PatG ist es, Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers als nicht gewerbliche Tätigkeit vom Patentschutz auszunehmen, um die Entscheidungsfreiheit des Arztes bei der Auswahl von Maßnahmen zur Beseitigung von Krankheiten oder von Untersuchungsmethoden zu deren Erkennung zu erhalten (vgl. BGHZ 48, 313, 319 ff., 326 - Glatzenoperation; EPA v. 14.10.1987 - T 116/85, ABl. EPA 1989, 13, 18 - Schweine; v. 5.5.1994 - T 24/91, ABl. EPA 1995, 512, 515 - Hornhaut; v. 11.6.1997 - T 329/94, ABl. EPA 1998, 241, 244 - Verfahren zur Blutextraktion ; Bernhardt/Kraßer, Patentrecht, 4. Aufl., S. 129 f.; Busse, PatG, 5. Aufl., § 5 PatG, Rdn. 19; Schulte, PatG, 5. Aufl., § 5 PatG, Rdn. 11; Singer/Stauder,
EPÜ, 2. Aufl., Art. 52 EPÜ, Rdn. 61). Hiermit wäre es nicht zu vereinbaren, wenn von der Bestimmung zwar die Behandlung natürlicher Gewebe- bzw. Organteile erfaßt würde, nicht aber die Behandlung von Endoprothesen, die in den menschlichen Körper eingebracht worden sind, um die körperliche Funktion der jeweiligen natürlichen Gewebe- bzw. Organteile zu ersetzen. In beiden Fällen soll mit der Behandlung die Funktionsfähigkeit des menschlichen oder tierischen Körpers wieder hergestellt werden. Der Umstand, daß Endoprothesen aus Fremdmaterial bestehen und daher kein organischer Bestandteil des menschlichen oder tierischen Körpers sind, bleibt demgegenüber ohne Bedeutung.
(2) Das von der Anmelderin beanspruchte Verfahren betrifft überdies die chirurgische Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers. Nach allgemeiner Auffassung beinhalten derartige Verfahren einen Eingriff in den lebenden Körper des Menschen oder des Tieres, wobei der Eingriff operativ (blutig) mit Instrumenten oder konservativ (unblutig) erfolgen kann (EPA v. 30.7.1993 - T 182/90, ABl. EPA 1994, 641, 644 f. - Durchblutung; Benkard, PatG, 9. Aufl., § 5 PatG, Rdn. 8; Busse, aaO, Rdn. 26; Moufang, GRUR Int.1992, 10, 18; Singer/Stauder, aaO, Rdn. 65). Mit der Ausübung des hier von der Anmelderin beanspruchten Verfahrens ist ein operativer Eingriff notwendigerweise dann verbunden, wenn die Metallschale der Hüftgelenkendoprothese, aus der der konisch geklemmte Keramik-Pfanneneinsatz entfernt werden soll, direkt oder über eine Außenschale im Beckenknochen des Prothesenträgers verankert ist. Dann bedarf es nicht nur vor Beginn und nach Beendigung des beanspruchten Verfahrens eines chirurgischen Tätigwerdens. Auch das Extraktionsverfahren selbst ist als Teil des operativen Eingriffs anzusehen, weil es mit diesem in einem funktionellen Zusammenhang steht. Denn der operative
Eingriff ist durch das beanspruchte Verfahren veranlaßt, und seine Ausgestaltung wird durch dieses bedingt. Dieser funktionelle Zusammenhang deutet sich auch in der Beschreibung der Anmeldung an, wenn darauf abgehoben wird, daß das Entfernen des Pfanneneinsatzes durch Zerstören desselben - im Gegensatz zu dem beanspruchten Extraktionsverfahren - wegen der auftretenden Keramiksplitter bzw. toxischen Schleifschlämme keine medizinisch akzeptable Lösung darstellt. Die Ausübung des beanspruchten Verfahrens wirkt sich im übrigen auch dadurch körperlich aus, daß die Metallschale, aus der der konisch geklemmte Keramik-Pfanneneinsatz entfernt werden soll, direkt oder über eine Außenschale im Beckenknochen des Prothesenträgers verankert ist. Nach alledem kann der Rechtsbeschwerde, die einräumt, daß das beanspruchte Verfahren in praxi von dem Chirurgen selbst ausgeübt und nicht einem halbwegs geschickten Laien überlassen wird, auch nicht in der Ansicht zugestimmt werden, daß es sich bei dem Verfahren nicht um eine dem Arzt vorbehaltene Tätigkeit handele. Aufgrund der genannten Zusammenhänge ist vielmehr anzunehmen , daß das Verfahren intraoperativ ausschließlich von einem Arzt ausgeübt werden darf. Das in Rede stehende Verfahren stellt sich daher, wenn es an einer implantierten Hüftgelenkendoprothese zur Anwendung kommt, als Teil eines operativen Eingriffs dar, der am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen wird.
Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde setzt sich der Senat mit seiner Beurteilung auch nicht in Widerspruch zu der Rechtspraxis des Europäischen Patentamtes, wonach ein Verfahren zur Durchflußmessung kleiner Flüssigkeitsmengen selbst dann nicht von vornherein gemäß Art. 52 Abs. 4 EPÜ von einer Patentierung auszuschließen ist, wenn es in einem implantierten Medikamentendosiergerät angewendet wird, solange kein funktioneller Zusam-
menhang zwischen dem beanspruchten Verfahren und der vom Gerät abgegebenen Medikamentendosis besteht (EPA v. 25.9.1987 - T 245/87, EPA ABl. 1989, 171, 174 - Durchflußmessung; vgl. auch EPA v. 5.5.1994 - T 24/91, aaO, 517 - Hornhaut). Der vom Europäischen Patentamt beurteilte Fall hebt sich von dem hier zu entscheidenden bereits dadurch in ausschlaggebender Weise ab, daß es sich bei einem Medikamentendosiergerät um kein Körperteil handelt. Denn im Gegensatz zu einer Endoprothese übernimmt ein solches Gerät auch nach seiner Implantation nicht die Funktion eines natürlichen Gewebe- bzw. Organteils wie etwa eines Hüftgelenks. Im übrigen stellt sich das hier von der Anmelderin beanspruchte Verfahren, wenn es an einer implantierten Hüftgelenkendoprothese ausgeübt wird, als Teil einer chirurgischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers dar, was in dem vom Europäischen Patentamt entschiedenen Fall von vornherein nicht in Frage stand.
(3) Auch der Hinweis, daß das von der Anmelderin beanspruchte Extraktionsverfahren gewerblich, etwa in einer medizinisch-technischen Werkstatt , ausgeübt werden kann, führt die Rechtsbeschwerde nicht zum Erfolg. Zu Unrecht verweist sie in diesem Zusammenhang auf den "Hydropyridin"Beschluß des Senats, in dem dieser ausgeführt hat, daß nach § 5 Abs. 2 Satz 1 PatG nur diejenigen Verfahren zur therapeutischen Behandlung des menschlichen Körpers vom Patentschutz ausgenommen sind, die sich ausschließlich in einem nicht gewerblichen Bereich vollziehen und deshalb nicht gewerblich anwendbar sind (Sen., BGHZ 88, 209, 215 - Hydropyridin). Der Beschluß hatte eine Erfindung betreffend die Verwendung einer bekannten chemischen Substanz zur Behandlung einer bisher noch nicht mit dieser Substanz behandelten Krankheit zum Gegenstand. Eine solche Erfindung ist gewerblich anwendbar, weil sie nicht allein ein Verfahren zur therapeutischen Behandlung
des menschlichen Körpers beinhaltet, sondern darüber hinaus auch die zeitlich vorgelagerte, augenfällige Herrichtung der chemischen Substanz zur Behandlung der Krankheit umfaßt, die - auch nach Einführung der heute in § 5 Abs. 2 PatG enthaltenen Regelung durch das Gesetz über internationale Patentübereinkommen vom 21. Juni 1976 (BGBl. II, 649, 654) - als gewerblich zu qualifizieren ist (Sen., aaO, 210 ff. - Hydropyridin, m.w.N.). Demgegenüber vollzieht sich das hier von der Anmelderin beanspruchte Verfahren, vorausgesetzt es wird an einer mit dem menschlichen Körper verbundenen Hüftgelenkendoprothese ausgeübt, von seinem Beginn bis zu seinem Ende als chirurgisches Behandlungsverfahren. Die Herstellung des Werkzeugs, mit dem das Verfahren durchgeführt werden soll, gehört nicht zu seinem Gegenstand.
Dem nicht gewerblichen Charakter des in Anspruch 5 beanspruchten Verfahrens steht auch nicht entgegen, daß es alternativ auch gewerblich angewendet werden kann, etwa - worauf die Rechtsbeschwerde verweist - wenn eine Hüftgelenkendoprothese bereits vollständig aus dem menschlichen oder tierischen Körper entfernt worden ist, aber weiter verwendet werden soll, oder wenn sich vor Durchführung einer Operation die Notwendigkeit ergibt, den eingesetzten Keramik-Pfanneneinsatz auszutauschen. Lassen sich die Anwendungsbereiche eines Verfahrens einerseits in chirurgische oder therapeutische und andererseits in gewerbliche Anwendungsfälle aufteilen, so ist das Verfahren zwar nicht vom Patentschutz ausgeschlossen, wenn es der Anmelder allein auf gewerbliche Anwendungsfälle ausrichtet, wohl aber, wenn es darüber hinaus auch - wie hier - chirurgische oder therapeutische Anwendungen erfaßt (vgl. EPA v. 11.6.1997 - T 329/94, EPA ABl. 1998, 241, 245 - Verfahren zur Blutextraktion; Busse, aaO, Rdn. 20).

