Bundesgerichtshof Urteil, 17. Sept. 2013 - X ZR 123/10

bei uns veröffentlicht am17.09.2013
vorgehend
Amtsgericht Düsseldorf, 25 C 10071/09, 03.02.2010
Landgericht Düsseldorf, 22 S 41/10, 20.08.2010

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 123/10 Verkündet am:
17. September 2013
Boppel
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche
Verhandlung vom 17. September 2013 durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Meier-Beck, die Richterin Mühlens, den Richter Gröning, die
Richterin Schuster und den Richter Dr. Deichfuß

für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil der 22. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 20. August 2010 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Kläger buchten bei dem beklagten Luftverkehrsunternehmen
1
Flüge von Miami über Madrid nach Düsseldorf. Der Flug von Miami nach Madrid war für den 17. Juli 2009 17.05 Uhr vorgesehen und sollte am 18. Juli 2009 um 7.45 Uhr in Madrid eintreffen. Der Weiterflug nach Düsseldorf sollte um 8.50 Uhr in Madrid starten und um 11.20 Uhr in Düsseldorf ankommen. Der Abflug von Miami nach Madrid verzögerte sich bis 18.25 Uhr
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(um 1 Stunde 20 Minuten). Die bereits bei Flugantritt in Miami mit Bordkarten für die gesamte Reise versehenen Kläger erreichten Madrid um 8.40 Uhr. Der Weiterflug der Kläger sollte an einem ausgelagerten Terminal des Flughafens erfolgen, den die Kläger nicht mehr rechtzeitig erreichen konnten. Bei ihrer Ankunft in Madrid erhielten sie neue Bordkarten für einen Flug, der um 16.20 Uhr mit 20 Minuten Verspätung startete. Die Kläger erreichten Düsseldorf um 19.00 Uhr. Die Kläger verlangen eine Ausgleichszahlung von je 600 € nach der
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Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs - und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (im Folgenden: Fluggastrechteverordnung ). Das Amtsgericht hat die hierauf gerichtete Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Kläger hat das Berufungsgericht die Beklagte verurteilt, an die Kläger jeweils 600 € nebst Zinsen zu zahlen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die
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Beklagte das Ziel der Klageabweisung weiter. Die Kläger treten dem Rechtsmittel entgegen. Eine den Zinsanspruch betreffende Anschlussrevision haben die Kläger zurückgenommen.

Entscheidungsgründe:


I. Das Berufungsgericht hat Ansprüche der Kläger auf Aus5 gleichszahlung für begründet gehalten und seine Entscheidung wie folgt begründet: Den Klägern stünden gemäß § 4 Abs. 3 FluggastrechteVO wegen Nichtbeförderung Ansprüche auf Ausgleichszahlungen nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. c FluggastrechteVO zu. Die Kläger hätten über eine Buchung für die Flugreise von Miami über Madrid nach Düsseldorf verfügt. Da sie auch bereits Bordkarten für den Flug von Madrid nach Düsseldorf erhalten hätten, habe die Beklagte, indem sie gleichwohl das Flugzeug in Madrid habe starten lassen, ohne auf das Eintreffen der Kläger zu warten, diesen den Einstieg verweigert.
6
II. Dies hält der Nachprüfung nicht stand. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht angenommen, den Klägern stehe ein Anspruch wegen Nichtbeförderung (Art. 4 Abs. 3 FluggastrechteVO) zu. Eine Nichtbeförderung liegt nach Art. 2 Buchst. j FluggastrechteVO vor, wenn das Luftfahrtunternehmen sich weigert, Fluggäste zu befördern, obwohl sie sich unter den in Art. 3 Abs. 2 FluggastrechteVO genannten Bedingungen am Flugsteig eingefunden haben. Der Ausgleichsanspruch nach dieser Vorschrift setzt mithin voraus, dass dem am Flugsteig erschienenen Fluggast der Einstieg ("Boarding") gegen seinen Willen verweigert worden ist (BGH, Urteil vom 30. April 2009 - Xa ZR 78/08, RRa 2009, 239 = NJW 2009, 2740 Rn. 7; Beschluss vom 9. Dezember 2010 - Xa ZR 80/10, RRa 2011, 84 Rn. 11). Diese Voraussetzung liegt nicht vor. Die Kläger sind - wenngleich ohne ihr Verschulden - vor Abflug des vorgesehenen Anschlussflugs nicht am Flugsteig erschienen. Eine Verweigerung der Beförderung scheidet damit aus. III. Das Berufungsurteil ist im Ergebnis gleichwohl zutreffend, da
7
die Klageforderung unter dem Gesichtspunkt der Verspätung begründet ist. Den Fluggästen eines verspäteten, wie im Streitfall nach Art. 3 Abs. 1 in den Anwendungsbereich der Flugastrechteverordnung fallenden Flugs steht ein Ausgleichsanspruch nach Art. 7 zu, soweit sie wie die Kläger infolge der Flugverspätung ihr individuelles Endziel mit einer Verspätung von mindestens drei Stunden erreichen. Dies gilt auch, wenn die verspätete Ankunft am Endziel darauf beruht, dass infolge der Flugverspätung ein selbst nicht verspäteter Anschlussflug verpasst wird (BGH, Urteil vom 7. Mai 2013 - X ZR 127/11, NJW-RR 2013, 1065 im Anschluss an EuGH, Urteil vom 19. November 2009 - C-402/07, NJW 2010, 43 = RRa 2009, 282 - Sturgeon/Condor; Urteil vom 23. Oktober 2012 - C-581/10 - Nelson/ Lufthansa; Urteil vom 26. Februar 2013 - C-11/11 - Air France/Folkerts). Bedenken gegen diese Auslegung der Fluggastrechteverordnung ergeben sich weder aus dem Primärrecht der Europäischen Union noch aus dem Grundgesetz (BGH, aaO Rn. 14 ff.). IV. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 2
8
ZPO.
Meier-Beck Mühlens Richter am Bundesgerichtshof Gröning kann wegen Urlaubs nicht unterschreiben. Meier-Beck Schuster Deichfuß
Vorinstanzen:
AG Düsseldorf, Entscheidung vom 03.02.2010 - 25 C 10071/09 -
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 20.08.2010 - 22 S 41/10 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 17. Sept. 2013 - X ZR 123/10

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Reiserecht: Ausgleichszahlung bei verpasstem Anschlussflug

28.10.2013

soweit sie infolge der Flugverspätung ihr individuelles Endziel mit einer Verspätung von mindestens drei Stunden erreichen.
Reiserecht
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Reiserecht: Ausgleichszahlung bei verpasstem Anschlussflug

28.10.2013

soweit sie infolge der Flugverspätung ihr individuelles Endziel mit einer Verspätung von mindestens drei Stunden erreichen.
Reiserecht

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Bundesgerichtshof Urteil, 07. Mai 2013 - X ZR 127/11

bei uns veröffentlicht am 07.05.2013

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 127/11 Verkündet am: 7. Mai 2013 Wermes Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR:
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Urteil, 17. Sept. 2013 - X ZR 123/10.

Amtsgericht Erding Urteil, 13. Mai 2015 - 4 C 420/15

bei uns veröffentlicht am 13.05.2015

Tenor 1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 600,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 04.12.2014 zu bezahlen. 2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. 3. Von den Kosten

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 127/11 Verkündet am:
7. Mai 2013
Wermes
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Verordnung (EG) Nr. 261/2004 (FluggastrechteVO) Art. 3 Abs. 1, Art. 7

a) Den Fluggästen eines verspäteten, nach Art. 3 Abs. 1 in den Anwendungsbereich
der Fluggastrechteverordnung fallenden Flugs steht ein Ausgleichsanspruch
nach Art. 7 zu, soweit sie infolge der Verspätung ihr individuelles
Endziel mit einer Verspätung von mindestens drei Stunden erreichen.

b) Dies gilt auch, wenn die verspätete Ankunft am Endziel darauf beruht, dass
infolge der Flugverspätung ein selbst nicht in den Anwendungsbereich der
Verordnung fallender oder selbst nicht verspäteter Anschlussflug verpasst
wird.
BGH, Urteil vom 7. Mai 2013 - X ZR 127/11 - LG Berlin
AG Wedding
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 7. Mai 2013 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die
Richterin Mühlens und die Richter Gröning, Hoffmann und Dr. Deichfuß