c) Das von der Anmelderin in Anspruch 5 des Hauptantrages beanspruchte Verfahren verliert seinen nicht-gewerblichen Charakter auch nicht dadurch, daß es im Hilfsantrag 1 als Verwendungsanspruch formuliert worden ist, in dem es statt eines Verfahrens zum Entfernen konisch geklemmter Keramik -Pfanneneinsätze aus der Metallschale einer Hüftgelenkendoprothese mit einem Werkzeug nach einem der Ansprüche 1 bis 4 nunmehr die Verwendung eines Werkzeugs nach einem der Ansprüche 1 bis 4 zum Entfernen konisch geklemmter Keramik-Pfanneneinsätze aus der Metallschale einer Hüftgelenkendoprothese betreffen soll, der Anspruch ansonsten aber unverändert geblieben ist. Denn als Verwendung kommt im vorliegenden Fall allein die Ausführung eines Verfahrens nach Anspruch 5 des Hauptantrages in Betracht.
III. Eine mündliche Verhandlung hat der Senat für nicht erforderlich gehalten , § 107 Abs. 1 PatG.
Rogge Jestaedt Scharen
Mühlens Meier-Beck

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
X ZB 9/09
vom
31. August 2010
in dem Rechtsbeschwerdeverfahren
betreffend die Patentanmeldung 103 59 317.9-35
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
Bildunterstützung bei Katheternavigation
PatG §§ 14, 34 Abs. 3 Nr. 3; EPÜ Art. 69 Abs. 1, Art. 78 Abs. 1 lit. c
In einem Patentanspruch enthaltene Zweck-, Wirkungs- oder Funktionsangaben
müssen sich nicht zwangsläufig auf den Gegenstand des Anspruchs oder auf
dessen einzelne Merkmale beziehen. Sie können den Erfindungsgegenstand
auch sprachlich zu solchen Gegenständen oder Verfahren in Beziehung setzen,
die zur beanspruchten Lehre nur in einem bestimmten Sachzusammenhang
stehen und deren Erwähnung dem Fachmann eine Orientierungshilfe bei der
technisch-gegenständlichen Erfassung und Einordnung des Gegenstands der
Lehre sein kann (hier: Bezeichnung eines Verfahrens als Verfahren bei der gezielten
Navigation eines Katheters an einen pathologischen Ort in einem
menschlichen oder tierischen Hohlraumorgan).
PatG § 2a Abs. 1 Nr. 2, § 5; EPÜ 2000 Art. 53 lit. c, Art. 57
Ein Verfahren zur Bildunterstützung bei der gezielten Navigation eines in ein
Hohlraumorgan des menschlichen oder tierischen Körpers invasiv eingeführten
Katheters an einen pathologischen Ort im Hohlraumorgan unterfällt nicht dem
Patentierungsausschluss für Verfahren zur chirurgischen Behandlung des
menschlichen oder tierischen Körpers, weil dieser nicht die Patentierung von
Verfahren einschließt, die im Zusammenhang mit der Durchführung eines chirurgischen
Verfahrens verwendet werden können (vgl. EPA, Große Beschwerdekammer
, Entscheidung vom 15. Februar 2010 - G 1/07, Gliederungspunkt 5).
Ein solches Verfahren ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt fehlender Gewerblichkeit
von der Patentierung ausgeschlossen.
BGH, Beschluss vom 31. August 2010 - X ZB 9/09 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 31. August 2010 durch
den Vorsitzenden Richter Scharen und die Richter Gröning, Dr. Berger,
Dr. Grabinski und Hoffmann

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des 21. Senats des Bundespatentgerichts (Technischen Beschwerdesenats ) vom 26. Mai 2009 aufgehoben. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Bundespatentgericht zurückverwiesen.

Gründe:


A.


1
Die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin (im Folgenden: S.) bezieht sich auf ihre am 17. Dezember 2003 beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) eingegangene Patentanmeldung (DE 103 59 317), in deren Rahmen S. zuletzt die folgenden Patentansprüche formuliert hat: "1. Verfahren zur Bildunterstützung bei der gezielten Navigation eines in ein Hohlraumorgan des menschlichen oder tierischen Körpers invasiv eingeführten medizinischen Instruments (5) als Katheter an einen pathologischen Ort (4) im Hohlraumor- gan (2), bei welchem Verfahren anhand einer vorab mittels einer nicht-invasiven Untersuchungsmodalität aufgenommenen ersten Bilddarstellung zumindest eines Teils des Hohlraumorgans (2) die Position eines oder mehrerer pathologischer Orte (4) lokalisiert und die Bilddarstellung während der nachfolgenden Navigation des Instruments (5) zusammen mit einer zweiten kontinuierlichen angiografisch aufgenommenen Bilddarstellung zumindest eines Teils des Hohlraumorgans (2), in dem sich die Spitze des Instruments (5) befindet, wiedergegeben wird, wobei in der ersten Bilddarstellung der oder die pathologischen Orte (4) markiert und hervorgehoben dargestellt werden, wobei der oder die pathologischen Orte (4) in der ersten Bilddarstellung manuell durch den Benutzer oder automatisch unter Verwendung eines Bildanalysesystems lokalisiert und markiert werden und wobei die Angiografiebilder derart aufgenommen werden, dass sie die Katheterspitze des Instruments zeigen.
2. Verfahren nach Anspruch 1, d a d u r c h g e k e n n - z e i c h n e t , dass die mehrdimensionale Art der ersten Bilddarstellung der der Angiografie-Bilddarstellung entspricht.
3. Verfahren nach einem der vorangehenden Ansprüche, d a - d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , dass die erste Bilddarstellung und die Angiografie-Bilddarstellung miteinander registriert sind und miteinander fusioniert dargestellt werden.
4. Verfahren nach Anspruch 3, d a d u r c h g e k e n n - z e i c h n e t , dass die Registrierung anhand anatomischer
Landmarken, die in beiden Bilddarstellungen vorhanden sind, erfolgt.
5. Verfahren nach Anspruch 3, d a d u r c h g e k e n n - z e i c h n e t , dass kontinuierlich zu jeder aufgenommenen Angiografie-Bilddarstellung die Position/und oder Orientierung des Instruments (5) im Koordinatensystem eines Positionserfassungssystems erfasst wird, anhand welcher Positionsdaten die Registrierung mit zu der ersten Bilddarstellung im Koordinatensystem der Untersuchungsmodalität (1) erfassten vorhandenen Positionsdaten erfolgt."
2
Das DPMA hat die Anmeldung ebenso zurückgewiesen, wie das Bundespatentgericht die dagegen eingelegte Beschwerde (veröffentlicht in Mitt. 2009, 469 - Katheternavigation; CIPR 2009, 166). Dagegen richtet sich die vom Bundespatentgericht zugelassene Rechtsbeschwerde von S.

B.


3
Die kraft Zulassung statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache Erfolg und führt zur Zurückverweisung des Verfahrens an das Patentgericht.
4
I. Den Anmeldungsunterlagen zufolge ist die koronare Herzerkrankung das Ergebnis der zugrunde liegenden koronaren Arteriosklerose und zeigt sich in Symptomen wie stabile oder instabile Angina und Herzinfarkt bis hin zum plötzlichen Herztod. In 85 % der Fälle sei für die akuten Symptome eine bestimmte Form der Arteriosklerose verantwortlich, und zwar die "Vulnerable Plaques". Dabei - und im Unterschied zu stabilen, kalzifizierenden Stenosen - sei der Blutfluss in den Koronararterien nur unwesentlich, meist gar nicht behindert. Dies sei auf das sogenannte positive Remodelling zurückzuführen. Dabei vergrößere sich der Plaque zunächst nicht in das Lumen des Gefäßes, sondern in die Gefäßwand selbst. Dadurch seien die Vulnerable Plaques in der konventionellen Angiografie weder zu detektieren noch zu diagnostizieren und eine Differenzierung der verschiedenen Plaquepathologien nicht möglich. Zu diesem Zweck seien verschiedene bildgebende invasive Methoden entwickelt worden, die verschiedene Eigenschaften der Vulnerable Plaques zur Diagnose ausnutzten bzw. die Morphologie hochauflösend darstellten. Als bildgebende invasive Untersuchungsverfahren seien z. B. die intravaskuläre Ultraschalluntersuchung (IVUS) oder die optische Kohärenztomografie (OCT), als nicht-invasive Methoden die Magnetresonanz- und Computertomografie zu nennen.
5
An der invasiven optischen Kohärenztomographie wird in den Anmeldungsunterlagen bemängelt, dass jeder Gefäßast abgefahren werden müsse, da mittels einer parallel durchgeführten Röntgenangiografieüberwachung zwar die Katheterbewegungen, nicht aber die Vulnerable Plaques lokalisiert werden könnten. Dies führe zu verlängerten Untersuchungszeiten sowie zu einer Erhöhung von Risiko und Strahlenbelastung für den Patienten. Hauptnachteil der nicht-invasiven Methoden der Magnetresonanz- und Computertomografieuntersuchung sei demgegenüber die mangelnde Ortsauflösung, derzufolge eine Aussage über die Dicke der fibrösen Plaquekappe, die ein wesentliches Kriterium zur Risikoabschätzung darstelle, nicht möglich sei.
6
Die Erfindung solle ein Verfahren angeben, das zur Verringerung des Patientenrisikos und zur Herabsetzung der Strahlenbelastung während der zur Untersuchung des Hohlraumorgans zwingend durchzuführenden invasiven Methode ein einfaches Navigieren und damit schnelles Auffinden und Lokalisieren der relevanten pathologischen Orte, insbesondere der Vulnerable Plaques zu- lasse. Dazu wird mit dem im Erteilungsverfahren zuletzt formulierten Patentanspruch 1 (Gliederungspunkte M1 bis M6 des Bundespatentgerichts in eckigen Klammern) ein Verfahren zur Bildunterstützung bei der gezielten Navigation eines in ein Hohlraumorgan des menschlichen oder tierischen Körpers invasiv eingeführten medizinischen Instruments als Katheter an einen pathologischen Ort im Hohlraumorgan [M1] vorgeschlagen, bei welchem 1. anhand einer vorab mittels einer nicht-invasiven Untersuchungsmodalität aufgenommenen ersten Bilddarstellung zumindest eines Teils des Hohlraumorgans die Position eines oder mehrerer pathologischer Orte manuell durch den Benutzer oder automatisch unter Verwendung eines Bildanalysesystems
a) lokalisiert [M2, M5],
b) markiert [M4, M5], und
c) hervorgehoben dargestellt werden [M4, M5] und 2. die Bilddarstellung während der nachfolgenden Navigation des Instruments zusammen mit einer zweiten kontinuierlichen angiografisch aufgenommenen Bilddarstellung zumindest eines Teils des Hohlraumorgans, in dem sich die Spitze des Instruments befindet, wiedergegeben wird [M3], 3. wobei die Angiografiebilder derart aufgenommen werden, dass sie die Katheterspitze des Instruments zeigen [M6].
7
Die den Anmeldungsunterlagen beigefügte Zeichnung illustriert das Verfahren schematisch. Das rechte obere Bild (3) veranschaulicht die erste und das linke obere Bild (8) die zweite, kontinuierliche angiografisch aufgenommene Bilddarstellung, während das untere Bild (10) zeigt, wie beide Bilddarstellungen entsprechend Patentanspruch 3 miteinander registriert und fusioniert sind:
8
II. 1. Das Patentgericht hat das beanspruchte Verfahren als ein solches zur chirurgischen Behandlung des menschlichen Körpers eingeordnet, das nach § 5 Abs. 2 PatG a.F. als nicht gewerblich gelte bzw. das nach dem Patentierungsausschluss in § 2a Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 PatG nicht patentierbar sei. Zu dem beanspruchten Verfahren gehöre als ein Verfahrensschritt, dass chirurgisch zur Untersuchung eines Organs bzw. zum Auffinden von pathologischen Orten in den lebenden Körper eines Menschen oder eines Tieres eingegriffen und ein Katheter in ein Hohlraumorgan invasiv eingeführt und gezielt an einen pathologischen Ort navigiert werde. Beim Legen eines Katheters handle es sich um eine als Verfahren zur chirurgischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers einzustufende Intensivtechnik. Um den Katheter sichtbar zu machen und seine Bewegung zu verfolgen werde er kontinuierlich aufgenommen und dargestellt (Merkmalsgruppe M3 und M6). Die weiteren Schritte gemäß den Merkmalsgruppen M2 bis M5 seien nicht dazu geeignet, den chirurgischen Charakter des gesamten Verfahrens in Frage zu stellen. Bei dem beanspruchten Eingriff handle es sich weder um ein vom Patentierungsverbot nicht berührtes Hilfsverfahren auf dem Gebiet der Chirurgie (z. B. Verfahren zur Desinfektion ), noch um einen dem Stechen von Ohrlöchern oder Verabreichen von Injektionen vergleichbaren, mangels Erheblichkeit nicht als chirurgisch einzustufenden Eingriff. Vielmehr könne das Verfahren ohne das Legen eines Katheters nicht durchgeführt werden, da dessen gezielte Navigation ohne invasive Einführung in den Körper gar nicht möglich sei. Demgegenüber könne das Argument von S., dass es zwar in den Tätigkeitsbereich des Arztes falle, den Katheter zu den lokalisierten und markierten pathologischen Orten zu navigieren, diese Navigation jedoch gar nicht Teil des Verfahrens sei, nicht überzeugen, denn die Tätigkeit des Arztes ende nicht mit dem Beginn der Kathetereinführung, sondern umfasse den gesamten Navigationsvorgang des Katheters vom Einbringen der Katheterspitze (z. B. in der Leistengegend) bis zur Navigation an den endgültigen Zielort, da die fortlaufende Bewegung des Katheters während der "gezielten Navigation" einen erheblichen chirurgischen Eingriff bedeute. Dem widerspreche auch nicht, dass die pathologischen Orte bereits vorher möglicherweise von einem anderen Benutzer lokalisiert und markiert worden seien, denn ein an sich chirurgisches Verfahren verliere diesen Charakter nicht dadurch , dass es in nicht-chirurgische Teilschritte eingebettet sei. Vielmehr komme mehrstufigen Verfahren, bei denen ein chirurgisches (Teil-)Verfahren ein notwendiger Teil des Gesamtverfahrens sei, als Ganzes ein chirurgischer Charakter zu, demzufolge sie insgesamt nicht patentierbar seien.
9
III. Das greift die Rechtsbeschwerde mit Erfolg an.
10
1. Das Verfahren, dessen Patentierung S. erstrebt, unterfällt nicht dem Patentierungsverbot des § 2a Abs. 1 Nr. 2 PatG. Die Ansicht des Patentgerichts , dass die gezielte Navigation eines invasiv an einen pathologischen Ort in einem menschlichen Hohlraumorgan geführten Katheters mit zum Gegenstand der Anmeldung gehören und dieser das Gepräge einer von der Patentierung auszuschließenden chirurgischen Behandlung geben soll, beruht auf einer unzutreffenden Auslegung von Patentanspruch 1.
11