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil der Zivilkammer 85 des Landgerichts Berlin vom 20. September 2011 aufgehoben und das Urteil des Amtsgerichts Wedding vom 31. März 2011 abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.200 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. März 2010 zu zahlen. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Klägerin nimmt die Beklagte aus eigenem und abgetretenem Recht eines Mitreisenden auf eine Ausgleichszahlung in Höhe von jeweils 600 € nach der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (im Folgenden: Fluggastrechteverordnung) in Anspruch.
2
Die Reisenden buchten bei der Beklagten für den 20. Januar 2010 eine Flugreise von Berlin-Tegel über Madrid nach San José (Costa Rica). Der Start des von der Beklagten durchgeführten Fluges von Berlin nach Madrid erfolgte mit einer Verspätung von eineinhalb Stunden, was dazu führte, dass die Reisenden den Anschlussflug nach San José nicht mehr erreichten, weil der Einsteigevorgang bereits beendet war, als sie an dem betreffenden Ausgang ankamen. Sie wurden erst am folgenden Tag nach San José befördert.
3
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin das Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe:


4
Die zulässige Revision hat Erfolg und führt zur antragsgemäßen Verurteilung der Beklagten.
5
I. Das Berufungsgericht hat den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Ausgleichszahlungen nach Art. 4 Abs. 3, Art. 7 FluggastrechteVO wegen der Verspätung des Zubringerflugs und des dadurch bedingten Nichterreichens des Anschlussflugs verneint. Einem Fluggast, der einen Flug wegen eines verspäteten Zubringerflugs nicht erreiche, stehe kein Anspruch auf eine Ausgleichsleistung wegen Nichtbeförderung zu; Zubringerflug und Anschlussflug seien nach gefestigter Rechtsprechung grundsätzlich isoliert zu betrachten. Ein Anspruch wegen einer Beförderungsverweigerung komme auch nicht deshalb in Betracht, weil die Beklagte die Reisenden in Madrid trotz der verspäteten Ankunft noch hätte an Bord nehmen müssen. Selbst wenn sich das Flugzeug nach San José, wie die Klägerin behaupte, noch in der Parkposition am Flugsteig befunden habe, als die Reisenden den Ausgang erreichten, habe eine Beförderungsverweigerung nicht vorgelegen, da sich die Reisenden erst nach Abschluss des Einsteigevorgangs am Ausgang eingefunden hätten. Dies sei nicht mehr rechtzeitig gewesen.
6
II. Diese Beurteilung hält zwar für sich genommen der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand, der Klägerin stehen jedoch die geltend gemachten Ansprüche wegen der durch die Verspätung des Zubringerfluges verursachten erheblichen Verspätung bei der Ankunft am Endziel der Flugreise zu.
7
1. Die Fluggastrechteverordnung ist anwendbar, da die Reisenden auf einem Flughafen in Deutschland einen Flug, nämlich den ersten gebuchten Flug von Berlin nach Madrid, angetreten haben (Art. 3 Abs. 1 Buchst. a FluggastrechteVO ).
8
2. Der verspätete Abflug dieses Flugs hat dazu geführt, dass die Reisenden ihr Endziel San José erst einen Tag nach der geplanten Ankunft erreicht haben. Dies begründet auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen den mit der Klage geltend gemachten Ausgleichsanspruch nach Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c Satz 2 FluggastrechteVO; die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 Buchst. c FluggastrechteVO für eine Kürzung des Ausgleichsanspruchs liegen nicht vor.
9