a) In den einer Patentanmeldung beigefügten Patentansprüchen ist zwar anzugeben, was als patentfähig unter Schutz gestellt werden soll (§ 34 Abs. 3 Nr. 3 PatG), und gemäß § 14 PatG ist alles, was im Wortlaut eines Patentanspruchs Ausdruck gefunden hat , bei der Auslegung, wie dieser nach objektiven Kriterien aus fachlicher Sicht zu bewerten ist (Senat, Beschluss vom 29. Juni 2010 - X ZR 193/03 Tz. 13 - Crimpwerkzeug III, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen), zu berücksichtigen (BGHZ 160, 204 - Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung ), da für die Feststellung des Offenbarungsgehalts einer Patentanmeldung nichts anderes als für die Auslegung der Lehre eines erteilten Patentanspruchs gilt (Senat, Beschluss vom 8. Juli 2008 - X ZB 13/06, GRUR 2008, 887 - Momentanpol II). Aus diesen gesetzlichen Vorgaben folgt aber nicht, dass alle sprachlichen Elemente eines formulierten Patentanspruchs Merkmale des Gegenstands beschreiben, der mit dem Anspruch unter Schutz gestellt werden soll. So können Sach- bzw. Vorrichtungsansprüche Zweck-, Wirkungs- oder Funktionsangaben enthalten, die nur unter besonderen Voraussetzungen als Bestandteile des Patentanspruchs an dessen Aufgabe teilneh- men, den geschützten Gegenstand zu bestimmen und damit zugleich zu begrenzen etwa im Hinblick auf dessen vorausgesetzte Eignung. Im Allgemeinen wird die Sache oder Vorrichtung aber unabhängig von dem Zweck, zu dem sie nach den Angaben im Patentanspruch verwendet werden soll, durch räumlichkörperlich umschriebene Merkmale als Schutzgegenstand definiert (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juni 2006 - X ZR 105/04, GRUR 2006, 923 Rn. 15; Urteil vom 28. Mai 2009 - Xa ZR 140/05, GRUR 2009, 837 Rn. 15 - Bauschalungsstütze). In solchen Fällen benennen Zweck-, Wirkungs- oder Funktionsangaben keine Merkmale des unter Schutz gestellten Gegenstands. Entsprechendes gilt grundsätzlich auch für gegebenenfalls in Verfahrensansprüchen enthaltene Zweck-, Wirkungs- oder Funktionsangaben (vgl. Busse/Keukenschrijver, Patentgesetz , 6. Aufl., § 14 Rn. 52). Zweck-, Wirkungs- bzw. Funktionsangaben müssen sich des Weiteren nicht zwangsläufig auf den Gegenstand des Anspruchs bzw. einzelne seiner Merkmale beziehen. Es ist einem Anmelder vielmehr unbenommen, den Erfindungsgegenstand im Patentanspruch sprachlich auch zu solchen Erzeugnissen oder Verfahren in Beziehung zu setzen, die zur beanspruchten Lehre in einem bestimmten Sachzusammenhang stehen und deren Erwähnung dem Fachmann eine Orientierungshilfe bei der technischgegenständlichen Erfassung und Einordnung des Gegenstands der Lehre sein kann.
12
Ob die einzelnen Angaben in einem formulierten Patentanspruch als Merkmale definierend oder beispielsweise als Zweck-, Wirkungs- oder Funktionsangaben den Erfindungsgegenstand im zuletzt dargestellten Sinne charakterisierende Daten zu verstehen sind, ist daher als Teil der Auslegung des Patentanspruchs nach den hierfür geltenden Grundsätzen zu bestimmen.
13
b) Hiernach gehört im vorliegenden Fall die gezielte Navigation des invasiv eingeführten medizinischen Elements als Katheter an einen pathologischen Ort in einem menschlichen Hohlraumorgan nicht zu den Merkmalen der beanspruchten Lehre.
14
aa) Weder die formulierten Ansprüche noch die gesamten Anmeldungsunterlagen widmen sich in irgendeiner Weise den Modalitäten der Katheteruntersuchung selbst - etwa der Steuerung des Einsatzes oder sonst der Arbeitsweise dieses Instruments -, sondern setzen die Durchführung der Katheteruntersuchung als außerhalb des beanspruchten Verfahrensgegenstands liegenden Ablauf voraus, über den zu disponieren allein der die Untersuchung vornehmenden Person obliegt.
15
bb) Wie im Laufe des Erteilungsverfahrens durch Einfügung der Worte "…Bildunterstützung bei der…" in dem Anspruch klargestellt worden ist, - ohne damit über die ursprünglichen Anmeldungsunterlagen hinauszugehen -, ist Gegenstand der beanspruchten Lehre ein Bildunterstützungsverfahren. Dieses steht zwar ausweislich der Präposition "bei" in einer engen sachlichtechnischen und räumlich-zeitlichen Beziehung zu einer Katheternavigation, weil der Einsatz des Bildgebungsverfahrens durch die Vornahme einer solchen Untersuchung in einem Blutgefäß bedingt ist und sich darauf bezieht. Gleichwohl wird in dem Anspruch sachlich zwischen dem Bildgebungsverfahren und der Katheternavigation unterschieden. Dass Letztere entsprechend der Spruchpraxis der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts als Verfahren zur chirurgischen Behandlung zu bewerten ist (vgl. EPA, Entscheidung vom 30. Juli 1993 - T 182/90 unter 2.3 der Entscheidungsgründe; Entscheidung vom 29. September 1999 - T 35/99, Ziffern 2 und 10 der Entscheidungsgründe), ist vorliegend ohne Einfluss auf die Beurteilung des Anmeldungsgegenstands und kann unterstellt werden, weil die Navigation selbst kein Abschnitt des beanspruchten Verfahrens ist. Dieses ist vielmehr als ein Verfahren konzipiert, dessen erster Schritt einer solchen Untersuchung vorausgeht, indem zunächst an- hand einer ersten Bilddarstellung pathologische Orte am Hohlraumorgan lokalisiert , markiert und hervorgehoben dargestellt werden (Merkmalsgruppe 1). Diese Darstellung erfolgt mittels eines nicht-invasiven Verfahrens, das ersichtlich nicht als chirurgische Behandlung einzuordnen ist. Der zweite Verfahrensschritt findet dann zwar zeitgleich mit der Katheternavigation statt. Denn es werden dabei die gemäß der Merkmalsgruppe 1 erstellte und eine zweite, kontinuierliche angiografisch aufgenommene Bilddarstellung zumindest des Teils des Hohlraumorgans, in dem sich während der Navigation des Instruments dessen Spitze befindet, gleichzeitig wiedergegeben (Merkmale 2 und 3). Der damit sicherlich gegebene enge medizinisch-technische Bezug zu der durchgeführten Katheternavigation ändert aber nichts daran, dass der beanspruchte Patentanspruch zwischen dem Bildgebungsverfahren und der Katheternavigation unterscheidet und auch die Patentanmeldung nur erkennen lässt, für das Bildgebungsverfahren eine Lehre zum technischen Handeln zu geben.
16
dd) In diesem Punkt unterscheidet sich das von S. vorgeschlagene Verfahren von demjenigen, auf das sich Leitsatz 1 der Entscheidung G 1/07 der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts vom 15. Februar 2010 bezieht. Dort ging es um ein Bildgebungsverfahren zur Magnetresonanzdarstellung der Lungen- und/oder Herzgefäße, bei dem polarisiertes Xenon, das eine gelöste Bildgebungsphase umfasst, verabreicht wird, und zwar unter anderem durch Injektion in eine Herzregion. Diese Maßnahme, in der die Große Beschwerdekammer ein Verfahren zur chirurgischen Behandlung des menschlichen Körpers gesehen hat, war konstitutiver Bestandteil des dort beanspruchten Bildgebungsverfahrens, und nicht, wie vorliegend, ein außerhalb eines solchen Verfahrens liegender Vorgang.
17
2. Dafür, den Ausschlusstatbestand von § 2a Abs. 1 Nr. 2 PatG wegen des engen sachlich-technischen und räumlich-zeitlichen Zusammenhangs zu einer Katheteruntersuchung auf das beanspruchte Bildgebungsverfahren anzuwenden , besteht kein Raum. Insoweit teilt der Senat die Auffassung der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts, dass Art. 53 lit. c EPÜ die Patentierung von chirurgischen Verfahren verbietet, nicht aber die Patentierung von Verfahren, die im Zusammenhang mit der Durchführung eines solchen Verfahrens verwendet werden können. Die Große Beschwerdekammer hat deshalb angenommen, dass etwa ein Bildgebungsverfahren, welches einen Chirurgen in den Stand versetzt, während eines operativen Eingriffs aufgrund der von dem Verfahren gelieferten Bilddaten zu entscheiden, welche Maßnahmen er zur Weiterführung des chirurgischen Eingriffs ergreift, nicht vom Patentierungsausschluss umfasst ist (vgl. Entscheidung vom 15. Februar 2010 - G 1/07, Gliederungspunkt 5).
18
In Übereinstimmung mit dieser Sicht kommt im vorliegenden Fall eine Ausweitung des Patentierungsausschlusses für Verfahren zur chirurgischen Behandlung auf Verfahren, die, wie das von S. beanspruchte, lediglich mit einer solchen Behandlung eng verbunden sind, nicht in Betracht.
19
IV. Die Entscheidung über die Beschwerde von S. gegen die Zurückweisung der Anmeldung kann danach mit der im angefochtenen Beschluss gegebenen Begründung keinen Bestand haben. Dieser ist deshalb unter Zurückverweisung der Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Bundspatentgericht aufzuheben (§ 108 Abs. 1 PatG).
20
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
21
1. Das Bundespatentgericht hat - auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung folgerichtig - offen gelassen, ob der Gegenstand von Patentanspruch 1 als Diagnostizierverfahren von der Patentierung auszuschließen ist. Auch auf diesen Ausschlussgrund wird die Entscheidung nicht gestützt werden können.
22
Ein am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommenes, Art. 52 Abs. 4 EPÜ 1973 unterfallendes Diagnostizierverfahren liegt nach der Spruchpraxis des Europäischen Patentamts nur vor, wenn es als Verfahrensschritte die Untersuchungsphase mit der Sammlung von Daten, den Vergleich dieser Daten mit Normwerten, die Feststellung einer signifikanten Abweichung und die Zuordnung der Abweichung zu einem bestimmten Krankheitsbild (Diagnose) umfasst (vgl. EPA, Große Beschwerdekammer, Stellungnahme vom 16. Dezember 2005 - G 1/04, GRUR Int. 2006, 514, insb. Gliederungspunkte 5 und 6.2.2 der Begründung; vgl. auch BPatG, Beschluss vom 6. März 2008 - 21 W(pat) 45/05, GRUR 2008, 981 - Verfahren zur gesundheitlichen Orientierung

).


23
Von dieser Beurteilung abzuweichen bietet der vorliegende Fall keine Veranlassung. Danach erfüllt das beanspruchte Verfahren nicht die Voraussetzungen des mit Art. 52 Abs. 4 EPÜ 2000 sachlich übereinstimmenden (vgl. dazu nachstehend IV 2 a) Patentierungsausschlusses für diagnostische Verfahren in § 2a Abs. 1 Nr. 2 PatG. Es mag zwar mit der ersten Bilddarstellung (Merkmalsgruppe
1) aufgrund einer am menschlichen Körper vorgenommenen Untersuchung Bilddaten liefern, die der Lokalisierung, Markierung und hervorgehobenen Darstellung pathologischer Orte eines Hohlraumorgans dienen (vgl. Offenlegungsschrift, Tz. 7 der Beschreibung) und damit für die spätere Erstellung einer Diagnose hilfreich sein. Damit stellt dieser Verfahrensschritt aber allenfalls ein für eine Krankheitsbestimmung relevantes Zwischenverfahren dar, was für sich den Patentierungsausschluss indes nicht begründet (vgl. Busse/ Keukenschrijver aaO § 5 Rn. 35 mwN in Fn. 138; Schulte/Moufang, Patentgesetz , 8. Aufl., § 2a Rn. 85). Denn der weitere beanspruchte Verfahrensgang macht deutlich, dass es nicht um eine Diagnose geht. Das zweite Bildgebungsverfahren dient räumlich allein der kontinuierlichen Aufnahme der Katheterspitze ; die für die Befunderhebung maßgeblichen Daten dürften nach dem gesamten Inhalt der Anmeldungsunterlagen maßgeblich über den Katheter selbst geliefert werden, dessen Führung, wie ausgeführt, aber nicht Bestandteil des beanspruchten Verfahrens ist.
24
2. Auch die gewerbliche Anwendbarkeit der Erfindung i. S. von § 1 Abs. 1, § 5 PatG wird nicht verneint werden können.
25
a) Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers waren im Patentgesetz ursprünglich, im Gleichklang mit der Regelung in Art. 52 Abs. 4 EPÜ 1973, durch gesetzliche Fiktion als nicht gewerblich anwendbare Erfindungen definiert (vgl. Benkard/ Asendorf/Schmidt, PatG, 10. Aufl., § 5 Rn. 18). Wiederum in Übereinstimmung mit der Umformulierung der Regelung in Art. 52 Abs. 4 EPÜ 1973 in den Patentierungsausschluss des Art. 53 lit. c EPÜ 2000, ist § 5 Abs. 2 PatG a.F. in den jetzigen Ausschlusstatbestand in § 2a Abs. 1 Nr. 2 überführt worden (Art. 2 Nr. 3 des Gesetzes zur Umsetzung der Akte vom 29. November 2000 zur Revision des Übereinkommens über die Erteilung europäischer Patente vom 25. August 2007, BGBl. I S. 2166). Dabei war es nicht die Absicht des deutschen Gesetzgebers, bei der Angleichung des nationalen Rechts an das EPÜ 2000 die bestehende materielle Rechtslage zu verändern, sondern, dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der bisherige Standort der Regelung unter dem Tatbestandsmerkmal "gewerblich anwendbare Erfindung" jedenfalls nach der zuletzt geltenden Systematik der Ausschlusstatbestände nicht mehr stimmig war, weil der Ausschluss der Patentierbarkeit nicht auf mangelnder gewerblicher Anwendbarkeit der Verfahren im eigentlichen Sinne beruht, sondern auf grundsätzlichen rechts- bzw. gesundheitspolitischen Erwägungen, ohne dass damit eine inhaltliche Neuerung verbunden sein sollte (BT-Drucks. 16/4382 S. 11).
26
Vor diesem Hintergrund verbietet es sich, § 5 PatG nunmehr als Auffangtatbestand auszulegen, mit dem solche Verfahren unter dem Gesichtspunkt der fehlenden Gewerblichkeit erfasst und von der Patentierung ausgenommen werden könnten, die bisher zwar in den Bereich des Regelungsgegenstands von § 5 Abs. 2 PatG a.F. gehörten, aber im Ergebnis nicht die Voraussetzung der fehlenden gewerblichen Anwendbarkeit erfüllten und nach dem Sinn und Zweck der Neuregelung auch nicht den Ausschlusstatbestand in § 2a Abs. 1 Nr. 2 PatG erfüllen.
27
b) Das beanspruchte Verfahren wäre aus denselben Gründen, aus denen es nicht unter den in § 2a Abs. 1 Nr. 2 PatG geregelten Patentierungsausschluss fällt, nicht nach § 5 Abs. 2 PatG a.F. von der Patentierung ausgeschlossen gewesen. Die gegenteilige Ansicht des Deutschen Patent- und Markenamts , die daran anknüpft, dass der Arzt kein Gewerbe ausübt, beruht auf dem unzutreffenden Verständnis von dem angemeldeten Verfahren als einer Methode, von der die - von einem Arzt vorgenommene - Katheterführung als ein Verfahrensschritt umfasst wäre. Es kann deshalb offenbleiben, ob es überhaupt noch gerechtfertigt ist, den Begriff der gewerblichen Anwendbarkeit danach abzugrenzen , ob der Erfindungsgegenstand im Rahmen der Ausübung eines freien Berufs etwa i. S. von § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG, namentlich des Arzt-, Zahnarzt - oder Tierarztberufs benutzt wird oder ob es nicht ohnehin geboten ist, den in § 5 PatG verwendeten Gewerbebegriff als eine Kategorie des mit dem Europäischen Patentübereinkommen harmonisierten und deshalb autonom zu bestimmenden nationalen Rechts (Keukenschrijver aaO § 5 Rn. 12) umfassend auszulegen (Keukenschrijver aaO Rn. 17; Pagenberg in: Münchner Gemeinschaftskommentar zum EPÜ Art. 57 Rn. 8 ff.).
28
Das Beschwerdegericht wird deshalb nunmehr die weiteren Voraussetzungen der Patentierbarkeit zu prüfen haben, insbesondere auch, ob die erfinderische Tätigkeit für das zwei an sich bekannte Bildgebungsverfahren verknüpfende Verfahren bejaht werden kann.
Scharen Gröning Berger
Grabinski Hoffmann
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 26.05.2009 - 21 W(pat) 45/06 -
26
Hierzu steht es nicht in Widerspruch, dass der Senat insbesondere im Hinblick auf den Zweck der (gesonderten) Neuheitsprüfung, Doppelpatentierungen zu vermeiden, eine Ausdehnung des neuheitsschädlich Offenbarten über den "reinen Wortlaut" hinaus für unabdingbar gehalten hat (BGHZ 128, 270, 277 - Elektrische Steckverbindung). Die Erfassung desjenigen, was in den Merkmalen des Patentanspruchs und im Wortlaut der Beschreibung nicht ausdrücklich erwähnt, aus der Sicht des Fachmanns jedoch nach seinem allgemeinen Fachwissen für die Ausführung der unter Schutz gestellten Lehre selbstverständlich oder unerlässlich ist und deshalb keiner besonderen Offenbarung bedarf (BGHZ 128, 270, 276), zielt nicht auf eine Ergänzung der Offenbarung durch das Fachwissen, sondern, nicht anders als bei der Ermittlung des Wortsinns eines Patentanspruchs, auf die Ermittlung des Sinngehalts, d.h. derjenigen technischen Information, die der fachkundige Leser der jeweiligen Quelle vor dem Hintergrund seines Fachwissens entnimmt (Benkard/Melullis aaO Rdn. 75). Nichts anderes gilt für die in der Entscheidung "Elektrische Steckverbindung" weiterhin in den Offenbarungsgehalt einbezogenen Abwandlungen, die nach dem Gesamtzusammenhang der Schrift für den Fachmann derart naheliegen , dass sie sich ihm bei aufmerksamer, weniger auf die Worte als ihren erkennbaren Sinn achtenden Lektüre ohne weiteres erschließen, so dass er sie gewissermaßen in Gedanken gleich mitliest, auch wenn er sich dessen nicht bewusst ist (BGHZ 128, 270, 276 f.). Das Wort "naheliegen" mag in diesem Zusammenhang vordergründig auf den Äquivalenzbereich hinweisen. Der Begriff des Mitlesens macht jedoch deutlich, dass es nicht um die Einbeziehung von Austauschmitteln geht, sondern darum, die technische Information, die der Fachmann durch eine Schrift erhält, in ihrer Gesamtheit zu erfassen (vgl. Rogge , GRUR 1996, 931, 935). Abwandlungen und Weiterentwicklungen dieser Information gehören ebenso wenig zum Offenbarten wie diejenigen Schlussfolgerungen , die der Fachmann kraft seines Fachwissens aus der erhaltenen technischen Information ziehen mag (Benkard/Melullis, EPÜ, aaO Rdn. 68, 71, 77; PatG, aaO Rdn. 35 f.; Busse/Keukenschrijver, PatG, 6. Aufl., § 3 Rdn. 100).

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 118/99 Verkündet am:
12. November 2002
Wermes
Justizhauptsekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Ver-
handlung vom 12. November 2002 durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Melullis, die Richter Prof. Dr. Jestaedt, Scharen, die Richterin Mühlens
und den Richter Asendorf

für Recht erkannt:
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 12. Januar 1999 verkündete Urteil des 2. Senats (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Der Beklagte ist eingetragener Inhaber des deutschen Patents 40 26 777 (Streitpatents I), das am 24. August 1990 angemeldet worden ist. Es betrifft einen Satz zylindrischer Körper für Osteosynthesearbeiten und umfaßt

acht Patentansprüche. Der Beklagte ist weiter eingetragener Inhaber des unter anderem für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 472 017 (Streitpatents II), das auf einer Anmeldung vom 31. Juli 1991 beruht, mit der die Priorität der vorgenannten deutschen Patentanmeldung in Anspruch genommen worden ist und das vom Deutschen Patent- und Markenamt unter Nr. 591 03 027 geführt wird. Dieses betrifft einen Satz zylindrischer Körper mit an der Außenfläche angeformtem Gewinde und umfaßt zwölf Patentansprüche.
Die Klägerin greift mit ihrer Teilnichtigkeitsklage jeweils die Patentansprüche 1, 2, 5 und 7 der Streitpatente an. Die angegriffenen Ansprüche des Streitpatents I lauten wie folgt:
"1. Satz zylindrischer Körper für Osteosynthesearbeiten, von denen jeder ein in Form einer Schraubenlinie in der Außenfläche ausgeformtes Gewinde aufweist, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , daß das Gewinde auch bei unterschiedlichen Außendurchmessern (d) der zylindrischen Körper gleiche Steigung (h) besitzt.
2. Satz zylindrischer Körper nach Anspruch 1, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , daß das Gewinde auch bei unterschiedlichen Kerndurchmessern (d ) der zylin- k drischen Körper gleiche Steigung (h) besitzt.
5. Satz zylindrischer Körper nach einem der vorhergehenden Ansprüche,

d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , daß der Durchmes- ser der ersten Gewindegänge dem der Gewindegänge der nächstkleineren zylindrischen Körper angenähert ist und sich dann vergrößert.
7. Satz zylindrischer Körper nach einem der vorhergehenden Ansprüche, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , daß die zylindrischen Körper als Knochenschrauben und/oder Gewindebohrer ausgebildet sind."
Die angegriffenen Ansprüche des Streitpatents II haben in der Verfahrenssprache Deutsch folgenden Wortlaut:
"1. Satz zylindrischer Schrauben mit unterschiedlichen Außendurchmessern , wobei die Schrauben ein in Form einer Schraubenlinie in der Außenfläche ausgeformtes Gewinde aufweisen, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , daß trotz unterschiedlicher Außendurchmesser (d) der Schraube das Gewinde jeder Schraube gleiche Steigung (h) besitzt, wobei sich die Außendurchmesser der Schrauben durch derart kleine Beträge unterscheiden, daß bei Anwenden aufeinanderfolgender Schrauben ein Verletzen der vorher vorhandenen Gewindegänge nicht eintritt.