a) Wie der Unionsgerichtshof in der Rechtssache C-402/07 (Urteil vom 19. November 2009, NJW 2010, 43 = RRa 2009, 282 - Sturgeon/Condor) auf die Vorlage des Bundesgerichtshofs entschieden und die Große Kammer mit Urteil vom 23. Oktober 2012 (C-581/10 - Nelson/Lufthansa) bestätigt hat, können nicht nur die Fluggäste annullierter Flüge, sondern auch die Fluggäste verspäteter Flüge den in Art. 7 der Verordnung vorgesehenen Anspruch auf Ausgleich geltend machen, wenn sie infolge der Verspätung einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden, weil sie ihr Endziel nicht früher als drei Stunden nach der von dem Luftverkehrsunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen. Auf eine weitere Vorlage des Senats hat der Unionsgerichtshof mit Urteil vom 26. Februar 2013 (C-11/11 - Air France/Folkerts) ferner entschieden, dass dieser Anspruch nicht voraussetzt, dass die verspätete Erreichung des Endziels darauf beruht, dass sich der Abflug des verspäteten Flugs um die in Art. 6 Abs. 1 Buchst. a bis c FluggastrechteVO genannten Zeiten verzögert hat. Es genügt daher, dass der verspätete Abflug in Berlin dafür ursächlich war, dass die Reisenden den Anschlussflug von Madrid nach San José nicht mehr erreichen konnten und infolgedessen ihr Endziel erst mit eintägiger Verspätung erreicht haben.
10
b) Entgegen der Auffassung der Revision beruht dieses Ergebnis nicht darauf, dass die Flugreise von Berlin nach San José als ein einziger Flug anzusehen wäre. Flug im Sinne der Verordnung ist vielmehr, wie der Bundesgerichtshof im Einzelnen begründet hat, der Luftbeförderungsvorgang, mit dem ein Luftverkehrsunternehmen die Gesamtheit der Fluggäste dieses Luftbeförderungsvorgangs auf einer von ihm angebotenen und zur Buchung zur Verfügung gestellten Flugroute von dem Startflughafen zum Landeflughafen befördert (BGH, Urteil vom 13. November 2012 - X ZR 12/12, NJW 2013, 682 = RRa 2013, 19; Urteil vom 28. Mai 2009 - Xa ZR 113/08, NJW 2009, 2743). Der Flug von Berlin nach Madrid ist mithin im Ausgangspunkt von dem (Anschluss-)Flug von Madrid nach San José zu unterscheiden. Hiervon geht auch das Urteil des Unionsgerichtshofs vom 26. Februar 2013 aus (s. nur Rn. 16, 18).
11
Die Selbständigkeit der Flüge ändert indessen nichts daran, dass nach Art. 7 Abs. 1 Satz 2 FluggastrechteVO für die Beurteilung der Frage, ob die Verspätung den für eine Ausgleichszahlung vorausgesetzten Umfang erreicht hat und in welcher Höhe hierfür ein Ausgleich zu erbringen ist, nicht das Ziel des einzelnen Flugs, sondern der letzte Zielort oder (gleichbedeutend) das Endziel (Art. 2 Buchst. h FluggastrechteVO) maßgeblich ist, an dem der Fluggast infolge der Verspätung später als zur planmäßigen Ankunftszeit ankommt. Hiermit trägt die Verordnung dem Umstand Rechnung, dass die Annullierung oder Verspätung eines Flugs die einzelnen Fluggäste unterschiedlich stark beeinträchtigen kann, je nachdem, wie sie sich auf die Erreichung des individuel- len Endziels ihrer Flugreise auswirkt (BGH, Urteil vom 13. November 2012, aaO Rn. 15)
12
c) Den von der Klägerin geltend gemachten Ausgleichsansprüchen steht es auch nicht entgegen, dass der Anschlussflug von Madrid nach San José, dem Endziel der Flugreise, selbst nicht verspätet war.
13
Zwar hat der Unionsgerichtshof in seinem Urteil vom 26. Februar 2013 gemeint, dass die Fluggastrechteverordnung "zwei unterschiedliche Fälle der Verspätung eines Flugs" betreffe (aaO Rn. 28) und aus der Definition des Endziels gefolgert, dass es im Fall eines Fluges mit Anschlussflügen für die Zwecke der in Art. 7 FluggastrechteVO vorgesehenen Ausgleichszahlung allein auf die Verspätung ankomme, die gegenüber der planmäßigen Ankunftszeit am Endziel , d. h. dem Zielort des letzten Fluges des betreffenden Fluggasts, festgestellt werde (aaO Rn. 35). Er hat demgemäß in seiner Antwort auf die Vorlagefrage ausgeführt, dass die Zahlung nicht vom Vorliegen einer Verspätung beim Abflug und somit nicht von der Einhaltung der in Art. 6 FluggastrechteVO aufgeführten