2. Satz zylindrischer Schrauben nach Anspruch 1, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , daß das Gewinde auch bei unterschiedlichen Kerndurchmessern (d ) gleiche k Steigung (h) besitzt.
5. Satz zylindrischer Schrauben nach einem der vorhergehenden Ansprüche, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , daß der Durchmesser der ersten Gewindegänge dem der Gewindegänge der nächstkleineren Schrauben angenähert ist und sich dann vergrößert.
7. Satz zylindrischer Schrauben nach einem der vorhergehenden Ansprüche, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , daß die zylindrischen Körper als Knochenschrauben für Osteosynthesearbeiten ausgebildet sind."
Die Klägerin macht geltend, der Gegenstand der von ihr angegriffenen Patentansprüche der Streitpatente sei nicht neu, beruhe aber jedenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Die Schrauben, für die in diesen Patentansprüchen Schutz beansprucht werde, seien aus der DIN-Norm für Knochenschrauben bekannt. Die Zusammenfassung zu einem Satz sei nicht geeignet, eine Abgrenzung zum Stand der Technik herbeizuführen. Der Kern der unter Schutz gestellten Lehre liege nicht in einem Satz an sich bekannter Schrauben, son-

dern in der spezifischen chirurgischen Operationstechnik, die aber als solche nicht schutzfähig sei.
Die Klägerin hat beantragt,
im Umfang ihrer Teilnichtigkeitsklage die Streitpatente - das Streitpatent II für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland - für nichtig zu erklären.
Der Beklagte ist dem entgegengetreten und hat die Streitpatente hilfsweise in anderer Fassung verteidigt.
Das Bundespatentgericht hat der Teilnichtigkeitsklage in vollem Umfang stattgegeben.
Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der Berufung und dem Antrag,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage insgesamt abzuweisen.
Die Klägerin ist dem Rechtsmittel entgegengetreten.
Prof. Dr. med. habil. Dr.-Ing. W. P. hat als gerichtlicher Sachverständiger ein schriftliches Gutachten erstellt, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.

Entscheidungsgründe:


Die Berufung hat Erfolg. Die Nichtigkeitsklage ist zulässig, in der Sache aber nicht begründet, weil sich nicht feststellen läßt, daß der Gegenstand der Patentansprüche 1 der Streitpatente nicht patentfähig ist.
I. 1. Die vom Bundespatentgericht für begründet erachtete Teilnichtigkeitsklage ist zulässig. Eine auf den Mangel der Patentfähigkeit gestützte Klage auf Nichtigerklärung eines in Kraft stehenden Patents erfordert nicht den Nachweis eines rechtlichen Interesses (Sen.Urt. v. 13.01.1998 - X ZR 82/94, GRUR 1998, 904 - Bürstenstromabnehmer). Die förmliche Nichtigerklärung eines Patents, dem keine Schutzwürdigkeit zukommt, liegt für sich schon im öffentlichen Interesse und macht damit die Nichtigkeitsklage statthaft (Sen.Urt. v. 15.05.1990 - X ZR 119/88, GRUR 1990, 667 - Einbettungsmasse). Eine Grenze findet die Zulässigkeit allerdings in Fällen, in denen die Durchführung des Nichtigkeitsverfahrens gegen Treu und Glauben verstößt (Sen.Urt. v. 02.06.1987 - X ZR 97/86, GRUR 1987, 900, 901 - Entwässerungsanlage). Besteht aber für den Nichtigkeitskläger die Möglichkeit einer Beeinträchtigung, wenn das Patent bestehenbleibt, hat er ein Rechtsschutzinteresse an dessen Beseitigung (Sen.Urt. v. 15.05.1990, aaO - Einbettungsmasse). Im vorliegenden Fall ist das Streitpatent I zwar durch die Erteilung des Streitpatents II gemäß Art. II § 8 IntPatÜG wirkungslos geworden. Die Klägerin wird jedoch von dem Beklagten in einem parallelen Verletzungsverfahren aus beiden Streitpa-

tenten in Anspruch genommen. Es besteht deshalb auch ein Rechtsschutzbe- dürfnis, soweit die Klägerin die teilweise Vernichtung des Streitpatents I anstrebt.
2. Beide Streitpatente befassen sich mit einem Satz zylindrischer Schrauben und dazugehörigen Gewindebohrern.
Beide Streitpatentschriften erläutern die den Gegenstand ihrer Patentansprüche 1 bildende Lehre am Beispiel eines Knochenschrauben- oder Gewindebohrersatzes. Wie in beiden Beschreibungen eingangs ausgeführt, werden Knochenschrauben meist in Kombination mit Platten- und Stabsystemen angewendet, um Knochen und Knochenteile in einer bestimmten Stellung und Ausrichtung zueinander zu fixieren. Die Streitpatentschriften beschreiben zunächst die herkömmliche, z.B. aus der US-Patentschrift 4 943 292 bekannte Osteosynthese an Röhrenknochen, bei der eine mit Löchern versehene Platte mittels Knochenschrauben, die durch diese Löcher hindurchgreifen, am Knochen fixiert wird. Die Ruhigstellung der Knochen oder Knochenteile erfolgt durch Anpressen an die Platte mittels der Schrauben. Die Knochenschrauben werden verankert in Bohrkanälen, in die mit Gewindebohrern ein Gewinde eingeschnitten worden ist. Die Schraubenköpfe der Knochenschrauben finden auf der dem Knochen gegenüberliegenden Seite in den angeschrägten Schraubenlöchern ein Widerlager. Den größten Teil des Halts finden die Knochenschrauben dabei in der kortikalen Knochenrinde, während in der Spongiosa und in der Markhöhle kein wesentlicher Widerhalt zu erreichen ist. Die im Knochen verankerten Knochenschrauben werden in ihrem Verlauf im Knochen praktisch nur auf Zug beansprucht. Findet die verwendete Schraube nicht rich-

tig Halt, so werden - wie die Streitpatentschriften ausführen - herkömmlicherweise Schraubmuttern an der platten abseitigen Knochenseite auf eine längere Schraube aufgedreht, um so eine gewisse Stabilität zu gewährleisten.
Gegenüber dieser herkömmlichen Osteosynthese an Röhrenknochen bezeichnen die Streitpatentschriften das Verplattungsverfahren an der Wirbelsäule als problematischer. Anders als bei normalen Röhrenknochen lassen die anatomischen Verhältnisse hier die Fixierung eines Knochens an einer Knochenplatte in der Regel nur durch eine einzige Knochenschraube zu. Die für eine knöcherne Konsolidierung erforderliche Ruhigstellung ist dadurch erschwert , daß nahezu das ganze Körpergewicht auf dieser fixierenden Schraube lastet. Während bei Röhrenknochen die Schraube immer in zwei Knochenrinden verankert wird, werden bei der Wirbelsäulenfixation die Schrauben durch die engen Knochenverbindungen zwischen dem vorn liegenden Wirbelkörper und dem hinten liegenden Wirbelbogen eingedreht. Diese Knochenbrücken -Bogenwurzeln - Pedikel - haben im sagittalen Schnitt die Form einer Zwirnspule, wobei nur im mittleren, d.h. dem engen Abschnitt eine gute direkte Kraftübertragung auf die zentral verlaufende und nur hier mit der Knochenrinde tangentialen Kontakt aufnehmende Schraube erfolgen kann. Nach den Streitpatentschriften ist die Dimension der zu wählenden Gewindebohrer und Knochenschrauben in jedem Fall unbekannt. Eine stabile Verankerung einer Knochenschraube setzt aber eine auf den gegebenen Durchmesser des Knochenkanals abgestimmte Dimensionierung des Gewindebohrers und vor allem des Gewindepins voraus. Unterdimensionierungen beinhalten die Gefahr der Instabilität der Knochenschraubenverbindung und des Implantatabbruchs. Überdimensionierungen der Implantate können leicht neurologische Komplikationen

bis zu Querschnittslähmungen nach sich ziehen, da unmittelbar neben den Pedikeln die Nervenwurzeln und das Rückenmark liegen.
Die so beschriebene Problematik soll gemäß Streitpatent I (Sp. 2 Z. 36-40) dadurch gelöst werden, daß ein Schrauben- bzw. Gewindebohrersatz geschaffen wird, mit dem es möglich ist, den Querdurchmesser eines Knochenkanals zu bestimmen und trotz mehrmaliger Anwendung das Gewinde nicht zu zerstören. Das Streitpatent I schlägt dazu in seinem Patentanspruch 1 einen Satz zylindrischer Körper für Osteosynthesearbeiten vor, wobei sich die Merkmale des Anspruchs - der Merkmalsgliederung des Bundespatentgerichts entsprechend - wie folgt gliedern lassen:
1. Jeder zylindrische Körper eines Satzes
1.1 weist in der Außenfläche
1.2 ein Gewinde auf, das
1.2.1 in Form einer Schraubenlinie ausgeformt ist.
2. Das Gewinde besitzt
2.1 auch bei unterschiedlichen Außendurchmessern (d) der zylindrischen Körper
2.2 die gleiche Steigung (h).

Die Streitpatentschrift II beschränkt sich nicht auf Schrauben und Ge- windebohrer, die für Osteosynthesearbeiten verwendet werden, sondern beansprucht allgemein einen Satz Schrauben und führt dazu in der Beschreibung aus, daß diese bei Osteosynthesearbeiten und in Holz, Kunststoff oder weichen Metallen einsetzbar sind (Streitpatentschrift II Sp. 3 Z. 21-23). Die Streitpatentschrift II schildert es als Problem, eine Schraubenkonstruktion zu schaffen , die bei ausgelockertem Gewinde bei gleicher Gewindecharakteristik einen neuen Festsitz schafft und einen Gewindebohrer, der ein neues Gewinde nachschneidet bei optimaler Verankerung der einzusetzenden Schraube (Sp.3 Z.13-18). Sie schlägt dazu einen Satz zylindrischer Schrauben vor, die folgende Merkmale aufweisen:
1. Die zylindrischen Schrauben eines Satzes verfügen über unterschiedliche Außendurchmesser.
1.1 Jede Schraube
1.1.1 weist in der Außenfläche
1.1.2 ein Gewinde auf, das
1.1.3 in Form einer Schraubenlinie ausgeformt ist.
2. Das Gewinde jeder Schraube besitzt

2.1 trotz unterschiedlicher Außendurchmesser (d)
2.2 gleiche Steigung (h).
3. Die Außendurchmesser der Schrauben unterscheiden sich durch derart kleine Beträge,
3.1 daß ein Verletzen vorher vorhandener Gewindegänge nicht eintritt,
3.2 wenn aufeinanderfolgende Schrauben verwendet werden.
Nach Patentanspruch 1 der Streitpatentschrift I soll damit ein Satz von Gewindebohrer und dazu passenden Knochenschrauben geschaffen werden, wobei unabhängig von ihrem Außendurchmesser diese so gestaltet sind, daß sie die gleiche Steigung aufweisen. Dies soll verhindern, daß bei Anwendung des nächstgrößeren Gewindebohrers eine Beschädigung des durch den vorher eingesetzten Gewindebohrer geschnittenen Gewindes erfolgt. Dadurch soll es möglich sein, bei Handhabung des Gewindebohrers den Widerstand abzutasten , der sich dem Gewindebohrer stellt, so daß ermittelt werden kann, wann sich die äußeren Gewindegänge in der kortikalen Knochenrinde befinden. Beim Auslockern einer Schraube soll dagegen mit dem Gewindebohrersatz ermöglicht werden, ein neues, einen festen Halt verschaffendes Gewinde nachzuschneiden und eine im Durchmesser größere Schraube einzusetzen. Als entscheidend bezeichnet es die Streitpatentschrift I, daß durch das mehr-

malige Anwenden von Gewindebohrern das Gewinde nicht geschädigt wird (Streitpatentschrift I Sp. 2 Z. 68 - Sp. 3 Z. 2).
Das Streitpatent II entspricht dem, soweit es um den Anwendungsbereich der Osteosynthese geht, wortgleich (Sp. 3 Z. 40-57), nennt aber als weitere Einsatzmöglichkeit die Herstellung von Schraubverbindungen in Holz, Kunststoff und weichen Metallen (Sp. 3, Z. 21-23).
II. 1. Der Senat ist nicht davon überzeugt, daß der Gegenstand der Ansprüche 1, 2, 5 und 7 der Streitpatente im angegriffenen Umfang nicht neu ist und auch nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht. Es kann deshalb nicht festgestellt werden, daß Nichtigkeitsgründe nach § 22 Abs. 2 in Verbindung mit § 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG (bezogen auf das Streitpatent I) und Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 Buchst. a EPÜ in Verbindung mit Art. 54 Abs. 1, 2 und Art. 56 EPÜ (bezogen auf das Streitpatent II) vorliegen.
Für die Beurteilung der Frage, ob die Lehre der Streitpatente neu ist, ist darauf abzustellen, wie der Fachmann durchschnittlichen Könnens im Prioritätszeitpunkt diese Lehre verstanden hat.
2. Als einen solchen Fachmann sieht der Senat in Übereinstimmung mit dem Bundespatentgericht und dem gerichtlichen Sachverständigen einen Ingenieur mit Fachhochschulabschluß an, der sich mit der Entwicklung und Fertigung von Schrauben befaßt, außerdem jedenfalls einfache medizinische Grundkenntnisse erworben hat und bezüglich der spezifischen medizinischen

Probleme mit einem Chirurgen, Unfallchirurgen oder Orthopäden in engem Kontakt steht.
3. Dieser Fachmann versteht, wie der gerichtliche Sachverständige in der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des Senats ausgeführt hat, unter "Satz" nicht eine Mehrheit von Einzelgegenständen, die in beliebiger Weise zu einem Gebinde zusammengestellt sind. Vielmehr entnimmt der Fachmann dem Begriff "Satz", daß es sich um eine Zusammenfassung unter technischen Gesichtspunkten handelt, bei der gleichartige Gegenstände unterschiedlichen, aufeinander abgestimmten Ausmaßes zu einem Zweck funktionsbestimmt zusammengefügt werden. Dabei sieht er in der funktionalen Abstimmung das entscheidende Kriterium. Etwa im Handel angebotene Einzelteile versteht er dagegen , auch wenn es sich um eine Mehrzahl handelt, ohne eine solche Abstimmung ebensowenig als "Satz" wie ein Sortiment, das nach anderen als funktionalen Gesichtspunkten, etwa solchen eines vermuteten Bedarfs des Kunden oder anderen verkaufsorientierten Gesichtspunkten, im Handel zusammengestellt wird. Dabei gehören nach dem Verständnis des Fachmanns zu einem "Satz" mindestens drei Einzelteile, ein Paar von zwei Einzelteilen ist danach noch kein "Satz".
4. Bei diesem Verständnis des Begriffs "Satz" kann schon mangelnde Neuheit des Gegenstands der Patentansprüche 1 der Streitpatente nicht festgestellt werden.
Die DIN-Normen, namentlich die DIN 20410 Teil 1 für Sägegewinde (Anl. K 15), geben in diesem Sinne keinen "Satz" von Schrauben oder Kno-

chenschrauben an, sondern beschreiben eine genormte Reihe gleichartiger Schrauben oder Knochenschrauben unterschiedlicher Größe, die jedoch nicht funktional aufeinander abgestimmt sind, um einen bestimmten Zweck zu erreichen.
Auch der Auszug aus C.-D. "Instrumentation in Spine Surgery" (Anl. K 5) nimmt die Lehre der Streitpatente danach nicht neuheitsschädlich vorweg. Zwar läßt sich dem Abschnitt "Vertebralschrauben", wie der gerichtliche Sachverständige dies in der mündlichen Verhandlung dargelegt hat, entnehmen, daß von drei Schrauben zwei geringe Größenunterschiede und gleiche Gewindesteigung aufweisen. Bei diesen handelt es sich aber nach dem Verständnis des Begriffs "Satz" noch nicht um einen solchen, sondern um ein Paar. Zudem lassen sich dieser Schrift, wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend ausgeführt hat, keine Maßnahmen entnehmen, aufgrund derer sich mit der Verwendung eines solchen Paars eine Verbesserung der Primärstabilität erzielen ließe, da es den Autoren dieser Schrift vielmehr um die Verbesserung der mechanischen Festigkeit durch Erhöhung des Kerndurchmessers geht; Hinweise auf die Bedeutung der Abstimmung der Gewindesteigung in einem "Satz" finden sich hier nicht.
Über zwei Schrauben hinausgehende Zusammenstellungen im Sinne eines "Satzes" sind auch in keiner der übrigen Entgegenhaltungen beschrieben.
5. Der Senat hat ebenfalls nicht feststellen können, daß die Lehre der Patentansprüche 1 der Streitpatente sich für den Durchschnittsfachmann am Prioritätstag in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergab.