Voraussetzungen abhänge. Dies bedeutet jedoch nur, dass eine Abflugverspätung und insbesondere eine Abflugverspätung, die das in Art. 6 bezeichnete Ausmaß überschreitet, nicht notwendige Voraussetzung des Ausgleichsanspruchs ist, und darf nicht dahin missverstanden werden, dass die Abflugverspätung den Ausgleichsanspruch nicht begründen könnte, wenn der Anschlussflug zum Endziel für sich genommen nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt oder selbst nicht mit Verspätung ausgeführt worden ist. Vielmehr hat der Gerichtshof seine Rechtsprechung zum Ausgleichsanspruch bei Verspätung gerade für den Fall des infolge einer solchen Verspätung verpassten Anschlussflugs weiterentwickelt. Das Urteil vom 26. Februar 2013 ändert mithin nichts daran, dass Fluggäste, die auf einem Flughafen auf dem Gebiet eines Mitgliedstaats der Union einen Flug antreten, eine Ausgleichszahlung beanspruchen können, wenn der verspätete Abflug dieses Flugs zur Folge hat, dass das Endziel mit einer Verspätung von mindestens drei Stunden erreicht wird.
Der gleiche Anspruch besteht, wenn der Flug zwar pünktlich abgeht, aber - etwa wegen einer außerplanmäßigen Zwischenlandung - gleichwohl unpünktlich ankommt und dies wiederum dazu führt, dass das Endziel mit einer Verspätung von mindestens drei Stunden erreicht wird; auch dann liegt nach dem Urteil Air France/Folkerts ein verspäteter (Erst-)Flug vor. Hingegen kann eine Störung, die erst bei einem Anschlussflug auftritt, für den die Verordnung nach Art. 3 Abs. 1 nicht gilt, einen Ausgleichsanspruch auch dann nicht begründen, wenn sie dazu führt, dass das Endziel mit erheblicher Verspätung erreicht wird (BGH, Urteil vom 13. November 2012, aaO Rn. 17).
14
3. Der Einwand der Revisionsbeklagten, die Auslegung der Fluggastrechteverordnung durch die Rechtsprechung des Unionsgerichtshofs sei von den der Europäischen Union zugewiesenen Kompetenzen nicht mehr gedeckt und deshalb von Verfassungs wegen nicht zu befolgen, führt zu keiner anderen Beurteilung.
15
a) Zunächst stellt sich im Streitfall nicht die Frage nach den Grenzen der Zuständigkeit der Europäischen Union, die hinsichtlich der Fluggastrechteverordnung und der in ihr geregelten Rechte und Pflichten der Luftverkehrsunternehmen und der Fluggäste außer Zweifel steht. Es ist auch nicht zweifelhaft, dass das Unionsrecht einen Ausgleichsanspruch für den Fall einer großen Verspätung vorsehen kann, so dass nicht in Betracht kommt, dass der Unionsgerichtshof durch die entsprechende Auslegung der Fluggastrechteverordnung in der Union nicht übertragene Kompetenzen der Mitgliedstaaten eingegriffen haben könnte.
16
b) Der Senat könnte daher die Fluggastrechteverordnung nicht anders auslegen, ohne dem Unionsgerichtshof die Frage der Vereinbarkeit seiner Rechtsprechung mit dem Primärrecht der Europäischen Union vorzulegen. Hierzu besteht jedoch keine Veranlassung.
17
In ihrem Urteil vom 23. Oktober 2012 (C-581/10 - Nelson/Lufthansa) hat die Große Kammer des Gerichtshofs die Gleichstellung der durch große Verspätungen betroffenen Passagiere mit den Passagieren annullierter Flüge nochmals ausführlich begründet. Sie hat insbesondere darauf hingewiesen, dass Art. 5 Abs. 1 Buchst. c Nr. iii der Verordnung dem Luftverkehrsunternehmen einen gewissen Spielraum einräume, dem Fluggast eines spät annullierten Fluges eine anderweitige Beförderung anbieten zu können, ohne ihm einen Ausgleich zahlen zu müssen. Auch wenn das Luftverkehrsunternehmen die ihm eingeräumten Möglichkeiten in vollem Umfang nutze, dürfe jedoch die Gesamtdauer der angebotenen anderweitigen Beförderung die planmäßige Dauer des annullierten Fluges nicht um drei Stunden oder mehr übersteigen; bei Überschreitung dieser Grenze seien dem Fluggast zwingend Ausgleichszahlungen zu leisten. Dagegen räume keine Bestimmung der Fluggastrechteverordnung ausdrücklich den Fluggästen verspäteter Flüge einen solchen Anspruch auf eine Ausgleichsleistung ein, auch wenn sie ihr Endziel erst drei Stunden nach der geplanten Ankunftszeit und noch später erreichten. Der (primärrechtliche) Grundsatz der Gleichbehandlung verlange indessen, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleichbehandelt werden, sofern eine solche Behandlung nicht - wie hier nicht - objektiv gerechtfertigt sei (aaO Rn. 31-33).