Ein solcher Fachmann konnte ein Bedürfnis für die unter Schutz gestellte Lehre von sich aus nicht erkennen. Wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend ausgeführt hat, wird auch der Chirurg oder Orthopäde, mit dem der Durchschnittsfachmann in engem Kontakt steht, die Problematik, einen festen Sitz der Knochenschraube zu erreichen, in erster Linie dadurch zu lösen versuchen, daß er, aufgrund seiner Erfahrung als Operateur, die Pedikeloder Knochenschraube so auswählt, daß diese im entsprechenden Knochenabschnitt die notwendige Stabilität gewährleistet. Ein ungelöstes Bedürfnis ergab sich danach nur für den Fall, daß mit der zunächst gewählten Schraube kein fester Sitz erreicht wurde und deshalb eine Schraube mit größerem Durchmesser einzusetzen war.
Der gerichtliche Sachverständige hat zur Überzeugung des Senats dargelegt , daß schon fraglich ist, ob der Durchschnittsfachmann überhaupt das Problem erkannte, daß beim Einsatz einer Knochenschraube mit größerem Durchmesser nur dann eine stabilere Verbindung entstehen konnte, wenn diese Knochenschraube ein Gewinde mit gleicher Steigung besaß und daß bei Verwendung einer Schraube mit abweichender Gewindesteigung das vorhandene vorgeschnittene Gewinde zerstört wurde. Dafür hatte er insbesondere keine Anhaltspunkte aus dem allgemeinen Stand der Schraubenverbindungstechnik , wo ein entsprechendes Problem nicht auftritt. Im technischen Bereich stellt sich vielmehr, wie der gerichtliche Sachverständige auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, das Problem nicht ausreichender Stabilität einer Schraubenverbindung nicht, weil zum einen die vorgegebenen Werkstoffeigenschaften von Holz, Kunststoff oder Metall es ermöglichen, von

vornherein zu bestimmen, welche Schraube zur Erzielung einer festen Verbin- dung nötig ist, und zum anderen, weil im Fall von Fehlversuchen der Techniker bei diesen Materialien andere Abhilfemöglichkeiten ergreift als diejenige, die die Streitpatente lehren. Beim Einbringen von Schrauben in Holz werden entweder selbstschneidende Schrauben verwendet, die in jedem Fall im Holz einen festen Halt finden, oder Schrauben, die eine Vorbohrung definierten Durchmessers erfordern und dann stabil eingebracht werden können. Sollte ausnahmsweise, beispielsweise aufgrund eines zu großen Vorbohrungsdurchmessers , kein stabiler Halt zu erzielen sein, so wird entweder eine Schraube nächstgrößeren Durchmessers benutzt oder ein neuer in der Nähe gelegener Einbringungsort gewählt. Die Einbringung in das bereits benutzte Schraubenloch bereitet dabei keine Schwierigkeiten und setzt auch keine Schraube mit gleicher Steigung voraus, weil Holz ein kompakter Werkstoff ist, der ohne Rücksicht auf die Steigung des Gewindes die Schraube größeren Durchmessers aufnimmt. Bei Schraubverbindungen mit metallischen Werkstoffen muß regelmäßig ein Innengewinde vorgeschnitten werden, mit der Folge, daß nur eine Schraube eingebracht werden kann, die ein mit dem Gewindeloch identisches Gewinde hat. Stabilität ist dann zwangsläufig gegeben. Die Verwendung unterschiedlicher Gewinde ist bei Metallschraubverbindungen grundsätzlich nicht möglich, da die Werkstoffeigenschaften nahezu keine Verformung tolerieren. Eine Ausnahme bilden lediglich die sogenannten Interferenzschraubensysteme , bei denen bewußt zwei unterschiedliche Gewinde bestimmter vordefinierter Ausgestaltung kombiniert werden, damit diese sich nach bestimmter Einschraubtiefe gegeneinander verklemmen und dann keiner weiteren Sicherung mehr bedürfen.

Der Senat hat danach Zweifel, ob der Durchschnittsfachmann das Pro- blem überhaupt erkannt und nach einer Lösung im Sinne der Lehre der Streitpatente gesucht hat. Diese Zweifel verstärken sich dadurch, daß der gerichtliche Sachverständige sich selbst nicht sicher war, ob er derartige Überlegungen angestellt oder zur Lösung der Streitpatente gefunden hätte.
Bei diesem Beweisergebnis konnte der Senat nicht die Überzeugung gewinnen, daß der Gegenstand der Streitpatente, soweit es sich um die Anwendung auf dem Gebiet der Osteosynthese handelt, für den Durchschnittsfachmann nahegelegen hätte. Für die Anwendung auf anderen Gebieten, die nach dem Streitpatent II von dessen Patentanspruch 1 umfaßt sind, gilt dies ebenso, da, wie bereits dargestellt, auf diesen Gebieten der Fachmann in erster Linie an andere Lösungen denkt, wenn er Schraubverbindungen im Sinne eines festeren Halts verbessern will.
Die mit der Teilnichtigkeitsklage ebenfalls angegriffenen Unteransprüche 2, 5 und 7 der Streitpatente haben weitere Ausgestaltungen der Lehre der Patentansprüche 1 der Streitpatente zum Gegenstand, sind auf diese rückbezogen und werden daher durch deren Patentfähigkeit ebenfalls getragen.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG in Verbindung mit § 91 ZPO.
Melullis Jestaedt Scharen
Mühlens Asendorf
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1. Die US-Patentschrift 2 107 375 (D 2) zeigt zwar eine wellenförmige Struktur des Ösenhalsendes, das eine gewisse äußerliche Ähnlichkeit mit der mit Vorsprüngen versehenen Stirnseite einer streitpatentgemäßen Gestaltung aufweist. Die - auf Schuhleder oder Textilien als Werkstoff (Trägerbahn) bezogene - Schrift lehrt die Festklammerung einer Trägerbahn im Wege des Rollnietens in der Weise, dass sich der gestauchte und genietete Hals mit seinem oberen Rand mehr oder weniger senkrecht in den Werkstoff eingräbt, und zwar mit den Spitzen der Vorsprünge naturgemäß tiefer als mit den "Wellentälern". Die Schrift gibt aus fachmännischer Sicht aber keinen Anlass zur Ausführung einer Bördelung in der vom Streitpatent vorgeschlagenen Weise, bei der sich die Vorsprünge gegen Widerlagerflächen abstützen, um der Gefahr des Ausreißens der Trägerbahn besonders wirkungsvoll zu begegnen (vgl. oben I 3 b). Figur 3 der Zeichnung zeigt eine Öse, die durch Rollnieten um mehr oder weniger 180 Grad umgebogen ist, so dass das Halsende sich annähernd senkrecht in den Werkstoff gräbt. Dies ist das Maß an Umformung, das die Entgegenhaltung als das übliche ansieht (Seite 2 re. Spalte Zeile 32 ff. = Übersetzung Seite 8 untere Hälfte). Zu einer spiralförmigen Ausführung einer Bördelung um mehr als einen Vollkreis in der Weise, dass die Halsvorsprünge an Widerlagerflächen angedrückt werden, gibt die Entgegenhaltung dem Fachmann auch dann keinen Anlass , wenn es darum geht, bei standardisiert vorgegebenen Halslängen mit der Einsetzkraft zur Anbringung von Ösen in dünnere Werkstoffe als den in der Zeichnung gezeigten zu experimentieren. Zwar wird in der Beschreibung angemerkt , dass eine etwas weiter vorangetriebene Bördelung in Richtung auf einen Kreis hin möglich ist (Seite 2 re. Spalte Zeile 46 ff. = Übersetzung Seite 8 untere Hälfte). Wie die Erörterung mit dem Sachverständigen aber zur Überzeugung des Senats ergeben hat, erhält der Fachmann durch diesen Hinweis keinen Anstoß zur Ausführung einer so weitgehenden Bördelung, wie sie nach Merkmalsgruppe 2 des Streitpatents erforderlich ist. Das hängt damit zusammen , dass das wellenförmige Stirnprofil der Halsenden von nach dieser Entgegenhaltung produzierten Ringösen durch Einsatz eines in der Schrift gezeigten (Figuren 5 und 6) und beschriebenen Einkerbwerkzeugs im Wege der Kaltverformung erzeugt wird und die Halsenden dadurch eine spezifische Festigkeit erhalten, die der weiteren Verformung entgegensteht. Eine streitpatentgemäße Spiralbildung würde aber eine radiale Verkleinerung der Halsenden mit sich bringen, der sich das Material, wie der Fachmann aufgrund seiner Materialkundigkeit sofort erkennt, aufgrund der bereits eingetretenen Verfestigung widersetzt. Er wird deshalb bei der in der Entgegenhaltung erörterten zusätzlichen Bördelung allenfalls geringfügig weiter gehen, als in deren Figur 3 illustriert, um nicht die Gefahr der - in der Schrift auch angesprochenen - Materialspaltung heraufzubeschwören. Eine weitere gefahrlose Umformung wäre technisch nur unter Hitzeeinfluss möglich und scheidet aus fachmännischer Sicht wegen des damit verbundenen Kostenaufwands aus. Dementsprechend ist die Einschätzung der Klägerin, die der US-Patentschrift 2 107 375 zu entnehmenden Vorschläge hinderten den Fachmann nicht daran, die streitpatentgemäße Lösung auszuführen, schon vom Offenbarungsgehalt der Schrift her nicht gerechtfertigt. Zudem kann das Auffinden einer neuen Lehre zum technischen Handeln nicht schon dann als nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend bewertet werden , wenn lediglich keine Hinderungsgründe zutage treten, von im Stand der Technik Bekanntem zum Gegenstand dieser Lehre zu gelangen, sondern diese Wertung setzt voraus, dass das Bekannte dem Fachmann Anlass oder Anregung gab, zu der vorgeschlagenen Lehre zu gelangen.

(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend.

(2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkosten (§§ 91 bis 101) sind entsprechend anzuwenden, soweit nicht die Billigkeit eine andere Entscheidung erfordert; die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Kostenfestsetzungsverfahren (§§ 103 bis 107) und die Zwangsvollstreckung aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen (§§ 724 bis 802) sind entsprechend anzuwenden.

(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last.

(2) Das Gericht kann der einen Partei die gesamten Prozesskosten auferlegen, wenn

1.
die Zuvielforderung der anderen Partei verhältnismäßig geringfügig war und keine oder nur geringfügig höhere Kosten veranlasst hat oder
2.
der Betrag der Forderung der anderen Partei von der Festsetzung durch richterliches Ermessen, von der Ermittlung durch Sachverständige oder von einer gegenseitigen Berechnung abhängig war.