18
Aus der - allerdings nicht maßgeblichen - Sicht des deutschen Rechts handelt es sich hierbei um eine durch das Primärrecht zusätzlich gestützte Analogie. Der Bundesgerichtshof hat es in seinem Vorlagebeschluss im Fall "Sturgeon" für möglich gehalten, dass eine erhebliche Verzögerung des Abflugs als Annullierung des Flugs anzusehen sein könne und den Ausgleichsanspruch wegen Annullierung auslöse, da eine nicht erkennbar vom Verordnungsgeber gewollte Schutzlücke aufträte, wenn auch eine erhebliche, im Vorlagefall mehr als 24 Stunden betragende Verspätung keinen Ausgleichsanspruch auslöse und es die Luftverkehrsunternehmen jedenfalls in gewissem Umfang in der Hand hätten, die Rechtsfolgen einer Annullierung durch - in der Dauer nicht begrenzte - Verschiebungen der Abflugzeit zu umgehen (BGH, Beschluss vom 17. Juli 2007 - X ZR 95/06, NJW 2007, 3437 Rn. 18 ff.). Diesem Ansatz ist der Unionsgerichtshof nicht gefolgt, weil die Verordnung eine zeitliche Grenze für Verspätungen nicht bestimmt hat, hat aber gleichwohl die Rechtsfolgen einer Annullierung in angepasster Form für anwendbar erklärt. Diese methodische Differenz ist nicht geeignet, den Vorwurf einer Missachtung der Bindung des Richters an das Gesetz zu begründen. Vielmehr hat sich der Unionsgerichtshof der richterlichen Aufgabe gestellt, diejenige Lücke zu füllen, die der Verordnungstext dadurch gelassen hat, dass er einerseits auch für erheblich verspätete Flüge keinen Ausgleichsanspruch vorsieht und andererseits kein objektives, dem Einfluss des betroffenen Luftverkehrsunternehmens entzogenes Kriterium dafür formuliert, wann eine Verspätung unter Berücksichtigung des Schutzzwecks der Verordnung wie oder als eine Annullierung angesehen werden muss. Dementsprechend sieht nunmehr auch der Vorschlag der Kommission vom 13. März 2013 für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rats zur Änderung der Fluggastrechteverordnung (COM (2013) 130 final) vor, für große Verspätungen in Art. 6 Abs. 2 und für verpasste Anschlussflüge in einem neuen Art. 6a zeitliche Grenzen für die verzögerte Ankunft am Endziel zu bestimmen, jenseits deren ein Ausgleichsanspruch nach Art. 7 FluggastrechteVO bestehen soll.
19
Vor diesem Hintergrund ist es nur folgerichtig, wenn der Unionsgerichtshof in seinem Urteil vom 26. Februar 2013 (C-11/11 - Air France/Folkerts) bei verspäteten Flügen für den Ausgleichsanspruch nur die verspätete Ankunft in den Blick nimmt. Mit der Schaffung eines von der Verordnung nicht vorgesehenen Tatbestands der Ankunftsverspätung hat dies nichts zu tun. Vielmehr entspricht es dem Regelungskonzept der Fluggastrechteverordnung, dass es bei einem erheblich verspäteten Flug für die am Abflugort zu erbringenden Unterstützungsleistungen nach den Art. 8 und 9 auf die Abflugzeit, beim Ausgleichs- anspruch aber - nicht anders als bei der Annullierung - auf die für das Maß der Beeinträchtigung maßgebliche Ankunftszeit ankommt.
20
III. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 286 Abs. 1, 288 BGB, § 91 Abs. 1 ZPO.
Meier-Beck Mühlens Gröning
Hoffmann Deichfuß
Vorinstanzen:
AG Wedding, Entscheidung vom 31.03.2011 - 8a C 10/10 -
LG Berlin, Entscheidung vom 20.09.2011 - 85 S 113/11 -